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Naunyn-Schmiedeberg's Arch. exp. Path. u. Pharmak. 240, 224--233 (1960) Aus dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Karl Marx-Universität Leipzig (Dir. : Prof. Dr. F. HAUSCttILD) Zum Mechanismus des reßektorischen Atemstillstandes nach intravenöser Injektion von Chlorpromazin Von H.-H. WELLHÖNER, H. HARTMANN und F. HAUSCHILD* Mit 5 Textabbildungen (Ei~~gegangen am 5. Seßternber 1960) Auf einen vorübergehenden Atemstillstand nach intravenöser (i.v.) In- jektion von Bcnadryl haben erstmalig WI~[DER U. THOMAShingewiesen. AvlADO, PONTIUSu. LI konnten zeigen, daß auch eine große Zahl anderer Antihistaminiea den gleichen Effekt auslöst, JONES bemühte sich um die Klärung des Wirkungsmechanismus und fand an der Katze, daß der Atemstillstand nicht von einer Aktivierung der Lungendehnungs- receptoren begleitet wird und auch dann auslösbar bleibt, wenn beide Vagi unter die für die Leitung von Lungendehnungsreceptorimpulsen kritische Temperatur von 10 ° C gekühlt werden. Es ergibt sich die Frage, ob auch Phenothiazinderivate, besonders solche mit relativ geringer Antihistaminwirkung, sich /~hnlich verhalten. A¥IADO, 1)ONTIUS U. LI fanden in der Reihe der von ihnen untersuchten Substanzen Pyrathiazin ebenfalls wirksam. MASKOVSKIJet al. sowie FELDMANN U. KIDI~ON beobachteten an der Katze nach i.v. Injektion von Chlorpromazin einen kurzdauernden Atemstillstand, in niedrigen Dosen nur eine Beschleu- nigung der Atmung. KREPPEL konnte am Meerschweinchen bei künst- licher Beatmung eine geringe Dämpfung der atemsynchronen Impuls- aktivit/it aus den Lungendehnungsreceptoren bei gleichzeitiger initialer Aktivierung der Zwischenstrecken nachweisen; die Wirkungsintensität nahm in der Reihenfolge Thiazinamium-Promethazin -Chlorpromazin, Pacatal-Diethazin, Isothiazin ab. Am Menschen sahen RENZETTI U. PAaET bereits bei langsamer i.v. Injektion von 25 mg Chlorpromazin in 5 min eine Störung des Atemrhythmus. Zur Erklärung nehmen sie eine Wirkung über einen zentralen Angriffspunkt an. Ihre Befunde und ein uns bekannt gewordener Narkosezwischenf~ll nach i.v. Applikation des lyrischen Gemisches veranlaßte uns zu prüfen, ob Phenothiazine und besonders Chlorpromazin bei intravasaler Injektion die Atmung/~hnlich beeinflussen, wie dies von Benadrv] und anderen Antihistaminica bereits bekannt ist. * Herrn Professor JARISCH zunl 70. Geburtstag gewidmet.

Zum Mechanismus des reflektorischen Atemstillstandes nach intravenöser Injektion von Chlorpromazin

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Page 1: Zum Mechanismus des reflektorischen Atemstillstandes nach intravenöser Injektion von Chlorpromazin

Naunyn-Schmiedeberg's Arch. exp. Path. u. Pharmak. 240, 224--233 (1960)

Aus dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Karl Marx-Universität Leipzig (Dir. : Prof. Dr. F. HAUSCttILD)

Zum Mechanismus des reßektorischen Atemstillstandes nach intravenöser Injektion von Chlorpromazin

Von H.-H. WELLHÖNER, H. HARTMANN und F. HAUSCHILD*

Mit 5 Textabbildungen

(Ei~~gegangen am 5. Seßternber 1960)

