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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 58. Jahr Heft 2 Februar 2005

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Zeitschrift der Hessen

für Erziehung, Bildung, Forschung

58. Jahr Heft 2 Februar 2005

2 2/2005

Zeitschrift der GEW Hessenfür Erziehung, Bildung, Forschung

ISSN 0935-0489

I M P R E S S U M

Herausgeber:Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,Landesverband HessenZimmerweg 1260325 Frankfurt/MainTelefon (0 69) 9 712930Fax (0 69) 97 12 93 93E-Mail: [email protected]

Verantwortliche Redakteure:Joachim EulerLeerbachstraße 10360322 Frankfurt am MainTelefon (0 69) 55 04 39Harald FreilingKlingenberger Str. 1360599 Frankfurt am MainTelefon (0 69) 636269Fax (069) 6313775E-Mail: [email protected]

Gestaltung:Michael Heckert, Harald Knöfel

Titelthema:Harald Freiling

Illustrationen:Dirk Tonn (Titel), Thomas Plaßmann (S. 6, 21), ElkeTeuber-S (S. 24), Dieter Tonn (S. 9, 14), Ruth Ullen-boom (S. 4, 26)

Fotos:arbeiterfotografie.com (S. 35), Günter Brée (S. 18),Reinhold Fischenich (S. 2)

Verlag:Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbHIndustriestraße 1661381 Friedrichsdorf undPostfach 194461289 Bad HomburgTelefon (06172) 9583-0

Anzeigenverwaltung:Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbHEdith HestertPostfach 19 4461289 Bad HomburgTelefon (0 61 72) 95 83-0

Erfüllungsort und Gerichtsstand:Bad Homburg

Bezugspreis:Jahresabonnement c 12,90 (9 Ausgaben, einschließlichPorto); Einzelheft c 1,50. Die Abo-Gebühr für die Mitglie-der der GEW Hessen ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.

Zuschriften:Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilderwird keine Haftung übernommen. Bei allen Zusendun-gen behält sich die Redaktion Kürzungen im Falle ei-ner Veröffentlichung vor. Namentlich gekennzeichneteBeiträge müssen nicht mit der Meinung der GEW oderder Redaktion übereinstimmen.Falls möglich, schicken Sie uns bitteIhre Manuskripte auf Diskette.

Redaktionsschluss:Jeweils am 5. des Vormonats

Nachdruck:Fotomechanische Wiedergabe, sonstigeVervielfältigungen sowie Übersetzungendes Text- und Anzeigenteils, auchauszugsweise, nur mit ausdrücklicherGenehmigung des Verlages.

Druck:Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH,34123 Kassel

Aus dem Inhalt

Rubriken

S. 4 Spot(t)lightS. 5 BriefeS. 6 MeldungenS. 34 Recht und RechtsberatungS. 37 Magazin

Titelthema: Lesen

S. 8 Bibliothek und SchuleS. 10 SchreibwerkstattS. 12 Leseförderung in schriftfernen

LebensweltenS. 15 Leseförderung mit der GEWS. 16 Wiesbadener Proklamation zur

Leseförderung bei Jungen

S. 18 Schulbibliotheken in Hessen

Einzelbeiträge

S. 19 Die SPD und die GesamtschuleS. 20 Verfassungsreform in HessenS. 23 Ausbildungsplätze in HessenS. 26 Sprachdefizite im VorschulalterS. 27 Neues ZuwanderungsgesetzS. 28 Sonderpädagogik: Eine BilanzS. 30 Neues HochschulgesetzS. 31 Erfolgreich promovierenS. 32 Ergebnisse der HLZ-UmfrageS. 34 Befristete ArbeitsverträgeS. 34 Neue BeihilfevorschriftenS. 35 Mitbestimmung: Ein-Euro-JobsS. 36 Fortbildungspflicht und -kosten

HLZ

Bildungssendungen im hrDieser Ausgabe der HLZ liegt eineÜbersicht über Bildungssendungen inHörfunk und Fernsehen des Hessi-schen Rundfunks im ersten Halbjahr2005 bei. Vorgestellt werden ausge-wählte Sendungen im hr-Fernsehen(wissen und mehr) und im Hörfunk-programm hr2 (Wissenswert). In derNachfolge der früheren Schulfunk-programme geht der Folder - zumAushängen geeignet - auch an alleSchulen, Studienseminare und ande-re Bildungseinrichtungen.

Beilage in dieser HLZAktualisierte Informationen und dasvollständige Programm findet manim neuen hr-Wissensportal im Inter-net unter www.wissen.hr-online.de,ergänzt durch Hintergrundinforma-tionen, Links und Manuskripte zumDownloaden. Ausgewählte Radio-sendungen kann man sich in vollerLänge im Internet anhören oder fürden Unterricht herunterladen (imRealAudio- oder Mediaplayer-For-mat und zum Download als MP3-File). Zu den Fernsehsendungenkann man sich im Internet kurzeAuszüge oder einzelne Filmbeiträge(im RealVideo- oder Mediaplayer-Format) ansehen. Wer will, kannsich auch per Newsletter über diejeweils aktuellen Sendungen infor-mieren lassen.

Seite 20: Was wird aus derHessischen Verfassung?Eine Enquete-Kommission des Land-tags hat Vorschläge zu einer umfas-senden Änderung der HessischenVerfassung vorgelegt. Der DGB kriti-siert den Entwurf. HLZ-Redakteur Ha-rald Freiling beschreibt und kom-mentiert die Änderungsvorschläge.

Seite 32: Was halten dieGEW-Mitglieder von der HLZ?454 GEW-Mitglieder haben sich ander Leserbefragung beteiligt und ihrUrteil über die HLZ abgegeben. 86 %sind „mehr als zufrieden“. Die HLZ-Redakteure stellen die Ergebnisse derUmfrage und ihre Schlussfolgerungenfür die weitere Arbeit vor.

32/2005

Komm

entar

Wer Bücher für Kinder schreibt und in diesem Me-tier halbwegs erfolgreich werkt, gilt hierzulande irr-tümlicherweise als Auskunftsstelle für die Befind-lichkeit junger Leser und vor allem als Auskenner inSachen „kindliches Leseverhalten“. Und weil das soist, erkundigen sich seit Ausbruch der PISA-Depres-sion Journalisten diverser Medien bei mir, warumdenn unsere Kinder nicht besser lesen können, wasgegen den Missstand zu tun sei, und ob ich nichtauch der Meinung sei, dass man die Kinder zumLesen von Kinderbüchern animieren müsse, um ihreLesekompetenz zu fördern.

Nein, der Meinung bin ich nicht! Obwohl ichklarerweise absolut nichts dagegen habe, möglichstviele Kinder zum Lesen von möglichst vielen Kinder-büchern zu animieren. Aber: Erst wenn die Lese-kompetenz ausreichend vorhanden ist, kann einKind ein Buch wirklich lesen. Ohne diese Fähigkeitist das Lesen schierer Frust und lästige Plage, undselbst sturer Lesedrill brächte keine Kompetenz.

Die simple Technik des Lesens, also Buchstaben-ansammlungen mühelos als Wörter zu identifizie-ren, eignet sich ein durchschnittlich intelligentesKind wohl ziemlich schnell an. Aber damit ist es jaleider nicht getan! Der Sinn der gelesenen Wörtermuss ebenso mühelos verstanden werden. Und da-mit, berichten mir bekümmerte Lehrer, hapert esleider bei sehr vielen Kindern. Diese Kinder lesen ei-nen Text, mehr oder weniger flüssig, Zeile für Zeile,brav runter, können aber hinterher nicht sagen,wovon dieser Text gehandelt hat, auch wenn der In-halt ein recht einfacher gewesen ist.

Nun bin ich ja wirklich kein Experte und Aus-kenner auf diesem Gebiet, aber ich denke mir, dageht es um ein Manko an Vorstellungskraft. Zumkorrekt gelesenen Wort entsteht im Kopf kein Bild.Und das Bild entsteht wahrscheinlich deshalb nicht,weil wir in einer Zeit leben, in der die Bilder dieWörter dominieren. Lauter fix und fertige Bilder, diekeiner Vorstellungskraft bedürfen, um „genossen“zu werden.

Sich in der Freizeit jede Menge Bilder – vor allembewegte – reinzuziehen, ist eine sehr bequeme Artder Unterhaltung, und je öfter und je länger mansich ihr hingibt, umso mehr verkümmert die Fähig-keit, einen Text im Kopf „lebendig“ zu machen. Hin-schauen reicht, mehr ist nicht nötig! Deshalb tun

sich Kinder, die ihre Nachmittage, ihreAbende und ihre Wochenenden fast aus-schließlich vor TV-Geräten, Videorecordernund Playstations zubringen, eben sau-schwer beim Lesen. Und deshalb brauchensie – um es pointiert zu sagen – keine

„Lese-Förderung“, sondern „Leser-Förderung“. Denzur bequemen Selbstbedienung jederzeit abrufbarenBilderfluten müssten verlockende Angebote entge-gengesetzt werden. Theater spielen, Musik machen,tanzen, malen, Geschichten ausdenken und auf-schreiben, Fußball spielen und und und...

Es ginge also schlicht und einfach darum, diesenKindern Beschäftigungen anzubieten, die ihre Fanta-sie, ihre Kreativität und ihre Neugier fordern, ihrselbstständiges Denken fördern und ihr Selbstwert-gefühl stärken. Wetten, dass sich dann die ge-wünschte „Lesekompetenz“ wie von selbst ergebenwürde? Und als Draufgabe noch die Rechen-,Naturwissenschafts- und Problemlösekompetenzendazu.

Und wer sollte all diese schönen, Kompetenz för-dernden Beschäftigungen mit den Kindern unterneh-men? Na sicher: die Schule! Die kann das nämlich,wenn man sie lässt und ihr ausreichend Zeit, Perso-nal und Geld gibt, es zu tun. Darüber zu räsonie-ren, dass die Herren und Damen Eltern ja auchdas Ihre dazu beitragen könnten, ihre Kinder kom-petent zu machen, ist so lächerlich wie müßig. DieEltern, die dazu in der Lage sind, tun es ohnehinund erfreuen sich ihrer cleveren Kinder, und der un-fähige oder unwillige Rest wird sich durch Anmah-nung garantiert nicht ändern.

Falls jemand daran zweifeln sollte, dass dieSchule wirklich der beste Ort ist, den Kindern alldas beizubringen, was aus ihnen selbstbewusste –und dazu noch zufriedene – Blitzgneißer macht,bräuchte er sich ja nur im Ausland umzuschauen.

Christine Nöstlinger

* Blitzgneißer: österr. fürSchnelldenker, aus: DerStandard, Wien, 7.12.2004(Foto: Dachs-Verlag)

Blitzgneißer-Blockade*

4 2/2005

Spot

(t)lig

ht

Es soll Menschen geben, die gern le-sen. Und es überall tun: in der U-Bahn, auf dem Klo, im Bett. Ständiggreifen sie nach Druckerzeugnissen:auf der Tankstelle, in der Drogerie, so-gar im Fachhandel. Sie verzichtenaufs Fernsehen. Sie lauschen allenfallsden Tele-Päpsten und schleppen dieauferlegte Lektüre als Beute heim.Frequentieren Büchermessen, um neueStaubfänger zu jagen. Vom wahren Le-ben haben sie keine Ahnung. „BigBrother“ kennen sie höchstens ausdem verschrobenen Buch „1984“. Die-ter Bohlen und sein literarischer Hüh-nerhof ekeln sie an. Dafür schätzen sieGrillparzer und andere sibirischeSchriftsteller.

Jugendliche hingegen lesen un-gern, vor allem die Knaben. Das liegtdaran, dass sie nur von Weibern un-terrichtet werden. Da kann einem allesvergehen! Anstatt über die Aufstel-lung der Nationalmannschaft zu dis-kutieren, müssen sich die Jungenmühsam in fiktive Problemwelten„einfühlen“, gar in sich „hineinhören“(Wer soll da bitte antworten?). Klar,dass sie stöhnen, wenn ein Bücher-stapel mit Lehrerin darunter in derTür erscheint. „Was, schon wieder?Wir haben doch im vorigen Jahr einBuch gelesen!“ Missmutig blättern sieund berechnen anhand der Schrift-größe den persönlichen Zeitaufwand.Befürchten zu Recht dräuende Inhalts-angaben und Kurzreferate. Beklagenscheinheilig Papierverschwendung undMord an unschuldigen Bäumen.

Weil fossile Bildungsexperten undhungernde Verleger jedoch behaup-ten, dass Lesen bildet, müssen Lehrerweiterhin Bücher mit unwilligenSchülern verkuppeln. Aber gaaanzvorsichtig! Nichts überstürzen. Diezarte Kinderseele könnte Schaden neh-men, wenn sie Ganzschriften oder un-gewohnten Stilebenen ausgesetzt wird.In einer Bibliothek unseres Vertrauensführen wir die lieben Kleinen behut-sam ans fremde Kulturgut heran. Sindgerührt, wenn vereinzelte Schüler Bü-cher entleihen: zwar nur Comics undGruseliges fürs schlichtere Gemüt.

Lesen –eine Qual!

Egal, Hauptsache, es wird gelesen!!!Junglehrer ohne Rückenprobleme or-ganisieren Lesenächte in der Schule.Im Schlafsack eingeschnürt, bringensie Kernstellen und andere „Gedanken-bonbons“ zu Gehör. Allerdings erst,nachdem die Selbstkompetenz hand-lungsrelevant erweitert worden ist,z. B. durch den Kurs „Stimmbildungöffnet Erlebniswelten“. Beim nächtli-chen Vortrag wird der Schluss wegge-lassen. Literarischer Coitus interruptus.Unbefriedigt und gierig stürzen sichdie Kinder am nächsten Tag auf dieBücher und verschlingen selbsttätigdie letzten Seiten!

Grundschüler basteln aufopfe-rungsvoll Lesekisten: Einen Schuhkar-ton z.B. für Harry Potter, die bebrillteZauberwaise. In die Kiste stopft derBastler Kultgegenstände aus seinemLieblingsbuch*: gekrakelte Schatz-karten, tote Frettchen, Zauber-stäbe und Schnee-Eulen-Köddel. Der reichenFantasie sind kei-ne Grenzen ge-setzt. Die bun-ten Schuh-k a r t o n stragen dieG r u n d -s c h ü l e rs t ä n d i gbei sich, zurSteigerung der Lese-lust. Größere Schülerpalavern in Schreib-konferenzen überselbst und fremdverfasste Texte – sowünscht es sich zu-mindest der Metho-dik-Ratgeber. Der ju-gendliche Leser wirdgenötigt, Tagebuch zuführen. Dort soll er seineraren Kontakte mit der Li-teratur festhalten. Auf Eltern-abenden gibt der Lehrer denLiteratur-Missionar. Er verteiltLektürelisten, bettelt um Spen-den für die Klassenbücherei undrekrutiert stillgelegte Großeltern

für Märchennachmittage. Er propa-giert den „Tag des Alphabets“ oderden „Tag der Brüder Grimm.“ Er ver-anstaltet literarische Stadtrundgänge(„Hier hat Emil mit seinen Detektivengerne eine Bockwurst verzehrt“), Vor-lesewettbewerbe, Autorentreffen undliterarische Flohmärkte. Er kümmertsich um neues „Lesefutter“, richtet„Lese-Kuschelecken“ ein, wühlt in teu-ren „Sprachförderkoffern“, bietet„Sprechanlässe für Erzähllandschaften“und trachtet stets danach, wanderndeVakuen mit faustischem Streben zufüllen.

Dabei können Sie auch helfen! DerStaat hat bekanntermaßen kein Geld(zumindest nicht für solchen Quatsch)und fordert Sie auf, sich als ehrenamt-licher „Leselotse“ im nächsten Schul-amt registrieren zu lassen. Oder wollenSie, dass die deutsche Buchkultur unddie HLZ infolge Lesermangels unterge-hen????

Gabriele Frydrych

*) Einige kindliche Außenseiter lesen tatsäch-lich gern! Deren Eltern tun ständig so, als wür-den sie selber lesen, nur weil die Zeitschrift„Familienleben“ behauptet hat: „Lesen machtintelligent!“ Nach einem ähnlichen Er-ziehungsmuster hat übrigens meine Mutterihre jüngste Tochter zum Lebertranessen be-kommen. Wenn der Löffel mit dem stinken-den Extrakt sich dem Kindermund näherte,

hat Mutter geflötet: „Hmmmm,lecker! Das schmeckt gut!

Koste doch mal!“ MeineSchwester ernährt sich

heute noch von Le-bertran. Lesen

tut sie auch.

52/2005

Briefe

Betr.: GesamtschuleSPD verliert Identität

„Landtags-SPD verabschiedet sich vonIntegrierter Gesamtschule und fordertneues Schulmodell“, lautete eine Über-schrift in der Frankfurter Rundschauvom 16. 12. 2004. Empört rief michein Kollege der Integrierten Gesamt-schule (IGS), an der ich 26 Jahre gear-beitet hatte, am nächsten Tag an undfragte mich, ob meine Partei jetztganz die IGS fallen gelassen habe.

Die Ankündigung der SPD imLandtag, „nicht mehr“ über die IGSzu reden, weil sie in Hessen zurück-geblieben sei, und den Wechsel zueiner „Gemeinschaftsschule“ nach fin-nischem Vorbild zu vollziehen, stößtZehntausende von Eltern, Lehrerin-nen und Lehrern und Schülerinnenund Schülern vor den Kopf und istkontraproduktiv im Kampf für dieRücknahme des neuen Schulgesetzesund der gegen das Recht auf Bildunggetroffenen Maßnahmen der Regie-rung Koch.

Welche Erinnerungen werden da-mit unterdrückt? Als die RegierungBrandt 1970 aufgrund einer von Pichtdiagnostizierten Bildungskatastropheihre Bildungsreform einleitete, erklärtesie, dass die getrennte Hauptschule,Realschule und Gymnasium in eindurchlässiges System, die IGS, ver-einigt werden solle. Das gesellschafts-politische Ziel war die Verwirklichungdes Rechts auf Bildung, Chancen-gleichheit durch individuelle Bega-bungsförderung, vielfältiges Angebotund qualitative Verbesserung. Arbeit-nehmerkinder sollten gleiche Chancenerhalten. Steht das für die SPD-Land-tagsfraktion zur Disposition? Glaubendiese „Bildungspolitiker“ wirklich, miteiner „leistungsfähigen und chancen-gerechten (nicht Chancengleichheitschaffenden!) Gemeinschaftsschule“nach finnischem Modell die dringendnotwendige Bilanz der IGS und desKampfes zur Verteidigung des Rechtsauf Bildung für alle umgehen und dasdreigliedrige Schulsystem überwindenzu können?

Warum unterdrücken Bökel undseine Gefolgschaft die eigene sozial-demokratische Geschichte und fröneneiner hektischen Finnlandeuphorie?Wollen sie mit Eltern, Lehrkräften undSchülerinnen und Schülern, mit derGEW über deren jahrzehntelangeKämpfe und Erfahrungen in der Ver-wirklichung der Chancengleichheitüberhaupt noch reden?Lothar Ott, Frankfurt (GEW- und SPD-Mitglied, Gesamtschullehrer i.R.)

Betr.: HLZ 10-11/04ADHS-SyndromFaktor Bewegungsarmut

Professor Gerspach macht in seinemBeitrag auf ein Problem aufmerksam,das offenbar immer größere Ausmaßeannimmt und dessen Komplexitätdurch die übliche Reaktion (Ritalin)offenbar überhaupt keine Rechnunggetragen wird. Auf einen weiterenFaktor möchte ich gerne noch auf-merksam machen, der meines Erach-tens auch eine wichtige Rolle beiADHS spielen könnte: die Bewegungs-armut unserer heutigen Kinder. Wo inmeiner Kindheit noch Freiräume fürSpiele im Freien existierten, ist inzwi-schen alles zugebaut, insbesonderedurch Straßen. Das Auto hat die Kin-der von den Straßen verdrängt. Kin-der, die nicht das Glück haben, in ei-nem Haus mit Garten aufzuwachsen,sondern in den – oft beengten - Ver-hältnissen einer Mietwohnung, habenheute einfach zu wenig Platz, um dennatürlichen kindlichen Bewegungs-drang auszuleben. Doch selbst Kinderaus Wohlstandsfamilien bewegen sicherheblich weniger als Kinder in ver-gangenen Zeiten. Mangel an Spielge-fährten und die Faszination des Com-puters motivieren nicht zum Herum-toben im Freien. LärmempfindlicheNachbarn sind in einer alternden Ge-sellschaft ein verbreiteteres Hindernisfür Spiele im Freien als dies für Kin-der früherer Generationen der Fallwar. Die Verordnungshäufigkeit vonRitalin hat sich seit 1990 versechzig-facht. Im selben Zeitraum hat sich dieAusstattung der Haushalte mit PC auchvervielfacht. Ich fände es wichtig, dasssich die pädagogische Forschung auchdieses möglichen Zusammenhangs mitADHS einmal annehmen würde.

Corinna Harms, E-Mail

Betr.: Lehrkraft des VertrauensAbschaffung ohne Protest

Nach dem neuen Hessischen Lehrer-bildungsgesetz gibt es für die ZweiteStaatsprüfung eine neue Zusammen-setzung des Prüfungsausschusses. Mankann darüber streiten, ob es sinnvollist und wem es nützt, dass die Prüferin Zukunft mehrheitlich die zu prü-fende Person nicht kennen. Bemer-kenswert aus gewerkschaftlicher Sichtist meiner Meinung nach die Tatsache,dass ein Mitglied des Prüfungsaus-schusses nicht mehr vertreten ist, dasin der jetzigen Prüfungsordnung

Anmerkung der Redaktion

Die GEW hat in vielen Stellungnah-men, Briefen und Gesprächen dafürgestritten, dass die Funktion der Lehr-kraft des Vertrauens erhalten bleibt.Der GEW-Landesvorsitzende und dasReferat Aus- und Fortbildung habenalle Lehrkräfte, die diese Funktionausüben oder ausgeübt haben, ange-schrieben und gebeten, Protestbriefezu schreiben. Die HLZ hat den Vorha-ben der Landesregierung mehrere Bei-träge gewidmet. Leider waren die Be-mühungen erfolglos, da die Landesre-gierung auch an dieser Stelle ihremitbestimmungsfeindliche, Transpa-renz verweigernde Politik exekutierthat. Für alle Lehrkräfte in Ausbildung,die derzeit den Vorbereitungsdienstabsolvieren oder ihn am 1. Mai 2005beginnen, kann eine Lehrkraft des Ver-trauens an der Prüfung teilnehmen.

„Lehrkraft des Vertrauens“ genanntwurde, früher auch „siebtes Prüfungs-mitglied“ oder auch „Gewerkschafts-beauftragter“. (...) Dieses Prüfungsmit-glied hatte eine Interessenvertretungwahr zu nehmen, und zwar die Interes-sen des Prüflings und die einer „Stan-desorganisation“ und aus dieser Sichtauf einen fairen Prüfungsablauf zuachten.

Der Wegfall dieses Prüfungs-mitglieds ist nach meiner Beobach-tung ohne jeglichen Protest erfolgt.Dagegen haben es die in den erstenEntwürfen nicht berücksichtigtenSchulleitungen geschafft, wieder imPrüfungsausschuss vertreten zu sein.(...) Was mich sehr wundert, ist die Tat-sache, dass offensichtlich weder vonden direkt Betroffenen, den Lehrkräf-ten in Ausbildung, noch von Seitender GEW oder einer anderen „Standes-organisation“ eine Stellungnahmehierzu erschien.

Ich frage mich, was das über denBewusstseinsstand derselben aussagt.Haben sie sich damit abgefunden, oderhaben sie gar verinnerlicht, dass dievorgeblich objektiven Instrumente derStandardisierung und Qualitätssiche-rung eine personenbezogene Interes-senvertretung überflüssig machen?Bedeutet das nicht, dass sich auch dieGEW in einem Teilbereich für ent-behrlich hält und von den Betroffenenfür entbehrlich gehalten wird? Wenwundert es dann noch, dass die Not-wendigkeit einer Mitgliedschaft kaumnoch gesehen wird?

Gerhard Adrian, HanauFachleiter am Studienseminar für beruflicheSchulen Frankfurt

6 2/2005

Meldungen

Ein-Euro-Jobs an Volkshochschulenund Schulen2004 hat die Volkshoch-schule Frankfurt (VHS) 20 Arbeits-plätze abgebaut, bis 2006 sollen wei-tere 70 Stellen folgen. Diesen Abbauversucht die VHS durch die Auswei-tung von Ein-Euro-Jobs aufzufangen.Ein Planungspapier zur „Personalre-duzierung und Kostensenkung“ sieht„eine Senkung der Personalkosten beigleichzeitiger Anhebung der Zahl dertätigen Mitarbeiter/innen vor.“ Bereitsseit 2001 werden auf der Basis vonKooperationsverträgen mit der Werk-statt Frankfurt e. V. und der Gemein-nützigen Frankfurter Frauenbeschäf-tigungsgesellschaft mbH „externe Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter“ imKundenservice beschäftigt. Siewerden von den Beschäftigungs-gesellschaften vorgeschlagen und vonder VHS ausgewählt. Das Verfahrenhabe sich „gut bewährt“. Deshalb wer-den „nach der Einführung von HartzIV (...) Gespräche mit den beidenBeschäftigungsgesellschaften geführt,in denen das erweiterte Anforde-rungsprofil abgesprochen, die Zuwei-sungsform und die jährlichen Kontin-gente geklärt werden.“ Von den Ein-Euro-Kräften werden unter anderem„sehr gute EDV-Kenntnisse“ undFremdsprachen gefordert. Während9,8 Vollzeitstellen für „festes Perso-nal“ mit 361.654 Euro zu Bucheschlagen, geht das Planungspapier für17,8 Ein-Euro-Beschäftigte von36.000 Euro aus.

Die GEW hat darauf hingewiesen,dass das vorliegende Konzept demMagistratsbeschluss zu Ein-Euro-Jobswiderspricht, der die „Wahrnehmungvon Aufgaben, die – auch teilweise –Bestandteil von Tätigkeitsgebieten re-gulärer Planstellen im Bereich derStadt Frankfurt am Main sind“, aus-

Ein-Euro-Jobsan Volkshochschulen und Schulen

drücklich ausschließt und sicherstel-len soll, „dass es bei der Schaffungvon Arbeitsgelegenheiten zu keinerVerdrängung regulärer Arbeitsver-hältnisse kommt.“

Auch an den Frankfurter Schulensind nach einem Bericht der Frank-furter Rundschau vom 22. Dezemberdie ersten Ein-Euro-Jobber eingetrof-fen. An der Otto-Hahn-Schule „über-nehmen vier ‚Assistenten’ die Pausen-aufsicht, forschen während des Unter-richts nach schwänzenden Schülernund sorgen dafür, dass das Schul-gelände der Nieder-Eschbacher Ge-samtschule sauber bleibt.“ MichaelDamian, Referent von Schuldezer-nentin Jutta Ebeling (Bündnis 90/DieGrünen) möchte Ein-Euro-Jobber anallen Frankfurter Schulen einsetzen.

Gerd Turk, stellvertretender Vor-sitzender des Hauptpersonalrats,warnt vor Illusionen: „Ist die un-geliebte Hausaufsicht erst einmal‚outgesourct’, ist die nächste Pflicht-stundenerhöhung nicht mehr weit,denn Lehrerinnen und Lehrer habendann ‚mehr Zeit’ fürs Unterrichten.“

Die GEW sieht sich in ihrenschlimmsten Befürchtungen zur Um-setzung von Hartz IV bestätigt. Regu-läre Arbeitsplätze werden nicht neugeschaffen, sondern vernichtet, dieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter be-kommen direkte Konkurrenz am Ar-beitsplatz durch Niedriglohnempfän-ger. Der Landesvorstand der GEWHessen hatte deshalb Ende Novemberbeschlossen, den Einsatz von Ein-Euro-Personal in allen Bildungsein-richtungen abzulehnen. Zu den Mit-bestimmungsrechten von Betriebs-und Personalräten hat die GEW aus-führliche Handreichungen erstellt.Eine kurze Einführung findet man aufder Rechtsseite in dieser HLZ (S. 35).

HKM: Gelbe Sprengel imschwarzen Block

Mit der Organisationsreform des hes-sischen Kultusministeriums (HKM)zum 1. Januar 2005 vollzieht sichauch der tief greifende politischeWandel in der Kultusbürokratie. Aussechs Abteilungen werden vier (HLZ10-11/2004). Die Neuordnung siehtvor: Zentralabteilung I (Personal, Or-ganisation, NVS, Schulrecht, Haus-halt), Abteilung II (allgemein bilden-de Schulen), Abteilung III (beruflicheSchulen, Schulen für Erwachsene),Abteilung IV (Lehrerbildung, Einstel-lungen). Mit Ausnahme der Ab-teilungsleitung III (FDP-Parteizugehö-rigkeit), sind die übrigen Abteilungs-leitungen mit CDU-Personen besetztoder sollen nach Freiwerden derAbteilungsleitungsstelle II im Früh-jahr 2005 mit Personen mit schwar-zem Parteibuch besetzt werden.Nachdem Wolf-Michael Kuntze, ehe-maliger Schulaufsichtsbeamter in Ba-den-Württemberg, die Abteilungs-leitung IV übertragen wurde, ist ei-nem Ondit aus dem Bezirk des Staatli-chen Schulamtes für den Hochtaunus-kreis und Wetteraukreis zufolge vor-gesehen, die AbteilungsleitungsstelleII im Ministerium mit der Leiterindieses Schulamtes zu besetzen. Der-artige Ambitionen werden ihr, einerengagierter Vertreterin des Gymnasi-ums mit großer Distanz zu den beruf-lichen Schulen, durchaus zugetraut.

