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Trendlebensmittel Superfood Eine qualitative Untersuchung zum Konsum- und Ernährungsverhalten in Graz Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Studienrichtung Global Studies an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Irina Kinzner Eingereicht bei Univ.-Prof. Dr.phil. Ulrich Ermann Institut für Geographie und Raumforschung Graz, September 2019

Trendlebensmittel Superfood Masterarbeit - unipub

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Trendlebensmittel Superfood

Eine qualitative Untersuchung zum Konsum- und Ernährungsverhalten in Graz

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

eines Master of Arts

der Studienrichtung Global Studies

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Irina Kinzner

Eingereicht bei Univ.-Prof. Dr.phil. Ulrich Ermann

Institut für Geographie und Raumforschung

Graz, September 2019

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Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe

verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder

inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in

gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde

vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der einge-

reichten elektronischen Version.

Datum: Unterschrift:

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Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung .......................................................................................................................... 7

1.1 Problemstellung ........................................................................................................... 7

1.2 Forschungsfrage ........................................................................................................... 8

1.3 Zielsetzung .................................................................................................................. 8

2. Superfoods – natürliche Heilmittel? ................................................................................... 9

2.1 Definition und Aufkommen des Superfood-Trends ...................................................... 9

2.2 Inhaltsstoffe und Wirkungsfelder ................................................................................11

2.3 Die Gojibeere – ein chinesischer Jungbrunnen?...........................................................16

2.4 Regional - Global – eine Gegenüberstellung ...............................................................19

2.5 Vermarktung von Superfoods und kritische Stimmen ..................................................26

3. Die Komplexität der Ernährungsstile ................................................................................33

3.1 Ernährungspraktiken – Habitus und demonstrativer Konsum ......................................34

3.2 Ernährungsstile in Form von sechs Welten ..................................................................39

3.3 Foucaults Bio- und Körperpolitik ................................................................................43

4. Konsum- und Ernährungsverhalten der VerbraucherInnen ................................................49

4.1 Zentrale Forschungsfragen der Untersuchung..............................................................49

4.2 Forschungsmethode - Qualitatives Interview - Leitfadeninterview ..............................50

4.3 Auswertung der Interviews - Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ........................51

4.4 Durchführung der Befragungen ...................................................................................53

4.5 Auswertung der Ergebnisse .........................................................................................56

4.5.1 Allgemeines Verständnis von Superfood ..............................................................56

4.5.2 Gründe für den Superfood-Konsum ......................................................................59

4.5.2.1 Motive für eine Superfood-Ernährung ...........................................................60

4.5.2.2 Relevanz ernährungswissenschaftlicher Begriffe ...........................................65

4.5.2.3 Erwartungen und wahrgenommene Veränderungen .......................................66

4.5.3 Ernährungspraktiken ............................................................................................70

4.5.3.1 Superfoods – Notwendigkeit oder Luxus? .....................................................74

4.5.3.2 Selbstpraktiken und die Rolle des Geschmacks ..............................................77

4.5.3.3 Körperlichkeit und der Stellenwert des Erscheinungsbildes ...........................80

4.5.3.4 Vielschichtigkeit der Ernährungsstile.............................................................83

4.5.4 Konsumpraktiken .................................................................................................87

4.5.4.1 Tragweite der Kosten ....................................................................................88

4

4.5.4.2 Bewusstsein des Produktionskontextes und Relevanz von Gütesiegeln ..........92

4.5.5 Diskurs des Ernährungstrends und seine Vermarktung .........................................99

5. Schlussfolgerungen ......................................................................................................... 107

Bibliographie ...................................................................................................................... 112

Anhang ............................................................................................................................... 118

Abbildungsverzeichnis:

Abb. 1: Superfood-Produkte mit Antioxidanzien ..................................................................14

Abb. 2: Gojibeeren am Strauch des Lycium barbarum und getrocknete Beeren .....................16

Abb. 3: Region Ningxia und der Bezirk Zhongning ..............................................................17

Abb. 4: Anbaugebiet von Gojibeeren in den Schwemmgebieten des Huang He ....................17

Abb. 5: Die Brennnessel – ein heimisches Superfood ...........................................................20

Abb. 6: Eine Feldarbeiterin pflückt Gojibeeren .....................................................................23

Abb. 7: Dimensionen und Zielsetzung der Vollwert-Ernährung ............................................24

Abb. 8: Verkaufszahlen von Superfood.................................................................................27

Abb. 9: Angebot von Superfood-Pulver in einem Bio-Markt in Rosenheim ..........................31

Abb. 10: Smoothie-Acai-Bowl mit Superfoods .....................................................................32

Abb. 11: Superfood-Konsum nach Häufigkeit ......................................................................59

Abb. 12: Beachtung von Gütesiegeln nach Prozent ...............................................................95

Tabellenverzeichnis:

Tab. 1: Aufzählung der verbreitetsten Superfoods .................................................................11

Tab. 2: CO2-Verbrauch exotischer und heimischer Superfoods .............................................22

Tab. 3: Anreize und Motive für eine Ernährung mit Superfoods ...........................................60

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Zusammenfassung

Superfoods – exotische Nahrungsmittel wie Avocado, Gojibeeren oder Chiasamen, beworben

mit einer überdurchschnittlich hohen Nährstoffdichte, erfreuen sich an einer stetig wachsenden

Beliebtheit, auch in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs. Daher galt es im Rahmen dieser

Arbeit den Ernährungstrend Superfood, und den Hype um diese Lebensmittel, genauer zu be-

leuchten. Im Zentrum der Untersuchung steht das Konsum- und Ernährungsverhalten von Su-

perfood-KonsumentInnen in Graz. Dabei wird die Konstruktion und die tägliche Anwendung

von Ernährungs- und Lebensmittelkonsumpraktiken, sowie damit einhergehende Beweggründe

der KonsumentInnen und ihre Erwartungen an die jeweiligen Produkte, aber auch das Bewusst-

sein für den Produktionskontext der Lebensmittel, fokussiert. Als Forschungsmethode wurde

ein qualitatives Leitfadeninterview herangezogen und die dabei gewonnenen Ergebnisse an-

hand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring untersucht. Schließlich definiert sich die

Gestaltung des Konsum- und Ernährungsverhaltens von VerbraucherInnen je nach individuel-

len Beschwerden, Wünschen und Bedürfnissen. Superfoods fungieren als ein gesundheitsför-

derndes und positiv wirkendes Instrument zur direkten Einflussnahme auf unterschiedliche Le-

bensbereiche und zur Erfüllung konkreter Erwartungen, wie der Steigerung der Leistungsfähig-

keit, der Konzentrationsförderung, aber auch der Generierung von Anerkennung, Wertschät-

zung und Bewunderung im sozialen Kontext. Der Ernährungstrend Superfood spiegelt zwei-

felsohne das Wertesystem einer modernen Leistungsgesellschaft wider, indem durch die Opti-

mierung von Ernährung, Gesundheit und Körper konkrete Idealbilder und Lebensstile ange-

strebt werden. Die exotischen Nahrungsmittel leben von ihrem Diskurs und ihrer starken Ver-

marktung, doch gegen den Ernährungstrend stellen sich vermehrt kritische Stimmen, die zur

Bewusstseinsförderung der VerbraucherInnen für sozioökonomische und ökologische Auswir-

kungen globaler Wertschöpfungsketten beitragen.

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Abstract

Superfoods, such as avocado, goji berries or chia seeds, do appear to be gaining in popularity

worldwide as well as in Graz, the second largest city of Austria. Being advertised as a nutritious

enhancement to health, these multifunctional products have become a source of substantial rev-

enue and a notable marketing success. Analyzing this current nutritional phenomenon in depth

has been the primary aim of this thesis. The present study focuses on consumer behavior and

nutritional habits of superfood customers living in Graz. Thus, the consumers’ daily nutritional

practices, expectations and motivations, as well as their level of awareness regarding food pro-

duction will be examined thoroughly. To amass reliable data, several semi-structured interviews

have been conducted; the data has been interpreted on the basis of the criteria set out in the

Qualitative Content Analysis by Mayring. Superfood customers’ nutritional habits and their

consumer behavior are defined differently depending on complaints, wishes and needs. Super-

foods are regarded as impressive tools to influence different areas of life positively and to sat-

isfy reasonable expectations, e.g. boosting productivity and concentration, as well as achieving

personal recognition, self-esteem and admiration. The dietary trend of superfoods undoubtedly

reflects the values of today’s society which is primarily characterized by achievement orienta-

tion. By optimizing nutrition, health and body people attempt to conform to specific ideals and

particular lifestyles. Effective marketing campaigns and greater public discourse are vital to the

success of superfoods. However, they are also drawing mounting criticism, exerting a substan-

tial impact on consumer awareness concerning negative effects of global food value chains.

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1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Superfoods sind beinahe in jedem Supermarkt, Biomarkt und Reformhaus zu finden. Auch in

Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, erfreuen sie sich einer stetig wachsenden Beliebtheit.

Den exotischen Früchte- und Gemüsesorten, zu denen beispielsweise die Avocado, Gojibeeren,

Acaibeeren, Chiasamen, Quinoa, aber auch Algen wie Chlorella und Spirulina zählen, wird eine

überdurchschnittlich hohe Menge an gesundheitsfördernden Nährstoffen und Eigenschaften zu-

geschrieben. Die besagten Multifunktionstalente verbuchen rasant ansteigende Verkaufszahlen.

Demzufolge lag der Umsatz von Superfoods im Jahr 2014 in Deutschland bei 1,5 Millionen

Euro, 2016 hingegen erreichte er 42,6 Millionen Euro (Nielsen 2017). Auch in Österreich haben

Superfoods einen Aufschwung erlebt. In Bezug auf die Avocado wurden im Jahr 2018 von

Januar bis Oktober 8,2 Millionen Kilo der Frucht im Wert von 26 Millionen Euro nach Öster-

reich eingeführt. Mit Blick auf Europa stieg der Avocado-Konsum im Zeitraum von 2016 bis

2018 um 65%, in dessen Rahmen 650.000 Tonnen des grünen Goldes importiert wurden (Die

Presse 2019a). Zweifelsohne verfügen Superfoods über eine hohe Anziehungskraft, der mit ei-

ner wachsenden Nachfrage an neuen Produkten begegnet wird.

Deshalb gilt es, den Ernährungstrend Superfood und den Hype um diese Lebensmittel ge-

nauer zu beleuchten. Die Fragestellung der Arbeit bezieht sich auf das zentrale Thema des Kon-

sum- und Ernährungsverhaltens von Superfood-VerbraucherInnen. Dabei werden all jene As-

pekte und Einflüsse thematisiert, die formgebend auf persönliche Konsumpraktiken wirken und

die Einbindung der Produkte in tägliche Ernährungsgewohnheiten der VerbraucherInnen fest-

legen. Als Forschungsmethode wurde ein qualitatives Leitfadeninterview gewählt, das in Form

einer offenen, aber dennoch strukturierten Gesprächsführung, Einblick in die subjektive Be-

trachtungsweise und Erfahrungshintergründe der befragten Superfood-KonsumentInnen er-

möglicht (Bortz/Döring 2006: 308, Schnell et al. 1999: 355). Um die aus den Interviews ge-

wonnen Ergebnisse adäquat auszuwerten, wird die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring her-

angezogen. Diese strukturiert anhand eines Kategoriensystems – basierend auf fünf gewählten

Themenbereichen in Bezug auf Konsum und Ernährung von Superfoods –, das Kommunikati-

onsmaterial und ermöglicht eine zusammenfassende Deutung und Veranschaulichung der er-

haltenen Informationen (Mayring 2015: 47,49). Die nachstehenden Forschungsfragen werden

im Rahmen der Untersuchung konkret behandelt und fokussieren folgendes Forschungsziel:

8

1.2 Forschungsfrage

Im Rahmen dieser Untersuchung soll folgende Kernfrage, mitsamt den folgenden drei Unter-

fragen, die wiederum jeweils auf ein bestimmtes thematisches Gebiet abzielen, erhoben wer-

den:

„Wie gestaltet sich das Konsum- und Ernährungsverhalten von Superfood-KonsumentInnen

in Graz?“

1a. Welche Ernährungs- und Lebensmittelkonsumpraktiken verfolgen KonsumentInnen von

Superfood?

1b. Aus welchen Gründen werden Superfoods konsumiert und welche Erwartungen sind an

den Verzehr dieser Lebensmittel geknüpft?

1c. Welche Rolle spielt der Produktionskontext der Trendlebensmittel für KonsumentInnen?

1.3 Zielsetzung

Das konkrete Ziel ist das Ernährungsverhalten und die damit verbundenen Lebensmittelkon-

sumpraktiken von Superfood-VerbraucherInnen in Graz zu beleuchten. Im Fokus der Untersu-

chung steht die Konstruktion von individuellen Ernährungs- und Konsumpraktiken, die anhand

gesellschaftlicher Einflüsse und manifestierter Wertsysteme, im täglichen Leben der Konsu-

mentInnen ihre Anwendung finden. Zudem gilt es, konkrete Motive und Beweggründe ausfin-

dig zu machen, die eine Ernährung mit Superfoods veranlassen und damit verbundene Vorstel-

lungen, Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen der VerbraucherInnen zu thematisieren. Ein

weiteres Hauptaugenmerk kommt hierbei der Vermarktung und dem Diskurs des Ernährungs-

trends zu, der im Zuge eines regen Informations- und Erfahrungsaustausches ernährungsbe-

wusster Menschen eine enorme Reichweite generiert. Abschließend wird die Aufmerksamkeit

auf das Bewusstsein der VerbraucherInnen für globale Wertschöpfungsketten von Lebensmit-

teln und die Sensibilisierung für damit verbundene Auswirkungen gelenkt.

Die Verbindung von ernährungsphysiologischen Fakten, soziologischen und konsumpsy-

chologischen Konzeptionen mit erhobenem Datenmaterial aus den geführten Interviews, soll

ein eindrückliches Bild des Ernährungs- und Konsumverhaltens von Superfood-Verbrauche-

rInnen zeichnen und insbesondere die subjektive Sichtweise der KonsumentInnen darlegen.

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2. Superfoods – natürliche Heilmittel?

In den letzten Jahren haben Begriffe, die den eigenen Ernährungsstil beschreiben, wie vegeta-

risch und vegan, oder konkrete Produktbezeichnungen, wie Superfoods, eine stetig wachsende

Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Durch die in verschiedenen Medienkanälen verstärkte The-

matisierung von Superfoods - primär betont als gesundheitsfördernde Nahrungsmittel – ge-

winnt das Einwirken auf die eigene Gesundheit und Wohlbefinden mithilfe von Ernährung für

viele Menschen zunehmend an Relevanz. In diesem Zusammenhang verweist die AK Nieder-

österreich (2017) auf die im Rahmen des Trends angestiegene Menge der neu auf dem Markt

erscheinenden Superfoods, die im Zeitraum von 2011 bis 2016 rund 200% erreicht hatte (AK

Niederösterreich 2017: 49). Die Bandbreite und Beliebtheit der einzelnen Superfoods fördert

ihre Verfügbarkeit um ein Vielfaches, daher sind sie seit dem Jahr 2016 beinahe in jedem Le-

bensmitteleinzelhandel aufzufinden, und werden auch in Graz in verschiedenen Märkten ver-

trieben (Nielsen 2017).

Um den Erfolg dieser Ernährungsbewegung genauer zu beleuchten, gilt es zu Beginn den Ter-

minus Superfood konkret zu definieren und dessen charakteristische Erkennungsmerkmale in

Verbindung mit den zugehörigen Wirkungsfeldern, je nach unterschiedlichem Begriffsver-

ständnis, aufzuzeigen.

2.1 Definition und Aufkommen des Superfood-Trends

Eine einheitliche Begriffserklärung des Terminus Superfood, die allgemein gültig ist, sowie

fachliche und gesetzliche Anerkennung trägt, gibt es nicht (Bingemer/Gerlach 2015: 10). Das

European Food Information Council (EUFIC) hält fest, dass weder eine exakte Definition des

Begriffs noch ein wissenschaftlicher Beweis für die gesundheitsfördernden Effekte dieser Le-

bensmittel vorliegen. Dennoch resümiert der EUFIC sämtliche Begriffsdarlegungen und zählt

Superfoods zu jenen Lebensmitteln - vor allem Früchte und Gemüse - die die Gesundheit un-

terstützen und sich durch ihren hohen Nährstoffgehalt von anderen Lebensmitteln unterschei-

den (EUFIC 2012). Die hohe Nährstoffdichte der Lebensmittel als Voraussetzung für die Be-

griffsbezeichnung, greift ebenso das Oxford English Dictionary auf und bezeichnet Superfood

als „a nutrient-rich food considered to be especially beneficial for health and well-being“

(Oxford English Dictionary 2018). Auch Grach et al. (2016) heben in ihrem Werk Schwarzbuch

10

Superfood hervor, „dass [sich] der Begriff Superfood auf natürliche, möglichst unverarbeitete

Lebensmittel [bezieht], denen eine besonders hohe Nährstoffdichte und heilsame Wirkung

nachgesagt wird“ (Grach et al. 2016: 6). Andere AutorInnen setzen ihren Fokus auf den medi-

zinischen Aspekt der Lebensmittel. So nimmt der Verzehr von Superfoods durch ihre Bioak-

tivstoffe und sekundären Pflanzenstoffe positiven Einfluss auf unseren Körper, dient als Schutz

vor Erkrankungen, sorgt für ein ganzheitliches Wohlbefinden, unterstützt das Immunsystem

und entschlackt den Körper (Greiner 2016: 6, Rias-Bucher 2015: 12).

Überwiegend werden zu den Superfoods pflanzliche, naturbelassene Nahrungsmittel ge-

zählt, wie verschiedene Obst- und Gemüsesorten, aber auch Samen, Nüsse, Kräuter und viele

weitere pflanzliche Bestandteile (Bingemer 2016: 8, Bingemer/Gerlach 2015: 10). Anderen De-

finitionen von Lexika zufolge wird auch Fisch, vor allem Lachs, in die Reihen der Superfoods

eingegliedert (EUFIC 2012, Merriam-Webster dictionary 2018, MedicineNet 2016).

Wie der Begriff Superfood bereits vermuten lässt, entstammt er dem englischsprachigen Raum,

konkreter liegt sein Ursprung in den USA. Er steht in Verbindung mit einem modernen Ernäh-

rungsstil, dessen Fokus auf Gesundheit und Wohlbefinden liegt. Vordergründig waren Men-

schen, die sich vegan und mit Rohkost ernähren, auf der Suche nach Lebensmitteln, ausgestattet

mit einem vielfältigen Nährstoffgehalt (Bingemer 2016: 9, Bingemer/Gerlach 2015: 10). Das

Aufkommen der geschätzten Produkte und dessen Ernährungstrend in Europa erklärt Bingemer

(2015) durch das Fehlen von heimischen Superfoods in kalten Jahreszeiten und in diesem Zuge

hatten exotische Superfoods an Attraktivität gewonnen. Der Terminus wird jedoch nicht nur

für exotische Lebensmittel gebraucht, sondern auch in heimischen Breitengraden können Lein-

samen, Walnüsse, Heidelbeeren oder Wildkräutern als Superfood tituliert werden (Bingemer

2015: 9).

Obwohl viele dieser exotischen und lokalen Superfoods als neu und modern vermarktet wer-

den, haben sie bereits eine lange Tradition und fanden für unterschiedliche Zwecke ihren Nut-

zen. Beispielsweise werden Pseudogetreide wie Quinoa und Amaranth in den Reihen der mo-

dernen Superfoods eingegliedert. Obwohl Quinoa seit über 5000 Jahren in den Anden Süd-

amerikas von den dort ansässigen Inkas angebaut wurde. Auch Amaranth, als wichtiges Nah-

rungsmittel in der Kultur der Inkas, Mayas und Azteken verankert, wurde schon vor 8000 Jah-

ren kultiviert (Macdonald 2011). Obgleich Superfoods den Schein tragen stets neuartig zu sein

und ihnen unentdeckte Wirkstoffe innewohnen, wechseln Superfoods ständig. Die mediale

Aufmerksamkeit wird von bereits bekannten Superfoods zu Neuankömmlingen auf dem Markt

gelenkt und in Folge etablierte sich eine immense Bandreite an verschiedenen Superfoods, die

kontinuierlich wächst (Michels 2018).

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Im Vergleich zu den exotischen Superfoods tragen ihre heimischen Pendants weniger Aufmerk-

samkeit (Bingemer 2015: 9). Erstere jedoch legen lange Transportwege zurück, um in unseren

lokalen Lebensmittelgeschäften erworben werden zu können. Beispielsweise wachsen Quinoa

und Chia-Samen vor allem in Südamerika. Avocaods werden in großen Mengen in Mexico und

Goji-Beeren in China kultiviert. Die Schadstoffbelastung der weit zurückgelegten Distanzen

der Produkte, ihre Einbußen an Nährstoffgehalt und Wirkung und fragwürdige Anbau- und

Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern, sind einige vieler Facetten des Superfood-

Trends (Grach et al. 2016: 6f, Rias-Bucher 2015: 11).

2.2 Inhaltsstoffe und Wirkungsfelder

Da stets neue Superfoods auf dem Markt en vogue sind, zählen nun bereits viele Lebensmittel

zu jenen Produkten, die sich aufgrund ihrer hohen Nährstoffdichte und wohltuendem Einfluss

auf den menschlichen Körper, an besonderer Beliebtheit erfreuen. Die nachstehende Tabelle

zeigt einige der bekanntesten Superfoods.

Die Aufzählung der verschiedenen Produkte lässt darauf schließen, dass der Begriff Superfood

ein breites Spektrum an vorrangig pflanzlichen Lebensmitteln abdeckt. Um eine Kategorisie-

rung der einzelnen Exemplare zu ermöglichen, werden sie nach Bingemer/Gerlach (2015) in

mehrere Nahrungsmittelgruppen eingeteilt. Demnach befinden sich beispielsweise Brokkoli,

Grünkohl, Mangold im Bereich des grünen Supergemüses (reich an Chlorophyll) und Kürbis,

Tab. 1: Aufzählung der verbreitetsten Superfoods (nach Bingemer 2016: 10f, Binge-

mer/Gerlach 2015: 182f, Wolfe 2015: 14f)

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Möhren, rote Beete zählen zu rotem Supergemüse (reich an Carotinoiden). Andere Lebensmit-

tel werden in Rubriken wie Superfrüchte, Superbeeren, Supersamen und -nüsse, Supergewürze

und Superkräuter eingeordnet (Bingemer/Gerlach 2015: 182f). Honig, Bienenpollen und andere

Bienenprodukte werden genauso in den Reihen der Superfoods aufgenommen (Wolfe 2015:

14).

Superfoods werden als vollwertige und naturbelassene Lebensmittel ohne Zusatzstoffe ge-

sehen und beinhalten eine Vielzahl an Nähr- und Vitalstoffen. So verfügen sie über Kohlen-

hydrate, Eiweiß, Vitamine, Mineralstoffe, essenzielle Aminosäuren, ungesättigte Fettsäuren,

sekundäre Pflanzenstoffe, Antioxidanzien und weitere für den menschlichen Körper wichtige

Komponenten (Bingemer/Gerlach 2015: 10, Greiner 2016: 6, Wolfe 2015: 13). Vor allem durch

die, den Superfoods innewohnenden sekundären Pflanzenstoffen und Antioxidanzien zur Ver-

teidigung gegen freie Radikale, haben diese Lebensmittel einen enormen Aufwind bekommen.

Viele Produkte werden mit dem ausdrücklichen Verweis auf genau diese Inhaltsstoffe vermark-

tet.

Sekundäre Pflanzenstoffe sind chemische unterschiedliche Stoffe aus der Flora, die nicht im

primären Stoffwechsel der Pflanze (Kohlenhydrate, Fette, Eiweiß) entstehen, sondern im Se-

kundärstoffwechel. Sie produzieren unter anderem Abwehrmaßnahmen gegen Ungeziefer und

Krankheitserreger, reglementieren den Wachstum der Pflanzen und gelten als Farbstoffe. Se-

kundäre Pflanzenstoffe haben Einfluss auf unterschiedliche Stoffwechselabläufe des menschli-

chen Körpers. Ihre Wirkung spannt sich über die Stärkung der Abwehrkräfte bis hin zur Regu-

lierung des Blutzuckerspiegels und der Minderung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem

fördern sie die Krebsprävention und tragen einen entzündungshemmenden, blutsenkenden und

verdauungsfördernden Charakter (Knieriemen 2007: 85f; Zimmermann et al. 2018: 81f).

Zu den elementarsten Sekundären Pflanzenstoffen zählen unter anderem Carotinoide. Diese

geben verschiedenen Obst- und Gemüsesorten wie Tomaten, Paprika, Möhren und Aprikosen

ihre markant gelb-orange-rote Farbe. Das orangefarbene β-Carotin stärkt das Immunsystem,

schützt vor freien Radikalen und verhindert Erkrankungen an der Netzhaut des Auges. Es ist

gleichermaßen für die Schutzfunktion der Haut, Augen, Schleimhäute und Leber von Bedeu-

tung. Glukosinolate verleihen Meerrettich, Kresse, Senf und Kohl ihre charakteristisch senfar-

tige bis scharfe Würze (Zimmermann et al. 2018: 82f). Großflächig aufzufinden sind Poly-

phenole, die als Geschmack-, Bitter-, Farb-, und Gerbstoff fungieren. Hierzu zählen beispiels-

weise Anthocyane, diese sind rot-blau-violette Farbstoffe, die sich in Brombeeren, schwarzen

Johannisbeeren, aber zugleich auch in Auberginen, Rosen, Kornblumen oder Malven finden

lassen. Sie wirken antioxidativ, entzündungshemmend, blutdruckregulierend und senken das

13

Risiko von Erkrankungen des Herzapparats und Krebs (Knieriemen 2007: 88ff; Zimmermann

et al. 2018: 84-88).

