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The Audience Is Listening Vom Hören und Wahrnehmen Masterthesis zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Arts in Arts and Design“ Verfasser: David Philipp Vorgelegt am FH-Studiengang MultiMediaArt, Fachhochschule Salzburg Begutachtet durch: DI (FH) Martin Löcker (Inhaltlicher Gutachter 1) Prof. (FH) Gianni Stiletto (Inhaltlicher Gutachter 2) Salzburg, Mai 2012

The Audience Is Listening · studies in the third chapter.The final part presents the conclusion and will answer the original research question ,what does the audience hear?‘ This

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The Audience Is ListeningVom Hören und Wahrnehmen

Masterthesis zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Arts in Arts and Design“

Verfasser: David Philipp

Vorgelegt am FH-Studiengang MultiMediaArt,

Fachhochschule Salzburg

Begutachtet durch:

DI (FH) Martin Löcker (Inhaltlicher Gutachter 1)

Prof. (FH) Gianni Stiletto (Inhaltlicher Gutachter 2)

Salzburg, Mai 2012

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Danksagung

Mein Dank geht:

An meine Eltern Gabriela und Josef Philipp, für eure tatkräftige Unterstützung.

An Martin Löcker, für die wunderbare Betreuung, deine wertvollen Tipps und Anstöße, die du mir trotz deines engen Zeitplans gegeben hast und die Nachsicht für meine Formulierungen.

An Gianni Stiletto, für deinen wertvollen Unterricht und die spannenden Exkursionen.

An Axel Rohrbach, da du mir mit deinem reichen Fachwissen stets zur Verfügung gestanden, und mich in meiner Sounddesign Arbeit stark geprägt hast.

An Pierre Langer, Tilman Sillescu, Michael Schwendler, Martin Berger und dem Rest des Dynamedion Teams, für eine der lehrreichsten und schönsten Erfahrungen meines Lebens.

An Walter Christian Mair, für eine erneute Quelle der Inspiration, die Freundschaft und die tolle Zusammenarbeit an spannenden Projekten.

An meine langjährigen Freunde Arno Deutschbauer, Sebastian Kargl und Christoph Pichler, für ihre Ratschläge in auditiven- und sonstigen Lebenslagen.

An mein Balloon Quest Kernteam, Martin Mayrhofer-Reinhartshuber, Regina Reisinger, Anja Prax, Peter Pokorny und Sophie Müller, für die gemeinsame Arbeit und das perfekte Teamklima.

An Michael Manfé, da du immer wiederkehrende Fragen trotzdem beantwortest.

An Eva Rainer, für die Korrekturlesung und den richtigen Lesefluss.

To Pandora Rice, for your help, support and being there for me.

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Eidesstattliche Erklärung

Hiermit versichere ich, David Philipp, geboren am 25. April 1988 in Linz, dass ich die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens nach bestem Wissen und Gewissen eingehalten habe und die vorliegende Masterthesis von mir selbstständig verfasst wurde. Zur Erstellung wurden von mir keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet.

Ich versichere, dass ich die Masterthesis weder im In- noch Ausland bisher in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe und dass diese Arbeit mit der den BegutachterInnen vorgelegten Arbeit übereinstimmt.

Salzburg, am 16. Mai 2012

Unterschrift

David Philipp Matrikelnummer

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Kurzfassung

Vor- und Zuname: David Philipp

Institution: FH Salzburg

Studiengang: MultiMediaArt

Titel der Masterthesis: The Audience Is Listening - Vom Hören und Wahrnehmen

Begutachter (1): DI (FH) Martin Löcker

Begutachter (2): Prof. (FH) Gianni Stiletto

Schlagwörter

Schlagwort 1: Publikum

Schlagwort 2: Hören

Schlagwort 3: Soundscapes

Kurzbeschreibung

Die vorliegende Masterthese, mit dem Titel: ,The Audience Is Listening - Vom Hören und Wahrnehmen‘, behandelt zu Beginn den Terminus ,Publikum‘ und erläutert dessen Funktion innerhalb der Studie. Einer näheren Betrachtung des menschlichen Ohrs und der Rezeption auditiver Quellen im Gehirn folgt eine Recherche über die historische Entwicklung der auditiven Wahrnehmung und es wird erschlossen wo die Hörgewohnheiten hörender Individuen entstehen. Im weiteren Verlauf wird der Übergang zum Zeitalter der Industrialisierung erläutert, mit dem eine starke Veränderung der Klanglandschaft einher ging, sowie die erneute Transformation von Soundscapes im Zuge der elektrischen Revolution. Darauf aufbauend folgt ein Übergang zu den heute vorherrschenden Soundscapes, welche den Menschen täglich umgeben. Ein kritischer Ausblick auf eine, von MedientheoretikerInnen diskutierte, Prävalenz des Hörens bildet den Abschluss des ersten Kapitels. Der zweite Abschnitt fokussiert auf die Stille, ihre Präsenz in der natürlichen menschlichen Umgebung und deren Einsatz in heutigen Medien. Danach wird auf interaktive und lineare Medien eingegangen, spezifische Stilmittel für die Vertonung bearbeitet und mit Hilfe von Fallstudien die vorhergehende theoretische Bearbeitung auch in der Praxis betrachtet. Das abschließende Kapitel beinhaltet das Conclusio, wobei die Beantwortung der Forschungsfrage ‚Was hört das Publikum?‘ im Vordergrund steht. Dieser Abschnitt spiegelt die eigene Meinung des Autors wider, wird die im Zuge dieser Arbeit behandelten Positionen gegenüberstellen und daraus resultierend die Beantwortung der formulierten Forschungsfrage behandeln.

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Abstract

This master thesis, titled ‚The Audience Is Listening - Of Hearing And Perception‘, starts off with an examination of the term ‚audience‘, explaining its importance in this paper. After taking a closer look at the anatomy of the human ear and the brain‘s processing ability of sounds, research about the historical development of the sonical perception and human hearing habits will be presented. Furthermore the transition to the age of the industrial- and electrical revolution will be explained as both caused a drastic change to the sound of the world. This leads to the everyday soundscape which is today surrounding all human beings. After that there will be a critical view on whether or not an auditive turn will bring an end to the long lasting visual dominance. The second section turns special attention to silence, to its presence in the daily surroundings of human beings and its usage in contemporary media. The third section discusses interactive and linear media. After focusing on specific theories and techniques there will be a more practical view using case studies in the third chapter.The final part presents the conclusion and will answer the original research question ,what does the audience hear?‘ This section reveals the author‘s own opinion and provides a summary of the theoretical positions discussed in the course of this paper.

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Inhaltsverzeichnis

1. Das Publikum - Die Hörenden ........................................................................................9

Einleitung .................................................................................................................................9

1.1 Soundscape ..........................................................................................................................10

1.2 Das menschliche Ohr ........................................................................................................ 11

Die Verarbeitung auditiver Impulse im Gehirn .........................................................13

1.3 Die Geschichte des Hörens .............................................................................................15

1.3.1 Zeit für Sound ...........................................................................................................17

1.3.2 Die industrielle Soundrevolution ......................................................................19

1.3.3 Die elektrische Revolution .................................................................................. 23

1.4 The Hear and Now ............................................................................................................. 25

Everyday Soundscapes .................................................................................................... 27

1.5 Ausblick - Eine auditive Prävalenz? ............................................................................. 35

2. Stille .....................................................................................................................................39

2.1 John Cage - No such thing as silence ......................................................................... 42

2.2 Die relative Stille ................................................................................................................ 43

2.3 Die Ruhe vor dem (Ton)Sturm .......................................................................................45

2.4 Silence Case Study: Transformers 2 - Revenge of the Fallen .............................48

3. Sounddesign und das Publikum .................................................................................. 53

3.1 Film - Ein Klangwerk ......................................................................................................... 54

Realismus und die Täuschung des Publikums ......................................................... 57

3.2 Lineares Medium Case Study - Avatar ....................................................................... 61

3.3 Linearität vs. Interaktivität .............................................................................................. 65

3.4 Interaktives Medium Case Study - Battlefield 3 ..................................................... 70

4. Conclusio ............................................................................................................................74

Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 80

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ 84

Glossar ..................................................................................................................................... 85

Anhang .....................................................................................................................................A1

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Abkürzungsverzeichnis

Aufl. = Auflage

Bd. = Band

bzw. = beziehungsweise

ebd. = ebendort

f = und folgende Seite

ff = und folgende Seiten

FH = Fachhochschule

Hg. = Herausgeber

MMA = MultiMediaArt. Studiengang an der FH-Salzburg

o. A. = ohne Angabe

SFX = Soundeffekte

[sic!] = wirklich so - Ausweisung eines erkannten Fehlers in einem Zitat

vgl. = vergleiche

zit. n. = zitiert nach

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„One can look at seeing, but one can‘t hear hearing.“ Marcel Duchamp

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Das Publikum - Die Hörenden

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1. Das Publikum - Die Hörenden

Einleitung

Unsere Umwelt verändert sich täglich. Mit ihr verändert sich gleichzeitig auch der Klang unserer Welt. Doch für wen verändert sich dieser Klang? Wer bemerkt diese Veränderung und wer kann unterscheiden, welches Ausmaß diese Veränderung hatte?

Hörende werden in eine Welt hineingeboren und nehmen dort ihren Platz ein. Sie werden damit Teil eines Publikums. Publikum aus dem Grund, da sie mit Sicherheit jeden Tag an irgendeinem Ort, zu irgendeinem Zeit-punkt die Zuhörerrolle einnehmen und rezipieren, einem Klang ihre Be-achtung schenken. Sei es der Violinist in der U-Bahn Station, dem wahr-scheinlich nicht mehr als zehn Sekunden unserer Aufmerksamkeit beim raschen Vorbeigehen gewidmet werden, oder der Straßenlärm, welcher uns allein durch seine Lautstärke auf die Gefahr der Überquerung einer viel befahrenen Straße hinweist.

Wie wird nun der Terminus Publikum gesehen? Das Verständnis des Au-tors der vorliegenden Arbeit für den Begriff deckt sich mit der Defini-tion des neuen Brockhaus‘ (1979, 298): „Öffentlichkeit - Gesamtheit der an einer Veranstaltung Teilnehmenden - Zuhörer -, Leserschaft.“ Gesamtheit der Zuschauer, Zuhörer einer Veranstaltung.“ Ergänzend, und für den Autor schlüssig, wird im Duden (duden.de 20121) die Bedeutung „Gesamtheit von Menschen, die an etwas Bestimmtem interessiert sind“ angeführt. Die-ses bestimmte Interesse manifestiert sich auch in der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit: Es gilt herauszufinden, wo das auditive Interesse der Zuhörerschaft liegt - ‚was hört das Publikum?‘

Eine Beantwortung der Forschungsfrage erfordert zuallererst eine Erläu-terung des Ohrs, des Organs des hörenden Publikums, bei dessen Abwe-senheit oder Malfunktion das gesamte Hören und Aufnehmen von auditi-ven Quellen sehr schwierig bis gänzlich unmöglich wird. Danach wird auf die Geschichte des Hörens fokussiert und recherchiert, wie und wodurch gewisse Höreindrücke entstanden sind, welche im Laufe der Zeit ein fi-xer Bestandteil unseres Lebens wurden. Weiters wird zum Hier und Jetzt - ‚The Hear And Now‘ übergeleitet, welches unsere Wahrnehmung von Sound im Alltag untersuchen wird. Abschließend für dieses Kapitel der Hörenden wird ein Ausblick auf zukünftige auditive Perspektiven gelegt. Nähern wir uns zunehmend einer auditiven Prävalenz? Folgt nach dem ‚Visible Turn‘ vielleicht auch bald ein Übergang auf eine auditive Gesell-schaft?

1 http://www.duden.de/rechtschreibung/Publikum

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Das Publikum - Die Hörenden

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Im zweiten Abschnitt steht ein Paradoxon im Mittelpunkt: ‚Was hört das Publikum, wenn es nichts hört?‘. Stille, der Gegenpol der auditiven Ein-drücke, wird hierbei betrachtet und untersucht werden, bevor in die Mate-rie der interaktiven und linearen Soundscapes in Medien eingetaucht und deren Wirkung auf das Publikum, respektive auf Spielende, untersucht wird. Jegliche vorhergehende Recherchen und Erkenntnisse werden ab-schließend in der Conclusio nochmals zusammengeführt und persönlich reflektiert, um eine Beantwortung der Forschungsfrage ‚Was hört das Pu-blikum?‘ zu gewährleisten.

Eigenes Forschungsinteresse besteht aufgrund der persönlichen Tätigkeit des Autors der vorliegenden Arbeit, welcher als Soundschaffender für in-teraktive und lineare Medien fungiert. Eine Bearbeitung der gewählten Forschungsfrage wird im besten Falle in einem besseren Verständnis für die Anforderungen hörender Individuen und einer weitreichenderen Einbin-dung des Publikums durch auditive Eindrücke resultieren. Der historische Blickwinkel auf die Entwicklung des Hörens ist ebenfalls signifikant und es ist von großem Interesse, ob vergangene Eindrücke und Gewohnheiten in unserer gegenwärtigen auditiven Wahrnehmung und Rezeption noch immer präsent sind.

1.1 Soundscape

Da im Zuge dieser Arbeit, besonders im ersten Abschnitt, immer wieder vom Terminus ‚Soundscape‘ gesprochen wird, muss dessen Bedeutung er-läutert werden. Der Begriff geht auf R. Murray Schafer zurück, der mit seinem Werk ‚Our Sonic Environment and the Tuning of the World‘, ei-nen ausführlichen Beitrag zur Erschließung des geschichtlichen Teils der vorliegenden Arbeit leistete. Gemeinsam mit einer Gruppe von Studenten untersuchte er 1974 die Soundscapes fünf verschiedener Dörfer in Euro-pa. Er charakterisiert die Begrifflichkeit folgendermaßen „The soundscape is any acoustic field of study. [...]To give a totally convincing image of a sound-scape would involve extraordinary skill and patience: thousands of recordings would have to be made. [...] A soundscape consists of objects heard not objects seen. [...]“ (Schafer 1994, 7f ).

Der Terminus Soundscape beschreibt also die Klänge einer Landschaft, bzw. alle uns umgebenden Klänge und Geräusche. Im weiteren Verlauf kann somit auch der Begriff Klanglandschaft verwendet werden.

„Now I will do nothing but listen ... I hear all sounds running together, com-bined, fused or following, sound of the city and sounds out of the city, sounds of the day and night...“ (Whitman o. A. zit. n. Schafer 1994, 3 )

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1.2 Das menschliche Ohr

„Our ears are open before we are born. Our consciousness begins with them. Is that the real reason why we can never, ever close our ears so long as we live?“ (Berendt o. A. zit. n. Sonnenschein 2001, 72 )

Joachim Ernst Berendt erläutert bereits im eben angeführten Zitat, dass unser Bewusstsein mit den Ohren bzw. mit dem Hören beginnt. Ohne un-ser Hörorgan wäre es uns unmöglich auditive Ereignisse wahrzunehmen. Im Laufe dieses Kapitels wird allerdings noch erschlossen werden, dass uns die Schallwellen auch ohne Hörfunktion erreichen können, beispielsweise durch Vibration. Der folgende Abschnitt wird die Funktion des Gehöror-gans erläutern und den Aufbau des Ohres darlegen.

Grundsätzlich wird von drei Abteilungen des Ohres gesprochen: Außen-ohr, Mittelohr und Innenohr. Der Signalverlauf bahnt seinen Weg in das Außenohr, verläuft weiterhin durch Mittelohr in das Innenohr, wo das Cortische Organ die mechanischen Wellen in Nervensignale umwandelt und so für den Menschen eine Interpretation und Einordnung möglich macht.

Das Außenohr besteht größtenteils aus dem sichtbaren Abschnitt, welcher sich seitlich am Kopfe jedes Menschen befinden sollte: die Hörmuschel. Hinzu kommen noch der ebenfalls dem Außenohr zugehörige äußere Ge-hörgang, welcher bis zum Trommelfell führt. Die Funktion der Hörmu-schel besteht darin, auditive Signale zu verstärken und zu den weiteren Abschnitten des Ohres weiterzuleiten. Durch die sehr deutlichen Ausprä-gungen und Vertiefungen wird die Raumwahrnehmung beim Hören stark verbessert, Frequenzen werden je nach Einfallswinkel unterschiedlich stark weitergegeben. Danach wird der Schall durch den äußeren Gehörgang weitergeleitet zum Trommelfell, wobei die Signale aufgrund der Resonan-zeigenschaften dieses Gangs in der Intensität verändert werden. Frequen-zen unter 20Hz oder über 16kHz werden im Vorhinein vom äußeren Ohr weggefiltert und stellen somit die Grenzen des menschlichen Hörbereichs dar. (vgl. Bruhn 2002, 613f ). Flückiger (vgl. 2001, 200f ) beschreibt diese definierten Hörgrenzen als stark vom Alter der hörenden Person abhängig, da diese mit zunehmendem Lebensjahr immer schlechter ausfällt.

Das Mittelohr, welches auch als Paukenhöhle bezeichnet wird, beschreibt Prof. Dr. Adolf Faller (vgl. 1972, 351ff), Direktor des Instituts für Ana-tomie und spezielle Emryologie der Universität Freiburg, folgenderma-ßen: Die äußere Wand des Mittelohres wird teilweise vom Trommelfell gebildet, die innere Wand entspricht der Außenseite der Innenohrkapsel. Die Paukenhöhle hängt durch die Eustachische Röhre mit dem oberen Rachenraum zusammen. Diese öffnet sich nicht nur beim Schlucken, sie ermöglicht auch einen Druckausgleich für die beiden Seiten des

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Das Publikum - Die Hörenden

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Trommelfells. Wenn hierbei auf beiden Seiten verschiedener Druck herrscht, so verspüren wir ein unangenehmes Gefühl, welches allerdings durch Schlucken oder Gähnen beseitigt werden kann. Einen essentiellen Bestandteil des Mittelohres stellt die Kette der Gehörknöchelchen, Ham-mer, Amboss und Steigbügel dar, welche die vom Trommelfell ausgelösten Schwingungen auf die Flüssigkeit der Vorhoftreppe übertragen. Die Ge-hörknöchelchen enthalten zwei Sperrgelenke und unterliegen des Weite-ren dem Einfluss von zwei Spannmuskeln, dem Spanner des Trommelfells und dem Steigbügelmuskel. Bei erhöhter Spannung werden hohe Töne übertragen und vice versa.

Das Innenohr besteht neben der Schnecke (Cochlea) aus dem Vestibular-apparat, besser bekannt als das Gleichgewichtsorgan. Beide sind im soge-nannten Felsenbein zu finden, dem härtesten Knochen in unserem Orga-nismus, welcher eine Einflussnahme von unerwünschten mechanischen Einflüssen von Außen unterbindet. Der auditorische Teil des Innenohrs und der Gleichgewichtssinn funktionieren vollkommen unabhängig von-einander. Die Cochlea besteht aus einem schneckenartigen Röhrensystem, welches den Modiolus, einen hohlen, knöchernen Stiel, spiralförmig um-gibt. In der Cochlea befindet sich nun das eigentliche Organ, welches uns die Wahrnehmung von Schallquellen ermöglicht: Das Cortische Organ. Hierbei handelt es sich um einen Zellenwulst, welcher von einer gallertar-tigen Membran, der Tektorialmembran, abgedeckt wird. Über die gesamte Länge dieses Wulsts sind die eigentlichen Sinneszellen des Hörapparates angeordnet, die Haarzellen. Jede dieser Haarzellen berührt die Tektorial-membran, wobei in jedem Ohr ungefähr 14000 dieser Zellen zu finden sind. (vgl. Bruhn 2002, 615f )

Barbara Flückiger (2001, 195) weist darauf hin, dass das Verständnis für die Arbeitsweise unseres Hörapparates auf den ungarisch-amerikanischen Nobelpreisträger Georg von Békésy (1899-1972) zurückzuführen ist:

„Er konnte nachweisen, dass sich die vom ovalen Fenster an die Cochlea wei-tergeleiteten Schwingungen dort in Form einer Wanderwelle fortpflanzen, um sich schließlich am runden Fenster aufzulösen. Die Wanderwelle brandet wie ein kleiner Ozean in den einen Kanal der Ohrschnecke, die sogenannte Scala tympani, hinein und führt zu einer Frequenzdispersion; das heißt, hohe Töne werden an der Basis der Cochlea und mit abnehmender Frequenz zum inne-ren Ende hin wirksam.“

Nach Bruhn (vgl. 2002, 617) wird dieser eben angesprochene ‚Ozean‘ in Schwingungen versetzt und mit ihm gerät auch das Cortische Organ in Bewegung. Nun werden die winzigen Hörhärchen von der Tektorialmem-bran leicht verbogen und es entstehen die Nervenimpulse, welche letzt-endlich über die Ganglionspirale an die Hörnerven weitergeleitet werden.

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Das Publikum - Die Hörenden

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Nun ist bereits der physiologische Teil der Hörfunktion durch die Aussa-gen der vorhergehenden TheoretikerInnen erschlossen, der Weg, den sich der Schall durch Außen-, Mittel-, und Innenohr bahnt, damit beschrie-ben. Im Bezug auf die Forschungsfrage: ‚Was hört das Publikum?‘ muss allerdings im Folgenden noch untersucht werden, was mit den Nervenim-pulsen im Gehirn geschieht, nachdem die Impulse ihr Ziel, die Hörner-ven, erreicht haben.

Die Verarbeitung auditiver Impulse im Gehirn

Eine der wichtigsten Grundlagen der auditiven Wahrnehmung stellt der Umstand dar, dass sämtliche Parameter des Schalls wie Frequenz, Inten-sität und zeitliche Struktur miteinander interagieren und ganzheitlich wahrgenommen werden. Schallquellen anhand dieser drei Parametern aufzuschlüsseln reicht im Normalfall jedoch nicht aus, um Einzelklänge darzustellen. Auditives Material findet laut Berendt (1985, zit. n. Flücki-ger 2001, 196) „[...] nicht nur in der Zeit statt, sie überhöht und überwindet Zeit.“. Geräusche und Klänge wirken demnach nicht nur auf einer Zeit-, Fre-quenz- und Lautstärkenebene. Barbara Flückiger (2001, 196) zieht daraus einen für die auditive Wahrnehmung maßgeblichen Schluss: „Klangobjekte sind multidimensional.“

David Sonnenschein (vgl. 2001, 74) legt die Komplexität des Hörvorgan-ges mit einem Beispiel dar: Wird die Anzahl der pro Ohr vorhandenen Hörhärchen, welche sich auf etwa 14000 Stück beläuft, der Anzahl an der übermächtigen Zahl von mehr als 1 Million Sehnerven gegenübergestellt, so entsteht ein kurioses Ergebnis. Werden zwei unterschiedliche Tonhöhen gleichzeitig abgespielt, so können die beiden Quellen differenziert wahr-genommen und unterschieden werden. Werden allerdings zwei Farben ge-mischt oder übereinander projiziert, so verschwindet die Fähigkeit die bei-den Farben separiert wahrzunehmen und die Farben werden als eine neue dargestellt. Sonnenschein (vgl. ebd.) nennt zusätzlich zu Flückigers oben angesprochenen drei Parametern noch die Geschwindigkeit als wichtigen Faktor, welche besonders mit Intensität und der zeitlichen Struktur im Zu-sammenhang steht. Wenn ein Ton oder Geräusch alleine abgespielt wird, so wird in etwa ein Drittel einer Sekunde benötigt, um diesen vollständig wahrzunehmen. Dies wird hier als ‚Integrationszeit‘ bezeichnet. In einer Sequenz von lauten Tönen werden alle nachfolgenden Töne als weicher und sanfter wahrgenommen. Die Problematik der konstanten Beschallung des Publikums in heutigen Medien erfährt eine immense Wichtigkeit, wo-rauf jedoch später in dieser Arbeit noch explizit eingegangen werden muss. Vorweggenommen muss angemerkt werden, dass Rezipienten nach einer konstanten Beschallung von lauten Sequenzen, die eigentliche angestrebte Energie als nicht mehr so druckvoll und gewaltig wahrnehmen.

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Hervorzuheben ist des Weiteren, dass die beiden Gehirnhälften im menschlichen Kopf unterschiedliche Aufgaben in der Wahrnehmung von auditivem Material ausführen. So schreibt auch der Sound-Designer und Autor David Lewis Yewdall (2007, 16): „Your subconscious learns to separate awareness of technique and disciplines from the assimilation of form and story-telling, the division between left-brain and right-brain jursidictions.“

Seine Aussage lässt zwar bereits erkennen, dass ein Unterschied zwischen rechter und linker Gehirnhälfte in der Rezeption von Audio vorhanden ist, jedoch fokussiert Flückiger (vgl. 2001, 197ff) dieses Thema detaillier-ter. Im Unterschied zum Tier kommt es im menschlichen Hirn zu einer Aufgabenteilung zwischen den beiden Gehirnhälften, welche auch Hemi-sphären genannt werden. Die genaue Bezeichnung für diese stattfindende Aufgabenteilung wird als ‚zerebrale Lateralisation‘ bezeichnet, wobei das rechte Ohr an die linke Hirnhälfte sendet und umgekehrt. Die linke Hirn-hälfte ist grundsätzlich für Sprachbedeutung, mathematische Analysen, die Spracherinnerung und generell jegliche Art von analytischen Vorgängen zuständig. Audiospezifisch fällt auch die Identifikation von natürlichen Geräuschen in die linke Hemisphäre. So zeigten Forschungen nach der Methode des ‚dichotischen Hörens‘, wobei den Testpersonen über einen Kopfhörer auf beiden Seiten unterschiedliche akustische Information zu-gespielt wird, eine gewisse Dominanz für die Verständlichkeit der Sprache im rechten Ohr. Im linken Ohr, bzw. auf der rechten Hemisphäre werden auditiv hingegen die melodiösen Anteile der Sprache und die Musik ver-arbeitet.

Einen weiteren sehr interessanten Aspekt der Wahrnehmung und Verar-beitung auditiver Stimuli führt Bruhn (vgl. 2002, 626) an. Wird seinen Recherchen Glauben geschenkt, so findet bereits bei vier Tage alten Säug-lingen, an welchen derselbe dichotische Hörtest durchgeführt wurde, eine Unterscheidung zwischen Sprache und Musik statt. Hierbei zeigten die Er-gebnisse folgende Präferenz: Auf der linken Hemisphäre zeigen Neugebo-rene ein größeres Potential bei nichtsprachlichem Material, wobei auf der rechten Gehirnhälfte vorwiegend sprachliche Informationen ankommen. Es wurde somit geschlussfolgert, dass „eine Spezialisierung des Gehirns schon mit der Geburt angelegt ist.“ (Witelson 1987, zit. n. Bruhn 2002, 626)

Um die Funktion des menschlichen Ohrs und die Weiterverarbeitung im Gehirn abzuschließen, fehlt noch ein letzter wichtiger Bestandteil: Die Frequenzwahrnehmung. Im Verlauf der vorliegenden Arbeit wird auf diese Thematik noch detaillierter eigegangen. Hinsichtlich der Wahr-nehmung der Frequenzen von Sound durch das menschliche Ohr herr-schen im Grunde sehr genaue Vorstellungen. Ausgehend vom definierten Wert des Stimmtons ‚a‘ auf 440Hz, werden bei der Hörwahrnehmung tiefe, mittlere und hohe Töne unterschieden. Diese Einteilung ist für das hier diskutierte Hörverständnis allerdings irrelevant, eine essentiellere

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Bedeutung erfährt jedoch das sogenannte ‚Hörfeld‘, welches sich auf die Dimensionen des Schalldrucks und der Frequenz bezieht. Darunter wird jener Bereich verstanden, in welchem eine auditive Quelle, ein Signal oder ein Geräusch eine wahrnehmbare Empfindung auslöst. Wie bereits im vorigen Abschnitt angesprochen, sind durch die Beschaffenheit des Ge-hörorgans die Hörgrenzen mit 20Hz und 16kHz festgelegt. Innerhalb die-ser Grenzen werden verschiedene Frequenzen gleicher Amplitude unter-schiedlich laut wahrgenommen. Bedingt durch die Bedeutung der Sprache und Kommunikation für die Evolution der Hörwahrnehmung hat sich der Bereich zwischen 3kHz bis 5kHz besonders stark ausgeprägt und da-mit die Sprachverständlichkeit auch bei starken Nebengeräuschen möglich gemacht. (vgl. Flückiger 2001, 199ff)

„Für uns ist es von weitreichender Bedeutung, dass das Gehirn verschiedene Arten von Gehöreindrücken unterschiedlich verarbeitet. Diese Beobachtung wird immer wieder aufscheinen und hat den Aufbau dieser Arbeit entschei-dend geprägt, denn sie liefert die neuropsychologische Rechtfertigung zur ge-trennten Darstellung von semantischen und klanglichen Aspekten akustischer Ereignisse.“ (Flückiger 2001, 198)

Wie auch Flückigers Arbeit von der Gehirnforschung und deren Erkennt-nissen profitierte, so werden diese Ergebnisse auch einen essentiellen Bei-trag zur Beantwortung der Forschungsfrage ‚Was hört das Publikum?‘ leisten. Dieser Untersuchung des menschlichen Hörapparats und Gehirns folgt nun eine Bearbeitung des Ursprungs der auditiven Wahrnehmung.

