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Vortrag vom 17.11.2011: Die Gestalttherapie stellt sich den Berliner Kammermitgliedern vor von Dr. phil. Dipl.-Psych. Uwe Strümpfel Erläuterung In Ermangelung einer schriftlichen Aufzeichnung des Vortrages wurden die Vortragsfolien Auszügen aus dem Buch „Therapie der Gefühle“ von Uwe Strümpfel zugeordnet (Buchseiten 264 – 270, 297 – 313). www.therapie-der-gefuehle.de

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Vortrag vom 17.11.2011: Die Gestalttherapie stellt sich den Berliner Kammermitgliedern vor von Dr. phil. Dipl.-Psych. Uwe Strümpfel

Erläuterung In Ermangelung einer schriftlichen Aufzeichnung des Vortrages wurden die Vortragsfolien Auszügen aus dem Buch „Therapie der Gefühle“ von Uwe Strümpfel zugeordnet (Buchseiten 264 – 270, 297 – 313).

www.therapie-der-gefuehle.de

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Vorgestellt wurden Daten aus 74 publizierten Forschungsarbeiten zu Therapieprozess und –ergebnis, die in 10 Metaanalysen von anderen Autoren sowie zusätzlich durch eigene Berechnungen des Autors reanalysiert wurden. Von den im inhaltlichen Teil vorgestellten Studien überprüften 38 veröffentlichte sowie weitere 25 unveröffentlichte klinische Dissertationen oder andere Studien, bzw. Untersuchungen zu sonstigen experientiellen Verfahren die Wirksamkeit von Gestalttherapie und ihrer Weiterentwicklungen bei unterschiedlichen klinischen Gruppen. Die Studien umfassten Stichprobengrössen bis zu mehreren hundert Patienten.

Insgesamt gehen in die Wirksamkeitsprüfungen die Daten von ca. 4500 Patienten aus der klinischen Praxis ein. Von diesen wurden ca. 3000 Patienten unter gestalttherapeutischen Behandlungsbedingungen, die übrigen mit anderen therapeutischen Verfahren behandelt oder blieben als Kontrolle unbehandelt. Tabelle 1 enthält außerdem 176 Einzelfallberichte und- analysen zu verschiedenen Themenbereichen. Etwa 2/3 der 38 Wirksamkeitsstudien enthalten Daten einer Kontroll- oder Vergleichsgruppe. Teilweise finden sich entsprechend der klinischen Realität Mehrfachdiagnosen. 21 der hier zusammengefaßten Studien hatten „klassische“ Gestalttherapie in mindestens einer Behandlungsbedingung. Weitere 17 Studien untersuchten Weiterentwicklungen der Gestalttherapie dar oder die Treatmentbedingung spiegelt die moderne psychotherapeutische Praxis wieder, in der gestalttherapeutische mit anderen therapeutischen Ansätzen kombiniert werden, wie bspw. in der prozess-erfahrungsorientierten Therapie.

Die Studien belegen die Effekte der Gestalttherapie für eine Bandbreite von klinischen

Erlebensaktivierende und die emotionale Verarbeitung

fördernde Interventionen

am Beispiel

der Gestalttherapie

STRÜMPFEL 2011

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Störungsbildern wie: Schizophrenie, sonstige psychiatrische und Persönlichkeitsstörungen1, affektive Störungen und Angst, Abhängigkeiten, psychosomatische Störungen sowie für die Arbeit mit speziellen Gruppen und in der präventiven psychosoziale Gesundheitsvorsorge. Die Unterschiedlichkeit der Diagnosen dokumentiert die Einsetzbarkeit von Gestalttherapie auch bei schwierigen Störungsbildern wie sie sich bei psychiatrischen Patienten finden, oder auch bei Angststörungen, die in der Lehrmeinung der akademischen Psychotherapie eher als eine Domäne der behavioralen Therapie gelten. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Befunde zu einzelnen Störungsbereichen herausgegriffen und zusammengefasst.

• Psychiatrische Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen wie Schizophrenie und schweren Persönlichkeitsstörungen zeigten nach einer gestalttherapeutischen Behandlung signifikante Verbesserungen in bezug auf die individuell diagnostizierte Hauptsymptomatik, Persönlichkeits-Dysfunktionen, Selbstbild und interpersonale Beziehungen. Die Behandelten selbst bewerteten die Therapie als sehr hilfreich. Einschätzungen des Pflegepersonals wiesen auf Verbesserungen in den Kontakt- und Kommunikationsfunktionen der Patienten hin.

• Die effektstärksten Studien finden sich zur gestalttherapeutischen Behandlung affektiver Störungen. Untersuchungen belegen die Wirkung der Gestalttherapie bei depressiven Symptomen, Ängsten und Phobien. Die Effektstärken der mit den gestalttherapeutischen Interventionen angereicherten prozess-erlebensorientierten Therapie (P/E) liegen je nach Erhebungsinstrument um 25% bis 73% höher als für relationale klienten-zentrierte Therapie.

• Gestalt- und Sozialtherapie für Drogenabhängige ergab eine langfristige Abstinenzrate von 70%, die sich bis zu neun Jahren nach der Entlassung stabil hielt. Die Ergebnisse dokumentieren weiterhin eine Verminderung von depressiven Symptomen und eine verbesserte Persönlichkeitsentwicklung am Ende der Behandlung.

• In den Studien zu funktionellen Störungen berichten durchschnittlich ca. 55% der Patienten eine Verminderung von Schmerzen nach der Gestalttherapie. Die Untersuchungen belegen zudem eine starke Reduzierung ihrer Medikamenteneinnahme.

• Weitere Studien belegen die Wirkung der Gestalttherapie für leistungsgestörte Schüler, Eltern, die ihre Kinder als Problemkinder begreifen, Paare mit Kommunikationsstörungen sowie - im Rahmen der psychosozialen Gesundheitsvorsorge - für alte Menschen mit dem Problem sozialer Isolierung und schwangere Frauen im Rahmen der Geburtsvorbereitung.

• Von 17 Untersuchungen, die katamnestische Erhebungen enthalten und in dem Abschnitt zur Evaluationsforschung berichtet werden, zeigt nur eine Studie mit - sehr kurzer Behandlungszeit - Evidenz für einen Rückgang der erzielten Verbesserungen. In den übrigen katamnestischen Daten, die in der Mehrzahl der Arbeiten 1/2 bis 3 Jahre nach Therapieabschluß erhoben worden waren, erwiesen sich die Therapieeffekte als stabil.

• Weitere umfangreiche Katamnesestudien mit mehreren hundert Patienten wurden in den vergangenen Jahren zur Gestalttherapie und zur erfahrungsorientierten Therapie durchgeführt. In der katamnestischen Studie von Schigl geben 63% der befragten Patienten an, sie hätten

1 Entgegen früherer Lehrmeinung erweist sich Gestalttherapie als geeignet für die Arbeit mit stark beeinträchtigten Patienten. Vorausgesetzt werden muß eine therapeutische Stilmodifikation, in der weniger polarisierend und emotional aktivierend, dafür persönlichkeitszentriert stabilisierend und strukturaufbauend gearbeitet wird (vergleiche Hartmann-Kottek 2004).

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ihre anfänglichen Ziele in der Gestalttherapie vollständig oder größtenteils erreicht. Nach Beendigung der gestalttherapeutischen Behandlung sank die Einnahme von Psychopharmaka auf die Hälfte, bei Tranquilizern sogar auf ein Viertel. Die Patienten lernten in der Gestalttherapie Strategien, um mit einer wiederkehrenden Symptomatik erfolgreich umzugehen.

Von besonderem Interesse sind auch die jüngst von einer unabhängigen Forschungsgruppe ausgewerteten evaluativen Befunde der Kliniken der Wicker-Gruppe (Barghaan et al. 2002, Harfst et al. 2003). Die Autoren kommen auf der Basis von 117 katamnestischen Datensätzen zur Bewertung des Vergleichs von psychodynamisch-gestalttherapeutisch mit psychodynamisch und/oder behavioral behandelten Patienten zu folgender Bewertung des gestalttherapeutischen Vorgehens:

• „Die erreichten Verbesserungen entsprechen in den verschiedenen psychosozialen und körperlichen Maßen Veränderungen von zumeist großer Effektstärke. Im Vergleich zu den anderen Kliniken der Wickergruppe zeigen sich hier sogar überdurchschnittlich hohe Effektstärken, was aber auch mit der längeren mittleren Behandlungsdauer2 der Patienten in der Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik zusammenhängen kann. Die Stabilität der erreichten Behandlungserfolge über den Entlassungszeitpunkt hinaus erscheint insbesondere bei den psychischen Beschwerden ausgesprochen zufriedenstellend.“ (Berghaan, Harfst, Dirmaier, Koch & Schulz 2002, S. 31).

Die mit teilweise mehreren hundert Patienten von unabhängigen Autoren durchgeführten katamnestischen Studien belegen insofern die langfristige Stabilität der gestalttherapeutischen Heilungsergebnisse.

Metaananalytische Befunde

2 Die Behandlungsdauer war an dieser Abteilung um durchschnittlich knapp 1 Woche länger als an den anderen untersuchten Abteilungen, was die Autoren auf die andere Kostenträgerzusammensetzung zurückführen.

Meta-Analyse

Auf der Basis der Ergebnisse von 112 Studien verglich Elliott et al. (2004) verschiedene humanistische Ansätze mit kognitiv-behavioraler Therapie

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In einer Metaanalyse vergleichen Elliott et al. (2004) die Ergebnisse von 112 Studien zu verschiedenen humanistischen Verfahren. Elliotts Metaanalyse schließt 42 Kontrollgruppenvergleiche aus 37 Studien ein, sowie 55 Vergleichsstudien (die 74 Vergleiche mit nicht-humanistischen Therapien umfassen) zu verschiedenen humanistischen Therapien.