Das Amt für Lehrerbildung (AfL),Rechtsnachfolger des Amtes für Leh-rerausbildung, wird weiterhin vonFrank Sauerland, einem „FDP-Mann“,geleitet. Mit Bernd Schreier (ebenfallsFDP) hat das neu gegründete Institutfür Qualitätsentwicklung (IQ) einenneuen Mann an der Spitze. Schreierwar zuletzt Leiter des Thüringer Insti-tuts für Lehrerfortbildung, Lehrplan-entwicklung und Medien (ThILMM),das ähnlich von einer Auflösung be-droht ist wie das zum 31. Dezember2004 dicht gemachte Hessische Lan-desinstitut für Pädagogik (HeLP). Der56-Jährige Bernd Schreier war von1986 bis 1992 Referatsleiter für dieLehrerfortbildung im Kultusminis-terium und bekannt in der Ära unterMinister Dr. Christean Wagner als einVertreter der freiwilligen Lehrerfort-bildung. In dem hessenweiten Kampfder GEW gegen die „Zwangsfortbil-dung“ blieb Wagner zweiter Sieger.Zugleich gewann das damals noch be-stehende HILF erheblich an Bedeu-tung.

72/2005

Meldungen

GEW kritisiert Schließungvon Berufsschulen

Der GEW Bezirksverband Frankfurterneuerte seine Kritik an den Plänenfür die beruflichen Schulen. DerSchulentwicklungsplan trage mit derSchließung von zwei beruflichenSchulen „zum Bildungsabbau imFrankfurter Schulwesen bei“. Der Planspreche „irreführend von Entghetto-isierung, während er in Wirklichkeitdie Bildungschancen von benachtei-ligten Jugendlichen gravierend ver-schlechtert.“ Die Elly-Heuss-Knapp-Schule und die Heinrich-von-Ste-phan-Schule, die als „Ghettoschulen“geschlossen werden sollen, werden imSchuljahr 2004/05 zu rund zwei Drit-teln von Schülerinnen und Schülernder Teilzeitberufsschule (Berufe imdualen System) und der Fachober-schule besucht.

Der neue Schulentwicklungsplanwerde zudem erheblich teurer als be-rechnet und führe zu absurden Depen-dance-Regelungen. So solle beispiels-weise die Wilhelm-Merton-Schule indie absolut unzureichenden Räumlich-keiten der Elly-Heuss-Knapp-Schuleeinziehen und gleichzeitig eine Au-ßenstelle in ihrem fünf Kilometer ent-fernten bisherigen Gebäude behalten.

GEW 2004: Mehr als21.000 Mitglieder

Die positive Mitgliederentwicklungder GEW Hessen hält weiterhin an. ImJahre 2004 standen den 1.085 Abgän-gen 1.150 Neuaufnahmen gegenüber,ein Nettoplus von 65 Mitgliedern,sodass zum Jahresende 2004 mehr als21.000 Kolleginnen und Kollegen derhessischen GEW angehören (vorläufi-ge Mitgliederzahl am 31. 12. 2004:21.009). Sogar für Kolleginnen undKollegen über 62 Jahre ist die GEWnoch attraktiv: Zwei wurden 2004noch Mitglieder. Im Übrigen über-wiegt bei dieser Altergruppe der nega-tive Saldo mit 164 Nettoabgängen.Ein anderer Negativsaldo ist dagegenpositiv zu bewerten: 41 Arbeitslosetraten in die GEW ein, 135 kündigtenihre Mitgliedschaft, unterm Strich wa-ren dies 94 arbeitslose Mitglieder we-niger. Ein stabiler positiver Trend gehtweiterhin von den Lehrkräften im Vor-bereitungsdienst aus: 326 junge Kol-leginnen und Kollegen gehören nun-mehr der GEW Hessen an. Sie hatteneinen Anteil von 28,3 % an der Ge-samtzahl aller Eintritte.

Grundschullehrerinnen zumneuen Schulgesetz

Auf Einladung der GEW-Fachgruppetrafen sich in Heppenheim Grund-schullehrerinnen und Grundschulleh-rer aus den Kreisen Bergstraße undOdenwald, um sich über das neueSchulgesetz zu informieren. RosemarieFarnkopf aus Viernheim, die demHauptpersonalrat der Lehrerinnen undLehrer angehört, analysierte die Aus-wirkungen des Gesetzes für dieGrundschullehrerinnen und Grund-schullehrer, insbesondere die Verände-rungen in der Lehrerfortbildung, dieAusweitung des Unterrichtseinsatzesauf die Klasse 5 und 6 und die Neuor-ganisation der 1. und 2. Klasse. DieVersammlung lehnte das Gesetz als„Rückfall in die fünfziger Jahre“ ab.

StudentischesSchulpraktikum

Im Oktober 2004 hat die Johann Wolf-gang Goethe-Universität Frankfurt eineneue Praktikumordnung beschlossen.Mit der Einführung eines neuenSchulpraktikums „forschungsbezogenenTyps“ ohne Schulbesuche durch dieuniversitären Betreuerinnen und Be-treuer haben sich die Kräfte durchge-setzt, die die Betreuung der Studieren-den in den Schulen nicht als ihre Auf-gabe sehen. Dafür sollen Studierendeund ihre schulischen Mentorinnen undMentoren - also die Lehrerinnen undLehrer - zu Treffen an der Hochschuleeingeladen werden. Die Studierendensollen im Rahmen des Praktikums„eigenständig“, schul- und unterrichts-bezogene Daten aller Art sammeln undin Berichten dokumentieren. Die for-male Festschreibung von Anwesenheits-zeiten für Studierende und die Verlage-rung von Kontroll- und Betreuungsauf-gaben der Hochschule auf Lehrkräfteund Schulleitungen zeigen, wohin dieReise geht: Fehlende personelle Res-sourcen führen wieder einmal zu einerAusweitung der Aufgaben von Schule.

Eine Broschüre der GEW Hessengibt praktische Hinweise zur Durch-führung des Praktikums und dokumen-tiert die wichtigsten Regelungen derneuen Praktikumsordnung sowie diePositionen der GEW Hessen.

Die Broschüre kann zum Preis von2 Euro (mit Versand) über die Ge-schäftsstelle der GEW (Zimmerweg 12,60325 Frankfurt) bezogen oder ausdem Internet heruntergeladen werden(www.gew-hessen.de).

Streit um Härtefall-kommission in Hessen

Am 1. 1. 2005 trat der neue Zu-wanderungsgesetz in Kraft (HLZ S. 27).Es überlässt es den Ländern, ob und inwelcher Zusammensetzung eine Kom-mission zur Überprüfung von Härtefäl-len eingerichtet wird. Sie soll Empfeh-lungen abgeben, ob ausreisepflichtigenAusländern bei dringenden humanitä-ren oder persönlichen Gründen einBleiberecht ermöglicht wird. In Hessenhat die Landesregierung mit Unterstüt-zung von CDU und FDP beschlossen,diese Aufgabe dem Petitionsausschussdes Landtags zu übertragen. amnestyinternational, die Arbeitsgemeinschaftder Ausländerbeiräte Hessen, der hessi-sche Flüchtlingsrat und die Liga derFreien Wohlfahrtspflege in Hessen kri-tisierten in einer gemeinsamen Erklä-rung den Ausschluss der „zivilgesell-schaftlichen Gruppen“, von Kirchen,Flüchtlingsorganisationen und Sozial-verbänden und sehen die verfassungs-mäßige Trennung von Exekutive undLegislative gefährdet: „Schließlich bleibtes auch nach einer Entscheidung derHärtefallkommission beim verfassungs-rechtlich garantierten Recht der Anru-fung des Petitionsausschusses. Späte-stens dann ist es aber höchst fragwür-dig, wenn die Mitglieder des Petitions-ausschusses ihre eigenen Entscheidun-gen überprüfen sollen.“

Die Tätigkeitsberichte schon exis-tierender Härtefallkommissionen inNordrhein-Westfalen, Schleswig-Hol-stein, Mecklenburg-Vorpommern undBerlin belegen die erfolgreiche Arbeitund beschreiben die Möglichkeiten,für Flüchtlinge und andere betroffenePersonen den gebotenen Schutz zu er-reichen. „Externer Sachverstand er-möglicht die größtmögliche Ausnut-zung der gesetzlichen Ermessensspiel-räume und führt zu größerer Einzel-fallgerechtigkeit.“

10. Deutscher PräventionstagAm 6. und 7. Juni 2005 findet in Han-nover der 10. Deutsche Präventionstagstatt. Schwerpunktthema ist diesesJahr „Gewaltprävention im sozialenNahraum“ mit Vorträgen. Workshops,einer kongressbegleitenden Ausstel-lung, einer Kinderuniversität und Pro-jektpräsentationen. Das ausführlicheJubiläums-Programm zum 10. Deut-schen Präventionstag erscheint imFrühjahr 2005. Alle Informationenzum Kongress finden sich stets aktuellunter www.praeventionstag.de.

8 2/2005

T I T E L T H E M A L E S E N

Bibliothekarinnen und Bibliothekare ziehen mit Lehrerinnenund Lehrern an einem Strang. Öffentliche Bibliotheken för-dern das zielgerichtete Lesen und Lernen für Schule undAusbildung, gleichzeitig aber auch das freie Lesen, denSpaß an der Literatur und an zweckfreier Bildung. Ihr offe-nes Angebot bietet vor allem Kindern aus bildungsfernen El-ternhäusern eine Chance zur Teilhabe am öffentlichen Bil-dungsangebot. Die Lesekompetenz steht heute für die Schu-len wieder im Mittelpunkt der Bemühungen. Lehrerinnenund Lehrer wollen eigenständiges, selbstverantwortetes Ler-nen und Methodenkompetenz fördern, und die Bibliothekenstellen die dafür erforderlichen Bücher und Medien inner-halb und außerhalb des Unterrichts zur Verfügung.

Wie Schule und öffentliche Bibliotheken auf den Gebie-ten der Leseförderung, der Informationsbeschaffung undder Medienkompetenz miteinander arbeiten können, soll

am Beispiel der Stadtbücherei Rüsselsheim gezeigt werden.Im Jahr 2002 war die Stadtbücherei Rüsselsheim für ihre„langjährige und kontinuierliche Arbeit im Bereich derLeseförderung“ mit dem Hessischen Lese-Förder-Preis desMinisteriums für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnetworden. Angelika Lange-Etzel, Leiterin der Kinder- undJugendbibliothek, stellt das Konzept und die vielfältigenFormen der Zusammenarbeit mit den Schulen vor. Außer-dem geht sie folgenden Fragen nach:• Wie kann das Angebot der Bibliothek auf schulischeBelange abgestimmt werden?• Wie kann die Kooperation mit der Bibliothek in daspädagogische Medienkonzept und das Schulprogramm in-tegriert werden?• Wie kann die Kommunikation zwischen den Partnernverbessert werden?

Stadtbücherei Rüsselsheim - Partner der SchulenDie Stadtbücherei Am Treff verfügt über rund 120.000 Bü-cher und Medien, davon sind 20.000 Kinder- und Jugend-bücher. Ein Großteil des Bestandes steht im Grunde auchfür schulische Bedürfnisse zur Verfügung, direkt für denUnterricht oder zur Unterstützung des eigenständigen Ler-nens der Schülerinnen und Schüler außerhalb der Schule:• Lehrkräfte können mit einem Institutionenausweis Bü-cher und Medien kostenlos entleihen.• Die Lehrerinnen und Lehrer können Bücherkisten zu-sammenstellen, und die Mitarbeiterinnen der Kinder- undJugendbücherei helfen bei der Auswahl. Sachbücher underzählende Literatur sind als Schmöker- oder Themenkistenin allen Unterrichtsfächern einsetzbar, nicht nur imDeutschunterricht. Beispiele: Mittelalter-Romane im Ge-schichtsunterricht, Sachbücher über den Tod im Ethik-unterricht, Romane über Gentechnik im Biologieunterricht,Reiseführer für den Erdkundeunterricht. Ideal sind solcheBücherkisten auch für Projektwochen, Klassenfahrten oderNachmittagskurse.• Für die Vor- und Grundschularbeit gibt es thematischeMedienkisten, rund 50 fertige Kisten zu über 40 Themenbe-reichen: vom Thema „Behinderung“ über „Experimente“ und

„Römerzeit“ bis zum „Zaubern“. Auch für Vor-laufkurse wurden unter dem Titel „Deutsch alsFremdsprache“ Bilderbücher und pädagogischeMaterialien zusammengestellt.•Klassensätze mit Kinder- und Jugendliteraturund ausgewählter Sachliteratur für die Grund-schule und Sekundarstufe I sind ebenfalls einwichtiges Bindeglied zwischen Schule und Bi-bliothek. Hier stehen rund 150 Titel zur Ver-fügung, zum Teil auch mit Unterrichtsmateria-lien. Listen, in denen die Titel vorgestellt wer-den, liegen in der Stadtbibliothek aus undsind zukünftig auch über die Homepage abruf-bar.

• Buchausstellungen geben auch den Lehrerinnen undLehrern Einblicke in interessante Themenbereiche. In derletzten Zeit gab es Ausstellungen zu den Themen Philoso-phie für Kinder und Jugendliche, Sport für Kinder und Ju-gendliche und Anne Frank und ihre Zeit.

Kompetenzzentrum für LeseförderungDie Stadtbücherei versteht sich nicht nur als wichtiger au-ßerschulischer Lernort, sondern auch als das zentrale kom-munale Kompetenzzentrum für die Leseförderung. Dazuhaben wir unterschiedliche Bausteine entwickelt:• Bibliotheksführungen: Damit die Schülerinnen undSchüler souverän die Institution Bibliothek nutzen können,müssen sie schon früh entsprechende Fähigkeiten erwerben.Die Stadtbücherei Rüsselsheim hat deshalb Führungen inder Art eines Baukastensystems für alle Phasen des Schüler-lebens entwickelt – von der Vorklasse bis zur Oberstufe.Die Methoden reichen von Buchvorstellungen, Literatur-spielen, Suchaufgaben, Rallyes bis zu Arbeitsaufträgen fürdie Literaturrecherche am Computer. Das Ziel sindBibliotheksprofis mit gefestigtem Leseverhalten, die sichselbstständig in der Literatur- und Medienwelt zurechtfin-den.• „Leselust – Buchempfehlungen“, so lauten neun Buch-empfehlungslisten von der 3. bis zur 11. Klasse mit einemUmfang von jeweils 14 Seiten, die gemeinsam mit dem Ar-beitskreis „Schule und Bibliothek“ herausgegeben werden.Wer empfehlenswerte klassische und aktuelle Kinder- undJugendbücher für bestimmte Klassenstufen sucht, sie selbstlesen und auch seinen Schülerinnen und Schülern empfeh-len möchte, kann hier auf eine einmalige Quelle zurück-greifen. Die Listen gibt es entweder in Papierform in derKinder- und Jugendbücherei oder als pdf-Datei auf derHomepage der Stadtbücherei.• Autorenlesungen: Autorinnen und Autoren kennen zulernen, sich von ihnen vorlesen zu lassen und mit ihnen insGespräch zu kommen, gehört zu einem der Höhepunkte im

Bibliothek und Schule

92/2005

Titelthema

Schulalltag und motiviert nachhaltig zum Lesen. Deshalborganisiert die Stadtbücherei Rüsselsheim gemeinsam mitdem Arbeitskreis „Schule und Bibliothek“ seit über zwan-zig Jahren die „Rüsselsheimer Lesewochen“ mit 60 bis 70Lesungen an Schulen in Rüsselsheim und Umgebung.Qualitätsmerkmale: Kleine Gruppen, also nur eine Klasse,sowie gute Vor- und Nachbereitung. Der GEW-Kreisver-band Groß-Gerau gehört zu den ideellen und finanziellenUnterstützern der Lesewochen.• Seminare und Ausstellungen: Die Kinder- und Jugend-bücherei veranstaltet Vorträge, Seminare und Ausstellungenzu lesepädagogischen Themen, damit neue Ideen und Ver-öffentlichungen der Literaturdidaktik Eingang in das Me-thoden-Repertoire von Lehrerinnen und Lehrern und Erzie-herinnen und Erziehern finden. Bei der Umsetzung der An-regungen in Kindertagesstätten und Schulen entstehen Ar-beiten, die dann wieder in der Stadtbücherei öffentlich prä-sentiert werden: eigene Texte, ein Papiertheater, eine Lese-lampe oder eine Foto-Safari. Die Kinder und Jugendlichensind stolz, dass ihre Werk in einer Ausstellung gezeigt wer-den, und andere Pädagoginnen und Pädagogen erhaltenwieder neue Ideen.• Leseförderungsprojekte der Stadtbücherei: Schreib-wettbewerbe oder Rezensionen von und für Kinder richtensich auch immer an ganze Schulklassen. Die Unterstützungvon Lehrerinnen und Lehrern ist willkommen.• Schulveranstaltungen in der Bibliothek: In der Biblio-thek können auch schulische Veranstaltungen zur Lese-förderung stattfinden. Der Phantasie sind keine Grenzengesetzt. So ist für das Frühjahr 2005 mit einem Gymnasiumein „Jahrmarkt der Bücher“ geplant. Einzelne Klassen bau-en in den Räumen der Bücherei Stände zu Büchern auf, an-dere Klassen können sie besichtigen.• Elternarbeit: Das Leseverhalten der Schülerinnen undSchüler, dies zeigen alle empirischen Untersuchungen, iststark vom Elternhaus geprägt. Deshalb versucht die Stadt-bücherei bei vielen Aktivitäten auch die Eltern anzuspre-chen. Die Zusammenarbeit mit Schulen ist hier besonders

sinnvoll. Sehr gute Erfolge zeigen beispielsweise die Eltern-Kind-Nachmittage für die Eltern der Vorlaufkurse, die ge-meinsam mit einer Lehrerin geplant und arrangiert werden.Die Eltern melden sich in der Bibliothek an und erhaltenpraktische Anregungen, wie sie mit ihren Kindern zu Hausesprechen und was sie vorlesen können.

Kommunikation zwischen den PartnernUm diese vielfältige Kooperation zu gewährleisten, wurdenunterschiedliche Kommunikationsformen zwischen den Be-rufsgruppen entwickelt. Dazu zählen Kontaktlehrer an jederSchule, monatliche Treffen des „Arbeitskreises Schule undBibliothek“, Flyer und Internetinformationen zu den einzel-nen Angeboten, Führungen von neu eingestellten Lehramts-anwärtern und natürlich der tägliche Gedankenaustausch inder Bibliothek. So entstand ein engagierter Kreis von Pä-dagoginnen und Pädagogen, die die Angebote der Biblio-thek rege nutzen und an neuen Ideen und Projekten mitar-beiten.

Da jedoch die Zusammenarbeit der Institutionen Schuleund öffentliche Bibliothek in Deutschland auf Freiwilligkeitberuht, fühlen sich nicht alle Lehrerinnen und Lehrer ange-sprochen. So kann es passieren, dass eine Schülerin oderein Schüler das Schulsystem durchläuft, ohne jemals voneiner Lehrkraft auf die Möglichkeiten der Bibliothek auf-merksam gemacht worden zu sein, obwohl Bibliotheks-besuche in den Rahmenplänen verankert sind. Das darfeigentlich nicht passieren. Zum Vorteil der Kinder solltedie Zusammenarbeit in Zukunft verbindlicher geregelt wer-den. Rahmenvereinbarungen auf Ebene des Landes, die vorOrt bekräftigt und mit Leben erfüllt werden, könnten einguter Weg sein.

Angelika Lange-Etzel

Kontakt: Stadtbücherei Rüsselsheim, Am Treff 5, 65428 Rüsselsheim,Tel. 06142-832760, E-Mail: [email protected],Homepage: www.stadt-ruesselsheim.de

10 2/2005

Titelthema

Sich frei schreiben

Our wayI don‘t know where is my way,

but I think 2getherwe can find our way

or we can createour way 2gether andwe can do it our way.If we have to split up,

we can still walkthe same way.

(Finnish Comenius Group)

Elfchen

Abschied

Leise Tränen

Nicht gewollte Trennung

Stich mitten ins Herz

Vergangenheit

(Maria Kalaitzi)

Creative Writing in der SchreibwerkstattIm Sommer 1992 wurde das Projekt „Kreatives Schreiben“von Roland Kunkel in Zusammenarbeit mit Gaby Voigt(Hessisches Kultusministerium) aus der Taufe gehoben. Ander Alexander-von-Humboldt-Schule Rüsselsheim über-nahm die junge Autorin Christa Hein die künstlerische Lei-tung für das Creative Writing – in den USA sogar ein eige-nes Lernfach. Das Konzept war (und ist) denkbar einfach:Schülerinnen und Schüler werden in Autorenlesungen(Impulsveranstaltungen) zum Schreiben angeregt. Gedichtemit elf Wörtern (Elfchen), Nonsens- oder Reihum-Geschich-ten dienen als Motivation. Schüler, die nur sehr schwerzum Schreiben zu bewegen waren, schrieben plötzlich be-geistert Gedichte und fühlten sich ernst genommen. IhreLeistungen wurden honoriert, und Schreiben war mehr als„nur“ Rechtschreibung und Grammatik. Manche Schülerin-nen brachten danach ihre eigenen Gedicht-Produktionenmit und haben so erfahren, dass sie schreiben können.

Früher kam es gelegentlich vor, dass Schülerinnen undSchüler förmlich beichteten, ganze Gedichtbände verfasstzu haben. Heute schämt sich an der Schule keiner mehr fürein Talent. Zu schreiben und dann zu erleben, dass das an-dere auch lesen mögen, verstehen, am Ende sogar schätzen,hebt das Selbstwertgefühl so weit, dass vieles leichter wird,nicht nur in der Schule, sondern für das Leben überhaupt.

Die Erfahrungen in einer Arbeitsgemeinschaft wurden ineinem eigenen Kurs weiter entwickelt. Dazu trafen sich dieSchülerinnen und Schüler in einem Tages-Seminar (mitAnmeldung) und verfassten mit einem Autor eigene Texte.Die Aufarbeitung der Textproduktion bis zum Layout wur-de danach als Nachmittags-AG fortgesetzt.

Die Schreibwerkstatt war aber mehr: Nach einer rundeinjährigen Produktionsphase wurden die Texte der interes-sierten Schulöffentlichkeit, der Presse und bei Lesungen in

„Schreibwerkstätten gibt es manche. Die der Alexander-von-Humboldt-Schule in Rüsselsheim besteht seit zwölf Jah-ren. Mädchen und auch Jungen schreiben sich frei. Buch-stäblich. Und profitieren davon nicht nur für den Unter-richt“, schrieb die regionale Tageszeitung „Mainspitze“ am

3. Juli 2004. GEW-Kollege Manfred Pöller leitet dieSchreibwerkstatt der Integrierten Gesamtschule im sozialenBrennpunkt und stellt sie als interessantes Beispiel für eineengagierte Schreib- und Leseförderung vor.

der Stadtbücherei (gemeinsam mit anderen Schreibwerk-stätten) und im Rahmen einer Veranstaltungsreihe derEvangelischen Kirchengemeinde vorgestellt. In Kooperationmit der lokalen Presse füllten die Schülerinnen und Schülerganze Zeitungsseiten. Schülerinnen und Schüler nahmenerfolgreich an literarischen Wettbewerben teil. Inzwischenliegen neun Werke mit den Arbeitsergebnissen der Schreib-werkstatt vor.

Die Schreibwerkstatt wird international1998 wurde die Arbeit der Schreibwerkstatt „international“.Im Rahmen des EU-Projekts COMENIUS gab es zunächst eineKooperation mit der italienischen Partnerschule I.T.I.S.Mattei, einer technischen Oberschule in Recanati. In Italie-nisch, Englisch und Deutsch wurden Dichter mit Lokalbezugvorgestellt: Giacomo Laeopardi (in Recanati geboren) undGeorg Büchner (in Goddelau im Kreis Groß-Gerau geboren).Ihre Texte wurden rezipiert und kreativ umgeschrieben: ineinem fiktiven Briefwechsel, einer Kontaktanzeige oder einem„Besuch“ des Dichters in der heutigen Zeit. So entstandenTexte mit erstaunlicher Intensität. In einem Pressegesprächmit ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Schreib-werkstatt schwärmte die Altenpflegeschülerin Julia Zielinski(22), wie sie so „magisch zur Literatur hingezogen wurde“,und für Andreas Dünnwald (23), der inzwischen Informatikstudiert, war es eine so „schöne Zeit“, dass er auch nach demVerlassen der Schule weiter an den Workshops teilnahm unddas Gedichteschreiben beibehielt – „als Gegengewicht zumRationalen, das das Studium abverlangt“. Für Bianca Kargerwar das kreative Schreiben Auslöser für ihr Interesse anKunst und Theater. Heute ist sie Schauspielerin derRüsselsheimer Theatergruppe „Schon geseh’n“.

Im Jahr 2000 folgte das COMENIUS-Projekt „meetarts“:Schülerinnen und Schülern aus Kecskemet (Ungarn), Bo-

112/2005

Titelthema

Des Friedens Buchstaben

FFFFF reude, die mich elektrisiert.RRRRR echt, das Freiheit gewährt.JJJJJ ubel, der mein Herz berührt.EEEEE ntfaltung, die den Sinn nicht verkehrt.DDDDD emokratie, die das Land regiert.EEEEE reignis, das mein Leben verziert.

(Moloud El Mokhtari)

drum (Türkei), Recanati und Rüssels-heim beschäftigten sich eine Wochelang mit unterschiedlichen künstleri-schen Ausdrucksformen, mit Kunst,Tanz und Fotografie. In der Schreib-werkstatt wurde der Versuch des län-derübergreifenden Schreibens unter-nommen. Am Ende stand auch hier wie-der die öffentliche Präsentation.

Auch am COMENIUS-Projekt „KleineWege“ mit der AFEOZ-Schule in Kecs-kemet (Ungarn) und der Paivonsaaren-Schule in Varkaus (Finnland) 2003/04war die Schreibwerkstatt zusammen mitder Foto-AG, der Theater-AG, demStadtteilprojekt und der Video-AG be-teiligt. Die Schülerinnen und Schülerder Partnerschulen tauschten Texteüber „Wege in die Heimat“ „Lieblings-wege“ oder „Lieblingsorte“ aus und ge-stalteten eine Internetseite.

Die Beschäftigung mit der eigenen Sprache und dasKennenlernen fremder Sprachen ist Leseförderung an denWurzeln. In der Schreibwerkstatt werden Wörter und Sät-ze abgewogen und reflektiert, bis sie zu dem Text passen,wird Textarbeit, Stilarbeit, Rechtschreib- und Grammatik-überprüfung en detail betrieben. Wie in einer Werkstattwird Sprache „zusammengebaut“. Die Textentwürfe wer-den in der Gruppe diskutiert und im Sinne einer Schreib-konferenz begutachtet, kritisiert und verändert. An diesemProzess nimmt der „Schulschreiber“ aktiv teil. Unser der-zeitiger Schulschreiber ist Nevfel Cumart, deutsch-türki-scher Autor aus der Nähe von Bamberg, der die Schreib-seminare literarisch anleitet und am Reflexionsprozess perPost oder E-Mail teilnimmt und wertvolle Tipps gebenkann. Er leitet mindestens einmal im Jahr ein Tages-seminar und begleitet die entstandenen Arbeiten bis zumEndprodukt.

Die Schreibwerkstatt ist als Teil der Leseförderung imSchulprogramm der Alexander-von-Humboldt-Schule ver-ankert. Sie wird von der ganzen Schule getragen, die damitauch die Verantwortung für die Finanzierung der Autoren-lesungen und Honorare für den Schulschreiber übernimmt.

In der Schreibwerkstatt engagieren sich vor allem Mäd-chen. Zu schreiben gilt unter Jungen als nicht besondersmännlich, trotz berühmtester Vorbilder. Dennoch ist derVersuch an der Humboldtschule geglückt, auch für schrei-bende Jungen eine Plattform zu schaffen. Am Tag der offe-

nen Tür hängen die Mädchen und Jungen ihre Werke inder Lernwerkstatt und Bücherei auf die Leine. Mitschülerin-nen, Mitschüler und Eltern lesen interessiert und bekommenauf Anforderung den Text. Die Schülertexte wurden inKlassen sogar schon als Unterrichtslektüre gewählt und aus-führlich bearbeitet und interpretiert.

Die Schreibwerkstatt wird so zum kulturellen Netzwerk,das Hobby und Freizeitbeschäftigung mit Schule und Ler-nen verknüpft. Die Erkenntnis, dass eine eigene Leistung inder Öffentlichkeit wert geschätzt wird, trägt zur Steigerungdes Selbstbewusstseins der Schüler bei – mit weit reichen-den Auswirkungen auf das schulische Verhalten der Schü-lerinnen und Schüler. Sie werden selbstsicherer und trauensich mehr zu. Ähnliche Effekte sind aus anderen kreativenProjekten hinlänglich bekannt und beispielsweise von EnjaRiegel in ihrem Buch „Schule kann gelingen“ (Frankfurt2004) zum pädagogischen Prinzip erhoben worden.

Anders als im „normalen“ Klassenunterricht kennt mansich in der internen, kleinen Schreibwerkstatt sehr genau.Die hohe persönliche Wertschätzung der Schülerinnen undSchüler und ihrer Mentorin oder ihres Mentors eröffnet dieMöglichkeit, das Innere nach außen zu kehren und sich freizu schreiben. Die hier angebahnten Schreib-Beziehungenzwischen Mentoren und jungen Autoren sind nachhaltig.Als einige der Ehemaligen 2003 zur Feier des zehnjährigenBestehens in „ihre Schreibwerkstatt“ zurückkehrten, ent-stand die Idee, eine „außerschulische Schreibwerkstatt“ zuverwirklichen, die Anfang 2004 im Rahmen eines öffent-lichen Workshops durchgeführt wurde. Auch diese Arbei-ten wurden inzwischen veröffentlicht.

Wichtig ist, dass kreatives Schreiben nicht nur isoliertin der Schreib-AG stattfindet, sondern auch Eingang in denregulären Deutsch-Unterricht findet: zum Beispiel mit demSchreiben von Lesetagebüchern oder von Elfchen-Gedich-ten. Versuche, kreative Arbeitsgruppen an den Rand desSchulalltags zu drängen, sind dagegen kontraproduktiv,weil die starke Konzentration des Lernstoffes der Ab-schlussklassen auf ihre Prüfungen einen großen Teil krea-tiven Lernens einschränkt oder gar unmöglich macht.