1.3 Die Geschichte des Hörens

„Am Anfang war der Sound. Und dieser Sound war so ungeheuer, daß [sic!] wir heute noch sein Echo hören. Das konstante Rauschen, das noch von einem postmodernen Ohr, so es nicht durch Dauersoundproduktion ruiniert wurde, selbst am einsamsten Ort in der stillsten Winternacht zu vernehmen ist, erklä-ren Astrophysiker als Nachhall des Urknalls.“

Mit dieser Aussage eröffnete Jochen Hörisch (2004, 24) sein Buch ‚Eine Geschichte der Medien, vom Urknall zum Internet‘. Er vertritt den Stand-punkt, dass der Ursprung des Universums von einem mächtigen Knall begleitet wurde, dessen Nachhall wir heute noch als Rauschen wahrneh-men können. Nach Hörischs Aussage erscheint es sehr erstaunlich, dass in früheren Erkenntnistheorien dem Hören gegenüber dem Visuellen anscheinend eine geringere Bedeutung zugemessen wurde. Platons Höh-lengleichnis kann bei kritischer Begutachtung ein erstes Indiz für eine langanhaltende visuelle Prävalenz im Gegensatz zur Bedeutung der Wahr-nehmung des Hörens für die Interpretation der Realität darstellen.

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Das Höhlengleichnis (vgl. Riedmann o. A., 1ff2) beschreibt die Situation Gefangener in einer Höhle. Dort sitzen sie und blicken nur auf eine Wand, welche sich vor ihnen befindet und nehmen dabei nur die Schatten der Gegenstände wahr, die außerhalb der Höhle, vor einem Feuer vorbeigetra-gen werden. Weil die Gefangenen nichts anderes kennen, halten sie diesen Schattenwurf für die Wahrheit, für das Reale. Negiert Platon hier jegli-chen Einfluss auditiver Eindrücke bei der Wahrnehmung der Abbildung einer Realität? Selbst wenn Riedmann (vgl. ebd.) das Höhlengleichnis in sechs Bewusstseinsstadien unterteilt, so scheint die Hörwahrnehmung der Gefangenen bei seiner Beobachtung keine Rolle zu spielen. Marcel Duchamps (o. A. zit. n. Toop 2010, 69), tragendes Zitat für diese Arbeit, „One can look at seeing, but one can‘t hear hearing.“, könnte demnach so ausgelegt werden, dass Platon nicht bloß das Auditive ignorierte, sondern schlichtweg nicht im Stande war, das Gehörte der Gefangenen in seine Beobachtungen einfließen zu lassen. Auch wenn es sich hierbei um eine rein spekulative These handelt so wird der Stellenwert der auditiven Wahr-nehmung im Zuge dieser Arbeit noch ausführlich diskutiert werden.

Der Autor R. Murray Schafer (vgl. 1994, 15f ) definiert in seinem Stan-dardwerk zum Thema einer auditiven Historie, im Gegensatz zu Hörisch, nicht den Urknall als ersten und wichtigsten auditiven Impuls dieser Welt: Er betrachtet das Rauschen der Wellen des Ozeans als das erste wahr-genommene Geräusch. Bereits in den griechischen Mythologien wurde beschrieben, wie die Götter aus den Fluten der Meere auferstanden, aus Okeanos, dem Strom, der die Welt umfließt und durch Tethys, die Mutter seiner Kinder. Er findet seine Fortsetzung im Bauch unserer Mütter. Der sich darin befindende Fötus nimmt hier das erste Geräusch seines Lebens wahr, welches anfänglich nur eine tieffrequente Resonanz des Meeresrau-schens darstellt, doch dann:

„the waters litte by little began to move, and at the movement of the waters the great fish and the scaly creatures were disturbed, and the waves began to roll in double breakers, and the beings that dwell in the waters were seized with fear and as the breakers rushed together in pairs the roar of the ocean grew loud, and the spray was lashed into fury, and garlands of foam arose, and the great ocean opened to its depths, and the waters rushed hither and thither, the furious crests of their waves meeting this way and that.“ (Schafer 1994, 15)

Für Schafer reicht also die Geschichte der auditiven Wahrnehmung bis tief in die Erzählungen der griechischen Mythologie zurück. Er sieht den Ursprung der Entwicklung des hörenden Menschen zum lebenden, hö-renden Wesen im Ozean des Mutterleibs. Die Frage, die gestellt werden muss bezieht sich auf den bereits geborenen Menschen: Hört, hört er/sie hin oder nimmt er/sie wahr?

2 http://www.create.sriedmann.com/philo/platonhoehlen.pdf

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1.3.1 Zeit für Sound

„Schalleinwirkungen aus der Umgebung des Menschen sind wichtigster Träger zwischenmenschlicher Kommunikation [...] sowie Quelle ästhetischen Erle-bens. Dennoch gehören sie zu den wesentlichen Quellen von Belästigungen, sobald Intensität, Dynamik und Frequenzzusammensetzung und Einwirk-dauer der Schalle die Fähigkeit oder die Bereitschaft einer Person, diesen zu verarbeiten, überfordern.“ (Bruhn 2002, 655)

Bruhn bezeichnet mit dieser Feststellung, besonders mit der eben genann-ten ‚Bereitschaft einer Person‘, die Tatsache, dass Geräuscheinwirkungen immer vom Menschen aufgenommen werden, egal ob die Bereitschaft vorhanden ist oder der Sound eigentlich ausgeblendet werden sollte. Dies ist natürlich besonders für unsere heutige Zeit gültig, für eine Welt, die von Lärm und Geräuschen regiert wird.

Schafer (vgl. 1994, 53ff) geht allerdings mit seinen Forschungen sehr viel weiter zurück und behandelt als weitere geschichtliche Aufarbeitung die Transition vom nomadischen zum ländlichen Leben, zwischen 10000 und 12000 Jahren vor unserer Zeit sowie den Übergang vom ruralen zum ur-banen Leben. Er nennt als ersten markanten Sound der Gesellschaft die Kirchenglocke. Diese schallt nicht nur durch ihren lauten Klang durch das gesamte Dorf, sondern begleitet auch noch zusätzlich den Alltag der christlichen Gemeinschaft. Der Klang dieser Glocken übertönte alle sonst gegenwärtigen Sounds des städtischen Umfelds, sei es, um die Menschen zur Kirche zu rufen, der Toten zu gedenken oder eine aufkommende Ge-fahr zu signalisieren. Der Effekt dieser Glocken bzw. das Hören und Ver-nehmen dieses Sounds wurde für die Menschen so wichtig, dass selbst den Klangkörpern Namen gegeben wurden, beispielsweise ‚Big Jaqueline‘ oder die ‚Bell Roland‘. Im vierzehnten Jahrhundert intensivierte eine Erfindung die Bedeutung der Glocke noch zusätzlich: Die mechanische Uhr. Sie un-terscheidet sich deutlich von den vorhergehenden Systemen: Bei Wasser-, Sand- und Sonnenuhren war es für die Menschen nicht notwendig hinzu-hören. Diese Zusammenkunft von Sound und Zeit muss als maßgebend für die Geschichte des Hörens erachtet werden. So definiert Aleida Ass-mann (2008, 125) die Bedeutung von Zeit, welche für den Menschen eine immense Wichtigkeit für das Leben, bzw. das Erleben darstellt:

„Zeit steht uns in der Regel nicht so klar vor Augen wie das Datum auf einem Kalenderblatt oder der Zeiger auf dem Ziffernblatt einer Uhr, sondern geht in vielen unscheinbaren Formen permanent in menschliches Handeln, Erleben, Deuten und Erinnern ein.“

Assmann beschreibt die Zeit als allgegenwärtig, auch wenn sie nicht stän-dig im Bewusstsein des Menschen präsent ist, so läuft sie stetig weiter. Des weiteren unterstreicht Assmann (2008, 150) noch mit ihrer Aussage: „Die (mechanische) Uhr, die die Grundlage für das Zeitregime der Moderne

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darstellt, ist das Gegenstück zur allegorischen Verkörperung der Zeit.“, Scha-fers These der Revolution durch die Erfindung der mechanischen Uhr, welche in Verbindung mit dem Sound der Glockenschläge zu einem un-verzichtbaren Element menschlicher Kultur wurde.

Als eine weitere sehr markante Erfindung, welche eine ebenso zentrale Wirkung wie die mechanische Uhr darstellt, muss die Windmühle an-gesprochen werden. Sie stellte schon immer einen wichtigen Bestandteil des frühen Dorfs dar und die von ihr erzeugte Geräuschkulisse war jedem Bewohner wohl bekannt und vertraut: „The women grinding the meal cease to work ... when the noise of the mill is low, when the chirping of the sparrow grows faint and the songbirds fall silent.“ (Schafer 1994, 56). Zusätzlich zu den Windmühlen trugen auch noch Papier- und Sägemühlen zur Gestal-tung einer grundlegenden Soundscape bei, welche aber keineswegs eine leise, ruhige Atmosphäre schufen. Im Gegensatz zu heutigen Vorstellun-gen der idyllischen und leisen Klanglandschaft einer damaligen Kleinstadt waren diese trotzdem geprägt von stetem Geräuschpegel. (vgl. Schafer 1994, 54ff)

Dennoch sind die eben besprochenen Geräuschquellen wie Glocken, Uhren oder Windmühlen für heutige Begriffe nicht gerade von sehr lär-mendem Charakter. Bruhn (2011, 21) definiert in seiner Publikation den Terminus Lärm folgendermaßen: „Wenn Schall lästig wird, weil er die Kom-munikation beeinträchtigt, die Muße, die Erholung oder den Schlaf stört, die Konzentration bei geistiger Arbeit behindert oder gar Schwerhörigkeit verur-sacht, bezeichnet man ihn als Lärm.“

Die Schmiedearbeit könnte laut Schafer (vgl. 1994, 57ff) die erste Ursache für menschliche Lärmempfindung gewesen sein. Es ist kaum vorstellbar, welche ungeheure Lautstärke der Hammer eines Schmiedes stetig den gan-zen Tag produzierte. Die Lautstärke eines solchen Hammerschlags wird mit ungefähr 100db angegeben, zusätzlich muss erwähnt werden, dass der Schmied im Morgengrauen seine Arbeit begann und schließlich den gan-zen Tag bis spät in die Nacht hinein sein Tun vollzog. Bis zum Zeitalter der industriellen Revolution nennt Schafer den Schmied als lauteste Quel-le menschlicher Lärmerzeugung, welcher den Dorfbewohnern zum ersten Mal einen Eindruck von fast permanenter Lärmbelästigung bot. Hier muss allerdings beachtet werden, dass nichtmenschliche Lärmeindrücke einen wesentlich höheren Schallpegel erreichen können, sei es Donnergrollen oder ein Wasserfall, die definitiv auch in damaligen Zeiten präsent waren.

Weiters erläutert Schafer (vgl. 1994, 65ff) einen maßgeblichen Faktor für die Geräuschkulisse und die Entwicklung des Hörens und Empfindens des Menschen im geschichtlichen Aspekt. So formuliert er (1994, 64):

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„Before the Industrial Revolution the streets and workshops were full of voices, and the farther south one went in Europe the boisterous they appeared to be-come.“

Diese Aussage Schafers muss als sehr wichtig betrachtet werden, ist doch hier zum ersten Mal die Rede von kulturellen Unterschieden in der Ge-räuscherzeugung bzw. der Wahrnehmung. Schafer führt den Ursprung dieser Lautstärkedifferenz auf die Berber zurück, welche ihre Schreifähig-keiten verbessern mussten, um über die reißenden Gewässer des Nils zu kommunizieren und wahrgenommen zu werden. Während der südliche Teil der Welt diese Distanzen mit Schreien und lauter Kommunikation überbrücken musste, wurde in den westlichen Städten auf den Straßen ge-sungen und Waren angepriesen, welche wohl verantwortlich dafür waren, die Stimmen der aus dem Süden Stammenden signifikant lauter erschei-nen zu lassen. Schlussfolgernd erkennt Schafer (1994, 67) das Ende einer Ära:

„Early noise abatement legislation was selective and qualitative, contrasting with that of the modern era, which has begun to fix quantitative limits in decibels for all sounds. While most of the legislation of the past was directed against the human voice [...], no piece of European legislation was ever direc-ted against the far larger sound - if objectively measured - of the church bell, nor against the equally loud machine which filled the church‘s inner vaults with music, sustaining the institution imperiously as the hub of community life - until its eventual displacement by the industrialized factory. „

Eine Ära der Stille, welche eigentlich signifikante Lautheit und Lärm enthielt, stand vor dem Ende. Können die Zeiten vor der Industrialisie-rung als die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm bezeichnet werden? Auch wenn die pre-industrialisierte Soundscape bereits von Lärm und ho-hem Geräuschpegel durchdrungen war, so erfährt sie an dieser Stelle eine industrielle Soundrevolution.

1.3.2 Die industrielle Soundrevolution

„Im Ursprung ist ein Sprung, der Sound macht. Sein und Sinn, Noise und System gehören zusammen und driften auseinander. Ohne Noise kein System.“ (Hörisch 2004, 25)

Hörisch stellt hier einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ge-räusch und System fest. Ein Zusammenhang, der bereits aus der vorherge-henden Betrachtung sehr klar wird, beispielsweise die Verbindung durch den Sound der Glocken mit der Zeit, welche für die Menschen einer Stadt maßgeblich deren Tagesablauf bestimmte. Das Zeitalter der Industriali-sierung veränderte die Geräuschkulissen natürlich enorm, alte Hörein-drücke wurden durch neue ersetzt und gerieten dadurch in Vergessenheit.

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Was hörte das Publikum, was hörten die Menschen im Zeitalter der indus-triellen Revolution?

Die industrielle Revolution brachte immense Veränderungen mit sich, welche offensichtlich nicht nur positive Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Leben der angehörigen Menschen hatte. Alfred North White-head (o. A. zit. n. Schafer 1994, 72) formuliert die Errungenschaft des 19. Jahrhunderts wie folgt: „The greatest invention of the nineteenth century was the invention of the method of invention.“ Die Liste der Erfindungen, welche die gewohnten Soundscapes, denen die Menschen ausgesetzt wa-ren, veränderten, ist lang und die sozialen Begleiterscheinungen, die eben-diese Veränderungen mit sich brachten, gravierend. Ländliche Arbeitende wurden enteignet und in die Stadt gesandt, um dort nach Arbeit in den Fabriken zu suchen, dort wurde der Arbeitstag auf 16 Stunden erhöht und Arbeitende in nahe gelegenen Arbeitsunterkünften untergebracht. So wurden die Arbeiter aus ihrem gewohnten Geräuschumfeld, aus ihrer fa-miliären Soundscape gerissen und in eine neue geworfen. So wie die Arbei-tenden, die in die Städte gedrängt wurden, so erfuhren auch die ländlichen Bewohner auditive Veränderungen am eigenen Leib, denn die ersten Ei-senbahnschienen wurden bereits in außerstädtische Gebiete verlegt. (vgl. Schafer 1994, 71ff)

„Sound and auditory experience forms a primary sensual matter in continual contact with the body. The sonority of daily life is a deeply impressionable sen-sing, impinging on thought and feeling in ways that give accent to the shifting self. The physicality of sound, as a movement of air pressure, of vibration, of interpenetrating exchanges from all around, forms an enveloping and effective influence.“ (Labelle 2010, 133)

Der Autor Brandon Labelle erläutert hier die Wichtigkeit auditiver Ein-drücke für die Menschen. Er beschreibt damit sehr verständlich die Lage der Bevölkerung, die damals plötzlich einer vollkommen neuen und unbe-kannten Geräuschkulisse ausgesetzt wurden. Seine Erwähnung der Vibra-tion und der physischen Kraft von Schall verdeutlicht hier die ungeheure auditive Stärke, welche von den Menschen damals zum ersten Mal rezi-piert wurde, wenn etwa ein Zug durch ein kleines ländliches Dorf raste.

Hier erkennt auch Schafer (vgl. 1994, 74ff), dass Sound auf jeden Fall mit Kraft gleichzusetzen ist. Er beschreibt die Stille, das Weichen der Kraft aus den Fabriken, wenn die Maschinen einmal abgeschaltet wurden, um Besucher zu beeindrucken. Diese Stille stellte eine echte Seltenheit dar, ob-wohl es dabei kurios erscheint, dass es zu der permanenten Lärmbelastung der Arbeitenden keine wirklichen Beschwerdedokumente gab. Émile Zola (1885, 515) beschreibt in seinem Roman ‚Germinal‘, welcher von den fern von humanen Umständen in französischen Bergwerken handelt, den ohrenbetäubenden Lärm folgendermaßen:

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„The jets came out with the violence of volleys; the five boilers were emptied with the sound of a tempest, whistling in such a roar of thunder that one‘s ears seemed to bleed ...“.

Generell wurden im Zeitalter der Industriellen Revolution die Arbeitsbe-dingungen sehr wohl kritisiert, dabei aber grundsätzlich die unmenschli-chen Arbeitszeiten, die daraus resultierende Müdigkeit und Unfallgefahr am Arbeitsplatz und nicht zuletzt der Alkoholkonsum von arbeitenden Kindern angegriffen. Dennoch wurden den lärmenden Umständen in der Industrie erst sehr viel später zum ersten Mal Beachtung geschenkt.

Holger Schulze (2009, 278) erkennt: „Kulturräume, die sich kaum sorten-rein, getrennt nach Kulturen unterscheiden lassen, sondern in denen sich viel-fältige kulturelle Handlungsgewohnheiten und Lebensweisen ineinander ver-flechten, mischen und übereinander lagern, diese Kulturräume bewegen sich zwischen Kulturen.“

Vor dem Zeitalter der Maschinen existierten diese eben von Schulze er-läuterten kulturellen Zwischenräume, zumindest auf auditiver Basis noch nicht. Die industrielle Revolution brach allerdings die Abgrenzung zwi-schen den ländlichen und städtischen Gebieten auf. Dies geschah vor allem durch die Erfindung der Eisenbahn und der vorher schon angesproche-nen Verlegung der Gleise in ländliche Gebiete, wobei die dort ansässigen Menschen zum ersten Mal einer neuartigen Soundscape ausgesetzt waren. Charles Dickens (1997, 219) beschrieb neue auditive Eindrücke sehr tref-fend in seinem Roman ‚Dombey and Son‘:

„Night and day the conquering engines rumbled at their distant work, or, advancing smoothly to their journey‘s end, and gliding like tame dragons into the allotted corners grooved out to the inch for their reception, stood bubbling and trembling there, making the walls quake, as if they were dilating with the secret knowledge of great powers yet unsuspected in them, and strong purposes not yet achieved.“

Von all den Sounds, welche das Zeitalter der industriellen Revolution her-vorbrachte, stellen jene der Eisenbahn wohl die faszinierendsten dar: Das Pfeifen, die Glockenschläge, das langsame Beschleunigungsgeräusch bei der Abfahrt, die Explosionen von Wasserdampf und Rauch und natür-lich der unglaubliche Moment der Vibration, wenn ein anderer Zug auf den nächstgelegenen Gleisen vorbeiraste. Das Pfeifen der Eisenbahn wird beispielsweise mit dem Posthorn verglichen, das in früheren Zeiten signa-lisierte: ‚Die Post ist da!‘. So konnte auch die Anfahrt eines Zuges kaum übersehen, geschweige denn überhört werden. Ein spannendes Faktum stellt des Weiteren dar, dass die europäischen Pfeifsignale schrill und sehr hoch in der Frequenz waren, im Gegensatz zu den amerikanischen, welche eher, tieffrequent und stark, den mächtigen Auftritt der Lok widerspiegeln

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sollten. Kanadische Züge hingegen klangen, als ob sie bereits eine lange Reise hinter sich hätten, aber gleichzeitig noch weite Wege zurücklegen konnten. Menschen, die nun den neuartigen Soundscapes der Eisenbah-nen ausgesetzt waren, begannen diese zu respektieren und zu schätzen. Für diejenigen Bewohner eines abgeschotteten Dorfs an der Landesgrenze war das markante Pfeifsignal der Lok das wohl wichtigste geworden, vergleich-bar dem früheren Schlag der Kirchenglocke. Dieses Signal vermittelte die Zugehörigkeit zu der weit entfernten Stadt. Erwachsene fanden sich ein, um zu sehen, wer gerade ankam, und die Kinderherzen schlugen höher, wenn der eiserne Koloss mit lautem Getöse zum Stehen kam. (vgl. Schafer 1997, 80ff)

Bruhn (2011, 21) sieht, im Gegensatz zu Schafer, keine positiven Eindrü-cke in industriellem Lärm: „Flug-, Straßen und Schienenlärm sind die be-deutendsten Lärmquellen in der Umwelt [...], deren sozioökonomische Folgen nicht zu unterschätzen sind.“ Da auf den Straßen- und auch den Flugver-kehr im nächsten Hauptkapitel noch explizit eingegangen wird, soll nun der Flugverkehr kurz von seinen Anfängen her betrachtet werden.

Schafer (vgl. 1994, 85) ist der Entwicklung des Flugverkehrs und dessen auditive Auswirkungen gegenüber unserer Gesellschaft eher kritisch einge-stellt. Er erkennt, dass einst die einzigen Menschen, welche von der Lärm-belastung der Flugzeuge erfuhren, direkt neben den Flughäfen wohnten. In diesen Zeiten erzeugten Flugzeuge noch erstaunte Blicke himmelwärts und die Schaulustigen waren eher fasziniert von der schieren Technologie des Fliegens, als dass sie von der Lärmproduktion gestört worden wären. Der Traum vom Fliegen existierte für die Menschen schon seit geraumer Zeit, doch dieser Traum beinhaltete nicht die damit einhergehende Ge-räuschbelastung: „The whirring and scraping against the air is nothing but the wounds of a crippled imagination made audible.“ (Schafer 1994, 85) Für Schafer zerstört die Flugindustrie definitiv die Worte ‚Ruhig und Still‘ in jeder noch so unterschiedlichen Kultur, wurden wir doch alle bereits Zeu-gen von den weitreichenden und lauten Sounds der Flugzeuge. Die spätere Erfindung der Düsenjäger verschlimmerte den Zustand der permanenten Beschallung aus der Luft noch zusätzlich, kamen auch hier die bereits vor-hin angesprochenen Vibrationen wieder zum Tragen. In einigen Gebieten barsten Scheiben und Wände erlitten Sprünge aufgrund der Kraft, welche aus den Überflügen der Düsenjäger entstand. Die berühmte Akropolis in Athen weist folgendes Schild auf: „This is a sacred place. It is forbidden to sing or make loud noises of any kind.“ (Schafer 1994, 86) Die Besucher respektieren diese Bitte und besichtigen mehr oder weniger schweigend die Schönheiten der Ruinen, während über ihren Köpfen die Luft vom Überschallknall eines tieffliegenden Jets in Vibration gerät und nur ein dröhnendes Echo hinterlässt.

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Die Evolution des Hörens nahm bis zur industriellen Revolution sehr inte-ressante Wendungen. Vom anfänglich Zeit bestimmenden Glockenschlag, über die langsame, aber stetige Bewegung der Windmühle, zum heftigen, ohrenbetäubenden Hammerschlag der Schmiede, bis hin zum neuen Cor-porate Sound der damaligen Zeit, der Eisenbahn, dem weit entfernten doch stets wahrnehmbaren Geräusch der Flugzeuge und dem Donnerg-rollen der Düsenjäger. Die Soundscapes dieser Welt wurden immer über-ladener und unübersichtlicher. Und die nächste Revolution stand bereits bevor.

1.3.3 Die elektrische Revolution

„Die Elektrifizierung wird zum Epochenzeichen der Jahre vor 1900. Kaum ein zeitgenössischer Beobachter und Kommentator läßt [sic!] die Möglichkeit ungenutzt, mit den semantischen Möglichkeiten von Worten wie Erleuchtung, Illumination, Aufklärung oder siècle des lumières zu spielen. Und natürlich gehört keine große spekulative Begabung dazu, es zu erkennen, daß [sic!] ohne Elektroströme auch keine größeren Kommunikationsströme fließen.“ (Hörisch 2004, 279)

Die elektrische Revolution erweiterte einige der bereits in der industriellen Revolution aufkommenden Entwicklungen und fügte weitere Erfindun-gen hinzu. Die zwei wichtigsten Erneuerungen, aus auditivem Blickwinkel betrachtet, beziehen sich auf die Erfindung der Speicherungsmöglichkei-ten von Audio-Material und die Abspaltung der Sounds von ihrem origi-nalen Kontext, also deren Aufzeichnung, von Schafer als ‚Schizophonia‘ bezeichnet. Den eminenten Effekt, den diese Erfindung auf die Audioin-dustrie hatte, ist bereits von diversen Autoren ausgiebig diskutiert worden, beispielsweise in Literatur zum Thema ‚Recording‘ und der allgemeinen Aufzeichnung von Schall auf Medien. Das Augenmerk soll nun eher auf die aufgrund der technischen Fortschritte immer undurchsichtigeren und verwirrenden Soundscapes gelegt werden.

Die maßgebenden Erfindungen für die elektrische Revolution wurden be-reits 1850 gemacht: die elektrische Zelle, die Speicherzelle, der Dynamo und das elektrische Bogenlicht. Diese bildeten die Grundlage für weite-re Entwicklungen, welche das darauf folgende Zeitalter prägten: Telefon, Tele- und Phonograph, sowie noch später das Bewegtbild und viele weiter wichtige Meilensteine. (vgl. Schafer 1994, 88)

„Neben der Phonographie sind Telegraphie und Telephonie in historischer Per-spektive die ersten großen Tertiärmedien. Heute stehen sie im Schatten der massenmedialen Tertiärmedien Radio und Fernsehen, die das Primärmedium Mensch prägen [...].“ (Hörisch 2004, 79)

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Der Terminus ‚Tertiärmedium‘ wird von Hörisch (vgl. 2004, 77f ) folgen-dermaßen definiert: Medien, welche sowohl auf der Sender- als auch auf der Empfängerseite eine Mobilität der Technik erfordern, also einen tech-nischen Einsatz bei der Produktion und Rezeption.

Schafer (vgl. 1994, 88ff) bestätigt Hörischs Definition der wichtigsten Ter-tiärmedien und nennt ebenso Telefon und Radio als maßgebend. Das Te-lefon, eine Erfindung, welche damals neue Maßstäbe setzte und bis heute immer wieder neue, multimediale Funktionen und Erweiterungen erhält, erweiterte das Hören der Menschen auf weite Distanzen. Durch das Radio beispielsweise war Sound plötzlich nicht mehr an einen Ort gebunden und der Phonograph ermöglichte das Abspielen von längst vergangenem auditivem Material. Schafers Beschreibung des Telefons als ‚Denk-Unter-brecher‘ beschreibt die Kehrseite der weitreichenden Kommunikation und auditiven Unabhängigkeit von Raum und Ort. Er erwähnt Schoppenhau-ers Werk ‚The World as Will and Idea‘ und seine Äußerung des Wunsches im Vorwort, dass sein komplettes Buch als einziger Gedanke gesehen wer-den soll. Die Erfindung des Telefons jedoch macht laut Schäfer diese Vor-stellung irrelevant, da das Klingeln des Telefons jeden Denkvorgang sofort unterbricht und sämtliche Aufmerksamkeit automatisch auf sich lenkt.