Auf einen vorübergehenden Atemstillstand nach intravenöser (i.v.) In- jektion von Bcnadryl haben erstmalig WI~[DER U. THOMAS hingewiesen. AvlADO, PONTIUS u. LI konnten zeigen, daß auch eine große Zahl anderer Antihistaminiea den gleichen Effekt auslöst, JONES bemühte sich um die Klärung des Wirkungsmechanismus und fand an der Katze, daß der Atemstillstand nicht von einer Aktivierung der Lungendehnungs- receptoren begleitet wird und auch dann auslösbar bleibt, wenn beide Vagi unter die für die Leitung von Lungendehnungsreceptorimpulsen kritische Temperatur von 10 ° C gekühlt werden. Es ergibt sich die Frage, ob auch Phenothiazinderivate, besonders solche mit relativ geringer Antihistaminwirkung, sich /~hnlich verhalten. A¥IADO, 1)ONTIUS U. LI fanden in der Reihe der von ihnen untersuchten Substanzen Pyrathiazin ebenfalls wirksam. MASKOVSKIJ et al. sowie FELDMANN U. KIDI~ON beobachteten an der Katze nach i.v. Injektion von Chlorpromazin einen kurzdauernden Atemstillstand, in niedrigen Dosen nur eine Beschleu- nigung der Atmung. KREPPEL konnte am Meerschweinchen bei künst- licher Beatmung eine geringe Dämpfung der atemsynchronen Impuls- aktivit/it aus den Lungendehnungsreceptoren bei gleichzeitiger initialer Aktivierung der Zwischenstrecken nachweisen; die Wirkungsintensität nahm in der Reihenfolge Thiazinamium-Promethazin -Chlorpromazin, Pacatal-Diethazin, Isothiazin ab. Am Menschen sahen RENZETTI U. PAaET bereits bei langsamer i.v. Injektion von 25 mg Chlorpromazin in 5 min eine Störung des Atemrhythmus. Zur Erklärung nehmen sie eine Wirkung über einen zentralen Angriffspunkt an. Ihre Befunde und ein uns bekannt gewordener Narkosezwischenf~ll nach i.v. Applikation des lyrischen Gemisches veranlaßte uns zu prüfen, ob Phenothiazine und besonders Chlorpromazin bei intravasaler Injektion die Atmung/~hnlich beeinflussen, wie dies von Benadrv] und anderen Antihistaminica bereits bekannt ist.

* Herrn Professor JARISCH zunl 70. Geburtstag gewidmet.

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Beflektorischer Atemstillstand nach Chlorpromazin 225

Methodik Versuchstiere waren 29 Katzen beiderlei Geschlechts im Gewicht von 1,8 bis