Manfred Pöller

Kontaktadresse für Anregungen und den Austausch von Erfahrungen:[email protected]; die Broschüren „Writing without frontiers“(2000) und „Auf den Weg machen“ (2004) sind gegen einen Unkosten-beitrag von drei Euro über die Schule erhältlich (Alexander-von-Hum-boldt-Schule, Hessenring 75, 65428 Rüsselsheim).

Manfred Pöller (rechts) mit Schülerinnen der Schreibwerkstatt der Alexander-von-Humboldt-Schule in Rüsselsheim

12 2/2005

Titelthema

Das Lesen fördernAuch die jüngste PISA-Studie zeigt: Der Handlungsbedarfin Sachen Leseförderung ist unabweisbar, und er ist groß.Die getesteten 15-Jährigen lesen nicht nur nicht gerne, vie-le können es auch nur schlecht. Die von PISA identifizierteund so benannte „Risikogruppe“, immerhin ein knappesViertel der gesamten PISA-Kohorte, bleibt unterhalb derKompetenzstufe II, die als Mindestanforderung definiert ist,um beruflich, kulturell und politisch am gesellschaftlichenLeben partizipieren zu können. Schichtenzugehörigkeit,Geschlecht und ethnische Herkunft erweisen sich erneut alsbestimmende Faktoren für die Ausbildung von Lesekompe-tenz (1).

Kompetenz und MotivationNun ist Lesen können keine Fähigkeit, die dem Menschenirgendwie naturhaft zu eigen ist. Vielmehr werden Lese-kompetenz und Lesemotivation, Lektüreinteressen wieLesehaltungen, mithin der Habitus im Umgang mit Schriftund symbolisch repräsentierten Welten überhaupt, in einemlebenslang dauernden Sozialisationsprozess erworben. DieLesesozialisationsforschung hat mit Hilfe von Leseautobio-grafien den idealtypischen Verlauf einer Lesebiografie mo-delliert (2). Abbildung 1 (unten) stellt typische Phasen derLesebiografie dar (von der Krise des Schriftspracherwerbsüber die kindliche Viellesephase und die literarische Pu-bertät bis zum Wiedereinstieg ins Lesen) sowie die Leistungeinzelner Phasen für die Ausbildung einer stabilen Lese-motivation und - in Ansätzen - von Lesekompetenz. Sowird etwa die Fähigkeit, literarische Texte zu rezipieren,bereits durch den Umgang mit konzeptioneller Schriftlich-keit (Reime, Geschichten usw.) in der frühen Kindheit er-worben. Die Abbildung gibt darüber hinaus Auskunft überdas Verhältnis von Leseneigung und schulischem Literatur-unterricht und nimmt Ergebnisse quantitativer empirischerLeseforschung auf, indem sie potenzielle Einstiege undAusstiege aus dem (belletristischen) Lesen verdeutlicht.

Im Unterricht treffen Kinder und Jugendliche mit unter-schiedlicher Lesesozialisation zusammen. Leseförderungmuss sich mit diesen unterschiedlichen Voraussetzungenbefassen, weil aus der Perspektive der Lesesozialisation dieHeterogenität nicht als Problem, sondern als Ausgangsbe-dingung für Fördermaßnahmen, für didaktische und un-terrichtspraktische Entscheidungen zu beschreiben ist (3).

• Erstes Zwischenfazit: Leseförderung setzt also Kennt-nisse über typische Verläufe der Lesesozialisation voraus.Außerdem muss sie sich vergewissern, welche Vorausset-zungen die Lesesozialisation der zu fördernden Schülerin-nen und Schüler bestimmen.

Lesen als kulturelle PraxisLeseförderung wurde in den letzten Jahren fast ausschließ-lich unter dem Aspekt der Motivierung zum Lesen disku-tiert, und natürlich können hier gar nicht genug Angebotegemacht werden. Konzepte, die aber ausschließlich daraufsetzen, der in die Krise geratenen Leselust sozusagen aufdie Sprünge zu helfen, sind nur für solche Jugendlichenstimmig, die auf eine intensive Lesekindheit zurückblicken.Sie gehen aber vermutlich an denen systematisch vorbei,die bis zum Ende der Sekundarstufe manifeste Lese-probleme haben, weil die bunte Lesewelt mit Genussver-sprechen lockt, die kaum jemals eingeholt werden. Indemdiesen Jugendlichen Lesen als kulturelle Praxis „von ande-ren“ vorgeführt wird, wird die Distanz noch erhöht. Genaudies belegt unsere Studie zu Lektüre und Mediengebrauchvon Hauptschülerinnen und Hauptschülern (Rezension HLZS. 14).

Um auch für diese Gruppe praxisrelevante Fördermaß-nahmen zu erschließen, ist es deshalb hilfreich, vom Lese-prozess selbst auszugehen. Hier wird deutlich, dass Motiva-tion und subjektive Beteiligung selbst Teil der Lesekom-petenz sind. Frankfurter Kolleginnen und Kollegen (RegineAhrens-Drath, Christoph Bräuer, Irene Pieper und ich) ha-ben für eine Fortbildungsreihe des Hessischen Landesinsti-tuts für Pädagogik (HeLP) zur „Lesekompetenz im Kontext“ein Modell zur Beschreibung von Lesekompetenz entwi-ckelt (Abbildung 2, Seite 13).

Zu den kognitiven und metakognitiven Fähigkeiten, dieder Leseprozess verlangt, gehören die hierarchieniedrigenFähigkeiten der Buchstaben-, Wort- und Satzidentifikation.Die Bedeutungskonstruktion durch die Verknüpfung vonSätzen und auf der Textebene zählt zu den notwendigenhierarchiehöheren Fähigkeiten. Dazu muss die Informationdes Textes mit dem eigenen (Welt-)Wissen in Verbindunggebracht und der gesamte Vorgang metakognitiv geplant,gesteuert und überwacht werden.

Ohne Motivation und subjektive Beteiligung kommt derLeseprozess dabei nicht aus. Dazu gehören Lesebereitschaftund die Fähigkeit, Texte bedürfnisbezogen auszuwählenund bei Schwierigkeiten Unlust auszubalancieren.

In der (Anschluss-)Kommunikation über Lektüre wirddie interaktive und soziale Dimension des Lesens deutlich(4). Lektüreerfahrungen werden so reflektiert und verarbei-tet. In Prozessen der Ko-Konstruktion mit kompetenten An-

132/2005

Titelthema

www.bildungsserver.deEinen guten Überblick über Fachliteratur, Projekte, Leseempfehlungenund Praxisbeispiele gibt es auf der Homepage des Bildungsservers desDeutschen Instituts für internationale pädagogische Forschung (DIPF)unter www.bildungsserver.de. Auf der Startseite findet man in derÜbersicht „Blickpunkt“ auch das Angebot „Lesekompetenz und Lese-förderung“. Die Online-Texte geben einen Überblick über das wissen-schaftliche Design und die Ergebnisse von PISA und IGLU/PIRLS.Vorgestellt und verlinkt sind alle wichtigen Forschungsstellen undBibliotheken, Vereine, Stiftungen und Arbeitskreise. Man kann sichüber wichtige Angebote zur Leseförderung, über Vorlese-Projekte,Leseförderung im vorschulischen Bereich, in der Grundschule und derSekundarstufe informieren und findet Links zur Leseförderung in denLändern, Lektüre-Tipps und Online-Lesetexte.

deren werden die eigenen Lektüreerfahrungen reflektiertund verarbeitet.

Als kulturelle Praxis eröffnet Anschlusskommunikationdie Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben.Der Text selbst schließlich bildet die Grundlage des Lese-vorgangs, er ist Ausgangspunkt aller Konstruktionsleistung.

• Zweites Zwischenfazit: Leseförderung setzt Kenntnisseüber das Lesen und den Leseprozess voraus. Erst auf dieserGrundlage sind diagnostische Aussagen über die Lese-kompetenz beziehungsweise Lesekompetenzprobleme derzu fördernden Schülerinnen und Schüler möglich.

Leseförderung setzt die Qualifikation derjenigen voraus,die sie betreiben sollen, der Lehrerinnen und Lehrer. DaLeseförderung schlechterdings nicht als Aufgabe desDeutschunterrichts alleine zu fassen ist, sondern die Lehr-kräfte aller Fächer auch Leselehrerinnen und Leselehrerwerden müssen, sind die Institutionen der Lehrerfortbil-dung aufgerufen, entsprechende Konzepte bereitzustellen.Meint man es ernst mit der Förderung des Lesens, müssenden Lehrkräften die entsprechenden zeitlichen Ressourcenfür solche Fortbildungen zur Verfügung gestellt werden.Umgekehrt kann und muss Fortbildungsbereitschaft in die-sem außerordentlich bedeutsamen Feld von den Lehrkräftenauch erwartet werden. Dazu gehört auch die Bereitschaft,die eigene Unterrichtspraxis zu reflektieren.

Lesenlernen beginnt nicht mit dem Schriftspracherwerb,und es ist schon gar nicht mit dem Abschluss des Lese-lehrgangs oder dem Ende der Schulzeit beendet. Deshalbmuss das Lesen auch auf der Sekundarstufe Unterrichtsge-genstand sein. Dazu bedarf es eines Lesecurriculums fürSekundarstufe, das die Lesefähigkeit an unterschiedlichenTextsorten explizit entwickelt.

Implizit bietet das Korpus der Kinder- und Jugendlitera-tur (KJL) ein solches Lesecurriculum, das den Weg zu litera-rischer Rezeptionskompetenz öffnet (5). Von den Lehrkräftenverlangt dies einmal Kenntnis in diesem Feld und die Bereit-schaft, aktuelle und originelle Texte mit ihren Schülerinnenund Schülern auch dann zu lesen, wenn dazu keineUnterrichtsmaterialien vorliegen. Zum anderen muss der Ein-satz der Texte im Unterricht funktional im Sinne der Ent-wicklung von Lesefähigkeit sein. Alle empirischen Untersu-chungen zeigen, dass im Unterricht – trotz der insgesamt ge-stiegenen Bedeutung der KJL – vor allem problemorientierteTexte der 70er und 80er Jahre zum Einsatz kommen, diezumeist problemorientiert gelesen werden (6). Der problem-orientierte Lektüremodus ist aber eben nur eine Lesehaltungund der Einsatz der Texte als Themenlieferanten nur eine

Funktion. Hier gilt es das Spektrum zu erweitern, um dieChancen der KJL als Mittel des literarischen Lernens und derLeseförderung tatsächlich zu nutzen. Das Gespräch im Litera-turunterricht hat die große Chance, ein Ort der Anschluss-kommunikation an Lese- bzw. Medienerfahrungen zu seinund Gesprächsfähigkeit darüber herzustellen.

Über den Unterricht hinaus ist Leseförderung eine Auf-gabe der ganzen Schule. Für eine Leseförderung im syste-mischen Modell gibt es inzwischen vielfältige didaktischeund methodische Vorschläge. (Vor-)Leseaktionen oder Buch-wochen haben hier ihren Platz. Im Kern zielen sie darauf,stützende soziale Kontexte für das Lesen als kulturelle Praxiszu schaffen, in die alle am Schulleben beteiligten Schülerin-nen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern einbezogen sind.Schule muss ein Ort sein, an dem vielfältige Lesemedienselbstverständlich zur Verfügung stehen. Freilich, auch hierfehlt es an materiellen Ressourcen, wie die nach wie vor un-zureichende Ausstattung der Schulen mit Bibliotheken zeigt,die diesen Namen auch verdienen. Aber Angebote (beispiels-weise der Stiftung Lesen) gibt es gleichwohl, und deren in-tensiver Nutzung steht ernsthaft nichts im Wege.

Heike Wirthwein, pädagogische Mitarbeiterin für Literaturdidaktikam Institut für Deutsche Sprache und Literatur I der Johann WolfgangGoethe-Universität Frankfurt.

(1) Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzenvon Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen2001,S.95, http://pisa.ipn.uni-kiel.de/Ergebnisse_PISA_2003.pdf, S.11(2) Werner Graf: Der Sinn des Lesens. Münster 2004(3) Susanne Gölitzer: Die Funktionen des Literatur-unterrichts im Rahmen der literarischen Sozialisation.In: G. Härle/B. Rank (Hrsg.): Wege zum Lesen und zurLiteratur. Baltmannsweiler 2004, S. 121-136(4) Bettina Hurrelmann: Lesen. Basiskompetenzen inder Mediengesellschaft. In: A. Barsch et al. (Hrsg.):Lesen + Schreiben. Friedrich Jahresheft Schüler 2003,S. 4 - 11(5) Cornelia Rosebrock: Lesesozialisation und Lese-förderung – literarisches Leben in der Schule. In: Micha-el Kämper-van den Boogaart (Hrsg.) Deutschdidaktik.Leitfaden für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2003,S. 173(6) Gabriele Runge: Lesesozialisation in der Schule. Un-tersuchung zum Einsatz von Kinder- und Jugendlitera-tur im Unterricht. Würzburg 1997

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Titelthema

Die RisikogruppeAls 1972 Konrad Wünsches Buch „Die Wirklichkeit desHauptschülers“ erschien, wurde das Buch von den damalspolitisch sehr unruhigen Lehramtsstudierenden wie die Bot-schaft aus einem unbekannten Land aufgenommen. Schließ-lich hatten auch die, die sich auf die Arbeit in dieser Schulevorbereiteten, in ihrer Schulzeit kaum Gelegenheit gehabt,eine Hauptschule von innen kennen zu lernen.

Wünsches Buch wurde ein pädagogischer Bestseller der70er Jahre. Wer jedoch glaubte, dass nach dieser so inten-siv wahrgenommenen Innensicht diese wenig geachteteSchulform nun auch in der Schul- und Unterrichtsforschungmehr Aufmerksamkeit erhalten würde, wurde enttäuscht,insbesondere von der Didaktik des Faches, das in WünschesBuch eine zentrale Rolle spielt, dem Deutschunterricht. ErstPISA 2000 hat wieder den Blick auf eine Gruppe von Schü-lerinnen und Schülern gelenkt, die am Ende ihrer Schulzeitkaum lesen können (vom Schreiben ganz zu schweigen)und zumeist die Hauptschule besuchen.

Im Jahr 1999, also noch vor den ersten PISA-Tests,startete eine Gruppe um die Frankfurter Literaturdidakti-kerin Cornelia Rosebrock ein von der Deutschen For-schungsgemeinschaft gefördertes Projekt zum Literatur-unterricht in der Hauptschule, das jetzt mit der Veröffent-lichung der Projektergebnisse 2004 seinen Abschluss fand.Die Projektgruppe hat nicht, was nahe gelegen hätte, abergewiss eminent schwierig gewesen wäre, alltäglichen Lese-und Literaturunterricht an Hauptschulen beobachtet, auf-genommen und analysiert, sondern, was immer nochschwer genug war, nach ehemaligen Hauptschülerinnenund Hauptschülern Ausschau gehalten, die nach etwa zweiJahren Abstand zum Ende ihrer Schulzeit bereit waren,im Gespräch ihre Erfahrungen aus dem Literaturunterrichtmitzuteilen. Die jungen Erwachsenen gingen in dreiFrankfurter Hauptschulen mit einem sehr hohen Anteilvon Jugendlichen aus Migranten-Familien. Neben 30Schülerinnen und Schülern gewann die Projektgruppeauch die Mitarbeit von sieben Lehrerinnen und einemLehrer, die nur zum Teil in den drei Hauptschulen, aberalle an großstädtischen Hauptschulen unterrichten.

Die „narrativ orientierten, Leitfaden gestützten Inter-views“ mit den ehemaligen Schülerinnen und Schülernund den Lehrkräften waren das umfangreiche Daten-material, das die Gruppe nach allen Regeln empirischerSozialforschung durchleuchtete, um zu intersubjektivüberprüfbaren Ergebnissen zu kommen. Wer an den Er-gebnissen sieht, was aus dem Anspruch auf literarischeBildung geworden ist und wer mit bedenkt, dass diesetraurige Schwundstufe von Literaturunterricht inzwischenim neuen, nach PISA I verordneten hessischen Hauptschul-Lehrplan und in den damit kompatiblen KMK-Standardsfür den Hauptschulabschluss offiziell legitimiert wird, -den wird, was die Lesekompetenz von Hauptschülerinnenund Hauptschülern betrifft, auch PISA III, IV, V usw. nichtmehr überraschen.

Die Projektgruppe sieht ihren Bericht „nicht nur in ei-nem deskriptiven, sondern auch in einem didaktisch ori-entierten und damit normativen Horizont“. Die Ergebnisseseien „im Blick auf die Deutschdidaktik der Hauptschuleaußerordentlich beunruhigend“, machten sie doch evident,

was bei einer Zusammenschau von PISA und IGLU vermu-tet werden müsse: „Die Abhängigkeit der Leseleistungvom sozialen Umfeld“ nehme „von der Grundschule in dieHauptschule deutlich zu“; sichtbar werde „ein Auseinan-derdriften der Leistungen von Schülerinnen und Schülernzwischen den weiterführenden Schulformen“; die „negati-ven Effekte der frühen Selektion des Bildungssystems wiesoziale Stigmatisierung und ihre Folgen“ seien „in derHauptschule besonders wirkungsmächtig“. Eine Schulformaber, „die die spezifischen Fördermöglichkeiten“ für ihreSchülerinnen und Schüler nicht realisieren könne, „umderentwillen sie besteht“, stelle „ihre eigene Legitimitätelementar in Frage“ (S. 24 f.).

Das ebenso düstere wie plausible Fazit der Studie hatdie Projektgruppe nicht davon abgehalten, in einemSchlusskapitel eine didaktische Perspektive für den schwie-rigen Literaturunterricht an Hauptschulen zu entwerfen.Darin sehe ich keinen Widerspruch zu der eigentlich logi-schen Konsequenz des Projekts, zu der Forderung, dieseSchulform möglichst bald abzuschaffen. Denn auch dort,wo, wie von der schleswig-holsteinischen Landesregierunggeplant, die Hauptschule nach skandinavischem Vorbild ineine gemeinsame Schule für alle integriert werden soll, istdafür eine Zeitspanne von zehn Jahren vorgesehen.

Wenn die Projektgruppe am Ende darauf hinweist,dass die sechssemestrigen Lehramtsstudiengänge, zu de-nen auch der Studiengang „Lehramt an Hauptschulen undRealschulen“ gehört, in der Hierarchie der universitärenStudiengänge ganz unten angesiedelt würden, ja dieseKurzstudiengänge „im Blick auf soziale Stigmatisierungfaktisch gewissermaßen der Hauptschulzweig der Univer-sität“ seien (S. 204 f.), so wird man dies wohl nur ändernkönnen, wenn eine Reform der Lehrerbildung nicht nurmehr schulpraktische Studien, auch in der Hauptschule,anstrebt, sondern endlich ein einheitliches Lehramt für dieSekundarstufe I vorsieht und für die, die die pädagogischund fachdidaktisch schwierigste Arbeit leisten, genügendAnreize schafft, um die psychisch Stabilsten und fachlichBesten für die Arbeit in der Hauptschule zu gewinnen,- solange es diese Schule gibt mit Kindern und Jugend-lichen, die einen besonderen Anspruch darauf haben, zumLesen und zur Literatur motiviert zu werden.

Valentin Merkelbach

• Lesesozialisation in schriftfernen Lebenswelten. Lek-türe und Mediengebrauch von HauptschülerInnen, vonIrene Pieper, Cornelia Rosebrock, Steffen Volz und HeikeWirthwein. Unter Mitarbeit von Olga Zitzelsberger, Kat-rin Kollmeyer und Daniel Scherf. Weinheim, München:Juventa 2004, 272 Seiten, 23 Euro

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152/2005

Titelthema

Leseförderung mit der GEW

www.ajum.deSchon im dritten Jahr schreiben GEW-Kolleginnen und -Kollegen Besprechungen aktueller Kinder- und Jugendbü-cher und veröffentlichen sie auf der Homepage der Arbeits-gemeinschaft Jugendliteratur und Medien (AJuM) der GEW(www.ajum.de). Die Empfehlung bedeutsamer Kinder- undJugendbücher, Bilder- und Sachbücher durch Gewerk-schafterinnen und Gewerkschafter hat in der „Jugendschrif-tenwarte“ und den „Jugendschriftenausschüssen“ eine schonüber 100-jährige Tradition. Die von der AJuM herausgege-bene Zeitschrift „Beiträge Jugendliteratur und Medien”wurde 1893 unter dem Namen „Jugendschriften-Warte”durch den Reformpädagogen Heinrich Wolgast gegründetund ist damit die älteste Fachzeitschrift zu Fragen der Kin-der- und Jugendliteratur und ihrer Didaktik.

Die Broschüre Buch der Jugend wurde von der Arbeits-gemeinschaft von Jugendbuchverlagen e.V. (avj) nach meh-reren Jahrzehnten leider eingestellt. Danach hat eine Re-daktion der AJuM der GEW alljährlich Taschenbuchtippserarbeitet. Für die hessische GEW und AJuM habe ich mit-gearbeitet. Mit Hinweisen auf Lehrerhandreichungen, ande-re mediale Umsetzungen, mit einem Schlagwortverzeichnisund mit Altersempfehlungen war dieses Taschenbuch einewertvolle Hilfe für den Deutsch- und Literaturunterricht.Leider hat die avj auch bei dieser Publikation die Zusam-menarbeit mit der AJuM 2004 aufgekündigt.

Zum Glück ist dies nicht unser einziges Standbein. In-zwischen stellen wir sämtliche Beurteilungen, die in Aus-

schüssen, immer häufiger aber auch in Einzelarbeit entste-hen, ins Internet und leiten sie an die Verlage und Autorin-nen und Autoren weiter. Inzwischen gibt es über 8.000 Be-urteilungen aus allen Landesverbänden der AJuM. Ver-schlagwortung, Medienart, Altershinweise sind neben Titel,Autor und Verlag Hilfen, um geeignete Bücher für den ei-genen Bedarf zu finden. Die AJuM vergibt außerdem denHeinrich-Wolgast-Preis zur Darstellung der Arbeitswelt inKinder- und Jugendbüchern und veröffentlicht eine Listeempfohlener Taschenbücher für den Unterricht.

Seit September 2003 vergibt die AJuM monatlich – imWechsel für ein Bilderbuch, ein Kinderbuch und ein Ju-gendbuch – den LesePeter. Die ausführliche Rezension (mitpädagogischen Hinweisen) des Buchs ist im Internet unterwww.ajum.de oder www.LesePeter.de abrufbar.

Eine enorme Rolle spielt das persönliche, ehrenamtlicheEngagement der AJuM-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiterin Sachen Leseförderung. Im Netzwerk Leseförderung ar-beiten wir mit verschiedenen Institutionen zur Lese- undSchreibförderung zusammen: mit einzelnen Schulbibliothe-ken und der Landesarbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken(LAG), mit dem Arbeitskreis Literatur & Schule, demFriedrich-Bödecker-Kreis und der Stiftung Lesen. Wir en-gagieren uns in der Lehrerfortbildung und in regionalenInitiativen für Lesewochen.

Die hessischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AJuMtreffen sich in der Regel einmal jährlich im Herbst. Kurz nachder Frankfurter Buchmesse werden neue Bücher, Trends undThemen vorgestellt. Wir beraten über die eigene Arbeit, ent-wickeln Beurteilungskriterien (zum Beispiel für neue Medien)und besprechen Maßnahmen zur Qualifizierung und Verbesse-rung der Öffentlichkeitsarbeit. Bei der letzten Tagung im Okto-ber 2004 in Mengsberg machte Sylvia Schopf vom Krick-Krack-Theater mit dem Erzähl-Theater „Malinche“ bekannt.Wie schon beim Wiesbadener Lesekongress im November2005 über das Leseverhalten von Jungen „Alle Mann ansBuch!“ (HLZ S. 16) wollen die hessischen AJuM-Kolleginnenund –Kollegen 2005 zum Schulbibliothekstag eine eigene Ta-schenbuch-Hitliste zusammenstellen und mit einem Infotischund in Workshops in Erscheinung treten (HLZ S. 18). Bei derFrankfurter Buchmesse will die AJuM 2005 ei-nen eigenen Stand organisieren. Das anschlie-ßende Treffen der AJuM Hessen soll am 29. 10.2005 in Driedorf stattfinden. Schwerpunkt solleine Computer-Fortbildung sein.

„Nichts wie ran an die Bücher !“ und „Le-sen lernt man nur durch Lesen!“: Dafür schla-gen wir auch 2005 laufend neue Bücher vor –und wir freuen uns über neue interessierteMitarbeiterinnen und Mitarbeiter!Hannelore Verloh, Landesvorsitzende der AJuMHessenKontaktadresse: Heuweg 1, 35759 Driedorf, Tel./Fax:02775-7347, E-Mail: [email protected]

Heinrich-Wolgast-Preis für „Der Ball ist rund“Das Bildungs- und Förderungswerk GEW hat im Jahre1986 den Heinrich-Wolgast-Preis gestiftet, um die Dar-stellung der Arbeitswelt in der Kinder- und Jugendlitera-tur zu fördern. Ausgezeichnet werden Kinder- und Ju-gendbücher, „die sich in beispielhafter Weise mit Erschei-nungsformen und Problemen der Arbeitswelt befassen.“Dabei können auch bisher unveröffentlichte Arbeiten ein-gereicht werden. Der mit 4.000 Euro dotierte Preis wirdim April 2005 zum achten Mal vergeben. Im Rahmen desErfurter Gewerkschaftstages wird Thomas Ahrens (52), seit1985 festes Mitglied des Berliner GRIPS-Ensembles, fürsein Theaterstück „Der Ball ist rund - ein Globalisie-rungskrimi“ ausgezeichnet. Das Stück setzt sich mit derAusbeutung in der Dritten Welt am Beispiel der Praktikeneines Sportartikelherstellers auseinander. „Die Mischungaus Informationsvermittlung über wirtschaftspolitischeZusammenhänge, Liebesgeschichte, Fußballbegeisterungund Familiengeschichte ist sehr überzeugend“, heißt es inder Begründung der AJuM. Textbuch und Materialheftkönnen beim GRIPS-Theater, Altonaer Str. 22, 10557Berlin, für 4 Euro bestellt werden.

GEW-Kollegin Hannelore Verloh (54) ist hessische Landes-vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur undMedien (AJuM) )der GEW. Sie ist Lehrerin an der IGSWesterwaldschule Driedorf und engagiert sich auch in der

Lehrerfortbildung für die Leseförderung. Sie gehört derdreiköpfigen Jury zur Verleihung des Heinrich-Wolgast-Preises an. Hannelore Verloh stellt die bundesweiten undhessischen Aktivitäten der AJuM vor.

16 2/2005

Titelthema

Wiesbadener Proklamation

„Alle Mann ans Buch“ war der herausfordernde Titel einerFachtagung zu „Perspektiven geschlechterdifferenzierenderLeseförderung der 10- bis 16-Jährigen“, veranstaltet vomHeLP Wiesbaden in Kooperation mit dem Hessischen Kul-tusministerium und dem „Kulturmobil“. Ein ausführlicherKongressbericht von Angelika Schmitt-Rößer und HanneloreVerloh erscheint in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift„Beiträge Jugendliteratur und Medien“, die von der Ar-beitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEWherausgegeben wird. Ende der Fachtagung in der Elly-Heuss-Schule wurde die folgende Erklärung verabschiedet.

Die OECD erklärte im Sommer 2003 die Leseförderung derJungen weltweit zu einem vorrangigen Ziel von Bildung.Dies erfolgte als Reaktion auf die Ergebnisse der internatio-nalen Schulleistungsstudie PISA 2000. Bei der Untersu-chung von Lesekompetenz schnitten die Jungen in allen ander PISA-Studie beteiligten Ländern eine halbe Kompetenz-stufe schlechter ab als die Mädchen. Die Befunde weisendarauf hin, dass die Geschlechterdifferenzen zumindest zumTeil auf Unterschiede in der Motivation zum Lesen zurück-zuführen sind.

• Lesen in der Schule wird häufig als „weiblich“ identifi-ziert, Lesen von schulfremden „männlichen“ Stoffen garnicht als Lesen wahrgenommen. Der schulische Unterrichtmuss sich dieser Situation stellen und Jungen sowie Mäd-chen auf die Herausforderungen der vielfältigen „Lese-welten“ vorbereiten.

• Lesen eröffnet wie kaum eine andere KulturtechnikWege zum gesellschaftlichen Erfolg. Es begleitet den Men-schen als zentrales Element seines lebenslangen Lernens, istSchlüssel zur Informationsentnahme und Informationsver-mittlung, eröffnet den Zugang zu Ungewohntem und Frem-dem.

• Angesichts der Vielgestaltigkeit des Lesens gilt es, denLesebegriff zu erweitern. Viele Menschen bezeichnen sichals Nicht-Leser, weil sie keine Bücher lesen, obwohl sie ihrLeben lang mit verschiedenden Texten umgehen. Lesen be-gleitet die Schülerinnen und Schüler auch im Alltag mitHinweisen und Anleitungen, im Umgang mit dem Computer,natürlich auch bei der Lektüre von „Heftchen“, Zeitschrif-ten und Comics und nicht zuletzt bei der Lektüre herkunfts-sprachlicher Literatur. Lesen darf nicht zu eng definiertwerden als das Lesen im Deutschunterricht mit einem fest-gelegten Literaturkanon und einer Überbewertung der „äs-thetischen Dimension“.

Leitideen• Der Prozess des Lesenlernens ist nie abgeschlossen, des-halb ist es auch in der Sekundarstufe I und darüber hinausin der Oberstufe sowie in der Berufsschule keineswegs zuspät, mit Leseförderung zu beginnen. Die verhängnisvolleWahrnehmung von Schülerinnen und Schülern, sie könntennicht „lesen“, führt sie und ihre Lehrerinnen und Lehrer ineine destruktive Abwärtsspirale.

