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S. Giovanni degli Eremiti, Kuppel undPresbyterium, Palermo.

ROUTE II

Erster Tag

II.1 PALERMOII.1.a Cappella dell’Incoronata – SäulenhalleII.1.b San Giovanni degli Eremiti – Reste von Moschee, Kirche, Friedhof und Kreuzgang II.1.c Qanat (arabische Wasserleitung auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik)

Die qanats der Conca d’Oro

Zeugnisse aus arabischer ZeitWissenschaftliches Gremium

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normannischen Grafenreichs „Trinacria“(1072–1130) und später zur Residenzdes sizilianischen Königshauses (1130–1412). Die Besetzung Siziliens 831 durchdie Truppen Zijadatallahs mündete ineine fast einjährige Belagerung Palermos,bei der die Bevölkerung stark dezimiertwurde. Dies gehörte zur ersten Phase desdjihad auf der Insel, die von Asad Ibnal-Furat bestimmt wurde. Vorausgegan-gen war ein vierjähriger unentschiedenerFeldzug (einschließlich des Bruchs derVereinbarung mit Euphemius und densizilianischen Separatisten), der ihn bisvor die Tore von Syrakus geführt hatte.Eine katastrophale Niederlage hatte dieInvasoren dann jedoch zum Rückzug aufden Stützpunkt Mazara gezwungen, der alserste Stadt Siziliens muslimisch gewordenwar. Die vom Nachschub abgeschnittenebelagerte Festung Mineo mussten sie da-bei ihrem Schicksal überlassen. Die Eroberung von Palermo ist das ersteAnzeichen einer Wende. Nun war der is-lamische Vormarsch in die östlichen Pro-vinzen der Insel nicht mehr aufzuhalten.Der Feldzug endete 965 mit der Erobe-rung von Rometta, nachdem es den Mus-limen endlich gelungen war, den erbit-terten Widerstand der christlichen Trup-pen – Bergbauern des Val Demone – anihrem letzten Stützpunkt zu brechen.Von eben diesen nordöstlichen Territo-rien aus startete jedoch knapp ein Jahr-hundert später unter Führung der nor-mannischen Ritter auch die Reconquista.Elf Jahre nach dem Fall von Messina 1072wurde die Wiedereinnahme von Palermodurch die Normannen von der Bevölke-rung überwiegend als christliche Rück-eroberung aufgefasst. Auch nach 240-jähriger muslimischer Herrschaft be-teiligten sich die Palermitaner selbstaktiv an der „Befreiung“ der Stadt. Das

Der Zeitrahmen, in dem Palermo bei derIslamisierung des Mittelmeerraums eineRolle spielte, erstreckt sich von 831 bis1072. Eckdaten sind zwei dramatischeEreignisse: Mit dem Beginn der muslimi-schen Eroberung begann 831 der allmäh-liche Wandel vom unbedeutenden peri-pheren byzantinischen Handelsplatz zurHauptstadt des arabischen Siqilliya. Diezweite Jahreszahl bezeichnet den Über-gang von einer Metropole des siziliani-schen Emirats und einer bedeutendenStadt des Dar al-Islam zur Hauptstadt des

Rekonstruktion desStadtplans vonPalermo in arabischerZeit (Di Giovanni,1889/90).

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S. Giovanni degliEremiti, Kreuzgangund Kuppeln derKirche, Palermo.

Christentum hatte überlebt, trotz derBedeutung, die Palermo unter denMuslimen erlangt hatte. Dass die Stadt eine derart herausragendeRolle im Osten Siziliens spielen konnte,hatte strategisch-logistische Gründe (warsie doch gegen byzantinische Angriffevom Meer aus weit gehend gefeit), lagaber auch daran, dass die Bewohner (diewenigen überlebenden Einheimischen unddie vielen Zugewanderten, die vermut-lich aus den Dörfern des Val di Mazarastammten) weder in Sprache noch Brauch-tum griechisch geprägt waren und sichmit der byzantinischen Weltsicht dahernicht identifizierten.Anders als andere sizilianische Städte, dievon den muslimischen Eroberern starkbeschädigt oder dem Erdboden gleichge-macht und deren Einwohner verschlepptworden waren (etwa Syrakus, Taormina,Enna und Agrigent), genoss Palermo denSonderstatus, den die Muslime all deneneinräumten, die nach hartnäckigem Wi-

derstand schließlich kapitulierten. Dochauch in Palermo und seiner Umgebung(der Conca d’Oro) war der rechtlicheStatus der Christen unter muslimischerHerrschaft aller viel gerühmten Milde,Liberalität und Toleranz zum Trotz(die von zeitgenössischen Chronistenund Reisenden ebenso wie von einigenmodernen Wissenschaftlern und Histo-rikern des 19. Jahrhunderts gerühmtwurde) durchaus Beschränkungen unter-worfen, wenn sie auch zum Teil nurformaler Natur waren. Dies war geradeim letzten Jahrhundert der ‚arabischen‘Epoche Siziliens der Fall.Es überrascht deshalb nicht, dass es Ro-bert Guiscard und seinem BruderRoger 1072 gelang, die „arabische Zita-delle“ Palermos nach fünfmonatiger Be-lagerung zu erobern. Die in der Haupt-stadt verschanzten muslimischen Trup-pen hatten nämlich an zwei Fronten zukämpfen: nach außen gegen die norman-nischen Streitkräfte und nach innen ge-

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damit zwang, den größten Teil ihrer be-sten Kämpfer dorthin zu schicken, nutz-te Robert mit einem Elitetrupp dasÜberraschungsmoment aus und drangvon Süden in die Khalisa ein. Die Stellewurde später in Porta della Vittoria um-benannt; Überreste dieses „Siegestors“sind noch in der Außenmauer der KircheSanta Maria della Vittoria an der Piazzadello Spasimo sichtbar. Allein das Vorhandensein der Khalisa,also der arabischen Zitadelle mit Um-fassungsmauer, spricht dafür, dass dieAtmosphäre in der Stadt alles andere alsfriedlich gewesen war. Al-Khalisa, nachder später das ganze Viertel Kalsa hieß,erstreckte sich einst zwischen der heuti-gen Piazza Marina und der Bastione delloSpasimo. Sie entstand ab 937 in einer sehrkurzen Bauzeit unter Emir Khalil IbnIschaq neben weiteren Maßnahmen, diedazu dienten, die christliche Bevölke-rung, aber auch muslimische Aufrührerniederzuhalten. Nach Aufgabe der antikenStadt (etwa die Fläche der Piazza dellaVittoria und des Erzbischöflichen Palaismit dem Quartiere San Giacomo umfas-send) übten die Muslime von dort aus dieKontrolle über das alte römische castrumaus, über dessen Ruinen die Normannenspäter ihren Königspalast bauten. Mehr als ein Jahrhundert nach der Er-oberung Palermos verschanzten sich dieAraber in dieser Zitadelle, die in strate-gisch günstiger Lage einen Fluchtwegzum Meer hin bot. Sie bildeten nur einewenn auch beträchtliche Minderheit.Hinzu kam die Bevölkerung der ebenfallsbefestigten Bauerngemeinden, die außer-halb der Stadttore siedelten (in mahals).In der Endphase der muslimischen Be-satzungszeit lebten die Einwohner vonBalarmu im Wesentlichen in drei Stadt-vierteln, die durch die beiden Bäche

gen die christlichen Einwohner, die nurzu gern diese eingeschränkte Toleranzder muslimischen Herrscher abschüttelnwollten. Der Erfolg der Belagerung be-ruhte auf einer ausgefeilten Taktik: Wäh-rend Roger mit einem Großteil des Hee-res ein komplexes Ablenkungsmanövervor den Mauern der Galca (in der ‚Alt-stadt‘ oder besser gesagt auf deren befes-tigtem Ausläufer, auf dem später derNormannenpalast errichtet wurde) star-tete und die muslimischen Verteidiger

S. Giovanni degliEremiti, Detail derEckverbindung einerKuppel, Palermo.

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Kemonia (al-Wadi as-Satawi) und Papireto(Pepyritus) voneinander getrennt waren.Zwischen ihnen lag das Kap PiedeFenicio (vom Normannenpalast bis zurheutigen Kreuzung Via Roma und CorsoVittorio Emanuele), auf dem einst das an-tike Panormus entstanden war. In arabi-scher Zeit umfasste es zwei Viertel, dieKhalqa oder Galca (vormals Paläopolis)und al-Qasr al-Qadim (vormals Neapolis).Südlich des Kemonia (bzw. der heutigenVia Castro) lag, durch die Khalisa vomMeer getrennt, das Viertel Harat al-Djadida. Nördlich des Abflusses derPapirete-Sümpfe, der an den Mauern derPaläopolis entlang floss (deren Nordranddem Verlauf der heutigen Via Celso ent-sprach), erstreckte sich das Viertel Haratas-Saqaliba (bis zur heutigen Via Muradi S. Vito, Piazza G. Verdi und Via S.Spinuzza).Historischen Quellen zufolge zählte dieBevölkerung rund 300.000 Menschen,was vielleicht zu hoch angesetzt ist. Esmuss jedoch eine für die Zeit erheblicheZahl gewesen sein, denn Palermo wurdezu den größten und bedeutendsten Städ-ten des Mittelmeerraums gezählt undvoller Bewunderung sogar in Größe undGlanz mit Córdoba verglichen. Die Be-völkerung folgte oberflächlich den Re-geln des Koran, muss jedoch noch weite-re Charakteristika des islamischen Kul-turraums übernommen haben, dessenfester Teil sie nun war: von Verhaltens-weisen über Wohnkultur, Kunst und Li-teratur, Kleidung, Anbaumethoden, Ver-waltungswesen, Ortsnamen und Kunst-handwerk bis hin zur Kochkunst. Geradein diesem letzten Bereich hat sich die isla-mische Kultur als so fruchtbar erwiesen,dass dies beispielsweise vom Positivismuszu den interessantesten Aspekten derlokalen Volkstradition gezählt wurde.