• Vergleicht man die verschiedenen humanistischen Ansätze, wird deutlich, dass die prozess-erfahrungsorientierten Verfahren einschließlich der Gestalttherapie tendenziell die höchsten Effekstärken aufweisen. Insgesamt zeichnet sich nach heutigem Forschungsstand ab, daß diejenigen Therapieansätze, die aktiv prozess- und emotionsfokussierende Interventionen der Gestalttherapie einsetzen, sich in Zukunft als die Gruppe der effektivsten humanistischen Therapieverfahren erweisen könnte.

Vergleich versch. humanistischer Th. nach Effektstärken (ES) Elliott et al. 2001

Veränderungs-ES

Kontrollgrup-pen-ES

Therapieform

n ES Standard-abweichung

n ES Standard-abweichung

klienten- zentriert/ supportiv

44 0,97 0,55 13 0,8 0,59

supportiv/ nondirektiv

9 0,94 0,41 3 0,41 0,17

prozeß-erfahrungs- orientiert

14 1,25 0,58 3 0,86 0,49

emotional-fokussierend/Paare

10 1,59° 0,65 7 1,91° 0,80

Gestalt 7 1,12 0,78 1 1,05Encounter 8 0,70 0,34 7 0,73 0,37andere 7 0,97 0,41 2 0,92 0,92F (df) 2,75*

(6,92)3,72** (6,29)

e ta20,15 0,43

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Effektstärkevergleich kognitiv-behaviorale Therapie und Gestalttherapie

Auf der Basis von vorliegenden Therapievergleichsstudien wurden hier vom Autor metaanalytische Vergleiche zwischen prozess-erfahrungsorientierter/Gestalt- und kognitiv-behavioraler Therapie durchgeführt.

• In den statistischen Einzelauswertungen der Studien fanden sich über alle Erhebungen hinweg fast keine signifikanten Unterschiede zwischen prozess-erfahrungsorientierter/Gestalt- und behavioraler Therapie. Als einziger Unterschied zeigte sich in der Studie von Watson et al. (2003) eine stärkere Verbesserung der interpersonalen Problembewältigung unter prozess-erfahrungsorientierter Therapie gegenüber kognitiv-behavioraler Therapie.

Elliott et al. 2004: verschiedene Humanistische Ansätze

Wenn man verschiedene humanistische Therapien untereinander vergleicht, sind die erfahrungsorientierten Therapien, zu denen auch Gestalttherapie gehört, tendenziell die wirksamsten

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Für die metaanalytischen Vergleiche wurden die Messdaten der Studien nach drei untersuchten Veränderungsbereichen gruppiert: (a) Symptome, (b) Persönlichkeit/Coping/Somatik (c) soziale/relationale/interpersonale Funktionen.

• Auch unter diesen drei Veränderungsbereichen zeigen sich fast keine differentiellen Unterschiede zwischen Gestalt- und kognitiv-behavioraler Therapie. Ausbleibende Unterschiede sind deshalb bemerkenswert, weil die Verhaltenstherapie traditionell eine therapeutische Orientierung auf Veränderungen im Bereich der Symptome der Patienten verfolgt, anders als die Gestalttherapie, die sich als ganzheitliche Therapieorientierung versteht.

• Indessen deutet sich im sozialen/relationalen/interpersonalen Bereich eine stärkere Nachhaltigkeit im Langzeit-Follow-Up für die erfahrungsorientierte/Gestalttherapie an.

Elliott et al. 2004: Humanistic vs. Cognitive Behavioral

Treatment Comparisson n MD SDD t(0) t(0,4) Result

experiential vs. CB 46 -0,05 0,43 -0,74 +5,65** Equivalent

experiential vs. Non-CB 28 0,08 0,5 0,81 -3,45** Equivalent

CC/nondirektive-supportive vs. CB32 -0,03 0,42 -3,7 +4,97** Equivalent

pure CC vs. CB 20 -0,03 0,43 -3,2 -3,89** Equivalent

Pocess-directive vs. CB 14 -0,09 0,44 -0,76 +2,65** Equivalent

more vs. less process-directive 5 0,01 0,22 0,08 -3,90** Equivalent

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In den Daten fanden sich gleichermaßen Unterschiede in dem Sinne, dass psychiatrische Patienten unter kognitiv-behavioraler Therapie soziale Kontakte häufiger suchten, während sie unter der Behandlung mit einer Gestalttherapie-Transaktionsanalyse-Kombination diese Kontakte besser hielten. In den anderen Studien erreichten Unterschiede in den Prozessdaten zwischen Gestalt- und kognitiv-behavioraler Therapie nicht die Signifikanzgrenze oder waren schwer interpretierbar.

Aus weiteren explorativen Analysen des Autors ergeben sich Hinweise, die eine hier angenommene besondere Wirksamkeit der Gestalttherapie in dem Bereich der sozialen/relationalen/interpersonalen Funktionen spezifizieren.

• Weitere klinische Studien könnten die Befunde der explorativen Analyse erhärten, dass Gestalttherapie besonders gute Verbesserungen in der Fähigkeit, persönlichen Kontakt herzustellen und Beziehungen zu halten, sowie im Umgang mit Aggressionen und Konflikten erzielt.

• Der Gestalttherapie könnte weiterhin im Veränderungsbereich der sozialen/relationalen/interpersonalen Funktionen eine besondere Rolle in der Therapielandschaft zukommen, wenn sich die Befunde erhärten, dass Gestalttherapie eine spezifische Effektivität hat z.B. in Bezug auf die erfolgreiche Bearbeitung von dogmatisch starren Prinzipien, Störungen in der Selbst- Fremd und Beziehungsbewertung und innerem Leistungsdruck.

Bessere Langzeit Effekte von Erfahrungsorientierten/Gestalt-

Therapien im Vergleich mit kognit. VT

Depressive Patienten zeigen bessere interpersonale Problemlösung unter erfahrungsorientierter Therapie (Watson et al. 2003)

psychiatrische ambulant behandelte Patienten zeigen eine bessere Fähigkeit soziale Kontakte aufrecht zu erhalten unter Gestalt /Transaktions Analyse Behandlung (Cross et al. 1980, 1982)

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In psychodynamischen Termini hieße dies, dass der Gestalttherapie möglicherweise eine besondere Bedeutung zukommt in Fragen der Bearbeitung strenger Bewertungen, innerem Leistungsdruck und starrer Prinzipien.

Die Bedeutung erlebnisaktivierender Interventionen, wie sie in der Gestalttherapie seit den 50er Jahren entwickelt wurden, ist heute für die zukünftige Therapieentwicklung noch nicht abschätzbar. Die heute vorliegenden Therapievergleichsstudien belegen indessen, dass die Effekte der Gestalttherapie vergleichbar sind mit denen anderer Therapieformen - oder sogar besser.

Effektstärkevergleiche zwischen humanistischen und anderen Therapien

Viele akademische Psychotherapieforscher und insbesondere kognitiv-behavioral orientierte Therapeuten vertraten lange die Ansicht, dass humanistische Therapien den kognitiv-behavioralen Therapien in der Effektivität unterlegen sind. Elliott hatte in verschiedenen Metaanalysen Studien, die Vergleiche zwischen humanistischen und behavioralen Therapien vornehmen, unter dem Gesichtspunkt reanalysiert, welcher therapeutischen Schule die jeweilige Forschergruppe zugehörte (zuletzt: Elliott et al. 2004). Der Faktor der Schulen-Zugehörigkeit einer Forschergruppe erwies sich als so durchschlagend, dass, wenn er aus den Therapievergleichsdaten herausgerechnet wird, keine Effektivitätsunterschiede mehr zwischen den Schulen vorhanden sind. Dies deckt sich mit den Befunden der Arbeiten von Luborsky et al. (1999, 2002, 2003), die behaviorale, psychodynamische und Pharmakotherapien verglichen hatten.

In den Vergleichen von Elliot (2001) und Elliott et al. (2004) zeigte sich:

• Humanistische und kognitiv-behaviorale Therapien erweisen sich nicht als unterschiedlich effektiv.

• Humanistische Therapieverfahren sind den Verfahren anderer Schulen nicht unterlegen.

• Humanistische Therapien sind wirksamer als eine unspezifische Sammelgruppe aller nicht-humanistischen und nicht-behavioralen Therapieformen.

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Elliott et al. 2004: Humanistische vs. andere Therapieformen

humanistische and kognitive-behaviorale Therapy unterscheiden sich nicht in der Effektivität

humanistische Therapien sind nicht weniger wirksam als andere Therapieformen

Humanistische Therapien sind wirksamer als sonstige (eine Gruppe unspezifizierter) Therapien

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Nach heutigem Forschungsstand ist die Gruppe der humanistischen Therapien damit insgesamt nicht weniger wirksam als die kognitiv-behavioralen Verfahren.

Aus den hier vorgenommenen Reanalysen der älteren Metaanalysen, aus denen der Fehlschluß, behaviorale Therapien seien die wirksamsten, liessen sich folgende Verzerrungsfaktoren und bisher nicht bekannte Zusammenhänge identifizieren:

• 37% der Unterschiede zwischen humanistischen und behavioralen Therapien in Therapievergleichsstudien lassen sich auf die Zugehörigkeit einer Forschergruppe zu einer der therapeutischen Orientierungen zurückführen (Elliott et al. 2004).

• Etwa die Hälfte (mindestens 48%) der nominalen Effektstärke-Unterschiede zwischen den Therapien in den älteren Metaanalysen lassen sich gemäß den Modellrechungen (Abschnitt 3.2.1.1 und 3.2.1.2 und Anhang 7.3) auf die in einer Therapieorientierung bevorzugt verwendeten Erhebungsinstrumente zurückführen. Die Höhe des Anteils der Skalen, die Symptome abprüfen, erweist sich dabei als stärkster Prädiktor, weil Symptomskalen von allen Erhebungsinstrumenten am ehesten signifikante Ergebnisse liefern.