3,0 kg; außerdem prüften wir die Speciesabhängigkeit der Befunde an je drei Kaninchen, Meerschweinchen und Ratten. Die Katzen wurden nach Narkose mit !00 mg/kg Chloralose (5°/0 in 25o/0iger Urethanlösung, i.p.) intubiert und atmeten spontan Sauerstoff aus einem halboffenen System. Dem jeweiligen Versuehsziel entsprechend stellten wir operativ dar: Die Vr. jugulares et femorales zur i.v. Injektion und Katheterisierung des rechten Herzens, die A. femoralis sin. zur Registrierung des arteriellen Druckes mittels Glasplattenmanometer nach BaOEM- S~R, die A. carotis sin. zur Katheterisierung des Bulbus aortae, beide Nn. vagi cervicales zur abgestuften Kühlung und zur Registrierung afferenter Impulse. Zur Kühlung lagen die Nn. vagi in U-förmigen Wannen von 1 cm Länge (dem Vorschlag von DAwns u. COMR0~ entsprechend), die mit Wasser von 0°C, 6°C und 37 ° C durch- strömt wurden. Das den rechten Vagus umgebende Bindegewebe wurde unter Schonung des begleitenden Gefäßes mit einem Starmesser entfernt (WHITTERIDGE), danach aus den Hautlappen eine Tasche gebildet, an deren Boden die Nn. vagi ver- liefen und die Tasche mit Paraffinöl von 37°C gefüllt. Im allgemeinen erfolgte die Ableitung der afferenten Impulse mit Platindrahtelektroden vom peripheren Vagus- stumpf, in Einzelfällen vom intakten Vagus (Reihenfolge der Elektroden von caudal nach kranial: Kühlwanne ~ Erdelektrode, differente Elektrode, indifferente Elektrode). Nach Anhebung auf den notwendigen Pegel in einem Differential- verstärker (PGH Elektronik Leipzig) wurden sie entsprechend dem Vorgehen von ZIPF u. I~~~CH]~RTZ gleichzeitig auf Magnettonband gespeichert, in einem schreiben- den Voltmeter (Multavi 5 L, Har tmann & Braun) , in tegr ier t" und der Summations- wert über ein Spiegelgalvanometer photokymographisch aufgezeichnet, endlich nach Passage einer rauschunterdrückenden Minimumbegrenzerstufe direkt auf dem Kathodenstrahloscillographen dargestellt. Durch Anwendung des Integrierverfah- rens von ZIPF u. R]~ICH]g~TZ gelang erstmalig der direkte Nachweis, daß bei ab- gestufter Unterkühlung auch tatsächlich die überwiegende Mehrzahl der Lungen- dehnungsreceptorimpulse den /q , vagus nicht mehr passiert. - - Zur Registrierung des Kathodenstrahloscillogramms wurde bei stehender Horizontalablenkung der Leuehtfleck mit einer vorgesetzten Optik (Zeiss Tessar 2,8/50) auf den Spalt des Photokymographions abgebildet. Zur elektrischen Abschirmung und zur Registrie- rung der Atmung lagen die Tiere in einem holzverkleideten breitrandigen Alumi- niumkasten, der sich nach Fet ten des (planen !) Randes durch Auflegen einer Spiegel- glasplatte schnell und dicht schließend zu einem Körperplethysmographen von 37,51 Inhalt ergänzen ließ. Durch Zentralerdung aller durch die Kastenwand zum Tier führenden Leiter (Kanülen), des Kastens und des Vorverst~rkerkopfes konnten wir alle kapazitiven Einstreuungen durch Ansetzen von Spritzen, Anschluß der Durehströmungsvorrichtung usw. völlig ausschalten. - - In einigen Fällen wurden die Sagittalexkursionen des Thorax mit einem spiegelarmierten Hebel registriert, um bei Kühlung des Vagus Artefakte durch Abkühlung der im Plethysmographen befindlichen Luft an den Schläuchen und Kühlwannen zu umgehen.

An Kaninchen, Meerschweinchen und Rat ten wurde nur die V. jugularis zur i.v. Injektion dargestellt und die Atmung körperplethysmographisch registriert.

An fünf Katzen untersuchten wir die Druckverändemmgen im kleinen Kreislauf. Zur Injektion und zur Druckregistrierung im linken Vorhof wurde in Reehtsseiten- lage der Thorax links von lateral her im sechsten ICl% in einer Länge von 6 cm eröffnet, nach Anhebung des rechten Oberlappens die V. pulmonalis sinistra nach sorgfältiger Ligatur auch der zahlreichen Nebenäste eröffnet und der Katheter in Richtung auf das Herz eingeführt. Zur Katheterisierung der A. pulmonalis thorakto- mierten wir im fünften oder sechsten ICl% links ebenfalls von lateral her. Nach