Diese hier angeführten chemischen Verbindungen sind nur einige von mehreren tausend

Pflanzenstoffen, die unseren Körper mit lebensnotwendigen Bestandteilen versorgen und unse-

ren täglichen Bedarf an den wichtigen Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen mühe-

los decken. Durch diese gewinnt unsere Ernährung an Variation, vermeidet festgefahrene Er-

nährungsmuster und steigert die Freude über saisonale Früchte, Nüsse und Gemüse. Viele Se-

kundäre Pflanzenstoffe tragen antioxidative Wirkung und werden dabei meist Hand in Hand

mit Antioxidanzien und freien Radikalen thematisiert.

Wenn von Antioxidanzien gesprochen wird, bedarf es zuerst einer Erklärung von freien Radi-

kalen. Freie Radikale sind Moleküle im menschlichen Körper, die während der Sauerstoff- und

Energieproduktion unserer Zellen als Nebenprodukt entstehen. Die meisten Moleküle bestehen

aus zwei Elektronen. Freie Radikale hingegen verfügen über nur ein partnerloses freies Elekt-

ron und wenden sich daher an ein nahegelegenes Molekül, um hiervon ein Elektron in Besitz

zu nehmen. Das beraubte Molekül wird nun selbst zum freien Radikal und im Zuge dessen

entsteht ein Dominoeffekt von zellschädigenden Prozessen, zu denen die Beschädigung von

Fettverbindungen, eine Veränderung von Eiweißstrukturen (kollagenhaltiges Gewebe wie

Haut, Gefäße, Knochen), sowie Veränderungen am Erbgut, zählen. In diesem Zusammenhang

bezeichnet der Begriff oxidativer Stress eine Vielzahl an freien Radikalen, die vom Körper

selbst nicht mehr in Schach gehalten werden können. Aber da das Abwehrsystem unseres Cor-

pus ebenso freie Radikale bildet, um Viren und Bakterien entgegenzuwirken, tragen sie gleich-

falls positive Eigenschaften. Dennoch sollte ein Gleichgewicht zwischen freien Radikalen und

abschirmenden Antioxidanzien vorliegen. Diese Balance der beiden Instanzen kann jedoch

durch die Folge unserer Lebensweise irritiert werden. Belastungen wie ökologische Schad-

stoffe, Luftverunreinigung, UV- und Röntgenstrahlen, Alkohol- und Zigarettenkonsum und

psychischer Druck sind hierfür nennenswerte Treiber. Krankheiten, die sich durch freie Radi-

kale entwickeln und mittels Antioxidanzien reduziert werden können, sind unter anderem der

allgemeine Alterungsprozess, Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle, Darm-

entzündungen oder Leber- und Gewebeschäden (Hassimotto et al. 2005, Zimmermann et al.

2018: 461-464).

Jene Nähr- und Pflanzenstoffe, die mit freien Radikalen eine Verbindung eingehen und sie

neutralisieren, nennen sich Antioxidanzien. Sie stabilisieren und machen freie Radikale un-

schädlich, indem sie ihnen ein Elektron spenden. Die elementarsten Antioxidanzien sind

14

Vitamin A, C, E wie auch die Mineralstoffe Selen und Zink. Auch B-Vitamine (B1, B6, B9),

Vitamin K, Carotinoide und Flavonoide tragen beispielsweise antioxidative Wirkung. Lebens-

mittel reich an Anthocyanen, weisen die höchste Konzentration wirkender Antioxidanzien auf.

Im Zusammenhang dazu gelten eine Vielzahl an Vitaminen auch als unverzichtbare Regulato-

ren des Zellstoffwechsels und als Cofaktor in mehreren enzymatischen Reaktionen des mensch-

lichen Körpers (Asensi-Fabado/Munné-Bosch 2010, Hassimotto et al. 2005).

Die Palette an Superfoods wird mit den Wirkungsfeldern der Antioxidanzien verknüpft und

dementsprechend vermarktet und bietet zudem eine breite Produktvielfalt. Beispiele hierfür

sind folgende zwei Abbildung. Auf der linken Seite ist ein Superfood-Produkt mit der Bezeich-

nung: Forever Beautiful. The Antioxidant Superfood Mix, dargestellt. Darin enthalten sind

Chiasamen, Acaibeeren, Maqui, Maca, Acerola und Heidelbeeren, in pulverisierter Form. Auf

der rechten Seite ist ein Super Smoothie Antioxidant, mit Extrakten aus Matchatee und Spiru-

lina, abgebildet.

Die Liste der Eigenschaften von Superfoods ist unendlich lange. Verheißen werden anhand des

Verzehrs von Superfood allmögliche positive Effekte auf unterschiedliche Bereiche unseres

geistigen und physischen Daseins. Beinahe alle Körperteile werden angesprochen. Superfoods

helfen dem größten Organ unseres Körpers, der Haut, Irritationen auszugleichen, Ekzeme und

allergische Reaktionen zu lindern. Unsere Abwehrkräfte und unser Immunsystem gewinnen

durch die Zufuhr von Superfood an Belastbarkeit und sind gewappnet, um Erkältungen

Abb. 1: Superfood-Produkte mit Antioxidanzien (Your Superfoods 2019, Innocent 2019)

15

erfolgreich abzuwehren. In Hinblick auf die körperliche und mentale Tragfähigkeit steigt das

Energielevel der Menschen um ein Vielfaches und verstärkt somit deren Leistungsfähigkeit.

Dabei wird negativen Gefühlzuständen, Depressionen und Schlafstörungen der Rücken gekehrt

(Wolfe 2015: 16, Weiss/Bor 2013: 18).

Zudem fördern Superfoods die Entgiftung und Entschlackung des Körpers und helfen uner-

wünschten Ballast abzuwerfen. Dabei zeigen Kräuter und Gemüse dank ihres hohen Gehalts an

Kalium einen entwässernden Einfluss und fördern die Ausscheidung von schädlichen Stoffen.

Zusätzlich sei der Weg zur Traumfigur durch die Ernährung von Superfoods kein unerfüllter

Wunsch, so wird eine unkomplizierte Gewichtsabnahme von der Lebensmittelindustrie propa-

giert. Titulierten Volkskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes und Krebs kann hier ebenfalls

entgegengesteuert werden (Rias-Bucher 2015: 12-17, Weiss/Bor 2013: 18, Wolfe 2015: 16).

Ein weiteres Talent der Superfoods ist ihre Eigenschaft den Alterungsprozess von Körper-

zellen zu verlangsamen. Deshalb tragen Lebensmittel mit vielen Antioxidanzien einen überaus

wertvollen Anti-Aging-Effekt. Besonders den Acai- und Gojibeeren wird eine verjüngende

Wirkung zugesprochen, sie gelten als Schlankmacher und werden als Beauty-Food deklariert.

Denn im Hinblick auf die Acaibeere, trägt sie einen Appetit hemmenden Charakter und kurbelt

zudem den Stoffwechsel an. Pulverisiert und in Kapselform als Nahrungsergänzungsmittel wird

sie anhand verschiedener Marketingkonzepte als Fatburner beworben. Auch Chiasamen gelten

als überaus sättigend, sorgen so für eine schlanke Erscheinung und beugen darüber hinaus der

Hautalterung vor (Bingemer/Gerlach 2015: 22, Bingemer 2016: 10, 15, 23).

Die den Superfoods zugeschriebenen Eigenschaften haben eine Dimension angenommen, die

sich nur schwer in Kürze darstellen lässt. Je nach AutorInnenquelle sind die einzelnen Lebens-

mittel mit unterschiedlichen wohltuenden Fähigkeiten behaftet. Da die positiven Auswirkungen

der meisten Superfoods nur temporäre Aufmerksamkeit besitzen, und ihre Präsenz am Markt,

eine gewisse Flüchtigkeit trägt, ebenso ihre Aktionsfelder nur teilweise wissenschaftlich belegt

sind, kann das Wirkungsspektrum der einzelnen Produkte jederzeit erweitert werden. So wird

den Superfoods eine große Bandbreite an diversen wohltuenden Einflüssen auf den menschli-

chen Körper zugesprochen. Während die exotischen Exemplare meist in aller Munde sind, ver-

weilen ihre heimischen Pendants in deren Schatten.

16

2.3 Die Gojibeere – ein chinesischer Jungbrunnen?

Als neuartig vermarktet, sind Superfoods nicht vor kurzer Zeit entdeckt worden, sondern meist

sind sie Bestandteil der Ernährungsgeschichte einer bestimmten Bevölkerung und Kultur. Auf-

grund ihrer konstanten Verwendung und Heilwirkung tragen sie eine lange Tradition. Da vor-

rangig exotische Superfoods hochgepriesen werden und den Charakter eines Allheilmittels tra-

gen, wird im Folgenden die Gojibeere als konkretes Beispiel eines Superfoods vorgestellt.

Unter der Vielzahl bekannter Superfoods ist vor allem die rot bis orangefarbene Gojibeere jene

Frucht, die neben Chiasamen und Acaibeeren seit geraumer Zeit als Aushängeschild und Inbe-

griff der Trendbewegung gilt. Der Strauch der Bocksdorne (Lycium), ist eine Gattung der

Nachtschattengewächse und umfasst ca. 97 Arten. Jedoch werden besonders die Früchte des

Lycium barbarum und Lycium chinese, bekannt als Gojibeere, weltweit gehandelt und beson-

ders für den nordamerikanischen und europäischen Markt angebaut. Weitere Bezeichnungen,

wie die Chinesische Wolfsbeere oder der Gemeine Bocksdorn, werden der Beerenfrucht zuteil,

die bereits seit mehr als 4000 Jahren kultiviert wird und fester Bestandteil der Traditionellen

Chinesischen Medizin ist. Die Pflanze gedeiht im afrikanischen Raum, in Asien, aber auch in

Nord- und Südamerika und Mitteleuropa (Yao et al. 2018). Ihren Ursprung trägt sie jedoch in

China, das bis heute als Hauptexporteur der Gojibeere gilt. Dort wird in Ningxia, einer in China

nordwestlich liegenden Region, die Beerenfrucht in großem Stil angebaut. Die Region Ningxia

und der Bezirk Zhongning gelten als weltweit größter Gojibeeren-Produzent.

Abb. 2: Gojibeeren am Strauch des Lycium barbarum (Botanikus o.J.) und

getrocknete Beeren (eigene Aufnahme 2018)

17

Der fruchtbarste Agrarboden für den An-

bau der Gojibeeren liegt in den Schwemm-

ebenen des Gelben Flusses (Huang He),

der die Region Ningxia von Westen nach

Norden durchquert. Er bietet eine Nähr-

quelle reich an Mineral- und Spurenele-

menten. Durch viele Sonnenstunden und

die hohe Lage (über 3000m), sowie kühlen

Nächte, resultiert ein Temperatursturz von

bis zu 15 Grad, der wiederum den Gojibeeren ideale Wachstumsbedingungen verschafft, um

Nährstoffe wie Polysaccharide zu bilden (union-sure 2016). Für die Bewirtschaftung dieser

Beere wurden im Jahr 2015 mehr als 66 Millionen Hektar Land kultiviert (Chen et al. 2018).

Im Jahr können dadurch bis zu 1,5 Milliarden Yuan (232 Millionen US-Dollar) erwirtschaftet

werden. Die getrocknete rosinenähnliche Beere wird in über 30 Länder und Regionen vertrie-

ben (The Epoch Times 2015).

Die Gojibeere als heilsames Nahrungsmittel, hat den Charakter eines Multifunktionstalents

ihren besonders vielfältigen Inhaltsstoffen zu verdanken. Eine große Zahl an Nährstoffen, da-

runter wertvolle Kohlenhydrate, Proteine und Fette, essenzielle Aminosäuren, aber auch not-

wendige Spurenelemente, wie Eisen und wichtige Mineralstoffe, wie Kalzium, Magnesium,

Phosphor wohnen der Frucht inne. Durch den Naturfarbstoff Carotin, zudem aufgrund von B-

Vitaminen, darunter Thiamin (B1), Riboflavin (B2) oder der Nicotinsäure als B-

Abb. 3: Region Ningxia und der Bezirk Zhongning (young living 2018)

Abb. 4: Anbaugebiet von Gojibeeren in den Schwemmge-

bieten des Huang He (union-sure 2016)

18

Vitaminkomplex und Ascorbinsäure (Vitamin C), zählt die Beere als Kraftpaket und als eine

der wertvollsten Nahrungsmittel (Khaldun et al. 2015).

Die Wirkungsfelder der zahlreichen Inhaltsstoffe sind breit gefächert und kommen beson-

ders der verbesserten Funktionsfähigkeit von Leber, Nieren, Augen und Haut zugute. Eine

große Aufmerksamkeit wird den in den Beeren enthaltene Polysaccharide zuteil. Diese lang-

kettigen Zuckermoleküle, auch bekannt als Lycium barbarum polysaccharide (LBP), fungieren

als Antioxidanzien. Sie regulieren das Immunsystem und den Blutdruck, hemmen Tumorer-

krankungen und stärken die Nervenzellen. Der regelmäßige Konsum von Gojibeeren, beson-

ders von Gojisaft, bewirkte eine Verbesserung des Energielevels, der Leistungsfähigkeit und

Ausdauer, der Reduktion von Schlafstörungen und hatte eine positive Auswirkung auf das psy-

chische Wohlbefinden (Amagase/Farnsworth 2011, Grach et al. 2016: 40f).

Die Gojibeere besitzt zudem Lutein und Zeaxanthin, diese – beide essenzielle Mikronähr-

stoffe, die zu der Familie der Carotinoide zählen – haben positiven Einfluss auf die Linse und

Netzhaut unserer Augen, denn sie tragen zum Erhalt der Sehschärfe bei und beugen eine Netz-

hauterkrankung vor, die bei älteren Menschen einen schwerwiegenden Verlust des Sehvermö-

gens hervorrufen und durch übermäßige Sonneneinstrahlung aber auch durch oxidative Pro-

zesse ausgelöst werden kann. Lutein und Zeaxanthin besitzen eine antioxidative und entzün-

dungshemmende Wirkung und steuern verschiedenen Augenerkrankungen entgegen (Ama-

gase/Farnsworth 2011, Zimmermann et al. 2018: 315-317)

Ein weiterer Hauptbestandteil des Lycium barbarum ist die Aminosäure Betain. Sie verrin-

gert den Blutspiegel von Homocystein, ein Abbauprodukt des Methioninstoffwechsels. Erhöhte

Homocysteinwerte - hervorgerufen durch einen Mangel an bestimmten B-Vitaminen (B2, B6,

B12) und Folsäure - steigern zeitgleich ein Risiko für Erkrankungen an Arteriosklerose und

Schlaganfällen (Zimmermann et al. 2018: 429). Um diesen und weiteren Krankheitsbildern

vorzubeugen heben Lee et al. (2014) die Fähigkeiten der Gojibeere besonders hervor. Dazu

zählen zum einen die Verbesserung der Leber- und Magenfunktionen, insbesondere reguliert

hierbei das Betain den osmotischen Druck der Leber- und Nierenzellen und schützt diese, zum

anderen ist Betain an der Stärkung der Muskel- und Skelettstruktur beteiligt. Der Gemeine

Bocksdorn und das enthaltene Betain finden unter anderem in der Behandlung von Diabetes

seine Anwendung (Lee et al. 2014, Zimmermann et al. 2018: 295).

Die Vielzahl verschiedener Antioxidanzien der Gojibeere steuern nicht nur freien Radikalen

entgegen und steigern somit die Leistungsfähigkeit, sondern verkürzen zudem den Hautalte-

rungsprozess (Yao et al. 2018). Daher wird in Hinblick auf die Vermarktung der Beeren gerade

auf deren Anti-Aging-Eigenschaften gesetzt. Primär wird ihre Verwendung als Nahrungsmittel

19

in Form von Pulver, Saft, in Schokolade oder Riegeln, oder einfach getrocknet, angeboten und

beworben (Grach et al. 2016: 40f). Obwohl sich Gojibeeren, verarbeitet beispielsweise als Tink-

tur oder Extrakt, für das Auftragen auf die Haut speziell zur Behandlung von Hauterkrankun-

gen, aber auch als Pflegeprodukt eigenen, finden diese Verwendungszwecke nicht allzu breiten

Gebrauch und werden bisher von wissenschaftlicher Seite weniger aufgegriffen (Zhao/Bo-

janowski 2015: 79). Da Gojibeeren entzündungshemmend wirken und die Wundheilung för-

dern, kann hierbei unter anderem Hautirritationen, Sonnenschäden, allergischen Reaktionen,

Ekzemen und entzündeten Ödemen vorgebeugt werden (Zhao/Bojanowski 2015: 80-82). Freie

Radikale hingegen beeinflussen die Gewebsstruktur der Haut negativ, denn sie minimieren die

Elastizität und die Widerstandskraft der Haut und begrenzen ihre Geschmeidigkeit und Flexi-

bilität. Zusätzliche Ergebnisse derartiger Veränderungen sind Falten, Hautverfärbungen, Ge-

websschäden und Hautkrebs (Liang et al. 2011, Amagase/Farnsworth 2011).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gojibeere, mit ihren zahlreichen positiv wir-

kenden Eigenschaften, auf die physische und psychische Verfassung des Menschen Einfluss

nehmen kann und wahrscheinlich ihrer Erwartung eines wohltuenden Nahrungsmittels gerecht

wird. Doch zu all diesen positiven Aspekten, die sich um den Mythos der Gojibeere ranken,

bilden eine teils hohe Pestizidbelastung, fehlende soziale Standards für die FeldarbeiterInnen,

die Kehrseite der Medaille. Auf diese Kritikpunkte und die Frage, inwiefern der Verzehr und

die Verwendung der Beere als exotisches Superfood unverzichtbar ist und ob heimische Wald-

beeren der Frucht ebenbürtig sind, wird im nachstehenden Kapitel eingegangen.

2.4 Regional - Global – eine Gegenüberstellung

Die steigenden Verkaufszahlen und das wachsende Sortiment der Trendlebensmittel bezieht

sich vorrangig auf exotischen Superfoods. Den regionalen Korrelaten wird zwar weniger Auf-

merksamkeit zuteil, jedoch weisen sie eine ebenso hohe Konzentration an Vitalstoffen auf. Hei-

delbeeren und Hagebutten sind in ihrem Reichtum an Antioxidanzien und Vitamin C den Acai-

und Gojibeeren - vermarktet als Anti-Aging Produkt und Beauty-Food - ebenbürtig. Nicht nur

Chiasamen besitzen eine Vielzahl an Omega-3-Fetttsäuren, sondern auch Leinsamen und Wal-

nüsse (Bingemer 2016: 10f, 118).

20

Das der Chlorella-Alge innewohnende Chlorophyll lässt sich ebenso in der heimischen Brenn-

nessel wiederfinden. Diese besitzt eine beachtliche Menge des grünen Pflanzenfarbstoffes,

nämlich 4,8 mg pro 1g getrockneter Blätter (Ait Haj Said et al.

2015, Inanç 2011). Auch der hohe Eisengehalt der Brennnessel

steht jenem von Chlorella um nichts nach, im Gegenteil, sie be-

sticht mit einer Unmenge an unterschiedlichen Spurenelemen-

ten, wie Kobalt, Selen, Silizium, Zink und Mineralstoffen wie

Magnesium, Kalzium, Kalium, Phosphor. Zudem ist hierbei

nach Ait Haj Said et al. (2015) der hohe Anteil an Proteinen

(30%) und Mineralstoffen (20%) der Pflanze bemerkenswert.

Rutto et al. (2013) zufolge behält die Brennnessel auch den

größten Teil ihrer wertvollen Inhaltsstoffe selbst nach weiterer

Verarbeitung, wie dem Trocknen, Blanchieren, Kochen und

Einfrieren der Blätter, Samen und Wurzeln (Ait Haj Said et al.

2015, Rutto et al. 2013, Zimmermann et al. 2018: 84).

Exotische Superfoods können für eine abwechslungsreiche Ernährungsweise sorgen, sind aber

kein unerlässlicher Bestandteil einer gesunden und ausgewogenen Ernährung, da sich alle le-

benswichtigen Nährstoffe in unseren heimischen Lebensmitteln finden lassen. Superfoods kön-

nen sich besonders im Rahmen eines ganzheitlich bewussten Ernährungsstils am besten entfal-

ten, trotzdem besitzen sie nicht die Wirkkraft eine mangelhafte Ernährung grundlegend auszu-

gleichen oder zu verändern (Rias-Bucher 2015: 11).

Heimische Superfoods können aus unserer unmittelbaren Nähe erworben werden. Um in den

Genuss der größten Anzahl an Nährstoffen der Lebensmittel zu gelangen, werden sie bevorzugt

frisch und unverarbeitet verzehrt. Möglichst natürliche und naturnahe Anbaubedingungen er-

möglichen es den Pflanzen ihre Energie- und Kraftstoffe vollständig zu entwickeln. Daher spielt

auch die Auswahl der Produkte nach ihrer Saison, um ein künstliches Nachreifen oder Konser-

vieren zu vermeiden, eine Rolle (Greiner 2016: 9f, Rias-Bucher 2015: 10f). Ein Vorteil der

heimischen Kraftpakete, die verschiedene Obst- und Gemüsesorten inkludieren, ist jener, dass

wir durch die regionale Verfügbarkeit ihre Aufnahme bereits seit jungen Lebensjahren gewohnt

sind. Vom Körper bisher unbekannte aufgenommene Superfoods können unter anderem aller-

gische Reaktionen oder Unverträglichkeiten auslösen, auch ihre Wechselwirkung mit Medika-

menten ist bisher nur begrenzt erforscht (AK Niederösterreich 2017: 52, Rias-Bucher 2015:

10f). Hinsichtlich der Herkunft und Qualität der Produkte liegt bei heimischen Superfoods mehr

Abb. 5: Die Brennnessel – ein hei-

misches Superfood (Botanikus o.J.)

21

Transparenz vor, da Betriebe biologischer Landwirtschaft hinsichtlich ihrer Produktionsbestim-

mungen strengeren Auflagen unterliegen, als beispielsweise Nicht-EU-Länder. Hierfür stehen

hinter Bio-Produkten ein geringer Energieverbrauch und Emissionsausstoß, neben einem scho-

nenden Umgang mit natürlichen Ressourcen und der Verzicht auf chemische Düngemittel und

Schädlingsbekämpfung (Grach et al. 2016:12). Im Gegensatz dazu tragen Produkte, in denen

exotische Superfoods verarbeitet wurden, kaum eine Auflistung der Herkunftsregionen der ver-

wendeten Superfood-Zutaten. Abgesehen von den käuflich erworbenen Produkten lassen sich

heimische Superfoods, je nach individueller Möglichkeit, selbst anbauen oder in Wäldern, Wie-

sen und Parkanlagen sammeln (GLOBAL 2000 et al. 2017, Rias-Bucher 2015: 11).

Im Vergleich zu regionalen Produkten verzeichnen exotische Superfoods weitaus längere

Wertschöpfungsketten. Diese umfassen globale Produktions- und Verarbeitungsschritte in un-

terschiedlichen Kontinenten, um der steigenden Nachfrage dieser Lebensmittel möglichst nach-

zukommen (Ermann et al. 2018: 40). Der wachsende Bedarf an diesen Produkten hinterlässt

auf seinem Weg von Anbaugebiet bis hin zu den KonsumentInnen seine Spuren. Weitreichende

Umweltbelastungen gehen hierbei Hand in Hand. Beginnend mit einem übermäßigen Ver-

brauch von Ressourcen wie Böden, Wasser und Luft - durch den Einsatz von Pestiziden und

flächendeckenden Rodungen strapaziert -, über Klimaveränderungen und dem Verlust an Bio-

diversität im Pflanzen- und Tierreich, bis hin zu sozialen Konflikten seitens der lokalen Bevöl-

kerung. Ein beachtlicher Anteil an Energie und Rohstoffverlusten ist der Lagerung und Küh-

lung, der Verpackung, sowie der Lebensmittelverarbeitung und der resultierenden Schadstoff-

belastung dieser einzelnen Stationen zuzuschreiben. Zudem kann der Verpackungsabfall nach

Verzehr der Produkte Umweltprobleme durch Deponierung und Müllverbrennung verursachen.

Verglichen mit heimischen Produkten ist der CO2-Fußabdruck exotischer Lebensmittel 30 bis

75-mal größer (GLOBAL 2000 2017, Grach et al. 2016: 10, Koerber et al. 2012: 13f). Gerade

Gojibeeren erzielen einen überaus hohen CO2-Ausstoß. Die folgende Tabelle zeigt den CO2-

Verbrauch exotischer und heimischer Superfoods nach den Testergebnissen von GLOBAL

2000, Südwind und der AK Niederösterreich.