• Im Gesamtpool der Studien vor 1984 werden in den Studien zu behavioralen Therapien zu ca. 40% häufiger Symptomskalen eingesetzt im Vergleich zu humanistischen und psycho-dynamischen Therapien.

Elliott et al. 2004: Humanistic vs. Cognitive Behavioral

Treatment Comparisson n MD SDD t(0) t(0,4) Result

experiential vs. CB 46 -0,05 0,43 -0,74 +5,65** Equivalent

experiential vs. Non-CB 28 0,08 0,5 0,81 -3,45** Equivalent

CC/nondirektive-supportive vs. CB32 -0,03 0,42 -3,7 +4,97** Equivalent

pure CC vs. CB 20 -0,03 0,43 -3,2 -3,89** Equivalent

Pocess-directive vs. CB 14 -0,09 0,44 -0,76 +2,65** Equivalent

more vs. less process-directive 5 0,01 0,22 0,08 -3,90** Equivalent

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Die höheren Effektstärken der behavioralen gegenüber dynamischen und humanistischen Therapien, wie sie sich in den älteren Metaanalysen (Smith et al. 1977, 1980, Shapiro & Shapiro 1982, Nicholson & Berman 1983) fanden, lassen sich gemäß den hier vorgestellten Modellrechnungen allein auf die Unterschiede in den verwendeten Untersuchungsinstrumenten zurückführen. Dies spezifiziert die bereits von Smith et al. (1977) berichteten Befunde, dass sich die nominale Überlegenheit der behavioralen Verfahren gegenüber dynamischen und humanistischen Therapien dann aufhebt, wenn die Bedingungen, unter denen die Untersuchungen der verschiedenen Studienpools durchgeführt wurden, in die Analyse einbezogen werden.

Grawe et al. (1994) haben den Hauptteil der Studienrecherche nicht nach Effektstärken ausgewertet. Statt dessen griffen sie im Verlauf ihrer Argumentation auf die in älteren Metaanalysen ermittelten Effektstärken zurück. Dies wurde hier als Mangel in der Stringenz der Argumentationslinie der Autoren kritisiert. Eine Schätzung der Effektstärken über die in den Ergebnisprotokollen einzelner Therapieformen dokumentierte Häufigkeit von signifikanten Ergebnissen ergibt sogar ein widersprüchliches Bild zu den älteren und weniger umfassenden Metaanalysen. Nach den Häufigkeiten von Signifikanzen relativ zur Anzahl vorgenommener Messungen stehen für Prä-Post-Vergleiche interpersonale Therapien (v.a. systemische Familientherapie) und humanistische Therapien an erster und zweiter Stelle der über die Signifikanzen geschätzten Effektstärken. Bei den Kontrollgruppenvergleichen stehen eklektische und humanistische Therapien an erster und zweiter Stelle, wobei die eklektischen Therapien auf dem erfassten Forschungsstand noch über zu wenige Daten verfügten. Erst danach folgen für beide (Prä-Post- und Kontrollgruppen-) Vergleiche jeweils behaviorale und psychodynamische Therapien.

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Auswertung der Ergebnistabellen der Metaanalyse von Grawe et al. 1994

Wie in 2.3.1.2 berichtet, hatten die Autoren der Metaanalyse von Grawe et al. (1994) darauf verzichtet, den Hauptdatenpool von 897 Studien über die Berechnung von Effektstärken auszuwerten. Die Autoren begründen dies mit dem berechtigten Hinweis, dass solche Effektstärken Unterschiede suggerieren, die aber auf Untersuchungen basieren, die unter schwer zu kontrollierenden unterschiedlichen Bedingungen zustande gekommenen sind.

Tabelle 15 gibt eine Übersicht der summierten Daten aus den Ergebnistabellen der Metaanalyse. Verglichen werden hier die verschiedenen therapeutischen Orientierungen: interpersonale, humanistische, kognitiv-behaviorale, psychodynamische Therapien, Entspannungsverfahren3 und eklektische Therapien. Dabei erfolgt jeweils eine getrennte Auswertung für Prä-Post-Vergleiche und Kontrollgruppenvergleiche. Vor dem Schrägstrich findet sich die über alle Messverfahren und Unterverfahren der therapeutischen Orientierung summierte Anzahl der signifikanten Befunde, dahinter die Gesamtzahl der Messungen für die jeweilige Orientierung. In der folgenden Spalte ist die Prozentzahl signifikanter Befunde relativ zu den Messungen angegeben. Mit Ausnahme der eklektischen Therapien, für die die Anzahl von Erhebungen zu gering ist, findet sich für alle therapeutischen Orientierungen der typische Effekt, dass Prä-Post-Vergleiche leichter signifikant werden als Kontrollgruppen-Vergleiche, wie auch schon in den Effektstärken bei Smith et al. (1980). Dabei liegt die Anzahl der signifikanten Befunde relativ zur Anzahl vorgenommener Messungen für humanistische ähnlich hoch wie für interpersonale Therapien; diejenige für die verhaltenstherapeutischen Methoden im Schnitt unter der für die humanistischen.

Nähme man die Prozentzahl signifikanter Befunde als Schätzung für eine Effektivität, ohne Verzerrungsfaktoren zu berücksichtigen, wie z.B. die Effektstärken, die Smith et al. (1980) zunächst vorlegen (Tabelle 7), könnte man zu dem Schluss gelangen, dass die interpersonalen und humanistischen Therapien die wirksamsten seien. Ein solcher Schluss kann jedoch nicht gezogen werden, insbesondere wegen des Einflusses hochwirksamer Verzerrungsfaktoren, die z.B. von Smith et al. (1980) herausgearbeitet wurden. Indessen stehen diese aus den Ergebnistabellen der Metaanalyse von Grawe et al. (1994) zusammengefassten Daten im Widerspruch zu den Schlussfolgerungen der Autoren (siehe Tabelle 15) wie auch zu den älteren Metaanalysen, welche die Autoren als zusätzliche Belege für ihre Schlussfolgerungen heranziehen. Die oben genannten Zahlenverhältnisse, dass die interpersonalen und humanistischen Therapien herausragend wirksame Ergebnisse aufweisen, finden sich jedoch auch, wenn man die Unterschiede zwischen den verschiedenen Verfahren nur auf den Symptomskalen, d.h. den am stärksten reagiblen Erhebungsinstrumenten vergleicht (Tabelle 16). Zumindest legen diese im Widerspruch zu den alten Metaanalysen stehenden Daten nahe, dass die Wirkung der humanistischen Therapien insgesamt unterschätzt worden sein könnte.4

3 Unter Entspannungsverfahren fassten die Autoren progressive Muskelentspannung, autogenes Training, Meditation und Hypnose.

4 Vielfach wurden die Daten für dynamische und humanistische Verfahren zusammengefasst, wenn sie mit den kognitiv-behavioralen verglichen wurden (vergleiche Grawe et al. 1994, S. 670). Der Einfluss, den eine solche Zusammenfassung haben könnte, ist schwer einzuschätzen (siehe Tabelle 15 und 16).

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Tabelle 15: Auswertung der Ergebnistabellen nach Grawe et al. (1994). Die Tabelle zeigt Häufigkeiten von Signifikanzen und Messungen aus den Untersuchungen zu den verschiedenen therapeutischen Orientierungen (humanistische, psychodynamische, kognitiv-behaviorale, interpersonale Therapien, „Entspannungsverfahren“5 und eklektische Therapien). In der linken Spalte finden sich die Auswertungen für Prä-Post-Vergleiche, in der rechten die für Kontrollgruppenvergleiche. Vor dem Schrägstrich ist die Anzahl der signifikanten Befunde angegeben, dahinter die Gesamtzahl der vorgenommenen Messungen für die jeweilige Orientierung. In Klammern ist die Prozentzahl signifikanter Befunde relativ zu den Messungen angegeben.

Tabelle 15

5 Unter dem Begriff „Entspannungsverfahren“ fassten die Autoren wie in Abschnitt 2.3.1.2. beschrieben Hypnose, progressive Muskelentspannung, autogenes Training und Meditation.

Prä-post-Vergleich

Kontroll-Gruppen-Vergleich

n / N in Prozent n / N in Prozent

interpersonal 52 / 65 80% 39 / 57 68%humanistisch 90 / 127 71% 85 / 129 66%behavioral 780 / 1186 66% 417 / 860 48%psycho-dynamisch

36 / 76 47% 21 / 59 36%

Entspannung 132 / 225 59% 70 / 139 50%eklektisch 17 / 35 49% 19 / 25 76%

Reanalyse des Hauptdatenpools vonGrawe, Bernauer & Donati (1994) STRÜMPFL 2006

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Tabelle 16: Auswertung der Symptomskalen (zusammengefasst individuell und für alle Patienten einer Gruppe gleich definierte Symptome) aus den Ergebnistabellen in Grawe et al. (1994). Die Tabelle zeigt Häufigkeiten von Signifikanzen und Messungen aus den Untersuchungen zu den verschiedenen therapeutischen Orientierungen (humanistische, psychodynamische, kognitiv-behaviorale, interpersonale Therapien, „Entspannungsverfahren“ und eklektische Therapien). In der linken Spalte finden sich die Auswertungen für Prä-Post-Vergleiche, in der rechten die für Kontrollgruppenvergleiche. Vor dem Schrägstrich ist die Anzahl der signifikanten Befunde angegeben, dahinter die Gesamtzahl der vorgenommenen Messungen für die jeweilige Orientierung. In Klammern ist die Prozentzahl signifikanter Befunde relativ zu den Messungen angegeben.