Das gilt insbesondere für die Konditor-kunst. Zu den vielen dauerhaften Ein-flüssen der muslimischen Kultur zählt vorallem das Süßen von Ricotta mit Zucker.Die aufgeschlagene Creme wird mit oderohne weitere Zusätze zu typisch siziliani-schen, vorrangig Palermitanischen Süß-speisen weiterverarbeitet, zum Beispielzur kunstvoll geschichteten cassata, derenUrsprünge sich bis 998 zurückverfolgenlassen. Selbst die Bezeichnung ist arabi-scher Herkunft. Aus Caltanissetta wiede-rum stammt ein als cannolo bekanntes ty-pisch sizilianisches Gebäck, das ebenfallsmit Ricottacreme hergestellt wird. Die Ausbreitung des Islam als Religion tatsich bei der sizilianischen Bevölkerungsehr viel schwerer. Zwar konvertiertenviele, doch geschah dies offenbar meistpro forma, um sich den Beschränkungenim Alltag und den Christen auferlegtenSteuern zu entziehen. Aus Mischehendurften lediglich die Töchter im christ-lichen Glauben erzogen werden. Esbrachen offenbar auch keine größerenPilgerzüge von Palermo und vermutlichanderen Orten Siziliens nach Mekka auf.Ibn Hauqal, der aus dem kultivierten, je-doch viel strenggläubigeren Baghdad kamund deshalb den meist eher lockeren

Cappelladell’Incoronata,Grundriss, Palermo.

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schlossen waren vermutlich alle privatenMoscheen (die meist winzig waren, je-doch allen Gläubigen offen standen), wiesie in den Stadthäusern der Honoratiorenund reichen Kaufleute der Stadt und aufden befestigten Landsitzen der rund 200wohlhabenden Familien außerhalb desStadtkerns üblich waren. Innerhalb der Stadt selbst begünstigte diegeringe Dichte vermutlich die orogra-fische Entwicklung des Geländes. DasKap, auf dem das antike Panormus ge-standen hatte, erhob sich nun zwischenden beiden äußeren Stadtvierteln, vondenen es durch das Bett des Sturz-bachs Kemonia und das Sumpfland desPapireto getrennt war. Bis zum Ende derarabischen Epoche machten beide dieBebauung eines großen Teils des Stadt-gebiets praktisch unmöglich. Ibn Hauqal beschreibt 977 in Palermofünf separate Stadtviertel. Die Ober-stadt, der qasr („Kastell“, oder auch„Cassaro“, wie sie noch heute genanntwird), war das von Kaufleuten bewohntebefestigte Zentrum. Zum Meer hin er-streckte sich die ebenfalls befestigteKhalisa („die Erwählte“), der 937 jenseitsdes Kemonia entstandene Sitz des Emirsund seines Hofstaats mit zwei hammams,einer privaten Moschee, Kerkern, demArsenal und dem diwan. Am Hafen lag dasdicht besiedelte, wasserreiche Haratas-Saqaliba (Quartiere degli Schiavonim Norden), daran anschließend dasweitläufige „Moscheeviertel“ (Harat al-Masdjid) mit einer riesigen Moschee, diebis zu 7000 Gläubigen Platz bot, jedochüber kein fließendes Wasser, sondernlediglich über Brunnen verfügte. Daranschloss sich schließlich das „neue Viertel“(Harat al-Djadida) an, das vom Moschee-viertel durch die Märkte der umher-ziehenden Ölhändler getrennt war.

Umgang mit religiösen Vorschriften inder Hauptstadt des sizilianischen Emiratsmit Unwillen sah, nahm bei seinem Auf-enthalt 972/973 voller Erstaunen nichtnur das Desinteresse an Mekkareisen zurKenntnis, sondern auch die Missachtunganderer grundlegender Koranvorschrif-ten, so neben dem Fernbleiben vom Frei-tagsgebet, dass nichtmuslimische Sizilia-ner „schamlos“ öffentlich Wein tranken,während die mu‘allimun offensichtlichihre theologischen Aufgaben zugunstender einträglicheren Aspekte ihres Amtesvernachlässigten. Juden und Christen – letztere deutlich inder Überzahl – genossen offizielle Tole-ranz, jedoch auch nicht mehr. Die an-sehnliche Zahl von 300 Moscheen in derStadt könnte von Ibn Hauqal auch ge-schönt worden sein, um eine musli-mische Mehrheit vorzutäuschen. Einge-

S. Giovanni degliEremiti, Stuck-Transenna des Fensters,vor Mitte des 12. Jahrhunderts (Gabrieli, Scerrato1979).

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Außerhalb der Stadtmauern waren ver-schiedene Gewerbe angesiedelt, dar-unter Schneider, Waffen- und Kessel-schmiede, währenddessen die zahl-reichen Metzger in der Stadt ansässigwaren. An der Küste lagen in den ribatsSöldner in Garnison. Das Judenviertel (Harat al-Jahud), indem nach Schätzung des spanischenJuden Benjamin von Tudela 1172 rund1500 Menschen gelebt haben sollen, lagin der von der Kemonia-Schleife gebilde-ten Senke an der Porta di Ferro un-mittelbar außerhalb der Mauern um denqasr (im Gebiet zwischen der heutigenVia Ponticello und Via Calderai, das nunvon der Via Maqueda durchschnittenwird). Abgesehen von der Khalisa lageninsofern jenseits der Flussbetten des Ke-monia und des Papireto von Mauern um-gebene, aber nicht unbedingt wirklichbefestigte Bereiche. Das antike Panormusdagegen war gut gesichert. Die Umfas-sungsmauer des Kaps wurde in arabischerZeit weiter verstärkt und mit neuen To-ren versehen. Vom Westrand der Nord-mauer vonGalca aus (unweit des heutigen CorsoAlberto Amedeo) nach Osten hin bis zum„Meerestor“ (Bab al-Bahr), das den qasrmit dem Hafen (Cala) verband, gab esder Reihe nach: das Bab ar-Ruta (das nacheiner unterirdischen Quelle benannteRota- oder Roda-Tor; das kräftig spru-delnde Wasser betrieb eine Reihe vonMühlen und trat unweit von ihm aus derErde; das Tor – nahe der heutigen PiazzaDomenico Peranni – befand sich in derGalca-Mauer); es folgte das Tor des Abual-Hasan, das Bab asch-Schifa’ (benanntnach dem nahe gelegenen Brunnen „‘Ainasch-Schifa’“); das Bab al-Bahr stand inder Nähe der heutigen Kreuzung von ViaRoma und Via Vittorio Emanuele – dort,

wo sich einst – weiter landeinwärts alsheute – Kemonia und Papireto in die Ca-la ergossen. Von hier aus nach Westen biszum Bab al-Abna’ (Porta dei Giovanotti)gab es in der südlichen Stadtmauer vonGalca aus gesehen weitere Tore: eineszwischen dem qasr und dem Viertel AbuHimaz (später Fieravecchia), das eben-falls von Abu al-Hasan erbaut wurde undvermutlich in der Nähe der heutigen ViaDiscesa dei Giudici auf Höhe der Via degliSchioppettieri lag, Bab al-Hadid (Portadi Ferro), vor dem das Judenviertel lag,und Bab as-Sudan, vermutlich dort, wosich heute das Viertel Fabbri befindet. Das alte Panormus lag innerhalb derneuen Stadt. Von West nach Ost war esvon einem umfangreichen Markt durch-zogen, as-samt („die Reihe“) genannt. Diegepflasterte Geschäftsstraße, in der ver-schiedene Waren angeboten wurden,entsprach dem antiken Verlauf der Längs-achse durch die Neapolis, die 1575 end-gültig begradigt und in Via Toledo um-benannt wurde (bei vielen aber auchweiterhin „Cassaro“ hieß; heute Via

Marmorner Grabsteinmit Inschriften in dreiSprachen, 1049,Museo d’Arte Islamica,Zisa, Palermo.

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zige der sizilianischen Metropolen erleb-te Palermo unter den Arabern eine nen-nenswerte neue Blüte. Das Kunsthand-werk hatte einen so hohen Rang – auchdank der Herausbildung eines eigenenHandwerkerstands –, dass die Hautevillesspäter eine königliche Manufaktur(Tiraz) gründeten und deren Belegschaftmit Handwerkern aus Ifriqiya verstärk-ten. Interessante Sammlungen von Ur-kunden, Fundstücken und Gebrauchs-gegenständen islamischen Stils aus Sizi-lien und anderen Regionen, sowohl ausder Zeit der arabischen Besatzung alsauch späterer Epochen, sind im Archäo-logischen Museum, in der Schatzkammerdes Doms und in der Cappella Palatina zusehen. Nicht vorauszusehen war, dass in dieserEpoche eine eigenständige architektoni-sche und künstlerische islamische Kulturin Sizilien heranreifen würde. In der heterogenen Großstadt Palermofühlten sich einige der Volksgruppenunterdrückt, zum einen die wenigen

Vittorio Emanuele). Al-Idrisi schrieb Mitte des 12. Jahr-hunderts, Palermo besitze „Gebäude vonsolcher Schönheit, dass die Reisendensich auf den Weg machen, [angezogenvon] dem Ruf der [Wunder, die von derdortigen] Architektur [geboten werden]“(Amari 1933–1939). Er bezog sich dabeiallerdings auf die von Roger II. weiten-teils erneuerte Stadt. Was aus arabischerZeit erhalten war, oder besser gesagt,was tatsächlich unter der Kalbiten-dynastie völlig neu entstanden ist, lässtsich nicht mit Sicherheit sagen. Ebensoschwierig ist es festzustellen, was dielange byzantinische Periode den Mus-limen als den neuen Herrschern anstädtischer Kultur und römischem Erbehinterlassen hatte. Eine wichtige Rolle in arabischer Zeitspielten zweifellos die Wasserleitungen,die das Land durchzogen und die Stadtmit Süßwasser versorgten. Ebenso be-deutsam muss der Bau der Hafen- undFestungsanlagen gewesen sein. Als ein-

G. Patricolo, „DieAnkunft Graf Rogers inPalermo“, vor Mitte des19. Jahrhunderts,Normannenpalast,Palermo (Calandra et al. 1991).