„This audible ringing literally becomes a ficture in domestic life, accentuated further with the introduction of the telephone, whose bell ringing punctuates home life with a commanding signal. The phone calls out to be answered - is someone going to get that?!“ (Labelle 2010, 78)

Brandon Labelle und Schafer charakterisieren hier das Telefon als einerseits unverzichtbaren Inhalt der sowohl vergangenen als auch aktuellen Gesell-schaft, andererseits als signifikanten Veränderer unserer Soundscapes. Seit der Erfindung des Telefons wurde das Klingeln zu einem fixen Bestandteil der auditiven Umgebung.

Eine ähnliche Wichtigkeit wurde auch dem Radio zugeschrieben. Es wird von Jochen Hörisch (vgl. 2004, 331ff) auch gerne als ‚Wunder des Rund-funks‘ bezeichnet. Er beschreibt die Wandlung von schlichtem Funk, von der Kommunikation zweier Individuen, zum Rundfunk, einem Instru-ment der Massenpropaganda. Neben dem Einsatz des Radios zu Propa-gandazwecken, dessen nähere Bearbeitung den Rahmen dieser Arbeit defi-nitiv sprengen würde, soll eher das Augenmerk auf die Effekte des Radios auf die Hörgewohnheiten des Menschen gelegt werden. Rudolf Arnheim (1979, 11) definiert in seinem Buch ‚Rundfunk als Hörkunst‘ die Vielfalt des Mediums Radio folgendermaßen: „Die Allgegenwärtigkeit dessen, was Menschen irgendwo singen und sagen, das Überfliegen der Grenzen, die Über-windung räumlicher Isoliertheit, Kulturimport auf den Flügeln der Welle, glei-che Kost für alle, Lärm in der Stille.“

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Für Schafer (vgl. 1994, 93ff) stellte der Rundfunk den Vogelgesang des modernen Lebens dar, da das Gerät so gut wie immer eingeschaltet war. So blieb es bis auf wenige Ausnahmen unbeachtet und wurde wie das Vo-gelzwitschern zu einem Teil unserer Soundlandschaft. Im Gegensatz zu frü-heren Zeiten, wo Menschen das Programm studierten und ausgewählten Sendungen ihre volle Beachtung schenkten, läuft jedoch heute das Radio aufgrund der angewachsenen medialen Konkurrenz eher im Hintergrund.

Beim Ende der Geschichte des Hörens angelangt und nach dieser Auf-arbeitung des Aufkommens der verschiedensten Soundscapes für die menschliche auditive Wahrnehmung muss als nächstes die heutige Situ-ation der Klanglandschaften betrachtet werden. Was wird jeden Tag in unseren unterschiedlichen Alltagssituationen gehört? Ist es der metallische Glockenklang, die schrille Sirene um zwölf Uhr zur Mittagszeit oder die tieffrequenten Flugzeuggeräusche, welche die täglich erlebten Höreindrü-cke prägen und so vielseitig machen?

1.4 The Hear and Now

Die Betrachtung einer Großstadt zeigt ein Bild regen Treibens. Der Ver-kehr bahnt sich seinen Weg langsam, aber sicher von einer Kreuzung zur anderen, hupend und ungeduldig warten die Fahrzeuge auf das grüne Si-gnallicht. Gleichzeitig ertönt das tickende Geräusch der Ampel für die blinden Fußgänger und selbst die Menschen, welche ihre Aufmerksamkeit nur auf ihr gerade klingelndes Mobiltelefon gelegt haben, bekommen die Aufforderung zum Überqueren der Straßen übermittelt und machen sich auf den Weg. Quietschende Reifen und ein wutentbrannter, schreiender Radfahrer signalisieren dem letzten Passanten, der noch über die Kreu-zung läuft, dass die Grünphase längst vorbei ist, und der davon amüsierte Straßenmusiker legt eine kurze musikalische Pause ein, um sich an dem Anblick zu belustigen. Von der nahe gelegenen Baustelle sind die Pressluft-hämmer und Maschinengeräusche zu hören, welche vom Büro im obersten Stock eines Hochhauses nur noch sehr dumpf und leise wahrgenommen werden können. Hier dominieren die Tastaturanschläge und Klickgeräu-sche, klingelnde Telefone und dazugehöriges Stimmengewirr. Hoch über den Dächern des angesprochenen Büros befindet sich ein Flugzeug, wel-ches dieses Treiben nicht registrieren kann. Die Passagiere können keine Verkehrsgeräusche wahrnehmen, kein Hupen, keine Wutausbrüche von Passanten und auch keine Klingelgeräusche der Mobiltelefone. Dieses Pu-blikum ist umgeben vom stetigen Rauschen der Turbinen, vom starken Wind, der außerhalb der Maschine weht, und wird erst nach der Landung wieder in die Soundscape der Großstadt eintauchen.

Aus der Geschichte des Hörens geht bereits hervor, dass sich der Sound dieser Welt stetig wandelt und verändert. Wir leben heute in einer Zeit, die von Soundscapes dominiert wird, laut Schafer (vgl. 1994, 3f ) kaum

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in positivem Sinne. Für ihn stellt das immer dichter Werden der alltägli-chen Soundscapes ein echtes Problem dar und er hält einen Hörverlust der Menschheit der Zukunft für sehr wahrscheinlich.

Schafers Aussage resultiert in einer sehr pessimistischen Vorhersage für zu-künftige Soundscapes der Menschen, Hartmann (2004, 23) beginnt mit folgendem Ausspruch einen Satz, der im folgenden Abschnitt weiterge-sponnen werden soll: „Vor etwa 12 Milliarden Jahren fing ‚alles‘ mit einem ungeheuren Getöse an, das sich erst Jahrmillionen zu dem formte [...]“, was heute als die menschliche Klanglandschaft bezeichnet wird. Nachfolgen-de Recherchen werden ergeben, worauf die Menschheit heutzutage noch hört, und ihre täglich wahrgenommenen Geräuschcollagen analysieren.

Brandon Labelle (2010, Vorwort) schildert zu Beginn seines Buchs einen Dialog zwischen Vater und Sohn, welchen er zufällig während einer Bus-fahrt mithören konnte:

„The boy looks to his father and asks ‚Where do sounds come from?‘ My ears prick up, as I glance to the father, anticipating his response. He smiles at the boy, chuckles to himself, and then says, ‚From a very special place.‘ I smile back at the father and think to myself, ‚That seems about right...‘ Of course I also want to chime in with a few extra points, as did the father from what I could tell, as he seemed to spend the next few minutes pondering the boy‘s question. In that pause of silence, the boy suddenly furthers his line of questioning, jum-ping up with the words, ‚But where do they go?‘ The father smiles even wider now, and brushes the boy‘s hair with his palm. ‚They go to an even more special place than from where they came.‘ The boy looks a little confused, and as if to clarify, the father silently points to his chest, then raises his finger into the air, and brings it back down again onto the boy‘s chest, smiling.“

Labelle‘s Beispiel bildet eine Metapher dafür, dass Sound dem Herzen ent-springt und auch wieder dahin zurückgeht. Selbst wenn bei nüchterner Betrachtung davon ausgegangen werden muss, dass viele Sounds nicht aus dem Herzen entstehen, sondern menschlichen Ursprungs sind, bzw. von Menschenhand erschaffen wurden, so bedeutet es trotzdem, dass jedem Menschen eine individuelle Wahrnehmung der Geräusche gegeben ist. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird mitunter ein Fokus darauf gelegt, was heute gehört wird, respektive was heute Beachtung findet. Diese Bear-beitungen resultieren in einem wichtigen Aspekt für die Forschungsfrage: ‚Was hört das Publikum?‘.

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Everyday Soundscapes

Auch für David Sonnenschein (2001, 63) ist folgende Frage von großer Bedeutung: Woher kommt Sound und wie beeinflusst er unsere Wahrneh-mung?

„Energy. Vibration. Our universe defines itself with the interaction of masses and forces, both visible and invisible, physical and emotional. The point of ori-gin may be two galaxies colliding, a drop of rain in a bucket, or a child‘s wail of hunger. They all produce vibration, some reaching our auditory sensitivities, and some able to attract our attention more than others.“

Sonnenschein beschreibt hier die Vielschichtigkeit von Sound im Zusam-menspiel mit physischen und psychischen Kräften. Selbst wenn deren Ent-stehungsort oft nicht genau bestimmt werden kann, so erfolgt bei hören-den Individuen dennoch eine auditive Rezeption dieser Klangeindrücke im alltäglichen Umfeld.

Brandon Labelle (vgl. 2010, 39ff) widmet sein komplettes Werk den soge-nannten ‚Acoustic Territories‘ und den ‚Sound Cultures of Everyday Life‘. Als wichtigstes der dem Untergrund entstammenden Geräusche nennt er das Echo. Dieses stellt für Labelle eine äußerst wichtige Komponente dar, welches ebenso häufig unterirdisch, wie über der Erdoberfläche auftritt. Er beschreibt das Echo als charakteristischen Sound für eine Dezentrali-sierung von auditivem Material. Es kann aus einem einfachen Wort, ei-nem einfachen Satz ein treibendes Duplikat erstellen, erzeugt eine gewisse Eigendynamik und legt den Fokus des Geräuschs auf den des Umfelds, welches folglich in den Mittelpunkt gerückt wird. Ein Verlust der Klarheit des auditiven Materials ist die Folge und so wird das dem Untergrund entspringende Echo von Labelle (2010, 40) als rebellisch und revoltierend charakterisiert: „The echo performs as an acoustic bomb, exploding the vector of time, of relations, and of origins for other perspectives.“ Labelle (vgl. 2010, 39ff) bezieht sich auf ein sehr interessantes Beispiel aus dem zweiten Welt-krieg, welches die Nutzung akustischer Gegebenheiten in Verbindung mit dem auditiven Umfeld beschreibt. Er blickt hierbei zurück auf Kämpfe im Polen des Zweiten Weltkriegs, wo sich viele der polnischen Widerstands-kämpfer in den Tunneln unter der Stadt anstatt über der Erde vor den deutschen Soldaten versteckten. Dies mag natürlich auf die Vorteile der Dunkelheit und Unsichtbarkeit, welche einem Versteck im Untergrund innewohnen, zurückzuführen sein, doch hatten die Soldaten einen weitaus markanteren Grund. Sie nutzten die auditiven Gegebenheiten des Tunnels zu ihren Gunsten, konnten die Deutschen über der Erde bereits im Un-tergrund wahrnehmen und somit schnelle Konterangriffe einleiten. Seine vorhergehende Erläuterung des Echos als akustische Bombe wurde durch das Beispiel der Soldaten in die Realität umgesetzt.

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Das ‚rebellische‘ Echo verriet die Position der Gegner und der hörende Soldat war sichtlich im Vorteil.

Es ist sehr interessant, welche Komplexität Labelle dem Echo zuordnet, vor allem wenn diese Meinung jener Uli Eisners (2002,167) in ‚The Mi-xing Workshop‘, gegenübergestellt wird: „Obwohl [...] das Echo eine der simpelsten Effekte überhaupt ist, ist es extrem vielseitig einsetzbar.“

‚Heim kommen‘, ‚Heimweh verspüren‘, ‚Home sweet home‘, ‚sich hei-misch fühen‘, ... All diese Redewendungen beziehen auf das Zuhause als Zufluchtsort. Nach der Erschließung des Untergrunds und dessen rebel-lischen Echos kann das Heim als ruhiger Kontrapunkt zu diesen dunklen und verlassenen Soundscapes gesehen werden.

„The experience of coming home, gives us comfort and reprieve from the de-mands of the exterior world. To pull off the shoes, make a tea, and sit back on the sofa defines the home as a soft space for quiet moments and relaxing com-fort. It is where we sleep, falling into the softness of bed and the tiny sounds of the night outside. [...] To be be home is to belong.“ (Labelle 2010, 48)

Auch Schafer (vgl. 1994 253f ) bezieht den Drang des Menschen nach Er-holung und Ruhe in seine Betrachtungen ein. So wie der Mensch schlafen muss, um seinen Körper auszuruhen und neue Kraft für den nächsten Tag zu sammeln, so wird auch eine gewisse auditive Ruhephase von Schafer als äußerst wichtig definiert. In großen Städten und Industriegebieten gibt es immer wieder Zufluchtsorte wie Kirchen oder Bibliotheken, in denen die ruhige Atmosphäre einen äußerst hohen Stellenwert genießt.

Labelle (vgl. 2010, 49ff) führt Schafers Ansatz weiter. Das Zuhause ist einer der wichtigsten Komponenten für das Wohlbefinden des Menschen. Davon abgesehen, dass das Heim den Ort der Bewohnenden darstellt, an den er/sie jederzeit wieder zurückkehrt und in dem er oder sie die Privat-sphäre und die gewisse Abgeschottenheit gegenüber der Außenwelt sieht, beinhaltet es auch bestimmte auditive Eigenschaften, welche das Zuhause einzigartig erscheinen lassen. Sein Beispiel des ‚lärmenden Nachbars‘ und dessen Verhalten, welches sich gegen die Haus- und Nachbarschaftsord-nungen der Gemeinden und Siedlungen in London stellt, zeigt bereits die Bedeutung dieses Themas und welche Wichtigkeit der Zufluchtsort ‚Heim‘ für die Gesellschaft darstellt.

Wenngleich der Mensch sich im Verlauf der Zeit an die Geräuschkullissen der Außenwelt gewöhnt oder zumindest versucht hat diese Reizüberflu-tung zu ignorieren, so stößt im Bezug auf den persönlichen Wohnbereich jedes ungewöhnliche und fremde Geräusch auf eine immense Inakzeptanz. Im Gegensatz zum Echo, welches als Effekt des Untergrunds im positiven Sinne genannt wurde, erzielt die fremdartige oder ungewohnte Sounds-cape, hier als Noise bezeichnet, im eigenen Heim eine eindeutige negative

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Wirkung. Noise, ist der Feind der Wohnenden und Ruhesuchenden. Der Philosoph Michel Serres (2007, 41) definiert mit folgendem Zitat den Effekt von Noise auf die Hörenden:

„All of a sudden, without warning, the noise, a noise coming from the sky, a sound like that of the wind when it blows hard. It is produced locally, in a single direction and soon it fills the space, the whole space. In an unforseeable fashion, it passes from the local to the global. It was a noise, a sound. It was an event in a corner of the system; it penetrates, invades, and occupies the whole house.“

Hier wird deutlich, dass die alltäglichen Soundscapes sehr wohl die Le-bensumstände der Menschen bestimmen und beeinflussen. In der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus steht eine Wahrnehmung der gewohn-ten und bekannten Klanglandschaften im Vordergrund, jeder fremde Ge-räuscheinfluss wird als störend betrachtet. Dies kann auch durch die per-sönliche Erfahrung bestätigt werden. Ein tropfender Wasserhahn und das stete Geräusch, welches die ruhige Atmosphäre im eigenen Heim stört, wird nicht toleriert. Brown (vgl. 2010, 73) erklärt beispielsweise, dass bei einer gewissen Unsicherheit, was eben rezipiert wurde, noch genauer hin-gehört wird. „The harder one has to listen and the less certain one is that one has heard correctly, the more intense things become“ (Brown 2010, 73). Browns Aussage könnte ein Indiz dafür sein, dass selbst leise Signale im gewohnt ‚ruhigen‘ heimischen Umfeld in erhöhter negativer Aufmerksam-keit der hörenden Individuen resultiert. Wird allerdings ein Spaziergang durch die Stadt betrachtet, so zeigt sich, dass dortigen, wesentlich stärke-ren auditiven Einflüssen kaum Beachtung geschenkt wird.

„Leaving the home and coming outside, the dynamic of sound and auditory experience open up toward a realm of greater public interaction conditioned by rhythms and the mobility of being on the go.“ (Labelle 2010, 87)

Labelle (vgl. 2010, 94) beschreibt den Gehsteig oder auch die Fußgänger-zone, als Ort der vielfältigen Perspektiven. Es werden Baustellengeräusche aus der Ferne, vorbeiziehende menschliche Gelächter und Fahrräder, un-mittelbar klingende Fußschritte und der flüsternde Wind in den Blättern der angrenzenden Bäume wahrgenommen. Der Ort der FußgängerInnen kann somit als multiakustisch bezeichnet werden.

Schafer (1994, 164) beschreibt die Signifikanz der von den Passantenfuß-schritten begleiteten Geräusche folgendermaßen:

„It is not the heartbeat that the pulse of society is to be measured, but in the choreography of footsteps. [...] To know the momentum of a society, measure the footsteps of its citizens. Are they purposeful? reckless? metallic? shuffling or clodhoppery? Sometimes footsteps may form a protest against the prevailing tempi of a society.“

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Schafer erläutert die Fußschritte der Menschen als maßgebend für die Charakteristik einer sozialen Gesellschaft. Sind diese schnell und hektisch, langsam und gemächlich oder einfach, weisen sie grundsätzlich neutralen oder unscheinbaren Charakter auf? Der Sound dieser Footsteps, die Härte der Schritte oder die Geschwindigkeit der Abfolge lässt gleichzeitig auf ein Verhalten der Mitglieder dieser Gesellschaft schließen, so auch Sonnen-schein (2001, 180): „Footsteps can lend an identity to the walker [...].“

Ähnlich dem einführenden Beispiel der städtischen Soundscape am An-fang dieses Kapitels ‚The Hear and Now‘, offenbart Brandon Labelle (vgl. 2010, 94ff) seine Eindrücke vom regen Treiben der Fußgängerzonen und Gehsteige. Grundsätzlich sieht er diese als Zone der Vielfältigkeit. Er be-schreibt seinen Weg durch die Stadt auf dem Weg zur Arbeit und wie er dabei auf eine unendliche Vielzahl von auditiven Eindrücken und Impul-sen trifft, Sounds, die seine unmittelbare Aufmerksamkeit erfahren und gleich danach wieder verlieren oder von anderen abgelöst werden. Einen sehr interessanten Aspekt sieht Labelle (2010, 94) dabei in der Funktion der verschiedenen Signale, welche den chaotischen FußgängerInnen Ver-kehr regeln und ordnen sollen:

„This medley of acoustical movement finds further expression with electronic signalling, in particular crosswalk signals, which define a set of patterned mo-vements, and thereby give orchestration to sidewalk acoustics.“

Einerseits übernehmen so die Ampeln und Signaltöne die Aufgabe einer Orchestrierung der Fußschritte und diversen anderen Geräuschanteilen, regeln diese und tragen mit ihren Signalen noch einen weiteren wichti-gen Aspekt zur Erschaffung der ‚Sidewalk-Soundscape‘ bei. Andererseits agieren die Verkehrsregler auch durchaus als dirigierendes Mittel. Sie kön-nen den Fluss der Klanglandschaft beschleunigen, verlangsamen, gänzlich stoppen und danach wieder weiterlaufen lassen. Wird die Konzentration der Betrachterin/des Betrachters in einer großen Stadt auf diese eben ange-sprochenen Details gelegt, so kann sicherlich die Soundscape der Fußgän-gerInnen auf eine sehr spezielle Art und Weise wahrgenommen werden.

Eine ähnliche, rhythmisierte Klanglandschaft, stellt der Straßenverkehr dar, welcher auch in direkter Symbiose mit der FußgängerInnen Sound-scape wahrgenommen werden kann. Obgleich Gehsteig und Fußgänger-zone von Schafer (vgl. 1994, 64ff) als Zentrum des urbanen Lebenstils gesehen werden, spielt sich seit dem Zeitalter der industriellen Revolution reges Treiben auf den Straßen der Städte dieser Welt ab.

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„Though ‚the street‘ is often conjured as the image of public life, it is more accurate to remember that the street is quite literally full of cars, buses, and other motorized vehicles. Rather than a location for public gathering, the street is more a functioning obstacle to such collective democratic concentration.“ (Labelle 2010, 129f )

Labelle (vgl. 2010, 130ff) erkennt in der Straße den Gegensatz zum Geh-weg und stellt dem rhythmischen Charakter der Fußschritte die mecha-nischen Rhythmen der Motoren und Autos gegenüber. Er beschreibt die Straße als Träger von akustischen Signalen, als Ort, wo musikalische Ein-drücke ineinander verschwimmen und ‚Noise‘ in einen kulturellen Impuls umgewandelt wird. „The street is in effect noise‘s greatest partner.“ (Labelle 2010, 131)

Schafer (vgl. 1994, 82f ) definiert den Charakter der Straßensounds sehr ähnlich. Er sieht den Sound des Verbrennungsmotors, das mechanische, starke und laute Geräusch des Autos als einen fundamentalen auditiven Impuls unserer heutigen Gesellschaft: „It is the keynote, as surely as water was the keynote of the thalassocratic civilization, and wind is the keynote of the steppes.“ (Schafer 1994, 82)

Ähnlich wie dem Heim-Begriff werden auch dem Terminus Straße ver-schiedene Redewendungen zugeordnet: „Being on the street, hitting the road, or taking the highway [...]“ (Labelle 2010, 130). Dies verdeutlicht die emotionale Bindung, welche der Mensch im Laufe der Zeit zur Straße und somit auch gleichzeitig zu der dazugehörigen Soundscape entwickelte. Die Straße wird oft als Metapher verwendet, beschreibt das Beschreiten eines Weges entweder nach Hause oder weit weg vom aktuellen Ort (vgl. Labelle 2010,130)

Wie charakterisiert sich nun der Sound der Straße? Sound Designer Rick Viers (2008, 212) erläutert das Grundgerüst der Soundscape: „When you think of city ambiences, a few specific sounds usually come to mind: Car horns, traffic and sirens.“ Der Verkehr ist dabei im Bezug auf die von ihm aus-gehende auditive Wirkung ein besonders interessantes Forschungsobjekt. Wie schon im vorigen Abschnitt am Beispiel der Eisenbahn erläutert, entstehen durch die stetige und schnelle Bewegung der Fahrzeuge starke Vibrationen, welche nicht nur über das Gehör, sondern über den gesam-ten Körper aufgenommen werden: ein weiteres Beispiel für die ungeheure Kraft, die von auditivem Material ausgehen kann.

Ein weiterer Aspekt der Wahrnehmung von Sound als Vibration hängt stark mit dem stimmlichen Ausdruck des Menschen zusammen. Erfolgt eine starke Konzentration während des Sprechens, so können die Vibrati-onen, der Zungenschlag, die Bewegungen der Lippen im Kontrapunkt mit den Atemgeräuschen gespürt werden. Nicht nur der daraus resultierende

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Sound, sondern auch die Vibrationen werden hierbei gefühlt. Wenn lauter gesprochen wird, resoniert der Körper stärker mit. (vgl. Viers 2008, 212f )

Ähnliches ereignet sich bei Autos und deren Motorengeräuschen. Wird stark Gas gegeben, so kann der nebenstehende Mensch unmittelbare Vi-brationen wahrnehmen. Diese von Fahrzeugen erzeugten Schwingungen werden nicht nur auditiv wahrgenommen, sie erhalten darüber hinaus noch eine Emotionalität. Schnelle Sportautos und schwere Geländewagen strahlen durch ihre Sounds Stärke und Kraft aus, wobei diese Symbiose aus Klang und Vibration viele Menschen fasziniert. Die erzeugte überladene Klanglandschaft von dichtem Verkehr allerdings zählt für viele Individuen als Lärmbelästigung und auch die dadurch erzeugten Schwingungen wer-den als negativ empfunden. (vgl. Labelle 2010, 134ff)

Labelles Thesen lassen darauf schließen, dass Autos als einzelne Klang-quelle weitgehend positiv und beeindruckend empfunden werden, deren Auftreten in Masse hingegen und die damit einhergehende Überladenheit durchaus in negativen Gefühlen resultiert. Die Assoziation vieler Men-schen, dass dichter Verkehr mit Zeitverlust in Verbindung steht, könnte diesen Umstand der Soundwahrnehmung noch zusätzlich negativ inten-sivieren.

Einen weiteren wichtigen Faktor für die Komplexität der Klanglandschaft ‚Straße‘ stellt mit Sicherheit das zu jedem Auto dazugehörige Audiosystem dar, welches von vielen FahrerInnen benutzt wird, um ihre Mitmenschen an ihrem teilweise sehr fragwürdigen Musikgeschmack teilhaben zu lassen. Sloboda (2001, zit. n. Bruhn 2011, 535) stellt fest: „Musikhören beim Au-tofahren gehört zur häufigsten Verwendung von Musik in Alltagssituationen“ und kann somit nicht nur die Soundscape destruktiv beeinflussen, son-dern erhöht auch noch zusätzlich die Unfallgefahr. Labelle (2010, 142) sieht in der Korrespondenz zwischen Autofahren und der Musik weniger das Problem der erhöhten Gefährdung der VerkehrsteilnehmerInnen, er betrachtet dieses Phänomen aus einem auditiven Blickwinkel:

„The interlacing of beats and movements, energy and bodies, may further high-light why cars and music have such a special relationship. The automobile, with its musical partner, has become an intensely sonorous machine, realizing a radical potentiality in creating listening experiences with great momentum. The car becomes a generative space that affords the listening body a private re-lation to music, as an enclosed space, while also granting volume and vibration to the intensity of the drive.“

Die vorhergehenden Blickwinkel auf die beiden Soundscapes der Fußgän-gerInnen und der Straße lassen erkennen, dass es sich hierbei um äußerst vielschichtige Soundgebilde handelt. Hörende Individuen stoßen hierbei auf eine äußerst komplexe Soundscape, die in Symbiose mit den meist

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angrenzenden Gehwegen von rhythmischen Sounds geprägt und von der Verkehrsregelung dirigiert wird. In Verbindung mit dem Faktor der Vib-ration kann das auditiv-rezipierende Subjekt diese Komplexität nicht nur auf der auditiven, sondern auch auf einer physischen Ebene erfahren.

Der Autor David Toop (1995, 130) beschreibt seinen Kollegen Louis Sar-no, welcher eine sehr ungewöhnliche Methode zur Aufnahme von Live-Musik anwendete:

„Enthusiastically, he describes beautiful audio tapes Sarno made of Ba-Benjellé music, recorded by the unusual method of sitting hidden in the trees, far away from the central sound source, so that the music was absumed within a wider landscape of insect and bird voices, domestic sounds from the village, the sound of air and tape noise.“

Interessant hierbei ist nicht die Aufnahme der Musik oder die technische Umsetzung an sich, sondern eher die Beschreibung, wie die musikalischen Schwingungen mit der Soundscape der Natur verschmelzen und in ihr untergehen. Sobald wir uns aus den Städten wegbewegen, fort von der Straße und den Gehwegen, den Untergrund und das eigene Heim hinter uns lassen und an weniger bevölkerte Orte reisen, so können wir die eben beschriebene reine Klanglandschaft der Natur bzw. des Luftraums wahr-nehmen. „The air is impression without presence.“ (Labelle 2010, 205)

Schafer (vgl. 1994, 23f ) erinnert sich an ein Gespräch, welches im Rah-men seines Unterrichts mit den StudentInnen stattgefunden hat und zu-gleich das erste Element der komplexen Luft-Soundsape definiert. Er be-fragte die Studierenden, welche Sounds für sie ‚bewegenden‘ Charakter hätten. Einige nannten den Wind, andere die Bäume. Der hierbei sehr spannende Aspekt stellt die eigentliche Geräuschlosigkeit des Windes dar, wird dieser doch als essentielles Element dieser Klanglandschaft angese-hen. Im Grunde benötigt dieser immer physische Objekte, um vom Men-schen wahrgenommen werden zu können, beispielsweise einen Baum, dessen Blätter aufgrund des Impulses in Bewegung gebracht werden. Der charakteristische Sound der Luft-Klanglandschaft wäre ohne den Baum als Angriffsfläche für den Wind nur in unseren Ohren spürbar und auditiv nicht eindeutig wahrnehmbar.