Tabelle 16

Jenseits der Verzerrungsfaktoren schränkt natürlich auch die Tatsache, dass das Auszählen von Signifikanzen gegenüber einer Effektstärkeberechnung einen hohen Informationsverlust darstellt, die Interpretierbarkeit der Daten in den Tabellen 15 und 16 stark ein. Dennoch zeigen die Daten ab einer bestimmten Datenmenge durchaus konsistente Befunde, z.B. bei Vergleich von Prä-Post- und Kontrollgruppen-Auswertungen. Der typische Effekt, dass Prä-Post-Vergleiche höhere Effektstärken liefern, findet sich in der Tabelle 15 für alle therapeutischen Orientierungen, einschließlich der Entspannungsverfahren, außer für die eklektischen Therapien, bei denen die zugrundeliegende Datenmenge noch zu gering ist, um von einer Stabilisierung der Ergebnisse ausgehen zu können. Indessen sind andere Verzerrungsfaktoren viel schwerer abzuschätzen (z.B. systematisch unterschiedliche Therapiedauer von humanistischen und behavioralen Therapien in den Studien). Ungeachtet solcher Verzerrungsfaktoren bleibt die Tatsache, dass eine summarische

Prä-post-Vergleich

Kontroll-Gruppen-Vergleich

n / N in Prozent n / N in Prozent

interpersonal 40 / 43 93% 23 / 28 82%humanistisch 28 / 35 80% 31 / 37 84%behavioral 411 / 506 81% 233 / 360 65%psycho-dynamisch

12 / 19 63% 8 / 17 47%

Entspannung 65 / 94 69% 41 / 65 63%eklektisch 11 / 14 79% 9 / 13 69%

Reanalyse Hauptdatenpool Grawe et. al (1994) nur Symptomskalen STRÜMPFL 2006

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Auswertung der Ergebnistabellen der Metaanalyse von Grawe et al. (1994) deutlich andere Ergebnisse erbringt als die vorherigen Metaanalysen und im Widerspruch steht zu den Schlüssen der Autoren dieser Metaanalyse.

Jenseits der aufgeführten Probleme, der Frage, ob bzw. wie sich Häufigkeiten von Signifikanzen überhaupt auswerten lassen und der angemessenen Berücksichtigung von Verzerrungsfaktoren, ist es bis heute häufige Praxis in Metaanalysen, Daten von unter unkontrollierbar verschiedenen Bedingungen zustande gekommenen Studien zu interpretieren.

Der Hauptdatenpool dieser Metaanalyse bildet inzwischen einen veralteten Forschungsstand ab. Seit Abschluss der Literaturrecherche sind inzwischen mehr als 20 Jahre vergangen. Indessen stellt der aus 897 Studien bestehende Datenpool bis heute einer der grössten Datensammlungen der Geschichte der Psychotherapieforschung dar. Weiterhin ist die Auswahl der Studien bemerkenswert, die wie in Abschnitt 2.3.1.2 berichtet, nur klinisch relevante, kontrollierte Untersuchungen einbezog. Eine Auswertung dieses Datenpools hätte womöglich zu anderen Ergebnissen geführt als die älteren, unter viel weniger kritischen Gesichtspunkten, zustandegekommenen Metaanalysen.

Grawe et al. (1994) greifen am Ende des Buches auf Studien einer aktuelleren Recherche zurück, in denen direkte Therapievergleiche durchgeführt werden. Zwar unterliegen in direkten Therapiever-gleichen beide Therapieformen scheinbar gleichen Bedingungen, aber auch Therapievergleichsstudien weisen teilweise statistische wie theoretische Probleme auf. Smith et al. (1980) hatten bereits den Effekt nachgewiesen, den die Schulenzugehörigkeit einer Forschergruppe („experimenter allegiance“, Smith et al. 1980, S. 119ff, hier Abschnitt 3.2.2.1) in Therapievergleichsstudien durchschnittlich hat. Die Effektstärken gaben sie für die Therapiebedingungen, die von den Forschern vertreten wurde, mit ES = 0,95 an. Für therapeutische Vergleichsbedingungen, die von den Forschern nicht favorisiert wurden, lag die Effektstärke deutlich niedriger bei einem ES = 0,66. Der Allegiance-Effekt war also schon vor der Metaanalyse von Grawe et al. (1994) bekannt und hätte bei der Interpretation der Daten von Therapievergleichsstudien von den Autoren berücksichtigt werden müssen. Diese Kritik gilt für die Interpretation ihrer eigenen metaanalytischen Auswertungen von Therapievergleichsstudien, wie auch die stützende Hinzunahme der Daten von Smith et al. (1980).

Die weitere Entwicklung der Analyse von Therapievergleichsstudien wurde in diesem Band exemplarisch anhand der Metaanalysen von Elliott (2001) und Elliott et al. (2004) für den Vergleich humanistischer und kognitiv-behavioraler Verfahren berichtet (Abschnitte 2.3.2.3 und 2.3.2.4). Sie belegen nach Herausrechnung des Allegiance-Effektes, dass sich kognitiv-behaviorale und humanistische Verfahren in ihrer Wirksamkeit nicht unterscheiden. Zu gleichen Schlussfolgerungen kommen Luborsky et al. (1999, 2002, 2003) in ihren Analysen von Therapievergleichsstudien. Der Größenordnung des Allegiance-Effektes, die Smith & Glass (1980) nachweisen konnten, kommt 25 Jahren später die von Elliott (2001) ermittelte sehr nahe: bis heute lassen sich die Effektstärkedifferenzen zwischen in einer Untersuchung verglichenen Therapien statistisch über die Schulenzughörigkeit der Forscher aufklären.

Auch unter theoretischen Erwägungen sind direkte Therapie-Vergleiche nicht unproblematisch. Es stellt sich z.B. die Frage, auf was eine Therapieorientierung zielt: auf schnelle Symptomveränderungen oder tiefenstrukturelle Persönlichkeitsveränderungen. Unter den verschiedenen Zielrichtungen können andere Verlaufsformen angenommen werden. Diesen Aspekt könnten Smith et al. (1980) im Sinn gehabt haben, wenn sie für den Vergleich von verbalen und behavioralen Therapien darauf hinweisen, dass sich die beiden Therapiegruppen auf weniger reagiblen Erhebungsinstrumenten, die z.B. Persönlichkeitsveränderungen erfassen, nicht unterscheiden.

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Zusammenfassend läßt sich sagen, dass die berner Gruppe den Hauptteil ihrer Datensammlung, die 897 Studien umfasste und damit bis heute als einer der größten vorliegenden Datensammlungen der Psychotherapieforschung gelten kann, metaanalytisch nicht ausgewertet hat. Die Datenverhältnisse, die auf der hier vorgenommenen Auszählung von statistischen Signifikanzen beruhen, stehen im Widerspruch zu den von den Autoren der Metaanalyse gezogenen Schlußfolgerungen, was die Effekte der humanistischen Therapien gegenüber behavioralen Therapien betrifft. Dabei belegen die Daten, dass die humanistischen Verfahren weit effektiver sind, als dies in früheren weniger umfassenden Metaanalysen belegt werden konnte.

Grawe et al. (1994) verweisen darauf, dass die 897 Studien ihres Hauptdatenpools „unter sehr unterschiedlichen Bedingungen zustande gekommen sind“, greifen dann aber selber als Beleg auf die von ihnen zuvor kritisierten Effektstärkenunterschiede aus den älteren Metaanalysen zurück. Dieser vorgenommene Rückgriff auf die älteren metaanalytischen Ergebnisse bleibt hinter dem von ihnen ursprünglich selbst formulierten Anspruch zurück, verschiedene Wirksamkeitsbereiche („Äpfel und Birnen“) sorgfältig getrennt auszuwerten. Gerade die älteren Metaanalysen sind erheblich geprägt durch Verzerrungen infolge der unterschiedlich häufig verwendeten Erhebungsinstrumente in den therapeutischen Grundorientierungen sowie für die direkten Therapievergleichsstudien durch den Verzerrungsfaktor der Schulenzugehörigkeit der Forscherteams, der Allegiance-Effekt. Auf diese beiden, wahrscheinlich wichtigsten Verzerrungsfaktoren wiesen Smith, Glass und Miller (1980) in ihrer Metaanalyse bereits hin und kommen deshalb zu dem Ergebnis, dass sich keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen den verschiedenen therapeutischen Verfahren nachweisen lassen: „In the original uncorrected data, the behavioral therapies did enjoy an andvantage in magnitude of effect because of more highly reactive measures. Once this advantage was corrected, reliable differences between the two classes disappeared.” (Smith, Glass & Miller 1980, S. 105) “Different types of psychotherapy (verbal or behavioral; psychodynamic, client-centered, or systematic desensitization) do not produce different types or degrees of benefit.” (ebd. S. 184) Demgegenüber zitieren Grawe et al. jedoch nur die Effektstärken von Smith et al. (1980) die noch nicht um diese Verzerrungsfaktoren bereinigt sind und stellen die Behauptung auf, die Daten von Smith, Glass & Miller (1980) zusammen mit den Daten aus anderen Metaanalysen würden die Überlegenheit der kognitiv-behavioralen Verfahren bestätigen: „Die Ergebnisse all dieser Analysen stimmen darin überein, dass die Effektstärken für die kognitiv-behavioralen Verfahren etwa doppelt so hoch sind wie die der dynamisch-humanistischen“ (Grawe et al. 1994, S. 670)

Die auf die verwendeten Erhebungsinstrumente zurückzuführende Varianzaufklärung in den Effektstärkeunterschieden zwischen den Therapien liegt nach den hier durchgeführten Modellrechnungen in einem Bereich zwischen 53% und 77%. Gemäß diesen Schätzungen lassen sich also bis zu ¾ der Effektstärke-Unterschiede zwischen den Therapieformen in den älteren Metaanalysen allein darauf zurückführen, wie hoch der Anteil der Symptomskalen gegenüber anderen Erhebungsinstrumenten in den Untersuchungen ist. Deutlich wird, dass durch die unterschiedliche Verwendung der Erhebungsinstrumente in den verschiedenen Therapieverfahren eine starke Verzerrung vorliegt, wodurch die psychodynamischen und humanistischen Verfahren mit ihrem größerem Forschungsinteresse an Persönlichkeitsveränderungen mit einem negativen Bias bewertet wurden. Vor diesem Hintergrund läßt sich die Behauptung einer geringeren Wirksamkeit der humanistischen Verfahren gegenüber den kognitiv-behavioralen Verfahren, nicht aufrechterhalten.