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Nachkommen persischer und griechi-scher Einwanderer aus byzantinischerZeit, zum anderen aber auch Berber so-wie Andalusier und Maghrebiner, diewährend der islamischen Eroberung undspäter aus Ifriqiya eingewandert warenund nicht unbedingt die Einstellungender herrschenden Klasse teilten. DieseOberschicht traf die Entscheidungen,unterstand jedoch dem wali und einer ge-wählten Versammlung (der djama‘a),deren Zusammenkünfte vorwiegend inPalermo, seltener in Agrigent stattfan-den. Djama‘a und wali waren keineswegsimmer einer Meinung – was durchaus füreine funktionierende Regierung spricht,auch wenn es verschiedentlich zu aus-gesprochen negativen Entwicklungen imVerhältnis der Institutionen kam, wie dieturbulente Anfangszeit der arabischenHerrschaft in Sizilien belegt. Im Gegensatz zur genauen Kenntnis vonVerwaltung und Bräuchen sind die Restevon Bau- und Kunstwerken aus der Zeitder muslimischen Herrschaft eher frag-mentarisch, teils weil die meisten Zeug-nisse (im Krieg gegen die Normannenoder später) zerstört oder fortgeschafftwurden, wie dies bei Kunstwerken undwertvollen Gebrauchsgegenständen häu-fig der Fall war, teils weil die Hautevillesund ihre Höflinge aber auch erheblicheVeränderungen an den Bauten und Be-wässerungsanlagen vornahmen, die siebei ihrer Ankunft vorfanden. Abgesehen von den Wandverzierungenmehrerer Gebäudeteile des Palazzo diMaredolce und San Giovanni dei Lebbrosifinden sich weitere bedeutende Werkeaus islamischer Zeit in der Altstadt vonPalermo. Überreste und Ausgrabungs-funde sind im Normannenpalast und imnahe gelegenen Komplex San Giovannidegli Eremiti zu sehen, wo einst eine

Seidenstoffaus der königlichenManufaktur, 12. Jahr-hundert (Sizilien),Victoria and AlbertMuseum, London.

Moschee stand. Ebenfalls sehenswertsind die Reste einer Säulenhalle nebender Loggia dell’Incoronazione sowie diein das Oratorio dei Bianchi eingearbeitetePorta della Vittoria. Hochinteressant ist ein Gang durch dieStraßen und Märkte der alten arabischenViertel Palermos, die sich zwar schonim Spätmittelalter radikal veränderten,jedoch noch heute die ursprünglicheStraßenführung erkennen lassen.

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II.1 PALERMO

II.1.a Cappella dell’Incoronata – Säulenhalle

An der Piazza della Vittoria parken und denCorso Vittorio Emanuele entlang zu Fußweitergehen; nach links in die Via M. Bonelloabbiegen und bis zur Kreuzung mit der Viadell’Incoronazione gehen. Dort befindet sichdas Bauwerk. Bei Drucklegung dieses Katalogs sind die Res-taurierungsarbeiten noch nicht abgeschlossen.

Die Cappella dell’Incoronata steht hinterdem Dom, recht genau auf dessen Narthexausgerichtet. Die heutige Konfigurationentstand durch die Verschmelzung derCappella di Santa Maria l’Incoronata miteinem an ihrer Westseite stehendenPortikus, der so genannten Loggia dell’Incoronazione. Die (nach 1130 gebaute)Kapelle besitzt eine Vorhalle, von der ausman in das Kirchenschiff mit Apsis ge-langt. Die insbesondere im Bereich derVorhalle und der Apsis in die Wände derKapelle eingemauerten Überreste vonSäulen- und Pfeilerbasen stammen ver-mutlich von einem Gebäude aus aghlabi-discher Zeit (9. Jahrhundert); es gehörtewahrscheinlich zur Großen Moschee, dieim Zuge des Umbaus einer alten byzanti-nischen Kirche hier entstand, genauer zueiner 18 m langen und 3,80 m breitenSäulenhalle (Bellafiore 1990). 1591 wurde der Portikus mitsamt einerinzwischen hinzugefügten Balustradeausgefacht und als Oratorium genutzt.Dabei wurden die Dachbögen abgerissenund ein Stockwerk aufgesetzt. Am 27. Mai 1860 wurde der Bau vomArtilleriefeuer der Bourbonen schwer be-schädigt. Seither erfolgten mehrmals Res-taurierungs- und Sanierungsmaßnahmen.

II.1.b San Giovanni degli Eremiti –Überreste von Moschee, Kirche,Friedhof und Kreuzgang

Zurück zur Piazza della Vittoria und zu Fußin die Via del Bastione einbiegen; bis zurKreuzung mit der Via dei Benedettini weiter-gehen, wo unter der Hausnummer 16/1 dasGebäude steht.Eintritt gegen Gebühr, für Kinder bis 18 Jahreund Senioren über 65 Jahre Eintritt frei;angeboten wird ein (zwei Tage gültiges) Kombi-

Cappelladell’Incoronata,Längs- und Quer-schnitt, Palermo(Di Stefano, 1955).

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S. Giovanni degliEremiti, Grundriss des Gebäudekomplexes,Palermo.

S. Giovanni degliEremiti, Ansicht desKreuzgangs, 1836/37(Viollet-le-Duc 1980).

Überreste von Bauteilen aus der mus-limischen Epoche kamen dabei ans Tages-licht. Dass die Stätte schon in islamischer Zeitgenutzt wurde, zeigt sich darin, dassdie Südwand des Kirchenschiffs eigent-lich die Nordwand der Einfriedung einesälteren Gebäudes ist, des so genanntenarabischen Saals. Es handelte sich dabeium eine rechteckige Halle, die in nor-mannischer Zeit verändert und an derSchmalseite durch die Verlängerung desDiakonikons der christlichen Kircheunterbrochen wurde.

Ticket für die Besichtigung von Zisa, Cuba, S.Giovanni degli Eremiti und des Kreuzgangs vonMonreale. Öffnungszeiten: werktags 9–19 Uhr(im Winter bis 18.30 Uhr), sonn- und feiertags9–13 Uhr. Sanitäranlagen vorhanden.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Nor-mannenpalast zeigt sich dieser Gebäude-komplex heute so, wie er nach derFreilegung und Restaurierung durchGiuseppe Patricolo 1877 ausgesehen hat.Er besteht aus mehreren Gebäuden, vondenen das wichtigste der christlicheKirchenbau ist. Die normannischen Ge-bäudeteile (Kirche und Kloster) ent-standen direkt hinter der von Roger II.zwischen 1132 und 1148 gebauten Um-fassungsmauer über nicht gesichertenälteren Bauten aus mehreren Epochen,die bis ins 6. Jahrhundert zu Papst Gregord. Gr. zurückreichen. Die Nähe zumKönigsschloss machte das Kloster zumbevorzugten Ort und zur Grablege hoherWürdenträger des Hofes. Nach einer Zeit des Verfalls mit dem Endeder Dynastie der Hautevilles und demÜbergang an andere Herrscherhäusergelangte das Gebäude 1464 in den Besitzder Benediktinermönche von SanMartino delle Scale und wurde dann1524 auf Wunsch Kaiser Karls V. denBenediktinermönchen von Monreale als„Hospiz oder Grangie“ und dem Erz-bischof dieser Diözese als Wohnsitz über-lassen. Im Laufe der Jahrhunderte erfolg-ten diverse Umbauten: An die Kircheangrenzend entstanden Klostergebäudeund später bescheidene Wohnungen, diebei der Restaurierung wieder abgerissenwurden. In deren Rahmen wurden auchApsis und Nordfassade der Kirche frei-gelegt, Verputz und Stuck im Innenraumabgetragen und die rechteckigen Fensterwieder mit Spitzbögen versehen. Auch

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mehr die Laube erhalten. Der noch vor-handene Teil umfasst fünf kleine Spitz-bogenfenster mit Gewände und die Über-reste von Gewölbejochen. Davon er-halten sind die Fundamente zweier Wider-lager und ein halber Pilaster vor derWestwand der Halle. Die unüberdachteEinfriedung war im Norden durch denPortikus, im Osten durch die Halle undim Süden durch eine in ihrer ganzenLänge erhaltene Mauer eingeschlossen. Vonder Westwand ist nichts mehr vorhanden. Zeugnisse späterer Epochen wurden inder Verkleidung der Ostwand im Innerender Halle gefunden: drei in Freskotech-nik gemalte Figuren mit Monogrammen,einige mit roter Farbe ausgeführte Grab-inschriften und Grabnischen. Von späte-ren Hinzufügungen befreit, zeigt dieKirche San Giovanni heute wieder eineregelmäßige, kompakte Raumaufteilungin mehreren Etagen, akzentuiert von denrot verputzten, nach außen gewölbtenKuppeln. Der Grundriss ist ein Antonius-kreuz, ein Hauptschiff mit zwei weit ge-spannten, durch einen mächtigen Spitz-bogen getrennten Jochen und einemQuerhaus mit drei Apsiden, von denendie mittlere fast halbkreisförmig ist undsich nach außen vorwölbt. Der Altar-raum wird im Süden vom Diakonikonund im Norden von der Prothesis flan-kiert, die jeweils kleine Nebenapsidenin der Mauerdicke besitzen. Über derProthesis erhebt sich der quadratischeGlockenturm. Außen wird die Halledurch die beiden halbkugeligen Kuppelnmit Tambour gekennzeichnet, der aufEcktrompen mit dreifach gestuften spit-zen Blendbögen aufliegt. Das für diesesGebäude charakteristische Nebeneinan-der von würfelförmigen Gebäudeteilensetzt sich im vertikal aufstrebendenGlockenturm fort.