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Resektion des rechten Obcrlappens und Spaltung des Perikards läßt sich der Ramus sinister der A. pulmonalis relativ leicht präparieren und katheterisieren. Der Kathcter wurde bis in die A. pulmonalis vorgeschoben. Absaugedrain und Katheter wurden nach Stichincision durch die benachbarten Intercostalräume herausgeführt und der Thorax dicht verschlossen. Den besten Verschluß erhält man nicht durch die klassische Methode (fortlaufende Pleuranaht, sehichtweiser Wund- verschluß), sondern durch Aufeinandernähen der beiden die Wundöffnung begren- zenden Rippen. Während der Operation wurden die Tiere entsprechend ihrem eigenen Rhythmus manuell im halboffenen System beatmet. In allen Fällen setzte die Spontanatmung etwa 2 min nach Absaugen des Pneumothorax ein. Die Druck- werte im kleinen Kreislauf wurden mit einem Elektromanometer (induktiver Geber) und nachgesehaltetcm Direktschreiber (Lumiscript, Hartmann & Braun) registriert.

Ergebnisse Intravenöse Injektion. Injektion von Chlorpromazin in die Venen des

großen Kreislaufes löst in Dosen von 0,5 mg/kg und mehr einen vorüber- gehenden Atemstillstand in Exspirationsstellung, wenigstens jedoch eine

Abb. 1. Katze, mämfl., 2,5 kg; unterschiedliche Wirkung von Chlorpromazin bei Injektion in den Bulbus aortae und den rechten VorhoL Zeitschr. 5 sec. Inspiration nach oben

starke vorübergehende Senkung der Inspirationshöhe aus. Dieser Effekt war an allen 29 untersuchten Katzen zu beobachten. Vereinzelt registrierten wir sogar eine Verringerung des Lungenvolumens unter den normalen Exspirationswert. Die Latenzzeit zwischen Injektion und Atemstillstand war sehr kurz (2--2,5 sec). Die Dauer des Atemstillstandes betrug bei Injektion von 1 mg/kg Chlorpromazin in die V. femoralis oder die V. jugularis im Mittel 20 sec, unterlag jedoch erheblichen Schwankungen und kann 60 see erreichen. Während des Atemstillstandes hatte der diastolische arterie]le Druck stets Werte über 60 mm Hg. In der Mehrzahl der Fälle setzte die Atmung zunächst frequent und oberflächlich mit langsamer Vergrößerung der inspiratorischen Hubhöhe ein (,rapid shallow breathing"). Eine scbwaehe Wirkung z.B. nach kleinen Dosen ist durch das Einsetzen nur dieser schnellen, oberflächlichen Atmung gekennzeichnet. - - Die Ausgangswerte für die Atmung waren durch- schnittlich nach 3 min praktisch wieder erreicht.

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Reflektorischer Atemstillstand nach Chlorpromaziu 227

Abhängigkeit der Atemwirkung von der Injektionsgesehwindigkeit» der Konzentration der injizierten Lösung und vom Injektionsort. Der beobachtete Effekt ist von der Konzentrat ion der Chlorpromazinlösung in der Weise abhängig, daß seine Stärke mit zunehmender Verdünnung abnimmt. Wir haben daher in den weiteren Versuchen durchgehend die 2,5°/0ige unverdünnte Ampullenlösung 1 benutzt. Der hierin enthaltene Stabilisator hat te bei Injektion in zchnfach höherer Dosis keinen Einfluß auf die Atmung. -- Die Wirkung steigt ferner mit zunehmender Injek- tionsgeschwindigkeit; wir injizierten die geringen Flüssigkeitsmengen einheitlich innerhalb 0,5 sec. -- Der Injektionsort ist für die Größe des Effektes sehr wesentlich und läßt erste Schlüsse über den Angriffspunkt zu. Keine Veränderungen der Atmung sahen wir nach Injektion in die V. pulmonalis sin. bzw. den linken Vorhof sowie in den Bulbus aortae. Auch die Applikation in den Pleuraspalt blieb ohne Wirkung. Der Atemstillstand nach Injektion in die V. jugularis oder femoralis wurde oben beschrieben. Es war noch ausgeprägter, wenn die Applikation in den rechten Vorhof oder in den rechten Ventrikel erfolgte und am ein- drucksvollsten bei Injektion in die A. pulmonalis: Obwohl wegen Ligatur des Ramus sinister nur noch die rechte Lunge durch Chlorpromazin (1 mg/kg) erreicht wurde, kam es praktisch ohne Latenzzeit zu einem Atemstillstand von etwa 30 see (Abb.4). -- Bei Injektion von 0,5 bis 2 mg/kg im Abstand von 4 min entwickelte sich bereits eine merkliche Tachyphylaxie. Daher erfolgte auch in Abb. 1 die Applikation in den Bulbus aortae v o r der in den rechten Vorhof.