Leseförderung bei Jungen und männlichen Jugendlichen• Für die Motivation der Schülerinnen und Schüler ist eswichtig, die Wertschätzung und Akzeptanz ihres Erfah-rungsschatzes zu erleben. In der Schule müssen sie als Le-serinnen und Leser der unterschiedlichsten Texte respek-tiert und gefördert werden. Gleichzeitig sollte die kulturelleund sprachliche Vielfalt in den Klassen akzeptiert und alsChance genutzt werden.• Lesen ist kein isolierter Bereich, sondern eine grundle-gende Fertigkeit, die wie das Schreiben immer wiederpraktiziert wird und sich dadurch entwickelt. Dabei solltensich die Lehrerinnen und Lehrer als Teil einer lernendenGemeinschaft wahrnehmen, deren eigene Entwicklung alsLeserinnen und Leser nie abgeschlossen sein kann.

Konsequenzen für die PraxisHier wird der Fokus zur Verbesserung der Leseförderungauf drei wichtige und aufeinander abzustimmende Bereichegerichtet: Lehrerbildung, Schulentwicklung und Unterricht.

1. Lehrerbildung• Die Bildungspolitik sollte der umfassenden „Feminisie-rung“ der frühen literalen Sozialisation durch eine mittler-weile fast ausschließlich weibliche Besetzung des Erzieher-und Grundschullehrerberufes entgegensteuern, indem gezieltMänner für diese Berufe als Nachwuchs geworben werden.• Erkenntnisse der kognitionspsychologischen Lese- undTextverstehensforschung sowie der Lesesozialisations- undLesebiographieforschung sollten als Grundlagenwissen indie Lehreraus- und -fortbildung aller Fächer integriertwerden, zum Beispiel in Form eines Pflichtmoduls „Lese-sozialisation und Erwerb von Reading Literacy“.• Kenntnisse über geschlechtsspezifische Leseinteressen und-voraussetzungen sollen dabei ebenso erworben werden wieFähigkeiten zur Diagnostik von Leseschwierigkeiten. Eineschülerorientierte Diagnostik öffnet neue Fenster zur indivi-duellen Leseförderung von Schülerinnen und Schülern.• Vorhandene internationale Best-Practice-Modelle zurLeseförderung von Jungen und Mädchen, von Kindern ausbildungsfernen Schichten und Migrantenfamilien solltenrezipiert und in die Lehrerausbildung und Lehrerfortbil-dung integriert werden.• In der Ausbildung der Deutsch- und Fremdsprachen-lehrerinnen und -lehrer müssen umfassende Kenntnisseüber die aktuellen (potenziellen) Lesestoffe von Kindernund Jugendlichen vermittelt werden. Die flächendeckendeVerankerung von Lehrstühlen und Dozenturen zur Kinder-und Jugendliteratur sowie zur Kinder- und Jugendmedien-forschung in allen Lehramtsstudiengängen ist hierzuunerlässlich.

2. Schulentwicklung• Die Erkenntnisse der Lesesozialisationsforschung undLiteralitätsforschung müssen Eingang in Lehrpläne, Richt-linien und Rahmenvorgaben finden, um eine nachhaltigeLeseförderung in den Schulen zu ermöglichen.• Leseförderung auch von Jungen muss Bestandteil desSchulprogramms und der Schulentwicklung sein. Das Lese-

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Titelthema

Leseförderung in Hessen• Einen guten Überblick über Fachliteratur, Projekte, Lese-empfehlungen und Praxisbeispiele gibt die Homepage desBildungsservers des Deutschen Instituts für internationale pädago-gische Forschung (DIPF) unter www.bildungsserver.de (HLZ S. 12).• Zu den Sauriern der Leseförderung gehören der Vorlesewett-bewerb des Börsenvereins des deutschen Buchhandels (GroßerHirschgraben 17-21, 60311 Frankfurt) für die sechsten Klassen allerSchularten und die Angebote der Stiftung Lesen (Fischtorplatz 23,55116 Mainz, www.stiftunglesen.de).• Dass Vorlesen aus der Mode gekommen ist, wollen gleich meh-rere Projekte auch in Hessen widerlegen: Die Kampagne Deutsch-land liest vor hat zum Ziel, möglichst viele neue Vorlese-Projekte an-zuregen. Schirmherrin ist Doris Schröder-Köpf (www.deutschland-liest-vor.de). „Wir lesen vor - überall und jederzeit“ ist eine Initiativeder Stiftung Lesen und der ZEIT (www.wir-lesen-vor.de). Auch DerGoldene Vorlesebär ist ein Projekt der Stiftung Lesen. Es richtet sichvor allem Kindergärten und Kindertagesstätten (www.stif-tunglesen.de/kindergaerten/).• Der Friedrich-Bödecker-Kreis fördert auch in Hessen Lesungenfür Schulen und Kindergärten (www.boedecker-kreis.de). In Hessenerreicht man den Bödecker-Kreis über Johanna Schulz, Buchenweg2, 36142 Tann/Rhön (Tel.: 06682-9171-36, Fax: -37). Eine Über-sicht über bekannte und weniger bekannte hessische Autorinnenund Autoren, ihre Biografien und Werke findet man unterwww.autorenhessen.de.• Im Team des Kulturmobils, das von jeder hessischen Schule an-gefordert werden kann, arbeiten Lehrkräfte, die Workshops in denDeutsch, Fremdsprachen, Bildende Kunst, Musik und Spiel und Dra-ma anbieten (Tel. 0611-8803-228, www.kulturmobil-hessen.de).• Schreibwerkstätten an Schulen organisiert und unterstützt derVerein Literatur und Schule, Kreuzbreite 5, 34246 Vellmar.• Das HeLP hat Fortbildungsmodule zur Förderung leseschwacherSchülerinen und Schüler entwickelt, zur Lese- und Sprachförderungvon Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, zurDiagnostik und Förderung in den Klassenstufen 5 und 6, zur Förde-rung „eines langen Lese-Atems“ und zu „Lesestrategien in Bezug aufdie Kompetenzstufen und Subskalen der PISA-Studie“ (http://help.bildung.hessen.de/lesefoerderung/). Verantwortlich sind Elisa-beth Gessner (Rothwestener Straße 2-14, 34233 Fuldatal, Tel. 0561-8101168, E-Mail: [email protected]), Dorothee Gaile, JonaJasper und Ralf Schummer-Hofmann (Walter-Hallstein-Str. 3, 65197Wiesbaden, Telefon: 0611-8803-217/-218; Fax: -360, E-Mail:[email protected]).• Der Hessische Lese-Förder-Preis des Ministeriums für Wissen-schaft und Kunst wird für vorbildliche Leseprojekte öffentlicher Bi-bliotheken vergeben und ist mit 7.500 Euro dotiert.• Ohr liest mit ist ein bundesweiter Wettbewerb des Börsenvereinsdes Deutschen Buchhandels und der Albert-von-Metzler-Stiftung mitUnterstützung des Hessischen Rundfunks. Einsendeschluss ist am 15.März 2005. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene lesen ge-meinsam Bücher zu einem bestimmten Thema und setzen ihre Lek-türe in ein Hörspiel um oder machen sie zur Basis eines Features.Infos unter www.ohrliestmit.de, Börsenverein des Deutschen Buch-handels, Großer Hirschgraben 17-21, 60311 Frankfurt

interesse der Jungen kann als Barometer für die „Lese-stimmung“ in einer Schule gelten.• Ein fächerübergreifendes Lesecurriculum muss entwi-ckelt werden, damit eine „lesende Schule“ entsteht. Die ver-bindliche Umsetzung verpflichtet die Kolleginnen und Kol-legen zur Zusammenarbeit.• Durch unterschiedliche und aufeinander abgestimmteMaßnahmen kann innerhalb der Schule eine leseförderndeAtmosphäre entstehen, in der Schülerinnen und SchülerLust am Lesen haben und unterschiedlichen Texten mit In-teresse und Leichtigkeit begegnen.• In allen Schulen müssen Schul- und Klassenbibliothekenmit vielfältigem Lesestoff eingerichtet werden, die fürSchülerinnen und Schüler attraktiv und gut nutzbar sind.• Lesen muss in der Schule einen festen Raum und einefeste Zeit sowohl in den Klassen als auch in derSchulgemeinschaft haben.

3. Unterricht• Lesenlernen in der Schule muss handlungsorientiert undanschaulich gestaltet werden. Leseanregungen sollten inspannenden inhaltlichen Bezügen und wechselnden Darstel-lungsformen präsentiert werden.• Lesen muss für die Jungen (wieder) positiv besetztwerden. Das Augenmerk sollte nicht auf ihren Defizitenliegen, vielmehr sollte an die vorhandenen Stärken, etwaan die Kenntnis von speziellen Textsorten, angeknüpftwerden.• Den unterschiedlichen Leseinteressen männlicher undweiblicher Jugendlicher muss Zeit und Raum gewährt wer-den. Dazu bedarf es einer leseförderlichen Lernumgebung,in der vielgestaltiger Lesestoff und der Wechsel von fiktio-nalen und nicht-fiktionalen Texten zu vielen Themen ange-boten werden. Zur Klassenbibliothek gehören auch Zeit-schriften, Sachbücher, Gebrauchstexte, Texte in der Her-kunftssprache etc.• Der Umgang mit neuen Medien spielt eine besondereRolle, da Hypertexte bevorzugter Lesestoff vieler Jungensind. Die Gelegenheit, Leseerfahrungen auch am Bildschirmzu sammeln, motiviert und stabilisiert die Lesetätigkeit.• Es müssen Anregungen geschaffen werden, dass Jungenmehr lesen. Gleichzeitig brauchen sie Unterstützung beimLernen von Lesestrategien. Die Vermittlung dieser Metho-den gehört auch in die nichtsprachlichen Fächer, denn ge-rade in den Naturwissenschaften entwickeln viele Jungeneine hohe Lesemotivation.• Das Lesetraining sollte in einen „lesenden Klassenraum“eingebunden werden, in dem zunehmend die lustvolle Di-mension des Lesens als Fantasiereise, Gedankenbereiche-rung und emotionale Stärkung erfahrbar wird.• Schüler sollten nicht zu lautem Vorlesen gezwungenwerden. Fehlerhaftes Lesen oder durch Stimmbruch beein-trächtigtes Lesen führt zu Beschämung. Alternative Phasenvon intensivem leisen Lesen, Lesen in der Zweier- oderKleingruppe bis hin zum freiwilligen lauten Vorlesen in derSchule oder der Öffentlichkeit sollten selbstverständlicheBestandteile des Unterrichts sein.• Prozessorientierte Beurteilungsformen wie Lerner-Port-folios und Lesejournale können individuelle Leseentwick-lungen dokumentieren und bieten Alternativen zur ad hoc-Bewertung und Benotung.• Männliche Rollenvorbilder (Sportler, DJs, Feuerwehr-männer, Väter und Vertreter unterschiedlicher Berufsgrup-pen) sollten, wo immer möglich, für schulische Lesungengewonnen werden. Mit mehr Männern in der „Lesewelt“können auch Jungen zu „Mehrlesern“ werden.

18 2/2005

Titelthema

Die Landesarbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Hessen(LAG) ist ein gemeinnütziger Verein, zu dem sich Lehrerin-nen, Lehrer, Eltern, Bibliothekarinnen, Bibliothekare undSchulen mit Bibliothek zusammengeschlossen haben. IhrZiel ist die Stärkung und Weiterentwicklung der Schulbi-bliotheken. Sie setzt sich für das Schulbibliothekswesenund die Leseförderung in Hessen ein, führt Projekte durchund unterstützt die Mitglieder mit Information und Bera-tung. Sie berät bei Planung, Aufbau und Organisation vonSchulbibliotheken und –mediotheken, bei der Pflege desBestandes, bei der Elternmitarbeit und der Internetnutzung.

Sie organisiert den hessischen Schulbibliothekstag, dasLeseförderungsprojekt „Die Bibliothek in der Kiste“, dieServicestelle des Kultusministeriums „EDV für Schulbiblio-theken“ (www.weidigschule.de) und den Internet-Informa-tionsdienst für Schulbibliotheken hids. Alle zwei Jahre ver-leiht sie „Das Hessische Bücherschränkchen“ als Preis fürLeseförderung in der Schule.

Das Projektbüro Schulbibliotheken des Hessischen Lan-desinstituts für Pädagogik (HeLP), seit dem 1. 1. 2005 beimStaatlichen Schulamt Gießen/Vogelsbergkreis angesiedelt,organisiert Abrufangebote für die Fortbildung für Schullei-tungen, Fachkonferenzen und Planungsteams rund um „dielesende Schule“ und die „Schulbibliothek als Zentrum vonSchulleben und Schulkultur im Kontext von Schulent-wicklung und Schulprogramm“.

Zu zahlreichen Themen insbesondere aus dem Bereichder Sachkunde und der Gesellschaftslehre verleiht die LAGzum Lesen motivierende Bücherkisten. Während anfangsnur Sachbücher verwendet wurden, hat sich das Projekt im

Schulbibliotheken

Laufe der Zeit auch für belletristische Literatur und für an-dere Medien (Tonkassetten, Videos und CD-ROM) geöffnet.

Bücherkisten gibt es zum Beispiel zum 17. Juni 1953,zu den Themen Dinosaurier, Fremde Kulturen, Jugend undGewalt oder Asyl, Migration und Flucht. Es gibt eineBücherkiste mit „multikulturellen Kochbüchern“ (überwie-gend in Englisch), die Geschichte und Utopie des Städte-baus oder Liebe und Freundschaft im Kindesalter.

Die Anzahl der Bücher ist so bemessen, dass eine Aus-wahl aus einem größeren Angebot möglich ist. Zu einemThema werden jeweils 30 bis 50 Bücher zusammengestellt.Dabei wird darauf geachtet, dass (bei Sachthemen) Büchermit unterschiedlich schwierigen Texten dabei sind und sichwenigstens einige zur gezielten Informationsentnahme eig-nen. Die auffällige Verpackung ist motivierend: Wenn sichdie Türen des geheimnisvollen Schränkchens öffnen, kanndas Leseabenteuer beginnen. Lehrkräfte können die Bü-cherschränkchen und -koffer kostenlos für acht Wochen inGießen, Hofheim, Haiger und Eschwege abholen. Über Aus-leihbedingungen und Abholorte informieren Günther Bréeund die Homepage der LAG.• Ansprechpartner für alle Aktivitäten der LAG und desProjektbüros Schulbibliotheken ist Günther Brée, Dahlien-weg 17, 35396 Gießen, Tel./Fax: 0641-389194, E-Mail:[email protected], dienstlich montags und dienstags: Tel.0641-4800-3621, [email protected]

17. Hessischer Schulbibliothekstag21. April 2005 von 9 bis 16 UhrFriedrich-Dessauer-Gymnasium

Michael-Stumpf-Str. 2, 65929 Frankfurt/Höchst

ab 9 Uhr Anmeldung und Kaffee10 Uhr Begrüßung10.45 Uhr Verleihung des „Hessischen Bücher-

schränkchens“11.30 Uhr Workshops (Vormittag)14.30 Uhr Workshops (Nachmittag)

Der 17. Hessische Schulbibliothekstag ist eine Veranstal-tung der LAG in Kooperation mit dem ProjektbüroSchulbibliotheken, der Schulbibliothekarischen Arbeits-stelle der Stadtbücherei Frankfurt am Main und demFriedrich-Dessauer-Oberstufengymnasium Frankfurt. Ver-lage und Institutionen der Leseförderung, darunter auchdie AJuM der GEW Hessen, sind mit Infoständen vertre-ten. Auch mehrere Schulbibliotheken stellen ihre Arbeitvor.

In den 20 Workshops werden unter anderem folgendeThemen behandelt:

• LITTERA, das EDV-Programm für Schulbibliotheken• Hörmedien für die Primarstufe und die Förderstufe• Konkrete Poesie in der Grundschule• Medienangebote in der Schulbibliothek• Methodentraining in der Schulbibliothek• Starke Bücher für starke Jungs• Elternmitarbeit in der Schulbibliothek• Neue Stücke des Jugendtheaters im Deutschunterricht

Angelika Lange-Etzel von der Stadtbibliothek Rüssels-heim (HLZ S. 8) gibt Tipps für die Organisation undpädagogische Vor- und Nachbereitung von Autoren-lesungen. Hannelore Verloh, Vorsitzende der AJuM derGEW Hessen (HLZ S. 15) bietet nachmittags einenWorkshop zur Arbeit mit „taufrischen“ Jugendtaschen-bücher und Handreichungen für den Unterricht in derSekundarstufe I an.

Das vollständige Programm und das Anmeldeformular findet manauf der Homepage der LAG (www.schulbibliotheken.de). Das Anmel-deformular mit Erst- und Zweitwahlen für die AG soll an die Schul-bibliothekarische Arbeitsstelle der Stadt Frankfurt gemailt odergefaxt werden; E-Mail: [email protected], Fax: 069-212-43216. Der Tagungsbeitrag von 20 Euro wird vor Ort entrichtet. DerSchulbibliothekstag ist vom Kultusministerium als Fortbildungsver-anstaltung anerkannt (ABl.2/05) und zertifiziert.

192/2005

Bildung

SPD-BildungspolitikAbschied von der Gesamtschule oder Neuanfang?

„Die Landtags-SPD hat sich vom Mo-dell der Integrierten Gesamtschuleverabschiedet und fordert ein ‚völligneues Schulmodell’ in Hessen“. Sokonnte man es in mehreren Tageszei-tungen am 16. Dezember 2004 lesen.Der frühere SPD-LandesvorsitzendeGerhard Bökel habe vor kurzem einSchulmodell „nach finnischem Vor-bild“ in die Diskussion eingebracht,jetzt folge ihm die SPD-Landtagsfrak-tion, ziehe die Konsequenz aus PISAund „vollziehe“ damit „endgültig“ denWechsel, berichtete die FrankfurterRundschau. Diese, von der schulpoliti-schen Sprecherin Heike Habermannals „Gemeinschaftsschule“ titulierteBildungsanstalt finnischer Prägung isteine Kampfansage an die CDU-Bil-dungspolitik und die Eröffnung derDebatte um eine Veränderung derSchulstrukturen. Denn dieses Modellbedeutet die Abschaffung des geglie-derten Schulwesens in der Sekundar-stufe I und bedingt mehr Förderungund Unterstützung durch zusätzlichesPersonal.

Die plötzliche Radikalität über-rascht. Vor der Landtagswahl im Fe-bruar 2003 wies Gerhard Bökel alsSpitzenkandidat seiner Partei nochjede Forderung zur Veränderung derSchulstruktur entschieden zurück. Da-mit könne man keine Wahl gewinnen.Inzwischen weiß man allerdings: ohneeine solche auch nicht. Aus Schadenwird man klug. Oder doch nicht?

Weshalb – so fragt man sich –greifen die SPD-Landtagspolitiker imZuge dieser Richtungsänderung vorallem die Integrierten Gesamtschulen(IGS) in Hessen frontal an? Abgesehenvon der Grundschule kommt in Hes-sen die IGS dem finnischen Modell or-ganisatorisch am nächsten – auchwenn sie auf Grund zahlreicher Vor-schriften seit über zwei Jahrzehntengezwungen wurde, sich am dreiglied-rigen System auszurichten. ÄußereFachleistungsdifferenzierung in denHauptfächern und Naturwissenschaf-ten, Hauptschul- und Realschulab-schlussprüfungen, komplizierte Ein-stufungsrichtlinien für Schülerinnenund Schüler, unzureichende Förder-maßnahmen, Einschränkung des ge-meinsamen Unterrichts für Behinderte

Neue Integrierte GesamtschulenDie Änderung des hessischen Schul-gesetzes mit Turboabitur und drohen-den Schulschließungen auf Grundneuer „Klassenrichtgrößen“ hat dazugeführt, dass eine beachtliche Zahlvon kooperativen Gesamtschulen(KGS) ihre Umwandlung in eine inte-grierte Gesamtschule (IGS) betreibt.Entsprechende Anträge von Gesamt-und Schulkonferenzen liegen aus al-len Landesteilen vor. Dabei geht esvor allem um den Erhalt der Durch-lässigkeit, die an einer KGS nichtmehr gegeben ist, und ein vollständi-ges Bildungsangebot bis zum Abiturauch in den ländlichen Regionen.

Zu den Schulen gehört die Brü-der-Grimm-Schule in Bebra, die zumSchuljahr 2006/07 in eine IGS um-gewandelt werden will. SchulleiterRoland Klos will damit erreichen,dass „wir auch weiterhin alle Bil-dungsgänge hier in Bebra anbietenkönnen“. Bisher seien viele Schüle-rinnen und Schüler aus Bebra an dasGymnasium in Gerstungen oder zurBlumensteinschule nach Obersuhl,der einzigen IGS im Kreis Hersfeld-Rotenburg, abgewandert.

FörderalismusstreitDer GEW-Hauptvorstand bedauert dasPlatzen der Föderalismus-Kommissionund warf den unionsregierten Länder„Egoismus und mangelnde Weitsicht“vor: „Mit Kleinstaaterei im Bildungs-bereich ist in einem zusammenwach-senden Europa kein Blumentopf zugewinnen.“ Für den Bildungsbereichbedeute ein „europataugliches Kon-zept“ mehr und nicht weniger ge-meinsame, abgestimmte Anstrengun-gen des Bundes und der Länder. Nurso könnten „Qualität und Vergleich-barkeit des Angebotes gesichert unddie Mobilität der Beschäftigten anSchulen und Hochschulen verbessertwerden“. Diese Aufgaben könnten dieunionsregierten Länder nicht alleinebewältigen, wenn sie den Bund ausder Bildungspolitik herausdrängen.Ohne die Unterstützung des Bundeswäre Deutschland beispielsweise beiden Ganztagsschulen immer nochSchlusslicht in Europa. Eine Absageerteilte die GEW-Vorsitzende der ge-planten alleinigen Zuständigkeit derBundesländer für Beamtenbesoldungund Beamtenversorgung: „Die Kas-senlage der Länder darf nicht die Ar-beitsbedingungen der Beschäftigtenund die Ausstattung der Bildungsein-richtungen diktieren.“

und Nichtbehinderte und immer grö-ßere Klassen widersprechen demIntegrationsgedanken.

Trotzdem spricht weiterhin nochvieles für die IGS. Sie bildet schul-formunabhängige Klassen, verzichtetauf den Zwang zum Sitzenbleiben, bie-tet Unterricht auch ohne äußere Diffe-renzierung an und lässt – ohne gym-nasiale Schulzeitverkürzung – Zeit fürindividuelles Lernen. Sie bietet alleSchulabschlüsse des gegliedertenSchulwesens an, hält die Abschlüsseaber möglichst lange offen.

Viele pädagogische Innovationenwurden an der IGS entwickelt und ge-hören dort zur Regel: Projektarbeit,neue Lehr- und Lernmethoden, Me-diation, gemeinsamer Unterricht oderLernbereiche wie in Gesellschaftslehreund Naturwissenschaften. Diese positi-ven Seiten sind für immer mehr Elternein Argument, für ihr Kind eine IGSauszuwählen. Das hat auch die SPDvor Ort erkannt. So forderte erst jüngstdie SPD Wiesbaden die Errichtung ei-ner weiteren IGS. Vielleicht sollten dieSPD-Landtagsabgeordneten dem SPD-Büro in Wiesbaden mal einen Besuchabstatten und nach den Motiven proIGS fragen. Weit ist der Weg vomLandtag nicht!

Die Fortsetzung eines scheinbar ra-dikalen Kurses mit inhaltlich ver-schwommenen Modellen und takti-schen Fehlleistungen wäre keine Ge-fahr für den Rückwärtskurs von Kul-tusministerin Wolff und die CDU mitihrem rechtslastigen bildungspoliti-schen Sprecher Irmer. So leicht sollteman es ihnen nicht machen

Bleibt zu hoffen, dass sich die SPDschnell auf ein konkretes, überzeugen-des Schulmodell einer gemeinsamenSchule und die Weiterentwicklung derIGS in diese Richtung einigt – einModell, das vereint und nicht spaltet.Dazu gehört auch, in welchen Schrit-ten und mit welchen Ressourcen dasZiel zu erreichen ist. Dann wird sie dieBündnispartner gewinnen können, diesie braucht, um ihre Ziele durchzuset-zen. Dazu gehören vor allem auch dieEltern, Schülerinnen und Schüler undLehrerinnen und Lehrer der Gesamt-schulen.

Christoph Baumann

20 2/2005

Verfassung

Vorschläge der Enquetekommission

• Die Erweiterung der Präambel siehtvor allem den in der säkulär gepräg-ten Verfassung von 1946 nicht enthal-tenen Bezug auf die „Verantwortungvor Gott und den Menschen“ vor (sie-he „Im Wortlaut“)• Artikel 4 (Ehe und Familie) wirddurch die Rechte von Kindern, Ju-gendlichen und Alleinerziehenden er-weitert (siehe „Im Wortlaut“).• In Artikel 21 (Freiheitsstrafe) wirddie durch das Grundgesetz außer Kraftgesetzte Todesstrafe „bei besondersschweren Verbrechen“ aus der Verfas-sung gestrichen. Entsprechend wird inArtikel 109 das Begnadigungsrechtdes Ministerpräsidenten modifiziert.• In Artikel 26a (Schutz der natürli-chen Lebensgrundlagen) soll der Tier-schutz Verfassungsrang erhalten.• Gegenstand der Kontroversen mitdem DGB und den Gewerkschaftensind die Vorschläge zur Änderung vonArtikel 29 über „Einheitliches Arbeits-recht, Tarifsystem, Schlichtungswesenund Arbeitskampf“ (siehe „Im Wort-laut“). Dabei wird die Zielvorstellungeines einheitlichen Arbeitsrechts „füralle Angestellten, Arbeiter und Beam-ten“ aufgegeben. Neben den verbindli-chen Tarifverträgen, die „nur zwischenden Gewerkschaften und den Unter-nehmungen oder ihren Vertretungenabgeschlossen werden“ können, sollenauch die „betrieblichen Arbeitnehmer-vertretungen“ Tarifverträge abschlie-ßen können. Das fortschrittliche gene-relle Verbot von Aussperrungen sollauf „unverhältnismäßige Aussperrun-gen“ begrenzt werden.• In Artikel 35 (Sozialversicherungund Gesundheitswesen) wird die Ziel-vorstellung einer einheitlichen, „dasganze Volk verbindende(n) Sozialver-sicherung“ mit einer weitgehenden„Selbstverwaltung der Versicherten“aufgegeben. Die neu aufgenommeneVerpflichtung des Landes, „die not-wendigen Einrichtungen zur Verwirk-

lichung des Rechts auf soziale Siche-rung bei Armut, Krankheit, Unfall, Be-hinderung, Pflegebedürftigkeit und imAlter sicherzustellen“, wird unter denausdrücklichen Vorbehalt der „Leis-tungsfähigkeit“ des Landes gestellt.• Weitreichende fortschrittliche For-mulierungen in Artikel 38 (Wirt-schaftsordnung), unter anderem der„gerechte Anteil an dem wirtschaftli-chen Ergebnis aller Arbeit“ und der„Schutz vor Ausbeutung“, sollen ge-strichen und durch ein allgemeinesBekenntnis zu „den Grundsätzen einersozial gerechten und am Schutz dernatürlichen Lebensgrundlagen ausge-richteten Marktwirtschaft“ ersetzt wer-den (siehe: „Im Wortlaut“).• Aufgegeben wird das 1946 von al-len Parteien im einem „Verfassungs-kompromiss“ getragene Verfassungszielder Sozialisierung, wonach „Vermögen,das die Gefahr solchen Missbrauchswirtschaftlicher Freiheit in sich birgt,auf Grund gesetzlicher Bestimmungenin Gemeineigentum zu überführen“ ist(Artikel 39), ebenso die Vorschrift vonArtikel 41, dass „der Bergbau (Kohlen,Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- undStahlerzeugung, die Betriebe der Ener-giewirtschaft und das an Schienen oderOberleitungen gebundene Verkehrswe-sen“ in Gemeineigentum überführt unddie Großbanken und Versicherungsun-ternehmen „vom Staate beaufsichtigtoder verwaltet“ werden sollen. Gestri-chen werden soll auch das Ziel einerumfassenden Bodenreform (Artikel 42).Der Sozialisierungsartikel war auchder amerikanischen Besatzungsmachtein Dorn im Auge. Sie akzeptierte denVerfassungskompromiss nur unter derAuflage, dass Artikel 41 bei der Volks-abstimmung über die Verfassung ge-trennt abgestimmt werden muss. Am 1.Dezember 1946 trat die hessische Ver-fassung als erste deutsche Nachkriegs-verfassung durch Volksabstimmung mit76,4 % für die Gesamtverfassung und72 % für den Sozialisierungsartikel 41in Kraft.

• In Artikel 62 (Denkmal und Land-schaftsschutz) soll der Sport aufge-nommen und der 2003 eingeführte ei-gene Artikel 62a zur Förderung desSport gestrichen werden.• In Artikel 65 (Staatsform) wird dasSubsidiaritätsprinzip aufgenommen.• Eine Änderung der HessischenVerfassung bedurfte bisher einer abso-luten Mehrheit im Landtag und einerZustimmung des Volkes „mit derMehrheit der Abstimmenden“ (Artikel123). Zukünftig soll eine Verfassungs-änderung auch mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Landtag oder durch einenVolksentscheid möglich sein.• Das Quorum von einem Fünftel derStimmberechtigten zur Durchführungeines Volksentscheides wird auf einAchtel gesenkt (Artikel 124). Neu auf-genommen wird das Instrument der„Volksinitiative“: Wird eine Initiativevon mindestens 50.000 Stimmberech-tigten unterstützt, muss sich der Land-tag hiermit befassen.

Stimmen aus den Parteien

Der CDU-Obmann in der Enquetekom-mission Axel Wintermeyer begrüßtedie Empfehlungen als „die größte Re-form der hessischen Verfassung“ undsprach vom „großen Wurf, da jetztder Gottesbezug, eine moderne Wirt-schaftsverfassung und ein fortschritt-liches System der Volksbeteiligung inHessens Verfassung verankert ist“.