Ein zweites Element der Klanglandschaft stellen laut Schafer (vgl. 1994, 38ff) die Tiere dar. „It is impossible to survey all the sounds produced by ani-mals.“ (Schafer 1994, 38), erklärt deutlich welche unüberschaubare Anzahl der tierischen Geräusche in der Soundscape des Luftraums wahrgenom-men werden kann. Allein die Vogelarten und deren individuelle Gesänge stellen eine solche Vielzahl dar, dass manche Menschen ihr Lebenswerk darauf auslegen diese aufzuzeichnen, zu analysieren und unterscheiden zu können.

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Im Gegensatz zu Schafer spricht Labelle (vgl. 2010, 205ff) kaum die in-dividuellen akustischen Gegebenheiten des Luftraums an. Er beschreibt zwar anfänglich seine Eindrücke von dieser Klanglandschaft als kleiner Junge, konzentriert sich jedoch danach auf ein anderes Thema. Mit seinem Ausspruch „The sky is both an image of absolute freedom and a vague territory able to deliver thunderous wrath of the supernatural.“ (Labelle 2010, 205), definiert er die Ambiguität dieser Soundscape. Als ‚friedlich‘ kann diese Klanglandschaft natürlich anhand des vorigen Beispiels von David Toop erkannt werden. Das Zirpen der Insekten, der stetig wehende Wind in den Bäumen und der Vogelgesang erfüllen die Klanglandschaft mit einem sehr harmlosen Charakter. Labelle stellt diesen Klängen zunächst das Gewitter gegenüber, welches den Luftraum mit den Sounds von prasselndem Regen und bedrohendem Donnergrollen erfülllt. Diese Naturgewalten erzeugen unglaubliche physische Energien, die auch auditiv besonders stark wahrge-nommen werden und eine angsteinflössende Wirkung auf den Menschen haben. Selbige könnte darauf zurückzuführen sein, dass auf diese Gewalten aus dem Luftraum keine oder kaum Maßnahmen gesetzt werden können und der Mensch ihnen schlichtweg hilflos ausgesetzt ist. Labelle (2010, 205) führt eines der grausamsten historischen Ereignisse an, welches zwar mit keiner Naturgewalt, jedoch unmittelbar mit auditiver Energie und Angst aus dem Luftraum in Zusammenhang steht:

„The military knew well the dynamics of the sky, designing their operations around the ‚Blitzkrieg‘, or ‚lightning war‘, which relied upon the precision striking of its Stuka dive-bomber. [...] The terror of such a machine was further animated by the addition of a screaming siren to its wings, which sent out a high-pitched frequency when diving through the air. [...] The whirling sound itself echoed the glissando of falling bombs - the descending pitch leading to the inevitable moment of silence, giving way to a reverberating pause of suspense as one anticipated the explosion.“

Mit diesem historischen Ereignis lässt sich der Kreis der Klanglandschaf-ten schließen. Auditive Gewalten aus dem Luftraum treiben die Leute in den Untergrund, wo sie Schutz suchen. Sie verlassen ihre gewohnte Klang-landschaft des Heims und die rhythmischen Bewegungen der Fußgänger auf den Gehwegen verstummen zunehmend. Die Straßen sind wie leerge-fegt, keine Motorengeräusche sind mehr wahrzunehmen. Hier sitzen wir nun im Untergrund und unsere Wahrnehmung erfährt nur ein Echo der Geschehnisse, welche sich über der Erde abspielen: ein Abbild der gehör-ten Realität.

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1.5 Ausblick - Eine auditive Prävalenz?

Medientheoretische Behauptungen erläutern, dass das Visuelle seit jeher gegenüber dem Auditiven bevorzugt wird, obwohl einige Kritiker bereits die Frage in den Raum werfen, wie lange dieser Umstand noch gelten wird. Im nachfolgenden Abschnitt soll recherchiert werden, ob Indizien und Faktoren für diesen diskutierten medialen Umschwung präsent sind und ob ein derartiges Umdenken möglich, respektive notwendig wäre. Der Autor Wolfgang Welsch (1996, 231) stellt fest:

„Ein Verdacht geht um: Unsere Kultur, die bislang primär vom Sehen be-stimmt war, sei im Begriff, zu einer Kultur des Hörens zu werden. Und dies sei wünschenswert und nötig. Nicht nur aus Gründen der Gleichbehandlung müsse nach der über zweitausendjährigen Dominanz des Sehens nun das Ge-hör emanzipiert und vielleicht sogar privilegiert werden. Sondern der hörende Mensch sei auch der bessere Mensch - er sei nämlich fähig, sich auf Anderes einzulassen und es zu achten, statt es bloß zu beherrschen.“

Welsch spricht hier von den ersten Anzeichen einer auditiven Wende, des Weiteren erwähnt er die langanhaltende Dominanz des Sehens. Um ein Verständnis für die zweitausendjährige visuelle Vorherrschaft zu schaffen, muss im folgenden Abschnitt diese Zeitspanne zusammengefasst und er-läutert werden (vgl. Assmann 2008, 70f ):

Die Schrift ist bis heute eines der wichtigsten Medien für die Mensch-heit als Übermittler von Botschaften und Informationen sowie als exter-ner Speicher der Gedanken und Ideen. Der Einsatzbereich der Schrift ist allgegenwärtig und „das Buch in seiner Form scheint ewig und stabil“ (Assmann 2008, 68). Das Buch hat allerdings seine Formate im Laufe der Geschichte entscheidend verändert, beginnend mit den Tontafeln, wo in noch weichem Zustand Symbole eingeritzt werden konnten, welche nachher in ihrer Form eintrockneten. Danach wurden Papyrusrollen und Pergament benutzt, zweiteres war allerdings sehr kostbar und in seiner Herstellung sehr aufwändig. Die Technik der Papierherstellung, welche aus China nach Europa überliefert wurde löste vorige Techniken ab und Papier wurde somit zur neuen materiellen Grundlage der Kommunikati-on. 1440 revolutionierte Gutenberg mit seiner Erfindung des Buchdrucks durch bewegliche Bleilettern die Welt, es war erstmals möglich Bücher zu reproduzieren und so eine breiteren Masse zugänglich zu machen. Der kanadische Medientheoretiker Marshall Mcluhan definierte dieses Ereig-nis als den Beginn der Gutenberg-Galaxis, was Mersch (2006, 121) zu folgender Anmerkung veranlasst: „Mcluhans Gutenberg-Galaxis erweist sich so als ein groß angelegter Versuch, die Kulturgeschichte Europas seit der frühen Neuzeit als Effekt eines einzigen Kommunikationsmediums herzuleiten [...].“

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Obwohl der Schrift die Rolle des prägenden und wegweisenden Mediums eines kompletten Zeitalters zugeschrieben wird, gab es vereinzelt immer wieder Kritiker, etwa den antiken griechischen Philosoph Platon: Er be-trachtet die Bedeutung der Schrift mit einer gewissen Skepsis. Platon lehnt sie jedoch nicht komplett ab, bezeichnet sie aber lediglich als „pharmakon, d.h. als Arznei, die, je nach Dosis, heilende oder giftige Wirkungen haben kann.“ (Mersch 2006, 30). Platon betrachtet im Gegensatz zur Schrift die Rede als performativen Vorgang, wo auf gewisse Aussagen geantwor-tet und eingegangen werden kann, bei der Schrift hingegen, das Gelesene oder Wahrgenommene einfach aufgenommen werden muss, selbst wenn es sich dabei um eine Lüge handelt. (vgl Mersch 2006, 30f )

Das Ende der Jahrhunderte langen Phase, in der unsere Gesellschaft von der gedruckten Schrift geprägt wurde, stellte erst der sogenannte ‚Iconic Turn‘ dar. Den Wechsel vom maßgebenden Medium Buch zum Bild er-läutert Aleida Assmann (2008, 83) folgendermaßen:

„Unsere tägliche Erfahrung ist in einer Weise von Bildern bestimmt, die man sich in früheren Zeiten, als ihre Herstellung mühsam und ihre Vervielfältigung aufwendig [sic!] war, schwer vorstellen konnte. Wenn wir uns das Bild-Regime unserer Tage jedoch näher ansehen, stellen wir leicht fest, dass diese Bilder sel-ten völlig sprachfrei sind. Bilder existieren in der Regel nicht als Konkurrenz-medium zur Sprache, sondern in engstem Verbund mit ihr.“

Assmann erklärt (vgl. 2008, 83f ) dass durch den ‚Iconic Turn‘ keine ra-dikale Wendung von der Schrift oder Sprache zum Bild vollzogen wurde, die neue Herrschaft der Bilder verdrängte keineswegs andere Medien kom-plett von der Bildfläche. „Wir haben es nicht mit Ersatz, sondern mit Zusatz zu tun“, fügt Assmann (2008, 83) hinzu und betont dabei noch, dass jedes neue Medium das menschliche Verhältnis zu den älteren Medien maßgeb-lich beeinflusst.

Für Assmann gibt es keine auditive Prävalenz am Horizont, es dominiert immer noch das Visuelle. Generell wird nur bei sehr wenigen bekannten Medientheoretikern und Philosophen ein andersartiger Ausblick festge-stellt, auch wenn einige von ihnen Schrift und Bild kritisieren. Der Medi-enphilosoph Vilém Flusser (o. A. zit. n. Mersch 2006, 142) beispielsweise sieht das Bild als „mit Symbolen bedeckte Flächen“, welche entsprechenden „Raum für Interpretationen“ bieten. Im Gegensatz dazu „transformiert der Schriftcode den Bildcode zu Zeilen und codiert damit die Szene zur ‚Erzäh-lung‘, zum ‚Drama‘ um.“

Nun findet bei Flusser keine direkte Kritik am visuellen Medium statt, dennoch spricht er von Transformation und Codierung, welche grund-sätzlich Faktoren darstellen, die von Medien übermittelte Nachrichten verfälschen und verändern können.

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Weber (2010, 53) stellt fest: „Die Verbesserung des Menschen und der menschlichen Lebensverhältnisse durch Technik und Medien [...] soll all die Defizite ausgleichen, welchen die menschliche Gattung unterworfen ist.“ Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, ob eine ständige Verbesserung der Technik und der Medien wirklich notwendig ist, um menschliche Defizite auszu-gleichen. Würde eine Kultur des Hörens diese Umstände verbessern und ein ständiges Streben nach technischen Verbesserungen mindern?

Als früher Befürworter dieser These einer auditiven Prävalenz kann Mar-shall McLuhan genannt werden, denn für ihn „ist der Übergang von der visuellen zur auditiven Kultur längst eine Tatsache.“ (Welsch 1996, 232). Von einer Kultur des Hörens spricht auch der bereits am Anfang erwähnte Philosoph Wolfgang Welsch (1996, 232f ) in seinem Buch ‚Grenzgänge der Ästhetik‘.

„Die Empfehlungen für eine solche Kultur des Hörens klingen allesamt sympa-thisch und vielversprechend. Eine Kultur des Hörens würde unsere Aufmerk-samkeit auf die Mitmenschen und die Natur verstärken; sie wäre lernfähig, statt bloß zu dekretieren; Verflechtungen und Netzwerke - also die Denkfor-men, die wir künftig benötigen - lägen ihr von vornherein näher als die her-kömmlichen logischen Schnitte; sie wäre insgesamt verständnisvoll, zurückhal-tend, symbiotisch, aufnahmefähig, offen, tolerant [...].“

Wolfgang Welsch (vgl 1996, 236f ) ist sogar der Ansicht, dass die abendlän-dische Kultur ursprünglich gar keine Kultur des Sehens darstellte, sondern von Anfang an vom Hören geprägt war. Die Kultur des Sehens entstand seiner Meinung nach aus der des Auditiven. Er benennt die Tragödie als die wichtigste Errungenschaft der griechischen Kultur und erkennt, dass in der homerischen Gesellschaft das Hören eine zentrale Rolle spielte. Erst durch die Philosophie, die Wissenschaft und die Kunst wurde das Sehen auf eine höhere Stufe erhoben. Als einen der Auslöser bezeichnet er dabei Heraklit, für den „die Augen genauere Zeugen seien als die Ohren“ (Welsch 1996, 237)

Auch Flückiger (vgl. 2001, 193f ) kritisiert die Aussage Heraklits‘: Die Genauigkeit des Hörens übersteigt die des Sehens um ein Vielfaches, die Vorzüge des Hörapparats gegenüber des Auges sind immens. Die Mög-lichkeit einer auditiven Wahrnehmung von zehn Oktaven ist zehnmal grö-ßer als der Wahrnehmungsbereich des Sehorgans bei der Farbunterschei-dung. Auch im Bezug auf die Empfindlichkeit liegt das Ohr weit vorne, denn zwischen dem leisesten weiterleitbaren und dem lautesten bis zur Schmerzgrenze noch erfassbaren Geräusch besteht das gewaltige Verhältnis von eins zu einer Million. Die Schwäche des Sehohrgans wurde im ersten Abschnitt dieser Arbeit bereits erläutert, bestätigt wird jedoch hier noch-mals die Unverständlichkeit der herrschenden visuellen Machtposition.

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Ein sehr passender Ausspruch Welschs (1996, 239) weist auf die markante gesellschaftliche Diskrepanz, die zwischen dem Hören und Sehen herrscht, hin: „Hört einer Stimmen, so wird er in eine Anstalt gebracht, hat er aber Vi-sionen, so gilt er als Vordenker, ja als Prophet.“

Könnte nun eine erneute Kulturrevolution das Sehen in den Hintergrund verbannen, um so nach der jahrelangen Vorherrschaft Platz für den von einigen Kritikern ersehnten ‚Auditive-‘ oder ‚Acoustic-Turn‘ zu schaffen? Selbst wenn die Zeichen für die audiophilen Zeitgenossen in diese Rich-tung weisen, so äußert auch der Kritiker des Visuellen selbst, Wolfgang Welsch (vgl. 1996, 233f ) gewisse Bedenken: Wenn das Hören in den Vor-dergrund gestellt wird, sind wir dann eventuell kurz davor ‚hörig‘ zu wer-den? Gehen das Hören und Gehorsam hier Hand in Hand? Welsch (1996, 233) resoniert:

„Für Hörigkeit wird niemand plädieren wollen. Man wird die Gewinne der Aufklärung - die gerade das Ende der Hörigkeit zum Programm gemacht hatte - nicht leichtfertig preisgeben wollen. Dann aber benötigt man Abgrenzungs-kriterien, die angeben, bis wohin dem Hören Folge zu leisten ist und wo nicht mehr. Dann kann das Hören nicht alles sein. Man wird dafür Sorge tragen müssen, daß [sic!] die wie immer berechtigte Kritik an der Moderne nicht eilfertig eine postmoderne Epoche des Hörens ausruft, die sich in Wahrheit als Epoche prämoderner Hörigkeit entpuppen könnte.“

So entsteht auch beim Hören ein Kritikpunkt, welcher wiederum die an-fänglich erwähnte, sehr umstrittene Überlegenheit der auditiven Wahr-nehmung in Frage stellt. Noch ist kein allgemeines Umdenken in Aussicht und es wird wohl noch einiges an Zeit brauchen bis das „Ich sehe also bin ich“, neben das „Ich höre also bin ich“ (Segeberg 2005, 10) treten kann.

Die eigene Auffassung des Autors zu einem möglichen ‚Auditive Turn‘ soll in diesem Teil der Arbeit noch ausgespart, allerdings im abschließenden Abschnitt der Conclusio erneut aufgegriffen werden. Dieses erste Haupt-kapitel der Arbeit ‚The Audience Is Listening - Vom Hören und Wahrneh-men‘ legte bereits einen Grundstein für die Beantwortung der Forschungs-frage ‚Was hört das Publikum?‘. Im bisherigen Verlauf der vorliegenden Arbeit wurden ausschließlich auditive Eindrücke behandelt, welche im Laufe der Zeit und der menschlichen Geschichte Einfluss auf den mensch-lichen Organismus nahmen. Das nächste Kapitel wird sich mit einem Pa-radoxon auseinandersetzen: ‚Was hört das Publikum, wenn es nichts hört?‘

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Dieser eben angewandte Versuch der Darstellung einer Nicht-Kommuni-kation sollte die Bedeutung von auditiver ‚Stille‘ nicht nur hör-, sondern in erster Linie sichtbar machen. Sichtbar deswegen, da diese Arbeit auf Papier gebracht wird, die zwei leeren Seiten, die diesem Abschnitt nun vorausgehen symbolisieren eine Stille in schriftlicher Form. Zwei leere Sei-ten in einem schriftlichen Dokument können nun unterschiedliche Asso-ziationen auslösen. Einerseits wird wahrscheinlich ein Fehler des Autors vermutet, welcher aus Versehen zwei Leerseiten einfügte und selbst beim Korrekturlesen nicht darauf aufmerksam wurde. Andererseits könnte es ein geschickter Schachzug gewesen sein, um für den/die LeserIn, oder das Publikum eine gewisse Spannung durch das ungewöhnliche visuelle Nicht-Vorhandensein zu erzeugen. Allerdings stellte Paul Watzlawick (o. A. zit. n. Lachmann 2009, 291) fest: „Es ist unmöglich, nicht zu kommuni-zieren“, was sogleich ersichtlich macht, dass der eben angestrebte Versuch der Erzeugung von symbolischer Stille eher wirkungslos war. Selbst diese beiden leeren und im Grunde nichts sagenden Seiten sandten der/dem LeserIn eine gewisse Botschaft.

Da sich diese Arbeit aber mit auditiven Impulsen auseinandersetzt, muss dieses Beispiel in ein anderes Umfeld transferiert werden. Es wird das Bei-spiel eines zufällig gewählten Films betrachtet, wobei der Protagonist bei-spielsweise gerade durch einen finsteren Gang schleicht, begleitet nur von den dumpfen und verhallten Geräuschen seiner Fußschritte, vom knistern-den Brennen seiner Fackel und seinen eigenen Atemgeräuschen. Plötzlich tritt Stille ein, jegliches Geräusch verstummt. Das Publikum oder die Zu-hörenden werden auch hier, ähnlich wie beim visuellen Beispiel, zwiege-spalten reagieren und das Nicht-Gehörte nicht richtig einordnen können.

Dieses Nicht-Vorhandensein von Sound und Geräuschen ist für Zuhören-de sicherlich ein ungewohnter Umstand. Der Autor Frank Lachmann (vgl. 2009, 291f ) beschreibt in seinem Essay ‚Stille in positiver Funktion‘, dass wir in einer tönenden und alles andere als stillen Welt leben. Er beschreibt: „Alles klingt auf die eine oder andere Weise, der Klang wird zum Normalzu-stand, zum Ausgangspunkt. Mal mehr und mal weniger angenehm, mal mehr und mal weniger deutlich, mal mehr und mal weniger natürlich, aber diese Welt ist immer eine klingende.“ (Lachmann 2009, 291)

Lachmanns Feststellung knüpft hier nahtlos an vorhergehende Erkennt-nisse an, denn die Geschichte des Hörens und die Erschließung der ge-wohnten Soundeindrücke, welche jeden Tag auf den Menschen wirken, sollte bereits klargestellt haben, dass die Welt von Sound regiert wird. Doch wenn die Welt immer klingt, woher kommt dann die Stille oder existiert diese überhaupt? An dieser Stelle muss Lowel Cross (o. A. zit. n. Lachmann 2009, 293) erwähnt werden, welcher der Meinung ist: „Absolute Stille gibt es nicht. Denn bei purer Schalllosigkeit käme die Bewe-gung zum Erliegen und damit letzendlich Leben.“

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Wenn nun nicht von absoluter Stille gesprochen werden kann, so muss von der Existenz einer relativen Stille ausgegangen werden, welche immer im Verhältnis zum eigentlichen Geräusch betrachtet wird. Es wird also angenommen dass „Stille nur durch Geräusche existiert - und umgekehrt.“ (Lachmann 2009, 294)

2.1 John Cage - No such thing as silence

Wenn von Stille gesprochen wird, darf natürlich die Erwähnung eines Mannes keinesfalls ausbleiben. John Cage, ein Komponist der einen maß-geblichen Einfluss auf die Funktion von Stille in Medien hatte. Der Autor Kyle Gann (2010, 71) beschreibt John Cage mehr als „music philosopher than a composer“ und seine philosophischen Ansätze werden unter ande-rem wohl in seinem berühmten Stück 4‘33“ am besten ersichtlich.

John Cage wurde 1912 in Los Angeles geboren. Neben seiner musika-lisch, philosophischen Tätigkeit war er Dozent für experimentelle Musik am Chicago Institute of Design. Seine musikalischen Werke und Kompo-sitionen waren oft geprägt von der Einbeziehung des Zufalls, wie auch bei 4‘33“ noch erläutert werden wird. Auch für die Verwendung von mani-pulierten, respektive präparierten Instrumenten ist er bekannt geworden, vielen wird der Terminus des ‚wohlpräparierten Klaviers‘ ein Begriff sein, wobei Cage an einem Klavier markante, untypische und klangverfremden-de Modifikationen vornahm. Er war einer der Vertreter der neuen Musik und einer der Pioniere im Einsatz von Tonbändern und Computern. John Cage starb 1992, kurz vor seinem Geburtstag in New York. (vgl. Frisius o. A.3)

Cage‘s Werk 4‘33“ wurde bereits mehrmals erwähnt und es erscheint eventuell untypisch, dass dieses ‚musikalische‘ Werk in einer doch eher geräusch-, und sounddesignlastigen Arbeit besprochen wird. Dieses Stück ist keinesfalls musikalisch, jedoch auch keine Geräuschkulisse, es passiert schlicht weg gar nichts. Es kann erkannt werden, dass sich eine Beschrei-bung von 4‘33“ als äußerst schwierig erweist, wie auch Kyle Gann (2010, 167) in folgendem Ausspruch feststellt:

„It may seem silly to embark on an analysis of a piece of music containing no intentional sounds. But in fact the exact form of 4‘33“ is riddled with ambigu-ity: its notation changed twice, and the latitude of its performance directions, as described by its composer, has expanded over the decades. To simply describe what 4‘33“ is, at this point, requires almost a philosophical treatise.“

Das Werk wurde von einem Orchester in der Maverick Concert Hall in New York uraufgeführt. Das besondere an diesem Werk war, dass die No-tenblätter der Musiker unbedruckt waren.

3 http://frisius.de/rudolf/texte/tx216.htm

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Für 4 Minuten und 33 Sekunden ruhten ihre Instrumente und gaben kei-nen Ton von sich. Es herrschte Stille. Doch war es wirklich still im Kon-zertsaal? Wohl kaum, da doch bereits vorher festgestellt wurde, dass kei-ne absolute Stille existieren kann. Genau dieser Umstand machte Cage‘s Werk so interessant, denn der Raum, vollgepackt mit dem Publikum und den verstummten Musikern entwickelte eine spezielle Eigendynamik:

„What they thought was silence, because they didn‘t know how to listen, was full of accidental sounds. You could hear the wind stirring outside during the first movement. During the second, raindrops began pattering the roof and during the third the people themselves made all kinds of interesting sounds as they talked or walked out“ (Cage o. A. zit. n. Gann 2010, 167)

Dieser Ausspruch von Cage beschreibt sehr treffend, wie seine ursprüng-lich angedachte musikalische Komposition, wenn auch für das Publikum nicht als Musik wahrnehmbar, plötzlich in einer Sound- und Geräuschcol-lage resultiert. „[...]They didn‘t know how to listen[...]“ (ebd.) erläutert eine Unfähigkeit des Publikums hinzuhören und wahrzunehmen. Dies muss allerdings kritisch betrachtet werden, hat doch das Publikum mit der Er-wartung an ein musikalisches Werk den Konzertsaal betreten und alles, was sie erhielten, war eine relativ stille Soundcollage, welche die meisten ZuschauerInnen mit Sicherheit überhörten.

2.2 Die relative Stille

Wie aus den vorangehenden Beispielen und Erklärungen hervorging be-schäftigen wir uns in diesem Abschnitt niemals mit absoluter, sondern mit relativer Stille. Auch David Sonnenschein (2001, 124) erklärt die Abhän-gigkeit der Stille vom Geräusch eindeutig:

„Put yourself in an anechoic chamber with absolutely no external sounds and you will still hear your own blood pumping and the high pitch of your nervous system. So silence is always relative to some sound that is louder than the ‚si-lence‘ of which we are aware.“

Nun gilt es zu erläutern, welchen Effekt diese relative Stille auf das Pub-likum erzielen kann. Zu diesem Zeitpunkt spielt es noch keine Rolle, in welchem Medium wir uns befinden, sei es linear, interaktiv oder das Um-feld, welches uns täglich umgibt. Es soll nachgeforscht werden, was Stille für das Publikum so besonders macht.

In einem vorigen Abschnitt dieser Arbeit wurde bereits das Heim als ru-higer Zufluchtsort für den Menschen vorgestellt, ein Ort, an dem Stille herrscht und wo Schutz vor dem lauten Treiben der Gesellschaft gesucht werden kann. Frank Lachmann (vgl. 2009, 294f ) erkennt das Verlangen nach Ruhe und Stille der Menschen bereits im Bereich der Architektur. Nicht umsonst wird beim Entwurf von Wohnhäusern großer Wert auf die

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Lärmdämmung gelegt. Im Idealfall soll hier eine Abschirmung der Ge-räusche von der Außenwelt erfolgen und gleichzeitig garantiert werden, dass die eigene Lärmentwicklung nicht auf die angrenzenden Nachbarn übertragen wird. Das Bedürfnis nach Ruhe erfährt hier eine bedeutende Rolle für die menschliche Gesundheit, welches heute als selbstverständlich angesehen wird, jedoch, wie vorher bereits angesprochen, im Zeitalter der industriellen Revolution und auch noch viel später, auf die vermeintlich tauben Ohren stieß. Lachmann (vgl. ebd.) erläutert weiters einen interes-santen Aspekt von Stille, welcher ein zusätzliches Indiz für dessen besonde-re Wirkung haben könnte. Hierbei nennt er die Religionen als wichtigen Bestandteil bezüglich Ruhe und Stille, um sich besser konzentrieren zu können. Auch die ‚Schweigeminute‘ beim Gedenken an Verstorbene erfor-dert von Teilnehmenden eine Phase der Ruhe und Besinnung und würde die Wirkung durch Lärm- und Geräuscheinwirkung mit Sicherheit verlie-ren. Dieses Beispiel Lachmanns über den Tod leitet zu den Gedanken Bar-bara Flückigers (2001, 233) über, welche sie im Zusammenhang zwischen Stille und Tod äußerte: „Die bedrohliche Dimension der Stille resultiert aus der der potenziellen Gefahr der Totenstille: Nur was tot ist, ist still.“ Hierzu nimmt auch Murray Schafer (1994, 256) Stellung:

„Man likes to make sounds to remind himself that he is not alone. From this point of view total silence is the rejection of the human personality. Man fears the absence of sound as he fears the absence of life.“

Einen bedrohlichen Aspekt der Stille, gegensätzlich zu den sonst sanften und beruhigenden Eigenschaften, die ihr sonst zugeschrieben werden, stellt also der Tod dar. Stille bedeutet für viele Menschen eine Metapher des Todes und kann somit in Angst und Schrecken resultieren.