Die Funktion des N. vagus. Nach doppelseitiger Vagotomie oder Kühlung beider Nn. vagi auf 0 ° C blieb die Injektion von Chlorpromazin ohne jeden Einfluß auf die Atmung. Reehtsseitige, weniger linksseitige Vagotomie bedingte eine deutliche Abschwäehung des Atemstillstands- effektes. Kühlung beider Nn. vagi auf 6°C ließ ihn jedoch im allgemeinen unverändert ; in einigen Fällen haben wir eine geringe Abschwächung, in anderen sogar eine Verstärkung beobachten können. 100/~g/kg Atropin sind gleichfalls ohne jeden Einfluß.

Die Befunde bei Ableitung vom rechten peripheren Vagusstumpf zeigen gegenüber den am intakten Vagus erhobenen keine bemerkens- werten Unterschiede. Die Durehtrennung des rechten Vagus ist wegen der starken Reduktion der Atemwirkung nicht immer vorteilhaft. -- Bei einer Vagustemperatur von 37°C beobachteten wir oft, aber nicht regelmäßig eine initiale kurze Zunahme der Gesamtimpulsaktivität, danach nur das Auftreten relativ niederfrequenter Impulse höherer Amplitude, durch die aber das Summationsinstrumcnt praktisch noch nicht ausgelenkt wurde. Genau parallel zum Wießcreinsetzen der Atmung

1 ,Propaphenin", VEB Deutsche Hydrierwerke Rodleben.

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und zur Vergrößerung der At emamplitude wurden die Lungendehnungs- receptoren wieder aktiv. -- Bei einer Vagustemperatur von 6°C ist nach

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Abb.2. Katze, weibl., 2 ,3kg. Vagustemperatur 37°C, Ablei- tung vonl rechten erhaltenen Vagus. ]~ei ~ Chlorpronmzin 1 mg/kg i.v. (V. jugularis). Von oben nacll unten: Atmung (Inspir. nach oben), Summationswert (Aktivierung nach

oben), Kathodenstrahloscillogra mm

D A W E S , M O T T U. W I D D I -

COM]3E an der Katze die Leit fähigkeit fürImpulse aus den Lungendeh- nungsreceptoren bereits unterbrochen (Grenz- tempera tur + 10°C). Auch in unseren Ver- suchen zeigte das Summationsinstrument praktisch keine atem- synehrone Bewegung mehr. Der Atemeffekt einer Chlorpromazinin- jektion blieb, wie bereits bemerkt, erhalten, je- doch war jetzt auch die bei 37°C beobachtete initiale Impulsaktivie-

rung verschwunden. Die niedcrfrequcnten Zwischenstreckenimpulse waren ebenfalls weniger deutlich.

Druckveränderungen im kleinen Kreislauf. Diese Untersuchungen sollten klären, ob am Zustandckommen des Atcmeffektes Prcsso-

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Abb.3. Katze, männl. , 2,9 kg, bei $ Beginn der Vaguskühlung, bei ~' 1 mg/kg Chlorpromazin in die V. jugularis; Ableitung vonl rechten, peripheren Vagusstumpf. Von oben nach unten: Atnmng

(Hebelübertragung, Inspiration nach oben), Summationswert, Kathodenstrahloscillogramm

receptorenreitexe aus dem kleinen Kreislauf mitwirken können. Die Abb.4 und 5 zeigen, daß sich weder der Druck in der A. pulmonalis

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Reflektorischer Atemstillstand nach Chlorpromazin 229

noch im linken Vorhof wesentlich ändert, obwohl die i.v. Chlorpromazin- injektion in beiden Fällen zum Atemstillstand (ersichtlich aus dem Sistieren der respiratorischen Druckschwankungen) geführt hatte.