SPD-Obfrau Dr. Judith Pauly-Ben-der hält den Beschluss für voreiligund wünscht sich „eine öffentlicheDiskussion mit gesellschaftlichen In-teressengruppen und Institutionen“,um „bereits in einem sehr frühzeitigenStadium der Verfassungsdiskussion ineinem transparenten Verfahren füreine hohe Akzeptanz gegenüber demgefundenen Zwischenergebnis derEnquete zu werben.“

Der Grünen-Vertreter Dr. AndreasJürgens lobte vor allem die Aufnahmevon Kinderrechten in die Verfassung,

Was wird aus der hesssischen Verfassung?Am 8. Oktober 2003 konstituierte sich unter Leitung vonLandtagsvizepräsident Lothar Quanz (SPD) eine Enquete-kommission, um - so der Auftrag des Landtags - „dieHessische Verfassung auf Veränderungs- und Ergän-zungsbedarf zu überprüfen und möglichst einvernehm-liche Vorschläge unter Wahrung ihrer demokratischen,sozialen und rechtsstaatlichen Grundgedanken zu ihrerÄnderung zu unterbreiten.“ Weitgehend unbeachtet von

der Öffentlichkeit legte die Kommission am 10. Dezember2004 ihre Vorschläge für Änderungen der HessischenVerfassung (HV) vor, die zum Zeitpunkt der Kommunal-wahlen 2006 in einer Volksabstimmung bestätitgt wer-den sollen.

Die HLZ dokumentiert als Grundlage für die notwen-dige öffentliche Debatte die wichtigsten Empfehlungen derEnquetekommission und erste Stellungnahmen.

212/2005

Verfassung

die Erweiterung des Familienbegriffsum die Alleinerziehenden, die Stär-kung des Ehrenamtes und die Aufnah-me des Tierschutzes, vor allem aber„die verbesserten Mitwirkungsmög-lichkeiten der Bürgerinnen und Bür-ger“. Auch die Grünen hätten „auf Din-ge verzichten müssen, die uns beson-ders wichtig waren, wie zum Beispieldie Absenkung des passiven Wahlal-ters auf 18 Jahre. Aber durch den ge-fundenen Konsens wird endlich derReformstau, der sich in den vergange-nen Jahrzehnten angesammelt hat, inwesentlichen Punkten aufgelöst.“

DGB: „Neoliberaler Wanderweg“

Dr. Andreas Jürgens widersprach ineinem offenen Brief an die Gewerk-schaften der Kritik des hessischenDGB-Vorsitzenden Stefan Körzell, dieVerfassungsreform solle die Gewerk-schaften schwächen. Die Vorschriftenim Abschnitt „Soziale und wirtschaftli-che Rechte und Pflichten“ (Artikel 27bis 47 HV) seien „ziemlich veraltet“und „historisch überholt“. Die Soziali-sierungsvorschriften verstießen gegendas Grundgesetz „und sind daher oh-nehin nichtig.“ Ihre Streichung tragedazu bei, die Verfassung „von fehler-haften Regelungen zu entschlacken“.Die Rechtsvorschriften, nach denensich das kollektive Arbeitsrecht richtet,seien „ausschließlich Bundesrecht“.Dies gilt auch „für das Verhältnis vonTarifverträgen und Betriebsvereinba-rungen.“

Der DGB Hessen meldete deutlicheKritik an den Empfehlungen derEnquete-Kommission an: Grundwerteder Hessischen Verfassung würden„gleich reihenweise über Bord gewor-fen“. Dies gelte unter anderem für dieStreichung des generellen Aussper-rungsverbots und für die Streichungder Pflicht zur Schaffung einer ein-heitlichen Sozialversicherung.

Auf scharfe Kritik trifft die beab-sichtigte Beseitigung des absolutenVorrangs von Tarifverträgen und ihrerGleichstellung mit betrieblichen Ver-einbarungen. „Hier soll der Traumvon CDU und FDP Verfassungsrang er-halten, die Gewerkschaften massiv zuschwächen und Belegschaften unein-geschränkt dem Erpressungspotenzialder Unternehmen auszuliefern“, so Ste-fan Körzell in seiner ersten Stellung-nahme.

Der DGB-Landesvorstand vermisstin seiner Replik auf den Brief der Grü-nen eine Analyse des politischen, so-zialen und gesellschaftlichen Stellen-werts der bisher in der Verfassung ent-haltenen Grundwerte. Stefan Körzellsieht nun auch Bündnis90/Grüne „aufeinem neoliberalen Wanderweg“. Fol-ge man der Argumentation der Grü-nen, dann seien künftig betrieblicheBündnisse der Königsweg, nicht mehrder zwischen den Tarifvertrags-parteien ausgehandelte Flächentarif-vertrag. Auch die von den Grünenhervorgehobenen Verbesserungen inSachen direkter Demokratie kann derDGB Hessen nicht nachvollziehen. Auf

der einen Seite solle Bürgerbeteili-gung angeblich erleichtert werden,gleichzeitig werde jedoch den Land-tagsabgeordneten über den Weg einerZweidrittel-Mehrheit das Recht einge-räumt, die Verfassung zu ändern: „Wasdas mit einer konsequenten Bürger-beteiligung zu tun haben soll, mussmir die Grünen-Landtagsfraktion erstnoch erklären.“

Als einen richtigen Weg bezeichne-te der DGB die von der SPD geforder-te Diskussion unter breiter Bürger-beteiligung: „Wenn die Grundwerteder Verfassung schon bei der Vorbe-reitung einer Verfassungsänderungverletzt werden, sollte auf eine Ände-rung lieber ganz verzichtet werden.“

Bundesrecht bricht Landesrecht

Zu der Frage, ob die dem Grundgesetzwidersprechenden Verfassungsbestim-mungen „bereinigt“ oder „entsorgt“werden müssen, hatte sich der DGBHessen schon bei der Anhörung imJuni 2004 geäußert. Eine solche An-passung sei schon auf Grund von Arti-kel 153 Absatz 2 überflüssig: „Künfti-ges Recht der Deutschen Republikbricht Landesrecht.“ Da sich die Hes-sische Verfassung „also quasi automa-tisch synchronisiert, hätten die An-passungsvorschläge nur bestätigende,aber keine regelnde Wirkung. Sie wür-den den Verfassungstext auf den neu-esten Stand bringen, wären aber beider nächsten Änderung des Bundes-rechts schon wieder veraltet. Der hes-

22 2/2005

sische Verfassungsgesetzgeber müssteständig dem Bundesgesetzgeber hin-terher hecheln, um auf dem neuestenStand zu bleiben.“ Eine Textanpassung- so der DGB im Juni 2003 - an dasGrundgesetz sei nur dort sinnvoll, „wosich das Bundesrecht nicht mehr än-dern kann.“ Dies gelte beispielsweisefür die Todesstrafe, deren Verbot sichaus dem Schutz der Menschenwürde inArtikel 1 des Grundgesetzes (GG) er-gibt. Die Grundsätze von Artikel 1und 20 GG dürfen aber nach Artikel79 Absatz 3 GG auch durch eine Än-derung des Grundgesetzes nicht be-rührt werden („Ewigkeitsklausel“).

Eine Sache des Volkes

Die Vorschläge der Enquete-Kommis-sion bedürfen einer breiten öffentlichenDiskussion, auch im DGB, der GEW und

den anderen Einzelgewerkschaften. DieÄnderung der säkularen Präambel hatauf dem Hintergrund der Debatte überden Gottesbezug in der europäischenVerfassung und die multikulturelle Ge-sellschaft grundsätzliche Bedeutung.Der Vorschlag zur Änderung von Arti-kel 4 ist mit Sicherheit eine sinnvolleAnpassung an veränderte gesellschaft-liche Bedingungen. Die Änderungsvor-schläge im Bereich von Arbeitsrechtund Wirtschaftsordnung (Artikel 29und 38) sind für die Gewerkschaftendagegen nicht akzeptabel. Natürlichwissen sie, dass beispielsweise das Ver-bot der Aussperrung nach einem Urteildes Bundesverfassungsgerichts recht-lich irrelevant war: Aber die Strei-chung des generellen Verbots ist aucheine Abkehr von den aus der Geschich-te erwachsenen Erkenntnissen der ver-fassungsberatenden Landesversamm-

lung. Der Sozialisierungsartikel wurdeauf Grund von Interventionen der Be-satzungsmacht und der restaurativenEntwicklung in der Bundesrepublik nieumgesetzt, und doch sagt er auch heutenoch etwas über die 1946 präsentenZusammenhänge von Kapitalmacht undFaschismus. Und wer den „Schutz vorAusbeutung“ aus der Verfassung strei-chen will, befördert einen gesellschaft-lichen Paradigmenwechsel, der in denForderungen nach Arbeitszeitverlänge-rung, Einkommenskürzungen, Abschaf-fung der Mitbestimmung und „Ent-machtung der Gewerkschaften“ seinealltägliche, konkrete Entsprechung fin-det.

Die Diskussion über die Verfassungs-reform hat - auch in der GEW und inder HLZ - gerade erst begonnen.

Harald Freiling

Verfassung

Im Wortlaut

Präambelbisher: In der Überzeugung, daßDeutschland nur als demokratischesGemeinwesen eine Gegenwart undZukunft haben kann, hat sich Hessenals Gliedstaat der Deutschen Repu-blik diese Verfassung gegeben.

Ergänzung: Im Bewusstsein seinerVerantwortung vor Gott und denMenschen, eingedenk seiner Ge-schichte, seines religiös-sittlichen Er-bes und ausgehend von den leidvol-len Erfahrungen totalitärer Gewalt-herrschaft bekundet Hessen seinenWillen, Würde, Leben und Freiheitdes Einzelnen zu achten, Wohlstandund Bildung der Menschen zu för-dern, das Gemeinschaftsleben in so-zialer Gerechtigkeit zu ordnen, dieGleichberechtigung der Geschlechterzu fördern, die natürlichen Lebens-grundlagen nachhaltig zu schützen,den Frieden zu sichern, den Rechts-staat zu erhalten und als lebendigesGlied der Bundesrepublik Deutsch-land einem vereinten Europa zu die-nen.

Art. 4 [Ehe und Familie]bisher: Ehe und Familie stehen alsGrundlage des Gemeinschaftslebensunter dem besonderen Schutz desGesetzes.

Ergänzung: (2) Kinder und Jugendli-che haben das Recht auf eine ge-deihliche seelische, geistige und kör-

perliche Entwicklung. Sie sind durchstaatliche und gemeindliche Maßnah-men und Einrichtungen vor sittlicher,geistiger und körperlicher Vernachläs-sigung, Misshandlung, Missbrauch,Gefährdung und Gewalt besonders zuschützen.(3) Wer in häuslicher GemeinschaftKinder erzieht oder für Hilfsbedürftigesorgt, verdient Förderung und Entla-stung.

Art. 29 [Arbeitsrecht, Tarifsystem,Schlichtungswesen, Arbeitskampf]bisher: (1) Für alle Angestellten, Ar-beiter und Beamten ist ein einheitli-ches Arbeitsrecht zu schaffen.(2) Im Rahmen dieses Arbeitsrechtskönnen Gesamtvereinbarungen nurzwischen den Gewerkschaften und denUnternehmungen oder ihren Vertre-tungen abgeschlossen werden. Sieschaffen verbindliches Recht, dasgrundsätzlich nur zugunsten der Ar-beitnehmer abbedungen werden kann.(3) Das Schlichtungswesen wird ge-setzlich geregelt.(4) Das Streikrecht wird anerkannt,wenn die Gewerkschaften den Streikerklären.(5) Die Aussperrung ist rechtswidrig.

neu: (1) Im Rahmen der für Angestell-te, Arbeiter und Beamte geltendenRechtsvorschriften können Vereinba-rungen zwischen den Tarifvertrags-parteien, den betrieblichen Arbeitneh-mervertretungen und den Arbeitge-bern abgeschlossen werden. Sie schaf-fen verbindliches Recht, das grund-sätzlich nur zugunsten des Arbeitneh-

mers im Einzelfall abbedungen wer-den kann.(2) geht in (1) auf, (3) und (4) bleibenals (2) und (3) unverändert, (5) wird (4).(4) Unverhältnismäßige Aussperrun-gen sind rechtswidrig.

Art. 38 [Wirtschaftsordnung]bisher: (1) Die Wirtschaft des Landeshat die Aufgabe, dem Wohle desganzen Volkes und der Befriedigungseines Bedarfs zu dienen. Zu diesemZweck hat das Gesetz die Maßnah-men anzuordnen, die erforderlichsind, um die Erzeugung, Herstellungund Verteilung sinnvoll zu lenkenund jedermann einen gerechten An-teil an dem wirtschaftlichen Ergebnisaller Arbeit zu sichern und ihn vorAusbeutung zu schützen.(2) Im Rahmen der hierdurch gezo-genen Grenzen ist die wirtschaftlicheBetätigung frei.(3) Die Gewerkschaften und die Ver-treter der Unternehmen haben glei-ches Mitbestimmungsrecht in denvom Staat mit der Durchführung sei-ner Lenkungsmaßnahmen beauftrag-ten Organen.

neu: (1) Die wirtschaftliche Betäti-gung ist frei im Rahmen der verfas-sungsmäßigen Ordnung.(2) Die Wirtschaftsordnung ist denGrundsätzen einer sozial gerechtenund am Schutz der natürlichen Le-bensgrundlagen ausgerichteten Markt-wirtschaft verpflichtet. Sie hat dieAufgabe, dem Wohle des ganzenVolkes und der Befriedigung seinesBedarfs zu dienen.

232/2005

Ausbildung

Schülerinnen und Schüleran beruflichen Schulen bis 2020

Die Schülerzahl an den hessischen be-ruflichen Schulen wird von 187.645im Jahr 2002 bis 2020 auf voraus-sichtlich 175.000 (- 7 %) sinken. 70 %der Schülerinnen und Schüler besu-chen die Berufsschule. Die verbleiben-den 30 % verteilen sich auf Berufs-fachschulen (10 %), Fachoberschulen(8 %), auf Fachschulen (6 %) und dieberuflichen Gymnasien (6 %). Bedingtdurch die unterschiedliche Alters-struktur der Schülerinnen und Schülerin den einzelnen Schulformen werdendie Berufsfachschulen ihre zukünftigemaximale Schülerzahl schon im Jahr2006 erreichen, die beruflichen Gym-nasien im Jahr 2007, die Fachober-schulen und die Berufsschulen im Jahr2008. Die Schülerzahl an den Fach-schulen steigt sogar bis zum Jahr 2011an. Grundlage für die Vorausschätzun-gen waren die aktuelle Entwicklungim Zugang zu den einzelnen Schulfor-men im Jahr 2002 beziehungsweiseDurchschnittswerte der letzten beidenJahre. Der Übergang in einzelneSchulformen variiert im Zeitverlaufteilweise stark.

Der Zugang zu den Fachoberschu-len und den beruflichen Gymnasien istin den letzten Jahren erheblich ge-stiegen. Gründe sind vermutlich dieungünstige Lage auf dem Ausbildungs-markt, aber auch die Nachfrage beson-ders von Jungen, die bedingt unter an-derem durch die frühe Selektion imhessischen Bildungssystem den Über-gang auf das Gymnasium nicht er-reicht haben und nun versuchen, überden Besuch der Fachoberschule we-nigstens noch die Berechtigung zumStudium an Fachhochschulen zu errei-chen. Auf Grund der bestehenden Zu-gangsvoraussetzungen und der derzei-tigen Ausbildungsstellensituation istein weiterer Anstieg im Übergang aufdie Fachoberschulen, aber auch auf die

Berufliche BildungPrognosen der Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft Hessen (Teil 2)

Gegenstand einer aktuellen Untersuchung der Forschungs-und Entwicklungsgesellschaft Hessen mbh (FEH) ist dieVorausschätzung der Nachfrage nach dualen Ausbildungs-plätzen, das heißt der zukünftige Bedarf der Schulabgänge-rinnen und Schulabgänger an Ausbildungsplätzen, nichtder Bedarf der Betriebe.

Die HLZ dokumentiert nach einer Analyse vonSchullaufbahnen und -abschlüssen an den allgemein bil-denden Schulen (HLZ 1/2005) in dieser Ausgabe die Ent-wicklungstrends an beruflichen Schulen und in der betrieb-lichen Ausbildung.

beruflichen Gymnasien zu erwarten.Das bedeutet: Die zu erwartenden Schü-lerzahlen insbesondere dieser beidenSchulformen werden höher liegen alsmit dieser Status-quo-Prognose ermit-telt.

Nachfrage nachAusbildungsplätzen bis 2020

Bedingt durch die eingeschränkteDatenlage in Hessen, lässt sich dasÜbergangsverhalten der Schulabgän-gerinnen und Schulabgänger in dieduale Ausbildung für die Vergangen-heit nicht beziehungsweise nicht mitder gewünschten Genauigkeit bestim-men. Regionale Informationen sinderst für wenige Jahre erhältlich. Wiedie Übergangsquoten der letzten dreiJahre für Hessen zeigen, gibt es erheb-liche Schwankungen dieser Werte.Schulabgängerinnen und Schulabgän-ger mit Hauptschulabschluss, insbe-sondere aber diejenigen ohne Schul-abschluss, erhalten bei der derzeitigungünstigen Ausbildungsstellensitua-tion immer seltener eine Ausbildungs-stelle. Drei Jahre, in denen sich auchdie Ausbildungsstellensituation in Hes-sen erheblich veränderte, erlaubenkeine gesicherte Aussage über die zu-

künftige Entwicklung dieser Quoten.Dies ist bei den Ergebnissen zum zu-künftigen Bedarf an Ausbildungsstel-len zu berücksichtigen.

Im Jahr 2002 gab es an den Berufs-schulen in Hessen 113.500 Schülerin-nen und Schüler mit einem Ausbil-dungsvertrag. Die Gesamtzahl derAuszubildenden wird, unter der An-nahme eines ausgeglichenen Ausbil-dungsmarkts, bis zum Jahr 2009 aufzirka 122.000 ansteigen. Erst gegenEnde des Prognosezeitraums, im Jahr2019, wird die Zahl der Auszubilden-den wieder das derzeitige Niveau er-reichen.

Von größerem Interesse als die zu-künftige Gesamtzahl an Auszubilden-den ist der Bedarf an Neuverträgen inden nächsten Jahren. Bedingt durchdie Altersstruktur der Schülerinnenund Schüler steigt in den nächstenJahren die Zahl der Schulabgängerin-nen und Schulabgänger und damit dieNachfrage nach dualen Ausbildungs-plätzen an. Änderungen im Bildungs-verhalten wurden nicht angenommen(Status-quo-Prognose). Sinkt jedochbeispielsweise die Übergangsquote indie gymnasiale Oberstufe nur um zweiProzentpunkte, so bedeutet dies schoneine zusätzliche Nachfrage auf dem

Vorausschätzung der Neuabschlüssean dualen Ausbildungsverträgen bis 2020 in Hessen

24 2/2005

Ausbildung

Ausbildungsstellenmarkt von 1.000Personen.• Im Jahr 2004 müssten44.500 Neuverträge ab-geschlossen werden,um die Nachfrageder Jugendlichenauszugleichen.In dieser Zahlsind möglicheErsatzangebotenicht berücksich-tigt.• Der Bedarf an Neu-verträgen steigt in dennächsten Jahren noch leichtan und erreicht im Jahr2007 sein Maximum mitrund 46.000.• Auch nach 2007 sinkt dieNachfrage nach Ausbildungs-plätzen nur langsam. Sie liegterst im Jahr 2018 unter 40.000 underreicht erst wieder im Jahr 2020 dieZahl der Neuverträge des Jahres 2003.

Ausbildungsstellenmarkt:Entlastung nicht in Sicht

Nach der Erhebung des Bundes-instituts für Berufsausbildung zum 30.September 2003 wurden in Hessen37.812 neue Ausbildungsverträge ab-geschlossen. Auf 100 Nachfrager nachAusbildungsstellen kamen nur noch93 angebotene Stellen. Die Prognose-ergebnisse zeigen, dass die Lage aufdem Ausbildungsstellenmarkt weiterangespannt bleiben wird. Eine Entlas-tung von der Nachfrageseite ist nachdieser Vorausschätzung nicht in Sicht.• Die Zahl der angebotenen Ausbil-dungsplätze ist in Hessen wie auch inDeutschland zu niedrig, um die Nach-frage – den Bedarf der Schulabgänge-rinnen und Schulabgänger – zu be-friedigen.• Nur geringe Ausbildungschancenhaben Jugendliche ohne Schulab-schluss und Jugendliche mit nur ei-nem Hauptschulabschluss. Zu dieserPersonengruppe zählen weiterhin vie-le ausländische Jugendliche.• Insbesondere (männliche) Schulab-gänger, die die Schulen mit wesentlichniedrigeren Schulabschlüssen verlas-sen als ihre (weiblichen) Konkurren-tinnen auf dem Ausbildungsmarkt,haben schlechte Aussichten auf eineAusbildungsstelle.• Der Wandel zur Dienstleistungsge-sellschaft - in Hessen im Vergleich zuanderen Bundesländern schon weitfortgeschritten - führt zu einem Rück-gang des Ausbildungsstellenangebotsbesonders bei den Fertigungsberufen,

den traditionellen Ausbildungsberufenmännlicher Schulabgänger.• Die Anforderungen der Betriebe anAuszubildende steigen unter anderemdurch die Einführung neuer Berufemit anspruchsvolleren Tätigkeiten unddurch die Überarbeitung der Ausbil-dungsordnungen bestehender Berufe.

Nach der IAB-Prognos-Projektionzur Entwicklung der Tätigkeits-landschaft bis 2010 werden anspruchs-volle Tätigkeiten an Bedeutung gewin-nen. Die Zahl der Arbeitskräfte, die Tä-tigkeiten mit mittlerem Anforderungs-profil ausüben, nimmt leicht zu. Hilfs-tätigkeiten und einfache Fachtätigkei-ten werden immer weniger nachgefragt.Wenn Deutschland als Hochtechnolo-gieland und Hochlohnland seine Posi-tion auch in Zukunft behaupten will,wird es seinen dringend benötigtenFachkräftenachwuchs selbst qualifizie-ren müssen. Wie die Untersuchungdeutlich zeigt, stagniert zurzeit dieBildungsexpansion. Geändert wurdenin Hessen Versetzungsbestimmungen,Übergangsbestimmungen zu den wei-terführenden Schulen, und es wurdenPrüfungsbestimmungen neu eingeführt.Diese Neuregelungen können das Ni-veau der Schulabschlüsse, die jeweiligeQualifikation der Schulabgängerinnenund Schulabgänger, erhöhen. Unterquantitativen Gesichtspunkten habensie jedoch zu einem Rückgang derSchulabgängerzahl mit höheren Schul-abschlüssen geführt.

Deutschland benötigt jedoch nichtnur besser qualifizierte Arbeitskräfte(nicht nur eine Elite), benötigt werdenauch erheblich mehr Hochschulabsol-ventinnen und Hochschulabsolventen,um mit den konkurrierenden Indus-trienationen mitzuhalten. In einer

„globalisierten“ Welt kann Deutsch-land nicht bei einfachen Produktionenkonkurrieren, sondern muss beimtechnischen Fortschritt mit an derSpitze stehen. Im internationalen Ver-gleich mit den hoch entwickelten Län-dern liegt der Hochschulabsolventen-anteil in Deutschland erheblich zuniedrig. Von den 25- bis 34-Jährigenbesitzen zum Beispiel in Kanada, Ja-pan, Italien und in den Niederlanden23 % einen Hochschulabschluss, inDeutschland sind es gerade 13 %.

Da Hilfstätigkeiten immer stärkerzurückgehen, ist die hohe Zahl anSchulabgängerinnen und Schulabgän-gern ohne Schulabschluss – fast jederZehnte – nicht verantwortbar. Die An-forderungen an die Auszubildendensind laufend gestiegen, sodass Ju-gendliche ohne einen Schulabschlusspraktisch ohne Chance auf eine Aus-bildungsstelle sind.

Handlungsempfehlungen

Kurzfristig müssen die beruflichenVollzeitschulen mehr Jugendliche, dieauf dem Ausbildungsmarkt keine Stel-le erhalten, aufnehmen. Schon in denletzten Jahren haben die Berufsfach-schulen, die Fachoberschulen und be-ruflichen Gymnasien durch steigendeNeuaufnahmen den Ausbildungsmarktentlastet.

Kurzfristig können auch Verbesse-rungen der Studienmöglichkeiten zueiner Entlastung auf dem Ausbil-dungsmarkt beitragen. Leider sindStudienkapazitäten auf Grund der Ver-längerungen der Mindeststudienzeitfür viele Studienfächer an den Fach-hochschulen verloren gegangen. Dieerheblich ausgeweiteten Zulassungsbe-

252/2005

Ausbildung

Nach Vorlage der PISA-Studie II, diewieder schlechte Ergebnisse für dasdeutsche Bildungssystem erbrachte,hat die Diskussion über notwendigeVeränderungen der Struktur desdeutschen Bildungssystems erneutbegonnen. Beide PISA-Studien zei-gen, dass das deutsche Bildungs-system die „unteren“ 20 % einesAltersjahrgangs unzureichend för-dert. Die frühe Differenzierung imderzeitigen Schulsystem, aber auchder einseitige Schwerpunkt der„Elitenförderung“ verstärkt die un-gleiche Verteilung der Bildungs-chancen.

Die Befürworter des gegliedertenSchulsystems argumentieren, dass dieerfolgreiche finnische Einheitsschulenicht aus pädagogischen, sondernaus ökonomischen und geografi-schen Gründen eingeführt wurde.Dazu ist festzustellen: Das Ergebniszählt, nicht der Grund für die Ein-führung.

Die Struktur des hessischen unddeutschen Bildungssystems muss nichtnur unter dem Aspekt des Bildungs-erfolgs und der Chancengerechtigkeit,sondern auch aus ökonomischen undgeografischen Gründen in Frage ge-stellt werden.

Der Rückgang der Schulanfänger-zahlen bis 2020 auf rund 47.500Schülerinnen und Schüler führt mitzeitlicher Verzögerung zu einem star-ken Rückgang der Schülerzahl an denweiterführenden Schulen. Wenn Schu-len aus ökonomischen Gründen ge-schlossen werden, wird die Schulver-sorgung in der Fläche nicht mehr ge-währleistet. Damit geht ein wesent-licher Aspekt gleicher regionaler Bil-dungschancen verloren. Schon zehn-jährige Kinder müssten lange Weg-zeiten zur weiterführenden Schule aufsich nehmen.

Nach Artikel 3 des Grundgesetzesdarf niemand auf Grund seines Ge-schlechts, seiner Abstammung und

seiner Heimat und Herkunft be-nachteiligt oder bevorzugt werden.Von dieser Forderung des Grundge-setzes hat sich die deutsche Bil-dungspolitik weit entfernt: Unserheutiges Bildungssystem benachtei-ligt Jungen (wegen ihres Ge-schlechts), Kinder aus unteren sozia-len Schichten und Kinder im länd-lichen Raum (wegen ihrer Herkunft)und Ausländer (wegenihrer Abstammung).

Die Einführung eineracht- oder neunjährigen„Einheits-Ganztagsschu-le“ mit einem neuen Bil-dungskonzept und demnotwendigen Unterbau imVorschulbereich ist drin-gend geboten und würdeauch die zukünftigenSchwierigkeiten derSchulversorgung in derFläche beheben.

Lothar C. Tischler

schränkungen führen zu einer zusätz-lichen Nachfrage nach dualen Ausbil-dungsplätzen von Schulabgängerinnenund Schulabgängern mit einer Hoch-schulzugangsberechtigung. Ein Abbauder Studienbeschränkungen, insbeson-dere an Fachhochschulen, würde denÜbergang von mehr Jugendlichen aufdie Hochschulen ermöglichen. DieNachfrage von Jugendlichen mit einerStudienberechtigung auf dem Aus-bildungsmarkt ginge zurück, und fürSchulabgängerinnen und Schulabgän-ger mit niedrigeren Schulabschlüssenwürden damit die Chancen auf Erhalteines Ausbildungsvertrages wieder stei-gen. Notwendig ist die Öffnung bezie-hungsweise der Ausbau des Hoch-schulbereichs auch vor dem Hinter-grund der Entwicklung auf dem Ar-beitsmarkt, wie weiter oben dargelegtwurde.

Mittel- bis langfristig muss sichdie Bildungspolitik an dem zukünf-tigen Qualifikationsbedarf der Wirt-schaft und der Gesellschaft ausrichten:• Die notwendige Bildungsexpansionmuss unten beginnen, das heißt mit ei-ner Vorbereitung auf die Schule imVorschulbereich.• Die Einschulung der Kinder hatfrüher zu erfolgen. Die Unterschiedeim Einschulungsalter zwischen Jungen

und Mädchen, zwischen Deutschenund Ausländerinnen und Ausländern,aber auch die regionalen Unterschiedeim Einschulungsalter sind abzubauen.• Der Anteil der Sitzenbleiber mussgesenkt werden. Insbesondere Jungenwerden auf Hauptschulen und Son-derschulen „abgeschoben“.• Um das Schulabschlussniveau derJugendlichen zu verbessern, müssenalle Schülerinnen und Schüler geför-dert werden, nicht nur die so genannteElite. Der Anteil der Jugendlichenohne Schulabschluss kann und musserheblich gesenkt werden.• Zur Förderung der Kinder bil-dungsferner Schichten muss im Ein-gangsbereich, in der ersten Klasse, dieGanztagsschule beginnen. Die Förde-rung von einzelnen Ganztagsschulenmit höheren Schuljahrgängen er-scheint unter Effizienzgesichtspunktenwenig sinnvoll.• Die Ganztagsschule ist auch erfor-derlich, um die zukünftig notwendigeErwerbstätigkeit der im Vergleich zuden Männern zunehmend besser qua-lifizierten Frauen zu ermöglichen.• Um die Benachteiligung der Jungenim bestehenden schulischen Bildungs-system, in dem die Bildungschancenvom Alter, das heißt vom zufälligenEntwicklungsstand abhängig sind, ab-

zubauen, dürfen die entscheidendenWeichen im Bildungssystem nicht mehrim Alter von zehn Jahren gestellt wer-den. Die Differenzierung des deutschenBildungssystems und seine Selektions-mechanismen müssen vor dem Hinter-grund der Ergebnisse anderer Bildungs-systeme diskutiert werden.• Für die Gruppe der gering qualifi-zierten Schulabgängerinnen und Schul-abgänger sind einfache Ausbildungs-gänge anzubieten.• Die Anerkennung der vollzeit-schulischen Berufsausbildung (Assis-tentenausbildungen) auf dem Arbeits-markt sind zu verbessern, damit dieAbsolventinnen und Absolventennicht zu einer weiteren Ausbildunggezwungen sind.• Die Studienmöglichkeiten an denHochschulen und die Kapazitäten derHochschulen sind zu verbessern, da-mit der zukünftig benötigte hoch qua-lifizierte Arbeitskräftebedarf realisiertwerden kann.