Lachmann (vgl. 2009, 295f ) führt seine Theorien über die Wirkung der Stille fort und behauptet: „Stille ist überall, sie versteckt sich nur.“ (Lach-mann 2009, 295). Er nennt das Beispiel von sogenannten ‚Sleeptanks‘, welche ManagerInnen und anderen unter andauerndem Stress stehenden Individuen helfen sollen, einen Ausweg aus ihrer natürlichen lärmenden Umgebung zu finden, um ‚Stille zu tanken‘. Er nennt noch viele weitere Beispiele, wie die Laufweite in der Typografie, welche einen ruhigen Lese-fluss ermöglichen, oder Sprichwörter wie ‚Stille Wasser sind tief‘, welche das versteckte Potential der Stille beschreiben sollen. Schlussendlich been-det er seinen Diskurs mit folgendem Ausspruch: „Stille scheint uns wichtig zu sein, wir merken es nur noch nicht.“ (Lachmann 2009, 296)

Dieses abschließende Zitat Lachmanns muss allerdings aufgrund seiner vorherigen Aussagen in Frage gestellt werden, beschrieb er doch eben selbst den Drang des Menschen nach Stille und Ruhe, sei es nun im persönlichen Heim oder aus religiösen Gründen. Dass uns Stille in unserer heutigen Ge-sellschaft wichtig ist, sollte grundsätzlich geklärt sein, der Mensch braucht

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Ruhephasen in jeglicher Hinsicht, seien es physische Pausen wie Schlaf oder auditive Momente der Stille um die Ohren zu entspannen. Hier wird nun der Bogen zum ersten medienspezifischen Standpunkt der Stille ge-spannt, dem Tonfilm. Genauer gesagt soll die Zeit vor diesem auditiven linearen Medium betrachtet werden, als es noch kein Zusammenspiel von Audio und Bewegtbild innerhalb des Films gab, sondern stets nur Bilder allein die Leinwand regierten. Der Stille wurde beim Stummfilm, wie der Name bereits vermuten lässt, eine essentielle Rolle zugeordnet und Verän-derungen auf diesem Gebiet wurde sehr kritisch gegenübergestanden, wie nachfolgendes Zitat erkennen lässt: „Mit Misstrauen sahen wir den Tonfilm kommen. Denn es schien, dass er alles würde zerstören müssen, was wir als Besonderheit des stummen Films geliebt hatten.“ (Arnheim 2004, 102)

Was hört das Publikum beim Stummfilm und welche Rolle spielte der Einzug des Auditiven in dieses Medium, stellen essentielle Fragestellungen dar, welche im nachfolgenden Kapitel behandelt werden.

2.3 Die Ruhe vor dem (Ton)Sturm

„Sea and surf, leafy boughs waving in the wind, an insect crawling by - these were among the things one could see moving in the first „movies“ behind the animated gestures of the actors. Such inadvertent contributions of nature were part of what enchanted the public in the early days of the cinematograph. The public knew the actors had been hired to play their parts and that the loco-motive was awaited by the camera. But that the sea, the leaves, the butterflies, and all manner of large and small things not part of the cast, not intentionally staged or framed, nevertheless participated in the image‘s movement - this was a striking thing. The image was therefore not hierarchical; it bespoke the de-mocracy of movement, in which everything that moves is cinema.“ (Chion 2009, 3)

Der Autor und Komponist Michel Chion wird im weiteren Verlauf die-ser Arbeit noch eine zentrale Position darstellen, auf die immer wieder zurückgegriffen wird. Hier erläutert er zu Beginn seines Werks ‚Film, A Sound Art‘ die Anfänge der Filmvorführung. Aus heutiger Sicht ist es er-staunlich, welche Wirkung dieses rein visuelle Medium damals auf das Pu-blikum hatte. Der Vorführraum war wohl nur erfüllt von den Geräuschen der Zuschauer und dem stetigen Drehen und Knarzen des Projektors, der das Bild auf die Leinwand übertrug.

Chion (vgl. 2009, 3ff) beschreibt, dass es für damalige Verhältnisse völlig normal war und auch heute noch ist, Fotografien ohne dazugehörigen au-ditiven Impuls anzusehen, da ja ein Stillstand auf dem zu betrachtenden Bild herrscht und damit grundsätzlich kein Bedarf einer tonalen Unter-stützung besteht. Beim Bewegtbild änderte sich dieses Empfinden aller-dings immens. Es fühlte sich einfach nicht real an, die Bilder des Films

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ohne soundtechnische Untermalung zu rezipieren. Die Anfänge der Film-musik, die in dieser Arbeit bewusst nicht näher behandelt werden, entstan-den allerdings genau aus dieser Abwesenheit von Geräuschen, da sich die Regisseure und Filmschaffenden gezwungen sahen, das Fehlen der Soun-debene, also die Stille, mit musikalischen Elementen zu füllen. Chion be-zeichnte aufgrund dieser damaligen Umstände das Kino als ‚deaf cinema‘, zu deutsch als ‚taubes Kino‘. Worte wurden visuell zwar gesprochen und es konnten Dinge wahrgenommen werden, welche in der realen Umgebung bestimmt gewisse Sounds verursachten, jedoch konnten sie vom Publikum nicht gehört werden.

Wie aus den bisherigen Recherchen bereits hervorgeht, war diese Abwe-senheit von Sound für das Publikum ein störender Faktor. Chions Be-schreibung der Musik, welche als ein Lückenfüller für die Abstinenz natür-licher Geräusche eingesetzt wurde, beschreibt erstmals die Importanz einer non-musikalischen Geräuschspur für die Empfindung von Realismus und Wirklichkeit.

Für unser heutiges Empfinden und die Gewohnheiten, welche wir im Lau-fe der Zeit entwickelten, stellt nun der Stummfilm ein vollkommen aus der Zeit gekommenes Medium dar. Das Fehlen der auditiven Ebene stört die Nachvollziehbarkeit für das Gesehene und es fällt schwer die Emotio-nen der Schauspieler ohne ihren originalen Klang der Stimmen zu erzeu-gen. Nun wird aber auch, oder vielleicht gerade deswegen heutzutage in modernen Produktionen immer wieder mit dem Stille-Faktor gespielt und experimentiert, beispielsweise in ‚No Country for old Men‘, ‚2012‘ oder ‚Transformers 2 - Revenge of the Fallen‘, der im Rahmen dieser Arbeit noch genauer untersucht werden wird. Der Sounddesigner David Sonnen-schein (2001, 125) erläutert: „A synonym for silence may be used, such as fa-raway animal calls, clocks in the next room or leaves rustling.“ Zu Beginn die-ses Kapitels wurde noch der Begriff von ‚absoluter Stille‘ hinterfragt und erforscht, um festzustellen, dass stets nur relative Stille herrschen kann, Stille, welche in Opposition zu den uns bekannten Geräuschkulissen steht. Sonnenschein erwähnt aber im eben angesprochenen Zitat einen anderen Weg, der besonders im Medium Film häufig eingesetzt wird. Leise und verhallte Sounds werden laut Sonnenschein (vgl. 2001, 125) absichtlich eingesetzt, um dem Publikum die Stille zu vermitteln: Er berichtet hierbei, wie eben erwähnt, von der Verwendung weit entfernter Tierlaute, Geräu-sche aus den benachbarten Zimmern oder das Rascheln der Blätter in den Bäumen. Das Wahrnehmen dieser Sounds wird nur dann möglich, wenn jegliche andere Nebengeräusche vorher bewusst ausgeblendet werden, also wenn Stille herrscht. Die Stille ermöglicht das Rezipieren dieser sonst nur sehr schwer wahrnehmbaren Geräusche.

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Geräusch und relative Stille stehen im medienspezifischen Einsatz, im bes-ten Falle, in einem sehr ausgeglichenen Verhältnis, da beide nur mit Hilfe des anderen existieren können. David Toop (2010, 93) nennt mit Lucas Cranachs ‚Reclining Water Nymph‘ allerdings ein sehr untypisches Bei-spiel für den Zusammenhang zwischen Sound und Stille, da es sich hierbei nicht um einen Film, sondern ein Gemälde handelt:

„Nymph of this place, custodian of the sacred fountain, I sleep while I hear the murmuring of the smooth-sounding water. Spare me, whoever touches upon this marble cave, do not interrupt my sleep. Whether you drink or wash, be silent“ (Barkan o. A. zit. n. Toop 2010, 93)

Toop (vgl. 2010, 93) erläutert, dass Sound und Stille in diesem Gemälde gleichwertig zu finden sind. Der Sound ist enthalten im stetigen Fluss des Wassers, wobei die Stille obligatorisch im Schlaf ruht. Der Schlaf oder die Stille darf nicht unterbrochen werden, ob getrunken oder sich gewaschen wird, es solle in Ruhe geschehen. Dieses Beispiel der schlafenden Nymphe stellt ein sehr abstraktes dar, jedoch kann es den unmittelbaren Zusam-menhang zwischen Stille und Geräusch gut darlegen.

Was bedeuten all diese Fakten der Stille nun für deren Funktionalität, Zweck und Einsatzmöglichkeit? Wird Stille im Allgemeinen dem Sound gleichgestellt, so können vollkommen neue Räume der Ideen und Anwen-dungen entstehen. Die Vielfalt der Stille scheint genauso breit gefächert zu sein wie jene der Sounds an sich. Stille kann die Beziehung zwischen Produzent und Hörer verändern, und sei es nur durch neue Formen des Aufhorchens, die damit provoziert werden.“ (Lachmann 2009, 301). Es mag vielleicht skurril erscheinen, aber oft lässt sich mit dem lautesten Ge-räusch, mit dem unerwartetsten Musikstück oder dem schrillsten Sound nicht der gewünschte Effekt auf das Publikum übertragen. Manchmal reicht schon ein kurzer Moment der Stille, welcher RezipientInnen in den Bann zieht und gleichzeitig wieder Raum und Energie für neue Eindrücke schaffen kann. Schlussendlich, nach dieser Auseinandersetzung der Korre-spondenz zwischen Stille und Geräusch, soll Rudolf Arnheims anfänglich erwähntes Zitat noch um einen Satz erweitert werden:

„Mit Misstrauen sahen wird den Tonfilm kommen. Denn es schien, daß [sic!] er alles würde zerstören müssen, was wir als Besonderheit des stummen Films geliebt hatten. Dann wurden wir hoffnungsvoller, weil wir einsahen, daß [sic!] der Tonfilm neue, eigene Reize an die Stelle dessen, was er zerstörte, würde setzen können.“ (Arnheim 2004, 102)

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2.4 Silence Case Study: Transformers 2 - Revenge of the Fallen

Die nachfolgende Fallstudie zu dem Hollywood-Film ‚Transformers 2 - Revenge of the Fallen‘ wird eine von mehreren Untersuchungen darstellen, welche einen praktischen Einblick in die vorhergehenden theoretischen Erkenntnisse bieten werden. Als Ausgangspunkt für die Studien, welche im Zuge dieser Arbeit durchgeführt werden, dient eine Vorlage Barbara Flückigers (vgl. 2001, 383ff), die sich auch mit einer auditiven Analyse bestimmter Filmsequenzen beschäftigt. Dabei wird jedoch nicht auf ihre Fragestellungen oder Themen eingegangen, viel mehr soll das analytische Raster, nach dem sie die Szene aufschlüsselt, übernommen werden, um danach die Sequenz Schritt für Schritt bearbeiten zu können. Dieses Ras-ter beinhaltet die Faktoren Musik, Geräusch und Sprache, welche in der folgenden Studie forciert werden. Flückiger (vgl. 2001, 383ff) legt in ihrer Fallstudie zum Film ‚Apocalypse Now‘ beispielsweise ihren Fokus auf die Frage der Subjektivierung von Bild- und Tonebene, analysiert hierbei eine Sequenz mit der Dauer von sieben Minuten und zwölf Sekunden und re-flektiert nachher das Gesehene und Gehörte, um eine Beantwortung ihrer Forschungsfrage zu erreichen.

In der nachfolgenden Studie wird eine zweiminütige Szene aus dem Block-buster ‚Transformers 2 - Revenge of the Fallen‘ fokussiert. Michael Bay‘s Fortsetzung des erfolgreichen ersten Teils überzeugt sicherlich nicht mit ei-ner schauspielerischen Glanzleistung oder medientheoretischem Umgang mit einer kritischen Thematik, jedoch stellte dies nicht die Ausgangslage für die Wahl dieses Films dar. Transformers 2 ist definitiv eine auditive Re-ferenz, besonders auf der Sounddesign-Ebene gibt es kaum vergleichbare Werke, die ähnlich komplexe Geräusche und Sounds beinhalten. Zusätz-lich existieren zur behandelten Szene auch Expertenmeinungen, welche für den auditiven Mixingprozess verantwortlich waren und ihre anfängliche Vision der angestrebten Wirkung dieser Szene preisgeben. Diese Studie stellt keine quantitative Forschungsmethode dar, da keine externen Mei-nungen hinzugezogen werden. Eine persönliche Analyse dieser Sequenz wird den auditiven Prozess analysieren, soll hervorbringen, welche Klänge vordergründig vom Publikum wahrgenommen werden können und was diese im Zusammenspiel mit den visuellen Eindrücken bewirken.

Die Szene beginnt bei 01:53:52 (Eine Stunde, 53 Minuten und 52 Se-kunden), wobei Protagonist Sam und Mikaela in einem Haus innerhalb eines zerstörten Dorfes in der Wüste Ägyptens Schutz vor den feindlichen Robotern suchen. Im selben Moment, als sie das Haus betreten, stellt sich die Atmo von außen ein und wird beim Schließen der knarzenden, alten Holztür von einem tiefen, angsteinflößenden, musikalischen Pad abge-löst. Die beiden versuchen sich ein Bild ihrer verzwickten Situation zu machen und laufen nervös im Inneren des Hauses umher, dabei können die vereinzelnden Stimmen der außerhalb patrouillierenden feindlichen

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Roboter wahrgenommen werden. Die beiden verfallen in einen flüstern-den Dialog, wobei ein Fokus hier ganz klar auf den dazwischenliegenden Atemgeräuschen liegt, welche sehr laut und markant auftreten. Sam gibt sein Bestes, um Mikaela zu beruhigen, befindet sich nun kniend ihr ge-genüber und versucht ihr Mut einzureden, dass sich alles zum Guten hin wenden wird. Die beiden Protagonisten wollen gerade ihre Position ver-ändern, plötzlich ertönt ein starker, sehr synthetischer und verfremdeter Klang, der einen Robotersound darstellt, gefolgt von einem tiefen und lauten Schlag, welcher die beiden wieder in ihre ursprüngliche, kniende Position zurückgehen lässt. Die Musik bleibt hierbei weiterhin tief und mystisch, der Kamerafokus liegt auf dem verängstigten Gesicht Mikaelas. Es werden vermehrt die Stimmen der Roboter von außen hörbar gemacht, das Gesicht der Protagonistin wird fokussiert, die versucht ihre panischen Atemgeräusche mit ihrer Hand abzudämpfen. Wiederum tritt ihr Atmen markant in den Vordergrund. Zu den Stimmen kommen nun zusätzlich massive und ‚knarzende‘ Fußschritte hinzu, welche die Angst der beiden zusätzlich unterstreichen. Nach einer knappen Minute entscheidet sich Sam mit Hilfe eines gefundenen Degens ein Loch in die Wand zu boh-ren, um sich einen besseren Überblick über die Situation verschaffen zu können.

Ein typisches Schwertgeräusch wird hierbei unüberhörbar in den Vorder-grund gestellt, welches als metallisch und hochfrequent beschrieben wer-den kann. Nach dem Herausziehen des Degens aus dem frisch entstande-nen Loch der hörbar spröden Wand erfolgt eine langsame Kamerafahrt, welche in die äußere Umgebung führt. Diese Bewegung wird begleitet von einem tiefen, bassigen Sound, der nahtlos in einen metallischen ‚Stin-ger‘ übergeht und danach fließend in den Trommelschlägen der Musik resultiert. Das Klangbild wird, aufgrund der Außen-Atmo deutlich hö-henlastiger und wirkt dadurch brillianter. Der patrouillierende Roboter, hier Decepticon genannt, stampft mit lauten Schritten umher und feuert dabei Raketen ab, welche sich mit einem schrillen und zischenden Sound schnell aus dem Klangbild entfernen und weit entfernte, jedoch noch sehr gut wahrnehmbare Explosionen verursachen. Insgesamt umkreisen nun ca. sechs Decepticons die Hütte, in der sich die Protagonisten verstecken. Die Interaktion der Roboter untereinander findet auf einer stark transfor-mierten, jedoch sprachlichen Ebene statt, die als Sound konstant durch diese Szene hörbar ist.

Bei 01:55:03 schleicht ein raubtierartiges Decepticon an der Eingangstür des Verstecks vorbei, wobei es laute und bedrohliche Knurrgeräusche ver-nehmen lässt, zeitgleich häufen sich die im Hintergrund stattfindenden Explosionen, die stark verhallt und bewusst distanziert wahrgenommen werden können. Mit einem ähnlich bassigen Soundeffekt wie bei der Ka-merafahrt aus der Hütte, tritt nun selbige durch das Schlüsselloch der Tür

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wieder ins Innere ein. Die Soundscape verändert sich hierbei markant. Die orchestrale und von Trommeln unterstützte Musik setzt beim Eintritt in die Hütte vollkommen aus, die Explosionen und Schüsse verstummen, sowie die luftige und brilliante Außen-Atmo. Präsent bleibt nur das Ge-räusch des Abröckelns sandiger Substanzen vom porösen Dach des Hau-ses, sowie die Roboterstimmen und die tieffrequenten Fußschritte von außerhalb. Eine weitere Kamerafahrt in die äußere Umgebung durch das kurz vorher hergestellte Loch in der Wand wird wiederum unterstützt von einem massiven, jedoch weichen ‚Whoosh‘ Soundeffekt. Jedoch gelangt es dieses Mal nicht ins Freie, sondern hält kurz vorher ein, der Sound resultiert hierbei zum ersten Mal in Stille. Diese Stille ist hierbei unter-stützend für das gleichzeitige Eintreffen einer Roboter-Fliege, welche sich mit hörbaren Flügelschlägen und Surrgeräuschen in dem sandigen Loch niederlässt. Jedes Geräusch wird nun vollkommen ausgeblendet und die Stille umgibt wahrlich das Surren und nervöse Verhalten des Eindring-lings. Sam wird allerdings auf das metallische Insekt aufmerksam und es gelingt ihm die Drone zwischen seinen Fingern einzuklemmen. Während er sie misstrauisch begutachtet, sind nur noch die Laute und das Surren des Ungeziefers hörbar, von außen dringen erneut die dumpfen Stimmen der Decepticons nach innen.

01:55:30 - Es erfolgt ein Schnitt auf die Roboterfliege in ihrer aussichtslo-sen Situation, eingeklemmt zwischen Sams Zeigerfinger und Daumen gibt sie ängstliche sowie boshafte, schimpfende Geräusche von sich und ver-sucht mit einzelnen Flügelschlägen, welche durch erneute Surrgeräusche hörbar gemacht werden, einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage zu fin-den. Die Drone erzeugt bis zu diesem Zeitpunkt aufgrund der speziellen Vokalisierung und der Art der Geräusche, die sie von sich gibt, noch eine eher erheiternde Atmosphäre. Sam nähert sich mit seiner zweiten Hand dem Ungeziefer langsam an und packt es am Kopf. Die Drone verändert ihre vorher noch als komödiantisch empfundenen Laute, welche nun eher mit Schrecken und Todesangst in Verbindung gebracht werden können, als Sam den Vorderteil des kleinen Decepticons fest im Griff hält. Als er mit einer langsamen, aber sicheren Bewegungen den Kopf der Fliege ab-trennt, verstummt diese und ihr Tod resultiert in einem sinusartigen Ton, dessen Tonhöhe von sehr hoch im Glissando abfällt.

Bei 01:55:38 liegt der Fokus auf den fragenden Augen Sams. Es herrscht Stille und eine unglaublich gespannte Atmosphäre, da jene Stille jeden Augenblick aufgelöst werden könnte. Nach zwei Sekunden dieser Unge-wissheit ertönt ein lautes Krachen, welches als unglaublich mächtig und kraftvoll wahrgenommen werden kann. Das Dach der Hütte wird von den Decepticons eingerissen, der Raum oder das, was noch davon über ist, wird erfüllt mit dem Sound einstürzender Wände und den schrillen Schreien der beiden Protagonisten. Der Moment der Stille ist zu Ende, die

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zwei Gejagten versuchen ihren Weg fortzusetzen und vor den mit mächti-gen Geräuschen erfüllten und schießwütigen Decepticons zu fliehen.

Bevor nun ein abschließendes, persönliches Resumé zu dieser Szene er-folgt, wird ein Augenmerk auf die Personen gelegt, welche für den Mix und die Erstellung des Sounddesigns für diesen Film verantwortlich wa-ren. Erik Aadahl und Greg Russel arbeiten für das renommierte Studio ‚Skywalker Sound‘ in Kalifornien, welches sich für die auditive Produktion von ‚Transformers 2‘ verantwortlich zeigte. Die dokumentarische Inter-netserie ‚Soundworks Collection‘ hat es sich zur Aufgabe gemacht, diverse Hollywoodproduktion von der Audio-Seite her zu betrachten und bietet so in regelmäßigen Abständen Einblicke in die Welt der Postproduktion. Auch der eben analysierte Film wurde von ihnen dokumentiert und die bereits angesprochenen Sounddesigner zu ihrer Arbeit befragt.

Erik Aadahl (vgl. 2009) spricht in seinem Teil über die Verschmelzung von Bild und Ton. Es soll keine separate Erstellung von Sound erfolgen, die später einfach auf das Video gelegt wird, viel mehr hebt er hervor: „it‘s an evolution of finding like the soul of the characters“ (Aadahl 2009). Des Weiteren spricht Aadahl (ebd.) von der Importanz von Stille und ruhigen Sequenzen bei Actionfilmen:

„In an action movie having scenes that are really quiet are critical for cleansing the pallettes of the ear. Any symphony has movements, they start in the lows and then there‘s peaks and then they go down again and build again and sound design is exactly the same way.“

Aadahl vertritt hier einen Standpunkt, der im vorigen Teil dieser Arbeit bereits bearbeitet wurde. Das Verlangen des Menschen nach Ruhe und Erholung von einer lauten Umgebung beeinflusst die Arbeit am Sound-design immens. Das Publikum soll durch die Erholungsphasen auf einen neuen und intensiven auditiven ‚Frontalangriff‘ vorbereitet werden. So be-schreibt auch Greg Russel (2009) die Hüttenszene als eine der maßgeben-den dieses Films:

„Sam and Mikaela are hiding within this hut and the Decepticons are out and about looking for them and in flies this little fly into this hole in the wall. Sam catches him and sees that it‘s a robot and rips his head off and there is this awesome silence, to where you can really here the breaths of her breathing and she‘s panicked and scared to death. And to be able to scale everything back, to draw an audience in, to be able to feel that terror and then let it all hang out and explode. It‘s pretty dramatic.“

‚Transformers 2‘ ist mit Sicherheit ein Film, der durch ein herausragen-des Sounddesign, gepaart mit mitreißender Musik und den dazugehörigen Actionszenen eine breite Masse anspricht. Viel interessanter ist jedoch die Funktion der Stille innerhalb des Films, die eine dynamische Entwicklung

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der auditiven Ebene unterstützt. Nach einer langanhaltenden intensiven Beschallung der Ohren durch laute Passagen wird die nachkommende Stille als noch viel intensiver empfunden und das Publikum somit tiefer in das Geschehen und die Geschichte des Films involviert. Wenn das Atmen der Protagonisten so intensiv und vordergründig wahrgenommen werden kann, weil alle anderen Geräuscheindrücke im Hintergrund verschwin-den, so gerät diese Aktion unmittelbar in den Mittelpunkt der Aufmerk-samkeit und es findet eine Manipulation der ZuschauerInnen statt, deren Ohren auf bestimmte Schlüsselelemente gerichtet werden. Auch Soundde-signer Walter Murch unterstreicht nochmals die Importanz der Stille mit folgendem Ausspruch:

„The ultimate metaphoric sound is silence. If you can get the film to a place with no sound where there should be sound, the audience will crowd that silence with sounds and feelings of their own making, and they will, indivi-dually, answer the question of, ‚Why is it quiet?‘ If the slope to silence is at the right angle, you will get the audience to a strange and wonderful place where the film becomes their own creation in a way that is deeper than any other.“ (Murch o. A. zit. n. Isaza 20114)

Abschließend zu diesem Kapitel wird also festgestellt, dass Stille keinen Gegenspieler zum Geräusch darstellt, sondern damit einhergeht, dabei unterstützend wirkt und an der auditiven Rezeption des Publikums maß-geblich beteiligt ist. Was hört das Publikum also, wenn es nichts hört? Es nimmt wahr.

4 http://designingsound.org/2011/11/silence/

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Sounddesign und das Publikum

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3. Sounddesign und das Publikum

Eine Masse von Zusehern befindet sich im Kinosaal und wartet auf den Beginn des Films. Die Leinwand ist noch vom roten Vorhang verdeckt, die Lichter auf volle Stärke gestellt und im Raum breitet sich langsam, aber ste-tig ein immer lauter werdendes Stimmengewirr aus. Plötzlich verdunkelt sich der Raum und es kann das schleifende Geräusch des sich-einziehen-den Vorhangs wahrgenommen werden. Zeitgleich verstummen die meis-ten Zuschauer und starren gebannt auf die nun riesig wirkende Leinwand. Der erste visuelle Impuls setzt zeitgleich mit einer mächtigen auditiven Basswelle ein, animierte Sterne überqueren mit hoher Geschwindigkeit die komplette Breite des Bildschirms und werden dabei von hochfrequenten und markanten Sounds unterstützt. Noch ist die Lautstärke des auditiven Spektakels als leise zu beschreiben, der Zuschauer wird Schritt für Schritt auf die nächsten 90 Minuten vorbereitet. Es folgen Werbeeinschaltungen, die teils mehr oder weniger mit Musik und Sounddesign unterstützt wer-den, diese werden von den nachfolgenden Trailern abgelöst, welche mit bombastischen Soundtracks und Soundeffekten die zukünftigen Kinohits anpreisen. Nach ungefähr 15 Minuten beginnt der Hauptfilm und eine neue Geschichte wird für das Publikum erzählt. Wir befinden uns im line-aren Medium Film, wo Bild und Ton zusammen synchron und vorherbe-stimmt agieren. (vgl. War Horse 2012, London5)

Ein Spieler befindet sich im selben Moment in einer fast aussichtslos scheinenden Situation. Gefangen auf einer Insel, umringt von feindlichen Soldaten sieht er kaum einen Ausweg aus seiner gefährliche Lage. Im Se-kundentakt detonieren Granaten in unmittelbarer Nähe und die Gewehr-kugeln verfehlen ihn nur um Haaresbreite. Genau im richtigen Moment reißt er den Controller herum und weicht so einer ankommenden Rakete aus, die nun hinter ihm in einer Masse von befreundeten Soldaten explo-diert. Aus den Boxen ertönt nun ein sinusartiger Ton, welcher den Spieler an die Tinitus-Krankheit erinnert und ihn so die Schreie der hinter ihm liegenden Verwundeten überhören lässt. Der hohe und verstörende Ton schwingt langsam ab und es kann ein weit entfernter, doch definitiv prä-senter Hubschrauber wahrgenommen werden. Auf Hilfe hoffend verändert der Spieler sein Sichtfeld und blickt in die Ferne, wo er den Helikopter tat-sächlich wahrnehmen kann. Nach der erfolgreichen Bergung durch seine Kameraden findet sich der Spieler als Heckenschütze des Helikopters wie-der und feuert eifrig auf ankommende feindliche Flugzeuge. Plötzlich ein Knall, der Hubschrauber gerät ins Schwanken und der Spieler verliert das Bewusstsein. Der Bildschirm ergraut und der letzte Speicherpunkt wird geladen, unterstützt von leiser Musik und gedämpften Kampfgeräuschen.