Speciesdifferenzen. Rat ten reagierten bei Injektion von 3 mg/kg wie Katzen mit einem vorübergehenden exsph'atorisehen Stillstand und

i i)~/~iii::!!ii• ~~~ ~ . . . . . . . . . . ~ ~~ . . . . : .......... . . . . . . •

Abb.4. Katze, weibl., 2,8 kg, Druck in der Art. pulmonalis; bei ~ Injektion von 1 mg/kg Chlor- promazin in die V. jugularis

Abb.5. Katze, weibl. 2,6 kg, Druck im linken Vorhof; bei ~ Injektion von 1 mg/kg Chlorpromazin in die A. puhnonalis

anschließender schneller, oberflächlicher Atmung. Auch bei Kaninchen ist der Effekt von 1--2 mg/kg Chlorpromazin noch ausgeprägt, allerdings nur noch im Sinne einer Beschleunigung und Abfiachung der Atmung auf Kosten der Inspiration. Am wenigsten empfindlich waren Meerschwein- chen, die nach 5 mg/kg nur mit einer Beschleunigung der Atmung reagierten. Andere Phenothiazinderivate. Der Effekt war an Katzen auch nach Promethazin und Diethazin (1 mg/kg, 2,5°/0ige Lösung) größen- ordnungsmäßig in gleicher Stärke nachweisbar.

Diskussion Die Frage, ob der beobachtete AtemstiHstand wesentlich über einen

zentralen Angriffspunkt der Phenothiazine zustandekommt, läßt sich für Chlorpromazin sicher verneinen: Die Wirkung müßte in diesem Fall bei Injektion in den Bulbus aortae am stärksten sein und eine Vagotomie auf

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sie ohne größeren Einfluß bleiben. Die experimentellen Ergebnisse zeigen ein genau gegenteiliges Verhalten. - - Eine Atemlähmung durch niedrigen Blutdruck kommt aus den gleichen Gründen und auch deshalb nicht in Frage, weil der arterielle Druck im großen Kreislauf trotz Abfall noch weit über dem von BVCrrER beschriebenen kritischen Bereich bleibt. Die sehr kurze Latenzzeit zwischen Injektion und Atemstillstand, das Aus- bleiben dieses Effektes nach Vagotomie und seine Abhängigkeit von der Konzentrat ion der injizierten Lösung, der Injektionsgeschwindigkeit und besonders vom Injektionsort lassen nach allen bisherigen Erfahrungen den reflektorischen Charakter der beobachteten Veränderungen sicher erscheinen.

Unter Berücksichtigung der von AVlADO U. SCHMIDT sowie DAw~s u. COMRO~ aufgestellten Schemata und bei Einbeziehung der später von PAI~TAL publizierten Befunde ist eine reftektorische Wirkung über folgende Receptoren zu diskutieren:

1. Presso- und Chemoreceptoren aus dem Glomus aorticus und Glomus caroticus.

2. Pressoreeeptoren in den Lungengefäßen. 3. Pulmonale Gefäß-,chemo"-receptoren. 4. Normale Lungendehnungsreceptoren, bronchiale und tracheale

Receptoren nach WIDDICOMBE (1). 5. Kälteresistente Überdehnungsreceptoren nach WIDDICOMBE (2). (Die Hustenreceptoren sind hier, da an den untersuchten Tierspecies

keine Hustenstöße beobachtet wurden, nicht mit aufgeführt.) - - Eine Wirkung über die Chemo- und Pressorcceptoren des Glomus aorticus und Glomus caroticus läßt sich sofort, ausschließen, da gerade bei receptoren- naher Injektion in den Bulbus aortae keine merkliche Beeinflussung der Atmung auftritt . Der starke Effekt bei Injektion in die A. pulmonalis und sein völliges Fehlen bei Injektion in die V. pulmonalis zeigt v i e l mehr, daß er über pulmonale Receptoren ausgelöst werden muß.