Das islamische Gebäude muss aus dreiTeilen bestanden haben: der rechteckigenHalle, dem Portikus und einer Einfrie-dungsmauer. Der „arabische Saal“ (17,76× 5,62 m), dessen Hauptachse in Nord-südrichtung auf Mekka zu verlief, wardurch fünf quadratische Pfeiler längs inzwei Schiffe unterteilt. Sie stützten daszwölfjochige Gewölbe (sechs Joche proSeite) ab, von dem ein Abschnitt in derSüdwand des Diakonikons erhalten ist.Jedes Joch enthielt ein Spitzbogenfenstermit Gewände. Der Raum wird heute vondrei ausladenden Kreuzgewölben ausdem 16. Jahrhundert überspannt. VomPortikus ist die Nordmauer, jedoch nicht

S. Giovanni degliEremiti, Kuppel, Palermo.

S. Giovanni degliEremiti, Ansicht, Palermo.

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Der Kreuzgang entstand in zwei Phasenund wurde in der Folge mehrfach um-gebaut. Die Überreste der Kolonnadestehen in der Nordwestecke des Gartens,eines sehr eindrucksvollen Teils der An-lage. Ursprünglich war der Kreuzgangdirekt mit den Klostergebäuden ver-bunden. Bautechnik und stilistische Be-sonderheiten lassen vermuten, dass er im13. Jahrhundert entstand oder zumindestumgestaltet wurde. Der Portikus bestehtaus einer Arkade aus kleinen Zwillings-säulen und Überfangbögen. Im Gartenfindet sich an der Nordseite des Kreuz-gangs ein weiterer Gebäudeteil, der alsWohnhaus des Erzbischofs von Monrealeidentifiziert wurde.

II.1.c Qanat (arabische Wasserleitungauf dem Gelände der PsychiatrischenKlinik)

Zurück zur Piazza della Vittoria und mit demAuto in den Corso Calatafimi einbiegen, nachrechts in die Via Pindemonte und dann nachlinks in die Via G. La Loggia. Dort befindetsich unter der Hausnummer 5 der Eingang zurPsychiatrischen Klink (Ospedale psichiatrico).Parkplatz auf dem Klinikgelände.Eintritt gegen Gebühr, nur nach Voranmel-dung bei der Kooperative La Solidarietà, dieBesichtigungen organisiert (Via G. La Loggia,Tel. 091 580433).

Der Eingang zum so genannten unterenJesuiten-qanat (Qanat Gesuitico Basso)liegt auf dem weitläufigen Gelände derPsychiatrischen Klinik, links von derHauptfassade des ehemaligen Jesuiten-klosters „della Vignicella“. Ein qanat istein unterirdisches Bewässerungssystem,das seine Vorläufer in der Zeit zwischen3000 und 2500 v. Chr. besitzt. Er besteht

aus einem Entwässerungsstollen, der dasGrundwasser sammelt und in wenigenMetern Tiefe unter der Oberflächeweiterleitet. Die in Palermo entdecktenqanats entsprechen dem persisch-arabi-schen Anlagentyp und zeigen praktischdieselben baulichen und funktionalenEigenschaften wie dieser, sind jedoch andie lokalen geologischen Verhältnisse an-gepasst. Eine typologische Besonderheit,die sie von orientalischen Anlagen unter-

S. Giovanni degliEremiti, Kirchenschiff,Palermo.

Qanat Gesuitico Basso,Entwässerungsstollen,Palermo.

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ROUTE II Zeugnisse aus arabischer ZeitPalermo

außen geschlossenes Schachtsystem ein-mündet. Von diesem Raum gehen zweiLeitungen ab: eine rund 120 m lange nachNorden, deren Wasserspiegel abnimmt,und eine nach Süden, deren Stollen höherist als die zuvor beschriebenen Galerien.Diese Leitung führt in Richtung Via G. LaLoggia und ist wegen der herabhängendenWurzeln am eindrucksvollsten. Ihr Ver-lauf wird allerdings durch die Schutt-massen unterbrochen, die von darüberliegenden Schächten dort abgeladenwerden. Die Leitung muss einst bis zurHöhe der Via G. La Loggia geführt haben(S. Tusa) und wurde dort vermutlich ineinen Zweig des als Qanat Scozzari be-zeichneten Kanalsystems eingespeist (P.Todaro). Ob diese Verbindung zwischenden beiden qanats tatsächlich bestand, lässtsich nicht mehr feststellen, da der QanatGesuitico Basso im Bereich der Via G. LaLoggia durch einen Abwasserkanal in sei-nem natürlichen Lauf unterbrochen wird.Besonders interessant ist das System vorallem wegen einiger technischer Lösun-gen, die ungünstigen hydrogeologischenGegebenheiten gezielt entgegenwirkten. Das Besondere an diesem qanat ist derperfekte Erhaltungszustand des Leitungs-systems, das vor allem in der Auffang-zone noch fast vollständig vorhanden ist.

scheidet, ist das Fehlen eines eigentlichenZulaufschachts; ersetzt wird er hier voneinem vorgeschalteten, quer verlaufendenStollen, muschatta genannt. Mit Hilfe die-ser Leitungen ließ sich ein kontinuier-licher natürlicher Wasserfluss aus tiefenunterirdischen Schichten gewährleisten.Er speiste Brunnen, Fischteiche, öffent-liche Bäder, Wasserläufe und die präch-tigen Gärten, die das Bild von Palermound seiner Umgebung prägten. Der Qanat Gesuitico Basso besteht auseiner Reihe von 14 m tiefen Schächten,die in einen rund 60 cm breiten und 4 mhohen Stollen münden. Das Wasser fließtin zwei Richtungen, zum einen talwärtsnach Osten, zum anderen aufwärts nachWesten, wo die Leitung nach rund 6 m ineinem Siphon endet. Er führt zum abge-henden qanat, dessen verstärktes Gewölbenach rund 5 m niedriger wird und schließ-lich die Wasseroberfläche berührt, sodass die Leitung unbrauchbar wird. Imstromaufwärts gelegenen Teil der Anlageoberhalb des Siphons verläuft unterhalbdes Klosters ein Stollen, der kein Wasserführt und vermutlich als Abzugskanaldiente. Weiter talwärts verläuft der Stol-len in Windungen etwa 40 m weit bis zueinem Raum mit fast dreieckigem Grund-riss, an dessen Decke ein weiteres nach

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In einem der sagenumwobenen Groß-reiche des Orients, dem Achämeniden-reich des Kyros und des Xerxes, entstandeine der genialsten Bewässerungsanlagender Menschheit. Dieses qanat-Systembesteht aus unterirdisch verlaufendenWasserleitungen. Jahrtausende zuvor legte man in Stein-zeitsiedlungen offene Kanäle an. Ver-mutlich aufgrund langer Erfahrung imUmgang mit Wasserleitungen in aridenoder semiariden Klimata kamen achäme-nidische Ingenieure schließlich auf dieIdee, ein Leitungssystem zu bauen, daszwei erheblichen Gefahren vorbeugensollte: zum einen dem Verlust von Was-ser durch klimatisch bedingte Verduns-tung, zum anderen der Möglichkeit, dassFeinde die leicht zugänglichen Wasser-läufe blockierten und damit verheerendewirtschaftliche Folgen auslösten. Da der qanat (der Begriff geht auf dasakkadische qanu zurück) manchmal kilo-meterweit unterirdisch verlief, warendiese von vornherein mit offenen Kanälenverbundenen Probleme nicht gegeben.Das Wasser wurde an der Quelle aufge-fangen und mehr oder weniger direkt inStollen geleitet, die mit einem konstantenGefälle von rund 0,5 Prozent unter derErde verliefen. Dank des umsichtig kal-kulierten Gradienten blieb das Wassergut in Fluss, während weder Erosion nochVersanden oder feindliche Manipulatio-nen seinen Lauf gefährden konnten. Aufgrund dieser Vorteile setzte sich diegeniale Erfindung in Ost und West raschdurch. Nach dem Niedergang des Römi-schen Reichs verbreitete sich der qanat inEuropa und dem Mittelmeerraum, wennauch nur in Gebieten mit ebenem Ge-lände, in dem die Erdarbeiten leicht er-folgen konnten, ohne dass man in allzugroße Tiefen vordringen musste.