5 Persönliche Beobachtung während der Vorstellung des Films ‚War Horse‘

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Wir befinden uns im interaktiven Medium Videospiel, wo auditive Ereig-nisse situationsbedingt abgespielt werden. (vgl. Battlefield 3 2012, Salz-burg6)

„Das Spannende an der Arbeit als SounddesignerIn stellt mit Sicherheit das Spiel mit den gewohnten Reizen des Menschens dar. Eine Eisentür kann vi-suell noch so massiv wirken, verliert jedoch all ihre Wirksamkeit, wenn ein sehr dünner und gebrechlicher Sound dazu ertönt. Ein mächtiger, großer und starker Mann wird niemanden mehr einschüchtern, wenn seine Fußschritte klingen wie kleine Kinderfüße. Waffen verlieren ohne die passenden Schuss-geräusche jeglichen Reiz und kaum ein Schwert, das aus seiner Scheide gezo-gen wird, ertönt ohne das obligatorische, metallisch-helle Geräusch.“ (Philipp 2010, 39)

Wie dieses Zitat aus dem Zweitwerk des Autors dieser vorliegenden Arbeit erkennen lässt, wurde die Sounddesign-Arbeit vom Standpunkt der/des Produzierenden gesehen, stellt aber auch im Kontext zur hier präsenten Forschungsfrage, ‚Was hört das Publikum?‘ einen essentiellen Faktor dar. Im folgenden Kapitel werden jedoch nicht die Produktionsweisen für li-neare und interaktive Medien erschlossen, sondern ihre Wirkung auf das Publikum, bzw. auf Spielende analysiert. Beginnend mit einer Forcierung des linearen Mediums soll darauf folgend explizit der sound-technische Übergang auf das interaktive Medium sowie Videospiele an sich auf ihre auditive Wirkung untersucht werden. Eine weitere Erarbeitung zweier Case-Studies zu beiden Medien soll schlussendlich in der Conclusio die-ser Masterthese resultieren und zusätzlich zur Beantwortung der gestellten Forschungsfrage beitragen.

3.1 Film - Ein Klangwerk

„We gestate in Sound, and are born into Sight. Cinema gestated in Sight, and was born into Sound.“ (Murch 1994, zit. n. Chion 1994, vii)

Walter Murch spricht hier vom Film, der in Sound geboren wurde. Michel Chion betitelte eines seiner vielen Bücher mit dem sehr treffenden Namen ‚Film - A Sound Art‘ und ein anderes mit ‚Audio-Vision‘, welches den direkten Zusammenhang zwischen dem visuellen und auditiven Medium darstellt. Die Frage, die innerhalb der Bearbeitung des Film Genres gestellt werden muss, lautet: ‚Was hört das Publikum im linearen Medium?‘

Wie bereits bei der vorhergehenden Analyse angewandt, wird die Tone-bene beim Film in drei Ebenen eingeteilt (vgl. Flückiger 2001, 384ff), in Musik, Sprache und Geräusche.

6 Persönliche Beobachtung während des Spielens von ‚Battlefied 3‘

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David Sonnenschein (2001, 151) beschreibt die Interaktion zwischen die-sen drei Teilbereichen folgendermaßen: „When we dive into the storytel-ling of the film, the sound tells us what is happening within or outside the character‘s worlds, using music, effects, and dialogue coupled (or not) with image. Spare and time are determined by the audiovisual combination [...].“ Eine Bearbeitung der musikalischen sowie der sprachlichen Ebene würde den Rahmen dieses Werks mit Sicherheit sprengen, somit soll die gan-ze Aufmerksamkeit den Geräuschen, bzw. den Soundeffekten und deren Wirkung auf das Publikum gewidmet sein.

„Sound has a spatial dimension because it comes from a source. Our beliefs about that source have a powerful effect on how we understand the sound.“ (Bordwell 2004, 366)

Bordwell weist auf ein Faktum für die komplette Tonebene im linearen Medium hin, das einen maßgebenden Effekt auf das Publikum erzielt. Die Rede ist von diegetischem, respektive nichtdiegetischem Sound. Es wird von diegetischem Sound gesprochen, wenn der auditive Impuls, sei es Sprache, Musik oder Geräusch, aus der Szene des Filmes entspringt. Sprache von den Schauspielern, Geräusche, die von selbigen ausgelöst werden, und Musik, die beispielsweise von Musikern in einer Szene ent-springt, werden als diegetisch bezeichnet. Im Gegensatz dazu das Nicht-diegetische, welches den Ursprung außerhalb der im Film dargestellten Geschichte nimmt. Filmmusik, die zur Aufwertung oder Unterstützung einer Sequenz verwendet wird, beispielsweise bei einer Actionsequenz oder zur Begleitung gewisser romantischen Ereignisse sind wohl die offensicht-lichsten Einsatzbereiche der Nichtdiegetik. (vgl. Bordwell 2004, 366)

Diegetischer Sound kann nun auf zwei Arten auf ZuschauerInnen wirken. Entweder die Quelle des Sounds wird auch visuell dargestellt, sprich ‚On Screen‘, oder es spielen sich Ereignisse außerhalb des sichtbaren Blickwin-kels ab, also ‚Off Screen‘. Offensichtliche Beispiele für ‚On Screen‘ Sounds wurden vorher bereits angesprochen: Geräusche wie das Schließen von Türen, Fußschritte und andere Bewegungen der SchauspielerInnen sowie natürlich sprachliche Elemente, welche synchron zu den Lippenbewegun-gen abgespielt werden. ‚Off Screen‘ bezeichnet genau das Gegenteil, denn hier werden die Ereignisse tonal wiedergegeben, obwohl sie im Visuellen nicht sichtbar sind. Ein gutes Beispiel stellen hierbei Szenen dar, wo Cha-raktere aufgrund eines Zurufs von außerhalb des Sichtbaren reagieren, die rufende Person aber nicht gesehen, sondern nur gehört wird. Auch Atmos wie Straßenlärm oder sonstige auditive Hintergründe, die beispielsweise in einer bestimmten Szene eines Innenraums noch von außen eindrin-gen, werden als Off Screen bezeichnet, da eine direkte visuelle Referenz ausbleibt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich trotzdem um diegetische Sounds handelt, da deren Herkunft innerhalb der vom Film

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behandelten Geschichte bzw. des Standorts bestimmt ist. (vgl. Sonnen-schein 2001, 152f )

Zusätzlich werden noch aktive und passive Off Screen Sounds unterschie-den. Die aktiven werfen Fragen auf, welche Ereignisse sich im Unsicht-baren abspielen, da jegliches Bild fehlt, doch die Geräusche präsent sind. Die Passiven hingegen dienen eher als Lückenfüller und Platzhalter, um visuellen Schnitten und Bildwechseln auf der tonalen Ebene eine gewisse Stabilität zu gewähren. (vgl. Bordwell 2004, 366f )

Diese tonalen Eindrücke stellen also, egal ob diegetisch oder nichtdiege-tisch, On-, oder Off Screen mit Sicherheit eine immense Wichtigkeit für die Wahrnehmung und Glaubwürdigkeit des Films dar. Barbara Flücki-ger (2001, 140) unterstreicht diesen Gedankengang: „Das lautlose bewegte Bild erzeugt das Gefühl eines Mangels, [...] es fehlt ihr eine objektivierbare Zeitdimension.“ Für Flückiger (vgl. 2001, 141) stellt die Essenz des Filmes die Bewegung dar, welche laut vorherigem Ausspruch, ohne Sound nicht richtig funktionieren kann. Jedes Geräusch ist unmittelbar an das bewegte Bild und somit auch zeitlich gebunden.

Auch für Michel Chion (1994, 63) stellt der Zusammenhang zwischen Zeit und einem auditivem Impuls eine Signifikanz dar. Auf ihn geht auch der Terminus ‚Synchresis‘ zurück, der Folgendes bedeutet: „Synchresis (a word I have forged by combining synchronism and synthesis) is the spontaneous and irresistible weld produced between a particular auditory phenomenon and visual phenomenon when they occur at the same time. This join results inde-pentently of any rational logic.“

Barbara Flückiger (2001, 141) erklärt den Terminus noch verständlicher: „Die Synchrese beruht auf dem zuvor beschriebenen Mechanismus der Zu-ordnung von Reizen in verschiedenen Modalitäten. Sie ist eine Grundvor-aussetzung für die Substitution von Originaltönen durch die Praktiken der Nachsynchronisation, der Geräuschemacher und der Tonmontage.“

Chion (vgl. 1994, 63) macht Synchrese ebenso dafür verantwortlich, dass essentielle Arbeitsschritte in der Filmvertonung, welche gleichzeitig essen-tiell für die auditive Wahrnehmung des Publikums sind, überhaupt erst stattfinden können. Das nachträgliche Hinzufügen von Tonmaterial wird durch Synchrese ermöglicht und nur so erfahren die Zuschauer dramati-sche und prägnante Sounds, die im realen Leben kaum oder auch gar nicht klingen, respektive auditiv wahrnehmbar sind.

Dazu passend schildert Flückiger (vgl. 2001, 141f ) ein spezielles Beispiel für Synchrese im Medium Film, welches das Phänomen in Verbindung mit dem Publikum bringt. Der Faustschlag ist ein sehr bekannter und be-rühmter Sound, der vielen Menschen nur aus dem linearen Medium Film tonal bekannt ist. Das obligatorische Geräusch eines Faustschlages existiert

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in unserem normalen Umfeld nicht, selbst wenn ein unmittelbarer Schlag ins Gesicht aus nächster Nähe beobachtet werden kann, so würde der au-ditive Aufprall niemals so gewaltig und markant ausfallen, wie er den Zu-schauern aus Filmen bekannt ist.

Abschließend zu diesem Exkurs über die Synchrese, bzw. über deren Teil-begriffe des Synchronismus und der Synthese soll erneut Chions (vgl. 1994, 64f ) Meinung zum Thema der genauen, respektive nicht ganz ge-nauen Synchronität im linearen Medium betrachtet werden. Er stellt fest, dass Synchrese niemals ‚ganz oder gar nicht‘ auftritt, viel mehr definieren diese beiden Parameter der Genauigkeit den Stil und die Wirkung des Visuellen. Er beschreibt dabei französische Filme, bei denen es früher die Norm darstellte, dass die Synchronisation peinlichst genau mit dem Bild einherging, wobei hingegen dem italienischen Film eine gewisse Ungenau-igkeit zugeordnet wurde.

Es kristallisiert sich somit heraus, dass die Synchronität des Tonmaterials zum Film einen essentiellen Faktor für das Publikum darstellt und län-derspezifische Unterschiede auch heute noch existieren. Im deutschen Sprachraum stellt es eine Selbstverständlichkeit dar synchronisierte Filme zu rezipieren, in skandinavischen Ländern wirkt dies eher befremdlich und in Frankreich wird manchmal die französische Synchronisation bevorzugt. Daraus resultierend wird angenommen, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft die auditiven Eindrücke des linearen Mediums aufgrund ihrer Rezeptionsgewohnheiten verschieden interpretieren und rezipieren.

Realismus und die Täuschung des Publikums

„[...] Leonardo da Vinci evinced an amazement whose ‚navieté‘ I treasure, since it raises an issue that normally goes unnoticed concerning auditory rea-lism. He wrote, ‚If a man jumps up and down on his toes, his weight makes no noise.‘ In the cinema, and not just in action movies, a human body that falls is supposed to make a noise, to make us feel its mass to render the violence of the fall. Filmmakers therefore give noise to the body through sound effects.“ (Chion 2009, 237)

Eben wurde nur noch die Synchronität des auditiven Materials zum visu-ellen Medium Film besprochen und festgestellt, dass sie einen wichtigen Faktor für die Wahrnehmung des Publikums darstellt. In den meisten Fäl-len wird ein asynchrones Auftreten des Tonmaterials, ähnlich wie die vor-hin diskutierte Stille, eine verwirrende Wirkung erzielen und nur für eine Minderheit der ZuschauerInnen als bewusstes Stilmittel interpretiert wer-den. Eine synchrone auditive Untermalung zum Gesehenen erfährt dem-nach eine Wichtigkeit, da auch im echten Leben jede noch so geringe Be-wegung von einem realen Geräusch unterstützt. Doch Chions angeführtes Zitat macht deutlich, dass im Medium Film Sound immer überzeichnet

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wird. Es gilt zu untersuchen, ob Realismus im linearen Medium ebenso wie die Synchronität nur ein Stilmittel darstellt oder eine Wichtigkeit für das auditive Verständnis und die Wahrnehmung des Publikums erfährt.

Das Verständnis des Publikums oder zumindest das einiger Kritiker für die auditive Unterstützung des Films durch die Tonspur war laut Flückiger (vgl. 1994, 134f ) nicht immer vorhanden, ebenso die Selbstverständlich-keit für die Wahrnehmung einer überzeichnenden Vertonung visueller Ge-gebenheiten. Sie nennt die Filmtheoretiker Eisenstein, Pudowkin und Ale-xandrow, welche die Meinung vertreten, dass „die Tonspur als redundante Verdoppelung optischer Informationen“ (Flückiger 1994, 134) agiert. Auch wenn sich diese Überlegungen lange vor dem heutigen Mainstream-Film-Zeitalter abspielten, so sind die Gedankengänge durchaus interessant, so führt Flückiger ein Beispiel Busonis (1907, zit. n. Flückiger 1994, 134) an, welcher sich zwar mit der Thematik der Theatermusik auseinandersetzt, allerdings durchaus interessante Anhaltspunkte und Similaritäten für die Geräuschspur des linearen Mediums beinhaltet:

„Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem Fehler, dass sie die Vor-gänge, die sich auf der Bühne abspielen, wiederholen will, anstatt ihrer ei-gentlichen Aufgabe nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen während jener Vorgänge zu tragen. Wenn die Bühne die Illusion eines Gewit-ters vortäuscht, so ist dieses Ereignis durch das Auge erschöpfend wahrgenom-men. Fast alle Komponisten bemühen sich jedoch, das Gewitter in Tönen zu beschreiben, welches nicht nur eine unnötige und schwächere Wiederholung, sondern zugleich ein Versäumnis ihrer Aufgabe ist. [...] Was in der Seele des Menschen währenddessen vorgeht, das Unsichtbare und Unhörbare, das soll die Musik verständlich machen.“

Ein sehr interessantes Experiment könnte nun darstellen, die Begriffe ‚Musik‘ und ‚Bühne‘ durch die Termini ‚Sounddesign‘ und ‚Leinwand‘ zu ersetzen, um so einen Bezug zu unserem heutigen Zeitalter und dem Gen-re des Sounddesigns herzustellen: Der größte Teil neueren Sounddesigns leidet an dem Fehler, dass sie die Vorgänge, die sich auf der Leinwand ab-spielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen während jener Vorgänge zu tragen. Es wird festgestellt, dass durch das schiere Auswechseln der beiden Wörter, dieses Zitat aus dem Jahre 1907 eine beachtliche Aktualität er-fährt. Warum werden reale Sounds im Mainstream-Film im Nachhinein ersetzt?

Michel Chion (vgl. 1994, 95f ) steuert einen wichtigen Teil zu dieser The-matik bei. Mit seinen Erläuterungen zu ‚The Real and the Rendered‘, legt er als einer der Ersten einen Fokus auf die Differenzen zwischen re-alem und gerendertem Sound. Wenn er auf das ‚Reale‘ im Bezug auf das Medium Film eingeht, so spricht er von einer naturellen Beziehung, die

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zwischen dem Audio- und Bildmaterial vorherrscht. Das Reale würde so-mit eine unbearbeitete Aufzeichnung der Geschehnisse am Drehort wie-dergeben, ohne jegliche Nachbearbeitung und Überlagerung von fremdar-tigem Sound. Dem Publikum schlussendlich würde ein mehr oder weniger exaktes auditives Abbild der im Film gezeigten Standorte präsentiert, doch resultiert dieser Realismus auch in einer zufriedenstellenden Reaktion der Zuschauer? Dies beurteilt Chion (vgl. ebd.) negativ, und er führt dies zu-rück auf den Trend in den linearen Medien der Neuzeit, die kaum noch unbearbeitete Soundscapes beinhalten, sondern durchwegs von reprodu-zierten Inhalten durchdrungen werden.

Flückiger (vgl. 1994, 135f ) erörtert den Drang zur Reproduktion und Er-setzung der Tonspur im Medium Film mit einem geschichtlichen Beispiel. Zu Beginn der Filmvorführung war die niedrige Auflösung des Lichttons dafür verantwortlich, dass Geräusche, außer dem Publikum so wohlbe-kannte, dass diese ohne visuelle Verankerung erkannt werden konnte, durchwegs ausgespart wurden. Der äußerst unzureichende Frequenzgang des Lichttons resultierte in einer mäßigen Klanqualität des Soundtracks, beispielsweise konnte damals kaum der Klang eines Regenschauers von dem eines Applauses ohne eine visuelle Referenz unterschieden werden. „Das filmische Medium wurde aufgrund technischer Unvollkommenheiten und mangelnder Erfahrung der Rezipienten als brüchig empfunden.“ (Flü-ckiger 1994, 136) Ein Grund für den Drang nach Chions Begriff des ‚Gerenderten‘ oder der absichtlichen Überzeichnung der auditiven Ebene könnte also die anfängliche Unwissenheit und fehlende Kompetenz des Publikums gewesen sein.

„The creation of the sound track resembles the editing of the image track. Just as the filmmaker may pick the best image from several shots, he or she may choose what exact bit of sound will best serve the purpose.“ (Bordwell 2004, 353)

Bordwell (vgl. 2004, 353f ) diskutiert die Wichtigkeit für das nachträg-liche Erstellen und Verändern auditiver Inhalte nicht, er stellt diese Vor-gehensweise dem Editieren des Bildmaterials gleich, wie in seinem eben erwähnten Ausspruch deutlich wird. Erstens werden auch die Bilder nach-träglich editiert, sei es durch Schnitte oder etwaige Farbkorrekturen, zwei-tens erfolgt bereits oft am Drehort eine sofortige Wiederholung der eben gedrehten Szene, da eine perfekte visuelle Wirkung angestrebt wird. Chi-ons Terminus des ‚Gerenderten‘ könnte also ein Indiz dafür sein, dass auch auf der auditiven Ebene Perfektion angestrebt wird, um das Publikum auf gleichwertige Art und Weise zu erreichen.

Für Chion bringt die Reproduktion von Sound dennoch gewisse Prob-leme mit sich, die Bordwell nicht klar anspricht. Bordwell spricht von Perfektion und der Zusammengehörigkeit zwischen Bild und Ton, doch genau hier interveniert Chion (2009, 97f ), da er der Meinung ist, dass

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eine Reproduktion auditiver Bestandteile sehr oft in einem unbefriedigen-den Ergebnis resultieren kann:

„The most familiar example is the ‚mismatch‘ of an individual‘s voice and face when we have had the experience of getting to know one of them well before discovering the other. We never fail to be surprised, even shocked, when we complete the picture.“

Dieses Beispiel Chions lässt sich auch auf die anderen Bereiche der Ton-Ebene ausweiten, so können auch Elemente der Sounddesignspur vom negativen Effekt des ‚Mismatchs‘ beeinträchtigt werden. Wenn Fußschrit-te oder andere von SchauspielerInnen erzeugte Geräusche ungenügend re-produziert werden, so resultiert dies nicht nur in einer qualitativ schlech-ten und unvollständigen Tonspur, sondern auch in einem negativen Effekt auf das Bild.“They had to blame the failure of the picture on something. So they blamed it on Foley.“ (Larsen o. A. zit. n. Yewdall 2007, 402)

Auch wenn dieser Ausspruch Larsens wohl eher komödiantisch aufgefasst werden sollte, so übermittelt er doch eine gewisse Botschaft. So gut die Ergebnisse einer Reproduktion der auditiven Realität auch sein können, wirken sich Fehler umso gravierender auf das Verhältnis zwischen Bild und Ton und daraus resultierend auch auf das Publikum aus. Hierbei liegt die Problematik beim Zusammenspiel zwischen den Hörgewohnheiten der RezipientInnen und den gehörten Signalen, denn im echten Leben würde nie Asynchronität zwischen auditiven und visuellen Quellen wahrgenom-men werden können. Dieser Versatz ist in der realen Welt nicht existent und stößt deswegen beim Publikum auf Ablehnung.

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3.2 Lineares Medium Case Study - Avatar

James Camerons Film ‚Avatar‘ aus dem Jahre 2009 stellt auf vielen Ebenen eine Referenz dar, sei es die immense Produktionsdauer, der visuelle Stil des Films oder die Erschaffung einer computergenerierten Welt und die damit einhergehende Generierung einer fiktiven Klanglandschaft, neuer Tierarten und einer vollkommen neuen Sprache. Dieser Film fügt sich perfekt in die vorhergehende Bearbeitung des Realismus und der Nachbil-dung von Sound ein und auch bei dieser Analyse wird das Schema Barbara Flückigers (vgl. 2001, 383ff) leicht abgeändert übernommen und somit die Wirkung von Geräuschen, Musik und Sprache in einer speziellen Sze-ne analysiert.

Avatar findet auf dem entfernten Planeten ‚Pandora‘ statt. Menschen können hier ohne Hilfsmittel nicht atmen, deswegen erschaffen sie so-genannte Avatare, die von Menschenhand gesteuert werden können, um den Planeten Pandora zu erkunden. Die Ureinwohner Pandoras werden als Na‘vi bezeichnet und die Mission erhofft sich Aufklärung über ihr Verhalten, ihre Geschichte und ihr Leben auf diesem unbekannten Pla-neten. Der Hauptcharakter und ehemaliger Marinesoldat Jake Sully, der sich Aufgrund eines Unfalls im Gefecht nur noch im Rollstuhl fortbewe-gen kann, ersetzt seinen verstorbenen Bruder auf dieser Mission, befindet sich dabei allerdings in einem Zwiespalt: Einerseits verliebt er sich in die wunderschöne Umgebung Pandoras und die Na‘vi Neytiri, auf die er bei seinen Erkundungen stößt. Andererseits schuldet er Colonel Miles Qua-ritsch einen großen Gefallen, da dieser dafür verantwortlich ist, dass sich Jake zumindest als Avatar noch auf beiden Beinen fortbewegen kann und ihn dazu benutzt Hintergrundinformationen über das fremde Volk zu er-fahren, um diese endgültig von diesem sehr rohstoffreichen Planeten zu vertreiben. Weitere Charaktere in der nachfolgenden Szenenanalyse stellen die Ärztin Grace, die Pilotin Trudy und eine Masse von kämpfenden Sol-daten der Menschen und Na‘vi dar.

Die Szene beginnt bei 01:33:44 (Eine Stunde, 33 Minuten und 44 Sekun-den) mit einem Ausruf von Grace: ‚They are coming‘. Sie spricht dabei von den ankommenden, schwer bewaffneten Menschen, die versuchen den Le-bensbaum der Na‘vi zu fällen, welcher die Essenz ihres Lebens und für sie ein Heiligtum darstellt. Die auditive Ebene ist erfüllt vom Stimmengewirr der Na‘vi und hektischer orchestraler Musik im Hintergrund. Es wird be-reits auf der Tonspur signalisiert, dass das Unheil im Anmarsch ist, Grace‘s Schrei dient daher nur noch als Bestätigung. Die Na‘vi stellen sich dem Feind auf sprachlicher Ebene und es können laute Kampfschreie vernom-men werden. Die Musik wird lauter und es erfolgt ein Schnitt auf die ankommenden Flugzeuge der Menschen. Die Luft ist erfüllt mit heliko-pterartigen Geräuschen, sehr kompakte Hubschrauber umkreisen hierbei das Mutterschiff, welches sich durch ein tiefes bassiges Motorengeräusch

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charakterisieren lässt. Als zusätzlicher Sound tritt nur eine im Frequenz-gang stark beschnittene Stimme in der Vordergrund, welche den Funkver-kehr zwischen den Flugzeugen hörbar macht. Diese lässt vernehmen, dass sich die Menschen dem Lebensbaum der Na‘vi stetig nähern. Die Musik wird immer präsenter, als sich die Fluggeräte aus dem Fokus der Kamera entfernen, die musikalische Ebene tritt mit lauten Trommelschlägen und Bläser-Fanfaren immer mehr in den Vordergrund, bis sie schlussendlich bei 01:34:18 in einer bedrückenden und beängstigenden Stille resultiert.

Es erfolgt ein Schnitt auf die verunsicherten Na‘vi, sowie auf Jake und Grace, die aufgrund der menschlichen Angriffe ebenfalls als Verräter ge-sehen werden und somit gefesselt sind. Im Hintergrund kann eine leichte musikalische Untermalung eines Chores gehört werden, zusätzlich wirkt eine luftige Atmo, welche die vermeintliche Ruhe vor dem Sturm auf der auditiven Ebene repräsentiert, denn im linken Stereokanal kann bereits ein schwaches Signal der nahenden Hubschrauber vernommen werden. Mit dem gleichzeitigen Ansteigen dieser Lautstärke versuchen die beiden Protagonisten die Na‘vi vor ihrem Unheil zu bewahren, rufen laut zum Rückzug auf, doch das Volk ist fest entschlossen sich dem Kampf zu stel-len. Plötzlich tauchen die menschlichen Fluggeräte hinter einer Lichtung auf, mit ihnen setzt eine treibende Musik ein, die durch Bläser und Trom-melschläge eine sehr bedrohliche Stimmung erzeugt. Auf der visuellen Ebene sieht man die verängstigten Gesichter der Na‘vi, was auf der audi-tiven Ebene durch verstreute Schreie der einzelnen Soldaten repräsentiert wird. Den Ruhepol strahlt nur deren Kommandant aus, der versucht das hektische Treiben mit lauten, bestimmten Ausrufen zu koordinieren. Die Flugzeuge sind nun an ihrem Ziel angelangt und das Rotorgeräusch wird durch einen sehr lauten, tieffrequenten Ton unterstützt, welches zusätzlich den Eindruck der massiven Kraft der Maschine erzeugt.

Bei 01:35:04 halten die Flugzeuge vor den Na‘vi ein, deren erste Reittiere ängstlich aufschreien und zu fliehen versuchen. Generell kann eine au-ditive Unruhe festgestellt werden, die vom Frequenzbild gewaltige und tieffrequente menschliche Seite steht einem sehr aufgeräumten und bassar-men der Na‘vi gegenüber, womit die Überlegenheit der Menschen erneut dargestellt wird. Der maschinell erzeugte Wind bläst dem Volk ins Gesicht und sie können den Fokus kaum gen Himmel legen. Sie verändern nach Anordnung des Kommandanten ihre Lage und es erfolgt ein Schnitt in das Innere des menschlichen Mutterschiffs.

Wir befinden uns nun bei 01:35:10 im Inneren des Hauptflugzeugs der Menschen, die Geräusche von außen werden im hohen Frequenzbereich stark beschnitten, es können die Motorengeräusche auf der Soundde-sign- und stark reduzierte Violinenklänge auf der musikalischen Ebe-ne wahrgenommen werden. Nach dem Ausspruch Colonel Quaritschs ‚That is one big damn tree‘, erfolgt ein visueller Schnitt auf die Krone des

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Lebensbaumes und die Musik tritt wieder in den Vordergrund. Danach wird wieder in das Cockpit gewechselt, wobei der Colonel die letzten An-weisungen für den Angriff verkündet.

Die ersten Schusswaffen, die außen an den Flugzeugen befestigt sind, bringen sich bei 01:35:32 mit einem mechanischen und ‚knarzenden‘ Ge-räusch in Stellung. Mit dem ersten Schuss beginnt auch die Musik wieder mit einem dramatischen Moll-Charakter, es erfolgt ein Schnitt unter die mächtigen Wurzeln des Lebensbaumes, wo schutzsuchende Na‘vi von den ersten Tränengaskartuschen getroffen werden. Schlussendlich bricht hier nun die Panik aus, auf auditiver Ebene wirken alle drei Elemente nun zusammen: Die Musik liegt etwas im Hintergrund, verstärkt jedoch den Effekt der Angst, im Vordergrund befinden sich die Schreie und hektische Fußschritte, die ein ‚Rennen um zu Überleben‘ charakterisieren. Gleich-zeitig eröffnen auch die Krieger der Na‘vi das Feuer auf die Flugzeuge und versuchen mit Pfeil und Bogen ihrem Untergang entgegenzuwirken. Auch hier wirken die dünnen Sounds der fliegenden Pfeile wieder sehr skurril im Gegensatz zu den mächtigen Waffen der Menschen, die nun bei 01:36:20 das Feuer auf die Na‘vi und den Lebensbaum mit explosiver Munition eröffnen.