22

Neben den beachtlichen Auswirkungen des Transports auf die Umwelt verbucht auch der Nähr-

stoffgehalt der Superfoods erhebliche Einbußen. Die verschiedenen Früchte, Samen und Ge-

treidesorten verfügen durch ihre Lagerung und ihren Güterverkehr nur mehr über einen Bruch-

teil ihrer beworbenen Wirkung. Weitere Faktoren für die Abnahme der Wirkstoffe sind unter

anderem die frühzeitige Ernte, aber auch die intensive Bearbeitung der Produkte, um ihre Halt-

barkeit zu verlängern. Nährstoffe, wie Vitamine, benötigen unterschiedliche Lagerung und Be-

arbeitung. Beispielsweise gelten A, E und B-Vitamine als besonders lichtempfindlich. Hinge-

gen sollte Vitamin-C Sauerstoff meiden, da es zügig oxidiert (Greiner 2016: 9).

Ein weiterer Auslöser für den Verlust der Nährstoffe ist dem meist hohen Einsatz von Pes-

tiziden zuzuschreiben. In gemeinsamer Kooperation haben die Umweltschutzorganisation

GLOBAL 2000, die Menschenrechtsorganisation Südwind und die Arbeiterkammer Niederös-

terreich im Rahmen eines Superfood-Tests 22 Proben von exotischen und heimischen Super-

foods auf Rückstände von Pestiziden und Schwermetallen untersucht. Die daraus resultierenden

Ergebnisse wiesen unter anderem Überschreitungen von Höchstwerten genutzter Pestizide und

Schadstoffe auf, sowie in der EU nicht zulässige Pestizide, die weitgehende gesundheitliche

Auswirkungen tragen. Zu den nicht zugelassenen Stoffen zählen Amitraz, welches als organ-

schädigend, fortpflanzungsbeeinträchtigend und krebserregend gilt. Carbendazin, das einen

Einfluss auf die Entwicklung genetischer Defekte aufweist, die Fruchtbarkeit beeinträchtigt und

eine schädigende Wirkung auf das Kind im Mutterleib verübt. Chlorpyrifos – ein Nervengift –

das fortpflanzungsschädigende und hormonverändernde Eigenschaften trägt. Zugelassene Pes-

tizide und Schwermetalle besitzen zwar eine weniger toxische Wirkung, sind jedoch

Tab. 2: CO2-Verbrauch exotischer und heimischer Superfoods (GLOBAL 2000 et al. 2017: 6)

23

keineswegs gesundheitsfördernd. Auch bei Gojibeeren wurden bis zu 13 verschiedene Pestizide

und Spuren von Cadmium und Blei gefunden. GLOBAL 2000 et al. (2017) zufolge ist über den

Wirkungskomplex von mehreren Giften bisher wenig bekannt, zudem könnten die einzelnen

Giftstoffe sich in ihrer Wirkung verstärken (GLOBAL 2000 et al. 2017). Im Anbaugebiet China

ist der Gebrauch von Pestiziden je nach Region unterschiedlich geregelt, was wiederum den

Einzug in den internationalen Handel erschwert und nicht gänzlich kontrolliert werden kann

(Yao et al. 2018).

Ein anderer kritischer Punkt, den es in der Superfood-Debatte zu beleuchten gilt, sind die Ar-

beitsbedingungen der Feldbauern und -bäuerinnen, die teils unter prekären Verhältnissen ihre

Tätigkeit verrichten. Großteils mangelt es an zertifizierten Standards. So sind Arbeitende auf

den von Konzernen weitläufig angelegten und gesteuerten Monokulturen, wie in Bolivien,

China oder Peru, dem Einsatz von gesundheitsschädlichen Chemikalien ohne Schutzbekleidung

ausgeliefert. Neben fehlenden Gesundheits- und Sicherheitsstandards, weisen GLOBAL 2000

darauf hin, „dass es Superfood-Plantagen, die die Einhaltung von sozialen Standards, wie exis-

tenzsichernde Löhne und das Verbot von Kinderarbeit, durch unabhängige Zertifizierungen be-

legen können, [kaum] gibt“ (GLOBAL 2000 2017). In Hinblick auf den Anbau der Gojibeeren,

der in dem chinesischen Gebiet Ningxia und dessen Provinz Zhongning exzessiv betrieben

wird, liegt die Entlohnung der FeldarbeiterInnen bei lediglich 15 Cent (USD) für ein halbes

Kilo Beeren. Da die Beeren händisch geerntet werden müssen ist das Billiglohnland China für

ausländische Investoren lukrativer als die Beeren in Europa zu kultivieren (GLOBAL 2000 et

al. 2017, Munchies 2016). Neben der Erwerbstätigkeit auf vorherrschend großflächig

Abb. 6: Eine Feldarbeiterin pflückt Gojibeeren (Munchies 2016)

24

gesteckten Anbaufeldern wird den lokalen Kleinbauern und -bäuerinnen die Möglichkeit auf

einen eigenen Ackerbau verwehrt. Abgesehen von mangelnden Anbauflächen fehlen ihnen fi-

nanzielle Mittel für dessen Bewirtschaftung und nötige Rohstoffe. In Folge ist auch eine Ein-

nahmequelle durch den Verkauf eigener Produkte nicht gegeben und die Summe dieser Um-

stände leistet Anteil an einer sich verstärkenden Armuts- und Hungerslage (AK Niederöster-

reich 2017: 49-52, GLOBAL 2000 2017, Grach et al. 2016: 10-12).

Um die Komplexität globaler Wertschöpfungsketten von Superfoods näher zu beleuchten und

negative Auswirkungen eines konsumorientierten Ernährungssystems zu vermeiden, definieren

Koerber et al. (2012) in Form ihrer Konzeption der Vollwert-Ernährung, eine Ernährungsweise

die sich anhand zentraler Aspekte wie Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft einer

nachhaltigen und zukunftsfähigen Entwicklung bemüht. Im genaueren soll durch diesen Ernäh-

rungsstil eine hohe Lebensqualität, körperliche und geistige Gesundheit, geringe Belastungen

der Umwelt, faire Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, sowie eine soziale Gerechtigkeit glo-

bal unterstützt werden (Koerber et al. 2012: 3). Folgende Abbildung veranschaulicht zentrale

Grundpfeiler und Ziele der Konzeption der Vollwert-Ernährung.

Eine der vier Säulen, auf denen das Konzept fußt, ist die Dimension Gesundheit/Individuum.

Hierbei wird der Fokus auf Ernährung als Teil der persönlichen Gesundheit und des Wohlbe-

findens gesetzt. Ein abwechslungsreicher Ernährungsstil, der die persönliche Gesundheitsver-

träglichkeit der verzehrten Lebensmittel untersucht und bewertet, wird ebenso akzentuiert (Ko-

erber et al. 2012: 3). Die zweite Dimension bezieht sich auf die Auswirkungen der Ernährung

Abb. 7: Dimensionen und Zielsetzung der Vollwert-Ernährung (Koerber et al. 2012: 4, 7)

25

in ökologischer Hinsicht. Der indirekte und direkte Einfluss auf die Umwelt, aber auch die

daraus resultierende Veränderung der Nahrungsmittel-, Lebens- und Gesundheitsqualität der

konsumierenden Menschen, finden im Rahmen der Vollwert-Ernährung ihre Auseinanderset-

zung. In diesem Zusammenhang beleuchten Koerber et al. (2012) die Umweltverträglichkeit

der Produkte und halten hierzu fest,

„dass eine möglichst ressourcenschonende und emissionsarme Erzeugung, Verarbeitung, Ver-

marktung und Zubereitung der Lebensmittel […], außerdem eine möglichst umweltfreundliche

Entsorgung des Verpackungsmülls und der organischen Reste [erfolgen sollte]“ (Koerber et al. 2012: 4).

Unser Ernährungssystem basiert auf verschiedenen Teilbereichen, die ineinander übergehen

und sich gegenseitig beeinflussen. Um diese Vorgänge nachhaltiger zu gestalten, kann der End-

verbraucher der Lebensmittel einen Beitrag leisten, indem auf Produkte aus Bio-Landwirtschaft

zurückgegriffen wird, die eine geringe Belastung an umweltschädigenden Stoffen tragen. In

weiterer Folge wird auf Regionalität und Saisonalität der Lebensmittel geachtet und ebenso

eine klimafreundliche Verpackungsweise unterstützt (Koerber et al 2012: 61).

Ein weiterer Eckpfeiler des Konzepts ist der ökonomische Aspekt des Ernährungssystems

und die Wechselbeziehung von Ernährung und Wirtschaft. Neben globalen Handelsabkommen

und vorherrschender Agrarpolitik wird das Ernährungssystem auf den Umgang mit jenen Men-

schen geprüft, die an der Erzeugung, Verarbeitung, sowie Vermarktung und Zubereitung der

Lebensmittel beteiligt und mit negativen Auswirkungen dieser Prozesse konfrontiert sind. Aus

diesem Grund schätzt das Konzept der Vollwert-Ernährung die Unterstützung gerechter Han-

delsbeziehungen und die damit verbundenen Grundprinzipen des Fairtrade-Systems und deren

Organisationen und Netzwerken. Der Faire Handel positioniert sich als Handelspartner benach-

teiligter Produzenten und unterstützt diese unter anderem in Form einer nachhaltigen Entwick-

lung in Hinblick auf solidarische Geschäftsbedingungen, die eine gerechte Entlohnung und eine

Einkommenssicherheit gewährleistet, gleichermaßen gesundheitliche und soziale Standards der

Arbeitsbedingungen festlegen und umweltfreundliche und nachhaltige Anbaumethoden verfol-

gen (WFTO 2019). Dadurch wird eine soziale und wirtschaftliche Nähe zwischen Globalem

Norden und Globalem Süden sichergestellt. Genauso engagiert sich die Fairtrade-Bewegung

für die Bewusstseinsstärkung seitens der VerbraucherInnnen und tritt für den Wechsel global-

konventioneller Landwirtschaftsmethoden ein (Grach et al. 2016: 14, Koerber et al. 2012: 5,

20).

Die vierte und letzte Säule des Konzepts befasst sich mit der sozialen Komponente unserer

Ernährung und auf welche Weise sie Einfluss auf das Leben anderer Menschen nimmt. Da nicht

jedem derselbe Zugang zu natürlichen Gütern wie Nahrung, Wasser und gleichfalls die

26

Verfügung von Ackerböden für den Eigenanbau, ein würdiger Wohnraum und die Möglichkeit

auf Bildung zuteilwird, entstehen in diesem Zuge besonders in Entwicklungsländern enorme

Ungleichheiten. Koerber et al. (2012) sehen das Ziel eines sozialverträglichen Ernährungsver-

haltens in der Förderung globaler sozialer Gerechtigkeit. Darunter wird in erster Linie die De-

ckung von Grundbedürfnissen nach Nahrung, Kleidung und die Gestaltungsfreiheit einer ange-

messenen Wohn- und Lebensqualität verstanden (Koerber 2012: 5). Denn ein Wandel der Ess-

kulturen in Industrie- und Entwicklungsländern und die daraus hervorgehende Verstärkung der

industriellen Landwirtschaft, sind Ursachen für gravierende soziale Veränderungen (Koerber

et al. 2012: 18f).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Wertschöpfungskette eines exotischen Super-

foods einer kritischen Betrachtung bedarf. Eine Bandbreite an verschiedenen Aspekten, die je

nach Perspektive einen Rattenschwanz an negativen Auswirkungen auf die Umwelt und Bevöl-

kerung nach sich ziehen, gilt es zu hinterfragen. Superfoods aus fernen Ländern, die biologisch

angebaut und unter fairen Handelsbedingungen vertrieben werden, bieten eine Alternative einer

steigenden Nachfrage nach exotischen Geschmackskompositionen nachzukommen. Dennoch

verzeichnen regionale Produkte einen geringeren ökologischen Fußabdruck, können saisonbe-

dingt in unmittelbarer Nähe erworben werden und stehen in puncto Nährstoffdichte und Wir-

kungsfelder den exotischen Exemplaren in nichts nach. Bei der Wahl der jeweiligen Lebens-

mittel bietet das Konzept der Vollwert-Ernährung nach Koerber et al. (2012) KonsumentInnen

eine Orientierungshilfe. Dieses veranlasst die eigene Ernährungsweise zu hinterfragen, sensi-

bilisiert das Bewusstsein für die einzelnen Stationen der Wertschöpfungskette eines Nahrungs-

mittels beginnend mit der Herkunft und den Produktionsumständen, dem Transport und der

Vermarktung der Produkte bis hin zur Entsorgung ihrer Verpackung, und bietet einen Leitfaden

für einen gesundheitlich, ökologisch, ökonomisch und sozial verantwortungsbewussten Ernäh-

rungsstil (Grach et al. 2016: 9).

2.5 Vermarktung von Superfoods und kritische Stimmen

Die Thematisierung und besondere Befürwortung der beworbenen Eigenschaften und Wir-

kungsfelder der Superfoods lässt sich vorrangig in populärwissenschaftlichen Büchern und

Zeitschriften finden. Dementsprechend zirkulieren verschiedene Diskussionsbeiträge in diver-

sen Medienkanälen, darunter vor allem in Sozialen Netzwerken, in dessen Rahmen sich durch

einen regen Informationsaustausch in kurzer Zeit eine breite Anhängerschaft konstituierte.

27

Abgesehen von digitaler Kommunikationsverknüpfung gewinnen immer mehr Superfood-

Kochbücher an Beliebtheit, die inhaltlich einen gesunden Lebens- und Ernährungsstil anhand

von Superfoods propagieren. Im Vergleich dazu sind auf Daten basierende, wissenschaftlich

fundierte Erkenntnisse über die entsprechenden Effekte der Produkte, in der Unterzahl. Den-

noch stehen nicht wenige Ernährungs- und UmweltexpertInnen dem Hype um exotische Super-

foods kritisch gegenüber.

Den steigenden Markt dieser Produkte erklärt sich Nielsen, ein globales Performance Ma-

nagement Unternehmen, durch das wachsende Ernährungsbewusstsein der KonsumentInnen

und die Möglichkeit der Menschen, auf ihre eigene Ernährung und Gesundheit gezielt Einfluss

zu nehmen. Regionale und saisonale Produkte gewinnen zunehmend an Relevanz und werden

von einer wachsenden Personengruppe bevorzugt, trotzdem sind es gerade exotische Super-

foods, die den Wunsch der VerbraucherInnen nach neuen Produkten und ihren vielfältigen An-

geboten hervorrufen. Hierfür sprechen die rasant angestiegenen Verkaufszahlen der letzten

Jahre. In Deutschland lag 2014 der Umsatz von Superfoods bei 1,5 Millionen Euro, 2016 hin-

gegen erreichte er 42,6 Millionen Euro. Die vielen Wahlmöglichkeiten unterschiedlicher exo-

tischer Lebensmittel und deren beworbenen ernährungsphysiologischen Effekte, sind zudem

mit einer wachsenden Bereitschaft seitens der VerbraucherInnen höhere Ausgaben für ihre er-

worbenen Produkte zu verbuchen, gekoppelt (Nielsen 2017). Folgende Abbildung zeigt den

Anstieg der Verkaufszahlen von Superfood um das 30-Fache im Lebensmitteleinzelhandel

Deutschlands von 2014 auf das Jahr 2016.

Auch in Österreich haben Superfoods über die letzten Jahre einen Aufschwung erlebt. Im Jahr

2018 wurden im Zeitraum von Januar bis Oktober 8,2 Millionen Kilo Avocado im Wert von 26

Millionen Euro nach Österreich eingeführt, um den Bedarf dieser Frucht ganzjährig zu decken.

Der Anstieg des Avocado-Konsums in Europa von 2016 bis 2018 beträgt um die 65% in Form

Abb. 8: Verkaufszahlen von Superfood (nach Nielsen 2017)

28

von 650.000 Tonnen des grünen Goldes (Die Presse 2019a). Gerade die vermarkteten Eigen-

schaften und Wirkungsfelder der Produkte vermögen viele KonsumentInnen zu dessen Kauf

bewegen. Doch je nach AutorenInnenquelle sind diese Lebensmittel mit unterschiedlichen Fä-

higkeiten behaftet. So sind beispielsweise nach Wolfe (2015) Superfoods nicht bloße Lebens-

mittel mit wertvollen Inhaltsstoffen, sondern sie sind zwischen den beiden Instanzen Nahrungs-

mittel und Heilpflanze positioniert. Superfoods vereinen somit den nährenden Charakter eines

Lebensmittels mit medizinischer Wirkung (Wolfe 2015: 11). Bei diesem Ansatz wird den Ver-

braucherInnen vermittelt, anhand von Ernährung maßgeblich auf ihr gesundheitliches Befinden

einwirken zu können. Neben dem medizinischen Aspekt dieser Begriffsauslegung heben die

Autoren Weiss/Bor (2013) eine spirituelle und bewusstseinserweiternde Komponente als Ei-

genschaften dieser Lebensmittel hervor und beschreiben ihren Einfluss wie folgt:

„Superfoods versetzen dich in die Lage, deinem Alltagsleben in einer konstanten Höchstform zu

begegnen und viel mehr zu leisten, körperlich und geistig. Du hast einen besseren Zugang zu deiner Kreativität und bist viel inspirierter. Glückseligkeit und Urvertrauen in deine eigenen Kräfte werden

immer mehr zunehmen, und du wirst das Gefühl haben, von innenheraus kraftvoll zu leuchten“

(Weiss/Bor 2013: 8f).

Durch eine derartige Darstellung der Fähigkeiten von Superfoods werden ihnen übernatürliche

Kräfte zugeschrieben, die besonders auf den Zustand der Psyche gesundheitsfördernden und

wohltuenden Einfluss nehmen. Aus dem Blickwinkel dieser Autoren wird durch den Verzehr

von Superfoods eine körperliche und geistige Vollkommenheit angestrebt. Obwohl das Zusam-

menspiel dieser facettenreichen Wirkungsfelder wenig realistische Veränderungen garantieren

ist es nicht unmöglich, dass Superfoods – gleich einem Placebo - die von VerbraucherInnen

erwarteten Effekte in der Tat Wirkung zeigen (Clausen 2015: 195).

Trotz des unterschiedlichen Verständnisses der einzelnen Fähigkeiten der Superfrüchte und

des Supergemüses lassen sich dennoch jene Eigenschaften festmachen, die mit der Vermark-

tung der Produkte am häufigsten einhergehen. Zu den zentralen Versprechen zählen in Bezug

auf die physische Verfassung des Körpers ein starkes Immunsystem, gesteigerte Leistungsfä-

higkeit und Energie, sowie die Stärkung und der Schutz der Organe zur Vorbeugung verschie-

dener Erkrankungen. Hinsichtlich des psychischen Zustandes werden besonders Gefühlszu-

stände wie innere Ausgeglichenheit, gute Laune und eine gesteigerte Glücksempfindung pro-

pagiert. Bezüglich des optischen Erscheinungsbildes werden vor allem die Anti-Aging-Effekte

zur Stabilisierung von Jugendlichkeit und Schönheit in den Fokus gesetzt (Bingemer 2016: 15,

Khaldun et al. 2015, Wolfe 2015: 33ff).

In diesem Zusammenhang betont Harald Seitz, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Bundes-

zentrums für Ernährung, dass grundsätzlich eine Ernährungsweise mit einem hohen Vitamin-

29

und Mineralstoffgehalt zu befürworten ist. Jedoch sollten KonsumentInnen sich durch Verspre-

chungen der vermarkteten Superfoods nicht blenden lassen, denn „[w]enn man sich ausschließ-

lich von sogenannten Superfoods ernährt, wird man weder glücklicher, reicher, schöner noch

älter“, […] [daher sollte man] von geschickt vermarkteten Hochpreisprodukten […] kein Wun-

der erwarten“ (BZfE 2015). Seitz stellt klar, dass Superfood zumal als Marketingbegriff zu

definieren ist, da kein Lebensmittel alle Wirkstoffe inkludiert. Für ihn ist „eine ’Superfood-

Ernährung’ […] nichts anders als abwechslungsreich essen, möglichst unverarbeitete und fri-

sche Lebensmittel und vor allen Dingen auch bewusst essen“ (BZfE 2015).

Neben einer erfolgreichen Marketingstrategie, die hinter der Trendbewegung steht, pointiert

Ernährungswissenschaftler Jürgen König - tätig am Institut für Ernährungswissenschaften der

Uni Wien -, das fehlende Nährstoffwissen und unzureichende Kenntnisse der VerbraucherIn-

nen über die Zusammensetzung von Lebensmitteln. In Folge überwiegt die Zuversicht durch

den Verzehr exotischer Produkte ungesunde Ernährungsroutinen zu durchbrechen (Der Stan-

dard 2018). Die vermarkteten Wirkungsbereiche der Superfoods werden teils von auf datenba-

sierenden Forschungsfakten eingeholt. Gerade das stark beworbene und vielkonsumierte Ko-

kosöl ist vor kurzem seitens ErnährungsexpertInnen in Ungnade gefallen. Hierzu klärte die

ehemalige Harvard-Professorin und temporäre Institutsleiterin für Prävention und Tumor-Epi-

demiologie des Universitätsklinikum Freiburg, Karin Michels, im Rahmen ihres Vortrags zum

Thema Von Kokosöl und anderen Ernährungsirrtümern über den negativen Einfluss von Ko-

kosöl als vermeintliches Superfood auf. Dabei hält Michels (2018) fest,

„dass [e]s […] nicht eine einzige Studie am Menschen [gibt], die irgendeine positive Wirkung

von Kokosöl zeigt. Kokosöl ist gefährlicher für Sie als Schweineschmalz, […] weil es noch

mehr gesättigte Fettsäuren hat, und fast keine essenziellen Fettsäuren, die wir brauchen“ (Mi-chels 2018).

Die Wirkungsfelder des Kokosöls würden sich von der Minderung von Diabetes und Herz-

Kreislauf-Erkrankungen, Zahnfleischentzündungen, über die Förderung von Energie und Aus-

dauer, bis hin zur Unterstützung von Gewichtsverlust, spannen (American Heart Association

2017, Süddeutsche Zeitung 2017). Michels hingegen unterstreicht diese Eigenschaften als Er-

nährungsmythen und akzentuiert besonders die in der Kokosnuss zu 92% vorhandenen gesät-

tigten Fettsäuren, die Herzkranzgefäße verstopfen und die Herz-Kreislauf-Gesundheit erheb-

lich schaden. Heimisches Sonnenblumenöl, aber auch Lein- und Olivenöl, versorgen den Kör-

per mit essenziellen ungesättigten Fetten (Michels 2018). In diesem Zusammenhang erklärt

Lisa Young, Assistenz-Professorin für Ernährung an der New York Universität und Ernäh-

rungsberaterin, die beworbenen Effekte, die sich um das Kokosöl ranken, besonders auf seine

Eigenschaften als wirksames Mittel zur Unterstützung der Gewichtsabnahme, wie folgt:

30

“It’s a moderation thing” […] “People don’t want to face reality when it comes to their own

dieting, their own health. They want to believe in wishful thinking. […] But thinking you can

have unlimited amounts of one particular thing and everything will disappear is not based on

reality” (American Heart Association 2017).

Schließlich erzielt eine auf Wünschen und Irrglaube basierende Ernährungsweise nicht zwangs-

läufig erwartete Ergebnisse. Der Verzehr bestimmter exotischer Lebensmittel veranlasst nicht

grundlegende Veränderungen, wie die Umformung der körperlichen Silhouette oder eine ge-

steigerte Leistungsfähigkeit. Daher scheint eine auf Forschungsdaten basierende Auseinander-

setzung mit den für gesundheitsförderlich empfundenen exotischen Superfoods teils weitrei-

chende Differenzen aufzuweisen.

Nun ist auch die Verzehrmenge ein ausschlaggebender Punkt für resultierende Veränderun-

gen, jedoch gibt es hinsichtlich der empfohlenen Nahrungsmittelzufuhr der einzelnen Super-

foods keine flächendeckende Aufklärung. Beispielsweise wird auf Produkten, wie Superfood-

Pulvern, darunter Algen wie Spirulina und Chlorella oder Samen, wie Chiasamen auf eine max.