Nach Sizilien gelangte das Prinzip mög-licherweise durch die Araber. Es ist je-doch wahrscheinlicher, dass es in norm-annischer Zeit von al-Idrisi eingeführtwurde, der die Technik in Nordafrikaerlernt hatte. Die von der Palermitanischen Zweig-stelle des Club Alpino Italiano unter Lei-tung von Vincenzo Biancone angestelltenUntersuchungen ergänzen das Bild, dasseinerzeit von Pietro Todaro erarbeitetwurde. Sie belegen anschaulich, dassPalermo noch bis vor nicht allzu langerZeit durch ein Kapillarnetz von qanatsmit Wasser versorgt wurde, das aus denSchichten am Fuß der Bergkette am Randder Conca d’Oro stammte. Es wurde bisin den Stadtkern hineingeleitet und be-wässerte zudem die ringsum gelegenenfruchtbaren Ländereien. Ein Großteil desGebiets von Palermo wird von qanatsdurchzogen. Dass in zwei solchen Leitungen imZentralgebiet der Piana dei Colli(Casteoforte und Scalea I) Scherben vonTöpferwaren aus dem 12./13. Jahrhun-dert gefunden wurden, kann als Belegdafür gewertet werden, dass das Systemin Sizilien zumindest schon seit diesemZeitraum bekannt war. Es bleibt abzu-warten, ob künftige ForschungsarbeitenBeweise für unterirdische Wasserleitun-gen finden, die bereits früher betriebenwurden. In und um Palermo war der qanat min-destens sieben Jahrhunderte lang festerBestandteil des Bewässerungssystems,das sowohl die Landwirtschaft in derConca d’Oro als auch erhebliche Teileder Stadt mit Wasser versorgte. Typo-logisch weist der Palermitanische qanatÄhnlichkeit mit den metrologisch-tech-nologischen Merkmalen iberischer undmallorquinischer Anlagen auf.

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DIE QANATS DER CONCA D’ORO

Vincenzo Biancone, Sebastiano Tusa

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anhand lokaler Bedürfnisse neu formu-liert wurde. So wurden die qanats, die imOrient ursprünglich allein die Aufgabehatten, Wasser unterirdisch über weiteStrecken heranzuführen, in Palermo undseiner Umgebung zudem auch als Ab-wasserkanäle genutzt. Analysiert man imDetail die verschiedenen qanats im RaumPalermo, zeigt sich, dass sie oft nichtparallel zur Fließrichtung der Wasserführenden Schicht verlaufen, sondernsich mit dieser kreuzen oder mehr oderweniger reich verzweigt sind, wobei dieAbzweige im rechten Winkel zur Fließ-richtung des Grundwassers verlaufen.Auf diese Weise schuf man qanats, die zu-gleich be- und entwässerten. Jene in derEbene von Palermo dienten über ihre ge-samte Länge als Entwässerungskanäle,während diese Funktion bei qanats imOrient ausschließlich vom Zulaufschachterfüllt wird.

Die offensichtlichen Analogien zu anderenRegionen im Mittelmeerraum und an-derswo beruhen auch auf der Tatsache,dass in dieser Gegend ein technischesWissen zusammenkam, das über Genera-tionen hinweg in den Familien und Zünf-ten der muqanni (Stollengräber, auf Sizi-lianisch „puzzari“) weitergegeben wurde,die dieses ihrerseits von den zugewander-ten Handwerkern übernahmen, die es ausNachbargebieten mitbrachten. Die Kon-vergenzen zwischen Nordafrika, Sizilienund der Iberischen Halbinsel könnten sichdaraus erklären, dass sich um das 10. bis12. Jahrhundert in allen drei Regionendieselben Kenntnisse von Bau- undWartungsverfahren von qanats durchHandwerker verbreiteten, die sie von denArabern erworben hatten. Allerdings wurde dieses generelle Wis-sen auf die Besonderheiten der jeweiligenRegion abgestimmt, wie auch in Sizilien,wo das von außen kommende Know-how

Qanat Gesuitico Basso,unterirdischer Stollen,Palermo.

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Zeugnisse aus arabischer Zeit

Zweiter Tag

II.1 PALERMOII.1.d Ponte dell’AmmiraglioII.1.e Kirche San Giovanni dei LebbrosiII.1.f Schloss Favara oder Castello di Maredolce (arabische Vorläuferbauten)

II.2 CEFALÀ DIANAII.2.a HammamII.2.b Kastell

ROUTE II

Wissenschaftliches Gremium

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ROUTE II Zeugnisse aus arabischer Zeit

Palazzo della Favara,Gesamtansicht,Palermo (Gally Knight1838).

Die Informationen, die wir über dasAlltagsleben in Sizilien während derarabischen Herrschaft haben, stammenüberwiegend aus den Schilderungenvon Reisenden, die von Afrika und derIberischen Halbinsel aus den zentralenMittelmeerraum besuchten. Die geringeÜbereinstimmung mit den auf Sizilien er-haltenen Überresten von Bauwerken lässtkeine sichere Beurteilung der künstleri-schen Zeugnisse der über 200-jährigenarabischen Kolonisation zu. Bereits vor-handene christliche Kirchen wurden zuMoscheen umgebaut, jedoch nach An-kunft der Normannen wieder in christ-liche Gotteshäuser zurückverwandelt;ebenso verschwanden aus dem öffent-lichen Leben alle Spuren und stilistischenBezüge zur muslimischen Religionsaus-übung. In seiner Reisebeschreibung Buchder Straßen und Königreiche von 977 (an-deren Quellen zufolge 973) schildertIbn Hauqal die Stadt Palermo und ihrUmfeld. Außerhalb des von hohen Wehr-mauern befestigten Stadtkerns und derumgebenden Vororte erstreckte sich dieLandschaft, im Süden unterbrochendurch den wasserreichen, von Zuflüssenaus dem Hinterland gespeisten Oreto(„ein breiter, angeschwollener Fluss“) –auf Arabisch Wadi ‘Abbas –, etwa bis zuder an Gärten und Weinbergen ebenso

reichen Ortschaft Balhara (Monreale).An den Flussufern standen zahlreicheMühlen, die nach der Aussage Ibn Hauqalssicherlich nicht zu den Bewässerungs-anlagen für Zier- oder Gemüsegärtengehörten; diese Aufgabe erfüllten unter-irdische Stollen, die das Wasser andererQuellen führten („wie in Syrien und an-deren Ländern“). Das Wasser für die Bewässerungsanlagenstammte nämlich von den vielen Quel-len, die in den Bergen rings um die Stadtentspringen. Im gesamten Gebiet gibt esvon Ost nach West zahlreiche kraftvolleWasserläufe, die bis in die Stadtviertelhinein Mühlen antrieben, die vor alleman den Ufern reißender Bäche standen.Noch heute verlaufen unter der Stadt diebeiden Sturzbäche Kemonia und Papiretoin unterirdischen Kanälen, vermutlich inder Nähe der alten Festungsmauer derphönizischen Siedlung. Die Ufer derFlüsse waren sumpfig; es gab zahlreicheTeiche, an denen man Zuckerrohr undKürbisse anbaute. Ebenfalls in der Ufer-zone gediehen Papyruspflanzen, aus de-nen man Tauwerk für Schiffe sowie Papierfür offizielle Dokumente und Urkundenherstellte. Die Normannenkönige för-derten die in ihrem Reich bereits vor-handenen Papierfabriken und gehörtenzu den wenigen mittelalterlichen Herr-schern, die für Urkunden anstelle desüblichen Pergaments auch Papier ver-wendeten. Wie eine arabisch verfassteUrkunde von 1115 belegt, wuchs eine indieser Zeit schon für diese Zwecke ver-wendete Rohrart in der Nähe des Schlos-ses Favara (von fawwara, Arabisch fürQuelle). Dort gab es reichlich Wasser,das vom Monte Grifone herabfloss undweiter südlich die Gärten bewässerten,deren prächtigsten – Maredolce – IbnHauqal nicht anführt. Der kalbitische

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ROUTE II Zeugnisse aus arabischer Zeit

Ponte dell’Ammiraglio,Gesamtansicht,Palermo (Gally Knight1838).

Emir Dja‘far, der den Komplex erbauthaben soll, regierte einige Jahrzehntespäter (von 998 bis 1019) in Palermo.Östlich des Schlosses stand nach Aussagezahlreicher Historiker eine Thermen-anlage, genannt das „Laconicum“ (Schwitz-bad; Palermo 1816), die Vincenzo Auriaim 17. Jahrhundert in eine Ansicht ein-zeichnet und Gaspare Palermo noch1816 mit eigenen Augen sah, die jedoch1880 verschwunden war. Nach der vonAuria wiedergegebenen Ansicht war dasGebäude in drei Räume unterteilt undmit einer kleinen Kuppel überdacht, wiedies bei privaten Badehäusern üblich war.Es enthielt einen Heizofen und ein unter-irdisches Leitungssystem für heiße Luft,das wohl mit römischen Vorbildern ver-gleichbar war. Wissenschaftler haben zu-dem an Gebäuden außerhalb der Stadt,etwa Landhäusern oder Bauernhöfen,Spolien aus römischer Zeit gefunden, dieteilweise bei Ausgrabungen im Laufe des17. und 18. Jahrhunderts in der Ebenevon Sant’ Erasmo und in der Nähe desOreto ans Tageslicht kamen (und späterwieder zugeschüttet wurden). Ein typisch muslimisches Phänomen istdie Bildung kleiner Parzellen, deren Ver-teilung nach den Regeln der Militär-besatzung eine Form der Kolonisierungwar. Die ausgedehnten Ländereien ringsum die Stadt wurden als kleine Anwesenan diejenigen unter den Eroberern ver-teilt, die bei den Auseinandersetzungenum ihren Besitz jeweils gerade die Ober-hand hatten. Zum Ausgleich waren dieKolonisten verpflichtet, Holz für denSchiffsbau zu liefern und Soldaten für denHeiligen Krieg zu stellen. Die landwirt-schaftliche Nutzung, die zudem durchSteuervorteile begünstigt wurde, ermög-lichte den Export von Produkten nachNordafrika und in die Küstengebiete der