Die Auswahl dieses Films für diese Case Study ist mit Sicherheit auf den unglaublichen Aufwand zurückzuführen, der bei diesem Film von den Soundschaffenden betrieben wurde, um dem Publikum die Eindrücke vom Planeten Pandora zu vermitteln. Supervising Sound Editor Christo-pher Boyes (vgl. 2010) spricht von der Herausforderung der Erschaffung einer komplett neuen auditiven Welt, welche komplett im Gegensatz zu der vorhergehenden Realismus-Debatte von Michel Chion steht. Es wäre schlichtweg unmöglich gewesen, den Sound am Standort aufzunehmen, da auch die Welt Pandora nicht real, sondern ‚rendered‘ ist.

Ein sehr interessanter Aspekt, der erst während des Analysevorgangs hörbar wurde, stellte die Differenz zwischen den Maschinerien der Menschen und den Fußsoldaten der Na‘vi dar. Natürlich wird bereits auf visueller Ebe-ne die Übermacht der Menschen aufgrund der schieren Größe der Flug-geräte und deren Waffe transportiert. Der Sound übernimmt allerdings eine ebenso wichtige Funktion: Menschliche Geräusche sind während der Szene durchwegs sehr präsent in den tiefen Frequenzen und strahlen da-durch eine besondere Macht und Gewalt aus. Die Geräusche der Na‘vi wirken konträr, ihr leichter und höhenlastiger Klangcharakter stellt das Volk scheinbar auch auf auditiver Ebene in die Unterlegenheit.

Boyes erläutert eine weitere große Differenz, die zwischen dem Basiscamp der Menschen und dem restlichen Planeten liegt und zusätzlich zum Vi-suellen auch auf der Tonspur markant unterschiedlich dargestellt wird. Im Basiscamp herrschen grundsätzlich graue und sterile Farbtöne, die

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Geräusch-Untermalung fällt also auch hier sehr höhepunktslos aus. Ge-gensätzlich dazu zeigt sich die bunte und prächtige Welt Pandoras, wobei der Sound eine dschungel-artige Atmosphäre schafft und fantastische Tie-re mit verschiedenen realen Tiersounds kombiniert werden, um neuartige Wesen zu erschaffen.

„One would hope from where I sit in my chair that an audience could close their eyes at any given moment when we‘re flying around with the banshees or when we‘re walking through the forest and they could close their eyes and then say ‚Yes, I know I am on Pandora‘.“ (Boyes 2010)

Boyes Beschreibung des Publikums stellt einen passenden Abschluss für diesen Abschnitt dar. Die Erreichung der Zuschauer mit komplett gene-rierten und neuen Soundscapes ist ein Zeugnis dafür, dass von den Sound-schaffenden gute Arbeit geleistet wurde. Es ist ihnen gelungen eine präch-tige visuelle Welt auch auf auditiver Ebene äquivalent klingen zu lassen. Ein Grund für dieses passende Zusammenspiel könnte sein, dass stets auf dem hörenden Individuum bekannte Sounds zurückgegriffen wurde, die dann gewisse Veränderungen, Transformationen und Kombinationen mit anderen auditiven Quellen erfuhren, um beispielsweise in einem ‚neu‘ klingenden Lebewesen zu resultieren. Wenn ‚neue‘ Sounds zusätzlich In-formationen von ‚alten‘, bereits bekannten Geräuschen beinhalten, so fällt es dem Publikum leichter diese zu registrieren und wahrzunehmen.

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3.3 Linearität vs. Interaktivität

Bis zu diesem Teil der Arbeit wurde, wenn von Medien die Rede war, meistens vom linearen Medium Film gesprochen und welche Faktoren das Publikum dabei auditiv wahrnehmen kann. Im Laufe der Zeit entwickel-ten sich allerdings auch die Hörgewohnheiten der RezipientInnen von in-teraktiven Medien maßgebend weiter, denn in heutigen Computerspielen ist Sound qualitativ weit entfernt von den anfänglichen statischen und synthetischen Klängen.

„Some people regard game audio with very little respect, for several reasons. First of all, game audio is currently being compared to audio in film and televi-sion in terms of dramatic effect and production quality, but for most part it has not yet reached the standards of film in that regard.“ (Brandon 2005, 195)

Der angesprochene Vergleich von Brandon soll definitiv eine Behandlung innerhalb dieses Kapitels erfahren, da seine Feststellung sehr kritisch zu be-trachten ist. Ein Vergleich zum Film ist in jedem Fall notwendig, doch soll hier keineswegs auf die Produktionsketten und Workflows eingegangen, sondern auf die auditive Wirkung innerhalb dieser beiden Medien fokus-siert werden. Zu Beginn müssen die Termini ‚Linearität‘ und ‚Interaktivi-tät‘ jedenfalls erläutert werden, um eine nachfolgende Gegenüberstellung und den Vergleich zu ermöglichen.

Andrea Lehr (vgl. 2005, 10) führt in ihrer Arbeit den Begriff Linearität auf Ferdinand de Saussure zurück: „Er beschreibt Linearität im mündlichen Medium als die unumgängliche Existenz zeitlich determinierter, eindeutiger Vorgänger- Nachfolger-Relationen innerhalb einer Lautkette.“ (Lehr 2005, 10). Nun handelt es sich bei dieser Erklärung um eine sprachwissenschaft-liche Deutung des Begriffs, doch Lehrs Definition ist aufgrund vorheriger Erläuterungen bezüglich Bewegtbild und zeitlicher Gebundenheit sehr passend. Die Feststellung „Jedes Geräusch ist unmittelbar an den Film und somit auch zeitlich gebunden.“ (Siehe Kapitel 2.1) erklärte bereits den Zu-sammenhang zwischen der auditiven und der visuellen Ebene im Film. Der Film wird somit als lineares Medium bezeichnet, da jegliche Aktion, sei es bildlich oder tonal auf einer Zeitebene fest verankert ist.

Der Terminus ‚Interaktivität‘ ist wesentlich komplexer zu definieren, da er von verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen behandelt wird und aus diesem Grund auch sehr vielschichtige Interpretationen vorweist. Es soll keine Aufgabe dieser Arbeit darstellen, eine weitreichende und genaue Erläuterung dieses Begriffs zu erzielen, eine Definition, um den Vergleich zum Linearen darzulegen, ist dennoch wichtig. Tobias Furtschegger (vgl. 2010, 9) führt in seiner Arbeit, die Interaktivität und Interface behandelt, das Schach-Beispiel Stefan Zweigs an, um einer Erklärung des Begriffs näher zu kommen. Schach wird im Grunde zwischen zwei Individuen

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ausgetragen, Schwarz und Weiß. Die Handlung des einen bestimmt die des anderen und die beiden interagieren. Lehr (2005, 13) beschreibt den Begriff folgendermaßen:

„Während die Soziologie das Phänomen der Interaktion auf Wechselbeziehun-gen zwischen menschlichen Handlungen einengt, versteht man in der psycho-logischen Forschung unter Interaktion jegliches Einwirken eines Menschen auf seine soziale oder materiale Umgebung, das wiederum aufgrund der Verände-rungen, die er auf diese Weise erreicht hat, auf ihn zurückwirkt.“

Im Gegensatz zum Film lebt das interaktive Medium von der Wechselbe-ziehung zwischen Mensch und Maschine. „Ein System interaktiv zu nennen heißt, es mit magischen Kräften auszustatten.“ (Aarseth 1997, zit. n. Mer-tens 2004, 272) Der/Die SpielerIn wirkt in diesem magischen System mit gewissen Funktionen auf das Programm ein, dieses reagiert mit entspre-chenden Maßnahmen und so erhalten Spieler auch individuelles auditives Feedback. Dieses Feedback ist nur begrenzt an eine zeitliche Achse gebun-den, es wird situationsbedingt ausgelöst und stellt somit den markantesten Unterschied zwischen Film und Videospiel dar.

Natürlich gibt es noch weitere Differenzen, wenn beispielsweise die Pro-duktionsarten der beiden Medien betrachtet werden, welche aber bereits in diverser Fachliteratur ausführlich behandelt wurden. Es soll hier die Rezeption des Publikums oder der Spielenden im interaktiven Medium betrachtet und die Frage ‚Was hören Spielende im Videospiel?‘ bearbeitet werden.

Im vorigen Abschnitt wurde bereits ausführlich auf die Erläuterung von Off-Screen-Signalen im Medium Film eingegangen. Dieser Effekt erfährt auch für das Computerspiel eine sehr hohe Bedeutung, auch wenn diese überhaupt nicht interaktiv beeinflussbar sind. Im Spiel agieren sie eher als akustischer Hintergrund, um dem Spieler ein Zurechtfinden innerhalb ei-nes Levels zu gewährleisten. Bridgett (vgl. 2010, 61f ) beschreibt in seinem Text den markanten Unterschied dieser Off-Screen-Elemente und ihrer Bedeutung für das jeweilige Medium, denn er sieht sie als maßgebend, um Spielende in die Welt des Spiels zu integrieren. Im vorigen Kapitel wurde festgestellt, dass Geräusche, welche nicht im sichtbaren filmischen Bereich agieren, zwar eine Signifikanz für das Verständnis der Szene darstellen, doch Bridgett (2010, 61) misst ihnen im interaktiven Raum eine größere Bedeutung zu:

„It occurs to me that a lot more can be done with these off-screen sounds in order to immerse the player in the game world. When the game involves scenes set in relative visual darkness, the off-screen sound is able to become more active and play a wider role. That is to say, the sound, in these visually sparse

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moments, becomes functional to the navigation of the player beyond merely setting the scene, because their visual senses have been curtailed.“

Diese Sounds erfahren für Spielende demnach eine äußerst hohe Relevanz, auch wenn sie linear im Hintergrund agieren, erfüllen sie für den/die Spie-lerIn eine wichtige Funktion. Off-Screen-Sounds können allerdings auch an wichtige Spielelemente geknüpft sein, welche sich nicht linear im Spiel bewegen, sondern gleichzeitig interaktiv von einer künstlichen Intelligenz oder einem/einer anderen SpielerIn gesteuert werden. Fußschritte stellen hierbei ein gutes Beispiel dar und erläutern die Wichtigkeit, die von Off-Screen-Elementen im interaktiven Medium ausgehen. Spielenden wird durch das Leiser- und Lauterwerden der Fußschritte signalisiert, dass ein Gegner oder ein Freund sich nähert. Aufgrund dieser auditiven Informa-tion wird das nächste Handeln, der nächste Schritt beeinflusst. Fällt ein Schuss und verfehlt den/die SpielerIn nur knapp, so wird die eingeleitete Aktion andere Maßnahmen hervorrufen, als wenn aus dem Off-Screen eine freundliche Stimme ertönt, die um Hilfe ruft. (vgl. Bridgett 2010, 61)

Nach dieser ersten Bearbeitung wird bereits erkannt, dass es sich als äußerst schwierig erweist die Wirkung von Sound-Design in Videospielen anhand von Literatur zu erläutern. Die meisten Werke beziehen sich explizit auf musikalische Immersion und bearbeiten im Bezug auf die interaktive Ge-räuschebene nur den Produktions-, oder Programmierstandpunkt. Es soll nun versucht werden bekannte Beispiele und Regeln, welche für Musik im Computerspiel gelten auf die Sounddesign-Ebene zu transferieren, um festzustellen, welche Differenzen wirklich zwischen Film und Game liegen und was Spielende im interaktiven Medium zu hören bekommen.

„The basic rule to composing interactive game music: any change in the sound-track must blend with any other music cue at any time.“ (Marks 2001, 192). Marks Beispiel zur musikalischen Ebene kann problemlos auch auf das Sounddesign übertragen werden. Die Unberechenbarkeit von Spielenden wirkt sich genauso auf die Geräuschentwicklung des Protagonisten aus. Auf welchem Untergrund befindet sich der/die Spielerin gerade, läuft, springt, oder steht er/sie? Welche Richtung wird der/die Spielende als nächstes ein-schlagen und welche auditiven Ereignisse liegen auf dem gewählten Weg?

Während es für die Musik, sei es jetzt im interaktiven oder linearen Medi-um, dramaturgische Grundkonzepte gibt, so fällt es schwer diese Kriteri-en auch auf die Sounddesign-Ebene zu übertragen. Nach Schneider (vgl. 2005, 24) werden folgende musikdramaturgische Konzepte unterschieden:

• Mit der Handlung spielen (,Paraphrasieren‘)

• Gegen die Handlung spielen (,Kontrapunktieren‘)

• Den Subtext der Handlung spielen (,Polarisieren‘)

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Sounddesign und das Publikum

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Diese Termini sollten Soundschaffenden definitiv bekannt sein, allerdings eben nur im Bezug auf die musikalische Ebene. Kann dieses Modell nun auch in der auditiven Untermalung des interaktiven Mediums funktionie-ren? Weidinger (2006, 15) definiert den Terminus ‚Paraphrase‘ folgender-maßen: „Mit der Handlung zu spielen bedeutet, direkt die offensichtlichen Vorgänge und Emotionen einer Geschichte musikalisch zu reflektieren.“ Nun spricht Weidinger explizit von einer musikalischen Reflektion, doch wird die Paraphrase vom Sounddesign-Standpunkt betrachtet, so kann eine äu-ßerst interessante Feststellung getätigt werden. In nahezu jedem Compu-terspiel ereignet sich paraphrasierendes Sounddesign. Gehen Spielende, so werden passende Fußschritte abgespielt, schießen sie, so ertönen die rich-tigen Schussgeräusche. Natürlich ist diese Tatsache nicht nur im Video-spiel zu beobachten, auch im Film wirken die meisten Soundeffekte nicht kontrapunktierend oder polarisierend, Komödien und Cartoons ausge-nommen. Ein Grund dafür, dass Soundeffekte in Videospielen durchwegs paraphrasierend wirken müssen, könnte die Funktion des Auditiven als Feedback für Spielende sein. Der/die Spielerin muss auf der Sound-Ebene erfahren, auf welchem Untergrund er/sie sich gerade befindet oder welche feindliche Einheit ihm/ihr sich nähert.

Genau aus diesem Grund würde die Kontrapunktierung wohl in einem ne-gativem Empfinden der/des Spielenden resultieren: „Gegen die Handlung spielen, oft auch ‚Kontrapunktieren‘ genannt [...] setzt eine klare Botschaft im Bild oder der Geschichte einen eigenen deutlichen Standpunkt entgegen.“ (Weidinger 2006, 16). Das würde bedeuten, dass gewohnten Geräuschen wie Fußschritten oder Schüssen gegensätzliche Sounds zugeordnet werden würden. Die Funktion des Kontrapunkts stellt mit Sicherheit keine audi-tive Relevanz in interaktiven Medien dar.

„Durch ‚Polarisieren‘ kann eine Tür hoffnungsvoll erscheinen, eine Bergwand gefährlich, eine Wolkenformation heilig-verbrämt. Ausdrucksarme Bilder [...] erhalten dadurch eine Emotionalität.“ (Schneider 1997,24). Die eben be-schriebene Funktion der Polarisation könnte durchaus einen sehr interes-santen Effekt auf die Sounddesign-Ebene nehmen. Im Medium Film gibt es unzählige Beispiele, wobei nicht nur die Musik, sondern auch die Ge-räusche polarisierend wirken. Im Computerspiel allerdings wird nach wie vor großteils paraphrasierend gearbeitet, das Verständnis der Spielenden muss definitiv im Vordergrund stehen.

Wie bereits festgestellt, erweist es sich als schwierig, wenn nicht sogar als unmöglich die musikdramaturgischen Grundkonzepte auf Sounddesign zu übertragen. Bridgett (2010, 83) beschreibt allerdings mit folgendem Ausspruch die Wichtigkeit auch im interaktiven Medium, den großen Bruder der Linearität immer im Auge zu behalten, genau so wie versucht wurde dieses musikalische Konzept mit den Geräuschen zu verknüpfen:

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„There is an enormous wealth of information written about film sound that creates a rich and valuable seam of inforamtion and ideas about how viewers read films. I strongly believe that those working in video game sound can learn incredible amounts from examining film techniques and texts and thinking about how those ideas and concepts can be more successfully applied to games.“ (Bridgett 2010, 83)

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3.4 Interaktives Medium Case Study - Battlefield 3

Im Gegensatz zu den vorhergehenden Studien wird die folgende keine Bearbeitung einer speziellen Szene eines Films bearbeiten, sondern auf ei-nen Abschnitt des erfolgreichen Videospiels ‚Battlefield 3‘ eingehen. Die Wahl fiel bewusst auf dieses Spiel, da bereits der Vorgänger ‚Battlefield - Bad Company 2‘ einen auditiven Standard im interaktiven Medium neu definierte, wie das Zweitwerk des Autors dieser Arbeit wie folgt beschrieb:

„Dieses Spiel erreicht durch seine einerseits penibel aufgenommenen und be-arbeiteten Soundeffekte, andererseits durch die durchdachte und aufwändige Implementierung in puncto Sound einen Level, der bis dato nicht erreicht wor-den ist. ,Bad Company 2‘ zeigt das Ergebnis eines Prozesses, welche von vorn bis hinten durchdacht wurde und nun viele Spielende durch eine fesselnde Soundscape in den Bann zieht. Spiele der neueren Generation könnten sich bei diesem Videospiel Inspiration für die auditive Umsetzung holen, um eventuell ein ähnlich fesselndes Erlebnis zu gestalten.“ (Philipp 2010, 37)

Dem Entwickler DICE ist es mit dem dritten Teil ihrer erfolgreichen Serie gelungen ihre selbst definierten Standards der Game-Vertonung nochmals zu übertreffen, mehr als 60 Auszeichnungen und Awards sprechen ein-deutig dafür. (vgl. battlefield.com 20127) Dieses Spiel ist dem Genre der ‚First Person Shooter‘ zuzuschreiben, wobei der Fokus dieser Analyse den preisgekrönten Mehrspieler-Modus betrachten wird.

Im Unterschied zu den vorherigen Forschungen an linearen Medien kann beim Videospiel kaum eine gezielte Analyse erfolgen ohne einen Partner an der Seite zu haben, welcher die grundlegenden Befehle tätigt und auch mit dem Spiel interagiert. Diese Studie benötigt also einen weiteren Spie-ler, um eine objektive Betrachtung des Geschehens zu ermöglichen, in-folge dessen hat sich ein Proband dazu bereit erklärt folgendes Szenario durchzuspielen:

Der Proband, im weiteren Verlauf dieses Abschnitts auch als ‚der Spieler oder Spielende‘ bezeichnet, wird ein Multiplayer Gefecht in Battlefield 3 spielen, wobei der Autor dieser Arbeit, auch als ‚der Beobachter‘ be-zeichnet, das Geschehene und Gehörte observiert und die Handlungen des Spielenden aufgrund auditiver Eindrücke beschreibt und analysiert. Auch hier werden wieder Barbara Flückigers (vgl. 2001, 383ff) Methoden aufgegriffen, denn auch wenn im Computerspiel keine Linearität herrscht und der Spielende selbst seinen Weg durch das Level bestimmen kann, löst er permanente auditive Events der Sprache, Musik und Soundeffekte mit seinen Handlungen aus, welche ihn in gewisse Richtungen leiten oder in andere flüchten lassen.

7 http://www.battlefield.com/battlefield3/1/awards

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Der Proband startet das Spiel, er befindet sich im Ladescreen, welcher von einem sehr dezenten, synthetisch und nicht orchestral klingenden Musikbett untermalt wird. Jede Bewegung des Cursors wird von einem sehr minimalistischen Button-Sound unterstützt, der Spieler erkennt, dass er sich so durch das Menü bewegt. Der Ladescreen bleibt bestehen, doch der vorher blaue und nur Statistik-wiedergebende Screen weicht dem Kriegsschauplatz. Der Spieler sieht einen ablaufenden Countdown, welcher gleichzeitig von subtilen Klickgeräuschen begleitet wird, andere Spielende finden sich nun zur gleichen Zeit im Geschehen ein, wartend auf den Beginn des Gefechts. Das Spiel beginnt und es können die ersten Schüsse der Mitspieler wahrgenommen werden. Es befinden sich einige Fahrzeuge in unmittelbarer Nähe des Startpunkts und es dauert nur ei-nen Augenblick, bis sich alle Mitspieler in selbigem eingefunden haben. Der Spieler entscheidet sich für den Hubschrauber und betritt diesen per Buttonclick. Sofort wird auch auf der auditiven Ebene das Betreten des Fluggeräts signalisiert, die Klangatmosphäre der Außenwelt wird in den Höhen stark beschnitten und es kann das lauter werdende Knattern der Rotorblätter wahrgenommen werden, da der Spielende den Beschleuni-gungsknopf gedrückt hält. Kurz vor Abflug findet sich ein weiterer Spieler im selben Hubschrauber ein, welcher den Heckenschützenplatz besetzt. Die Klanglandschaft wird nach dem Abheben regiert von den wilden, ziel-losen Schüssen des zweiten Passagiers, der anscheinend ohne jegliches tak-tisches Gefühl die Salven im Luftraum verteilt. Es dauert nicht lange, bis ein feindlicher Kampfjet ebenfalls die Schüsse hören kann, welche gleich-zeitig in einer Sichtbarkeit auf dem Radar der Gegner resultiert. Kurze Zeit später wird der Hubschrauber des Spielers schwer getroffen, es ertönt ein sirenenartiges Signal, welches dem Spielenden signalisieren soll, dass es an der Zeit wäre den beschädigten Hubschrauber zu verlassen. Durch eine Fehlreaktion des Spielenden, welcher auf den falschen Knopf zur falschen Zeit drückt, scheitert der Ausstieg per Schleudersitz und das Fluggerät ex-plodiert mit einem lauten Knall. Der Spieler stirbt und befindet sich nun in einem weiteren Ladescreen, wobei es hierbei zu betonen gilt, dass zum ersten Mal seit dem Ladebildschirm vor Spielbeginn eine musikalische Untermalung stattfindet. Diese lässt sich ebenfalls als sehr ruhig und eher traurig charakterisieren, starke Rhythmen und treibende Klänge werden vollkommen ausgespart. Zusätzlich erfahren alle Geräusche, welche im selben Moment in der Umgebung ertönen, eine starke Beschneidung in den Höhen, welche dem Spielenden zusätzlich die Abwesenheit aus dem Geschehenen darlegt.

Der Proband entscheidet sich nach dem fehlgeschlagenen Luftkampf für das Erkunden des Gebiets ohne Flug- oder Fahrzeuge. Er drückt den lin-ken Mini-Stick des Xbox360-Controllers nach vorne und zeitgleich er-tönen die ersten Fußschritte. Im Moment befindet er sich noch auf As-phalt, was auch auf der auditiven Ebene adäquat wiedergegeben wird.

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Während des Laufens können auch die reibenden Kleidungsgeräusche und die subtilen Bewegungen der getragenen Waffen gehört werden. Jedes Wechseln der Schusswaffe wird ebenso mit einem sehr dezenten metalli-schen Geräusch unterstützt, jede Waffe hat hier, je nach Größe, einen in-dividuellen Foley-Charakter. Der Spielende erspäht einen weit entfernten Spieler und eröffnet das Feuer. Die ertönenden Schussgeräusche stellen nun den lautesten Anteil der Klanglandschaft dar, selbige fallen auch der Umgebung entsprechend in ihrem Nachhall ab. Der Spieler trifft den Geg-ner, was nur durch ein aufscheinendes Fadenkreuz indiziert wird, auf der auditiven Ebene erhält er dafür kein Feedback. Der gegnerische Soldat er-widert die Schüsse, der Proband geht hinter einem Stein in Deckung, doch der Gegner feuert weiter in seine Richtung. Im Stereofeld kann das schnel-le Vorbeiziehen der Salven sehr gut wahrgenommen werden, gleichzeitig werden Einschläge in die schützende Steinwand detailgetreu wiedergege-ben. Der Spieler versucht als nächsten Schritt aus seiner Deckung hervor-zutreten und wird im selben Moment vom Feind getroffen. Diese Aktion wird von einem markanten, schneidenden Sound unterstützt, es klingt, als würde die Kugel wirklich in das Fleisch des Spielenden eintreten. Dem Spielenden gelingt es allerdings den Gegner zu überwältigen, dieser fällt zu Boden, was ebenfalls durch die passenden Geräusche unterstützt wird.

Zeitgleich fliegen Düsenjäger und Helikopter über den Kopf des Spielers hinweg, welche sich jedoch rasch aus der Klanglandschaft entfernen und somit eine ruhige, bedrohliche Stimmung hinterlassen. Eben noch war die Soundatmosphäre erfüllt vom Schlagabtausch der beiden Spieler, nun herrscht die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Bis zum jetzigen Zeit-punkt sind genau eine Minute und 15 Sekunden reine Spielzeit vergangen und der Spielende wurde bereits mit einem Feuerwerk an individuellen Soundeffekten konfrontiert, die je nach Situation abgespielt und gleich-zeitig mit dem richtigen Klangverhalten in die Spielumgebung eingebettet wurden. Aufgrund der Masse an auftretenden Klängen und Geräuschen wird das Spiel an dieser Stelle abgebrochen und der Proband befindet sich wieder im anfänglichen Menü des Spiels, in dem er erneut mit der ruhigen musikalischen Atmosphäre konfrontiert wird, welche seinem Gehör eine kurze Pause verschafft bevor eine neue Runde startet.

Es ist schier unglaublich, was Battlefield 3 audiophilen SpielerInnen bie-tet. Die Frage ‚Was hört das Publikum?‘ bzw. ‚Was hören Spielende?‘ ist hier sehr schwierig zu bearbeiten, da eine sehr große Anzahl an Sounds permanent auf den ausführenden Spieler wirkt und dieser sich zusätzlich zu der Soundverarbeitung im Gehirn noch mit den Gegnern, respektive dem kompletten Spielprinzip auseinandersetzen muss. Dies resultiert aber keineswegs in einem schlechten Spielerlebnis, respektive in einer unbe-friedigenden auditiven Rezeption. Dem externen Zuseher fällt es wesent-lich leichter den Spielenden in seinem Handeln zu beobachten und die

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direkten auditiven Ereignisse seinen Aktionen zuzuweisen. Diesem Beob-achter scheinen die Geräusche des Spiels eher linear, da dieser nicht direkt an der Interaktion beteiligt ist. Der Spieler selbst wird von den Sounds kaum abgelenkt, sie wirken als Wegweiser, als dramaturgisches Stilmittel, natürlich als Warnsignal und des Öfteren auch als Belohnung. Dabei sind die vorher bereits erwähnten ‚Off-Screen‘ Sounds in diesem Spiel von im-menser Signifikanz. In den meisten Fällen wurde der Proband teils visuell, teils auditiv darauf aufmerksam gemacht, dass er sich nach links oder rechts drehen sollte, um sich auf bevorstehende Ereignisse vorbereiten zu können. Die ‚On-Screen‘-Sounds erfahren ebenfalls große Aufmerksamkeit. Der Sound der Fußschritte ist allgegenwärtig und teilt die Beschaffenheit des begangenen Terrains mit sowie ein bestimmtes Klickgeräusch des Gewehrs verkündet, dass sich keine Munition mehr im Magazin befindet und des-wegen nachgeladen werden muss. Auch die markanten Schussgeräusche werden von Spielenden On-Screen ausgelöst, die klar differenziert von den Off-Screen-Schüssen der Gegner wahrgenommen werden können.

Des Weiteren ist anzumerken, dass alle Soundeffekte paraphrasierend wir-ken, denn wie bereits erwähnt, wäre eine polarisierende oder kontrapunk-tische Vertonung nicht zielführend und würde Spielende verwirren und in ihrem Handeln störend beeinflussen. Spielende werden mittels paraphra-sierender, auditiver Eindrücke durch die Spielwelt geleitet: One can look at seeing - and sound can steer hearing. (vgl. Toop 2010, 69)

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Conclusio

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4. Conclusio

In diesem finalen Kapitel wird die Studie ‚The Audience Is Listening - Vom Hören und Wahrnehmen‘ die Beantwortung der Forschungsfrage, was das Publikum hört, respektive wahrnimmt, anstreben und eine Zusammenfas-sung der behandelten Aspekte und Themen der einzelnen Kapitel bieten.8 Um eine Beantwortung der Forschungsfrage zu präzisieren, werden einer-seits Schlüsse aus der weitreichenden Literaturrecherche gezogen und des Weiteren auch eigene Erfahrungen aus dem aktuellen Arbeitsumfeld der linearen und interaktiven Medien produktiv eingebracht.