Aus: Lothar C. Tischler, Ausbildungsnach-frage Hessen - Prognose des Nach-fragebedarfs von Schulabgängern an DualenAusbildungsplätzen bis 2020, FEH-Report666; zu beziehen über: Hessisches Ministeri-um für Wirtschaft, Verkehr und Landes-entwicklung

Nach PISA II: Was tun?

26 2/2005

Auf Anregung der Deutschen Gesell-schaft für Sprachheilpädagogik (dgs)Landesgruppe Hessen und der Landes-ärztin für Hör- und Sprachbehindertein Hessen Professorin Dr. RoswithaBerger wurde im Auftrag des Hessi-schen Sozialministeriums im Jahre2003 ein interdisziplinäres For-schungsprojekt der Universitäten Mar-burg und Gießen und der dgs Hessendurchgeführt. Die Ergebnisse der Un-tersuchung über sprachliche Kompe-tenzen von 4- bis 4 1/2-jährigen Kin-dern mit deutscher Muttersprache undvon Kindern mit Migrationshinter-grund und Deutsch als Zweitspracheliegen nun als Dokumentation vor. Ander Organisation und Durchführungder Untersuchung waren die örtlichenJugendämter mit ihren Fachberatun-gen, die zuständigen Gesundheitsäm-ter mit ihren Sprachheilbeauftragtensowie die Leiterinnen und Erzieherin-nen der einbezogenen Kindertagesein-richtungen beteiligt.

Unter Leitung von Roswitha Berger(Universität Marburg), Inge Holler-Zittlau (Universität Gießen) und Win-fried Dux (dgs Hessen) wurden hessen-weit in 89 Kindertageseinrichtungendie sprachlichen Kompetenzen von 768Kindern untersucht. Zusätzlich zur Un-tersuchung der sprachlichen Kompe-tenzen der Kinder wurden auch die Er-zieherinnen und Erzieher sowie die El-tern der Kinder zur Sprachentwicklungund zum Sprachgebrauch der Kinderbefragt. Für diese Untersuchung wurdeein neues Sprach-Screening-Verfahren

entwickelt, das sich am Verlauf der un-gestörten, altersentsprechenden Sprach-entwicklung orientiert. Mit dem Mar-burger Sprach-Screening (MSS) kön-nen Aussagen zur Kommunikations-und Sprachfähigkeit, zur Artikulations-entwicklung, zur Begriffsentwicklungsowie zur Syntaxentwicklung einesKindes getroffen werden.

78 % aller Kinder mit deutscherMuttersprache wiesen unauffällige Er-gebnisse in der Sprachentwicklungauf. Nur 4,2 %, zeigten eine abge-schlossene primäre Sprachentwick-lung. Bei den Kindern mit Migrations-hintergrund waren dagegen 48,8 %hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisseunauffällig. Sowohl im Sprachver-ständnis als auch in der Artikulationund im Wortschatz zeigten sich deut-liche Kompetenzunterschiede der bei-den Gruppen. Über 90 % der Kindermit deutscher Muttersprache waren indiesen Bereichen unauffällig. Bei denKindern mit Deutsch im Zweitsprach-erwerb waren 65,2 % im Sprach-verständnis, 78,5 % in der Artikula-tion und nur 35,4 % im Wortschatzunauffällig. Auch die grammatika-lischen Leistungen der Kinder mitdeutscher Muttersprache unterschie-den sich erheblich von den Kindernmit Deutsch als Zweitsprache.

86 % aller Kinder deutscher Mut-tersprache waren in der Lage, ver-schiedene Pluralformen altersentspre-chend zu bilden, über 95 % konntendie 3. Person Singular, 90 % Neben-sätze mit Konjunktionen und 95 %

Grundkonstruktionen des Partizips bil-den. Kinder mit Deutsch im Zweit-spracherwerb waren nur zu 36 % inder Lage, verschiedene Pluralformenzu bilden, 79,8 % konnten die 3. Per-son Singular in Sätzen und 79,1 % diePartizipien bilden. Nebensatzkonjunk-tionen nutzten 54,4 % der Kinder

Die Untersuchung ließ auch Aussa-gen zur Einschätzung der sprachlichenFähigkeiten durch die Eltern und dieErzieherinnen und Erzieher zu. Diesprachlichen Fähigkeiten der Kinderwurden von den meisten Befragtenangemessen eingeschätzt. Bei Kindernmit erheblichen Sprachentwicklungs-verzögerungen und Störungen undProblemen im Deutschspracherwerbzeigten sich häufiger Fehleinschätzun-gen. Die Erzieherinnen und Erzieherin den Kindertageseinrichtungen ver-fügten über gute Kompetenzen in derEinschätzung sprachlicher Fähigkeitenentwicklungsunauffälliger Kinder mitdeutscher Muttersprache (76,9 %). Inder Einschätzung abweichender Ent-wicklung oder auffälligen Sprachver-haltens bestanden deutliche Unsicher-heiten, was die Differenzen in den Ein-schätzungen des Sprachverhaltens undder diagnostischen Ergebnisse desMSS belegen (23,1 %).

Bei 63,4 % der Kinder mit Migra-tionshintergrund stimmten die Ein-schätzungen der Erzieherinnen undErzieher hinsichtlich des Sprach-verhaltens mit den diagnostischen Er-gebnissen des MSS überein, bei40,8 % der Kinder wichen die Ein-

Sprache ist das vorrangige Kommunikationsmittel in unse-rer Gesellschaft. Eine altersentsprechende Kommunika-tions- und Sprachentwicklung ist eine wesentliche Voraus-setzung für die kognitive Entwicklung und das schulischeLernen. Vielfältige Ursachen und Entwicklungsbedingungenkönnen zu Verzögerungen und Störungen im Spracherwerbführen. Aktuelle Beobachtungen in Kindergärten und Schu-len sowie klinische Untersuchungen belegen eine Zunahmevon Kindern mit Problemen und Störungen in der Sprach-entwicklung und im Spracherwerb. Sprachstörungen müs-sen so früh wie möglich erkannt werden, damit eine not-wendige Förderung so früh wie möglich im Kindergarten-alter und vor Schuleintritt erfolgen kann.

AlarmierendeErgebnisse!Defizite beim Zweitspracherwerb

272/2005

Sprache

schätzungen der Erzieherinnen undErzieher von denen der diagnosti-schen Ergebnisse des MSS ab. Oftmalstäuschten Auffälligkeiten im Spiel-und Sozialverhalten der Kinder überdie eigentlichen sprachlichen Kompe-tenzen hinweg und führten zu Fehl-einschätzungen der Erzieherinnen.

Eltern schätzten die sprachlichenFähigkeiten und Deutschkenntnisse ih-rer Kinder ebenfalls nur unzureichendein. In einigen Fällen wurden fastaltersphysiologische Befunde als auf-fällig gewertet, gravierende Störungenin der Sprachentwicklung und imSpracherwerb jedoch nicht erkannt.Besonders die Eltern der Kinder mitDeutsch im Zweitspracherwerb über-schätzten die sprachlichen Fähigkeitenund Deutschkenntnisse ihrer Kinder.

Der hohe Anteil sprachauffälligerKinder erfordert von allen an der Ent-wicklung und Förderung beteiligtenPersonen, wie Eltern, Erzieherinnen

Migration

und Erziehern, aber auch Ärztinnenund Ärzte eine intensivere Beachtungund Förderung der sprachlichen Fä-higkeiten der Kinder. Es ist dringenderforderlich, Kenntnisse über die nor-male Sprachentwicklung, den Erst-und Zweitspracherwerb zu vermittelnund den Spracherwerb diagnostisch zueinem früheren Zeitpunkt als bisher zuermitteln. Dazu sollten die Kompeten-zen der Fachärztinnen und Fachärztefür Sprach-, Stimm- und kindlicheHörstörungen sowie aller in die Ent-wicklung von Kindern eingebundenenPersonen - Eltern, Erzieherinnen undErzieher, Sprachheilbeauftragte, Ärz-tinnen und Ärzte, Therapeutinnen undTherapeuten - einbezogen werden.Sprachförderung muss einen höherenStellenwert erhalten; dies betrifft so-wohl das häusliche Umfeld als auchdie Kindertageseinrichtungen.

Weiterführende Untersuchungenzur Erfassung sprachentwicklungs-

auffälliger Kinder, zur Klärung mög-licher organischer, kognitiver odersozialer Ursachen sind darüber hin-aus erforderlich, damit frühzeitigund präventiv im Sinne bevölke-rungsgesundheitlicher Vorsorge not-wendige differenzielle Maßnahmenergriffen werden können und denbetroffenen Kindern frühzeitig dieUnterstützung in der Sprachentwick-lung und im Spracherwerb gegebenwerden kann.

In der Aus-, Fort- und Weiterbil-dung müssen Sprachentwicklung,Spracherwerb und Sprachentwick-lungsstörungen stärker thematisiertund verankert werden.Inge Holler-Zittlau, Institut für Heil- undSonderpädagogik, Justus-Liebig-UniversitätGießen

Der Bericht kann über das hessische Sozialmi-nisterium bezogen werden (Dostojewskistraße4, 65187 Wiesbaden, Tel. 0611-8170, Fax:0611-890840).

Die Arbeitsgemeinschaft der Aus-länderbeiräte in Hessen (agah) hat ineinem Faltblatt die wichtigsten Rege-lungen des Zuwanderungsgesetzeszusammengestellt, das nach langenAuseinandersetzungen am 1. 1. 2005in Kraft getreten ist. Weitere Informa-tionen, den Wortlaut des Gesetzes undder Umsetzungsverordnungen findetman auf der Homepage der agah(www.agah-hessen.de).

• Aufenthaltsrecht: Es gibt ab dem1. Januar 2005 nur noch zwei Aufent-haltstitel: die Aufenthaltserlaubnisund die Niederlassungserlaubnis. DieAufenthaltserlaubnis ist immer befris-tet und zweckgebunden. Auflagen(zum Beispiel eine Wohnsitzauflage)sind möglich. Die Niederlassungs-erlaubnis wird grundsätzlich nach fünfJahren der Aufenthaltserlaubnis er-teilt, wenn die sonstigen Vorausset-zungen erfüllt sind. In besonderenFällen sind kürzere Fristen möglich(zum Beispiel für Asylberechtigte). DieNiederlassungserlaubnis ist unbefristetund auflagenfrei. Voraussetzungensind unter anderem stets 60 MonateRentenpflichtbeiträge (oder vergleich-bare Leistungen) und ausreichendeSprachkenntnisse. Vor der Erteilungerfolgt eine Regelanfrage zur Prüfung

Neu im Jahr 2005: Das Zuwanderungsgesetzvon Sicherheitsbedenken. BisherigeAufenthaltsgenehmigungen werden jenach Aufenthaltszweck in eine Aufent-halts- oder Niederlassungserlaubnisumgewandelt.

• Arbeitsmigration und Studium:Die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmi-gung werden in einem Erteilungsver-fahren zusammengefasst, zuständig istdie Ausländerbehörde. wissenschaft-lich und fachlich Hochqualifizierten,denen ein konkretes Arbeitsplatzange-bot vorliegt, kann von Beginn an eineNiederlassungserlaubnis erteilt wer-den. Die Zuwanderung Selbstständigerist unter bestimmten Bedingungenmöglich. Nach erfolgreich abgeschlos-senem Studium besteht die Möglich-keit, die Aufenthaltserlaubnis bis zueinem Jahr zur Suche eines (angemes-senen) Arbeitsplatzes zu verlängern.

• Familiennachzug und Integration:Die Regelungen zum Familiennachzugbleiben im Wesentlichen unverändert.Das Kindernachzugsalter liegt grund-sätzlich bei 16 Jahren, in einigen Fäl-len (zum Beispiel für Kinder von Asyl-berechtigten und EU-Bürgerinnen und-Bürgern) bei 18 Jahren. Für Migran-tinnen und Migranten, die neu einrei-sen, besteht ein Rechtsanspruch aufTeilnahme an einem Integrationskurs.

Soweit ein solcher Anspruch bestehtund keine einfachen deutschen Sprach-kenntnisse vorhanden sind, bestehteine Teilnahmeverpflichtung. Der In-tegrationskurs umfasst einen Basis-und einen Aufbaudeutschkurs und ei-nen Orientierungskurs. In dem Orien-tierungskurs sollen Kenntnisse überdeutsche Rechtsordnung, Kultur undGeschichte vermittelt werden.

• Flüchtlinge: Asylberechtigte undFlüchtlinge nach der Genfer Flücht-lingskonvention erhalten nach dreiJahren eine Niederlassungserlaubnis,wenn das Bundesamt mitgeteilt hat,dass ein Widerruf oder eine Rücknah-me nicht erfolgen soll. Duldungengibt es weiterhin. Eine Duldung wirderteilt, wenn rechtliche oder tatsäch-liche Abschiebehindernisse bestehenund keine Aufenthaltserlaubnis erteiltwerden kann. Für den vorübergehen-den Aufenthalt (zum Beispiel vonBürgerkriegsflüchtlingen) ist eine Auf-enthaltserlaubnis mit einer Dauer vonsechs Monaten vorgesehen. Die Län-der können Härtefallkommissioneneinrichten. Darüber ist in Hessen einStreit entbrannt (HLZ S. 7). Der In-nenminister kann auf Ersuchen derKommission einen Aufenthaltstitel ab-weichend vom Gesetz erteilen.

28 2/2005

Förderschule

In einem amerikanischen Spielfilm mitBill Murray läuft immer wieder diegleiche Szene ab – der Morgen desMurmeltiertags, an dem der Lauf desMurmeltiers das Frühlingswetter vor-aussagen sollte, wiederholt sich. DieEndlosschleife der Wiederholung voll-zieht sich so lange, bis es bei BillMurray Klick im Kopf gemacht hat.

Täglich erlebe ich in meinerHauptschulabschlussklasse an einerLernhilfeschule fast immer das Gleiche.Obwohl die Schülerinnen und Schülereine Chance haben, durch einen solchenAbschluss ihre ohnehin begrenztenMarktchancen zu verbessern, wiederho-len sich täglich ähnliche Szenen. Meh-rere Mädchen zeigen Weltschmerz-minen, sodass der Fokus zunächst dar-auf gesetzt ist, ihnen Entlastung zu er-möglichen. W. kommt täglich fünf Mi-nuten zu spät, und er hat wie immerkeine Hausaufgaben gemacht, obwohler eine gute Lehrstelle in der Tasche hat(Hauptschulabschluss vorausgesetzt). M.hat mal wieder ihre Unterrichtssachenzu Hause gelassen. Mit dem Erscheinenvon N. ist vor zehn Uhr kaum zu rech-nen, obwohl auch ihm inzwischen klargeworden ist, was ich ihm seit Monatengepredigt habe. Sein Hauptschulab-

Und täglich grüßt das Murmeltier?Eine Bilanz nach 30 Jahren Sonderpädagogik

schluss würde wegen der dadurch ver-besserten Sozialprognose die Chanceauf ein Bleiberecht in Deutschland erhö-hen. Leider ist diese Einsicht jedoch im-mer noch nicht vom Kopf zu den Fü-ßen gelangt. Auch an diesem Tag fehltes für die Mathestunde an dem einenoder anderen Taschenrechner (Gott seiDank gibt es inzwischen Handys dafür),ferner an Linealen, Winkelmessern undZirkeln.

Doch auch das wiederholt sich:Schülerinnen zeigen die gemeinsam er-arbeitete Hausaufgabe, denn sie treffensich nachmittags in Gruppen, um mit-einander zu lernen, und P. und G. sitzeneng umschlungen und schauen gemein-sam auf den Deutschtext und lesen ihnsich gegenseitig vor. G. ist Jüdin, P.Muslima. Sie sind nicht lesbisch, siesind Freundinnen, die ihre Freund-schaft jeweils rechtfertigen müssen.

Gott sei Dank gibt es auch solcheSzenen von Austausch und Verbunden-heit, die einem das eigene Hängenblei-ben am täglich Defizitären erschweren.Sonst haben wir nämlich selbst„Murmeltiertag“ und achten nur nochauf sich wiederholende Probleme undlassen uns davon herunter ziehen. Einesolche Negativspirale kann zunächst

dazu führen, dass Veränderungen undWachstumsprozesse immer seltenerwahrgenommen werden und sichschließlich immer seltener ereignen.Der Weg zum Burnout im Strudel derauch selbst verursachten Erfolglosigkeitist damit vorprogrammiert. Manchmalverlangt es aber nach einer „Kunst derWahrnehmung“ in Anbetracht der insAuge springenden Defizite, die kleinenPflänzchen nicht zu übersehen.

Es wird mir in 30 Jahren Sonder-pädagogik immer unverständlicher,warum so wenige Kolleginnen undKollegen die Chance zur Wahrneh-mungsschulung durch Supervisionnutzen. Die globalen Wahrnehmungs-störungen unserer Schülerinnen undSchüler können doch nur durch Sensi-bilisierung der Pädagogen vermindertwerden. Wir können doch nicht kla-gen, „dass die Brötchen immer kleinerwerden, wenn wir selbst den Ofennicht anwärmen!“ Der Hamburger Er-ziehungswissenschaftler Struck fordertzu Recht, dass Lehrerinnen und Lehrerheutzutage diagnostische und thera-peutische Qualifikationen benötigen.Ich selbst biete Fortbildungen an, diediese Basisqualifikation thematisieren.Sozialpädagogen erreiche ich damitgut, weniger aber die Lehrkräfte.

In Anbetracht einer „Daumenschrau-benpolitik“ wird es meines Erachtens zueiner professionellen Überlebensstra-tegie für die Lehrerinnen und Lehrer,sich weiter zu qualifizieren, um demwachsenden Belastungsdruck und derVielfalt der Anforderungen begegnenzu können. Flexibilität und Introspek-tion gehören jedoch nicht zu denPrimärzielen unserer pädagogischenAusbildungen, nicht einmal zu denSekundärzielen. Immer engere Leis-tungstakte sind in Gefahr, immer engereSichtweisen von Unterricht und Schü-lerverhalten zu evozieren. Doch vieles,was sich uns als Sonderpädagogenstellt, lässt sich mit einem guten Unter-richt allein nicht lösen. Doch nochselbstverständlicher als in meiner Refe-rendarzeit in den siebziger Jahren gras-siert heute die Ideologie von der Be-deutsamkeit der guten Vorführstundezur Qualifizierung von angehendenLehrkräften und zur Lernaktivierungder Schülerinnen und Schüler.

292/2005

SonderpädagogikIn 30 Jahren kaum Veränderungen

Ich erlebe dies bei meiner ersten Toch-ter, die gerade im Sonderschulreferen-dariat ist. Dies wird sich für michnochmals wiederholen. Denn auch diezweite Tochter geht den gleichen Weg.Als Vater, aber auch als älterer Kolle-ge, würde ich ihnen diese „Tretmühleder Dauerpräsentation“ gerne erspa-ren.

Am Vorabend einer Vorführstunde,an der das ganze Seminar teilnimmt,zeigt mir meine erste Tochter Bildervon ihrer Klasse 1 – 3 einer Lernhilfe-schule. Es sind Bilder von einem Aus-flug zu einem nahen Freizeitpark, mitdenen sie die Kinder für den Seminar-besuch positiv einstimmen möchte.Obwohl dies Fotos in Freizeitsituatio-nen sind, erschrecke ich. Nie hätte ichgedacht, dass die Kinder, von denensie immer wieder mit einer Mischungvon Mitleid und Verwunderung sprach,so gezeichnet sein könnten. Das Un-glück ihrer gesamten Existenz sprichtden meisten aus dem Gesicht. Es sindKinder, für die der positive Platz inihrem Leben nicht sicher zu seinscheint. Für sie sind Beziehungserfah-rungen mindestens ebenso wichtig wieLernerfahrungen. Doch wer bahnt diesan, wer ist dazu ausgebildet, damit der„Urschrei des Zu-Kurz-Gekommen-Seins“ nicht immer wieder die Lern-fortschritte beeinträchtigt?

Es hat sich eigentlich wenig verän-dert. Meine Tochter hat ähnliche Kinderwie ich damals Mitte der siebziger Jah-re, als ich an einer Frankfurter Schulefür Erziehungshilfe eine Gruppe vonErstklässlern zu betreuen hatte, diemich im Kontakt aufs Äußerste herausforderten. Doch so anstrengend diesauch war, ich hatte institutionalisierteSupervision, eine Nachmittagsbetreu-ung für die Kinder, und mit den Elternbestanden sehr regelmäßige Kontakte.Ich war an einer Erziehungshilfeschuletätig und musste bei meinem Wechselan eine Lernhilfeschule Jahre späterfeststellen, dass einem dort ähnlicheKinder begegnen. Diese Erfahrungen,aber auch die Klasse meiner Tochter,zeigen: Noch immer ist es nicht gelun-gen, eine Differentialdiagnose zwischenLern- und Erziehungshilfeschülern vor-zunehmen oder aktualisierter formu-liert: Noch immer ist es nicht gelun-gen, hinter den Lernproblemen man-cher Kinder deren Bedürftigkeit wahr-zunehmen und dafür pädagogischeBezugsformen und Konzepte zu ent-wickeln.

Was ist mit den Spuren von 30Jahren pädagogischer Tätigkeit? Die

Sonderpädagogik hat in mir Spurenhinterlassen. Schon von Anfang an be-rührten mich die Kinder tief. Sie spra-chen das Unbewältigte und das Ähn-liche in mir an. Ich spürte eine Affini-tät zu den Kindern. Dies stellt eineChance, aber auch eine Gefahr dar. Dieschwierige Arbeit mit den schwierigenKindern erfordert jedoch nicht nureine persönliche psychodynamischeBalance. Sie rüttelt nach meiner Erfah-rung auch an den Glaubenssätzen. DerGlaube an ein Miteinander der Kultu-ren wird immer wieder heftig erschüt-tert. Auch die Vorstellung von einemSelbstorganisationsprinzip, die unszum Gestalter unseres Lebens werdenlässt, das mich als Gestalttherapeutenträgt, gerät immer wieder auf denPrüfstand. Das Gespaltensein, einer-seits Sozialisationsagent und Defizit-diagnostiker zu sein, zum anderen andas Eigene der Kinder und die Eigen-ständigkeit von Kindheit zu glauben,stellt immer wieder einen schwierigenBalanceakt dar. Je mehr ich vonTraumapädagogik und -therapie erfah-re, um so mehr spüre ich, von wie vie-len oft schwer traumatisierten Kindernich umgeben bin – ein Aspekt, dersonderpädagogisch weitgehend ne-giert wird. Ich konnte aber auch erfah-ren, dass viele von ihnen Lebens- undÜberlebenskünstler sind. Da kann ichvon meinen Schülerinnen und Schü-lern noch etwas lernen.

Habe auch ich Spuren hinterlassen?Sicherlich weniger als ich dies gernegetan hätte. Durch Lehrerfortbildungkann man kaum prägend wirken. DieSchülerinnen und Schüler haben oftund immer öfter andere „Präge-faktoren“ als ihre Lehrerinnen undLehrer. Von den vielen Manuskripten,die ich geschrieben habe, erhielt ichim Schnitt etwa eine Rückmeldung. ImGroßen und Ganzen haben es alle ge-schafft, wenn ich sie mehrere Jahrebetreut habe. Manch einer von ihnenbesucht mich auch noch viele Jahredanach. Sind es Spuren, dass meineTöchter beide Sonderpädagogik stu-dieren? Als ich mit der Sonder-pädagogik anfing, war ich zutiefst ver-unsichert davon, so viele bizarre oderauch gebrochene ältere Kolleginnenund Kollegen zu erleben. Dies schienmir zu suggerieren, das kannst dunicht auf Dauer machen. Es wäreschön, wenn der eine oder andere jün-gere auch prüfend zur nächsten Gene-ration blicken würde und mich als je-manden wahrnehmen würde, der trotzallem dafür steht, dass man auch 30Jahre dranbleiben kann ohne „aus derSpur zu sein“.

Es steht zu befürchten …

Bei der Frage, was sich denn in 30Jahren Sonderpädagogik so veränderthat, fällt mir als globale Antwort ein:Gemessen daran, wie rapide sich dieWelt in dieser Zeitspanne veränderthat, erstaunlich wenig! Zwar gibt esden Gemeinsamen Unterricht undBeratungs- und Förderzentren. Dochdie Unterrichtszentrierung der Lern-hilfeschulen als Kernstück der Son-derpädagogik, der Mangel an Erzie-hungshilfepädagogik, die mangelndeRessourcenorientierung der sonder-pädagogischen Diagnostik bestehennach wie vor. Leider trifft die Expansi-on sonderpädagogischer Dienste aufRegelschulen, die im Rahmen desPisa-Schocks um die Straffung ihrerLernorganisation bemüht sind. DerBlick auf den Einzelnen, um den sichdie Sonderpädagogik bemüht, geht daschnell verloren. Zu wenig nachhaltigwurde es bisher als gemeinsame Auf-gabe von Sonderpädagogen und Re-gelschullehrkräften formuliert, sichum die Lernschwachen und von Des-integration Betroffenen zu kümmern.Die in gegenseitiger Rivalität um Ein-stellungsnoten erworbene Einzelkämp-fermentalität von Lehrerinnen undLehrern steht der Notwendigkeit zubasaler Kooperation oft entgegen.

Es ist zu befürchten, dass ver-meintliche Fortschritte in der son-derpädagogischen Arbeit an Regel-schulen formal aus Kostengründen,aber inhaltlich fundiert durch eineerneute pädagogische Engstirnigkeit,zurück gefahren werden sollen. Dafürgibt es durch die versuchte Stellen-streichung für Sonderpädagogen imGemeinsamen Unterricht in Frankfurtschon Anhaltspunkte. Es ist zu be-fürchten, dass die typisch deutschePISA-Antwort auch zu einer erneutenVerengung des sonderpädagogischenArbeitsauftrages führt.Denn uns droht eine Ver-einheitlichung und eineEinnivellierung. Von PISAlernen darf nicht heißen,sich auf die typischdeutschen Tugenden zubesinnen. Ansonsten be-steht die Gefahr, dass imdeutschen Bildungssys-tem „Murmeltiertag“ ist.Innovation und Kreativi-tät müssen höher rangie-ren als Vergleichbarkeitund formale Gerechtig-keit.

Dr. Volkmar Baulig

30 2/2005

Hochschule

Ende Dezember wurde die Novelle desHessischen Hochschulgesetzes (HHG)und sechs benachbarter Gesetze amt-lich verkündet, die der Landtag am20. Dezember in dritter Lesung verab-schiedet hatte. Darin wird die Regie-rung ermächtigt, den gesamten Wort-laut des Gesetzes neu zu fassen,sodass bis dahin sich niemand mitdessen vorhandenen Unstimmigkeitenaufzuhalten braucht. Ulrich Heinz ge-hört zum Vorsitzendenteam der Lan-desfachgruppe Hochschule und For-schung und kommentiert die wichtig-sten Veränderungen.