Tagesdosis verwiesen, hingegen andere Superfoods, wie Gojibeeren werden häufig ohne Zu-

fuhrempfehlung verkauft. Je nach Hersteller wird auf den beworbenen Produkten auf eine täg-

liche empfohlene Verzehrmenge verwiesen oder auf dessen Vermerk verzichtet. Von der brei-

ten Palette an Obst und Gemüse kann viel genossen werden, dennoch trifft dies nicht immer zu,

da laut Bingemer/Gerlach (2015) von Gojibeeren oder Macacpulver lediglich 1-2 Teelöffel pro

Tag verzehrt werden sollten, da beide Lebensmittel Auswirkungen auf den Hormonhaushalt

haben können (Bingemer/Gerlach 2015: 12). Weiter sollten laut Bundesinstitut für Risikobe-

wertung (BfR), Personen, die gerinnungshemmende Arzneimittel zu sich nehmen, auf den Ver-

zehr von Gojibeeren gänzlich verzichten, denn die Beerenfrucht scheint sowohl in getrockneter

als auch in Form von Säften, den Abbau dieser Medikamente zu verhindern und in Folge zu

einer bedrohlichen Wirkstoffanreicherung und Blutungsneigung beizutragen (Clausen 2015:

194). Zu häufig konsumierten blutverdünnenden Arzneimitteln zählen beispielsweise Aspirin

(Schmerzmittel) und Thomapyrin (Kopfschmerzmittel). Nach Amagase/Farnsworth (2011) sei

der Verzehr von täglich 15-30g getrockneten und 150g frischen Gojibeeren ausreichend (Ama-

gase/Farnsworth 2011). Hinsichtlich der enthaltenen Nährstoffe der Produkte fehlen teils aus-

sagekräftige wissenschaftlich fundierte Beweise zu den Inhalts- und Wirkstoffen der exotischen

Lebensmittel, die meist mit ausgeschmückten, teils sagenumwobenen Erzählungen, über entle-

gene Orte ferner Länder und magische Kräfte weiser Kulturvölker, behaftet werden. Hierbei

scheint der Beiwert an Exotik der Produkte einen markanten Beitrag zu leisten (Clausen 2015:

193). Im Kontext von Verzehrmenge und Nährstoffgehalt der Produkte, hält die Österreichische

Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) fest, dass Lebensmittelunternehmen

31

nach der EU-Verbraucherinformationsverordnung verpflichtet sind, die Big Seven an Nährstof-

fen (Brennwert, Fett, ungesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß, Salz) an Pro-

duktverpackungen anzugeben. Weitere Angaben wie die Verzehrmenge ist nicht verpflichtend

anzuführen und zusätzliche Vitamine und Mineralstoffen können angegeben werden, dann je-

doch in Kombination mit dem Prozentsatz der Referenzmenge des Nährstoff-Tagesbedarf

(AGES 2019).

Neben den im Handel verzehrbereiten Superfoods, zum großen Teil in Form von angereicher-

ten Produkten verarbeitet, die als Convenience Food die Supermarktregale füllen, hat die An-

zahl an Superfood-Kochbüchern ebenso enorm zugenommen und Einzug in die verschiedenen

Küchen der Menschen gehalten. Der Fokus der zubereiteten Rezepte liegt primär auf der För-

derung einer gesunden und wohltuenden Ernährungsweise. Kochkunst, gepaart mit Ernäh-

rungsbewusstsein, trifft den Nerv der Zeit. Demnach verfolgen viele KöchInnen und Buchau-

torInnen einen solchen Ansatz und veröffentlichen neue Werke als Leitfaden für einen gesund-

heitsfördernden Ernährungsstil, gefolgt von Gaumenfreuden ohne Verzicht auf Geschmack.

Die Titel dieser Bücher tragen vorrangig Begriffe wie gesund, wohlfühlend, natürlich, glücklich

und viele weitere. Auch Jamie Oliver, der weltbekannte Küchenchef mit einer weitreichenden

Abb. 9: Angebot von Superfood-Pulver in einem Bio-Markt in Ro-

senheim (eigene Aufnahme 2018)

32

Publikumsresonanz, hat den hohen Marktwert des Begriffs Superfood erkannt und im Jahr 2015

sein damals neu erschienenes Buch mit dem Titel: Everyday Super Food. Recipes for a health-

ier happier you vorgestellt. Im Klappentext hält er seine Gedanken zu diesem Kochbuch fest

und schreibt: “My wish is that this book will inspire and empower you to live the healthiest,

happiest, most productive life you can” (Oliver 2015). Demzufolge wird der Beitrag an einer

maßgeblichen Veränderung der psychischen und physischen Verfassung der KonsumentInnen

durch die Umsetzung der darin präsentierten Rezepte vermittelt. Ausgewogene, unkomplizierte

und gesunde Rezepte sollen satt machen, gut schmecken und für glücklich und wohlfühlende

Gemüter sorgen. Aufgrund des Erfolgs dieses Buches knüpfte Jamie Oliver an dieser Thematik

an und veröffentliche im Folgejahr 2016 ein weiteres Buch mit dem Titel: Super Food. Family

Classics (Oliver 2016). Ein anderes Buch mit aussagekräftigem Titel ist jenes der Küchenchefin

und Ernährungsberaterin Iserloh Jennifer und wird im Jahr 2019 erscheinen. Es trägt den Titel

The Superfood Alchemy Cookbook. Transform Nature´s Most Powerful Ingredients into Nour-

ishing Meals and healing Remedies. Hierbei finden Rezepte ihren Ausdruck, die heilende Ei-

genschaften tragen und beispielsweise das Immunsystem stärken sollen, entzündungshem-

mende Wirkung aufweisen, aber auch die Stabilisierung und Erhaltung einer gesunden Darm-

flora und eine mentale Stärke fördern (Iserloh 2019).

Da das Kochen der eigenen Mahlzeiten als zentraler

Aspekt einer gesunden und vielseitigen Ernährung gilt

und gerade dieses Ziel im Rahmen der Superfood-Bewe-

gung fokussiert wird, ist das Zubereiten einzelner Spei-

sen mit Superfood-Zutaten für viele VertreterInnen die-

ses Trends ein täglicher Bestandteil ihres Ernährungs-

stils. Besonders beliebt ist hierbei die Zubereitung ver-

schiedener gesunder Snacks, die weder eine hohe Koch-

kunst erfordern noch mit einem zeitlichen Aufwand ver-

bunden sind, dennoch gut schmecken und über einen

längeren Zeitraum sättigen. So haben sich vor allem jeg-

liche Formen von Smoothie-Rezepten etabliert. Egal ob als Saft für unterwegs, oder als soge-

nannte Smoothie Bowls, die mit zusätzlichen Superfoods, wie Gojibeeren, Chiasamen, Cacao

Nibs, Kokosflocken und vielen weiteren ihrer Art kunstvoll verziert werden, gibt es unzählige

Literatur mit passenden Rezeptideen.

Abb. 10: Smoothie-Acai-Bowl mit Super-

foods (Healthy and Psyched 2016)

33

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Modeerscheinung Superfood, sowohl Befür-

worterInnen als auch KritikerInnen findet. Ob es sich hierbei um eine temporäre Trendbewe-

gung handelt, oder ob sich eine konstante Ernährungsweise manifestiert, wird sich in den kom-

menden Jahren zeigen. Fakt ist, dass die Verkaufszahlen rund um exotische Superfood konti-

nuierlich steigen und den Bedarf an diesen Produkten erhöhen. Als Gegenbewegung kann die

Rückbesinnung auf regionale und saisonale Lebensmittel gesehen werden, die ebenso vermehrt

Anhängerschaft findet und zudem unsere heimischen Superfoods wieder in den Vordergrund

rücken lässt. Unabhängig wie Superfoods und deren Wirkungsfelder gedeutet und verzehrt wer-

den, eine ausgewogene und abwechslungsreiche Nahrungsauswahl bietet genau jene facetten-

reiche Ernährungsweise, die uns mit allen lebensnotwenigen Nährstoffen versorgt. Daher soll-

ten den vielseitigen Versprechungen stark interessensgesteuert-vermarkteter Lebensmittel nicht

zu viel Glauben geschenkt und kritisch hinterfragt werden.

3. Die Komplexität der Ernährungsstile

Die Ernährungsweise eines jeden Menschen entsteht durch das Zusammenwirken vieler Fakto-

ren. Herkunft, Religion, Kapital, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, Modeer-

scheinungen, Geschlecht und viele weitere Parameter tragen maßgeblich zu der Konstruktion

eines Ernährungsstils bei. In der modernen Gesellschaft gibt es einige Begriffe, die beschreiben,

welche Ernährungsformen sich etablierten und sie geben Einblick, welche Nahrungsmittel auf-

grund bestimmter Einstellungen und eines Wertesystems bevorzugt oder abgelehnt werden.

Personengruppen mit konkretem Ernährungsprofil wie FleischesserInnen, PescetarierInnen,

VegetarierInnen, FrutarierInnen, RohköstlerInnen oder VeganerInnen finden immer mehr An-

hängerschaft und verdeutlichen die Vielfalt der breiten Palette an Auslegungen von Ernährung.

Diese und weitere Ernährungsstile konstituieren sich aus mehreren Bewegungen. Ernährungs-

stile manifestieren sich unter anderem durch gesellschaftlichen Zwang, der - durch Kollektiv

und Familie geprägt – als Träger auferlegter Ernährungsparadigmen gilt, oder durch individu-

elle Präferenzen, die aufgrund persönlicher Weiterbildung über die Bevorzugung der Lebens-

mittel entscheidet (Ermann et al. 2018: 224).

In Folge werden nun Ernährungs- und Konsumpraktiken näher betrachtet und es wird ver-

sucht, dabei zu zeigen wie komplex unser Ernährungssystem ist, welche Einflüsse es hat, wel-

chen Veränderungen es unterliegt, wie es Ausdruck im alltäglichen Leben findet, sowie welche

Rolle Superfoods im Rahmen eines modernen Ernährungs- und Lebensstils spielen.

34

3.1 Ernährungspraktiken – Habitus und demonstrativer Konsum

Ernährungsweisen und deren zugehörige landwirtschaftliche Produktion, tragen zweifelsohne

zur Identitätsbildung einer Kultur bei. Unterschiedliche Wertvorstellungen, Traditionen und

Religionszugehörigkeit formen verschiedenartige Speise- und Fastenrituale, legen Essenstradi-

tionen für besondere Feierlichkeiten fest und schaffen in Summe Zusammengehörigkeit und

kollektive Identität einer Menschengruppe. Während teils das Festhalten an diesen Ernährungs-

wegweisern für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres täglichen Lebens ist, wurde un-

ser Essverhalten und die Produktion von Lebensmitteln einerseits durch klimatische Verände-

rungen beeinflusst, jedoch vorrangig durch globale Handelsbeziehungen und Wertschöpfungs-

ketten zunehmend vereinheitlicht. Demzufolge wurden auch die Verfügbarkeit und der Vertrieb

exotischer Lebensmittel um ein Vielfaches erhöht (Ermann et al. 2018: 170ff, Mohrs 2014: 57).

Der kollektiven Identität, ausgedrückt durch gemeinschaftsstiftende Ernährungspraktiken,

steht eine individuelle Identität gegenüber, die durch einen Ernährungsstil, basierend auf per-

sönlichen Wertvorstellungen, Gepflogenheiten und Konsumpräferenzen, geprägt ist. Um die

Unterschiede in Lebensführung, Konsumpraktiken, Stil und Geschmack eines Menschen zu

durchblicken und grundsätzlich die Bedeutung von Praxisstrukturen zu erläutern, leistet beson-

ders der französische Soziologe Pierre Bourdieu mit seiner Habitus-Konzeption einen funda-

mentalen Beitrag (Abels 2009: 303). Der Habitus steht für ein Konstrukt an verschiedenen

Denk- und Wahrnehmungs-, aber auch Ordnungs- und Bewertungsmustern, die als Leitlinien

zur Beurteilung kultureller Praktiken gelten. Diese inkludieren unter anderem die Wertvorstel-

lungen einer Person, deren Gewohnheiten oder Vorlieben (Fuchs-Heinritz/König 2011: 112f).

Bourdieu spricht vom Habitus als ein „Erzeugungsprinzip und Klassifikationssystem objektiv-

klassifizierbarer Formen von Praxis“, welches das Leben in einer Klassengesellschaft und des-

sen Handlungsspielräume definiert und lenkt (Bourdieu 1982: 278). Die gesellschaftlichen

Strukturen konstruieren den Habitus, der sich in Form von vielseitigen Lebenspraktiken äußert

und sich in ebendiesen erneut reproduziert (Fuchs-Heinritz/König 2011: 184).

Innerhalb des Sozialgefüges sind fundamentale Gegensatzpaare wie oben/unten oder

reich/arm jene Parameter, die die soziale Position und den Status eines Menschen in der Ge-

sellschaft determinieren (Abels 2009: 304, Bourdieu 1982: 279). Nach Bourdieu (1982) „[kon-

stituiert sich] aus den zwei zentralen, den Habitus definierenden Leistungen, der Hervorbrin-

gung klassifizierbarer Praxisformen und Werke zum einen, der Unterscheidung und Bewertung

der Formen und Produkte (Geschmack) zum anderen, […] der Raum der Lebensstile“ (Bour-

dieu 1982: 277f). Je nach Klassenzugehörigkeit findet nach Bourdieu die Lebensgestaltung und

auch das Ernährungsverhalten der Menschen anderen Ausdruck. Ausgestattet mit

35

ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital finden die Menschen ihre Position in der Ge-

sellschaft, die hierarchisch gegliedert ist (Fuchs-Heinritz/König 2011: 46).

Bourdieu sieht in vielen Lebensbereichen der zwei Klassen Unterschiede vorliegen. So sind

auch in den Präferenzen von Nahrung und dessen vielseitige Gerichte weitreichende Differen-

zen des Geschmacks festzuhalten. Hierbei unterschiedet Bourdieu in zwei Geschmackskon-

zepte, die Resultat andersartiger Sozialisation und Verinnerlichung des klassenspezifischen Ha-

bitus sind, sowie den Besitz über kulturelles Kapital und die Position der Person in der Sozial-

struktur darstellen. Demnach ist der Luxusgeschmack oder legitimer Geschmack der oberen

Gesellschaftsschicht, der Bourgeoisie und dem Bildungs- und Großbürgertum zuzuschreiben.

Hinsichtlich der Nahrung werden hier besonders fettarme beziehungsweise magere, leicht zu

verdauende und nicht dick machende Kost wie Fisch, Rinder-, Kalb-, Hammel- und Lamm-

fleisch, Obst und Frischgemüse bevorzugt. Die Herstellung der Gerichte erfolgt meist mit ex-

quisiten teuren Zutaten, präsentiert in überschaubaren Portionen und verspeist in geschmack-

vollem und edlem Ambiente. Der Luxusgeschmack ist nach Fuchs-Heinritz/König (2011) „ge-

prägt durch einen selbstverständlichen Sinn für Distinktion, durch ein […] Gefühl dafür, das

einzig Angemessene und kulturell-ästhetisch Richtige zu kennen und zu praktizieren“ (Fuchs-

Heinritz/König 2011: 186f). Hierbei werden besonders ästhetische Produkte und Produktions-

weisen bevorzugt und eine klare Abgrenzung von Funktionalität und Einfachheit suggeriert.

Nach Abels (2009) ist „[d]ie [damit verbundene] ästhetische Einstellung […] durch [einer] Dis-

tanz zur Notwendigkeit gekennzeichnet“ (Abels 2009: 305f). Hauptaugenmerk liegt beim Lu-

xusgeschmack zudem auf die im Herkunftsmilieu erworbenen ästhetisch relevanten kulturellen

Erkenntnisse und die Verfügung über ausreichend ökonomischem Kapitel, in weitläufiger Dis-

tanz zu Notwendigkeiten in unterschiedlichen Lebensbereichen (Fuchs-Heinritz/König 2011:

187).

Im Kontrast dazu wird die Präferenz von deftigen, schwer verdaulichen, sättigenden und

günstigen Nahrungsmitteln, wie Bohnen, Kartoffeln, Nudeln oder Schweinefleisch, als Form

des Notwendigkeitsgeschmacks oder als mittlerer beziehungsweise populärer Geschmack der

Unterschicht tituliert (Abels 2009: 304, Bourdieu 1982: 285-288, Fuchs-Heinritz/König 2011:

186f). Der Geschmack der unteren Klasse wird mit Not und Mangel in Verbindung gesetzt. Die

Entscheidung für die jeweiligen Produkte und Praktiken liegt hierbei für das Notwendige, Prak-

tische, Funktionale und Einfache (Bourdieu 1982: 594, Fuchs-Heinritz/König 2011: 189). Den-

noch strebt nach Bourdieu die untere Klasse nach dem Luxuskonsum der Oberschicht und dies

zeigt sich in der Nachahmung diverser Produkte, wie wenn beispielsweise statt Champagner

36

der kostengünstigere Schaumwein getrunken wird (Bourdieu 1982: 602). Den Unterschied zwi-

schen Luxus und Notwendigkeitsgeschmack hält Bourdieu (1982) wie folgt fest:

„Die wirkliche Ursache der in Konsum […] zu beobachtenden Unterschiede beruht im Gegen-

satz zwischen dem aus Luxus (und Freizügigkeit) und dem aus Not(-wendigkeit) geborenen Geschmack: ersterer eignet jenen Individuen, die unter materiellen Existenzbedingungen auf-

gewachsen sind, deren Kennzeichen die durch Kapitalbesitz abgesicherte Distanz zur Not(-wen-

digkeit), Freiheit und Freizügigkeit oder wie es zuweilen heißt, Erleichterungen sind; letztere bringen gerade in ihrem Angepasstsein die Notlagen und Zwänge zum Ausdruck, aus denen sie

hervorgegangen sind. In diesem Sinne lässt sich der Geschmack der unteren Klassen für gleich-

ermaßen nährende wie sparsame Nahrung […] aus der Notwendigkeit zu weitestgehender kos-

tensparender Reproduktion der Arbeitskraft ableiten, der sich das Proletariat, wie seine Defini-tion bereits besagt, zwangsläufig beugen muss“ (Bourdieu 1982: 289f).

Die Teilung des Geschmacks in Luxusgeschmack und Notwendigkeitsgeschmack ist somit

Sinnbild einer vorherrschenden Klassenstruktur, die den Zweck einer kulturellen Abgrenzung

trägt. Der Geschmack ist hierbei nicht individuell wählbar, sondern wird vom Klassenhabitus

bestimmt und festgelegt. Soziale Differenzen verfestigen sich, indem die Zugehörigkeit der ei-

genen und die Abgrenzung der fremden Klasse vertreten wird. Der Konsum von legitimem

Geschmack und deren Produkte konstruiert einen - in Bezug auf die Machtverhältnisse und

Hierarchie der Kulturgüter - Distinktionsgewinn, der eine akzeptierte Hierarchie der Konsu-

menten (re-)produziert (Abels 2009: 312, Bourdieu 1982: 105, Fuchs-Heinritz/König 2011: 60).

Diese vorherrschende Distinktion, ist Triebwerk einer sozialen Ungleichheit, die sich aus der

strukturellen Reibung der Lebensstile der jeweiligen Klassen manifestiert. Vor allem der oberen

Gesellschaftsschicht ist es ein Anliegen sich von der anderen Klasse zu unterscheiden (Bour-

dieu 1982: 108). Die konkreten Vorstellungen in Bezug auf Geschmack, wie die Definition von

Ästhetik der Oberschicht, dient hervorragend, um soziale Imbalance zwischen den Klassen zu

legitimieren (Fuchs-Heinritz/König 2011: 195f).

Diese Thematik der Entstehung und Festigung hierarchisch sozialer und kultureller Dominanz

der oberen Gesellschaftsschicht durch die Ausübung verschiedener Konsumpraktiken greift

ebenso der norwegisch-amerikanische Soziologie Thorstein Veblen in seinem 1899 erschienen

Werk Die Theorie der feinen Leute auf (Lenger/Priebe 2013: 91f). Darin erläutert er die vor-

herrschende Distinktion zwischen der oberen und unteren Klasse und betont darüber hinaus die

explizite Zurschaustellung der Überlegenheit der hohen Klasse (leisure class) durch demonst-

rativen Konsum (conspicious consumption). Konsum und Reichtum stehen für Veblen als Sinn-

bilder für Wertigkeit und Fleiß, die sich in seinem Begriff Werkinstinkt bündeln. Besitz etabliert

sich folglich durch das Aufkommen regulierter Arbeitsverhältnisse als Grundstock sozialer An-

erkennung (Abels 2009: 297f). Entwickeltes Konkurrenzverhalten der Menschen und

37

zunehmende Rivalität beschreibt Veblen als einen neidvollen Vergleich, der in einem Verlan-

gen nach Prestige mündet und als Motor menschlichen Handelns gilt (Lenger/Priebe 2013: 95,

Veblen 2011: 34). Veblen (2011) formuliert seine Gedanken wie folgt:

„In einer Gesellschaft, die daran gewöhnt ist, derartige Vergleiche zu ziehen, wird der allen

sichtbare Erfolg zur Grundlage des Ansehens und zum Selbstzweck. Man demonstriert die ei-

gene Leistung, um Prestige zu gewinnen und der Missachtung zu entgehen. So führt der Wer-kinstinkt schlussendlich zu einer auf Konkurrenz beruhenden Demonstration der Macht“ (Veb-

len 2011: 34).

Die Sichtbarmachung und vehemente Demonstration von Erfolg, manifestiert sich zum unab-

dinglichen Koeffizienten für Anerkennung und Prestige. Dafür gilt nach Veblen primär der

materielle Reichtum als Voraussetzung (Lenger/Priebe 2013: 95ff). Zentral ist hierbei die Prä-

sentation des eigenen Besitzes und Geschmacks. Hat die Menge an erworbenen Gütern, ein

derart großes Volumen angenommen, sodass diese nicht mehr durch eine Person präsentiert

werden kann, werden stellvertretend großzügige Geschenke und Feierlichkeiten arrangiert, um

die eigene Prestigebildung zu fördern, indem andere in Folge Zeugen des Reichtums des Gast-

gebers werden und konsumieren (Veblen 2011: 85). In diesem Zusammenhang werden nach

Lenger/Priebe (2013) „der demonstrative Konsum [der oberen Gesellschaftsschicht] für die ge-

samte Gesellschaft zur anerkannten Strategie zur Genese von Prestige und zur Demonstration

der sozialen Position im sozialen Vergleich“ (Lenger/Priebe 2013: 96).

Neben der Betonung der eigenen Überlegenheit und der bestmöglichen Positionierung der

eigenen Person in einem gesellschaftlichen Machtgefüge, artikuliert Veblen jene Facette dieser

Zurschaustellung als zentralen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der KonsumentIn-

nen. Anerkennung und Achtung wird dem/der Wohlhabenden nur durch die Präsentation sei-

nes/ihres Besitzes zuteil. Hierbei erfährt die Person neben der Wertschätzung ihres Umfeldes,

eine Steigerung des Selbstwertgefühls, das durch die Kenntnis ihrer Mitmenschen über ihren

Besitz gebildet, gestärkt und erhalten wird. In diesem Sinne wird der Mensch grundlegend auf

seine materiellen Güter reduziert und bewertet. Veblen (2011) erläutert seine Sichtweise in fol-

genden Worten:

„Um Ansehen zu erwerben und zu erhalten, genügt es nicht, Reichtum und Macht zu besitzen.

Beide müssen sie auch in Erscheinung treten, denn Hochachtung wird erst ihrem Erscheinen

gezollt. Das Zurschaustellen von Reichtum dient jedoch nicht allein dazu, anderen die eigene Wichtigkeit vor Augen zu führen und sie in ihnen lebendig zu erhalten, sondern auch dazu, das

persönliche Selbstbewusstsein zu stärken und zu erhalten“ (Veblen 2011: 52).

Die dabei entstehende Distinktion zwischen Haben und Nichthaben liegt nach Veblen, wie auch

bei Bourdieu, vor allem in der differierenden Geschmacksempfindung der Menschen. Nach

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Veblen kann primär durch kostspielige Güter ein Distinktionsgewinn erzielt werden. Da dieser

Erwerb wiederum von der unteren Klasse nachgestrebt wird, ist es die obere Gesellschafts-

schicht, die anhand ihrer Praktiken, Vorlieben und Wahl ihrer Konsumgüter Symbole zum so-

zialen Stellenwert eines Menschen innerhalb der Gesellschaft vermittelt. Der Gcschmack der

leisure class trägt eine formgebende Rolle gesellschaftlich sozialer Praktiken und definiert die

Wahrnehmung ästhetischen Geschmacks und Sittlichkeit. Nach Veblen (2011): „[beeinflusst]

[d]as Gesetz der demonstrativen Verschwendung […] den Konsum an Kleidung wie ja auch an

anderen Dingen vor allem in indirekter Weise, nämlich indem es zunächst die Regeln des Ge-

schmacks und der Wohlanständigkeit bildet und ausprägt“ (Veblen 2011: 165). Nach Len-

ger/Priebe (2013) wird der gute Geschmack zum gemeinsamen Merkmal der oberen Klasse und

fungiert als Grundlage für subjektive Konsumvorlieben und den Lebensstil, die wiederum die

Zugehörigkeit der jeweiligen sozialen Gruppe repräsentieren (Lenger/Priebe 2013: 99).

Die Kenntnisse, um in edle und gemeine Güter zu differenzieren, und die Aneignung ästhe-

tischer Fähigkeiten, werden nach Veblen zu einer Pflicht (Veblen 2011: 84). Die Normen des

Geschmacks sollen verinnerlicht werden. Kostspielige Gegenstände und Lebensstile werden

mit Schönheit und Ästhetik verbunden, günstige hingegen mit Hässlichkeit assoziiert (Veblen

2011: 133). Um ständig informiert zu sein und vorherrschende Geschmackswahrnehmungen zu

befolgen, bedarf dies einer Anstrengung und Strebsamkeit dem vorherrschenden Prestigewert

mit dem angemessenen Verhalten zu entsprechen (Abels 2009: 301). Somit nimmt die Wertig-

keit von durch Konsum erworbenes Ansehen und Prestige allgegenwärtige Bedeutung ein.

Nach Abels (2009): „[…] [werden] Statussymbole erst in einer Gesellschaft wichtig […], wo

nicht mehr jeder jeden kennt. Veblen hat richtig vorausgesagt, wie wir unter das Diktat be-

stimmter Statussymbole, die alle etwas mit demonstrativem Konsum zu tun haben, geraten“

(Abels 2009: 303).