Mittelmeerländer. Als Ibn HauqalSizilien besuchte, ging es allerdings mitdiesen Grundbesitzern bereits bergab.Auch wenn er von seinen Übersetzernder Lüge bezichtigt wurde, wenn ergegen seine Glaubensgenossen wetterte,weil sie in Promiskuität mit den Christenleben würden, gibt er immerhin einenEinblick in das Sozialleben einer Zeit, inder bereits der Niedergang der nach Sizi-lien verpflanzten muslimischen Gemein-schaft beginnt. Was Ibn Hauqual schil-dert, ist keine blühende Gesellschaftmehr, sondern ein Verfall in sozialer,architektonischer, wirtschaftlicher undvor allem religiöser Hinsicht. Allerdingsvergisst er auch nicht zu beschreiben, wiesich die Landschaft rings um Palermodurch die Anwesen der Kolonisten ver-ändert hatte, von denen jedes eine kleineprivate Moschee, eine Einfriedung alsGrundstücksgrenze, Gärten und Felderbesaß. Die „vielen Häusergruppen“ (bzw. mahals),von denen Ibn Hauqal spricht, bildetenein von Äckern und Gärten durchsetztesGebiet, muaskar genannt. Nach der Er-oberung durch die Normannen wohnteim 10. Jahrhundert in den alten muslimi-schen mahals zwischen den königlichenJagdrevieren eine lateinische Bevölke-

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ROUTE II Zeugnisse aus arabischer Zeit

brücke“; durch die Porta Sant’Agata (er-halten im Verlauf des Corso Tukory, ander gleichnamigen Straße) erreichte manab 1170 auch das im selben Jahr von Erz-bischof Walter of the Mill gegründeteKloster Santo Spirito; die Porta Mazara(in der Konfiguration des 14. Jahrhun-derts noch im Verlauf des Corso Tukoryerhalten) führte zu den am Fluss südöst-lich der Stadt gelegenen Siedlungen. Indiesem Teil der Stadt entstanden in dieserEpoche unter den Normannen auchdiverse Sakralgebäude: die Kirche SanMichele de Indulciis (im 18. Jahrhundertabgerissen) nahe der Admiralsbrücke undebenso wie diese offenbar eine StiftungGeorgs von Antiochia; die Kirche SanGiovanni Battista, später dei Lebbrosi;die Kirche der Madonna dell’Oreto mitdem dazu gehörigen Kloster, die 1088auf einem Felsvorsprung am Fluss ent-standen (von ihnen sind heute nur nochReste am Anfang der Brücke im Vialedella Regione Siciliana zu sehen); das1145 gebaute Kloster San Nicolò lo Gurgo(seit Anfang des 20. Jahrhunderts ver-fallen). Nach der Zerstörung der Khalisa-Festung, dem Neubau von Kirchen undder Erschließung neuer Anbauflächen fieldas Gebiet zwischen der südlichen Stadt-mauer und dem Oreto nach dem Endeder Normannendynastie an die FamilieChiaramonte, die es vom Beginn des 14.Jahrhunderts bis zur Enteignung gegenEnde desselben Jahrhunderts besaßen. Ibn Djubair, ein Pilger aus Valencia, schil-derte zwischen 1183 und 1185 im Tage-buch seiner langen Reise, unter welchenBedingungen die verbliebenen Muslimein Sizilien unter der christlichen Herr-schaft existierten. Nach seiner Darstel-lung lebten sie in Messina in Knechtschaftund waren im übrigen Land auf abge-legene Güter verbannt. Lediglich in der

rung. Während der RegierungszeitRogers II. schildert al-Idrisi diesen Teilder Insel als „von unendlicher Schönheitund voller einzigartiger Schätze“, dieZahl der Gutshöfe, befestigten Gehöfteund Bauernhäuser hier sei unendlich ge-wesen. Unter den Normannen wurde der be-festigte Bereich Palermos erweitert undumfasste schließlich auch die zuvor außer-halb gelegenen Viertel. Durch Stadttoregelangte man in das angrenzende Um-land. Drei davon standen nördlich desFlusses: Über die 1852 zerstörte PortaTermini (an der heutigen Via Garibaldi)gelangte man in die südöstlichen länd-lichen Bezirke, den Oreto überquerteman dabei ab 1125 über die von Georgvon Antiochia gestiftete „Admirals-

Hammam, Innenraum,Cefalà Diana (Gally Knight 1838).

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schildert Ibn Djubair seine Verwunde-rung und sein Wohlgefallen: „alt undelegant, prachtvoll und anmutig ... stolzliegt sie mit ihren Plätzen und Ebenen,die ein einziger Garten sind. Geräumigsind ihre Gassen und Hauptstraßen, undsie blendet das Auge mit äußerst lieb-reizenden Anblicken. Eine wundervolleStadt, vergleichbar mit Córdoba durchihre Architektur: Ihre Gebäude bestehenganz aus behauenem Stein, ein klarerFluss durchschneidet sie, seitlich davonentspringen vier Brunnen. Ihr Königerkannte in ihr alle Freuden der Welt,und machte sie dennoch zur Hauptstadtseines fränkischen Reichs, möge Gott esvernichten!“ (Amari 1933–1939). In der Stadt sah er offenbar mit eigenenAugen die verschiedenen Schichten undden Alltag römischer, byzantinischer,arabischer und normannischer Einwoh-ner. Erstaunt war er darüber, anstelleverputzter Wände viereckig behauene

Kastell, Panorama-Ansicht, Cefalà Diana.

Reichshauptstadt Palermo (das die Mus-lime al-Madina und die Christen Balarmunannten) lebten sie in Vierteln mitMoscheen und eigenen Märkten. Sogaram Hof Wilhelms II. waren sie vertreten,teils als Sklaven und Eunuchen, aber auchals Köche, Wesire und Kämmerer. MitGenugtuung erzählt Ibn Djubair, derMonarch sei „den muslimischen Königenvergleichbar, denn er genießt mit In-brunst die Wonnen der Herrschaft; aberauch aufgrund des Rechtssystems, derBräuche, der Hierarchie seiner Optima-ten, der Pracht des Hofes und der glanz-vollen Dekoration“ (Amari 1933–1939).In Messina zeichnet er jedoch auch dasverbitterte Bekenntnis eines Hofpagenauf, der berichtet, dass er seine Zuge-hörigkeit zum islamischen Glauben ver-bergen müsse, um am Leben zu bleiben.In Palermo angekommen, dessen Rück-gabe in muslimische Hand er in seinemBericht immer wieder von Gott erfleht,

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mische Epoche der Insel datierte, warvon einer Mauer mit einer Eisentür alsZugang umgeben. Er bestand aus Wohn-häusern und akkurat ausgerichteten Ge-bäuden. Die Moschee befand sich imhöchstgelegenen Teil und war von einerbreiten Straße umgeben. In ihrer Nähewar ein Süßwasserbrunnen. Außerhalbder Mauern lag ein muslimischer Fried-hof. Ibn Djubair erzählt, dass er an derStraße auch den Qasr Dja‘far (Maredolce)gesehen habe, mit seinem Fischteichund seinem sprudelnden Brunnen, undein Stück weiter in der Nähe der Küsteeine Leprastation bei der Kirche SanGiovanni.

II.1 PALERMO

II.1.d Ponte dell’Ammiraglio (Admiralsbrücke)

Zur Piazza G. Cesare fahren und vom Kreis-verkehr aus in die Via P. Balsamo abbiegen;

und kunstvoll übereinander gesetzte Werk-steine wie in Córdoba vorzufinden undanstelle des belebten Gassengewirrs einenbegradigten Straßenverlauf in einemregelmäßigen Stadtbild, bei dem ihn dievon der Neustadt eingeschlossene Alt-stadt wieder an Córdoba erinnerte. Esgebe in der Stadt Paläste, „die wie befes-tigte Kastelle wirken, von denen Loggiensich erheben und das Auge mit ihrerSchönheit blenden“ (Amari 1933–1939). Entlang der nach Palermo führendenKüstenstraße machte er 6 km vor derStadtgrenze im Qasr Sa‘d Station (einerOrtschaft, die noch Michele Amari 1880als „Cannita“ bezeichnete und die NinoBasile als Favara di San Filippo identifi-zierte). Es handelte sich um eine musli-mische Kolonie mit einer Moschee, dieIbn Djubair für die schönste der Welthielt. Ihr Grundriss war ein lang ge-strecktes Rechteck mit Spitzbögen, dasdurch 40 Leuchter aus Messing und Glaserhellt wurde und einen reich verziertenFußboden aufwies. Der qasr, den er alsgroßartig bezeichnete und auf die musli-

Ponte dell’Ammiraglio,Gesamtansicht,Palermo.

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Öffnungszeiten: 9–11 und 16–18.30 Uhr.Besichtigung nur nach Voranmeldung, Tel.091 475024.

Ponte dell’Ammiraglio,mittleres Joch,Palermo.

S. Giovanni deiLebbrosi, Ansicht,Palermo.

nach rechts in den Corso dei Mille einbiegenund jenseits des Oreto bis zur Piazza PonteAmmiraglio weiterfahren.