Alle Befunde sprechen gegen eine wesentliche Beteiligung der Lungendehnungsreceptoren. Würden sie die exspiratorische Apnoe aus- lösen, so müßte man bei nicht gekühlten Vagi eine hohe Impulsakt ivi tä t während der reflektorischen Atempause erwarten, wie dies von Veratrin her bekannt ist. Tatsächlich zeigt das Summationsinstrument jedoch nur eine kurze initiale Aktivierung an; erst genau mit Beginn der Inspira- tionen erfolgt wieder eine atemsynchrone Zeigerauslenkung aus der Ruhestellung. Die niederfrequenten Impulse, die auf dem Kathoden- strahloscillogramm während des Atemstillstandes besonders deutlich sind, dürften der von KREPPEL beobachteten Zwischenstreekenaktivie- rung entsprechen. Es wäre noch denkbar, daß bereits die initiale Impuls- salve, die jedoch nicht immer beobachtet wird, genügt, um einen Atemstill- s tand längerer Dauer auszulösen. Jedoch ist durchaus nicht erwiesen, ob

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initiale Impulssalve und Zwischenstreckenimpulse überhaupt aus den Lungendehnungsreceptoren kommen. Davon abgesehen aber verschwin- den bei Kühlung der Vagi auf6° C sowohl die initiale Aktivierung als auch die Zwischenstreckenimpulse, die von DAW~s, Mo•T u. WID»ICOMBE angegebene Grenztemperatur von 10°C für die Vagusleitf~higkeit von Lungendehnungsreceptorimpulsen ist weit unterschritten und in Über- einstimmung damit hört die atemsynchrone Auslenkung des Summations- instrumentes auf, der Reflexerfolg einer Chlorpromazininjektion bleibt jedoch erhalten. Es ist zu bemerken, daß auch die von WIDDI•OMBE (1) beschriebenen trachcalen und bronchialen Receptorimpulse den Vagus nicht mehr bei 6°C passieren können. -- Folgt man ferner den Vor- stellungen von W]~ID~IANN, BERDE U. BUCKER über die Lage der Lungen- dehnungsreceptoren, so wäre bei Injektion von Chlorpromazin in den Pleuraspalt eine Atemhemmung zu erwarten, wenn die Wirkung über die Lungendehnungsreceptoren zustande kommen soll. In unseren Versuchen blieb diese Applikationsform jedoch ohne jeden Einfluß auf die Atmung. Es ist aber zu berücksichtigen, daß WIDDICO~r~]~ (3) Bedenken gegen die Ansicht von WEIDMAI~N, BERDE U. BUCHER über die Lage der Lungen- dehnungsreceptoren geltend gemacht hat. In seinen Versuchen bewirkten ferner bronchokonstriktorisch wirksame Pharmaka eine Stimulierung der Lnngendehnungsreeeptoren. Sowohl bei den Untersuchungen von BARER u. NUSER an Benadryl und dem von DAwEs u. FASTIER atem- reflektorisch wirksam gefundenen 2-«-Naphtyl-äthyl-isothioharnstoff als auch teilweise in unseren Untersuchungen war eine Verringerung des Exspirationsvolumens der Lunge über das normale Maß hinaus fest- zusteHen, die auf eine reflektorische Bronchokonstriktion hindeutet. Sie unterbleibt aber bei Kühlung der Vagi auf 6 ° C und dürfte damit ebenfalls für das Zustandekommen der respiratorischen Ver~nderungen ohne Bedeutung sein.