Das erste Kapitel stellte den größten und ausführlichsten Teil dieser Ar-beit dar, denn es kristallisierte sich während der Recherche zum Thema der Geschichte des Hörens die immense Wichtigkeit für unser heutiges Hörverständnis heraus. Eine anfängliche Erklärung des menschlichen Ohrs war signifikant, der Fokus musste zuerst auf die Funktionsweise des Hörorgans und auf die spätere Weiterverarbeitung im Gehirn gelegt wer-den, um überhaupt ein Verständnis dafür zu generieren, warum und vor allem wie eigentlich gehört und auditiv wahrgenommen werden kann. Es wurde erschlossen, dass bestimmte Frequenzen, welche sich besonders im Bereich der Sprache ansiedeln und lautere Quellen vom Ohr offensichtlich besser wahrgenommen werden. Des Weiteren wurde festgestellt, dass das menschliche Hörorgan nach stetiger und dauerhafter Beschallung ermüdet und so die auditive Wahrnehmung stark darunter leidet. Dieser Bearbei-tung des Hörapparates folgte eine historische Auseinandersetzung des Hö-rens. Besonders die Umstände der Zeit vor der industriellen Revolution, speziell der Übergang vom Handwerk zur maschinellen Produktion wird als eine essentielle Entwicklung im Bereich der menschlichen auditiven Wahrnehmung erachtet. Auch wenn stellenweise Schaefers Aussagen - bei-spielsweise jene der Beschreibung des Schmieds als lautestes Objekt in da-maligen Dörfern und Gesellschaften, dem jedoch Naturgewalten wie das Donnergrollen eines Unwetters gegenübergestellt werden müsste - kritisch gegenübergestanden werden muss, so resultieren einige seiner Forschungs-ergebnisse dennoch in einem sehr spannenden Ansatz für die Entwicklung der Hörgewohnheiten der Menschen. Das Beispiel der Kirchenglocke in Verbindung mit der Zeit war besonders faszinierend, da Menschen ih-ren Tagesablauf nach dem Glockenschlag ausrichten konnten. Natürlich könnten, der Vollständigkeit halber, noch Geräusche wie das morgendli-che Krähen des Hahnes oder das nächtliche Zirpen der Grillen als zeitwei-sende auditive Quellen genannt werden, die zusätzlich zu den beschrie-benen menschlichen Erfindungen, das Zeit- und Hörempfinden prägten.

8 Zusätzlich wird im Anhang der vorliegenden Arbeit eine Beschreibung zum Projekt ‚Ballon Quest‘, welches im Zuge des Studiums durchgeführt wurde, erfolgen und somit der Zusammenhang zwischen dem gewählten Thema und dem Masterprojekt klar dargelegt.

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Conclusio

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Wie bereits erwähnt, empfand der Autor dieser Arbeit den Übergang zur industriellen Revolution von einem auditiven Standpunkt aus betrachtet äußerst interessant und von großer Relevanz für diese Studie. Menschen wurden damals aus ihrer natürlichen Soundscape gerissen und wurden so mit einer neuartigen und veränderten Klanglandschaft konfrontiert. Dies geschah nicht nur in der Arbeitswelt, die damals immer mehr maschinisiert und automatisiert wurde, wodurch der Lärmpegel exponentiell anstieg, sondern auch in der gewohnten Umgebung, wo die Eisenbahn und spä-ter die Flugzeuge und Automobile Einzug in die Geräuschwelt nahmen. Auch diese Tatsache mag auf den ersten Blick negativ erscheinen, da diese Maschinen die ‚stille‘ Welt mit Lärm ‚verschmutzten‘. Es existierte jedoch immer eine Faszination für die verursachten Geräusche dieser technischen Errungenschaften, die auch maßgeblich an unserem Hörverständnis betei-ligt sind und über die Jahrzehnte hinweg ebenso in die Hörgewohnheiten integriert wurden. Wird beispielsweise der Flugverkehr betrachtet, welcher anfänglich eher eine Seltenheit in der alltäglichen Klanglandschaft dar-stellte, ist dieser aus der heutigen, menschlichen Soundscape kaum noch wegzudenken.

Nach einer intensiven geschichtlichen Auseinandersetzung mit den Sound-scapes wurde daraufhin das Hier und Jetzt, die heutige Klanggesellschaft untersucht. Dieser Abschnitt stellt einen weiteren wichtigen Bestandteil dar, welcher zur Beantwortung der Forschungsfrage ‚Was hört das Publi-kum?‘ sehr hilfreich sein wird, da das heutige auditive Umfeld einen direk-ten Effekt auf die Hörgewohnheiten ausübt.

Aus den Recherchen des Abschnitts unserer heutigen Klanglandschaften, in denen wir uns täglich bewegen und aufhalten, ging hervor, dass wir permanent mit einem gewissen Grad an Lärm konfrontiert sind. Im Laufe der Zeit wurde dieser Lärm ein Teil von uns und die Menschen versuchen nur noch im eigenen Heim den Abstand zu der äußerlichen Unruhe zu finden. Die Arbeit an diesem Unterkapitel war signifikant, besonders die Bearbeitungen und Thesen Brandon Labelles, welcher eine Fokussierung der täglichen, menschlichen Klangumgebung in den Mittelpunkt stellte. Aufgrund der persönlichen Tätigkeit des Autors als Sounddesigner bewegt dieser sich stets bewusst hörend in der Umwelt und Labelles Erläuterung des orchestrierten Fuß- und Straßenverkehrs lässt ihn mittlerweile bereits auf eine andere Art und Weise wahrnehmen, da er versucht ständig gewisse Rhythmen und Melodien aus diesen Soundscapes herauszufiltern. Dies resultiert gleichzeitig auch in einer gewissen Sensitivität, wenn bestimmte Straßenszenen im Zuge der persönlichen Arbeit vertont werden müssen und auf neue Stilmittel zurückgegriffen werden kann, die eine noch stär-kere Einbindung des Publikums ermöglichen.

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Conclusio

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Der abschließende Abschnitt des ersten Kapitels beleuchtete die Frage, ob dem Zeitalter des Sehens bald eine Prävalenz des Hörens folgen kann. Von Aussagen und Meinungen diverser Wissenschaftler und Theoretiker abge-sehen wird dennoch festgestellt, dass keine derartige Entwicklung vorher-sehbar ist. Das vorherrschende Medium Internet erschafft eine ganz neue Form der visuellen Dominanz und, selbst wenn auditive Formen immer mehr Einzug darin nehmen, sei es in unterstützender Funktion bei Videos oder als reine Audio-Podcasts, wird das Visuelle nach wie vor die Ober-hand behalten. Das perfekte Beispiel stellt hierbei das Radio dar. Als reines auditives Medium ist es allgegenwärtig, allerdings wird selten bewusst hin-gehört, es funktioniert eher als beiläufige Beschallung, die neben stetiger seichter musikalischer Beschallung teilweise nützliche Informationen und Nachrichten preisgibt. Wird hier das Medium Internet gegenübergestellt, so wird gezielt nach bestimmten Informationen und Nachrichten gesucht, die Ergebnisse werden auf dem Bildschirm visuell dargestellt. Auch wenn das Auditive immer präsenter wird in heutigen Medien, so wird die Gesell-schaft des Hörens ausbleiben, die visuelle Dominanz ist einfach zu groß.

Es wurde bereits früh im zweiten Kapitel definiert, dass nie von absoluter Stille, sondern immer nur von relativer gesprochen werden kann. Selbst wenn wir uns in einem perfekt abgedichteten und akustisch optimierten Raum befinden, so nehmen wir aufgrund der ungewohnten Stille plötzlich unsere eigenen Organe auditiv wahr. Eine Studie von Gizmodo (Biddle 20129) besagt sogar, dass es kein Mensch länger als 45 Minuten in den sogenannten anaechoischen Kammern aushalten kann. Relative Stille stellt dennoch sehr wohl eine Siginifikanz für das Publikum dar. In heutigen Medien wie Film und Videospiel wird Stille immer als bewusstes Stilmittel und Spannungsträger eingesetzt. Die Fallstudie zu ‚Transformers 2‘ zeigte deutlich, welchen Effekt eine stille Passage auf das Publikum, respektive auf das hörende Individuum nehmen kann. Stille bestimmt die Dynamik der Tonspur in den Medien, auf ruhige Sequenzen folgen weniger ruhige, die daraufhin wieder in lautere Momente münden. Dies ist signifikant für die dramaturgische Wirkung von auditivem Material. Bezeichnenderwei-se beinhalten im Englischen die beiden Wörter ‚Silent‘ und ‚Listen‘ die selben Buchstaben. Auch wenn es sich hierbei um einen Zufall oder um ein simples Wortspiel handeln könnte, so trägt dieser Umstand doch eine gewisse Bedeutung in sich, wie auch in einem abschließenden Kommentar des zweiten Kapitels bereits angemerkt wurde: „Was hört das Publikum also wenn es nichts hört? Es nimmt wahr.“ (siehe Kapitel 2.4) Durch Stille wer-den alle Geräusche ausgeblendet, es entsteht eine gewisse Spannung, die auf das hörende Individuum unterschiedliche Wirkungen nehmen kann. In Medien wird Stille in unterschiedlichen Funktionen eingesetzt, wobei hinterfragt werden muss, warum dieses ‚Nicht-Vorhandensein‘ von au-ditiven Eindrücken überhaupt eine Wirkung nehmen kann, wurde doch

9 http://gizmodo.com/5899502/the-quietest-place-on-earth-will-drive-you-insane-within-45-minutes

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ebenso festgestellt, dass die gewohnten Höreindrücke des Menschen eine wichtige Rolle in der auditiven Wahrnehmung spielen. Es wird hierbei festgestellt, dass die Faszination an der Stille genau diesem Gegensatz zur kausalen Hörumgebung zu Grunde liegt. Dem hörenden Individuum ist es fremd nichts zu hören, im echten Leben kann eine ungewohnte Stille sehr schnell in ängstliche Gefühle umschlagen. Eine häufig reisende Per-son ist es beispielsweise gewöhnt im Flugzeug zu sitzen, genauso ist sie mit der einhergehenden Klanglandschaft vertraut. Jede noch so geringe Veränderung der Turbinendrehzahl wird von Passagieren auditiv wahr-genommen und erzeugt bei den meisten flugängstlichen Personen eine sehr angespannte Atmosphäre. Würde sich plötzlich Stille im Inneren des Flugzeuges ausbreiten, so wäre ein panisches Verhalten der Fluggäste vor-programmiert. So wirkt auch die Stille auf das Publikum in den diversen Medien ungewöhnlich, erzeugt gezielt Spannung und stellt somit einen offensichtlichen Gegenspieler zum Geräusch dar. Stille wirkt somit als Ge-genpol, der bei richtigem Einsatz in linearen und interaktiven Medien eine tief gehende Wirkung auf das Publikum erzielt und sie trotzdem auditiv wahrnehmen lässt, selbst wenn sie nichts hören.

Das Kapitel zu interaktiven und linearen Medien stellte neben einer Erar-beitung der historischen Hörentwicklung einen zweiten Schwerpunkt die-ser vorliegenden Arbeit dar. Eine der wohl wichtigsten Erkenntnisse dieses Abschnitts war mit Sicherheit, dass Hören medienunspezifisch funktio-niert und auditive Ereignisse in beiden Medien grundlegend gleich wahr-genommen werden. In Film und Videospiel hören wir bestimmte Sound-effekte, gepaart mit Musik und Sprachausgabe, welche gemeinsam mit den visuellen Eindrücken zu einem komplexen Ganzen geformt werden. Un-terschiede ergeben sich nur in der Erstellung sowie der Einbeziehung der Interaktion beim Videospiel. Die Interaktivität beeinflusst das Hören nur in geringem Maße - vice versa findet allerdings eine starke Beeinflussung statt. Während beim Film keinerlei Einfluss auf die gezeigte Handlung ge-nommen werden kann, so entstehen beim Computerspiel gewisse Eigen-heiten. Die Fallstudie zu ‚Battlefield 3‘ zeigte sehr deutlich, wie stark au-ditive Impulse das Verhalten des Spielers beeinflussen und lenken können. Bereits genannte Faktoren wie näher kommende gegnerische Fußschritte oder feindlicher Beschuss lassen Spielende in Deckung gehen. Natürlich spielen visuelle Reize eine ebenso wichtige Rolle, denn beim schlichten Blickkontakt mit Gegnern wird vermutlich auch Schutz in der Spielum-gebung gesucht, sich geduckt oder schlichtweg geflüchtet. Im Zuge der vorhergehenden Fallstudie konnte das Medium Videospiel auch nur aus einer filmischen Perspektive wahrgenommen werden und der Autor dieser Arbeit konnte sich lediglich in die Rolle des Spielenden einfühlen. Wird selbst gespielt, so werden die Geräusche des Spiels kaum aktiv wahrgenom-men, es werden nur jene Soundscapes bewusst wahrgenommen, die dem Spieler auch bekannt sind. Gewisse Geräusche, die hier als Key-Sounds

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bezeichnet werden, reißen das hörende Individuum sprichwörtlich aus dem vorhergehenden Spielgeschehen heraus und erfordern sofortiges Handeln. Key-Sounds existieren in dieser Funktion nur im interaktiven Medium, das Hören oder die Wahrnehmung eines auditiven Impulses re-sultiert in unterschiedlichen Reaktionen von Spielenden.

Das Publikum erfährt die auditive Ebene beim Film auf die selbe Art und Weise, nur das Element der Interaktion mit dem Medium bleibt aus. Doch ist dieser Umstand ein essentieller Faktor für die Wahrnehmung von Sound? Viel wichtiger erscheint, dass die auditive Erwartungshaltung vom Publikum erfüllt werden muss. Eine gewisse Szene in einem Film sollte auch so rezipiert werden, wie es das hörende Individuum erwartet, selbiges gilt für das Videospiel.

Was hört das Publikum? Was nimmt das hörende Individuum wahr? Wie bereits zu Beginn der vorliegenden Arbeit erläutert, wurde der Begriff des Publikums bewusst auf alle hörenden Individuen ausgeweitet. Die Frage formte sich im Verlauf dieser Studie immer mehr hin zur folgenden: ‚Was hört der Mensch?‘. Die Antwort scheint zuerst sehr simpel zu sein. Men-schen hören zuallererst was sie erwarten, hören das Offensichtliche, bevor sie in die Tiefe hören. Hierbei wird von einer Art Tiefenstaffelung für das menschliche Hörverständnis gesprochen, die sich wie folgt aufbauen könn-te: Als oberste Ebene wird die Lautstärke bezeichnet, da es eine Tatsache darstellt, dass das menschliche Ohr laute auditive Quellen am schnellsten registriert. Diese können schlichtweg nicht überhört werden. Passend dazu sollten Alarmsignale wie Hupen und Sirenen genannt werden, welche mit ihrem sehr lauten Charakter das hörende Individuum aufmerksam werden lassen. Die nächste Ebene würden die Hörgewohnheiten darstellen, audi-tive Quellen, welche sich im Laufe der Zeit in unser Bewusstsein integriert haben und ein fixer Bestandteil von uns geworden sind. Diese sind natür-lich für jedes hörende Individuum unterschiedlich zu benennen, womit dieser Umstand gleichzeitig in der Subjektivität der Wahrnehmung von Sound resultiert. Die dritte Ebene stellt alle restlichen Umgebungsgeräu-sche dar, schlichtweg alle Sounds, welche in unserem Hörspektrum prä-sent sind und gehört werden können. Hierbei kann wieder, abhängig vom hörenden Subjekt der Fokus auf differente Quellen gelegt werden, diese werden dann in den Vordergrund gestellt und die Tiefenstaffelung beginnt erneut: Lautstärke vor Hörgewohnheit vor fokussierten Quellen.

Diese im Laufe der Recherche entstandene Idee der Tiefenstaffelung lässt sich sehr gut auf die auditiven Elemente von interaktiven und linearen Medien projizieren und somit auch eine Schlussfolgerung entstehen, was das Publikum und Spielende auditiv rezipieren können. Laute, im Vorder-grund stehende Elemente in beiden Medien regieren das Hören vor den uns bekannten Geräuschen, gefolgt von Sounds, die stets präsent sind und durch eine Fokussierung des Hörens wiederum selbst in den Vordergrund

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Conclusio

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gerückt werden. Bei den beiden Medien Film und Videospiel stellt, der Meinung des Autors dieser Arbeit nach, die zweite Ebene den wichtigsten und maßgebendsten Teil des Hörens dar, da diese von Subjektivität durch-drungen ist. In Zusammenspiel mit der dritten Ebene, dem Fokussieren bestimmter Klangquellen und Soundscapes, entsteht das Hörerlebnis des Publikums. Eine Fokussierung von bestimmten auditiven Quellen setzt auch eine gewisse persönliche Verbindung mit dem betrachteten Sound voraus, welche offensichtlich bei jedem hörenden Individuum variiert.

Was hört das Publikum? Er hört eine Auswahl aus dynamischen auditiven Signalen, die je nach subjektiven Hörgewohnheiten vom hörenden Indivi-duum in den Vordergrund gestellt und somit aktiv rezipiert werden.

„Wherever we are, what we hear is mostly noise. When we ignore it, it disturbs us. When we listen to it, we find it fascinating.“ (Cage o. A. zit. n. Cox 2004, 25)

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Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Zeitplan für Balloon Quest (Auszug). Autorin: Sophie Müller, 2011.

Abb. 2: Auslastung des Teams (Auszug). Autorin: Sophie Müller, 2011.

Abb. 3: Erste Concept-Art zu Boy und Girl. Autorin: Regina Reisinger, 2011.

Abb. 4: Spielbarer Prototyp von Balloon Quest. Autor: Peter Pokorny, 2011.

Abb. 5: Finale Concept-Art zu Girl. Autoren: Martin Mayrhofer-Reinhartshuber, Regina Reisinger, 2011.

Abb. 6: Finale Concept-Art zu Boy. Autoren: Martin Mayrhofer-Reinhartshuber, Regina Reisinger, 2011.

Abb. 7: Projektfortschritt (Auszug). Autorin: Sophie Müller, 2012.

Abb. 8: Screenshot, work in progress. Autor: Peter Pokorny, 2012.

Abb. 9: Emily VO-Recording. Autor: David Philipp, 2012.

Abb. 10: Logic Pro 8 SFX-Screenshot. Autor: David Philipp, 2012.

Abb. 11: Playblast-Screenshot, Boy runs. Autorin: Anja Prax, 2012.

Abb. 12: Playblast-Screenshot, Hoover-Animation. Autorin: Anja Prax, 2012.

Abb. 13: Final-Beta Screenshot. Autor: Martin Mayrhofer-Reinhartshuber, 2012.

Abb. 14: Final-Beta Screenshot. Autor: Martin Mayrhofer-Reinhartshuber, 2012.

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Glossar

Glossar

Atmo Umgebungsgeräusche

Attack Siehe auch ,Hüllkurve‘. Parameter für den Anschlag.

Audio-Engine Ein System um Audio im Spiel wiederzugeben und zu beeinflussen.

Balloon Quest Videospiel. Abschließendes Masterprojekt im Jahrgang MMA-M 2010

Bouncen Zusammenspielen diverser Spuren in eine Einzige.

Button-Clicks Klick Geräusche in Videospielen, wenn Aktionen im Menü ausgeführt werden.

Decay Siehe auch ,Hüllkurve‘. Parameter für die erste Abfallzeit.

Editing Vorgang des Bearbeitens von Soundmaterial.

Foley Analoge Erstellung von Sounds durch einen Geräuschemacher. Benannt nach Jack Foley.

Foley Artist GeräuschemacherIn. Betreibt die Kunst des Nachvertonens in Filmen und Videospielen mit meist ungewöhnlichen Mitteln und Ansätzen.

Gameplay Spielmechanik. ,Das Spielen des Spiels‘

Hüllkurve Definiert durch ,Attack‘ ,Decay‘ ,Sustain‘ und ,Release‘. Bringt Bewegung in den Klang.

Loop Sich ständig wiederholender Sound. Soundschleife.

Maschinengewehreffekt Repetitives Abspielen gleicher Sounds hintereinander ohne Variation.

O-Ton Originalton. Wird am Filmset aufgezeichnet.

Pitch Tonhöhe eines Sounds.

Release Siehe auch ,Hüllkurve‘. Parameter für den Ausklang.

Setting Ort wo die Geschichte des Films oder des Videospiels stattfindet.

Spotting Phase der Stilfindung.

Stinger Kurzer, ansteigender und lauter Soundeffekt.

Subbass Tieffrequenter Sound. Reicht von 90 Hz bis zur unteren Hörgrenze von 20 Hz.

Sustain Siehe auch ,Hüllkurve‘. Parameter für das Anhalten des Sounds.

Timbre Die Klangfarbe eines Sounds.

Trigger Auslösender Impuls für bestimmte Ereignisse in Videospielen. Sie teilen der Audio-Engine mit welche Sounds abgespielt werden sollen und welche Aktionen die Spielenden gerade auslösen.

Voice Over Sprachausgabe, SprecherIn in interaktiven und linearen Medien.

Volume Lautstärke einer Schallquelle.

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Anhang

Anhang

Einleitung

Im Zuge der vorliegenden Arbeit wurden interaktive Medien bereits be-leuchtet. In folgendem Anhang soll zusätzlich noch das Master Projekt des Autors dieser Arbeit beschrieben werden, das innerhalb der zweijährigen Ausbildung im Team umgesetzt wurde. Diese Dokumentation wird den Abschnitt der auditiven Produktion für das entwickelte Spiel behandeln, sowie Einblicke in die Vorbereitungen und Arbeitsweisen des Soundschaf-fenden bieten. Beteiligt an diesem Spiel waren folgende Masterstudenten: Sebastian Kargl, Martin Mayrhofer-Reinhartshuber, Sophie Müller, Regi-na Reisinger, David Philipp, Peter Pokorny und Anja Prax. David Philipp war für das Sounddesign zuständig, fungierte als Audio-Supervisor und war zusätzlich für die komplette Planung der auditiven Umsetzung ver-antwortlich. Die folgenden Abschnitte werden einerseits Einblicke in die verschiedenen Planungsphasen des Sounddesignbereichs bieten, danach die Umsetzung behandeln und gewisse Teilbereiche den im Hauptteil er-schlossenen Theorien gegenüberstellen.

Abb. 1 Zeitplan für Balloon Quest (Auszug)

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Anhang

Abb. 2 Auslastung des Teams (Auszug)

Abb. 3 Erste Concept-Art zu Boy und Girl

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Anhang

Pre-Produktion

Die Planungsphase für dieses Videospiel erstreckte sich über einen sehr langen Zeitraum. Mehr als ein halbes Jahr wurden verschiedenste Konzep-te und Ideen generiert, bis zum ersten Mal von ‚Balloon Quest‘ die Rede war. Anders als bei bisherigen Produktionen für lineare Medien wurde der Autor dieser Arbeit von Anfang an involviert und sollte sich produktiv ein-bringen, um eine reibungslose Audioproduktion zu ermöglichen. Zuerst wurde innerhalb dieser intensiven Planungsphase in allen Teilbereichen versucht, so viele Referenzen wie möglich aus dem jeweiligen Fachbereich zu sammeln, um sich auf einen finalen Stil des Spiels einigen zu können. Auf auditiver Seite geschah dies grundsätzlich mit Hilfe vom Spielen di-verser Videospieltitel und dem Durchhören verschiedener Soundtracks. Gleichzeitig wurden im Art-Team bereits die ersten Concept Arts erstellt und es konnte sich Schritt für Schritt einer Version für die Umsetzung des Prototyps genähert werden. Für diesen wurden Soundeffekte erstellt, die zunächst lediglich als Platzhalter fungierten. Hierbei wurden vom Sound-schaffenden bloß eine Atmo, Fußschritte und Sprungsounds generiert. Nach einer Testphase mit den erstellten Sounds wurde die Arbeit am Pro-totyp eingestellt und es begann die Produktion am wirklichen Produkt.

Abb. 4 Spielbarer Prototyp von Balloon Quest

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Anhang

Abb. 5 Finale Concept-Art zu Girl

Abb. 6 Finale Concept-Art zu Boy

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Anhang

Produktion

Die auditive Produktion für ‚Balloon Quest‘ konnte erst mit dem Zeit-punkt beginnen, als schon ein großer Teil des Inhalts vom Art- und Pro-grammierteam fertiggestellt war. Der grundsätzliche Ablauf für eine Ga-rantie an Synchronität zwischen auditivem und visuellem Material wurde wie folgt umgesetzt: Es wurde ein Playblast-Video aus dem 3D-Programm exportiert, worauf die Soundeffekte in perfekter Synchronität angelegt werden konnten. Später wurden im Spiel diese Animationen durch Trig-gerpoints ausgelöst und mit ihnen der vorher erstellte Sound abgespielt. Atmos wurden als Loop erstellt und konnten somit beliebig oft im Spiel wiederholt werden. Fußschritte entstanden pro Untergrund in vier Varia-tionen, welche dann zufällig ausgewählt und abgespielt wurden, um dem berüchtigten ‚Maschinengewehreffekt‘ entgegenzuwirken. Diese gewähl-ten Techniken und Stilmittel resultierten in einer sehr natürlichen Sound-scape für das Spiel. Ein weiterer wichtiger Teil - neben der Erstellung des Sounddesigns - stellte die Aufnahme der Voice-Overs dar, denn das kleine Mädchen, im Spiel als ‚Girl‘ bezeichnet, musste eine passende kindliche Stimme erhalten. Zuerst wurden alle Sätze von einer bereits erwachsenen Frau britischer Herkunft eingesprochen und im Nachhinein stark bear-beitet um kindlich, glaubhaft zu wirken. Später wurde jedoch noch ein neunjähriges, amerikanisch-österreichisches Kind aufgenommen, welches stimmlich perfekt zur Protagonistin im Spiel passte. In einem vorhergehen-den Kapitel wurde in der Diskussion zwischen ‚The real and the rendered‘ auf eine mögliche Diskrepanz zwischen visuellem und auditivem Material hingewiesen. Erzeugte die erwachsene, stark bearbeitete Stimme noch eine gewisse befremdliche Wirkung, so konnte durch eine erneute Aufnahme des kleinen Mädchens eine sehr realistische Sprachausgabe erzielt werden.

Eine zusätzliche Aufgabe, die der Soundschaffende zu bewältigen hatte, war die Angleichung der Sounds innerhalb des Spiels. Nach der Erstellung und einem ungefähren Pegeln der Soundeffekte im Vorhinein, musste auch während des Spielens eine zufriedenstellend laute und gute Klangqualität gewährleistet werden. Der Autor dieser Arbeit stellte demnach zusätzlich jedes auditive Signal noch innerhalb der Game-Engine ein und versuchte in unzähligen Testläufen das korrekte Abspielen aller auditiven Signale zu garantieren. Dies erwies sich als ein sehr aufwändiges, zeitintensives Unter-fangen, welches bei vorherigen Arbeiten im linearen Medium Film völlig entfiel. Hier konnte die Audiospur direkt dem Bild angeglichen und im Falle einer Asynchronität angepasst werden, was im interaktiven Medium in mühsamen Testphasen geschehen musste.

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Anhang

Abb. 7 Projektfortschritt (Auszug)

Abb. 8 Screenshot, work in progress

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Anhang

Abb. 9 Emily VO-Recording

Abb. 10 Logic Pro 8 SFX-Screenshot

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Anhang

Abb. 11 Playblast-Screenshot, Boy runs

Abb. 12 Playblast-Screenshot, Hoover-Animation

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Anhang

Abb. 13 Final-Beta Screenshot

Abb. 14 Final-Beta Screenshot