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• Zusammen genommen gilt, dass die humanistischen Therapien relativ zur Anzahl vorgenommener Messungen häufiger signifikante Ergebnisse lieferten als behaviorale und - noch deutlicher - psychodynamische Verfahren. Die zusammengefassten Daten der Ergebnisprotokolle stehen somit im Widerspruch zu den Schlüssen der Autoren, die eine Überlegenheit der behavioralen Therapien behaupteten. Eine effektstatistische Auswertung der Daten des Hauptteils der Metaanalyse von Grawe et al. (1994) wurde nie durchgeführt.

• In der Metaanalyse von Grawe et al. (1994) wird ausgewiesen, dass die behavioralen Therapien weitaus die meisten empirischen Sudien vorweisen. An zweiter Stelle stehen die humanistischen Therapieverfahren, für die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Literaturrecherche mehr als doppelt so viele Studien vorlagen wie für die psychodynamischen Verfahren. Nötig wäre eine Aktualisierung der Vergleichsdaten des Forschungsstandes zwischen den verschiedenen Therapieorientierungen.

• Bislang liegen noch keine direkten Therapievergleiche zwischen psychodynamischen und erfahrungsorientierten Therapien6 vor, insbesondere zwischen Psychoanalyse, Gestalt-therapie und den weiter entwickelten prozess-erfahrungsorientierten Therapien, die gestalt-therapeutische Interventionen einschließen.

• Zukünftige Forschung sollte in Vergleichsstudien mit psychodynamischen Verfahren spezifisch die Verlaufscharakteristika auf unterschiedlichen Prozessebenen kontrastierend zu den erfahrungsorientierten Verfahren untersuchen.

Von besonderem Interesse wäre der Vergleich erfahrungsorientierter Verfahren und hochfrequenter psychoanalytischer Langzeittherapie in ihrer Wirkung auf strukturelle bzw. Persönlichkeits-störungen oder der Vergleich von erfahrungsorientierten Verfahren mit mittelfrequent durchgeführter psychodynamischer, d.h. tiefenpsychologischer Therapie hinsichtlich Konfliktlösung und Symptomreduzierung.

6 Ausgeschlossen wurde hier wegen methodischer Probleme die Studie von Beutler et al. (1984) siehe Box X.

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Prozessforschung

Schuleübergreifende Neuentdeckung der Bedeutung von Emotionen für die Therapie

Verständigung zwischen verschiedenen Therapien über die Erforschung von implizitem Handlungswissen beim therapeutischen Umgang mit Emotionen und die Abbildung der Therapieprozesse in Modellen.

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Relevante Verlaufscharakteristika von erlebnisaktivierenden gestalttherapeutischen Interventionen wurden auf verschiedenen Prozessebenen (Mikro- und Makroebene) ausgewiesen.

• Träume, Metaphern, Körperbilder: Verschiedene Autoren konnten zeigen, dass die Arbeit mit Träumen, Metaphern, Körperbildern den Klienten zu einer größeren Bewußtheit impliziter Gefühle und Überzeugungen im therapeutischen Beziehungsgeschehen verhelfen und den Zugang zu verschütteten Kindheitserinnerungen, -fantasien und -gefühlen eröffnen können. Dabei liefern die Prozessstudien Belege dafür, daß Metaphern und Träume eine gute Basis für tiefergehende therapeutische Exploration und Durcharbeitung darstellen.

• Wichtige Therapiemomente: Mehrere Forschungsgruppen haben sich mit der Frage beschäftigt, wodurch in der Therapiesitzung eigentlich emotionale Verdichtungen, wichtige Therapiemomente oder auch existentielle Momente entstehen, die u.U. so gravierend für den Patienten sind, dass sie einen Wendepunkt in der therapeutischen Beziehung darstellen, z.B. im Sinne eines Anstiegs im Vertrauen, der vielfach verbunden ist mit wichtigen Einsichten und Erfahrungen.

Übersicht Prozessforschung

● Vergleich: Erfahrungsansatz in Gestalttherapie gegenüber analytischer Deutung

● Forschung zu wichtigen/existenziellen Therapiemomenten

– Wendepunkte in der Therapie z.B. im therapeutischen Vertrauensverhältnis z.B. Verbesserung von Symptomen, soziale Lebenssituation etc.

● Forschungsprogramm von L.S. GreenbergProzessforschung und Modellbildung zu gestalt- therapeutischen Dialogen

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Bei den untersuchten gestalttherapeutischen Sequenzen ließen sich verschiedene Varianten von therapeutischen Mikrostrategien identifizieren, die zu Veränderungen im Sinne einer intensivierten emotionalen Spannung beim Klienten in der Therapie führen:

• Fokuswechsel Vordergrund-Hintergrund: Ein für den gestalttherapeutischen Stil typischer Fokuswechsel vom Vordergrund zum Hintergrund, z.B. vom Inhalt einer Erzählung zur aktuellen Selbst- und Fremdwahrnehmung des Patienten oder seinem Ausdrucksverhalten steht häufig im Vorfeld von emotionalen Verdichtungen in der Sitzung und wichtigen Therapiemomenten.

• Emotionaler Ausdruck: Häufig ist direkte Ansprache der Gefühlsebene durch den Therapeuten die Brücke, die dem Patienten ermöglicht, Zugang zu seinen bereits in Ansätzen vorhandenen Gefühlen zu bekommen und diesen Ausdruck zu verschaffen. Wenn in der Therapie Gefühle auftauchen, können sich überraschende und unmittelbare Einsichten herstellen. Dies ist der Fall, wenn der Klient seine eigenen Emotionen akzeptiert und beginnt, Verantwortung für sie zu übernehmen, statt sie zu verleugnen, zu unterdrücken oder zu projizieren. Belegt werden konnte auch die therapeutische Wichtigkeit des Ausdrucks von Ärger und Wut speziell beim Durcharbeiten von traumatisierenden Erlebnissen, insbesondere wenn sich die aggressiven Gefühle mit innerem Schmerz und Trauer mischen. Der Ausdruck von reiner Aggression stellte sich in mehreren Forschungsarbeiten zwar als kathartisch, aber weniger kurativ, als ursprünglich angenommen, heraus.

• Spontaneität und Authentizität: Häufig sind es gerade überraschende Interventionen von hoher Authentizität, die emotionale Verdichtungen in der Stunde herbeiführen. Dabei zeigen

Forschung zu wichtigen/existenziellen Therapiemomenten Gestalttherapie

Dieter Teschke 1996:

1. geringe Übereinstimmung zwischen Therapeut und Klient, was

existenzielle Therapiemomente sind (34% Übereinstimmung)

2. existenzielle Therapiemomente häufig eingeleitet durch

Überraschung:

Therapeut überrascht Klient aber auch

Klient überrascht Therapeut

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die Analysen, dass es nicht nur der Therapeut ist, der den Patienten mit unerwarteten Interventionen überrascht, sondern vielmehr auch der Patient den Therapeuten z.B. mit unvermittelter Ehrlichkeit überraschen kann, womit eine Verdichtung im folgenden therapeutischen Geschehen herbeiführt wird.

Forschung zu wichtigen/existenziellen Therapiemomenten Gestalttherapie

Mahrer et al. 1984-1992:

1. Therapeut spricht die aktuelle Gefühlslage des Klienten an

2. Therapeut spricht den Körperausdruck des Klienten an

(Fokuswechsel von Inhalt auf Ausdruck)

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Leslie S. Greenberg von der kanadischen York-Universität

Greenberg gilt heute als einer der führenden Psychotherapieforscher, Theoretiker und Neubegründer therapeutischer Ansätze, der die „oral History“ des Gestalt-Ansatzes durchbrochen hat. Er begann implizites therapeutisches Handlungswissen der Gestalttherapie zu dokumentieren und zu erforschen.

- In 35 Jahren über 20 Therapiestudien und ebenso vielen Einzelfalluntersuchungen zu gestalttherapeutischen Interventionen

- Modellbildungen vom gestalttherapeutischen Umgang mit emotionalen Prozessen

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Greenbergs Forschungsaktivitäten● Explizitmachen des gestalttherapeutischen

Handlungswissens in der EmotionsarbeitEntwicklung eines therapeutisch-theoretischen Ansatzes mit dem Schwerpunkt auf der Bedeutung der Emotionen in der Therapie

● Entwicklung des Prozess-Erfahrungsansatzes (P/E) später umbenannt in emotional fokussierende Therapie (EFT)

● Klinische Prozess-Wirksamkeitsstudien mit depressiven Klienten und Menschen mit posttraumatischen / Anpassungsstörungen

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Therapeutische Ziele nach Greenberg

- besser Steuerungfähigkeit bei emotionaler Über- und Unterregulation

- innere Aussöhnung/Vergeben (Filmbeispiel)

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Greenbergs Prozess-Outcomstudien

Prozessvariablen Awareness emotionale AktivierungErfahrungstiefe

In allen Studien größere Ausschläge auf den Prozessvariablen unter Gestalt-Intervention als unter

Emotionalem Spiegeln (Klientzentr. Th)Emotionalem Fokussieren (Gendlin)Kognitiv-behavioralen Aufgaben

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Zusammenfassung der Prozesse in einer Sitzung nach Greenberg

In Studien mit Gestalt-Dialogen zeigen Klienten einegrößere awareness stärkere emotionale Aktivierung Größere Erfahrungstiefe experiencing

als in Sitzungen mit GT, emotional focusing, und behavioralen Methoden

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Weiterhin konnten Zusammenhänge zwischen dialogischer Konfliktpolarisierung, emotionaler Aktivierung, Zugang zu unterliegenden (primären) Gefühlen und Bedürfnissen, Konfliktlösung und dem Therapieergebnis in Form (langfristig) verminderter Symptome nachgewiesen werden. In einer Serie von Untersuchungen ließ sich konsistent belegen, dass gestalttherapeutische Interventionen stärkere Erfahrungstiefe und emotionale Aktivierung evozieren als (a) empathisches Spiegeln (b) emotionales Fokussieren und (c) kognitives Problemlösen.