Hinsichtlich der Differenzierung nach Bourdieus Notwendigkeits- und Luxusgeschmack stellt

sich nun die Frage, wie die Bandbreite an Superfoods zu positionieren sind. Durch ihre, exoti-

sche, teils exquisite und kostenintensive Wesensart, könnten sie durchwegs dem Luxusge-

schmack zugeschrieben werden. Doch der beworbene überaus hohe Nährstoffgehalt und die

medizinische Komponente der Früchte und Gemüsesorten stellt für KonsumentInnen einen not-

wenigen Nutzen dar, der keinen verschwenderischen, unnötigen oder funktionslosen Charakter

trägt. Hiermit überlappt sich Bourdieus Definition von Luxus- und Notwendigkeitsgeschmack.

Die Verbreitung des Superfood-Ernährungstrends und viele andere Modeerscheinung werden

meist von bekannten Persönlichkeiten und WerbeträgerInnen der oberen Gesellschaftsschicht

39

vorgelebt und zelebriert. Ihre Ernährungs- und Verhaltensweisen werden in Folge von Bewun-

derInnen der gesellschaftlichen Mittel- und Unterschicht verfolgt und nachgeahmt. Somit defi-

niert - in Anlehnung an Veblen - der vorgezeigte und akzentuierte Lebensstil ernährungsbe-

wusster, in der Öffentlichkeit stehender Persönlichkeiten, die Regelhaftigkeit und Wertschät-

zung des vorherrschenden Geschmacks. Wenn Attribute wie teuer mit gut oder gesund oder

wirkungsvoll assoziiert werden und diesen Produkten und Lebensmitteln mit Wohlwollen be-

gegnet wird, dann erklärt sich die hohe Anziehungskraft der exotischen Superfoods und die

geringere Aufmerksamkeit der heimischen kostengünstigeren Pendants.

In diesem Zusammenhang ist die jeweilige Wahl für bevorzugte Superfoods mit einer selek-

tiven Komponente behaftet und setzt ein gewisses ökonomisches Kapital für den Erwerb dieser

Produkte voraus. Veblens Konzeption des demonstrativen Konsums zeigt sich in der Auseinan-

dersetzung mit Superfoods stark in ihrem Diskus und dem Informationsaustausch in diversen

Medienkanälen und sozialen Netzwerken. BenutzerInnen dieser Plattformen werden unaus-

weichlich mit Bildern und Rezeptvorschlägen von diversen Speisen, angereichert mit Super-

foods, konfrontiert und zum Nachahmen aufgefordert. Persönlichkeiten mit einer enormen An-

hängerschaft suggerieren einen auf Superfoods basierenden Ernährungsstil und teilen ihre Reise

körperlicher Veränderungen dank des Konsums von exotischen Speisen, Heilmitteln und die

Wertigkeit gesellschaftlich anerkannter und erstrebenswerter Symbole, mit. Auch Veränderun-

gen hinsichtlich der geistigen Persönlichkeit und inneren Haltung in Bezug auf das durch die

Ernährung von Superfoods gewonnene Selbstbewusstsein, dem Ansehen und die Hochachtung

anderer Menschen durch erfüllte gesellschaftlich konstruierte Idealbilder und Statussymbole

werden hervorgehoben. Aufgrund des hohen Zugewinns der Bandbreite an auf dem Markt kürz-

lich erschienener Produkte, bedarf es einer permanenten Aufmerksamkeit und ständiger Kennt-

nis über aktuelle Trends, um vorherrschenden Geschmackswahrnehmungen folgen zu können.

3.2 Ernährungsstile in Form von sechs Welten

Um der Definition von gutem Geschmack auf den Grund zu gehen, suchen die französischen

Soziologen Luc Boltanski und Laurent Thévenot in ihrer Theorie der Konventionen nach Ant-

worten auf die Frage, wie Personen ihre Einstellungen und damit verbundene Verhaltensmuster

vertreten und begründen (Diaz-Bone 2018: 144). Die dabei hervorgehenden Rechtfertigungen

tragen die Bezeichnung Konventionen. Diese wurden in den vergangenen Jahren vermehrt auf

die Untersuchung des Agrar- und Ernährungssystems eingesetzt. In diesem Prozess werden un-

terschiedliche Handlungsabläufe und Formen der Organisation des Ernährungssystems,

40

beginnend mit der Produktion der Lebensmittel bis hin zu dem Verbrauch durch KonsumentIn-

nen, festgelegt und erläutert. In dem verknüpften Handlungsspielraum mehrerer AkteurInnen,

Leitmodellen und Objekten konstituieren sich zusammenhängende Denksysteme, die nach

Boltanski und Thévenot mit dem Begriff Welten bezeichnet werden. In den Welten werden

hinsichtlich unseres Ernährungssystems mehrere Erzeugungs- und Bearbeitungsstationen,

Konsumweisen, sowie dem Bewertungssystem von Lebensmitteln dargestellt. Jede Welt defi-

niert für sich die Wahrnehmung von Lebensmitteln, deren Qualität und Vorstellung von guter

Ernährung, die wiederum auf die einzelnen Stationen des Lebensmittelzyklus und dessen ver-

bundene Auswirkungen Einfluss nehmen (Ermann et al. 2018: 179f). Um diese für jede Welt

spezifisch festgelegten Kriterien zu berücksichtigen und auf ihrer Basis zu argumentieren be-

tonen die Autoren die Relevanz der Handlungsmöglichkeiten der beteiligten AkteurInnen. Dies

halten Boltanksi/Thévenot (2007) wie folgt fest:

„Um sich darauf zu einigen, was gerecht ist, müssen die Personen also mit einem Gemeinwohl

vertraut und Metaphysiker sein. […] Um gerechte oder richtige Beurteilungen und Bewertungen

vornehmen zu können, muss man auch imstande sein, die Natur der Situation zu erkennen und das ihr entsprechende Gerechtigkeitsprinzip ins Spiel […] bringen (Boltanski/Thévenot 2007:

203).

Boltanski und Thévenot rücken hierbei die Bedeutung mündiger AkteurInnen in den Vorder-

grund, um die Maßstäbe der einzelnen Welten festzulegen und diese je nach Situation passend

einsetzen zu können, um sich auf diese zu berufen. Es wird auf die Handlungskompetenz der

AkteurInnen appelliert um die jeweiligen Rechtfertigungen für ein tägliches, anwendbares Be-

urteilen und Agieren im Rahmen des menschlichen Zusammenlebens und in Bezug auf unser

Ernährungssystem im Umgang mit Lebensmittel zu inkludieren (Diaz-Bone 2018: 145).

Die Autoren legen ihren Fokus auf sechs Welten, die Landwirtschafts- und Ernährungsstile

beinhalten. Dazu zählen zum einen die Welt der Inspiration, die häusliche Welt, die Welt der

Meinung, zum anderen die Welt des Marktes, sowie die Welt der Industrie und die zivilgesell-

schaftliche Welt (Ermann et al. 2018: 180). Während die Welt der Industrie jene Unternehmen

akzentuiert, die im Produktions- und Verarbeitungssektor der Nahrung einen auf technologi-

sche Effizienz und Praktikabilität ausgelegten Umgang üben, repräsentiert die häusliche Welt

den Austausch zwischen regionalen ProduzentInnen und ihren KonsumentInnen. Das Binde-

glied zwischen handwerkliche KleinerzeugerInnen bilden gegenseitiges Vertrauen und Wert-

schätzung der Erzeugnisse (Boltanski/Thévenot 2007: 228ff, 276ff, Ermann et al. 2018: 183ff).

Hingegen gilt in der zivilgesellschaftlichen Welt die Auffassung, dass VerbraucherInnen durch

auf ihr Bewusstsein, Engagement und Solidarität fußendes Verhalten die Koordination der

Wertschöpfungskette der Lebensmittel beeinflussen. Fairtrade-Standards mit gerechten lokalen

41

und globalen Handlungsbeziehungen, ein gerechter Preis und freie Persönlichkeitsentwicklung

der Menschen sind hierfür signifikant (Boltanski/Thévenot 2007: 254-264, Ermann et al. 2018:

186). Die Welt des Marktes schafft Raum für die Beurteilung der Wertigkeit des Lebensmittels

über einen konkurrenzfähigen Preis. Aus Perspektive der ProduzentInnen liegt hierbei die Kon-

zentration auf Gewinnmaximierung und Ertragszahlen, VerbraucherInnen hingegen orientieren

sich an niedrigen Preisen (Boltanski/Thévenot 2007: 270ff, Ermann et al. 2018: 180f). In der

Welt der Inspiration steht das Anbauen, Zubereiten und Verzehren der Lebensmittel für eine

Ausdrucksform der Selbstverwirklichung und Erfüllung, ebenso als eine schöpferische Tätig-

keit. Ihre Umsetzung findet sich in dem Betreiben von Gemeinschafts- oder Selbsterntegärten

(Boltanski/Thévenot 2007: 223-227, Ermann et al. 2018: 188). Die letzte Welt, und für die

Auseinandersetzung der Ernährungs- und Lebensmittelkonsumpraktiken der KonsumentInnen

von Superfood besonders relevant, ist jene der Meinung als Werteurteil der Wahrnehmung der

Lebensmittel.

In der Welt der Meinung legt die Beachtung anderer Menschen die Wertschätzung der Dinge

fest. Exquisite und luxuriöse Lebensmittel, spezielle Sorten gewonnen durch besondere und

aufwendige Erzeugungsverfahren, stehen hierbei im Mittelpunkt. Wie bereits im Rahmen von

Bourdieus Luxusgeschmack und Veblens demonstrativen Konsums thematisiert, fungieren in

der Welt der Meinung Lebensmittel und dessen Konsum als Instrument der Selbstdarstellung,

der Imagepflege und als Erwerb von Anerkennung. Die Wahl teurer Weine, ein mehrgängiges

Menü in einem Sterne-Restaurant und das Engagieren von Privatköchen für große Feierlichkei-

ten werden in diesem Zuge zelebriert (Ermann et al. 2018: 189f). Um die Konstruktion von

Wertschätzung zu beschreiben, führen Boltanksi/Thévenot (2007) an,

„dass Größe […] von der Meinung der anderen ab[hängt]: Die Reaktionen »der öffentlichen Meinung entscheiden weitgehend über den Erfolg«. Die Personen spielen insofern eine Rolle,

als sie ein Publikum bilden, dessen »Meinung ausschlaggebend ist« das »die Meinung macht«

und aufgrund dieser Tatsache die einzig »wahre« Wirklichkeit darstellt“ (Boltanski/Thévenot

2007: 246).

Veblens demonstrativem Konsum gleich, der auf die Zurschaustellung der monetären Möglich-

keiten eines Menschen pocht, wird in der Welt der Meinung die Wertschätzung der Nahrung

durch ein konstruiertes Publikum an Zusehenden und Staunenden gebildet und erlangt nur

durch deren Zustimmung seine Wertigkeit. In diesem Rahmen bildet ein Wertesystem die

Wahrnehmung von gutem und legitimem Essen. Damit steht die Markenbildung und die Ak-

zentuierung besonderer Lebensmittel in Verbindung. Jene stark vermarkteten Produkte steigen

demnach an Wert und Bekanntheit, die eine Flut an Modeerscheinungen in der Lebensmittel-

industrie hervorrufen und legitimeren. Boltanski/Thévenot (2007) verweisen darauf,

42

„dass [d]ie Marke […] es [ermöglicht] einen Publikumstrend in ein Markenimage zu gießen.

Die Instrumentalisierung der Presse sorgt für die Objektivierung dieser Veranstaltung über den Widerhall und die Wirkung, die sich daran ablesen lassen: »Die Presse ist normalerweise schnell

dabei, Gerüchte weiterzutragen«. In der Welt der Meinung wird das Urteil darin sichtbar, dass

sich Meinungen verdichten und Gerüchte ins Rollen bringen“ (Boltanski/Thévenot 2007: 252).

Demzufolge gewinnt die breite Thematisierung von für gut empfundenen Lebensmitteln über

eine Vielzahl an Medienkanälen rasch an Zuspruch. Auch im Fall von Superfoods finden sich

unzählige Berichterstattungen und damit verankerte Gerüchte um deren wohltuende Wirkung,

die den Legitimitätsanspruch der Lebensmittel, ihre Wertigkeit und Verfügbarkeit erhöhen. Die

Macht ausgeklügelter Marketingkampagnen ist nicht zu unterschätzen. Bedürfnisse und ihre

Befriedigung, sowie einhergehende Wünsche der Menschen, werden von der Werbemaschine-

rie künstlich erzeugt und tragen maßgeblichen Einfluss auf das Kauf- und Ernährungsverhalten

der Menschen, so auch auf ihre bevorzugte Wahl an Lebensmitteln im Supermarkt. Nach Er-

mann (2007): „[werden] [i]n der Marktforschung […] Konsumenten nach Gruppen bzw. Mili-

eutypisiert, die immer weniger durch sozialstrukturelle Merkmale, sondern durch Lebensent-

würfe und ästhetische Orientierungen – sprich Lebensstile – definiert werden (Ermann 2007:

328). Am Markt aktuell auftretende Trends, die einer Lebensstilgruppe zugeschrieben werden,

beinhalten nicht automatisch neue Praktiken, sondern können schlichtweg eine Neuinterpreta-

tion bereits bestehender Praxisformen sein. Ermann (2007) führt weiter an, dass „[wenn] diese

Lebensstilgruppen in die Sprache der Produktpolitik und –vermarktung transformiert werden,

können die neu entdeckten Trends und Lebensstile eine performative Kraft erhalten und die

Konstituierung von Lebensstilgruppen in Gang setzen“ (Ermann 2007: 329).

Die von Boltanksi und Thévenot beschriebenen Welten sind nicht strikt getrennt voneinander

zu betrachten, denn unterschiedliche Bereiche der Produktion, Verarbeitung und Verbrauch von

Nahrung überschneiden sich, nehmen gegenseitigen Einfluss und formen verschiedene Lebens-

stile. KonsumentInnen wählen ihre Produkte teils aus differierenden Welten, entscheiden sich

beispielsweise für Obst und Gemüse vom Bauernmarkt und kaufen aber bestimmte Waren zu

günstigen Preisen in Großmärkten (Ermann et al. 2018: 192f). Durch dieses Ineinandergreifen

der nach Boltanski und Thévenot erläuterten Landwirtschafts- und Ernährungsweisen kann die

alleinige Verantwortung eine nachhaltige Lebensführung zu gestalten nicht gänzlich auf Seiten

der ProduzentInnen und KonsumentInnen gefunden werden. Zusammenhängend stellen Er-

mann et al. (2018) fest:

„da Produktions- und Ernährungsstile eng mit der persönlichen oder kollektiven Identität von

Menschen verbunden und in soziale, kulturelle und ökonomische Kontexte eingebettet sind,

dürfen wir die kontextuellen Rahmenbedingungen nicht ausblenden“ (Ermann et al. 2018:

192f).

43

Folglich bilden sich vielfältige individuelle Ernährungsweisen, die sich je nach persönlichen

Wertvorstellungen und Verhaltensmuster auf divergente Weise rechtfertigen lassen und nach

Boltanski und Thévenot den Einfluss mehrerer Welten tragen. So könnte der Ernährungsstil

einer Person folglich skizziert werden, indem sich diese zum einen für den Konsum von weit-

gereisten Superfoods aufgrund derer starken Vermarktung und Hochhaltung ihrer vermeintli-

chen Wirkungsfelder entscheidet, zum anderen günstigen Preisangeboten von Discounthänd-

lern folgt und parallel am Balkon eigenes Gemüse angepflanzt wird. Da individuelle Ernäh-

rungsstile einer weitreichenden Komplexität unterliegen, lassen sich diese nicht konform auf

jeden Menschen zuschreiben. Boltanski und Thévenot liefern mit ihrer Theorie der Konventio-

nen mögliche Rechtfertigungen für facettenreiche Verhaltensmuster und Werteinstellungen, die

ebenso in Hinblick auf unser Agrarsystem und unsere Ernährungsweisen thematisiert werden

und Einflüsse erläutern, die zur Konstruktion eines individuellen Ernährungsstils beitragen.

3.3 Foucaults Bio- und Körperpolitik

Unsere Ernährungsweisen folgen in den meisten Fällen keinen strikt definierten Regeln und

Leitlinien, da die Wahl unseres Essens je nach körperlicher und seelischer Verfassung variiert.

Neben rational gewählten Lebensmitteln und zubereiteten Speisen, spielen kulinarische Lust-

empfindungen und Gaumenfreuden eine ebenso wichtige Rolle, wie jene Lebensmittel, die als

Nährstoff und treibender Motor unserer Lebenskraft dienen. Verschiedene Faktoren, die unse-

ren Ernährungsstil beeinflussen und lenken, zeichnen kein einheitliches Ernährungsprofil, an

dem jeden Tag der Woche entsprochen wird (Ermann et al. 2018: 124).

Da unser Ernährungssystem sich durch verschiedene Facetten formt und seine Richtung von

mehreren Einflüssen dirigiert wird, lässt sich hierbei der von dem französischen Philosophen

Michels Foucaults thematisierte Terminus Biopolitik heranziehen. Foucault beschreibt mit dem

Begriff ein Gefüge von Machtstrukturen, das menschliche Lebensbereiche reglementiert und

deren Handlungsspielräume festlegt. Seine Umsetzung - verordnet unter anderem von staatli-

cher Seite, durch Beschluss der Regierung oder durch Agieren multinationaler Unternehmen -

realisiert sich in unterschiedlichen Lebensbereichen, wie der Gestaltung von Handelswesen, der

Gesundheitspolitik, manifestierter Wissenssysteme, genauso wie einer Agrar- und Ernährungs-

politik, die den Rahmen bilden um das Zusammenleben der Individuen einer Bevölkerung zu

disziplinieren und zu ordnen. Die Verstrickung interessensgesteuerter und machtstruktureller

Strömungen besitzt daher eine Tragweite, die sich auf unterschiedliche menschliche Lebensbe-

reiche auswirkt (Ermann et al. 2018: 125f, Foucault 1997: 73ff, Lemke 2013: 13).

44

Ermann et al. (2018) und die Agro-Food Studies setzen das Konzept der Biopolitik mit den

einzelnen Teilbereichen des Ernährungssystems in Verbindung und beschreiben dessen Praxis

wie folgt:

„Der Ansatz der Biopolitik verdeutlicht, wie durch Wirtschafts-, Technik-, Gesundheits- und Ernährungsdiskurse sowie durch alltägliche Praktiken Macht über AkteurInnen der Agrar- und

Ernährungswirtschaft und über uns alle als sich ernährende Menschen ausgeübt wird. Der ein-

zelne Mensch tritt dabei nicht als Subjekt in Erscheinung, sondern als Teil einer Bevölkerung, die es zu ernähren gilt“ (Ermann et al. 2018: 145).

Demzufolge tragen viele Instanzen zur Konstruktion und Gestaltung formierter Ernährungs-

weisen erhebliche Entscheidungsmacht. Um diese Verwobenheit der AkteurInnen genauer zu

durchblicken, beleuchten die Agro-Food Studies unter anderem die Stationen der Wertschöp-

fungskette von Lebensmitteln und die ihr dabei zugrundeliegenden politischen und ökonomi-

schen Machtverhältnisse (Ermann et al. 2018: 222f). Multinationale Lebensmittelkonzerne be-

einflussen durch ihre Dominanz am Markt und durch Wettbewerb, welche Produktionsformen

ausgeführt und welche Nahrungsmittel hergestellt werden. Handelskonzerne orientieren sich

an jenen Produkten, die kommerziellen Erfolg versprechen. Behörden beschließen welche Art

der Erzeugung, welche Richtlinien des Schutzes der ArbeitnehmerInnen, sowie tragbare um-

weltbeeinflussende Folgen den Prozess der Lebensmittelherstellung begleiten. Mediale Be-

richterstattung, die aggressive Vermarktung bestimmter Produkte und aktuelle Ernährungs-

trends bestimmen, welche Lebensmittel für gut empfunden werden. Diese und noch viele wei-

tere Entscheidungen werden von mehreren Instanzen getroffen und tragen weitreichenden Ein-

fluss auf unser Ernährungssystem. Schließlich formt die Summe dieser Urteile welche Lebens-

mittel wir täglich zu uns nehmen (Ermann et al. 2018: 145f).

Im Kontrast zu dieser Art der Fremdbestimmtheit unserer Ernährung setzt Foucault der Biopo-

litik die Selbstermächtigung in Form der Technologie des Selbst gegenüber. Sie ist zwar nicht

völlig losgelöst von gesellschaftlich manifestierten Strukturen und Machtgefügen, fungiert je-

doch als deren Gegengewicht (Strüver 2012: 21). Mit dem Begriff der Technologie des Selbst

erläutert Foucault Selbsttechniken, beziehungsweise jene Handlungsweisen, die Menschen an-

wenden, um auf ihre körperliche und seelische Existenz Einfluss zu nehmen. Zentral dabei ist,

die eigene Person zu verändern und das konstruierte Selbstbild, das von Mitmenschen wahrge-

nommen wird, nach konkreten Vorstellungen und Mustern zu gestalten (Foucault 1986: 18).

Der Ansatz der Technologie des Selbst trägt nach Foucault (1993) besonders jene Funktion,

dass

„[sie] es dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner

Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, dass er einen gewissen

45

Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit

erlangt“ (Foucault 1993: 26).

Die Selbsttechniken in Form bewusst gewählter Praktiken, stecken einerseits den Handlungs-

spielraum der Verhaltensweisen ab und andererseits ermöglichen sie es, „ sich selber zu trans-

formieren, sich in [seinem] besonderen Sein zu modifizieren und aus [dem] Leben ein Werk zu

machen […], das gewisse ästhetische Werte trägt und gewissen Stilkriterien entspricht“

(Foucault 1986: 18). Das Individuum geht hierbei als selbst entworfenes Subjekt hervor, das

jedoch durch politische Machtverhältnisse gelenkt wird und diese die Rahmenbedingungen der

jeweiligen Entwicklung setzen (Strüver 2016: 180f). Dabei ist der Wandel der eigenen Person,

der körperliche Veränderungen veranlassen kann, oder eine Neuorientierung an Wertvorstel-

lungen und persönlichen Prinzipien, die zur Bildung neuartiger Charakterzüge beiträgt, immer

im Kontext einer räumlichen und zeitlichen Dimension zu betrachten. Temporär herrschende

und manifestierte Wissenssysteme, gesellschaftliche Konventionen, technologische Verände-

rungen, verbreiteter Zugang zu verschiedenen Informationsquellen, politische Verhältnisse und

dominante Marktpräsenz verschiedener Konzerne schaffen Rahmenbedingungen, in denen

Subjekte sowie KonsumentInnen ihre individuellen Lebensanschauungen und Ernährungsstile

formen. Veränderungen hierarchischer Strukturen und Machtverhältnisse nehmen daher im-

mensen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung jedes Individuums (Idies 2017: 87,

Foucault 1986: 18).

Manifestierte Machtstrukturen äußern sich nicht nur durch äußerliche Begebenheiten und

Fremdeinwirken, sondern auch im Rahmen der persönlichen Veränderung befindet sich das

Subjekt durch auferlegte Disziplin und Pflichtbewusstsein in einer Position, die den Handlungs-

spielraum der Person durch konkrete Regeln absteckt. Hierbei akzentuiert Idies (2017), dass

„[sich] in der Unterwerfung unter sich selbst: in der Sorge um sich und innerhalb von Techno-

logien des Selbst […] ein Subjekt performativ hervor[bringt], indem […] [es] sich selbst diver-

sen Praktiken […] unterzieht“ (Idies 2017: 87). Demnach verflechten sich fremdgesteuerte

Kontrollmuster und selbstauferlegte Prinzipien derart ineinander, dass sie kaum zu trennen sind.

Daraus schließend wird die Subjektivierung als passiver und aktiver Prozess gesehen (Bröck-

ling 2007: 122 zit. n. Idies 2017: 87).

Ein wesentlicher Teilbereich der Biopolitik, der sich mit Fremd- und Selbstbestimmtheit aus-

einandersetzt, ist die Körperpolitik. Nach Ermann et al. (2018) „[lassen sich] politische Maß-

nahmen, aber auch Diskurse und Praktiken, Normen und Werte, die auf die Funktionen des

Körpers abzielen, […] als biopolitische Strategien interpretieren“ (Ermann et al. 2018: 126). In

46

vielen Bereichen der Ernährung findet die Körperpolitik ihren Ausdruck. Die Agro-Food Stu-

dies beschäftigen sich unter anderem mit der Position der einzelnen Körper entlang der Wert-

schöpfungskette, darunter mit der Relevanz der körperlichen Arbeitskraft in Anbaugebieten,

Auswirkungen auf nahewohnende Menschengruppen, oder welche Rolle gesellschaftliche Ge-

schlechterrollen seitens der KonsumentInnen spielen (Ermann et al. 2018: 135, 139).

In Hinblick auf Foucaults Biomacht und der Technologie des Selbst, konzentriert sich die

Thematik über Körperlichkeit auf die Bedeutung des Körpers, der gesellschaftliche Normen in

sich trägt, ebenso ökonomische und politische Diskurse verinnerlicht und als Instrument sozi-

aler Kategorisierung fungiert und gleichsam über Zugehörigkeit oder Abweisung entscheidet.