Übrig bleiben die Überdehnungsreceptoren und die chemosensib]en pul- monalen Gefäßreceptoren. PAINTAL will den Ausdruck ,Chemoreeeptoren" für Strukturen reserviert wissen, die durch Anstieg des Kohlendioxyd- spiegels im Blut sensibilisiert werden, was für die von I)Aw~s u. FASTI~R gefundenen amidinempfindlichen Receptoren nicht zutrifft ; er bezeichnet daher diese pulmonalen t~eceptoren wegen ihrer zusätzlichen Reaktion aufmechanischen Reiz als pulmonale Entdehmmgsreceptoren. ])AWES U. COMROE haben eine Reihe von Kriterien aufgestellt, denen eine Substanz genügen sollte, wenn für sie eine Wirkung über ehemosensible pulmo- nale l~eceptoren postuliert wird. Chlorpromazin erfüllt nach den vor- stehenden Untersuchungen diese Forderungen alle. Trotzdem ist eine Wirkung über eine inadäquate Reizung der Überdehnungsreceptoren, deren Impulse ebenfalls bei Kühlung des N. vagus auf 6°C noch geleitet werden, zwar wenig wahrscheinlich, aber nicht sicher mit den bisherigen

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Methoden auszuschl ießen. Hierbe i is t a l lerdings zu betonen, dag DAWES U. CO~~OE für den pu lmona len Chemoreflex und den Überdehnungs- reflex einen gemeinsamen Recep to r d iskut ieren.

])AWES, MOTT U. WIDDICOMBE haben bei Un te r suchung der reflek- to r i schen W i r k u n g von Amid inen die Spec iesabhängigke i t der beobachte- t en W i r k u n g au f die A t m u n g besonders hervorgehoben. Auch in unseren Versuchen erwies sich die K a t z e als das am bes ten geeignete Tier. Die vergle ichende Beobach tung an mehreren Species k a n n nach unserer Meinung zusätz l ich zu den von DAwEs u. CO~EOE empfohlenen Methoden Hinweise da fü r geben, ob verschiedene Subs tanzen über den gleichen Angr i f f spunk t wirken.

Summary Trans ien t s top of r e sp i ra t ion in exsp i r a to ry posi t ion can be p roduced

in cats b y in t ravenous in jec t ion of chlorpromazine , p romethaz ine , and die thazine . The effect is dependend on the ve loc i ty of in ject ion and Oll the concen t ra t ion of the in jec ted solution. Fu r the rmore , i t is most powerful l a f te r a d m i n i s t r a t i o n in to the a r t e r i a pulmonal is , bu t cannot be recognised a f te r in jec t ion in to the vena pulmonal i s er in to the bulbus aor tae . I t is abol i shed b y vago tomia , bu t no t b y cooling both vagi to 6 ° C. Records of afferent vaga l impulses a t this t e m p e r a t u r e d o n ' t provide evidence for ac t i va t i on of lung s t re tch receptors . The a l te ra t ions of b lood pressure in the a r t e r i a et vena pulmonal i s develop s lowly and are only small . There- lore the chemosensible p u l m o n a r y vascn ia r receptors are supposed to be chiefly invo lved in the ref lec tory s top of resp i ra t ion af ter ch lorproma- zine, promethazine~ and diethazine.

Wir danken Frau Dr. L. WELLHÖ:NEg, Chirugische Abt. des Krankenhauses St. Georg, Leipzig, für die Unterweisung in der operativen Technik der Thorako- totale, den Deutschen Hydrierwerken l~odleben für ~berlassung von Chlor- promazin und Stabilisator in l~cinsubstanz, den Farbenfabriken Bayer für Hilfe bei der Literaturbeschaffung, endlich Frau HENKEL und Herrn MODERSOnN für technische Assistenz.

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Reflektoriseher Atemstillstand nach Chlorpromazin 233

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Dr. HA~s-H. WELL~ö~ER, Dr. H. HARTMXN~ und Prof. Dr. F. I-~AUSCHILD, Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität,

Leipzig C 1, Härtelstraße 16--18/V