Belegt werden konnte, dass sich die erfolgreiche Lösung eines (neurotischen) Konfliktes aus dem Sitzungsgeschehen über vier spezifische Prozessvariablen voraussagen lässt:

• Aufbau der oppositionellen Spannung: Der Konflikt wird voll entfaltet, es kommt zu einem Aufbau der oppositionellen Seiten, verbunden jeweils mit einer emotionalen Aktivierung.

• Emotionale Aktivierung der konfligierenden Teile des Selbst: Ein klarer und eindeutiger Gefühlsausdruck auf beiden Seiten des Konflikts im Verlauf der Sitzung erweist sich als ein relevanter Faktor für die in einem späteren Stadium erfolgende Auflösung des Konflikts.

• Wechselseitige Repräsentation des anderen Selbstanteils: Hilfreich für die Konfliktlösung ist in einem nächsten Stadium innerhalb der Sitzung eine Auflösung der oppositionellen Spannung, die von einer gegenseitigen Repräsentation und einem gegenseitigen Verständnis der oppositionellen Seiten des Selbst abgelöst wird.

In allen Studien findet sich ein Zusammenhang zwischen den Prozessmerkmalen und einem besseren Therapieergebnis:

z.B. schnellerer Rückgang depressiver Symptomeunter gestalttherapeutschen Interventionen gegenüber klientzentriertem Vorgehen

Greenbergs Prozess-Outcomestudien

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• Zugang zu den zugrundeliegenden (primären) Gefühlen und Bedürfnissen: In der Auseinandersetzung findet letztlich eine Kontaktaufnahme und darüber eine Auflösung des Konflikthaften statt, indem der Patient im Verlauf der Sitzung einen Zugang zu den verschütteten „primären“ Gefühlen und Bedürfnissen findet.

Typisch gestalttherapeutisch geht es im Falle der neurotischen Konfliktstörung darum, in den Konflikt hineinzugehen, statt ihn zu vermeiden. Die emotionale und kognitive Entfaltung der konflikthaften Selbstanteile in der Sitzung fördert den Patient im Zugang zu seinen primären Gefühlen und Bedürfnissen und darüber in seinem psychischen Heilungsprozess.

Neue Modelle zur Bedeutung von Emotionen in der Psychotherapie

Allgemein wird in den Psychotherapieverfahren unterschiedlicher Schulen die Bedeutung von Emotionen zunehmend anerkannt. Dabei kommt der Modellentwicklung durch Greenberg, Rice & Elliott (1993, 2003) besondere Bedeutung zu. Analog zum Schemabegriff von Piaget enthalten „emotionale Schemata“ immer auch Situations- und Handlungsaspekte bis zu konkreten Verhaltensplänen.

• Emotionale Schemata werden als Strukturen gefaßt, die der persönlichen Entwicklung entstammen, emotionale, kognitive und Verhaltenselemente enthalten und die Bedeutungsbildungen, Erfahrungen und Handlungen leiten.

Die epistemologische Grundlage von Greenberg, Rice & Elliott (1993, 2003) ist die Vorstellung eines dialektischen Prozesses:

Modell des Zwei-Stuhl-Dialoges nach Greenberg

- Polarisierung des Konflikts

- Emotionale Aktivierung der konfligierenden Teile des Selbst

- Repräsentation des anderen Selbstanteils Beginn einer Auflösung der oppositionellen Spannung

- Zugang zu den zugrundeliegenden (primären) Gefühlen und Bedürfnissen

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• Bedeutungen entstehen bottom-up auf der Basis von unmittelbaren Empfindungen und top-down kognitiv und konzeptionell in einem wechselseitigen Konstruktionsakt.

Hierzu bildet der aktuelle Stand der Hirnforschung die Ausgangsbasis für den emotionstheoretischen Ansatz der prozess-erfahrungsorientierten Verfahren:

• Angeborene primäre Affekte und Verhaltensmuster bilden die Grundlage für die Entwicklung der emotionalen Schemata. Sekundäre Affekte entstehen in der Reaktion auf persönliche Erfahrungen.

• Emotionale Schemata können adaptiv sein, d.h. angemessene und realitätsgerechte, auf die Bedürfnisbefriedigung ausgerichtete Handlungspläne bereitstellen, sind sie dagegen maladaptiv, bremsen sie den Menschen in seinen Handlungsimpulsen, stören und unterbrechen ihn so in seiner Bedeutungskonstruktion und Bedürfnisbefriedigung, z.B. indem Wahrnehmungen ausgeblendet werden.

Damit knüpft das Modell von Greenberg et al. an Rogers an, der die bedeutungsbildende Funktion der Emotionen betont hatte, wie auch an Perls und Goodman, die den handlungsleitenden Charakter der Emotionen hervorgehoben hatten. Bereits Gendlin und Perls hatten gleichermaßen den Begriff der Maladaptivität in der Organismus-Umwelt-Interaktion vor dem Hintergrund gestörter emotionaler Prozesse herausgearbeitet.

Die Entwicklung forschungsbasierter integrativer Therapieverfahren am Beispiel der prozess-erfahrungsorientierten Therapie

Greenbergs weitere Forschungsarbeiten

Entwicklung von experimentellen Therapieformen, Prozess-Erfahrungsorientierte Therapie, die dann in Emotional fokussierende Therapie umbenannt wurde

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Die prozess-erfahrungsorientierte Therapie integriert das wissenschaftlich belegte Erfahrungswissen aus den verschiedenen humanistischen Therapien in einem eigenen therapeutischen Ansatz.

• Aus Gestalttherapie und klientenzentrierter Therapie übernimmt die prozess-erfahrungsorientierte Therapie eine Orientierung auf Erfahrung und Prozess, die Basishaltung von klientenzentrierter Therapie, sowie die gestalttherapeutische Haltung, auf das Hier und Jetzt zu fokussieren und darüber aktiv Erfahrung zu ermöglichen.

• Wie in der Gestalttherapie gehen die Autoren davon aus, dass Erfahrung und Bedeutungen Ergebnis eines Konstruktionsprozesses sind, integriert aus sensorischen, perzeptuellen und emotionalen Informationen und Erinnerungen. Die Therapie zielt dabei auf eben diesen Konstruktionsprozess.

• Ein zentraler Aspekt der therapeutischen Arbeit ist die Prozessdiagnostik.

Dabei ist es Aufgabe des Therapeuten, im Prozess auf diagnostische Kriterien des emotionalen Prozesses zu achten. Diese indizieren bestimmte Schwierigkeiten des Klienten und werden „kognitiv-affektive Marker“ genannt.

• Sechs verschiedene Marker umschreiben emotional-kognitive Probleme des Klienten: (1) problematische Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis (2) mangelhaftes Selbstverständnis (3) konflikthafte Selbstbewertung (4) Selbstunterbrechungskonflikt (5) unabgeschlossene Prozesse (6) erhöhte Verletzbarkeit

Sind die Kriterien eines Markers erfüllt, unterstützt der Therapeut den Klienten, eine Erfahrung erneut und in allen Aspekte, die zu einem emotionalen Schema gehören, zu durchleben.

Im Zentrum steht die Veränderung emotionaler Verarbeitungsprozesse über eine Veränderung der emotionalen Schemata und der damit verbundenen Bedeutungsbildungen, Handlungen und Lösungsansätze. Die Unterstützung des Therapeuten richtet sich gemäß dem letztgenannten Therapieprinzip darauf, dass der Klient seine selbstgefundenen Handlungspläne und Lösungen auch abschließend in die Tat umsetzt. Insofern ist die Therapie nicht nur erfahrungs- und klärungsorientiert, sondern greift gleichermaßen auf der Handlungsebene ein.

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Konfrontation durch Erfahren

Orlinsky, Grawe und Parks (1994) bringen Merkmale von therapeutischen Prozessen in Verbindung mit den Therapieergebnissen. Ein wichtiger Befund der Autoren ist, dass eine therapeutische Herangehensweise, die „prozesshaftes Erfahren im Hier und Jetzt“ fördert, in einem positiven Zusammenhang mit einem guten Therapieergebnis steht.

Metaanalyse Orlinsky Grawe u. Parks von 1994

Auswertung von Prozess-Outcomestudien verschiedener Therapierichtunge

Gestalttherapie: Konfrontation durch Erfahren „experiential confrontation“

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Diese Herangehensweise, die Aufmerksamkeit auf das unmittelbar prozessual aktivierte Erleben und Verhalten, das ein Patient aktuell im therapeutischen Geschehen hat, zu lenken, bezeichnen die Autoren als „experiential confrontation“.