In hegemonialen Körpervorstellungen, die von den Menschen inkorporiert werden, finden ge-

schaffene Machtverhältnisse und soziale Wechselbeziehungen auf gesellschaftlicher Ebene ih-

ren Ausdruck. Demnach repräsentieren Körper soziale Verhältnisse menschlichen Zusammen-

lebens (Strüver 2012: 19-22). Der eigene Körper trägt in der modernen Gesellschaft einen ho-

hen Stellwert. Zum einen wird er als Eigenkapital gesehen, als Prestigeobjekt und Statussym-

bol, zum anderen als ein Projekt, an dem es zu modellieren gilt. Letzteren Punkt und Sinnhaf-

tigkeit des Körpers setzt Judith Butler (1991) in Zusammenhang zu Foucaults Selbsttechniken

und betont dabei die Relevanz der permanenten Arbeit an sich Selbst - dem Basteln am Ich –

während in diesem Prozess hegemoniale hierarchische Strukturen auf gesellschaftlicher Ebene

in Form von inkorporierten Verhaltensmustern der Menschen an die Oberfläche treten. Die

Konstruktion von Subjekt und Identität geht aus dem Kreis kontinuierlicher Betrachtung und

Neudefinition des Selbst hervor (Strüver 2012: 21).

Anlaufstelle für die Umsetzung konkreter Körpervorstellungen lässt sich in Sport und Ernäh-

rung finden. Bewegung wird nicht nur als gesundheitliche Freizeitaktivität und Ausgleich zum

stressigen Alltag gesehen, sondern in erster Linie als wichtige Komponente und Ausdrucksform

der Lebensführung. Die Ansprüche, die an den eigenen Körper gestellt werden und die damit

verbundene Erwartungshaltung der Personen, folgen in gewisser Hinsicht einem normierten

Körperkult. Sportliche Betätigung und vermarktete Fitnessangebote tragen den Zweck selbst-

optimierte Körper zu erschaffen. Körperbilder und dessen Normen finden in dieser Aktivität

ihren Diskurs, manifestieren sich und werden reproduziert. Foucaults Sorge um sich (Foucault

1993) trägt allgegenwärtigen Charakter, dem es zu entsprechen gilt, um in beruflichen und pri-

vaten Lebensbereichen erfolgreich zu sein. Der eigene Körper wird als Kapital gehandelt, das

wiederum den persönlichen Marktwert steigert (Strüver 2012: 18, 22). Der moderne Mensch,

mit Attributen wie dynamisch, agil, sportlich und gesund behaftet, entspricht der heutigen Vor-

stellungen von Schönheit und moderner Lebensführung. Orte dieser Realisierung wie,

47

Fitnessstudios oder Beautysalons und der Andrang auf Schönheitschirurgieen, sind beinahe

überall aufzufinden. Durch öffentliche Diskurse und mediale Verbreitung von Körperidealen

erlangen diese eine unheimliche Reichweite und treffen auf großen Widerhall (Strüver 2012:

23). Die Konzeption der Körperpolitik findet hier ihre Ausdrucksform in der persönlichen Ge-

staltung, der Aufwertung und der Selbstverwirklichung des eigenen Körpers. Idealvorstellun-

gen eines modernen, gesunden Körpers werden durch Ernährungstrends angefeuert. Im Rah-

men dieser Ernährungspraxis bekommen gute und schlechte Lebensmittel eine gänzlich neue

Qualitätsauslegung und neuen Stellenwert (Ermann et al. 2018: 137). Auch individuelle Inte-

ressen, Einstellungen und Bewusstsein der Menschen werden mit Kriterien der Lebensmittel-

produktion, wie Nahrungsmittel aus fairem Handel oder Produkte, die der Gesundheit fördern

sollen, verknüpft und rufen bei KonsumentInnen ein wohlschmeckendes Empfinden, frei von

Verzicht auf Genuss, hervor (Ermann et al. 2018: 133). Körperlichkeit trägt zudem in Bezug

auf die Verteilung von Geschlechterrollen und die damit verbundenen Ernährungsstile, eine

besondere Rolle. Einige Lebensmittel und Speisen lassen sich als typisch männliche und typisch

weibliche Gerichte beschreiben. Manifestierte Stereotypen entsprechend der Geschlechter fin-

den somit kontinuierliche Bestätigung und werden reproduziert (Ermann et al. 2018: 123, 134-

139).

Im Rahmen des Dogmas von Fitness- und Körperkult werden Körperbilder stilisiert und po-

pularisiert. Jene Körper, die als nicht gut empfunden werden, finden sich in einer marginali-

sierten Position wieder. Die körperliche und gesundheitliche Verfassung eines Menschen ent-

scheidet in diesem Fall über Zugehörigkeit oder Ausgrenzung (Kreisky 2008: 156). Kreisky

(2008) erläutert diesen Sachverhalt wie folgt:

„Wenn nur noch jugendliche, schlanke, perfekte, fitte, strenggenommen illusionäre Körper über Kurswert verfügen und im kapitalistischen Welt- wie Menschenzuschnitt allein nach solcher

Standardisierung der Körper gestrebt wird, heißt dies […] dass alle vom kapitalistischen Kör-

per-Phantasma abweichenden, etwa alternden, überforderten, abgekämpften, übergewichtigen,

kranken oder bloß dem allseits indoktrinierten Schönheits- und Schlankheitsideal nicht (mehr) entsprechenden Körper(-Bilder) entwertet und mehr oder minder gesellschaftlich ausgegrenzt

werden“ (Kreisky 2008: 156).

Mobilitäts- oder geistig eingeschränkte Personen, alleinerziehende Erziehungsberechtigte, oder

Menschen in prekären sozialen Verhältnissen bleibt der Zugang zu körperstählenden Einrich-

tungen verwehrt. Auch in puncto Ernährung sind höherpreisige biologisch hergestellte Lebens-

mittel nicht für jede Person erschwinglich (Kreisky 2008: 156). Kreisky (2008) verdeutlicht in

diesem Zusammenhang, dass „[d]ie neoliberale Gesellschaft […] aus zwei Körperklassen [be-

steht], aus jener sozialen Gruppe, die ihren Körper angeblich im Griff hat, sich also „selbst“ zu

„führen“ vermag, und aus jener Klasse, deren Körper durch andere diszipliniert und

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normalisiert werden muss“ (Kreisky 2008: 147). Demnach geht es um eine Regelhaftigkeit und

ein Wertesystem, dem gefolgt wird, wenn möglich aus eigener Anstrengung, Disziplin und

Zielstrebigkeit, oder diese Aspekte werden jenen Menschen durch Fremdbestimmung auferlegt.

Erwünscht wird eine Normierung der Gesellschaft durch Körperbilder. Die Befolgung dieses

Sets an konkreten Körperbildern definiert die individuelle Position innerhalb der Gesellschaft.

Mechanismen, die im täglichen gesellschaftlichen Leben über Inklusion und Exklusion ent-

scheiden, basieren auf unterschiedlichen temporären und kontextbezogenen Wertesystemen.

Das Zusammenspiel von gesellschaftlich manifestierten Strukturen, individualisierten Verhal-

tensweisen und diskursiven Normen sind auch jene Komponenten, die tragenden Einfluss auf

die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen haben (Strüver 2012: 27).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Ernährungsstile durch unterschiedliche Ein-

flüsse formen. Die von den Menschen oft nicht wahrgenommenen Interessens- und Machtstruk-

turen von politischen und ökonomischen Entscheidungsträgern, sowie international agierende

Lebensmittelkonzerne und deren Marktdominanz beschließen, welche Lebensmittel uns im Su-

permarkt zur Verfügung stehen. Die Vermarktung der Produkte und die starke Bewerbung be-

stimmter Lebensmittel wie Superfoods und damit verbundene Ernährungstrends, tragen Wir-

kung auf unsere Ernährungsweise. Im Sinne Foucaults Technologie des Selbst und der damit

verknüpften Selbstoptimierung der Seele und des Körpers, braucht es für letzteres in erste Linie

Nahrung als Treibstoff. Das Diktum des Körperkults und die Definition eines modernen Men-

schen sind eng mit einer konkreten Vorstellung von Ernährung verwoben. Soziale Verhältnisse

spiegeln sich in der Ernährung der Menschen wider. Lebensmittel aus biologischer Landwirt-

schaft oder Superfoods tragen ihren Preis, der nicht für jede Person erschwinglich ist. Die Wahl

der Produkte trägt somit auch einen distinktiven Charakter. In Summe tragen viele unterschied-

liche Einflüsse zur Konstruktion von Ernährungsstilen bei, die wiederum stets im Kontext zu

vorherrschenden Wertesystemen - eingebettet in Raum und Zeit – zu betrachten sind.

49

4. Konsum- und Ernährungsverhalten der VerbraucherInnen

4.1 Zentrale Forschungsfragen der Untersuchung

Superfoods sind in jedem Lebensmittelgeschäft zu finden. Auch in Graz, der zweitgrößten Stadt

Österreichs, steht ein breitgefächertes Angebot dieser Produkte zur Verfügung. Vielerorts und

allzeit konsumierbar, verdanken exotische Beeren, Nüsse, Wurzeln und weitere Obst- und Ge-

müsesorten, behaftet mit besonderen Nährstoffen, ihre Popularität einer weitreichenden medi-

alen Informationsverbreitung und ausgeklügelter Marketingkampagnen. Auch im Lebensmit-

telkonsum werden Wünsche und Bedürfnisse konstruiert, die es zu befriedigen gilt. Die Vor-

stellung und das Idealbild eines modernen sportlich gesunden Menschen gleicht einem Körper-

und Ernährungskult. Das bewusste Eingreifen auf die eigene Gesundheit und Wohlbefinden

bestärkt Menschen darin, mithilfe von Nahrung eine Art Selbstmedikation anzuwenden. Ver-

schiedene Aspekte und dessen Verwobenheit, die mit dem Ernährungstrend Superfood einher-

gehen, sollen in dieser hier vorliegenden Arbeit zentral mit der Frage: Wie gestaltet sich das

Konsum- und Ernährungsverhalten von Superfood-KonsumentInnen in Graz? beantwortet wer-

den. Dabei wird herausgearbeitet, welcher Personentyp mit welchem Ernährungsstil und Ver-

haltensmustern Superfoods konsumiert. In diesem Sinne wird versucht ein KonsumentInnen-

profil zu skizzieren.

Zur Beantwortung dieser Kernfrage leisten weitere drei Fragestellungen einen fundamenta-

len Beitrag. Inwiefern und auf welche Weise sich tägliche Praktiken, Gewohnheiten und Vor-

lieben in Bezug auf die individuelle Ernährungsweise der KonsumentInnen manifestieren, bün-

delt sich in folgender Fragestellung: Welche Ernährungs- und Lebensmittelkonsumpraktiken

verfolgen KonsumentInnen von Superfood?

Damit einher gehen die Ergründung der Kaufmotive und jeweiligen Anreize der Personen,

die hinter der Ernährung von Superfoods stecken. Welche Vorstellungen und Wünsche werden

an den Verzehr gebunden, bestätigen sich damit einhergehende Erwartungen und welche Rolle

spielt hierbei der Placebo-Effekt? All diese Gesichtspunkte werden in folgender Frage formu-

liert: Aus welchen Gründen werden Superfoods konsumiert und welche Erwartungen sind an

den Verzehr dieser Lebensmittel geknüpft?

Die letzte Fragestellung konzentriert sich auf das Bewusstsein der VerbraucherInnen. Ob,

und wenn ja, auf welche Aspekte, KonsumentInnen beim Kauf ihrer Superfood-Produkte be-

züglich der Herkunft und der Produktionsbedingungen der Lebensmittel Wert legen. Wie weit

fühlen sich KonsumentInnen ausreichend informiert und werden beim Kauf ihrer Produkte bei-

spielsweise Siegel wie Fairtrade, EZA, Demeter oder Bio beachtet und bevorzugt? In welcher

50

Form äußert sich das KonsumentInnenbewusstsein für die Auswirkungen der Superfood-Pro-

dukte? Konkret wird diesen Zusammenhängen in folgender Fragestellung: Welche Rolle spielt

der Produktionskontext der Trendlebensmittel für KonsumentInnen? nachgegangen.

4.2 Forschungsmethode - Qualitatives Interview - Leitfadeninterview

Die empirische Untersuchung der Forschungsfragen realisiert sich anhand der Durchführung

eines qualitativen Interviews. Dieses formiert sich aus einem Leitfaden an Fragestellungen, die

von Grazer VerbraucherInnen, die Superfoods in ihre Ernährungsweise inkludieren, beantwor-

tet und thematisiert werden. Mit Hilfe der qualitativen Befragung der InterviewpartnerInnen

werden ihre subjektiven Betrachtungsweisen und Empfinden über geschehene und erlebte Er-

eignisse, Einstellungen, Wünsche, Zukunftspläne, persönliche Probleme oder Beschwerden er-

fasst. Dabei liegt – charakteristisch für eine qualitative Befragungstechnik – die Lenkung und

Gestaltung des Gesprächs primär bei dem Interviewten und nicht beim Interviewer selbst. Das

für ein Interview typische Frage-Antwort-Schema fehlt hier, weshalb offene Befragungen oft

als Forschungs- und Feldgespräche bezeichnet werden (Bortz/Döring 2006: 308). In diesem

Zusammenhang halten Bortz/Döring (2006) die Aufgabenbereiche des Interviewers wie folgt

fest:

„Der Interviewer hat in einem qualitativen Interview nicht die Rolle des distanzierten Befragers,

sondern eher die eines engagierten, wohlwollenden und emotional beteiligten Gesprächspartners, der

flexibel auf den Befragten eingeht und dabei seine eigenen Reaktionen genau reflektiert“ (Bortz/Dö-ring 2006: 308f).

In Folge wird in dem geführten Gespräch die Interaktion zwischen dem/der Befragten und

dem/der Interviewer/in berücksichtigt und Eindrücke und Deutungen fließen in die spätere Da-

tenerhebung mit ein (Bortz/Döring 2006: 309). Da das qualitative Interview mehrere For-

schungsmethoden und verschiedene Interviewtypen umschließt, wurde für die empirische Un-

tersuchung dieser Masterarbeit das problemzentrierte Interview mit Leitfaden herangezogen.

Dabei wird das vom Forschenden konstruierte theoretische Konzept mit ins Gespräch gebracht,

jedoch liegt die Konzepterzeugung und -gestaltung bei dem/der Befragten. In diesem Zuge wer-

den, die von dem/der Interviewer/in erarbeiteten theoretischen Konzepte im Unterhaltungspro-

zess stetig modifiziert und geprüft. Die Verbindung von Theorie und Empirie verläuft daher

parallel. Die theoretischen Ansätze werden im Interviewvorgang nicht konkret behandelt, da

diese nicht beeinflussend auf die/den Befragte/n wirken sollen (Lamnek/Krell 2016: 348f).

51

In der Durchführung der Interviews liegt einer der Hauptaufgaben des Interviewenden in der

Beobachtung und Steuerung des Ablaufs des Gesprochenen, dabei obliegt die Bedeutungsstruk-

turierung der sozialen Wirklichkeit bei dem/der Befragten. Die offen gestellten Fragen liefern

unterschiedliche Antwort- und Interpretationsmöglichkeiten. Ebenso wird die nonverbale

Kommunikation dabei beachtet und berücksichtigt. Weiteren Aufschluss und Informationsma-

terial über das Gespräch bietet die Dokumentation und die Auswertung des Forschungsmateri-

als. Die Transkription und strukturierte Aufbewahrung des Gesagten ermöglichen zudem zu-

sätzliche Merkmale im Gesprächsprozess wie Lachen, Weinen, besorgtes Stöhnen, Pausen und

dergleichen zu interpretieren (Bortz/Döring 2006: 311f, Lamnek/Krell 2016: 345).

Der für die empirische Untersuchung angewandte Leitfaden im Rahmen eines problem-

zentriertes Interviews - auch als Leitfadeninterview bekannt – bildet ein Gerüst für die Daten-

erhebung und dessen Auswertung, um die Ergebnisse verschiedener Interviews vergleichbarer

zu machen. Trotzdem ist ausreichend Handlungsraum für Fragen und Themengebiete, die sich

im Gespräch erst neu ergeben (Bortz/Döring 2006: 314). Bezüglich der Zielsetzung des Leitfa-

deninterviews halten Schnell et al. (1999) fest, „dass durch die offene Gesprächsführung und

die Erweiterung von Antwortspielräumen der Bezugsrahmen des Befragten bei der Fragenbe-

antwortung miterfasst werden kann, um so einen Einblick in die Relevanzstrukturen und die

Erfahrungshintergründe des Befragten zu erlangen“ (Schnell et al. 1999: 355). Das Prinzip des

Leitfadens ist nach Helfferich (2014): „So offen wie möglich, so strukturiert wie nötig, [denn]

[f]ür die meisten Fragestellungen und Forschungsinteressen ist es notwendig, bei aller grund-

sätzlichen Offenheit den Interviewablauf in einem gewissen Maß zu steuern“ (Helfferich 2014:

560). Aus diesem Grund bildet der entworfene Leitfaden wichtige Anhaltspunkte, die im Ge-

spräch thematisiert werden.

4.3 Auswertung der Interviews - Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring

Um die aus den Interviews gewonnen Ergebnisse adäquat auszuwerten, wurde die qualitative

Inhaltsanalyse nach Mayring herangezogen. Dabei handelt es sich um ein Analyseverfahren,

das Kommunikationsmaterial thematisiert und bearbeitet. In Bezug auf die empirische Unter-

suchung dieser Masterarbeit handelt es sich um Textmaterial, das aus den einzelnen Interviews

zusammengetragen wurde. Dieses wird im Rahmen der Inhaltsanalyse auf Regelhaftigkeit, In-

tersubjektivität und Kohärenz geprüft (Bortz/Döring 2006: 331f, Mayring 2015: 11).

52

Nach Mayring (2015) sind konkrete Tätigkeitsfelder der Inhaltsanalyse:

• Kommunikation analysieren

• fixierte Kommunikation analysieren

• systematisch vorgehen

• regelgeleitet vorgehen

• theoriegeleitet vorgehen

• Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation ziehen (Mayring 2015: 13)

Im Zentrum der qualitativen Inhaltsanalyse steht das Kategoriensystem. Kategorien und dessen

Zuordnung zu einzelnen Textstellen haben interpretativen, aber regelgeleiteten Charakter. Die

verschiedenen Kategorien werden möglichst konkret definiert. Durch den kategorischen Leit-

faden wird die Analyse des Textmaterials strukturiert und ermöglicht eine Vergleichbarkeit und

Veranschaulichung der Forschungsresultate, außerdem wird schlussendlich eine zusammenfas-

sende Deutung und Betrachtung des Kommunikationsmaterials fokussiert (Bortz/Döring 2006:

332, Mayring 2015: 47,49).

In Hinblick auf den Umgang mit sprachlichem Material unterscheidet Mayring (2015) drei

Grundformen des Interpretierens:

Zusammenfassung: Das Material wird auf die wesentlichsten Inhalte reduziert, um einen über-

schaubaren Körper zu schaffen.

Explikation: Zusätzliches Kommunikationsmaterial wird herangezogen, um unverständliche

Textpassagen zu klären und erläutern.

Strukturierung: Basierend auf einem festgelegten Kriterienschema werden bestimmte Aspekte

aus dem Material gestrichen, um das Material unter Anbetracht konkreter Kriterien einzu-

schätzen (Mayring 2015: 67).

Mayring hält fest, dass es sich hierbei nicht um eine eigenständige Analysemethode mit drei

nacheinander gereihten Verfahrensabläufen handelt, sondern dass jede Grundform der Inter-

pretation eine von anderen unabhängige und selbstständige Analysetechnik ist. Daher wird pas-

send zu der jeweiligen Forschungsfrage eine adäquate Analysetechnik gewählt (Mayring 2015:

67). Für die empirische Untersuchung dieser Masterarbeit wurde die zusammenfassende In-

haltsanalyse nach Mayring angewendet. Daher versucht diese Grundform des Interpretierens

die Gesamtheit des vorliegenden Materials zu berücksichtigen, um dies in weiterer Folge

53

systematisch auf das Wesentliche zu reduzieren. Es soll somit das gesamte Textmaterial an

Informationen auf seine Kernelemente reduziert und thematisiert werden. Dieses Vorhaben fin-

det in mehreren Arbeitsschritten seine Realisierung:

Paraphrasierung: Hierbei werden irrelevante, ausschmückende Textbestandteile weggestri-

chen, inhaltsrelevante Passagen auf eine einheitliche Sprachebene und auf eine grammatika-

lische Kurzform gebracht.

Generalisierung: Konkrete Satzbeispiele werden verallgemeinert, dabei werden Aussagen auf

die gleiche Weise generalisiert.

Reduktion: Ähnliche und inhaltstragende Paraphrasen werden zu einer Paraphrase und zu ei-

nem Gegenstand zusammengefasst (Bortz/Döring 2006: 332, Mayring 2015: 72).

4.4 Durchführung der Befragungen

Um eventuelle Unebenheiten oder Verbesserungsmöglichkeiten in Hinblick auf die Inter-

viewführung auszuforschen, wurde ein Pre-Test als erster Durchlauf durchgeführt. Dieser er-

folgte im Gespräch mit einer Besucherin eines Biomarktes in Graz und wurde auf thematischer

und zwischenmenschlicher Ebene auf Schwachstellen geprüft. Nach einer stellenweisen Über-

arbeitung des Interviewleitfadens wurden weitere Personen befragt. Da die Befragung rund 30

Minuten betrug, stellte es sich als schwierig heraus, die KonsumentInnen spontan für ein Inter-

view zu gewinnen. Nach drei geglückten Anläufen wurde im Biomarkt Denns in der Innenstadt

Graz Informationen zu dem Interview und persönliche Kontaktdaten ausgehängt und eine An-

zeige auf der Homepage der ÖH inseriert, um weitere TeilnehmerInnen für die Untersuchung

ausfindig zu machen. Im Zuge dessen meldeten sich einige Personen und so wurden acht wei-

tere Interviews durchgeführt. Das Angebot von 10 Euro als Dankeschön für die Teilnahme,

wurde von sieben Personen angenommen und von drei Befragten mit der Begründung, sich

selbst sehr für das Thema Superfood zu interessieren, abgelehnt.

Die Gespräche wurden in einer möglichst angenehmen Atmosphäre durchgeführt, entweder

in dem Bistro des Bioladens oder in einem Café in der Stadt. In diesem Rahmen wurde den

Befragten angemessene Zeit und Freiraum für ihre Erzählungen, Ansichten und Antworten ge-

geben. Da Gesprächsthemen in Hinblick auf das persönliche Ernährungsverhalten für viele Per-

sonen emotional behaftet sind, bedarf es einer sensiblen, einfühlsamen und wertneutralen Ge-

sprächsführung, um möglichst viele unbeeinflusste Informationen aus der Konversation schöp-

fen zu können. Trotz der Handlungsfreiheit der interviewten Person bildete der

54

Interviewleitfaden Anhaltspunkte und führte durch das Gespräch. Es wurden somit Kernele-

mente in Form von Kategorien und deren Unterpunkten thematisiert. In dem konstruierten Leit-

faden für die Datenerhebung dieser Arbeit wurden fünf Kategorien festgehalten, die themati-

siert wurden. Der, der Inhaltsanalyse zugrundeliegenden Erzählaufforderung der Befragten,

wird möglichst nachgegangen, jedoch dient der Leitfaden ebenso als Anhaltspunkt diverse

Sprechpausen und Schweigephasen zu überbrücken (Helfferich 2014: 560, 566).

In Folge werden nun die kategorisch gegliederten Hauptpunkte des Interviewleitfadens vorge-

stellt:

Kategorie 1: Um einen ungezwungenen und angenehmen Start ins Gespräch zu ermöglichen

werden allgemeine Daten zu dem Superfood-Verzehr erhoben. Darunter wird beispielsweise

den Fragen nachgegangen welche Superfoods der/die Interviewte kennt und wie er/sie Super-

foods definieren würde. Hier gilt es ein allgemeines Verständnis des/der Befragten von Super-

foods ausfindig zu machen. Die jeweiligen Antworten ermöglichen es dem Interviewenden in

weiterer Folge auf zusammenhängende Unterfragen konkreter einzugehen.

Kategorie 2: In Folge wird näher darauf eingegangen, welche Superfoods der/die Befragte

konkret genießt und warum gerade diese. Welche Gründe liegen hinter der Entscheidungswahl

der einzelnen Superfoods und welche individuellen Motive spielen dabei eine tragende Rolle.

Zudem scheint ebenso interessant, welche Relevanz die Inhaltsstoffe und Wirkungsfelder der

verzehrten Produkte, sowie die in Kapitel 2.2 behandelten sekundären Pflanzenstoffe und An-

tioxidanzien, für den/die Verbraucher/in spielen und welche Anziehungskraft diese ausüben.

Ein weiterer Fokus wird darauf gelegt, welche Erwartungen an eine Ernährung mit Superfoods

geknüpft werden und ob der/die Konsument/in dadurch körperliche und/oder geistige Verän-

derungen feststellen hat können.

Kategorie 3: In dieser Kategorie und zentral für die Beantwortung der Forschungsfrage liegt

der Fokus auf den Ernährungspraktiken und dem Lebensstil des/der Verbrauchers/in. Tägliche

Praktiken, Gewohnheiten und Vorlieben des/der Befragten werden in Bezug auf den Super-

food-Konsum erläutert und in Verbindung mit Bourdieus Habitus-Konzept untersucht. Unter-

scheidet sich die Ernährung der interviewten Person beispielsweise an Wochentagen und Wo-

chenende und werden die Mahlzeiten meist alleine oder in Gesellschaft zu sich genommen.