Die „Admiralsbrücke“ entstand etwa imzweiten Viertel des 12. Jahrhunderts(einigen Quellen zufolge 1132) und istbenannt nach Georg von Antiochia, Groß-admiral in Diensten Rogers II., der auchdie „Admiralskirche“ Santa Maria dell’Ammiraglio stiftete. Die heute vollständigverlandete Brücke steht in einer umzäun-ten Senke rund 3 m tiefer als der Corso deiMille, an den ihre Stirnseite angrenzt. DieBrücke führte einst in der Nähe der Portadi Termini über den Oreto. In ihrer Formbildet sie einen ‚Eselsrücken‘ mit denbeiden typischen eindrucksvollen Ram-pen und besteht aus sieben spitzbogigenJochen mit abgetreppten Blendbögen inbeidseits der Mitte absteigender Höhe.Die sechs massiven Stützpfeiler sind mitspitzbogigen Öffnungen versehen, mit de-nen die Wassermassen bei Hochwasser ab-gelenkt wurden. Diese Brücke bestehtdurchweg aus regelmäßig behauenenMuschelkalksteinquadern und entsprichthinsichtlich Bautechnik und Morphologieeinem im Maghreb weit verbreiteten Typ.Der Flusslauf wurde in diesem Abschnittunweit der Mündung in späterer Zeitumgeleitet; in der Folge verlagerte sichdas Flussbett so stark, dass 1838 der Baueiner neuen Brücke erforderlich wurde:der Ponte delle Teste.

II.1.e Chiesa di San Giovannidei Lebbrosi

Dem Corso dei Mille nach bis zur Kreuzungmit der Via S. Cappello. Dort steht unter derHausnummer 38 die Kirche. Parkmöglichkeitvor dem Gebäude.

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S. Giovanni deiLebbrosi, Hauptapsisund Nebenapsiden,Palermo.

S. Giovanni deiLebbrosi, Mittelschiff,Palermo.

Die Kirche ist Johannes dem Täufergeweiht und verdankt ihren heutigenNamen einem später daran angeschlosse-nen Leprahospital. Die Fassade wirkt et-was nach links verschoben, weil rechtsüber dem Eingang ein Treppenhaus zumGlockenturm mit Säulenhalle hinauf-führt. Im Zuge der Restaurierungsarbei-ten Francesco Valentis zwischen 1925und 1930 ersetzte er eine ältere Kon-struktion. Die Wände des schlichtenKirchenraums bestehen aus kleinen Tuff-quadern in regelmäßigen Reihen und sindgegliedert durch kleine Spitzbogen-fenster mit doppelten Einfassungen. DerInnenraum ist eine dreischiffige Basilikamit drei Paaren kräftiger polygonalerPfeiler, die vier nur mäßig spitze Bögentragen. Nach Osten münden die Schiffein einem dreiapsidialen Chor, zu demvom Kirchenschiff aus drei Stufen hinauf-führen und dem zwei Pfeiler mit kreuz-förmigem Querschnitt vorgelagert sind.Die drei Joche des Presbyteriums schlie-ßen mit Apsiden, die von kleinen Eck-säulen flankiert werden. Das Kapitelleiner Ecksäule in der rechten Exedra istmit einer arabischen Kufi-Inschrift ver-sehen, die allerdings wegen der starkenAbnutzung nicht mehr zu entziffern ist.Das mittlere Joch des Chors ist von einerKuppel überspannt; den Übergang zumdarunter liegenden Mauerquadrat bildendie typischen Nischentrompen. Die Ap-siden sind nach außen vorgewölbt.Da jegliche Dokumente fehlen, ist dieDatierung des ersten Baus unsicher. Nachden Angaben Tommaso Fazellos aus dem16. Jahrhundert (und anderer Historikeraus jüngerer Zeit) soll die Kirche vonRobert Guiscard und seinem BruderRoger von Hauteville 1071 während derBelagerung Palermos gestiftet wordensein – an einer Stelle, an der zuvor ein

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sarazenisches Kastell gestanden hatte.Von diesem sind neben der Kirche nocheinige Überreste zu sehen, vor allemMauerteile und Bruchstücke einer Pflas-terung. Das Kastell war von einem Pal-menhain umgeben, den die Normannenals Lager nutzten. Von hier aus führten siedann auch den entscheidenden Angriffzur Erstürmung der Stadt. Es ist davonauszugehen, dass die Normannen die Kir-che zwar während der Belagerung grün-deten, jedoch erst später fertig stellten.Man nimmt an, dass Robert Guiscardden Bau der Kirche in einem Flügel desvorhandenen qasr vor der ErstürmungPalermos begann und die Arbeiten nachdiesem Erfolg (1071) – vielleicht in Er-füllung eines Gelübdes – abgeschlossenwurden, vermutlich vor seinem Todes-jahr 1085. Die Kirche zeigt tatsächlicheinige Besonderheiten im Vergleich zuanderen Palermitanischen Bauten; einer-seits ähnelt sie den ersten von den Nor-mannen im Raum Messina gestiftetenKirchen, andererseits weist sie aber aucheinige eigene Züge auf, etwa die Pfeiler inden Kirchenschiffen. Das Leprahospitalwurde zwischen 1140 und 1150 erbaut;seine Statuten verfügte später Wilhelm I. In staufischer Zeit übertrug Friedrich II.Kirche und Hospital den Deutschordens-rittern der Magione, die es bis zumEnde des 14. Jahrhunderts in Besitzbehielten. Danach wurde das Hospitalvom Stadtrat verwaltet. Die Kircheunterstand bis ins 17. Jahrhundert demAbt der Magione und ist heute Eigentumder Region Palermo.

II.1.f Schloss Favara oderCastello di Maredolce (arabische Vorläuferbauten)

Auf den Corso dei Mille zurückkehren und aufdiesem weiterfahren. Nach rund 2 km nach rechtsin die Via Emiro Giafa abbiegen und hinter demHaus Nr. 62 nach links in den Vicolo Castellaccioeinbiegen. Dort liegt das Bauwerk. Eingang vomVicolo Castellaccio 19 aus (Brancaccio).Öffnungszeiten: montags bis freitags nur vor-mittags, mittwochs auch nachmittags.

S. Giovanni deiLebbrosi, Grundriss,Palermo.

Palazzo della Favara,Ansicht der West-fassade, Palermo.

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ROUTE II Zeugnisse aus arabischer Zeit

Das als Schloss Favara bekannte Castellodi Maredolce war ursprünglich Residenzdes Emirs und später normannischessollazzo. Erbaut wurde es zwischen 998und 1019 unter dem Kalbiten-EmirDja‘far als Palast vor den Toren der Stadt.Es steht am Fuß des Monte Grifone zwi-schen dem Berg und dem Fluss Oretound wurde nach Ansicht M. Amaris wäh-rend der Volksaufstände 1019 gestürmtund zerstört. Unter den Normannen-königen erlangte das Bauwerk seinen ein-stigen Glanz zurück, insbesondere durchdie von Roger II. in Auftrag gegebeneumfangreiche Restaurierung und Erwei-terung. Lage und Anordnung des Kom-plexes gefielen den neuen Herrschern sogut, dass sie diese im Wesentlichen so be-ließen, wie sie waren. Das ursprünglicheGebäude war ebenso wie das heute nochsichtbare an drei Seiten von einem künst-lichen See umgeben, der durch eine Quel-le am Fuß des Berges gespeist wurde. DasWasser sprudelte unter zwei großen Spitz-bögen hervor in Kanäle. Die Hauptfassadedes Gebäudes zeigt nach Nordwesten undals einzige nicht zum Wasser; sie ist die ambesten erhaltene Seite. In dem von RogerII. um 1150 umgebauten Gebäudekom-plex lagen die Privatgemächer nach Süden,Osten und Westen hin, während die Re-präsentations- und Gemeinschaftsräumenach Nordwesten zeigten. Eine ähnlicheRaumaufteilung rings um Innenhöfe hatteRekonstruktionsversuchen zufolge auchder Palast Rogers II. in Altofonte. DasAufteilungsprinzip beim LustschlossFavara wurde mit arabischen ribats ver-glichen, eigentlich befestigten Klösternfür die islamischen Glaubenskämpfer.Ribats wirkten meist wie kleine viereckigeFestungen mit Rundtürmen in Eck- undMittelstellung, von denen ein höhererdazu diente, Ausschau zu halten und zum

Palazzo della Favara,Blick in den Innenhof,Palermo.

Palazzo della Favara,Grundriss, Palermo.

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Gebet zu rufen. Es gab bei ihnen nur einenZugang, als Wohnräume waren in zweiStockwerken kleine Zellen entlang derSeitenwände des Gebäudes angeordnet.Im oberen Stock befand sich der Betsaal. Der Name Favara (arab. fawwara) bezeich-nete die Süßwasserquelle, die mittelseiner Zuleitung den See speiste. Bei derkürzlich erfolgten Freilegung des Stau-beckens fand man zu Füßen des DammsKanäle, über die das Wasser herangeführtwurde. Einer davon zeigt bauliche Merk-male, die für die muslimische Epochetypisch sind. Das Wasserbecken war mitauffallend rotem, unter Wasser abbinden-dem Verputz überzogen, von dem an denWänden des freigelegten Staubeckensim Zitrushain noch Spuren sichtbar sind.Hergestellt wurde er aus Kalk sowieFlusssand und Ziegelbruchstücken. Dasich am Fuß des Monte Grifone zudemein Hypokaustum fand, also ein unterdem Fußboden verlaufender Hohlraum,durch den heißer Dampf geleitet wurde,vermutet man, dass zum Komplex einstein funktionsfähiges Thermalgebäude ge-hörte.Roger II. ließ das Gebäude erweitern undmit einer christlichen Kapelle versehen,möglicherweise genau an der Stelle, ander ursprünglich die Privatmoschee desEmirs und die letzte Wohnung der Muez-zins und Vorbeters gestanden hatten.Wie zeitgenössische Chroniken bezeu-gen, ließ er auch den See vergrößern undmit Fischen aus verschiedenen Gegendenbestücken. Vermutlich grenzte der zwei-stöckige Palast an einen L-förmigen Hofmit kreuzgewölbten Säulengängen. Überdie Datierung der möglicherweise ausarabischer Zeit stammenden Gemäuer-reste und übrigen Teile ist noch nichtsbekannt, doch kann als gesichert gelten,dass der See vom Emir angelegt und von