• Experiential confrontation stellt nach der Metaanalyse von Orlinski, Grawe und Parks (1994) einen starken Prädiktor für ein positives Therapieergebnis dar. Gestalttherapie beruht wesentlich auf diesem Vorgehen.

Gestalttherapeutisches Handlungswissen mit emotionalen Prozessen

Gestalttherapeutisch: Awareness („Experiential confrontation“)

Der Patient wird angeleitet, seine Aufmerksamkeit interpretationsfrei auf sein unmittelbares Erleben und Verhalten im therapeutischen Prozess zu lenken:

- aufkommende Impulsen, Anspannungen - Atmung - unmittelbare sinnliche Wahrnehmung - deutungsfreies sinnliche Nacherleben eines Traumes in der Gegenwart

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Das in der Gestalttherapie entwickelte therapeutische Vorgehen, Klienten an ihr unmittelbar prozesshaftes Selbsterleben hinzuführen und darüber die emotionale Aktivierung zu fördern, erweist sich im Lichte der von Orlinski, Grawe & Parks (1994) vorgenommenen metaanalytischen Auswertung als wirkungsvolle therapeutische Arbeitsmethode. Die aktiven gestalttherapeutischen Interventionen erweisen sich als geeignet, die Erlebensqualitäten in der therapeutischen Sitzung zu intensivieren und können heute wissenschaftlich abgesichert in Verbindung gebracht werden mit einer verbesserten Konfliktlösung unserer Patienten sowie einer Verminderung von Symptomen und Leidensdruck. Auf der Basis dieser Befunde, sowie den vorgelegten Daten zu Anwendungsbreite und Wirksamkeit, müssen eine Reihe von bisherigen Bewertungen der Gestalttherapie, z.B. zur eingeschränkten Anwendbarkeit, revidiert werden.

„Experiential confrontation“:

„Die Aufmerksamkeit wird auf das unmittelbar prozessual aktivierte Erleben und Verhalten, das ein Patient aktuell im therapeutischen Geschehen hat, gelenkt“. (Gestalttherapeutisch: „Awareness“)

Experiential confrontation stellt nach der Metaanalyse von Orlinski, Grawe und Parks (1994) einen „starken Prädiktor für ein positives Therapieergebnis dar. Gestalttherapie beruht wesentlich auf diesem Vorgehen“. Orlinski, Grawe & Parks 1994

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Vergleich Deutung – Experiential Confrontation

Deutungen:

Top-down Aktivität

(über höhere kognitive Integration)

Experiential Confrontation:

Bottom-up Aktivität

(sinnlich-phänomenologisch)

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Orlinsky Grawe u. Parks von 1994

Analytische Deutungen:

Analytische Deutungen, wenn sie zu häufig (unvorsichtig und am Patienten vorbei) eingesetzt werden, können das Widerstandspotenzial des Patienten stark erhöhen.

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Schluss

Die in diesem Buch präsentierten Ergebnisse belegen, dass die Gestalttherapie in ihrer Wirksamkeit und Anwendungsbreite nicht hinter anderen Verfahren zurücksteht und sich in bestimmbaren Veränderungsbereichen sogar durch besonders gute Behandlungsergebnisse auszeichnet.

In den vorgelegten Analysen von Therapieprozessen und Wirkungen zeigte sich, dass der Gestalttherapie unter den verschiedenen Psychotherapien besondere Bedeutung im Bereich der interpersonalen Beziehungen zukommen könnte. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Partnerschaft und soziale Beziehungen in der Familie, mit Freunden und im Beruf. Weitere Daten spezifizieren diese besonders gute Wirkung und weisen darauf hin, dass in der Gestalttherapie Patienten besonders gefördert werden in der Fähigkeit, persönlichen Kontakt herzustellen und Bindungen zu halten, Konflikte besser austragen zu können und interpersonale Probleme zu lösen. Zum einen steht im Hintergrund dieser Effekte die besondere Bedeutung der emotionsfokussierenden und erlebensaktivierenden Herangehensweise der Gestalttherapie. Gleichzeitig belegen die Daten aber auch die Wirksamkeit der Gestalttherapie in der Bearbeitung strikter Normen, Dogmen und Prinzipien sowie der Bewertung der eigenen Person, des anderen und der Beziehung zum anderen. In diesen therapeutischen Veränderungsbereichen könnten die Arbeitsweisen der Gestalttherapie auch zu einer Bereicherung für andere Therapieverfahren beitragen. Die vorgelegten metaanalytischen Befunde bestätigen dabei, dass eine erfolgreiche Verminderung von psychischen Symptomen und Störungen im ganzheitlichen Ansatz der Gestalttherapie gleichermaßen erfolgt, wie in den bislang eher symptomorientierten, behavioralen Verfahren.

Wirksamkeitsnachweise nach den Kriterien des WBP

- Persönlichkeitsstörungen

- postraumatische/Belastungs- und Anpassungstörungen

- affektive Störungen

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Gestalttherapie wurde in der Tradition der humanistischen Therapieorientierung entwickelt. Für die Gruppe der humanistischen Therapien als Ganzes lassen sich keine Wirksamkeitsunterschiede bspw. zur modernen Verhaltenstherapie feststellen. Nach heutigem Forschungsstand zeichnet sich innerhalb der Gruppe der humanistischen Therapien eine besonders gute Wirksamkeit der emotionsfokussierenden, prozess- und erfahrungsorientierten Therapieverfahren ab, für welche die Gestalttherapie das Basisverfahren darstellt.

In vielen klinischen Lehrbüchern wird bis heute noch die Auffassung vertreten, humanistische Verfahren wie die klientenzentrierte Therapie seien weniger effektiv als die behavioralen Verfahren und ihre mögliche Anwendung eher auf Selbsterfahrung begrenzt. Insbesondere wird auf der Basis der älteren Metaanalysen bis heute die Meinung vertreten, humanistische Verfahren seien weniger wirksam als die modernen verhaltenstherapeutischen Verfahren. Die Ergebnisse der hier vorgelegten Meta- und Reanalysen belegen, dass diese Fehleinschätzung der humanistischen Verfahren, einschliesslich der Gestalttherapie, auf einer Reihe von Verzerrungsfaktoren beruht. Insbesondere werden die Ergebnisse der älteren Metaanalysen wesentlich durch die Schulenzugehörigkeit der Forscherteams verzerrt. Die noch immer weit verbreitete Auffassung, Gestalttherapie weise für die klinische Anwendung kaum empirische Belege auf, ist heute nicht mehr haltbar. Insbesondere neuere Untersuchungen weisen zunehmend bessere wissenschaftliche Qualität auf. Während methodologische Schwächen früherer Studien manchmal die Stärke der Effekte verdeckten, dokumentieren jüngere Studien die gute Wirksamkeit der Gestalttherapie zur Behandlung von verschiedenen, auch schwersten psychischen Störungen, sowie die Langzeitwirkung der Behandlung.

In den vorgelegten Analysen von Therapieprozessen und Wirkungen zeigte sich, dass der Gestalttherapie unter den verschiedenen Psychotherapien besondere Bedeutung im Bereich der interpersonalen Beziehungen zukommen könnte, insbesondere Partnerschaft und soziale Beziehungen im familären, freundschaftlichen und beruflichen Bereich. Weitere Daten spezifizieren diese besonders gute Wirkung und weisen darauf hin, dass in der Gestalttherapie Patienten besonders gefördert werden in der Fähigkeit, persönlichen Kontakt herzustellen und Bindungen zu halten, Konflikte besser austragen zu können und interpersonale Probleme zu lösen. Zum einen steht im Hintergrund dieser Effekte die besondere Bedeutung der emotionsfokussierenden und erlebensaktivierenden Herangehensweise der Gestalttherapie. Gleichzeitig belegen die Daten aber auch die Wirksamkeit der Gestalttherapie in der Bearbeitung strikter Normen, Dogmen und Prinzipien sowie der Bewertung der eigenen Person, des anderen und der Beziehung zum anderen. In diesen therapeutischen Veränderungsbereichen könnten die Arbeitsweisen der Gestalttherapie auch zu einer Bereicherung für andere Therapieverfahren beitragen.

Eine weitere empirische Erforschung von gestalttherapeutischer Kontaktarbeit und Dialogprozessen sowie den Methoden der therapeutischen Arbeit mit Kontaktunterbrechungen erscheint notwendig und vielversprechend. Zukünftige Forschung könnte weitere Einsichten in die Wirkung von erlebnisaktivierender Arbeit mit Emotionen ermöglichen, insbesondere wie diese zur Verminderung von psychischem Leiden und Symptomen führt und Veränderungen in interpersonalen Problemen und Persönlichkeitsstörungen bewirkt.

Zu einer guten Methodik von Forschungsprogrammen sollte in Zukunft gehören, den von Elliott und Luborsky beschriebenen Autorenbias zu berücksichtigen, insbesondere, indem in Forschungsteams Vertreter unterschiedlicher Therapieschulen in ausgewogenem Verhältnis zusammenarbeiten. Weiterhin sollte, unter der Voraussetzung von nach Schulenzugehörigkeit ausbalancierten Forschungsteams, Therapievergleichsstudien der Vorzug gegeben werden

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gegenüber herkömmlichen Kontrollgruppenstudien.

Zur Wirkungsweise der Gestalttherapie liefert die Therapieprozessforschung schon heute interessante Ergebnisse und produktive Impulse auch für die praktische Arbeit. Vielversprechend sind vor allem Forschungsprojekte, in denen nach einer Verbindung zwischen verschiedenen Aspekten des Therapieprozesses und dem Therapieerfolg gesucht wird.