Zudem soll erkundet werden, welchen Stellenwert die Ernährung der einzelnen Personen besitzt

und inwieweit Superfoods als ein notwendiger Bestandteil einer gesunden Ernährung erachtet

werden. Diesbezüglich lässt sich Bourdieus Differenzierung zwischen Luxusgeschmack und

Notwendigkeitsgeschmack einbringen. Um ein Gesamtbild der Ernährungsweise des

55

Interviewten zu skizzieren, wird auch auf die Fragestellungen eingegangen, ob beispielsweise

Rabattangebote oder günstige Artikel konsumiert, oder ob selbst angebaute Lebensmittel kul-

tiviert werden und in welchem Ausmaß regionale Produzenten eine Rolle spielen. Die dabei

herausgearbeiteten Daten werden in Bezug auf Boltanski und Thévenots Überlappung unter-

schiedlicher Ernährungsstile und Konsumwelten untersucht. In Verbindung mit Foucaults

Technologie des Selbst wird verdeutlicht, in welchem Umfang die geschmackliche Genuss-

empfindung für KonsumentInnen Bedeutung trägt, sowie welche Regelhaftigkeit und selbst

auferlegte Prinzipien mit dem Verzehr von Superfoods einhergehen. Folglich ist die herausge-

arbeitete Haltung der befragten Person auch mit ihrer Körperwahrnehmung im Kontext zu be-

trachten. Hierbei gilt es den Stellwert des Körpers, seiner Leistungsfähigkeit und seinem äuße-

ren Erscheinungsbild ausfindig zu machen.

Kategorie 4: Hier stehen die Konsumpraktiken der VerbraucherInnen im Mittelpunkt. In

diesem Rahmen werden Kriterien erhoben, die relevant für das Kaufverhalten der befragten

Person sind. Unterschiedliche Aspekte wie der Preis der Produkte, oder das Interesse an Neu-

erscheinungen auf dem Markt, werden ebenso behandelt, wie die Beachtung von Nähr- und

Wirkstofftabellen. In Bezug auf das Bewusstsein der KonsumentInnen werden Produktions-

kontext und Auswirkungen der Superfood-Wertschöpfungskette fokussiert. Hier liegt das Inte-

resse an den Kenntnissen und Vorstellungen des/der Befragten über den Anbau und die Kulti-

vierung der Lebensmittel. Weiters gilt es zu klären, in welcher Hinsicht verschiedene Siegel

wie Bio, Fairtrade, EZA oder Demeter beim Einkauf ihre Berücksichtigung finden und welche

Rolle die Herkunft der Produkte spielt.

Kategorie 5: In der letzten Kategorie steht zum einen die Vermarktung der Superfoods zum

anderen der Diskurs des Ernährungstrend und der damit verbundene Wissens- und Informati-

onsaustausch der Personen, im Zentrum der Untersuchung. Von KonsumentInnen genützte Me-

dien sollen näher betrachtet werden und inwiefern VerbraucherInnen von den vermittelten In-

halten inspiriert und beeinflusst werden. Zusätzlich gilt es zu erläutern, wie Superfoods in be-

stimmten Personenkreisen, wie der Familie oder Freunde des Befragten, diskutiert werden.

Hierbei gilt es zu beleuchten, welche Wahrnehmung das unmittelbare Umfeld des/der Inter-

viewten von seiner/ihrer Person hat und ob soziale Medien selbst genutzt werden, um die per-

sönlichen Ernährungs- und Sportvorlieben zu teilen. In diesem Zusammenhang soll auch eine

Verbindung mit Veblens demonstrativem Konsum hergestellt werden, um zu untersuchen, ob

der/die Befragte, durch die Präsentation seines/ihres Ernährungsverhaltens Anerkennung und

Beachtung von seinem/ihrem Umfeld erwirbt, aber auch welche sozialen Werte damit einher-

gehen und Bedürfnisse befriedigt werden können.

56

Der hier geschilderte Leitfaden und das Profil der befragten Personen sind im Anhang der Ar-

beit zu finden.

4.5 Auswertung der Ergebnisse

Bei Begegnung der InterviewpartnerInnen und anschließender gegenseitiger Vorstellung der

eigenen Person, wurde die Befragung mit dem Hinweis eingeleitet, dass die getätigten Aussa-

gen anonymisiert und ausschließlich für die folgende Untersuchung Verwendung fanden. Nach

Zustimmung des/der Befragten wurde das Gespräch mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet.

Die Gesprächsdauer variierte ja nach befragter Person, in Hinblick auf die gesamten Befragun-

gen liegt der Schnitt bei 30 Minuten pro Interview. Nach Gesprächsbeendigung wurde das er-

hobene Textmaterial transkribiert und anhand der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring,

vorgestellt in Kapitel 4.3, ausgewertet. Der zuvor vorgestellte Kategorienplan diente bei der

Analyse der festgehaltenen Äußerungen als zentraler Anhaltspunkt und konkret wurden hierbei

die einzelnen Paraphrasen generalisiert und auf ihre wesentlichen Punkte reduziert. Im Folgen-

den werden nun je nach Kategorie konkrete Ergebnisse aus der Befragung vorgestellt.

4.5.1 Allgemeines Verständnis von Superfood

Als Einleitung in das Gespräch und für dessen weitere Entwicklung schien es von großem In-

teresse, das Verständnis der befragten Personen von Superfood zu erfahren. Die erste Darstel-

lung der persönlichen Sichtweise gab bereits Anhaltspunkte welche weiteren Fragen besonders

relevant erschienen. Hierbei sei hervorgehoben, dass nicht jedem/jeder Interviewpartner/in alle

im Leitfaden präsentierten Fragen gestellt wurden. Denn je nach Person schienen unterschied-

liche Aspekte von Bedeutung. In erster Linie wurde untersucht, welche Lebensmittel die Kon-

sumentInnen in die Kategorie Superfoods einordnen. In diesem Zusammenhang bildeten sich

zwei Ansätze, einerseits die Auffassung von Superfoods, als ausschließlich exotische Lebens-

mittel und andererseits wurden, neben den exotischen auch heimische Produkte zu Superfoods

gezählt.

Konkret lagen beide Verständnisauslegungen genau bei der Hälfte der Befragten, das heißt

bei je fünf Personen. Diejenigen, die exotische Nahrungsmittel als Superfoods bezeichneten,

führten vorrangig Produkte wie Avocado, Gojibeeren, Quinoa, Acaibeeren oder Chiasamen

(Interview 4, 6, 10) an. Diese Palette wurde von anderen Befragten durch Algen wie Spirulina

57

und Chlorella (Interview 8) sowie Matcha (Interview 9) und Macapulver (Interview 1, 2) er-

gänzt. Jene, die auch heimische Lebensmittel in die Begrifflichkeit von Superfoods aufnehmen,

zählten ebenso die gerade genannten exotischen Lebensmittel auf und erweiterten diese mit

regionalen Produkten, wie zum einen die gesamte Bandbreite an heimischen Früchten und Ge-

müsesorten (Interview 1), zum anderen vereinzelte Produkte wie Gerstengraspulver und Dinkel

(Interview 2), verschiedene Nüsse wie Haselnüsse, Walnüsse – darunter auch nicht heimische

Mandeln und Cashewnüsse – und Kerne wie Kürbiskerne (Interview 3). Ein beliebtes heimi-

sches Superfood sind Lein- aber auch Hanfsamen (Interview 5, 7). Zudem wurden noch Süßlu-

pinenmehl (Interview 5) und Flohsamen, aber auch heimische Beeren, wie Heidelbeeren und

Preiselbeeren (Interview 7) genannt.

In weiterer Folge wurde erhoben, wie die Befragten den Begriff Superfood definieren. Die

unterschiedliche Begrifflichkeit des Terminus wurde im Kapitel 2.1 näher besprochen und ak-

zentuierte, dass es keine einheitliche Deutung gibt und der Name Superfood auch nicht ge-

schützt ist. Somit fanden ebenso im Rahmen der durchgeführten Befragungen, je nach inter-

viewter Person, Superfoods eine unterschiedliche Darstellung. Dennoch bezeichneten sieben

der zehn GesprächspartnerInnen Superfoods, als Lebensmittel, die mit einer besonders hohen

Nährstoffdichte ausgestattet sind. Der hohe Anteil an wichtigen und essenziellen Nährstoffen

ist für 70% der befragten Personen äußerst relevant (Interview 2, 3, 5, 7, 8, 9, 10). Auch die

Abgrenzung von gängigen Nahrungsmitteln und eine Aufwertung von Superfoods wurde her-

vorgehoben:

„(Superfood ist) ein Lebensmittel, das im Vergleich zu anderen Lebensmitteln einen höheren Nähr-

stoffwert an Vitaminen, Mineralstoffen und Eigenschaften aufweist, die über andere Lebensmittel

hinausgehen“ (Interview 7)

Superfoods sind somit sinngemäß nach dem Empfinden der befragten Personen in ihrer Wir-

kung nicht mit herkömmlichen Lebensmitteln zu vergleichen. Neben diesem ganzheitlichen

Anspruch auf Inhaltsstoffe und Wirkungsfelder der Superfoods, der ähnlich formuliert auch bei

Grach et al. (2016: 6) und EUFIC (2012) zu finden ist, verknüpften weitere Befragte ihre As-

soziation direkt mit den Eigenschaften und damit einhergehenden Erwartungen, die durch den

Verzehr von Superfoods in Form eines Hilfsmittels erreicht werden sollen. So werden unter

anderem Chiasamen aufgrund ihrer Omega-3-Fettsäuren und Chlorella wegen seines Eisengeh-

altes verzehrt (Interview 8). Auch Avocado gelten als Superfood wegen ihrer natürlichen Fette

und Gojibeeren helfen bei Eisenmangel (Interview 2). Zudem werden Superfoods mit

58

Eigenschaften, wie der Steigerung des Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit, ebenso wie

der Förderung der mentalen Stärke behaftet und als Kraftquelle gesehen (Interview 10).

Hinsichtlich der Begriffsauslegung wurden weitere Faktoren akzentuiert. Darunter stellte

sich heraus, dass in Blick auf konkrete Lebensmittel, die mit dem Terminus Superfood behaftet

werden, ausschließlich eine Dame auch Fisch zu dieser Kategorie zählt (Interview 3). Alle wei-

teren InterviewpartnerInnen – 90% der Befragten - verbinden mit dem Begriff rein pflanzliche

Bestandteile. Ein weiterer Aspekt der Assoziation von Superfood war der Kostenpunkt, hierbei

hebt ein Herr das Bild von Lebensmittel, die einen gewissen Preis haben und kostenintensiver

sind, hervor (Interview 9).

Besonders interessant erschienen die Aussagen zweier Damen, die mit Superfoods auch eine

Marketingstrategie im Rahmen eines Ernährungstrends erkennen. Sowie Harald Seitz, Leiter

der Öffentlichkeitsarbeit des Bundeszentrums für Ernährung in Kapitel 2.5 Superfood, als einen

Marketingbegriff definiert (BZfE 2015), betonen auch folgende Befragte diesen Punkt:

„Eigentlich denk ich mir, dass das eher eine Marketing-Sache ist, weil ich bin davon überzeugt, dass

jedes Obst und jedes Gemüse eine Art Superfood ist. Das alles ist gut für den Körper, also alles was

von der Natur kommt ist gut für den Körper“ (Interview 1).

„Superfoods sind ja trendy und kommen oft aus Amerika, die haben dann natürlich ganz andere

Sachen als wir“ (Interview 2)

Die befragte Dame aus Interview 1 unterscheidet somit nicht zwischen exotischen und heimi-

schen Superfoods, sondern nach ihrem Ermessen liegen gute und gesunde Nährstoffe in ver-

schiedenen Obst- und Gemüsesorten natürlichen Ursprungs. Die zweite Dame verbindet mit

Superfood einen Food-Trend, der zudem eine Vielzahl an unterschiedlichen Produkten aus ver-

schiedenen Ländern ermöglicht.

Eine weite Dimension der Konnotation von Superfood brachte eine Dame hervor, die Su-

perfoods ausschließlich mit Genuss verbindet:

„Superfoods sind für mich etwas das ich als Genussmittel verwende, was ich nicht alltäglich ein-

setzte, weil ich es nicht jeden Tag zur Verfügung hab und wenn ich das verwende, dann ganz be-

wusst. Da nehme ich mir Zeit sie zu genießen“ (Interview 4)

Eine derartige Deutung von Superfoods, hebt sich zweifelsohne von den Begriffsauslegungen

der anderen befragten Personen ab, die primär Superfoods als Hilfsmittel für eine gesunde Er-

nährung betrachten. Überwiegend spielt das Geschmackserlebnis im Rahmen des Superfood-

59

Konsums eher eine sekundäre Rolle. Auf den Stellenwert von Nährstoffgehalt und Genuss wird

jedoch gesondert in der Kategorie 3 in Bezug auf die Ernährungspraktiken näher eingegangen.

4.5.2 Gründe für den Superfood-Konsum

Im Rahmen der Ergründung der konkreten Verzehrmotive von Superfoods wurden zudem die

einzelnen Lebensmittel ermittelt, die regelmäßiger Bestandteil der täglichen Ernährung der Be-

fragten sind. Folgende Tabelle stellt jene Superfoods dar, die am häufigsten konsumiert werden.

Bis auf eine Person gaben alle weiteren an Avocados als eine beständige Komponente ihrer

Ernährung zu zählen (Interview 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10). Hauptargument ihres Verzehrs sind

die der Beere enthaltenen guten Fette - hierbei wird ihr Anteil an ungesättigten Fettsäuren be-

sonders hervorgehoben – und ihr guter Geschmack. Hinsichtlich der Verwendung wird die Su-

perfrucht Avocado gerne zum Kochen verwendet, oft in Kombination mit Quinoa (Interview 3,

7, 8, 9, 10). Doch nicht nur positive Anmerkungen wurden im Rahmen der geführten Interviews

der Avocado zuteil, denn besonders gegenüber dieser Frucht äußerten die Befragten Skepsis

bezüglich ökologischer Auswirkungen und Produktionsbedingungen des Avocado-Anbaus (In-

terview 1, 2, 6, 7, 9, 10). Auf diesen Aspekt und das Bewusstsein der InterviewpartnerInnen für

den Produktionskontext von Superfoods wird im Detail in der vierten Kategorie bezüglich der

Konsumpraktiken eingegangen.

012345678910

Superfood-Konsum nach Häufigkeit

Abb. 11: Superfood-Konsum nach Häufigkeit (eigene Angaben 2019)

60

Ebenso häufig wie Avocado, wird das Pseudogetreide Quinoa verspeist, primär geschätzt als

glutenfreie Alternative und Quelle für Omega-3-Fettsäuren (Interview 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10).

Chiasamen finden ihren Einsatz als Pudding kombiniert mit anderen Zutaten zum Frühstück

oder in Form eines Chia-Eies als Ersatz des tierischen Pendants, verwendet vorwiegend zum

backen veganer Süßspeisen (Interview 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10). Gojibeeren werden gleichermaßen

häufig genossen, meist in Form von Müsli und als Snack (Interview 1, 2, 3, 4, 7, 9, 10). Weitere,

von den befragten Personen konsumierte Superfoods, sind Algen wie Chlorella und Spirulina

(Interview 1, 7, 8), Hanfsamen (Interview 5, 7, 10), Matchatee als Kaffeeersatz (Interview 1, 2,

9), Macapulver (Interview 1, 10), Acaibeeren (Interview 2, 10), Kokosöl (Interview 1, 3, 9),

Gerstengraspulver (Interview 1, 2), Kürbiskerne (Interview 3, 5) sowie Leinsamen (Interview

1, 5), Süßlupinenmehl (Interview 5) und Acerolabeeren (Interview 1).

4.5.2.1 Motive für eine Superfood-Ernährung

So vielfältig wie die Interpretation von Superfood und dessen Produkte von befragten Personen

geschildert wird, so unterschiedlich sind auch die individuellen Beweggründe für eine Ernäh-

rung mit Superfoods. Im Rahmen der durchgeführten Gespräche erwiesen sich zwei Tendenzen

als Motive des Superfood-Konsums als ausschlaggebend. Zum einen liegt die Motivation auf

einer ganzheitlich gesunden Ernährung (30% der befragten Personen) und zum anderen werden

Superfoods als ein Werkzeug zwecks spezieller gesundheitlicher und optischer Veränderungen

und Genesungen gesehen (70% der befragten Personen). Folgende Tabelle stellt die Beweg-

gründe der befragten Personen für eine Superfood-Ernährung dar.

Tab. 3: Anreize und Motive für eine Ernährung mit Superfoods (eigene Angaben

2019)

61

Krankheitsprävention: Zum einen ist das starke Interesse an Superfoods darin begründet, eine

meist pflanzenbasierte und vegetarische Ernährung mithilfe dieser Lebensmittel möglichst

nährstoffreich zu gestalten. Zwei Grazer und einer Grazerin schilderten hierbei ihre Ausgang-

punkte (Interview 5, 6, 9). Darunter akzentuierte eine Person großen Wert auf eine nährstoff-

reiche und ausgewogene Ernährung zu legen, bei der Superfoods einen ganzheitlichen positiven

Beitrag leisten:

„Ich versuche auch allgemein nicht zu viel Fleisch zu essen und ich esse [Superfoods] deswegen,

weil ich mir davon [eine] positive gesundheitsförderliche Wirkung verspreche, es geht nicht darum,

dass ich irgendwelche Beschwerden lindern möchte, sondern es geht eigentlich um gesunde Ernäh-

rung“ (Interview 9).

Nach dem Empfinden dieser Person, definiert sich eine gesunde Ernährung überwiegend durch

die Exklusion von Fleisch, sowie die Inklusion von Superfoods als gesundheitsförderliche Le-

bensmittel. Gerade im Kontext einer überwiegend pflanzlichen Ernährungsweise gilt es für die

Befragten ihren Nährstoffbedarf möglichst vielfältig zu decken. In Hinblick auf ihren Haushalt

an Vitaminen, Mineralstoffe und Spurenelemente wird das breite Produktangebot geschätzt (In-

terview 5, 6, 9). Die durch eine pflanzenbasierte oder vegetarische Ernährung fallweise entste-

henden Mangelerscheinungen oder Nährstoffdefizite werden versucht mithilfe von Superfoods

auszugleichen:

„Ich bin gerade dabei meine Ernährung auf vegan umzustellen […] und da war ich auf der Suche

nach guten Nährstoffquellen, um auch in keine Defizitzustände zu kommen“ (Interview 5).

„Chiasamen [esse ich] auf jeden Fall, weil sie einen hohen Eiweißgehalt haben und auch Omega 3

und dadurch, dass ich versuche vegetarisch und meistens auch vegan zu essen, sind sie relativ gut,

weil ich das sonst nicht so leicht durch was anderes kriege“ (Interview 6).

Folglich dieser Anmerkungen der InterviewpartnerInnen trägt der Superfood-Konsum einen

präventiven Charakter, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Hierbei steht kein konkret zu

behandelndes Problem im Zentrum, sondern Superfoods gelten als Fixpunkt einer gesunden

Ernährung, werden vorsorglich eingesetzt um den Nährstoffbedarf ganzheitlich zu decken und

bieten für VeganerInnen und VegetarierInnen alternative pflanzliche Nährstoffquellen im Kon-

trast zu einem Ernährungsstil mit tierischen Produkten.

Linderung konkreter Krankheitsbeschwerden: Zum anderen basieren die Konsummotive von

Superfood-VerbraucherInnen auf einer für die betreffenden Personen konkreten

62

Problemstellung, auf die Antworten und Lösungen gesucht werden. Im Folgenden werden nun

zentrale Symptome aufgezeigt, mit denen die Interviewten konfrontiert sind und sich anhand

der Ernährung mit Superfoods eine Besserung, beziehungsweise Genesung, versprechen.

Der am häufigsten genannte Fall von gesundheitlichen Beschwerden, betrifft Bereiche wie

die Magen- und Darmgesundheit der befragten GesprächspartnerInnen (Interview 1, 3, 4, 7,

10). Beispielsweise erzählte eine Dame sich an Quinoa gewandt zu haben, da ihr Mann mit

schweren Verdauungsproblemen zu kämpfen hatte. Eine Ernährungsberaterin hatte ihr eine Al-

ternative zum herkömmlichen Weizen empfohlen und auf das Pseudogetreide Quinoa verwie-

sen. Nach Angaben der Befragten habe sich durch den Verzehr von Quinoa das Verdauungs-

systems ihres Ehemannes gänzlich reguliert (Interview 4). Gerade Quinoa ist jenes glutenfreie

Korn, das mit Vorliebe verzehrt wird, um beschwerdeverursachende Magenprobleme zu ver-

meiden. An diese Thematik anknüpfend betonte eine weitere Grazerin verdauungsfördernde

Superfoods zu konsumieren und glutenfreie Getreidevarianten zu bevorzugen, dazu zählen ne-

ben Quinoa auch Chiasamen und Flohsamen (Interview 7). Eine andere Dame, ebenso mit ähn-

lichen Symptomen konfrontiert, hat in dem Verzehr, einer selbstgemischten Paste aus Papaya-

kernen, Kokosöl und Kokosflocken eine Lösung auf ihr Unwohlsein gefunden und spricht dabei

von medizinischen Side Effects (Interview 3). Hierbei verdeutlicht sich, dass der Grund für eine

Ernährung mit Superfoods auch in der Suche nach medizinischen Effekten liegt, die zur Linde-

rung konkreter Beschwerden und negativer körperlicher und geistiger Symptome einen Beitrag

leisten sollen. Im Rahmen einer sogenannten Selbstmedikation findet der Superfood-Konsum

in verschiedenen Ernährungsweisen seinen Ausdruck. In diesem Zusammenhang seien wie in

Kapitel 2.5 behandelt, das wachsende Ernährungsbewusstsein der KonsumentInnen und die

Möglichkeit der Menschen, auf ihre eigene Ernährung und Gesundheit gezielt Einfluss zu neh-

men, als einer der Gründe für den steigenden Konsum der Superfood-Produkte, erwähnt (Niel-

sen 2017).

Abgesehen von Magen-Darm-Beschwerden liegt ebenso die Verfassung des Hautbildes für

manche InterviewpartnerInnen im Fokus ihres Interesses. Drei von zehn Befragten haben an-

gegeben, durch eine Ernährung mit Superfoods auf die positive Entwicklung ihrer Haut einwir-

ken zu wollen (Interview 1, 6, 8). Beispielsweise schilderte eine Person regelmäßig Macapulver

und Gojibeeren zu konsumieren, um etwaigen negativen Veränderungen entgegen zu wirken:

„Ich versuche gerade mich hauptsächlich pflanzlich zu ernähren, weil ich gerade eine Hormonum-

stellung habe und schlechte Haut bekommen habe. Ich versuche, dass meine Haut damit klarkommt

und dass ich nicht noch mehr starke Ausschläge oder Akne oder so was bekomme“ (Interview 1).

63

Gerade die Gojibeere wird durch ihre Vielzahl an Antioxidanzien in Verbindung mi Verände-

rungsprozesse der Haut gebracht. Neben der Verkürzung der Hautalterung und der damit ein-

hergehende Anti-Aging-Effekt, fungieren die Nährstoffe der Gojibeere als entzündungshem-

mend und fördern die Wundheilung, beugen Hautirritationen, sowie allergischen Reaktionen

vor (Yao et al. 2018, Zhao/Bojanowski 2015: 80-82). Aus diesem Grund scheint es plausibel,

dass jene Dame aus Interview 1 in dem Verzehr von Gojibeeren ein geeignetes Mittel sieht, um

in Hinblick auf negative Veränderungen ihres Hautbildes konkrete Maßnahmen zu treffen.

Eine andere Befragte sieht nicht primär in Macapulver und Gojibeeren ein hilfreiches In-

strument, sondern in der Avocado, die in ihrem Fall mit einer dementsprechend höheren Häu-

figkeit verzehrt wird, als im Vergleich zu den anderen neun befragten Personen:

„Avocados esse ich auf jeden Fall drei bis viermal die Woche, da sie meine Haut schön machen“

(Interview 8)

Im Unterschied zu Beschwerlichkeiten der Magen-Darm-Verfassung, die sich vorrangig als ge-

sundheitliche Thematik verstehen lassen können und in erster Linie, außer durch bestimmte

Anzeichen, für das unmittelbare soziale Umfeld nicht sichtbar sind, bedürfen Problematiken

des Hautbildes zum einen einer medizinischen Betrachtung, zum anderen einer Definition eines

ästhetischen Verständnisses und Empfindens. Die Auffassung eines gesunden, reinen, ebenen

und frischen Hautbildes wird von der Gesellschaft als Schönheitsideal anerkannt und überwie-

gend von Frauen angestrebt. Ein Aspekt, der auch im Rahmen der durchgeführten Befragungen,

von mehreren Damen angesprochen wurde. Ein weiteres Beispiel, das nicht nur einen gesund-

heits-, sondern auch einen optisch fördernden Aspekt trägt, zeichnet eine Grazerin, die Super-

foods konsumiert um auf äußerliche Merkmale, wie ihre Haare, Einfluss zu nehmen. Dabei

schilderte sie explizit nach Superfoods zu suchen, die Wirkstoffe beinhalten, um den Haar-

wachstum anzuregen (Interview 3). Hierbei sei akzentuiert, dass konkrete Superfoods gewählt

werden und sich die Aufmerksamkeit der VerbraucherInnen auf bestimmte Inhaltsstoffe und

deren Wirkungsfelder richtet, um anwendungsbezogene erwünschte Veränderungen hervorzu-

rufen.