• Der Hochschulzugang für Meisterwar im Vorfeld der Gesetzgebungzwischen Gewerkschaften und Unter-nehmerverbänden unstrittig. Meisterkönnen künftig an allen Hoch-schularten das Studium beginnen wieAbiturientinnen und Abiturienten.Die Fachhochschulen hatten aufGrund ihrer größeren Erfahrungenmit Studentinnen und Studenten ausdem Berufsleben dazu geraten. Denk-bar ist, dass Meister ihr Zugangsrechteher an Berufsakademien nutzen wer-den als an den herkömmlichen Hoch-schulen. Die zeitgleiche Änderungdes Gesetzes über die staatliche Aner-kennung von Sozialarbeitern undSozialpädagogen war unstrittig, weileine bereits eingetretene Sachlageübernommen wurde.• Allseits unstrittig waren auch diefolgenden Neuerungen: Die vom Bundbetriebene Einführung der Junior-professur, die leistungsbezogene Ver-gütung künftiger Professorinnen undProfessoren als Beamtinnen, Beamteoder Angestellte, die Studienabschlüs-se Bachelor (BA) und Master (MA), dieOrganisation des Lehrangebotes inBausteinen und die Europäische Leis-tungsgutschrift. Heikel sind Einzelhei-ten zur Besoldungsordnung W und zuden Studienstufen BA und MA.• Institutionell nützt die Novellie-rung des HHG nur den Hochschullei-tungen. Für die Masse der Hochschul-mitglieder führt sie zu einer weiterenBürokratisierung. Beschäftigte undStudierende können künftig noch we-niger als bisher ihre Sachkenntnis undihre Belange in die hochschuleigenenEntscheidungen einbringen. Laut No-

Leuchtturm contra Nörgler

velle entscheiden Präsident, Kanzlerund Vizepräsidenten über- Entwicklungsplanung und Zielver-

einbarungen nach außen und nachinnen,

- die Budgets der Fachbereiche, dertechnischen Einrichtungen und daseigene Budget,

- Wirtschaftsplanung,- Strukturpläne der Fachbereiche,- Einführung und Aufhebung von

Studiengängen, von Fachbereichenund anderen Einrichtungen,

- Berufung und Leistungsbezüge derProfessorinnen und Professoren,

- Wahlvorschläge zum Dekanat.Den Gruppenvertretungen in Senatund Fachbereichsrat bleibt die Mög-lichkeit zu Stellungnahmen. Im Ergeb-nis werden Gremienerörterung und-mehrheit ersetzt durch Beziehungen,die Einzelne zu den Entscheidungsvor-bereitern in der Zentralverwaltung ha-ben. Das Gesetz ballt die Befugnisseund widerspricht dem Anspruch, ope-rative und strategische Aufgaben zutrennen.• Die Knebelung der studentischenSelbstverwaltung trägt den unter-schiedlichen Vorschlägen des Mini-sters und des Rings christlich-demo-kratischer Studenten (RCDS) Rech-nung. Bei einer Wahlbeteiligung unter25 % erhält die Studentenschaft denSemesterbeitrag ihrer Mitglieder nurin Bruchteilen. Da der Semesterbeitragaber nach allgemeinen Rechtsgrund-sätzen nur so hoch sein darf wie fürdie gesetzliche Aufgabe nötig, gefähr-det der Abschlag Umfang und Nach-haltigkeit der studentischen Interes-senvertretung. Außerdem eröffnet dieNovelle der Professorenmehrheit imSenat die Möglichkeit, die seit 1966durch Gesetz verfasste Studentenschaftmit Aufgaben-, Satzungs- und Bei-tragshoheit und parlamentarischerGliederung durch Satzungsoktroy völ-lig anders zu gestalten. Der RCDS willdie Studentenvertretung zu einem Aus-schuss des akademischen Senates ma-chen.• Der Schutz durch den Personalratbeim Berufszugang der wissenschaft-lichen Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter ist in der Novelle untergrabenworden. Nicht einmal auf Antrag darfder Personalrat sich bei der Einstel-

lung von befristet beschäftigten wis-senschaftlichen Mitarbeiterinnen undMitarbeiter um die sonst reklamierteBestenauslese kümmern. Eher beiläu-fig erwähnt das Gesetz unter dem Vor-zeichen der Qualitätssicherung bei derBerechtigung, akademische Grade zuführen, auch neuartige „Hochschul-ausbildungen im Rahmen von Fran-chise-Verträgen“.• Für „Angebote mit besonderemBetreuungsaufwand“ für Graduierte(„Premium-Studiengänge“) dürfen dieHochschulen Gebühren erheben.• Mit ihrem Sondergesetz für dieTechnische Universität Darmstadt, derNovelle des HHG und der Absicht, diemittelhessischen Universitätsklinikenzu privatisieren, sieht sich die Landes-regierung als „Leuchtturm“ in deut-schen Landen. WissenschaftsministerUdo Corts (CDU) hatte am 13. Dezem-ber die Kritik zahlreicher Institutionenund Personen an wesentlichen Inhal-ten seiner Gesetzesnovelle als „Nörge-lei“ bezeichnet und stattdessen „breiteZustimmung” verkündet.

Für die Beschäftigten bringt dasGesetz weitere Lasten. Statt Präsidiali-sierung brauchen sie eine deutlichbessere Ausstattung der überlastetenHochschulen, eine aufgabengerechteVerteilung der finanziellen Mittel in-nerhalb der Hochschulen und eine be-darfsgerechte Personalentwicklung.

Die Landesregierung sollte dafürSorge tragen, dass die Gelder, die denHochschulen für die Lehrerbildungzugewiesen werden, auch vollständigin diesen Studiengängen ankommen,insbesondere im erziehungswissen-schaftlichen Begleitstudium, und sichauf den Boden der misslichen Tatsa-chen stellen statt auf den von neuenSteuerungsmodellen.

Gefällig ist, dass das Hochschul-zentralisierungs- und Marktöffnungs-gesetz Ende 2009 außer Kraft tritt.

Gesetzestexte im WortlautWegen der umfangreichen Änderungdes Hochschulgesetzes am 20. Dezem-ber 2004 brauchen die Anwender eineneue Fassung des vollständigen Wort-lauts. Die Fachgruppe Hochschule undForschung stellt ein Heft mit diesemgeänderten Hochschulgesetz bereit,dem Hochschulteil des Lehrerbil-dungsgesetzes und den beiden Son-dergesetzen des Vorjahres zur Tech-nischen Universität Darmstadt und zuden Studienguthaben. Das Heft ist beider Landesgeschäftsstelle der GEW er-hältlich (Zimmerweg 12, 60325 Frank-furt, [email protected]).

Neues Hessisches Hochschulgesetz in Kraft

312/2005

Wie eine berufliche oder universitäreAusbildung ist auch die Promotion eineentscheidende Phase auf dem Weg zumBeruf – sei es nun in der Wissenschaftoder einem anderen Tätigkeitsfeld. Da-bei gilt es, einige Hindernisse zu umge-hen oder zu beseitigen. Als hilfreicherRatgeber hat sich eine Handreichungvon Werner Fiedler von der gewerk-schaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS)herausgestellt (www.boeckler.de). An-dreas K. Schmidt, der 2004 mit seinergeschichtswissenschaftlichen Doktorar-beit begonnen hat, hat diese „goldenenRegeln“ durch eigene Ausführungen er-läutert.

Prüfe deine Motivation! Auswelchen Gründen wurde die Pro-

motion begonnen? War es der Einstiegin eine wissenschaftliche Karriere, eineWeiterqualifizierung, die Verbesserung derAufstiegschancen durch den akademi-schen Grad, eine Überbrückung einerZwischenzeit oder auch die Sehnsuchtnach einem schöneren Klingelschild?Man sollte sich der eigenen Gründe fürdie Promotion bewusst sein, um beieventuell auftretenden Irritationen undProblemen diese lösen zu können.

Kläre deine Methodenkompe-tenz und den Methodenauf-

wand deiner Arbeit! Insbesonderesozialwissenschaftlich arbeitende Wis-senschaftlerinnen und Wissenschaftlersollten sich am Anfang ihrer Arbeit Ge-danken über die Methoden machen,denn so manche Dissertation scheitertean dem als zu gering eingeschätztenAufwand. Fragebögen müssen mehrfachüberprüft und auch realisierbar sein.Auch Interviews bedürfen der intensivenVor- und Nachbereitung. Einige Univer-sitäten bieten für verschiedene Diszipli-nen Arbeitsgruppen an, um Methodenzu erlernen, zu wiederholen oder intensi-ver zu erarbeiten. Man sollte sich auchnicht scheuen, durch Aushänge selbsteine solche Gruppe zu gründen, um De-fizite aufzuarbeiten oder Kompetenzenauszubauen.

Rede über deine Arbeit, bildeArbeitsgruppen! Mit den wäh-

rend der Dissertation auftretenden Pro-blemen ist man in der Regel selten al-lein. Durch die bereits erwähnten Aus-hänge oder auch durch die Teilnahme

Hochschule

an verschiedenen Doktorandenkolloquien(nicht nur an dem des wissenschaftlichenBetreuers) kann man ein kleines Netzwerkknüpfen, um den Horizont zu erweitern.Dadurch können eventuelle Abweichungenfrüher erkannt werden und ein Gegensteu-ern ist möglich.

Hol dir Betreuung und triff klareAbsprachen mit dem wissen-

schaftlichen Betreuer! Auch wenn esmanchmal schwer fällt, sollte man den Be-treuer durchaus in den Promotionsprozesseinbinden. Zwar stellt eine wöchentlicheUnterrichtung über den Fortschritt eine zugroße Belastung (für beide Seiten) dar, abermehr als ein Vorgespräch und anschließenddie Abgabe der Arbeit nach zwei oder dreiJahren sollte es schon sein.

Bilanziere regelmäßig deine Ar-beit, mach dir einen ergebnis-

orientierten Arbeits- und Zeitplan mitReserven! Was schon für die Phase desStudiums gilt, hat für die relativ freie Si-tuation der Promotion noch größeren Stel-lenwert: Die Erstellung eines flexiblenArbeits- und Zeitplanes. Dabei sollten diezu absolvierenden Bearbeitungsbereichemonatlich gegliedert werden, um den un-gefähren Zeitaufwand feststellen zu kön-nen. Verschiebungen oder Verlängerungendes zeitlichen Aufwandes - zum Beispielbenötigt man für Archivarbeit drei stattzwei Monate - können damit problemlosuntergebracht werden. Wenn eine Phasejedoch erheblich mehr Zeit beansprucht alseigentlich vorgesehen, bedarf der Plan oderdieser Aspekt der Arbeit einer kritischenÜberarbeitung. Der Plan sollte halbjährlichüberprüft und auch in diesen Abständendem wissenschaftlichen Betreuer zur Ver-fügung gestellt werden, um Veränderun-gen besser feststellen zu können. Außer-dem fällt dann Nummer Sieben leichter!

Bilde konstante Arbeitsgewohn-heiten aus, sorge für einen ge-

regelten Arbeitstag! Für Menschen, dievor oder neben dem Studium einer geregel-ten Lohnerwerbsarbeit nachgegangen sind,ist das eine Selbstverständlichkeit, für eini-ge ehemalige Studierende stellt es aberdurchaus eine Neuerung dar. In den meis-ten Fällen wird die Promotionsphase nichtmehr durch studienbegleitende Arbeits-nachweise reglementiert, sodass eine ge-wisse Tages- oder Wochengestaltung da-durch wegfällt. Insbesondere Absolventin-

nen und Absolventen von geisteswis-senschaftlichen Studiengängen, derenStudienordnungen sich bisher durch einegewisse Freizügigkeit auszeichneten, ha-ben damit manches Mal ein Problem.Ein Wecker ist weder reaktionär nochbildungsfeindlich.

Gestalte deinen Arbeitsplatzund belohne dich für Leistun-

gen! Auch die Gestaltung des Arbeits-platzes sollte die wissenschaftliche Tä-tigkeit erleichtern - ebenfalls eine Weis-heit aus der Zeit des Studiums. EinigeDoktorandinnen und Doktoranden bil-den Gemeinschaften und mieten sichein Büro, um Arbeits- und Privatlebenbesser trennen zu können – insbeson-dere mit Kindern oder einem regen WG-Leben hat sich dies als hilfreich heraus-gestellt. Der Vorteil des Arbeitsplaneszeigt sich insbesondere im Bereich desBelohnens: Wenn bestimmte Arbeits-schritte absolviert wurden, darf auchgerne gefeiert werden (Kurzurlaub, Ku-chen oder auch beides).

Sorge für Stressabbau und fol-ge deiner inneren Uhr! Sport-

treiben oder Spazierengehen baut denStress ab und erleichtert das Weiterarbei-ten. Auch wenn es eine alte Weisheit ist,bleibt sie doch so wie Omas (seltenOpas) Rezepte altbewährt: RegelmäßigerSport hilft auch Denkblockaden abzubau-en - so manches methodische Problemwurde schon während eines Dauerlaufesgelöst! Und wenn die innere Uhr stehengeblieben ist und es gar nicht mehr geht,darf man auch ´mal ein paar Tage dieWohnung umräumen, die Badezimmertürblau streichen oder gar nichts tun.

Schreibe dich frei! Gaaaaaanzwichtig: Die gewonnenen Er-

kenntnisse zusammenfassen, dennansonsten sitzt man nach zwei Jahrenvor einem Berg von Informationenund hat schon wieder so vieles verges-sen. Man ist nicht Hercules Poirot, derdie Spannung durch die letztmöglicheAbgabe der Information, wer dennnun Gräfin Porzki mit der Pistole imSpeiseraum erhängte, stets zu steigernwusste!

Andreas K. Schmidt

Mit freundlicher Genehmigung aus: blz,GEW Berlin, Heft 12/2004

Goldene Regeln für die Promotion

4.4.4.4.4.

6.6.6.6.6.

5.5.5.5.5.

7.7.7.7.7.

8.8.8.8.8.

9.9.9.9.9.

11111 .....

2.2.2.2.2.

3.3.3.3.3.

32 2/2005

„Außer dem Inhalt entscheiden unteranderem auch Sprachstil (leicht ver-ständlich, nicht zu kompliziert formu-liert, nicht zu viele Fachbegriffe) undTextumfang (nicht zu lang, keine un-nötigen Ausschmückungen) sehr dar-über, ob ich einen Beitrag lese odergegebenenfalls abbreche. Trotz Kritik:Vielen Dank an die Redaktion. Ichfreue mich über jede neue Ausgabe!“

Ausgesprochen wurde dieser umfas-sende Dank anlässlich der HLZ-Leser-befragung im Herbst 2004 (HLZ 12/2004), in der sich 454 von 2000 Kol-leginnen und Kollegen erneut derMühe unterzogen, die HLZ zu bewer-ten. Erneut deshalb, weil bereits sechsJahre zuvor erstmals und in sehr ähn-licher Form die HLZ evaluiert wurde(HLZ 7-8/1998). Die damalige hervor-ragende Rücklaufquote von 26,5 %konnte zwar mit aktuellen 22,7 %nicht mehr erreicht werden, dafür er-freute die Redakteure umso mehr dieGesamteinschätzung ihres Produktes:Waren 1998 insgesamt 67,3 % mit derHLZ überwiegend oder sehr zufrieden,so sind es sechs Jahre später 86,1 %.Diese Steigerung im Gesamturteil er-klärt Professor Dr. Jürgen Prott (Hoch-schule für Wirtschaft und PolitikHamburg), der auch die letzte reprä-sentative Umfrage durchführte, damit,dass die meisten Menschen das Ge-

86 % mehr als zufrieden454 Leserinnen und Leser beteiligten sich an HLZ-Umfrage

samtprodukt in einem eher mildenLichte wahrnehmen, „vor allem, wennsie sich die erahnten schwierigen Be-dingungen vor Augen führen, unterdenen diese Presseorgane in aller Re-gel erzeugt und verbreitet werden.“Vergleichserhebungen bestätigten diesimmer wieder, auch wenn zuvor Teil-aspekte verstärkt einer kritischerenBeurteilung unterzogen wurden.

Nutzungsintensität spürbar erhöht

Der fiktive Marktwert von Mitglieder-zeitschriften spiegelt sich in der Nut-zungsintensität wider. Lasen 199812,1 % immer oder fast immer alle Bei-träge („Gründlichleserinnen und -leser“),sind es heute 23,0 %. Addiert man nochdiejenigen hinzu, die regelmäßig meh-rere Beiträge lesen, so ist die Nut-zungsintensität von 63,9 % auf 77,2 %gestiegen. Reziprok hat sich die Zahlder „Seltenleserinnen und -leser“ von36,1 % auf 22,8 % verringert, wobeiauffällt, dass 5,5 % (1998: 1,3 %) „dasProdukt mit Nichtbeachtung strafen“,so Jürgen Prott, die HLZ also gleich imMüllcontainer entsorgen.

Im Vergleich zu anderen GEW-In-formationsquellen wird die HLZ ge-genüber der Bundeszeitschrift E&Wmit 36,1 % als wichtiger (mit 12,4 %als weniger wichtig) eingestuft. Einewesentlich höhere Wertschätzung er-fährt die HLZ gegenüber regionalenGEW-Publikationen (47,0 % versus13,0 %) und der GEW im Internet(58,5 % zu 15,1 %). Beim Austauschvon Informationen werden hingegenpersönliche Kontakte (33,0 %) derHLZ (31,7 %) vorgezogen, für 35,3 %sind beide Quellen gleich wichtig.

Was interessiert?

Die einzelnen Rubriken in der HLZwerden höchst unterschiedlich rezi-piert. Grundsätzlich können sie indrei Gruppen nach dem Ausmaß desInteresses gebündelt werden.• Starkes Interesse finden die Berei-che Lehrerarbeit und Lehrerbildung(62,5 %), Bildung (61,2 %), Recht undRechtsberatung (56,1 %) und die Mel-dungen (54,0 %).• Auf mittleres Interesse stoßen derKommentar (37,6 %), die HLZ-Glosse

Spot(t)light (34,2 %), der Gesundheits-und Arbeitsschutz (32,0 %) und dieInformationen aus Personalratsarbeit(32,0 %).• Geringes Interesse gibt es an denLeserbriefen (16,4 %), den Magazin-Seiten (11,6 %), den Hochschulthemen(10,9 %) und den Anzeigen (9,0 %).

Gegenüber der letzten Umfrage hatsich das Interesse an den Meldungendeutlich von 40,7 % (1998) auf 54,0 %(2004) erhöht; ähnliches gilt für denKommentar (von 27,9 % auf 37,6 %)und für die Kolumnen (Spot(t)light34,2 % gegenüber der Lila Kolumna18,4 %).

Alter und Geschlecht

Von erheblicher Bedeutung für dieRedakteure war, ob die Bezugsdauerder HLZ (höchstens sechs Jahre odermehr als sechs Jahre) und damit meistauch das Alter eine Relevanz für dieLesegewohnheiten und damit die Be-wertung haben. 219 Personen (48,2 %)beziehen seit sechs Jahren die HLZ,235 Personen (51,8 %) gehören schonlänger dem Bezieherkreis an.

Kolleginnen und Kollegen, die inden letzten sechs Jahren der GEW bei-traten, äußerten seltener als die lang-jährigen Mitglieder ein „starkes Inter-esse“ an Rechtsinformationen der HLZ(49,5 % gegenüber 61,9 %), am Kom-mentar (32,8 % gegenüber 41,8 %)und am Gesundheits- und Arbeits-schutz (23,5 % gegenüber 29,7 %),häufiger an Hochschulthemen (16,6 %gegenüber 6,0 %).

Die Zuwendungsbereitschaft füreinzelne Rubriken variiert darüberhinaus auch bei Alter und Geschlecht.An Lehrerarbeit/Lehrerbildung sindFrauen deutlich häufiger (66,9 %)stark interessiert als ihre männlichenKollegen (56,3 %). Umgekehrt verhältes sich bei den Briefen, von Männernmit 20,8 % stärker präferiert als vonihren Kolleginnen (13,3 %).

Gegenüber dem Spot(t)light bekun-deten vor allem Mitglieder, die nichtälter als 45 Jahre sind, ein starkes In-teresse (42,7 %), hingegen nur 27,3 %der Älteren. Dem Magazin wendensich die Jungen häufiger zu (17,6 %)als die Älteren und Alten mit lediglich6,8%.

HLZ

32

332/2005

HLZ

Einzelaspekte auf dem Prüfstand

Auf Grund der Beurteilungen und Be-wertungen einzelner redaktioneller In-halte und des äußeren Erscheinungs-bildes lassen sich Erkenntnisse für dieGestaltung der HLZ in der Zukunft ab-leiten. Die Aussagekraft der Ergebnissegewinnt im Kontext der Befunde derVorläufererhebung von 1998 an Be-deutung. Die HLZ erhält von 76 % derBefragten „den Status einer exklusivenInformationsquelle“, wie Jürgen Prottin seiner 27 Seiten umfassenden Ex-pertise formulierte. 1998 waren es im-merhin schon 65,0 %, doch zehn Pro-zent weniger. 20,7 % fehlen „kontro-verse Sichtweisen“, 38,2 % lehnen einestärkere Akzentuierung der HLZ indiese Richtung ab, 41,1% legten sichnicht fest. Hier scheint die HLZ offen-bar eine richtige Mischung gefundenzu haben.

„Die Zeitschrift enthält zu wenigpraktisch nützliche Beispiele“ finden10,1 % uneingeschränkt und 17,8 % inabgeschwächter Form. Diesen 27,9 %stehen 33,9 % gegenüber, die den ne-gativen Eindruck nicht teilen können,während sich die übrigen 38,2 % nichtfestlegen wollen. In der Vorläufererhe-bung stimmten immerhin noch 41,6 %dem Statement zu. Offensichtlich ha-ben die Konsequenzen, die die Redak-tion aus der Befragung von 1998 zog,Wirkungen gezeitigt.

Auch die Kritik, die HLZ enthaltezu viele Beiträge aus Funktionärssicht,hat deutlich an Gewicht verloren, undzwar unabhängig von Lebensalter,Dauer der Mitgliedschaft oder Ge-schlecht. Nur noch jeder Vierte (25,1 %gegenüber 36,8 %) teilt diese Auffas-sung, 37,0 % hingegen sind gegentei-liger Ansicht.

Das „Titelthema-Prinzip“ beurteilenneun von zehn HLZ-Leserinnen undHLZ-Lesern „sehr positiv“. Die Zustim-mung stieg noch einmal von 84,8 %auf 88,3 %.

Qualitativer Sprung

Die gute Beurteilung einzelner Aspek-te führt auch zu einer noch besserenGesamtbewertung der redaktionellenArbeit, quasi Synergieeffekte erzeu-gend. Während 1998 58,2 % der Be-fragten der HLZ in redaktioneller Hin-sicht ein prinzipiell gutes Zeugnis aus-stellten, sind dies heute 76,9 %. Profes-sor Dr. Jürgen Prott vermutet, „dassdie sprunghaft angestiegene Zustim-mung in beachtlichem Ausmaß auchmit der Profilierung des Produktsselbst zu tun hat.“

Nicht so groß war der Sprung,wenn das äußere Erscheinungsbild im6-Jahresvergleich beurteilt wird. Sostieg die prinzipielle Zustimmung von52,5 % lediglich auf 60,1 %, haupt-sächlich getragen von den langzeitigenMitgliedern (65,8 %), während 53,8 %derjenigen, die der GEW höchstenssechs Jahre angehören, dies ähnlichpositiv sehen.

Einzelne Aspekte wurden wie folgtbeurteilt:• 18,0 % gegenüber 19,3 % (1998)konstatieren weiterhin einfallslos ge-staltete Titelseiten, 54,3 % sind gegen-teiliger Auffassung.• 72,6 % sind uneingeschränkt odereingeschränkt der Auffassung, dass dieeinzelnen Ausgaben übersichtlich auf-gebaut sind. 1998 waren es lediglich64,3 %.• Die HLZ enthalte nach wie vor „zuwenige gute Fotos“, meinen 42,5 %.

Wesentlich schlechter war die Beurtei-lung mit 60,0 % noch vor sechs Jahren.• Eine gewisse Kritik wurde hinsicht-lich der Gestaltung mit Karikaturenund Grafiken geäußert: 21,4 % sindnicht besonders zufrieden (1998:23,3 %).• In der Bildungsgewerkschaft GEWist die Länge der Artikel kein Thema:Für nur 12,1 % sind die meisten Arti-kel eher zu lang. Immerhin 17,0 %stimmten 1998 diesem Statement nochzu. Offensichtlich haben die Leserin-nen und Leser diesen Anspruch derRedakteure akzeptiert.

Weitere Verbesserungen möglich

Wie kann eine als insgesamt gut er-achtete Zeitschrift künftig noch bessergemacht werden? Wo sollte aus demBlickwinkel der Zielgruppe der Hebelangesetzt werden? Im Kontext vonstandardisierten Fragen bildete sichein klares Erwartungsprofil heraus:• Drei von vier Befragten (75,3 %)wünschen eine Verbesserung des be-rufsfachlichen Zuschnitts, mehr prakti-sche Tipps für den beruflichen Alltag.• Mehr praktische Tipps für die ge-werkschaftliche Arbeit erhoffen sichnur noch 31,1 %, zehn Prozent weni-ger als vor sechs Jahren (41,0 %).• Lediglich jeder Fünfte (20,6 %)verlangt „mehr Beiträge mit gewerk-schaftlicher Orientierung“.• Die Stunde des Internets als bevor-zugtes Kommunikationsmedium hat inder GEW noch nicht geschlagen: Nur13,9 % halten dieses Medium für wich-tig, hingegen 40,8 % für unwichtig.• Gegenüber 1998 ist der Wunschnach „mehr journalistisch recherchier-ten Beiträgen unabhängiger Autoren“von 51,2 % auf 46,9 % gesunken, imgleichen Zeitraum hingegen das Be-dürfnis nach „mehr Beiträgen zu pä-dagogischen Themen von ausgewiese-nen Experten“ von 68,7 % auf 74,6 %gestiegen.

89 von insgesamt 454 Kolleginnenund Kollegen (1998: 175) nutzten dieGelegenheit über die standardisiertenFragen und Antworten hinaus, ihreMeinungen zu verbalisieren. 17 Per-sonen darunter äußerten ihre Zufrie-denheit mit der Zeitschrift durch einermutigendes „Weiter so!“ Weil dieHLZ „eine echte Lücke schließt“, solledie Redaktion „dranbleiben“ und sich„nicht entmutigen lassen“, auch „denZeitgeist ignorieren“ und immer be-achten, dass der Inhalt wichtiger ist alsdas äußere Erscheinungsbild. Dies se-hen die Redakteure ebenso.

Joachim Euler und Harald Freiling

HLZ-Umbruch in der Druckwerkstatt der Kunsthochschule Kassel: die HLZ-Redakteure Harald Freiling und Joa-chim Euler und die HLZ-Grafiker Harald Knöfel (mit Sohn Jonas bei seinem ersten HLZ-Umbruch) und MichaelHeckert (von rechts nach links)

34 2/2005

Recht

Eine aktuelle Information der Landes-rechtsstelle der GEW setzt sich aus-führlich mit der Zulässigkeit der Be-fristung von Arbeitsverträgen für an-gestellte Lehrerinnen und Lehrer aus-einander und den Chancen, über eineKlage vor dem Arbeitsgericht, eineEntfristung des Arbeitsvertrags unddamit eine dauerhafte Beschäftigungzu erreichen.

Das Rechtsstellen-Info kann beiden GEW-Vertrauensleuten an allenSchulen eingesehen und von GEW-Mitgliedern bei der GEW Hessen an-gefordert werden.

In den Fällen, in denen sich dieBefristung auf einen real existierendenVertretungsgrund bezieht (längerfristi-ge Erkrankung, Mutterschutz, Er-ziehungsurlaub), besteht in der Regelkeine Aussicht, mit arbeitsrechtlichen

Schritten eine Entfristung des Vertra-ges zu erreichen.

Mit Beginn des Schuljahres 2004/2005 ist die Zahl von Zeitverträgen imhessischen Schuldienst noch einmal er-heblich angewachsen. Politischer Hinter-grund ist die Streichung von 1.000Planstellen im Rahmen der Spar-operation „Sichere Zukunft“. Trotz derPflichtstundenerhöhung konnten dra-matische Mängel in der Unterrichts-versorgung zum 1. 8. 2004 nur durchzusätzliche Mittel für Zeitverträge ver-hindert werden. In diesen Verträgen tau-chen vermehrt Befristungsregelungenauf, gegen deren Zulässigkeit erheblicheBedenken bestehen. Als „Sachgrund“ fürdie Befristung wird dort beispielsweisedie „Unterrichtsabdeckung“ genannt, ein„vorübergehender Bedarf“ in bestimm-ten Fächern oder die Vergütung aus

PersonalräteschulungenAb Januar 2005 bietet das neue Amtfür Lehrerbildung (AfL) im Auftragdes Kultusministeriums Schulungenfür Schulpersonalräte an, die bishervom Hessischen Landesinstitut fürPädagogik (HeLP) organisiert wur-den.

Am 10. März und 3. Mai 2005finden Tagesseminare zum Arbeits-und Gesundheitsschutz in Frankfurtstatt, vorrangig für Mitglieder vonGesamtpersonalräten.

Für Mitglieder von örtlichen Per-sonalräten und Schulleitungen wirdein entsprechender Lehrgang imHerbst 2005 stattfinden.

Termine und Anmeldungen erfol-gen inzwischen ausschließlich onlineüber den hessischen Bildungsserverunter www.help.bildung.hessen.de.

Und so klickt man sich zur On-line-Anmeldung: Fortbildung > Ver-anstaltungsprogramm 2005 > Allezentralen und regionalen HeLP-Ver-anstaltungen > Qualifizierung vonPersonalvertretungen > GewünschtenLehrgang suchen > Anmeldung

Bei der Anmeldung wird die Per-sonalnummer benötigt. Die Ein-gangsbestätigung stellt weder eineEinladung zum Lehrgang noch eineZusage dar, dass der Lehrgang zu-stande kommt.

Die folgende Übersicht enthält diewichtigsten Änderungen in der Hessi-schen Beihilfenverordnung (HbeihVO),die zum 1. Januar 2005 in Kraft tra-ten:• Aufwendungen eines Kindes, dasbei mehreren Beihilfeberechtigten be-rücksichtungsfähig ist: Bei Aufwen-dungen, die ab dem 1. 1. 2005 entste-hen, brauchen keine Originalbelegemehr vorgelegt zu werden. Beihilfebe-rechtigt ist aber für Aufwendungendes berücksichtigungsfähigen Kindesnur, wer tatsächlich den Familien-,Orts- oder Sozialzuschlag erhält oder– hiervon abweichend – in einer ge-meinsamen Erklärung der Eltern hier-zu bestimmt wurde. Der personenbe-zogene Beihilfebemessungssatz aus§ 15 HBeihVO wird durch diese Erklä-rung nicht verändert.• Aufwendungen für ambulante Be-handlungen sowie für stationäre Be-handlungen in öffentlichen Kranken-häusern in einem Land der Europäi-schen Union sind nunmehr generellbeihilfefähig; außerhalb der EU giltdies bis 1.000 Euro.• Heilkuren außerhalb der Bundesre-publik Deutschland sind beihilfefähig,wenn der Heilkurort in dem Heilkur-orteverzeichnis aufgeführt wird und

Befristete ArbeitsverträgeHaushaltsmitteln, „die haushaltsrechtlichlediglich für eine befristete Beschäfti-gung bestimmt sind“.

In diesen und anderen Fällen, die inder Information der Landesrechtsstelleausführlich beschrieben werden, emp-fiehlt es sich, den Arbeitsvertrag einerarbeitsgerichtlichen Überprüfung zuunterziehen. Die GEW wird hierzu fürihre Mitglieder die erforderliche recht-liche Unterstützung leisten.

Wer mit einem befristeten Vertrag inden Schuldienst eingestellt wird und an-schließend zeitnah in die GEW eintritt,erhält den vollen Rechtsschutz derGEW.