Herauszuarbeiten sein wird in zukünftigen Forschungsprogrammen, die im günstigsten Falle Therapieprozesse und –wirkungen gleichermaßen erfassen, welche Besonderheiten und Stärken jede Therapieform charakterisieren. Weitere Studien hierzu sind insbesondere für den Vergleich von humanistischen und psychodynamischen Verfahren sinnvoll und interessant. Insbesondere fehlen nach wie vor Vergleichsstudien, die psychoanalytische Langzeittherapie mit anderen Verfahren kontrastieren.

Ein weiterer Erfahrungsbereich, die therapeutische Arbeit mit Träumen, steht erst am Anfang einer genaueren Erforschung. F. Perls war der Auffassung, dass sich der Patient seine verlorenen Selbstanteile zurückerobern kann, indem er sich in der therapeutischen Sitzung aktiv mit Traumelementen identifiziert, in denen sich diese Selbstanteile verschlüsselt finden. Über die in der Identifikation gemachten Erfahrungen kann der Patient unmittelbar erleben, dass die als fremd erlebten Anteile zu ihm gehören. Die Aktivierung des unmittelbaren, prozesshaften Erlebens in der therapeutischen Sitzung vor allem von im Hintergrund liegenden Anteilen des Selbst ist wesentlicher Bestandteil der Gestalttherapie. Freud hatte die Arbeit mit Träumen als „Königsweg“ der Psychotherapie bezeichnet, prominente Gestalttherapeuten wie Miriam und Erving Polster räumen der Arbeit mit Träumen eine herausragende Bedeutung in der Gestalttherapie ein und auch die behavioralen Therapeuten haben inzwischen begonnen, sich den verschlüsselten Botschaften, die sich in Träumen, Metaphern, Körperbildern und im Körperausdruck finden, zu öffnen. Eine weitere Erforschung der Arbeit mit Träumen dürfte deshalb für unterschiedliche Therapieschulen gleichermaßen von Interesse und Bedeutung sein.

Gestalttherapeuten haben, unter Hinweis auf die Einmaligkeit eines jeden therapeutischen Prozesses, die wissenschaftliche Begleitung ihrer Arbeit lange Zeit zu stark vernachlässigt. Indessen ist die empirische Aufarbeitung der Gestalttherapie in den vergangenen Jahrzehnten erfreulicherweise in einen starken Aufwind gekommen. Wünschenswert wäre, wenn Gestalttherapeuten sich stärker einer wissenschaftlichen Diskussion stellen würden.

Im historischen Teil dieser Arbeit habe ich nachgezeichnet, dass sich Gestalttherapie zunächst stringent aus den experimentellen Bestrebungen, wie sie innerhalb der Psychoanalyse, insbesondere in der Entwicklung von aktiven Interventionen und der Arbeit mit Körperausdruck zu Beginn dieses Jahrhunderts zu finden war, entwickelt hat, bis es zu einem historischen Bruch kam.

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Wichtigste Einflußgrößen aus der Psychoanalytischen und anderenTherapie für die Gestalttherapie

- Siegmund Freud: Bedeutung des Unbewussten, von Abwehr und Widerstand, des Traums als Königsweg, von Übertragung und Gegenübertragung, sowie Regression (teils in modifizierter Form

- Otto Rank: (allgemein wichtig für Humanistische Therapie): Entdeckung des Gewordenseins im Hier und Jetzt im Prozess von Übertragung und Gegenübertragung

- Sandor Ferenczi: Arbeit mit aktiven Interventionen

- Weitere Neoanalytiker z.B. Horney, Sullivan: Arbeit face to face

- Carl Gustav Jung: polare Aufbau der Welt (z.B. Schatten), dialogische Zwiegespräche zwischen Teilen des Selbst

- Wilhelm Reich: Wahrnehmung der Körpersprache, Atmung, Körperpanzerung

- Moreno: Psychodramatische Gestaltung

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Weitere Einflüsse● Gliederung durch Klicken hinzufügen

– Gestaltpsychologie: Konstruktivismus (phi-Phänomen,Zeigarnik-Effekt)

– sonst. Psychologie: Lewin Feldtheorie/Holismus

– Philosophie: Friedländers dichotomer Aufbau der Welt Phänomenologie Existenzialismus

–Religionswissenschaft: Bubers Vorstellung vomHeilsamen im Dialog

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Seit den 50er Jahren haben Gestalttherapeuten intensiv an der Weiterentwicklung erlebensaktivierender Interventionen gearbeitet. Die Weiterentwicklungen in Theorie und Praxis der Gestalttherapie stellen ein Kondensat und eine Synthese dieses Erfahrungsschatzes dar, der heute erst in Ansätzen in gebündelter Form vorliegt. Lag der Erfahrungsschatz der „klassischen“ Gestalttherapie über Jahrzehnte nur als Handlungswissen vor, gewähren die inzwischen vor allem über die Therapieprozessforschung möglich gewordenen Abbildungen des therapeutischen Geschehens neue Einblicke und Erkenntnisse und dokumentieren zugleich auch dieses Handlungswissen. Prozess- und Wirksamkeitsstudien eröffnen heute die Chance, Therapieverfahren wissenschaftlich abgesichert zu verbessern und zu verfeinern. Indessen stellen wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklungen wie die prozess-erfahrungsorientierte Therapie, in denen erforschtes Erfahrungs- und Handlungswissen zusammengefasst werden, letztlich nur einen Auszug dar aus einem Erfahrungsschatz. Diesen haben Gestalttherapeuten im Laufe der letzten 60 Jahre zur aktiven Arbeit mit gestörten emotionalen Prozessen, wie sie in den vielfältigen psychischen Störungen zu finden sind, geschaffen und weiterentwickelt.

Wissenschaftliche Befunde eröffnen auch die Chance für eine bessere Verständigung der Therapieschulen untereinander, was letztlich der Entwicklung besserer Behandlungsmöglichkeiten für Patienten zugute kommt. Die hier vorgelegten Befunde könnten einen weiteren Schritt darstellen in der Neubewertung der innerhalb der humanistischen Therapien entwickelten Alternativen zu den etablierten therapeutischen Vorgehensweisen.

Ich würde mir wünschen, mit der vorliegenden Arbeit eine Beitrag zu leisten für zukünftige

Tiefenpsychologisch fundierte Therapie (nach DFT):

WAS IST TIEFENPSYCHOLOGISCH FUNDIERTE THERAPIE?

Nach einer Entscheidung des Wissenschaftlichen Beirates WBP (2003)ist die Tiefenpsychologie - genauso wie die Psychoanalyse - ein„Psychodynamisches Verfahren“ (=Oberbegriff). Im Zentrum desKrankheitsverständnisses steht das psychodynamische Kräftespiel. DiePhänomene Übertragung, Regression und Widerstand sind für beideVerfahren bedeutsam, aber der Umgang damit unterscheidet sich.

IN DER GESTALTTHERAPIE

- gezielte Arbeit an der Auflösung der Übertragung - begrenzte Regression, eigener phänomenologischer Ansatz für Arbeit mit Träumen (aktive Imagination) - Abwehr und Widerstand im Dienste gesunder Funktionen;

(am ehesten eine Ausnahme ist der Begriff der Introjektion)

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Forschungsarbeiten, den Austausch von Erfahrungswissen, vor allem aber für einen intensiveren schulenübergreifenden Diskurs.

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Vortragsschluss

(STRÜMPFEL 1992)

● Etablierung zweier therapeutischer Orientierungen als Richtlinienverfahren● Psychodynamische Th./Psychoanalyse● Behaviorale Therapie

● Aufspaltung aller anderen Orientierungen in Einzelverfahren, die einzeln wissenschaftlich anerkannt werden sollen durch einen wissenschaftlichen Beirat● Humanistisch: in GT, Gestalt, Psychodrama,

Bioenergetik etc.● Systemische (Familien-) therapie und sonstige

Hauptkritik an der Enquêtekommission

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Beschleuniger des Psychotherapeuten-Gesetzes war ein Einzelvertrag BDP mit der TKK

● War den

● kassenärztlichen Verbänden● Funktionären der Richtlinienverfahren

ein Dorn im Auge

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Grawes Beschreibung der Enquêtekommission

Informationsdienst Psychologie - IDP 3/2005

„Ich war zu diesem Zeitpunkt von der deutschen Bundesregierung zum Gutachter bestellt worden, um zusammen mit anderen das Psychotherapeutengesetz vorzubereiten. Meine Ergebnisse flossen in diese Arbeit ein. Was allerdings am Ende herauskam, war etwas ganz anders, als mir vorgeschwebt hatte. Es ist mir damals nicht gelungen, in der Gutachtergruppe - wir waren zwei Psychoanalytiker, ein Wirtschaftsfachmann, ein Jurist und ich - durchzusetzen, was ich für richtig hielt, nämlich den Abschied von den Richtungen in der Psychotherapie. Wir mussten einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen, und meine Kollegen hielten das für verfrüht, obwohl es aufgeklärte Analytiker waren. So kam es, dass doch von zwei großen Strömungen der Psychotherapie gesprochen wurde: eine, die aus der empirischen Psychologie kommt, und eine, die aus der Psychoanalyse kommt. Ich war mit diesem Teil des Gutachtens von daher unzufrieden und habe meine ureigene Sicht dann in dem genannten Buch publiziert.“

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Grawe forderte in einem Interview noch kurz vor seinem Tod die Aufgabe der „deutschen Regelungswut“ in Form der Kontrolle durch die Richtlinienverfahren und eine verfahrensunabhängige, übergreifende Ausbildung.

Grawes Ideal der Psychotherapielandschaft, die er ein der Schweiz verwirklicht sah

“Aber das, was im Ringen der Interessengruppen (Enquetekommission und Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie) daraus gemacht wurde, ist das Letzte, was ich damals im Sinn hatte.

Läge ich schon im Grabe, so würde ich mich heute darin umdrehen.“ Grawe, 2005.

REPORT PSYCHOLOGIE 7-8/2005

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