Roger II. vergrößert wurde, der zudemeinen Staudamm dafür bauen ließ. Die Hauptfassade liegt nach Nordwestenzu vor den Repräsentations- und Ge-meinschaftsräumen. Von ihr aus führtenGänge zum Vorraum der Kapelle – inner-halb der Fassade erkennbar an der Her-vorhebung der Blendarkaden. An derSüdwestecke gab es zum künstlichen Seehin offenbar eine geräumige, von einemBogen überspannte Öffnung, die als An-legeplatz für leichte Boote gedient habenkönnte. Die Fassaden sind durch Reihenvon abgetreppten Blendbögen geglie-dert, von denen einige bei den Restau-rierungsarbeiten wieder zutage kamen,dazwischen waren unregelmäßig ver-teilte Fensteröffnungen. Zu den übrigenSeiten des Gebäudes hin lagen die Privat-gemächer. Die Kapelle war den Heiligen Philipp und

Palazzo della Favara,Kuppel der Kapelle,Palermo.

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Jakobus geweiht und besteht aus einerzweijochigen Halle mit Kreuzgewölbeund kleinem Querschiff mit drei Apsi-den. Das mittlere Joch wird von einerkleinen Kuppel überspannt, deren hoherTambour mittels Nischentrompen an dasLanghaus anschließt. Die Aula Regia istein dreijochiger rechteckiger Raum miteiner heute noch vorhandenen Nische inder Schmalseite; ihr Gewölbe ist mitHalbrundstäben aus Stuck verziert. Inder Mitte des Sees lag eine kleine, un-regelmäßig geformte künstliche Insel mitOrangen- und Zitronenbäumen. KönigRoger II. ließ den See stromabwärts miteinem Staudamm versehen, der aus demAushub angeschüttet wurde. Abgestütztwird er durch eine Mauer aus mächtigenQuadern, auf denen noch die Steinmetz-zeichen zu sehen sind. Trennwände in ab-steigender Höhe unterteilen das Stau-becken in ein Beckensystem, so dass dasWasser durch eine Öffnung im Nordteildes Damms abfließen konnte. Nach dem Erlöschen der normannischenDynastie gehörte das Kastell den Vize-königen, bis es Friedrich III. von Aragon1328 dem Deutschordensrittern der Ma-gione überließ und diese es in eine Festungumwandelten. Zum Ende des 15. Jahr-hunderts gelangte das Lustschlösschen anprivate Eigentümer, die den Zitrushain imSee bewirtschafteten. Die Regionalver-waltung kaufte schließlich das Grundstückund betreibt dessen Restaurierung.

II.2 CEFALÀ DIANA

II.2.a Hammam

Mit dem Auto der Beschilderung nach auf dieAutobahn Palermo-Catania auffahren und

Hammam, Ansicht derWestfassade, CefalàDiana.

Hammam, Blick in denInnenraum, CefalàDiana.

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diese an der Ausfahrt Villabate wieder ver-lassen; auf der SS121 in Richtung Agrigentbis zur Ausfahrt Baucina-Cefalà Diana; biszur Gabelung weiterfahren und von dort ausder Beschilderung nach Villafrati folgen. Ander nächsten Kreuzung auf die Straße nachPalermo einbiegen und nach rund 1 km nachrechts auf das Bauwerk zu abfahren.Öffnungszeiten: täglich außer montags von9–13 Uhr. Sanitäranlagen vorhanden.

Das arabische Badehaus hatte vermutlichbereits einen römischen Vorläufer. Essteht auf einer Anhöhe, die zum Fluss-tal des Cefalà hin ein leichtes Gefälleaufweist, und wird fast ganz von denschlichten Gebäuden verborgen, die esan drei Seiten umgeben und die, wieG. Lo Jacono vermutete, ursprünglich alsGasthaus und Hospiz dienten. Die An-ordnung der Gebäude innerhalb desKomplexes lässt nicht nur an den auf Sizi-lien weit verbreiteten Typus des Gutshofsdenken, sondern greift zudem das für dieislamische Architektur so zentrale Themader Einfriedung wieder auf. Der eigentliche hammam besteht aus einemrechteckigen Saal, der in zwei Bereicheunterteilt ist. Der längere davon wirddurch vier sattelförmige Trennwändequer in drei Becken unterteilt, währendder andere, der Quelle näher gelegene,nur ein einziges Becken enthält. Zwischenden beiden Räumen verläuft eine Trenn-wand mit drei Spitzbögen auf Säulen,quasi ein profaner Tribelon. Die korinthi-schen Säulen besitzen attische Basen undkelchförmige Kapitelle aus Terrakotta mitdoppelter Akanthusreihe und Eierstab-dekoration. Über den Säulenschäften sindKämpfer aus Backstein angebracht. Auchdie Bögen bestehen aus Backsteinen undtragen ein ebensolches Mauerwerk, mitdem man im 15. Jahrhundert das zusam-

men mit den Bögen eingestürzte Gewölbedarüber wieder verschloss. In der Wandüber den Bögen befinden sich drei langgestreckte rechteckige Fensteröffnungen.Ein weit gespanntes, mit Entlüftungsöff-nungen versehenes Spitztonnengewölbeüberdeckt den ganzen Innenraum. Das Ge-bäude zeigt eine geschlossene, blockartigeRaumwirkung. Der einzige Schmuck derAußenmauern besteht in einem mittigverlaufenden Band aus Kalksteinquadernmit einer stark verwitterten Inschrift in

Hammam, Grundriss,Cefalà Diana.

Hammam, Fries mitKufi-Inschrift an derWestfassade, CefalàDiana.

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ROUTE II Zeugnisse aus arabischer ZeitCefalá Diana

die hellenistisch-römische Zeit (50 v. Chr.bis 50 n. Chr.), die beiden Säulen desTribelon zur arabischen Epoche und dasGurtgesims mit der Kufi-Inschrift in dieNormannenzeit nach dem Tod KönigWilhelms I. 1166 (Ryolo 1971). UnterVerweis auf die vielen Analogien zum Ar-chitekturstil der Zeit Wilhelms II. ordneteine neueste Datierung das Gebäude voll-ständig der Spätphase der Normannen-herrschaft zu (Krönig in Di Stefano 1979).

Das Naturschutzgebiet Pizzo ChiarastellaIn der Nähe der arabischen Bäder liegt die Ri-serva naturale orientata di Pizzo Chiarastella.Die auf die Osthänge des Bergs beschränkteVegetation besteht aus typischen Vertretern dermediterranen Macchia. Der Pizzo Chiarastel-la ist allein schon deshalb von großer Bedeu-tung, weil das Massiv die Auffangzone für dasWasser bildet, das die Bagni speist. Das Na-turschutzgebiet wurde eigens zum Schutz derzahlreichen heißen Quellen eingerichtet, diemit unterschiedlicher Temperatur aus demkarbonathaltigen Gestein hervorsprudeln. DieVerwaltung der Riserva liegt in den Händender Provinzregierung von Palermo.

II.2.b Kastell

An der Straßengabelung abbiegen und dieSS77 in Richtung Cefalà Diana fahren. Nachrund 1 km rechter Hand der Beschilderungzum Kastell folgen.Öffnungszeiten: wochentags von 9–13 Uhr;sonn- und feiertags von 16–19 Uhr. Besichti-gung für Gruppen nur nach Voranmeldung,Tel. 091 8201184/8291546.

Zum Baudatum liegen keine gesichertenAngaben vor. Vermutet wird, dass dasKastell ab 1121 existierte. Der Haupthof

Kufi-Duktus, eingefasst von zwei schma-leren Bändern. Diese bestehen wiederumaus großformatigen Backsteinen, wie sieauch anderswo im Gebäude zu finden sind(möglicherweise römischen Spolien, dienoch vor Ankunft der Normannen wiederverwendet wurden). Das unterirdischeLeitungssystem, über das die Beckenbefüllt und abgelassen wurden, ist inunmittelbarer Nähe der Bassins teilweisenoch zu erkennen. Über das Entstehungsdatum der Anlageherrscht Uneinigkeit, zumal der Geografal-Idrisi in seinem Buch Rogers, das er kurzvor dem Tod des Herrschers (1154) fertigstellte, zwar elf Thermalbäder in großenund kleinen Ortschaften Siziliens aufzählt,jedoch Cefalà Diana nicht erwähnt. Erstkürzlich wurde eine chronologische Un-terscheidung der einzelnen Bauteile vor-geschlagen. Danach gehören die Außen-wände im Norden, Westen und Osten in

Kastell, Grundriss, Cefalà Diana.

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zwischen der inneren Umfriedung undder über die Felswand vorkragendenMauer ist mit Felsplatten gepflastert undbildet einen natürlichen Bodenbelag mitstarkem Gefälle und unregelmäßigerRautenform. Am höchstgelegenen Teil

des Felsens steht ein robuster recht-eckiger Wehrturm. Eine Reihe kleinerRäume mit Tonnengewölben befindensich auf der zweiten Umfassungsmauer.Ihre Fensteröffnungen zeigen zum Hofzwischen den beiden Umfriedungen.

Kastell, Ansicht desZugangs an der West-seite, Cefalà Diana.


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