Die Beratung durch die Landes-rechtsstelle der GEW zur Zulässigkeitder vereinbarten Befristung und erfor-derlichen Schritten erfolgt, sobald Be-troffene ihren Beitritt zu GEW erklären.

Beihilfe: Änderungen ab 1.1.2005die sonstigen Voraussetzungen fürHeilkuren vorliegen.• Zahnimplantate: Wenn je Kieferweniger als acht Zähne im jugendli-chen Erwachsenengebiss angelegt sindoder wenn bei großen Kieferdefekteninfolge Kieferbruch oder Kieferresek-tion auf andere Weise die Kaufähigkeitnicht hergestellt werden kann, sinddie Aufwendungen für implantolo-gische Leistungen und vorbereitendeMaßnahmen beihilfefähig. Ansonstensind pro Kieferhälfte zwei Implantateeinschließlich vorhandener Implantatebeihilfefähig. Aufwendungen für Supra-konstruktionen sind ohne Einschrän-kung beihilfefähig. Der Behandlungs-beginn muss nach dem 31. 12. 2004liegen.• Aufwendungen für ärztlich verord-nete Perücken sind wie bisher, jedochnunmehr ohne Alters- oder Ge-schlechtseinschränkung beihilfefähig.• Aufwendungen für Brillen mit be-sonderen Gläsern (Kunststoff, Leicht-gläser, hochbrechende mineralischeGläser, Lichtschutzgläser, phototropeGläser) sind bei schriftlicher augen-ärztlicher Verordnung im Rahmen derHöchstsätze beihilfefähig.(aus einer Information des Regierungs-präsidiums Gießen)

352/2005

Recht

Bildungseinrichtungen vom Kinder-garten über die Schulen bis zur Wei-terbildung stehen unter massivemDruck, Personen mit Ein-Euro-Jobs zubeschäftigen (HLZ S. 6). Grundlagedieser „Arbeitsgelegenheiten gegenMehraufwandsentschädigung“ ist dasgeänderte 2. Buch des Sozialgesetz-buchs (SGB II), besser als „Hartz IV“bekannt. Bis zu 700.000 Arbeitslosesollen nach den Vorstellungen desBundeswirtschaftsministers in solchen„Zusatzjobs“ gegen eine Entschädi-gung von einem bis zwei Euro proStunde beschäftigt werden.

Die GEW lehnt es in einem Be-schluss des Landesvorstands ab, dassAufgaben in Erziehungs- und Bil-dungseinrichtungen durch Personenmit Ein-Euro-Jobs wahrgenommenwerden. Die Personalräte an Schulenund anderen Bildungseinrichtungenwerden aufgefordert, solche Beschäfti-gungsverhältnisse abzulehnen. Dazumüssen die örtlichen Personalräte zu-nächst ihre Beteiligung einfordernoder – wenn es um Arbeiten im Be-reich von Technik und Verwaltunggeht – Kontakt mit dem zuständigenPersonalrat des Schulträgers aufneh-men. Die Rechtsgrundlagen für die Be-teiligung der Personalräte werden ineiner ausführlichen Information derLandesrechtsstelle der GEW dargestellt.Die HLZ fasst die wichtigsten Aussagenzusammen.

Mitbestimmung der Personalräte

Bei der Beschäftigung von Personenmit Ein-Euro-Jobs handelt es sich umeine mitbestimmungspflichtige Einstel-lung im Sinne des Hessischen Perso-nalvertretungsgesetzes (§ 77 Abs. 2aHPVG). Sollen pädagogische Aufga-ben wahrgenommen werden, fällt diesin die Zuständigkeit des örtlichen Per-sonalrats. Zwar sollen durch Ein-Euro-Jobs nach SGB II ausdrücklich keineArbeitsverhältnisse begründet werden,doch ist es entscheidend, dass die be-treffenden Personen in die Dienststelle„eingegliedert“ werden, dass sie Tätig-keiten ausüben, die auch im Rahmenvon Arbeitsverhältnissen wahrgenom-men werden könnten und dass es eineWeisungsabhängigkeit der Betroffenenbeziehungsweise ein Weisungsrechtder Dienststellenleitung in Bezug aufZeit, Ort und Art der Arbeitsleistunggibt: Die Arbeitslosen werden faktisch

Ein-Euro-Jobs

wie Arbeitnehmer behandelt. Wirddem Personalrat die Mitbestimmungverweigert, muss das Beteiligungsrechtgegebenenfalls im Wege von Be-schlussverfahren geklärt werden.

Wird dem Personalrat eine Einstel-lung auf der Basis von Ein-Euro-Jobszur Zustimmung vorgelegt, muss sichdie Ablehnungsbegründung nach derletzten HPVG-Novelle an den in § 77Abs. 4 des HPVG genannten Gründenorientieren. Insbesondere kann danachder Personalrat die Zustimmung ver-weigern, wenn die Maßnahme gegengeltendes Recht verstößt, beispielswei-se gegen die folgenden Vorschriftendes SGB II und des Schulgesetzes:• Die Tätigkeiten, die im Rahmenvon Ein-Euro-Jobs ausgeübt werdensollen, müssen im öffentlichen Interes-se liegen. Zwar liegen Tätigkeiten inder Hausaufgaben- oder pädagogi-schen Mittagsbetreuung, in Arbeitsge-meinschaften oder im Vertretungsun-terricht durchaus „im öffentlichen In-teresse“, nicht jedoch ihre Ausübungim Rahmen von Ein-Euro-Jobs. Päda-gogische Arbeit muss im Rahmen vonStrukturen stattfinden, die pädagogi-sche Qualität und Kontinuität gewähr-leisten. Dies geht nur mit Personal inregulären Beschäftigungsverhältnissen.• Arbeiten im Rahmen von Ein-Eu-ro-Jobs müssen zusätzlich sein, alsoohne die Förderung nicht, nicht indiesem Umfang oder erst zu einemspäteren Zeitpunkt durchgeführt wer-den (§ 261 SGB III). Weil die öffent-lichen Arbeitgeber für die Wahrneh-mung sinnvoller und notwendigerpädagogischer Aufgaben bislang zuwenig Personal in regulären Beschäf-tigungsverhältnissen zur Verfügungstellen, werden zwar in der Regel kei-ne aktuell wahrgenommenen regulä-ren Tätigkeiten verdrängt, jedoch wird

der Druck auf die öffentlichen Arbeit-geber vermindert, für die Wahrneh-mung erforderlicher Aufgaben Perso-nal in regulären Beschäftigungsver-hältnissen bereitzustellen.• Der Grundsatz der „Wettbewerbs-neutralität“ soll verhindern, dass regu-läre Jobs verdrängt, vorhandene be-fristete Arbeitsverhältnisse nicht ver-längert oder nicht mehr zu Verfügunggestellt werden. Auch die Schaffungneuer Arbeitsplätze darf durch Ein-Euro-Jobs nicht verhindert werden.Dies ist jedoch der Fall, wenn derDruck auf die Schaffung regulärer Be-schäftigungsverhältnisse für die Wahr-nehmung notwendiger Aufgaben da-durch vermindert wird, dass mit Ein-Euro-Jobs gearbeitet wird.• Nach § 86 des Hessischen Schul-gesetzes (HSchG) sollen die Erzie-hungs- und Bildungsaufgaben, Bera-tungs- und Betreuungsaufgaben vonPädagoginnen und Pädagogen wahr-genommen werden, die in der Regelins Beamtenverhältnis berufen oderzumindest in ordentlichen Beschäfti-gungsverhältnissen tätig werden. DieÜbertragung von Erziehungs-, Bil-dungs-, Beratungs- und Betreuungs-aufgaben auf Personen mit Ein-Euro-Jobs widerspricht der Vorschrift des§ 86 HSchG.

Um das Einsickern und die Aus-breitung von Ein-Euro-Jobs im Erzie-hungs- und Bildungsbereich zu ver-hindern oder zumindest zu begrenzen,bedarf es vielfältiger politischer An-strengungen. Das Verhalten der Perso-nalräte kann insoweit nur ein – aller-dings nicht unwichtiger – Mosaiksteinsein. Personalräte brauchen insoweitauch die Unterstützung der Beleg-schaften. Deshalb sollten die politi-schen Zusammenhänge vor Ort in denDienststellen diskutiert werden.

36 2/2005

Recht

Nach dem neuen Hessischen Lehrerbil-dungsgesetz (HLbG), das am 1. Januar2005 in Kraft trat, sind Lehrkräfte „ver-pflichtet, ihre berufsbezogene Grund-qualifikation zu erhalten und weiterzu-entwickeln. Über die Wahl der hierfürgeeigneten Fortbildungsangebote ent-scheiden die Lehrkräfte in eigener Ver-antwortung“ (§ 66 Abs. 1). „Unbescha-det“ dieser Bestimmung kann dieSchulleitung jedoch Lehrkräfte „nachAuswertung der jeweiligen Qualifizie-rungsportfolios und der Mitarbeiter-gespräche zur Wahrnehmung bestimm-ter Fortbildungsmaßnahmen verpflich-ten“ (Art. 66 Abs. 4). Im Rahmen derÄnderungen des Hessischen Schulgeset-zes (HSchG) wird den Schulleitungendie Überwachung der Fortbildungs-pflicht übertragen. Durch eine Ergän-zung von § 88 Abs. 2 sind Schul-leitungen berechtigt, Lehrkräfte „erfor-derlichenfalls zur Wahrnehmung derfür die Entwicklung der Qualität undOrganisation der Schule notwendigenFortbildungsmaßnahmen zu verpflich-ten.“ Der Frage, ob Lehrkräfte auch zurTeilnahme an Fortbildungsmaßnahmenverpflichtet werden können, deren Kos-ten sie dann auch noch selbst tragensollen, geht Dr. Hartwig Schröder, Lei-ter der Landesrechtsstelle der GEW, imfolgenden Beitrag nach.

Die „Pflicht zur Fortbildung“ ist inhalt-lich nichts Neues. Aus dem geltendenSchulrecht ergab sich auch in der Ver-gangenheit immer schon neben demRecht auf Fortbildung in allgemeinerForm eine Verpflichtung, die lehramts-bezogene Grundqualifikation zu erhal-ten und weiter zu entwickeln. Lehrkräf-te haben ein ureigenes Interesse anFortbildung. Von daher war und ist esnicht erforderlich, „Zwangsfortbildung“zu institutionalisieren und insoweit de-taillierte Regelungen zu treffen. Im Ge-genteil: Bislang bestand das Problemimmer darin, dass die Nachfrage vonLehrkräften nach Fortbildungsangebo-ten regelmäßig weit größer war, als dieBereitschaft des Landes, die Wahrneh-mung von Fortbildungsangeboten zumBeispiel durch Dienstbefreiung zurFortbildung zu ermöglichen. Im Rah-men ihrer eigenen Entscheidung habenhessische Lehrerinnen und Lehrer inder Vergangenheit auch Eigenbeiträgegeleistet, sei es bei Veranstaltungen derstaatlichen Lehrerfortbildung (früherHILF, später HeLP), für die trotz des

Fortbildungspflicht und Kostenübernahmerechtlichen Anspruchs auf Reisekosten-erstattung keine volle Kostenerstattungerfolgte, sei es bei Veranstaltungenfreier Träger, für die nur selten der aufAntrag zu gewährende Zuschuss zu denReisekosten geltend gemacht wurde.

Mit der Neuregelung in § 66 HLbG,insbesondere der Möglichkeit, „zurWahrnehmung bestimmter Fortbil-dungsmaßnahmen zu verpflichten“, stelltsich die Frage, wer die Kosten für Fort-bildungsveranstaltungen zu tragen hat,unter völlig neuen Aspekten. Verschär-fend kommt hinzu, dass es die offen-kundige Intention der hessischenSchul- und Bildungspolitik ist, staatli-che Angebote der Lehrerfortbildung,die bislang – weitgehend – kostenfreiwaren, massiv einzuschränken, Fortbil-dungen nach Maßgabe von § 66 Abs. 5HLbG im Regelfall in die unterrichts-freie Zeit zu verweisen und Dienst- be-ziehungsweise Unterrichtsbefreiung fürFortbildungsveranstaltungen nur noch„in besonderen Fällen“ zu gewähren.Gegen die gesetzliche Regelung des§ 66 Abs. 1 HLbG, die einerseits einePflicht zur Fortbildung konstatiert, an-dererseits die Wahl geeigneter Fort-bildungsangebote in die eigene Verant-wortung der Lehrkraft stellt, gibt es ausjuristischer Sicht keine durchgreifen-den Einwände. Zur Sinnhaftigkeit undZweckmäßigkeit des Fortbildungsport-folios und des Punktesystems der Um-setzungsverordnung (UVO) hat die GEWihre Auffassung deutlich formuliert(vgl. HLZ 1/2005); unter rechtlichenAspekten ist das Land Hessen jedochnicht daran gehindert, auch eher alsRealsatire zu qualifizierende Regelun-gen, wie sie § 56 des Entwurfs der UVOzu den „Leistungspunkten“ enthält, zuPapier zu bringen.

Die Grenze des rechtlich Zulässigenist jedoch überschritten, wenn eineLehrkraft verpflichtet werden soll, aneiner bestimmten Fortbildungsveran-staltung teilzunehmen, die mit von ihrselbst zu tragenden Kosten verbundensein soll, weil es sich um die Veranstal-tung eines freien Trägers handelt undder Dienstherr keine Übernahme derentstehenden Kosten zusagt. Momentanist es nicht absehbar, ob Schullei-tungen die ihnen eingeräumte Kompe-tenz in diesem Sinne ausüben wollenund werden. Sollte der Fall eintreten,dass eine Lehrkraft zur Teilnahme aneiner Fortbildungsveranstaltung einesfreien Trägers verpflichtet wird, für die

nach aktueller Marktlage in der Regelerhebliche Kosten entstehen, empfehlenwir, zunächst den Antrag zu stellen,dass die Übernahme der entstehendenKosten im vollen Umfang zugesagtwird. Soll eine Lehrkraft verpflichtetwerden, an einer externen Fortbil-dungsveranstaltung teilzunehmen, sohandelt es sich um die Anordnung ei-ner Dienstreise, deren Kosten nach gel-tendem Reisekostenrecht zu überneh-men sind. Sollte eine Kostenzusagenicht erfolgen, sollte gegen die Wei-sung, an dieser Fortbildungsmaßnahmeteilzunehmen, unter Hinweis auf § 71des Hessischen Beamtengesetzes (HBG)„remonstriert“ werden. In einer solchen„Remonstration“ teilt man der Schul-leitung schriftlich mit, dass man dieWeisung, an dieser Fortbildungsmaß-nahme ohne Kostenzusage teilzuneh-men, für rechtswidrig hält. Darauf hinmuss die Schulleitung die Entschei-dung der vorgesetzten Behörde, dasheißt des Staatlichen Schulamts, herbei-führen. Bestätigt das Staatliche Schul-amt die dienstliche Verpflichtung zurTeilnahme, sollte man nach der Veran-staltung die Erstattung der Kostendurch das Land Hessen einfordern undgegebenenfalls einklagen. Hierzu wirddie GEW Rechtsschutz gewähren. Auchwenn sich im Nachhinein herausstellt,dass die Weisung, an einer kosten-pflichtigen Veranstaltung eines exter-nen Trägers ohne Kostenübernahme-zusage teilzunehmen, rechtswidrig war,wäre die Weigerung, einer dienstlichenAnordnung Folge zu leisten, eine ei-genständige Dienstpflichtverletzung, diedienstrechtliche oder disziplinarischeSanktionen nach sich ziehen kann.

Dr. Hartwig Schröder

GEW-Broschüre zur Fortbildung„Lehrerfortbildung ist Teil unsererProfessionalität!“ ist der Titel einerGEW-Broschüre, die im Januar allenSchulen zugesandt wurde. Sie enthältAuszüge aus dem Lehrerbildungs-gesetz und dem Entwurf der Umset-zungsverordnung (UVO), die GEW-Stellungnahme zur UVO und einekritische Auseinandersetzung miteiner „Fortbildung nach dem Ra-battmarkenprinzip“. Sie kann bei derGEW angefordert werden (Zimmer-weg 12, 60325 Frankfurt, Mail: [email protected]).

372/2005

Magazin

... zur 40-jährigen Mitgliedschaft:Adelheid Appenheimer, BuseckKlemens Borkowski, Frankfurt

Margret Christoferatos, HofgeismarWolfgang Hartmann, Baunatal

Margarete Tjaden-Steinhauer, Kassel

... zur 55-jährigen Mitgliedschaft:Richard Wagner, Bad Nauheim

... zum 75. Geburtstag:Friedhelm Listmann, Kelsterbach

Klaus Schäfer, Kassel

... zum 80. Geburtstag:Wolfgang Blümel, Reinhardshagen

Ursula Nuhn, Bad Hersfeld

… zum 85. Geburtstag:Ruth Fischer, StadtallendorfHildegard Gerhardt, AvonMartha Heinecke, SontraHildegard Hühn, Bad Orb

... zum 90. Geburtstag:Gisela Cavada, Kassel

Anna Heumann, MichelstadtE. Müller-Brodmann, Marburg

... zum 93. Geburtstag:Helene Schwarz, Wetzlar

... zum 97. Geburtstag:Barbara Siegmund, Schlüchtern

Wir gratulierenim Februar ...

Interkulturelle JugendarbeitDer neue Reader des Informations- undDokumentationszentrums für Antiras-sismusarbeit (IDA) stellt Möglichkeitendes Einsatzes von Gender Mainstrea-ming in der interkulturellen Jugendar-beit dar. Er verfügt über einen breitenPraxisteil, in dem Projekte und Modulefür die gendersensible interkulturelleJugendarbeit sowie eine Checkliste zurEinleitung von Prozessen des GenderMainstreaming innerhalb von Institu-tionen vorgestellt werden.

Der Reader enthält Beiträge vonMaría do Mar Castro Varela (Gerech-tigkeit in der Jugendarbeit), GabrieleDina Rosenstreich (Gender Mainstrea-ming – Festschreibung von Macht-strukturen?), Leah Carola Czollek(Über die Verschiedenheit der Ge-schlechter) und Olaf Jantz (Inter-kulturelle Jungenarbeit) sowie Be-richte über ein Projekt mit Flücht-lingsmädchen und deutschen Mäd-chen, eine „Welttournee durchs Dorfmit der intercoolen Brille“ und dasProjekt der Bundeszentrale für politi-sche Bildung „Kick it like Beckham“.• Der Reader (68 Seiten) kann für5 Euro bei IDA e. V. bestellt werden,Volmerswerther Str. 20, 40221 Düs-seldorf, Fax: 0211-15-925569, E-Mail: [email protected]

Bildung in SchwedenZum Thema „Bildung und Einwande-rung in Schweden“ führt das DGB-Bildungswerk Nordrhein-Westfalenvom 8. bis 15. 5. 2005 ein Studien-seminar in Göteborg durch. Über Ge-spräche und Diskussionen mit Lehr-kräften und Schülerinnen und Schü-lern sowie durch Unterrichtsbesuchein schwedischen Schulen wird derFrage nachgegangen, wieso Schwedentrotz erheblicher eigener Probleme(Lehrermangel, hohe Quote von Kin-dern, für die Schwedisch nicht Mut-tersprache ist) insbesondere bei denEinwandererkindern im PISA-Ver-gleich deutlich besser abgeschnittenhat als Deutschland. Das Seminar ist inden meisten Bundesländern als Bil-dungsurlaub sowie bundesweit als be-sonders förderungswürdig nach derSonderurlaubsverordnung anerkannt.

Der Teilnahmebeitrag beträgt 850Euro inklusive Anreise und Halbpen-sion im Doppelzimmer.• DGB-Bildungswerk, Bismarckstr.77, 40210 Düsseldorf, www.dgb-bil-dunqswerk-nrw.de, Tel. 0211-17523-143, E-Mail: [email protected]

Mobbingfreie SchuleHLZ-Autor Horst Kasper hat sein be-währtes Standardbuch „Mobbing inder Schule“ (AOL-Verlag 1998) er-weitert und aktualisiert. Es ist jetztunter dem Titel „Wer mobbt, brauchtGewalt! Das Handbuch für diemobbingfreie Schule“ im SPV-Verlagder GEW Baden-Württemberg er-schienen. Wie Horst Kasper mitteilt,wollten die Verlage AOL und Beltzdas Buch nicht weiterführen – „trotzder ungebrochenen Aktualität desThemas sowohl unter Kolleginnenund Kollegen als auch unter Schüle-rinnen und Schülern“. AusuferndeKonflikte stellen eine zusätzliche Be-lastung im ohnedies harten Berufsall-tag der Lehrerinnen und Lehrer undein Hemmnis für eine freie Entfaltungund optimale Leistung dar.

Das neue Buch berücksichtigt auchdie aktuelle Diskussion über die Ge-sundheit der Lehrerinnen und Lehrer.Den medizinischen Aspekt beleuchtetder Arbeitsmediziner Dr. Bernd Lin-demeier in einem eigenen Beitrag.

Horst Kaspers Erfahrungen imkonstruktiven Umgang mit Mobbing-situationen machen das Buch zurPflichtlektüre für Lehrerinnen undLehrer.• Horst Kasper: Wer mobbt,braucht Gewalt! Ein Handbuch fürdie mobbingfreie Schule. Süddeut-scher Pädagogischer Verlag Stuttgart2004. 206 Seiten, 10,50 Euro, Bezug:spv-lb.de/pub.htm

Lernprobleme überwinden helfenDass Schulkinder im Laufe ihrerSchulzeit auch einmal mit Lernpro-blemen zu tun haben, ist normal.Schließlich ist Lernen immer dasÜberwinden von Hindernissen. Dochwas können Eltern und Lehrkräfte tun,wenn die Lernprobleme sich verfes-tigt haben? Wie können sie bei Teil-leistungsstörungen wie Legasthenie,Dyskalkulie oder ADHD helfen? Wiekönnen sie gute Vorsätze, Leistungs-motivation und Selbstständigkeit derSchülerinnen und Schüler fördern?

Eine neue Broschüre mit zehnRatgebertexten des Kölner AutorsDetlef Träbert gibt Antworten aufdiese Fragen, liefert Internetadressenund Literaturhinweise.• So können Schüler Lernproblemeüberwinden, 24 Seiten, 4 Euro + Ver-sand, träbert pädagogische materia-lien, Merheimer Str. 484, 50735 Köln,Tel. 0221-97432-97, Fax: -98, Inter-net: www. traebert-materialien.de

StudiengebührenDiskussionen über Studiengebührenund andere Studienkosten sowie überdie Finanzierung des Studiums, unteranderem durch öffentliche Studienför-derung, werden in Deutschland inWellen immer wieder vehement undengagiert geführt. Ein neues Buch,das aus einem im Frühjahr 2004 inKassel durchgeführten Workshop derKassel-Darmstadt-Runde hervorge-gangen ist, will einen Beitrag „zurVersachlichung der Diskussion“ leis-ten. Studienkosten, Studiengebührenund öffentliche Studienförderungwerden im europäischen Vergleichdargestellt, insbesondere neuere An-sätze in Großbritannien, Australienund Österreich.• Stefanie Schwarz und UlrichTeichler (Hg.): Wer zahlt die Zechefür wen? Studienfinanzierung ausnationaler und internationaler Per-spektive. Universitätsverlag WeblerBielefeld 2004, 58 Seiten, 9.95 Euro

38 2/2005

„Wissen und mehr“ strahlt im hr-fernsehen Wiederholungen jüngererProduktionen des hessischen Schul-fernsehens, Schulfernsehproduktionenanderer Sendeanstalten und andereFilmbeiträge aus, die gut im Unter-richt eingesetzt werden können.

Montag: Deutsch, Literatur, Theater• Videolexikon: Bücher, Bücher (anjedem Montag von 14.40 bis 15 Uhr)

Dienstag: Naturwissenschaft/Technik• Meilensteine der Technik (14.45 -15 Uhr): Benz und Daimler (15. 2.)• Geomorphologie (14.45 -15 Uhr):mehrteilige Serie ab 22. 2.

Mittwoch: Gesellschaft und Politik• Geschichte der BRD (14.45-15Uhr): 16. 2., 23. 2., 2. 3., 9. 3.Donnerstag: Philosophie, Religionund Ethik• Israel (14.45 - 15 Uhr): Einwan-derer (10. 2.), Juden und Araber(17. 2.), Kibbuz (24. 2.), YadVashem (3. 3.)

Freitag: Kunst/Musik/Neue Medien• Videolexikon (14.45 - 15 Uhr)

Täglich: Wir testen die BestenBis Ende März wird im hr-fernsehenim Rahmen der Reihe „Wissen undmehr“ die Schülerquizsendung „Wirtesten die Besten“ des Kinderkanalskika vom Oktober 2004 wiederholt:• Montag bis Freitag täglich 14.15bis 14.40 Uhr

Kurzfristige Programmänderungensind möglich. Das aktuelle Programmfindet man im neuen hr-Wissens-portal www.wissen.hr-online.de. Vi-deo-Kopien der Sendungen könnenfür 5 Euro (DVD 10 Euro) pro 30 Mi-nuten beim Hessischen Rundfunk an-gefordert werden: Hessischer Rund-funk, Redaktion Wissen und mehr,60222 Frankfurt.

Wer über das Wochenprogramminformiert werden möchte, kannsich in die Mailing-Liste „Schul-TV“auf dem Bildungsserver eintragen(http://komm.bildung.hessen.de/mail-man/listinfo/schul-tv). Per E-Mail er-hält man dann regelmäßige Informa-tionen über das aktuelle Programmund Links zu Unterrichtsmaterialien.

Dieser Ausgabe der HLZ liegt einFlyer mit dem hr-Bildungsprogrammim ersten Halbjahr 2005 bei.

Magazin

Rauchfreie SchuleIn Kooperation mit dem NetzwerkSchule und Gesundheit bietet DieterLoboda, Gestalt- und Hypnotherapeut,Nachmittags- und Tagesseminare undWorkshops zur Rauchentwöhnung an– für Einzelpersonen, Gruppen undKollegien. Sein Buch „Tipps undTricks zur Rauchentwöhnung – Moti-vationen contra Nikotin“ kann beimAutor bestellt werden (E-Mail: [email protected], Tel. 02621-62186,Fax: -926460).

Am 21. und 22. Februar 2005 fin-det ein Seminar zur Rauchentwöh-nung für Interessenten aus demRaum Limburg, Weilburg und Wies-baden statt, das an zwei Nachmitta-gen fortgesetzt wird. Die Kosten be-tragen 145 Euro pro Person.

Dokumentarfilm „Zwei Balkone“60 Jahre nach dem Warschauer Auf-stand fand am historischen Ort desKZ Katzbach in Frankfurt die Erstauf-führung des Dokumentarfilms „ZweiBalkone“ statt. Die polnische Versionwurde zeitgleich anlässlich der Er-öffnung einer Gedenk- und Informa-tionsstätte in Warschau am 2. Okto-ber 2004, dem letzten Tag des Auf-standes, gezeigt.

Joanna Skibinska hatte für ihrBuch „Bevor wir Abschied neh-men...“ sechs Überlebende des KZKatzbach in den Frankfurter Adler-werken interviewt, in den 1.300 amWarschauer Aufstand beteiligte Men-schen als Zwangsarbeiter eingesetztwurden. Das Buch erschien Ende2004 im CoCon-Verlag Hanau, her-ausgegeben und redigiert von derClaudy-Stiftung.

Dr. Georg M. Hafner, Leiter derAbteilung für Politik und Gesell-schaft des hr-Fernsehens, bezeichne-te den Film als „sehr eindrucksvolleund kostbare Dokumentation“, dochfehle dem hr das Geld für eine Über-nahme.

Erfolglos waren bisher auch dieVerhandlungen über eine bezahl-bare Miete mit der DEGI/Allianz,der Eigentümerin der ehemaligenAdlerwerke im Galluspark, für ei-nen seit drei Jahren leerstehendenAusstellungsraum in der Kleyer-straße.

Private Interessenten und Schulenkönnen den Film als VHS-Kassette beider Claudy-Stiftung anfordern: Tel./Fax: 069-459368, [email protected], www.claudy-stiftung.org

Erste KinderMedienUniDie Fachhochschule Wiesbadenveranstaltet am 3. und 4. Juni 2005die 1. KinderMedienUni auf demMediencampus Unter den Eichen.Die Fachbereiche Medienwirtschaft,Gestaltung und der StudiengangFernsehtechnik/Elektronische Medi-en der Fachhochschule Wiesbadenbieten Kindern die Gelegenheit,hinter die Kulissen der Medienweltzu schauen. Kinder studieren Wis-senschaft, Gestaltung und Technikin einem eigens für sie entwickeltenAktionsLernMix.

An zwei Tagen finden Vorlesun-gen und Workshops zu Themen ausder Medienwelt statt: Wie kommenMenschen in den Fernseher? Wieentsteht eine Fernsehproduktion?Wie mache ich meine Medien-präsentation? Wer regelt den Ver-kehr auf den Datenautobahnen?

Am Freitag, dem 3. Juni, sindmedieninteressierte Schulklassen zuVorlesungen und Workshops derKinderMedienUni eingeladen.

Am Samstag, dem 4. Juni, öffnetsich für Kinder und Eltern ein „Laby-rinth der Medien“.• Kontakt: www.kindermedienuni.deund [email protected]

Schlechtschreiben mit BILDDie BILD-Zeitung ist – wie alle ande-ren Zeitungen des Springer-Konzerns– nach einer massiven Sommerloch-Kampagne gegen die „neue Schlecht-schreibung“ am 1. Oktober 2005 zur„noch allen bekannten“ alten Recht-schreibung zurückgekehrt.

BILDblog, eine bemerkenswertetagesaktuelle Homepage über alleFehler und Machenschaften vonBILD (www.bildblog.de), dokumen-tierte am 18. Oktober 2005 die„Brain-Power durch Nüße“ und am19. Oktober 2005 die ultimative Fra-ge zum RTL-Dschungelcamp: „Werbekommt am meißten Gage?“

Bildung im hr-fernsehen

Wissen und mehr