Ein Symptom, das überwiegend Frauen im gebärfähigen Alter betrifft, ist ein Eisenmangel

(Zimmermann et al. 2018: 445). Zwei Grazerinnen gaben an Superfoods zu essen, um diesen

entgegenzuwirken (Interview 2, 8). Wieder erweisen sich Gojibeeren als jene Superfoods, die

neben der positiven Wirkung auf das Hautbild ebenso Effekte auf den Energiehaushalt

64

betroffener Personen zeigen. Eine Dame führte an, die Aufnahme von Gojibeeren hätte ihr

deutlich geholfen:

„Ich habe einen hohen Eisenmangel, deswegen habe ich […] mit den Gojibeeren angefangen, obwohl

ich die schon ziemlich grenzwertig finde vom Geschmack. Aber ich finde schon, dass es sehr hilft,

(…) ich bin einfach fitter und ich merke auch, dass ich einfach nicht so schnell ein Müdigkeitstief

habe“ (Interview 2).

Wie in Kapitel 2.3 näher beleuchtet wurde, kann die Gojibeere und ihre Inhaltsstoffe, sowie

ihre Wirkungsweisen, einen Zugewinn von Leistungsfähigkeit und Ausdauer, wie gleicherma-

ßen das körperliche und geistige Energielevel, aufgrund ihrer langkettigen Zuckermoleküle

(Lycium barbarum polysaccharide) - in der Funktion von Antioxidanzien- initiieren (Ama-

gase/Farnsworth 2011, Grach et al. 2016: 40f). Die Anmerkung der Dame den Geschmack der

Beere als für nicht gut zu empfinden, jedoch dennoch nicht auf die Wirkung des Gemeinen

Bocksdorns verzichten zu wollen, macht sichtbar, dass Gojibeeren hier deutlich als Medizin

fungieren, der Anspruch auf geschmacklichen Genuss ist in diesem Punkt nicht relevant.

Eine weitere Befragte erwartet sich durch den Konsum von Algen, wie Chlorella, eine Bes-

serung ihres Eisenhaushaltes. Auch sie hat sich aufgrund ihrer Problemstellung bewusst nach

einem Superfood erkundigt, dass in puncto Wirkungsweisen ihren Eisenhaushalt begünstigt:

„[Ich esse] regelmäßig Chlorella wegen dem Eisengehalt. Ich ernähre mich vegetarisch und man

kann auch super mit Bohnen und anderen Sachen den Eisenbedarf decken, den man braucht, aber im

Alltagsstress und weil ich versuche ein bisschen abzunehmen und sich das alles [mit dem Kochen]

nicht so ausgeht ist es einfach leichter, [Chlorella] in der Früh zu trinken und dann hat man das

erledigt“ (Interview 8).

Auch in diesem Beispiel zeigen Superfoods wie Chlorella einen überwiegenden medizinischen

Faktor. Zudem begründet sich die Wahl für das Produkt auch darin durch einen geringeren

Energiewert eine attraktivere Eisenquelle darzustellen und der Aspekt Zeitmangel und Alltags-

stress spielen ebenso eine Rolle. Dennoch möchte die Verbraucherin auf eine notwendige und

breitgefächerte Nährstoffzufuhr nicht verzichten. Somit können Superfoods als multifunktio-

nale Instrumente verstanden werden, die je nach individueller Vorstellung und Bedarf ihren

Einsatz finden.

65

4.5.2.2 Relevanz ernährungswissenschaftlicher Begriffe

In weiterer Folge liegt das Interesse dieser Arbeit an der Fragestellung, inwiefern und auf wel-

che Weise, Begriffe wie antioxidativ, sekundäre Pflanzenstoffe oder freie Radikale für die be-

fragten Personen relevant sind. Denn oft für Marketingzwecke genutzt, gelten sie für unter-

schiedliche Personen als anziehend. Diese Strategie wurde bereits von mehreren Anbietern der

Lebensmittelindustrie aufgegriffen und erfolgreich umgesetzt, zu nennen sind beispielsweise

der Joghurtdrink von Yakult mit seinen Shirota Bakterien, die den Darm lebend erreichen und

mit dem Slogan: Nein, die kleine Flasche Wissenschaft (Keine Magie), beworben werden oder

ein anderes Pendant des Herstellers Danone, der jahrelang mit seinem Produkt Actimel und

zugehörigem Slogan: Actimel aktiviert die Abwehrkräfte gewinnbringend vermarktet wurde.

Im Rahmen der Befragungen gaben zwei Personen an, sich kaum mit Begriffen wie Antio-

xidanzien, freien Radikale oder Sekundären Pflanzenstoffen zu befassen, noch vermehrt mit

ihnen in Kontakt gekommen sind (Interview 4, 6). Andere hingegen werden von den Termini

angesprochen und recherchieren teils in Eigeninitiative nach weiteren Informationen (Interview

1, 2, 3, 5). Acht von zehn InterviewpartnerInnen haben besonders die Begriffe Antioxidanzien

und freie Radikale bereits mehrmals wahrgenommen und bringen diese in erster Linie mit Su-

perfoods in Verbindung. Anstelle von konkreten Verständnisdarlegungen der Interviewten wer-

den vorrangig einzelne Superfoods mit den Termini verknüpft, exemplarisch hierfür sind Blau-

beeren oder Acaibeeren, die mit Antioxidanzien behaftet sind (Interview 3, 5, 7, 8, 10). Ob-

gleich eine eindeutige Definition seitens der Interviewten fehlt, wird das Verständnis von An-

tioxidanzien folglich erläutert:

„Antioxidativ - das klingt gut, eine tolle Wirkung wird da versprochen, so etwas wie es würde ge-

sundheitsschädliche Stoffe oder Giftstoffe im Körper beseitigen oder den Körper reinigen, das Im-

munsystem dadurch stärken. Das spielt schon eine Rolle, das heißt ja glaub ich, dass die Antioxid-

anzien die freien Radikale irgendwie binden und deswegen gesundheitsförderlich sind“ (Interview

9).

„Ja ist natürlich schon ein guter Vorteil, weils ja auch dazu führen soll, dass die Zellen sich erneuern

und dass man nicht so schnell altert und inwieweit das wirklich wahr ist, kann ich nicht bestätigen,

aber ich finde schon, dass man sich gut fühlt dadurch“ (Interview 10)

Die Schilderungen und Vermutungen der beiden interviewten Personen zeichnen ihre jeweilige

individuelle Assoziation des Wirkungsspektrums von Antioxidanzien. Dennoch ist eine ge-

wisse Unsicherheit über den konkreten Vorgang der Nährstoffe und eine Skepsis ihrer

66

tatsächlichen Wirkung zu spüren, vielmehr dominiert hierbei nicht das konkrete Wissen über

die biologischen Abläufe der Produkte im Körper, sondern ausschlaggebend ist das Gefühl,

beziehungsweise das Wohlbefinden, das durch den Konsum von Superfoods erreicht wird. Da-

her tragen Begriffe wie Antioxidanzien und Sekundäre Pflanzenstoffe Anziehungskraft, um das

Ziel sich gut zu fühlen zu erreichen und steuern zur Kaufentscheidung der Produkte bei (Inter-

view 7, 8, 9, 10). Wie bereits von einem Grazer (Interview 9) hervorgehoben, wird mit dem

Begriff Antioxidanzien eine positive Wirkung verbunden. In diesem Zusammenhang akzentu-

ierte auch eine Grazerin den Marketing-Aspekt der Begriffe:

„Ich glaub schon auch dadurch, dass es von den Medien viel vermittelt wird - viel Antioxidanzien,

viele super Inhaltsstoffe, extrem viel Vitamin B und so weiter, dass das auch ein Grund ist, warum

das viele Leute kaufen“ (Interview 10).

In diesem Beispiel zeigt die Interviewpartnerin auf, dass der Superfood-Trend und seine Be-

grifflichkeiten stark von seiner Bewerbung und Diskursivität leben und das Agieren mit Schlüs-

selwörter wie Antioxidanzien, freien Radikalen, Sekundären Pflanzenstoffe oder hohe Nähr-

stoffdichte den Erfolg des Superfood-Konsums mitbegründen.

4.5.2.3 Erwartungen und wahrgenommene Veränderungen

Die Erwartungen der befragten Personen an die verzehrten Superfoods gehen meist Hand in

Hand mit den Gründen für eine Ernährung mit diesen Lebensmitteln. Interviewte, die Einfluss

auf ihren Eisenspiegel nehmen wollen, erwarten sich in diesem Bereich Verbesserungen (Inter-

view 2, 8). Hinsichtlich Magen- und Verdauungsbeschwerden, mit denen einige Interviewpart-

nerInnen konfrontiert sind, werden positive Entwicklungen in diesen Gebieten erwartet (Inter-

view 1, 3, 4, 6, 10). Ebenso sind Hoffnungen auf Verbesserung des Hautbildes, beispielsweise

verursacht durch Neurodermitis, an Superfoods geknüpft (Interview 1, 6, 8). Der Anspruch, der

an den Superfood-Verzehr von den meisten Befragten gestellt wird, ist eine Summe aus meh-

reren körperlichen und geistigen förderlichen Entwicklungen, dazu zählen eine gute Konzent-

ration, die mit kognitiver Leistungsfähigkeit verbunden ist (Interview 5, 9), ebenso wie eine

körperliche Ausdauer und ein hohes Energielevel um fit zu sein (Interview 1, 5, 8, 9). Ein Wort,

das immer wieder fällt, ist ein (generelles) Wohlbefinden und das Ziel, aber auch die damit

verbundene Erwartung, sich gesund zu fühlen (Interview 1, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10). Die Idee eines

ganzheitlichen Wohlbefindens sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht lässt sich

im Rahmen der Superfood-Thematik in unzähliger Literatur finden und fungiert als Slogan

67

vieler Marketingkampagnen. Angestrebt wird dabei ein für gut empfundener Gefühlszustand,

der mithilfe von Ernährung erreicht werden soll. Wie in Kapitel 2.5 zuvor dargelegt, spricht

Lisa Young in diesem Zusammenhang von einem Wunschdenken, das Menschen mit ihrer Er-

nährung und Gesundheit verbinden und dabei die Realität teilweise ausblenden (American He-

art Association 2017). Aus diesem Grund kann die Vorstellung eines ganzheitlichen Wohlbe-

findens durch einen Superfood-Konsum utopischen Charakter tragen, da abgesehen von der

Ernährung - die zweifelsfrei eine große Rolle spielt - sich viele Lebensbereiche und -umstände

(Bewegungsmangel, Schlafstörungen, Stress und dergleichen) auf den Gefühlszustand eines

Menschen auswirken.

Im Kontrast zu bisher von den befragten Personen stets positiv genannten Forderungen, äu-

ßert eine Grazerin pragmatisch und analytisch ihre Sichtweise auf zu erwartende Effekte einer

Superfood-Ernährung und spricht dabei den Zusammenhang von Verzehrmenge und Wirkung

der Produkte an:

„Von den Superfoods musst schon gewisse Mengen essen, auch bei den Algen da müsstest ja 100g

davon essen, um deinen Tagesbedarf zu decken und das ist eigentlich nicht möglich, weil von den

Algen nimmst 5g und nicht mehr. Auch bei Chiasamen, da nimmt man ja nicht so viel Nährstoffe

auf wie propagiert wird, weil die Verzehrmenge relativ gering ist. Wenn man Gojibeeren jeden Tag

übers Müsli streut oder die Omega-Fettsäuren in Hanföl oder Leinsamen – da glaub ich schon, dass

das eine Wirkung haben kann. Und natürlich die Nährstoffgehalte sind schon auch unterschiedlich

ja nach Pflanze und Anbaugebiet und je nach […] Nährstoffe im Boden“ (Interview 7).

Die Schilderung der Grazerin thematisiert die in Kapitel 2.5 bereits ausführlich behandelte Dis-

krepanz zwischen der täglichen Verzehrmenge und der angepriesenen Wirkung der Lebensmit-

tel. Informationen über die Zufuhrempfehlung von Superfoods ist für den Hersteller nicht zwin-

gend anzugeben. Meist wird mit der Deckung des Tagesbedarfs bestimmter Nährstoffe gewor-

ben, dies entspricht jedoch nicht immer der Wahrheit. Angepriesene Wirkungen sind an dieser

Stelle unter näherer Betrachtung teilweise irreführend. Die Grazerin, ihre Ansichtsweise über

zu erwartende Veränderungen durch Superfoods schildernd, lenkt ihren Blick ebenso auf die

Zusammenhänge der Produktion der Lebensmittel und den Kontext, wie verschiedene Super-

foods gedeihen und ihre Nährstoffe bilden können, die von VerbraucherInnen wiederum durch

Ernährung aufgenommen werden. Diese Aspekte wurden ausschließlich von dieser Person an-

gesprochen.

Besonderes Interesse gilt nun, den wahrgenommen Veränderungen der befragten Personen und

inwiefern sich ihre Erwartungen realisierten. Die meisten der InterviewpartnerInnen konnten

68

durch den Konsum von Superfood in erster Linie einen Zugewinn an Energie feststellen (Inter-

view 1, 2, 3, 8, 9), der sich körperlich und geistig in Form von Konzentration und Leistungsfä-

higkeit (Interview 1, 8, 9) äußert. Überwiegend wird dabei die physische und psychische Ver-

fassung nicht getrennt voneinander gesehen, wie ein Interviewpartner folglich formuliert:

"Man hat Energie und fühlt sich fit, hat natürlich auch Auswirkungen auf den Kopf. In einem gesun-

den Körper lebt ein gesunder Geist heißt es ja, [man] fühlt sich einfach gut und ist nicht unnötig

beschwert" (Interview 9).

Ein Bild, das durch die Ernährung von Superfoods oft gezeichnet wird, ist das Lossagen von

unnötigem Ballast. Begriffe wie Entschlackung, Entgiftung oder Detox boomen und fokussie-

ren das Loswerden von ungewollten Lasten und suggerieren ein leichtes unbeschwertes Le-

bensgefühl mit neuer Energie. Die jeweilige Ernährungsweise eines Menschen trägt maßgebli-

chen Einfluss auf seine Verfassung, dabei spielt auch die Psyche eine tragende Rolle. Durch

ihren Einfluss, können für gesundheitsförderlich und wohltuend geglaubte Produkte eine Wir-

kung zeigen, obwohl der tatsächliche zugewonnene Mehrwert an Nährstoffen, nicht festgestellt

wurde. Der hierbei möglich wirkende Placebo-Effekt, wird ebenso von einer Dame angespro-

chen:

"Wenn ich [Superfoods] esse, dann generell habe ich mehr Energie. Man fühlt sich einfach besser,

das kann ja auch teils wegen dem psychologischen Effekt sein, dass wenn man denkt man tut sich

was Gutes, dann fühlt man sich besser. Aber ich glaub prinzipiell fühle ich mich körperlich einfach

bisschen fitter und hab mehr Energie und auch mehr Konzentration" (Interview 3).

„Wenn ich Prüfungen habe, schau ich schon sehr drauf viele Superfoods zu essen, da habe ich ge-

merkt, dass ich mich besser konzentrieren kann, aber ich weiß nicht ob das einfach nur Placebo ist,

aber wenn es wirkt ist das ja egal“ (Interview 10).

Der Schilderung der befragten Damen zufolge ist nicht eindeutig festzumachen, ob die verzehr-

ten Superfoods tatsächlich ihre Wirkung zeigen, oder ob nicht die Psyche für positive Verän-

derungen verantwortlich ist. Unabhängig davon zählt erneut die Verbesserung des Gefühlszu-

standes und Wohlbefindens, die konkreten Wirkungsvorgänge der verzehrten Superfoods sind

für die Befragten zweitrangig (Interview 3, 10). Da die durch unsere Ernährung aufgenomme-

nen Nährstoffe bei jedem Menschen etwas leichter oder schwerer aufgenommen werden, kön-

nen jene Erwartungen, die an Superfoods und die Überzeugung ihrer Wirkungsfelder geknüpft

werden geknüpft werden, unabhängig ihrer Inhaltsstoffe, positive Effekte auf den Organismus

zeigen und die Aufnahme bestimmter Nährstoffe fördern. Zudem sei erwähnt, dass alle zehn

69

Personen konkrete Erwartungen und Vorstellungen über das Wirken von Superfoods haben,

und an dessen Eigenschaften glauben. Daher ist in den meisten Fällen ein Placebo-Effekt mög-

lich.

Weitere positive Entwicklungen, wie in dem Gebiet der Magen-Darmbefindlichkeit, konnten

vier Personen erfahren (Interview 1, 3, 4, 10). In Bezug auf einen vorliegenden Eisenmangel

berichtete eine Dame über eine deutliche Verbesserung durch den Verzehr von Gojibeeren (In-

terview 2). Von drei Damen, die Superfoods in ihre Ernährung inkludieren, primär aufgrund

von Hautproblemen, konnten zwei Personen nicht deutliche, aber dennoch positive Effekte

wahrnehmen (Interview 6, 8). Eine jedoch hatte nach mehreren Monaten mit dem Verzehr von

Macapulver bis dato keinerlei Veränderungen vernommen, phasenweise verschlechterte sich

sogar das Hautbild der interviewten Person (Interview 1). Im Hinblick auf negative Erfahrun-

gen berichtete eine Grazerin über den Konsum von Chlorella:

"Ich habe eine Zeit lang mehr Chlorella genommen und da hatte ich das Gefühl, dass es mir eher das

Gegenteil von Energie gibt und mich mehr müde gemacht hat. Dann habe ich eine geringere Dosis

genommen und das wurde dann besser dadurch" (Interview 8).

Dieses Beispiel zeigt, dass die Bedeutung einer Beschränkung der täglichen Verzehrmenge von

Superfoods unterschätzt wird. Da konkrete Verweise auf Verpackungen nicht Norm sind, oder

von den Verbrauchern nicht beachtet werden, nehmen KonsumentInnen die Menge an Super-

foods nach eigenem Ermessen ein. Inwiefern sich die von Bingemer/Gerlach (2015) empfoh-

lene Verzehrmenge von Gojibeeren oder Macacpulver von 1-2 Teelöffel pro Tag, von der tat-

sächlichen Verzehrmenge der VerbraucherInnen unterscheidet, ist fraglich (Bingemer/Gerlach

2015: 12). Wie in Kapitel 2.5 ebenso dargestellt, ist der Zusammenhang und die Wechselwir-

kung von Superfoods und Unverträglichkeiten oder Arzneimittel, nur teilweise erforscht und

birgt Risiken in sich. Wie beispielsweise das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) jenen

Menschen empfiehlt, die blutverdünnende Medikamente einnehmen, gänzlich auf den Konsum

von Gojibeeren zu verzichten (Clausen 2015: 194). Zudem können vom Körper bisher unbe-

kannte aufgenommene Superfoods allergische Reaktionen oder Unverträglichkeiten auslösen

(AK Niederösterreich 2017: 52). Über derartige Konstellationen von verschiedenen Superfoods

mit herkömmlicher Nahrung, Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln, sind im Rahmen

der Befragungen wenige, das heißt 10% der Interviewpartner, informiert (Interview 1, 2, 3, 4,

5, 6, 8, 9, 10).

70

Weder positive noch negative Veränderung verspürten drei befragte Personen. Hauptargument

hierfür war die seit mehreren Jahren achtsam gesund praktizierte Ernährung und ein über einen

langen Zeitraum verspürtes Wohlbefinden und Gleichgewicht (Interview 5, 6, 7).

Resümierend lässt sich festhalten, dass die Gründe für eine Ernährung mit Superfoods, je nach

individuellen Wünschen und Problemstellungen, unterschiedlich motiviert sein können. Die

von Wolfe (2015) präsentierte These: Superfoods sind zwischen den Instanzen Lebensmittel

und Heilpflanze anzusiedeln (Wolfe 2015: 11), kann in Hinblick auf die durchgeführten Befra-

gungen und die Wahrnehmung der jeweiligen GesprächspartnerInnen, bestätigt werden. Ob-

gleich der Superfood-Verzehr einerseits auf einen ganzheitlichen nährstoffreichen Ernährungs-

stil gründet, sich seine Anwendung, aber auch andererseits auf die Lösung konkreter Problem-

stellungen konzentriert, finden sich Superfoods zweifelsohne in der Position eines Heilmittels

und Instruments zur Förderung der Gesundheit wieder. Vorrangig ist der medizinische Effekt,

der gleichsam die eigene Gesundheit fördert und ästhetische Ansprüche befriedigt.

4.5.3 Ernährungspraktiken

Nach der Untersuchung des Begriffsverständnisses und der Konsummotive, die mit dem Le-

bensmitteltrend Superfood einhergehen, richtet sich im nächsten Schritt der Fokus auf die kon-

kreten Ernährungspraktiken der befragten Personen. Wie in Kapitel 3.1 in Bezug auf Bourdieus

Habitus-Konzeption dargelegt wurde, festigt sich der persönliche Ernährungsstil durch ver-

schiedene Komponenten, wie bestimmte Denk-, Wahrnehmungs-, und Bewertungsmuster, die

im Alltag praktiziert und bestätigt werden (Fuchs-Heinritz/König 2011: 112f). Demzufolge sol-

len nun konkrete Wertvorstellungen, Gewohnheiten und Vorlieben im Kontext des Ernährungs-

verhaltens befragter Superfood-KonsumentInnen untersucht werden.

Im Zuge der Befragungen schilderten die interviewten Personen einen regulären Wochentag.

Hierbei gilt es die routinierte Inklusion von Superfoods im täglichen Ernährungsverhalten der

Menschen ausfindig zu machen. Um energiereich in den Tag zu starten, bevorzugen die meisten

GesprächspartnerInnen mit Vorliebe ein Frühstück in Form eines Müslis, - mit Haferflocken

oder Quinoa als Basis - das mit verschiedenen Superfoods, wie Chiasamen, Gojibeeren, Acai-

beeren oder Algen angereichert wird (Interview 3, 5, 6, 7, 8, 9). Zwei Personen sind einem

Müsli zwar nicht abgeneigt, verspeisen jedoch mit Vorliebe Avocado-Toast als erste Mahlzeit

des Tages (Interview 8, 10). Eine weitere Variante, um den morgendlichen Hunger zu stillen,

bieten Shakes und Smoothies, die ebenso mit verschiedenen Zutaten der Superfood-Palette

71

zubereitet werden (Interview 2, 5, 8). Ein zentraler Aspekt, der für alle befragten Personen in

der Gestaltung des Frühstücks Relevanz trägt, ist die zur Verfügung stehende Zeit. Um Super-

foods in eine tägliche Routine des Ernährungsverhaltens zu integrieren, liegt der Anspruch der

Produkte auf einer schnellen und unkomplizierten Zubereitung der Speisen. Diese Thematik

schilderte ein befragter Grazer in Bezug auf einen regulären Morgen an einem Wochentag, wie

folgt:

„Morgens, wenn ich wenig Zeit habe, dann trinke ich einen Shake mit Superfoods, zum Beispiel

Hanf- und Chiasamen mit Avocado oder anderem Obst. Das geht schnell zusammen zu mixen und

ich weiß, der Körper hat vorerst mal das Wichtigste, das er braucht und das hält auch ein paar Stun-

den, dass ich dazwischen nichts essen muss und ich entspannt, mit einem guten Gefühl und einer

Gewissheit durch den Tag gehen kann, sodass ich weiß mein Körper ist gut versorgt, das heißt ich

bin fit, ich bin wach“ (Interview 5).

Neben dem Aspekt der begrenzten Zeit, in die das Frühstück gebettet ist, liegt nach dem be-

fragten Herrn, die Anforderung an den Superfood-Shake darin, das Hungergefühl für einige

Stunden zu stillen. Superfoods sollen demzufolge auch ein langanhaltendes Sättigungsgefühl

unterstützen. Im Rahmen der Interviews erwies sich für 80% der Befragten, das Frühstück als

jene Mahlzeit, die an Arbeitstagen der Menschen eine stabile Konstante bildet und dabei meist

dieselben Speisen verzehrt werden (Interview 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10). Das Frühstück findet immer

zur selben Uhrzeit statt, während andere Mahlzeiten im Laufe des Tages teils unerwarteten

Vorkommnissen unterliegen können, außerdem wird es mit keinem großen Aufwand und be-

sonderen Kochfähigkeiten verbunden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Routinen und Ge-

wohnheiten einer Person, ein Gefühl von Halt und Sicherheit geben können. In einer modernen

Gesellschaft und schnelllebigen Zeit, in der ein hektischer Alltag zu meistern ist, wird den Men-

schen in Lebensbereichen, wie beispielsweise am Arbeitsplatz oder an Ausbildungsstätten, An-

passungsfähigkeit und Leistungsstärke abverlangt. Während meist von außen auferlegte Tätig-

keitsfelder vorgegeben sind, bieten die eigene Ernährung und die Gesundheit zwei Bereiche,

auf die Personen selbst Einfluss nehmen, die sie gestalten und vor allem selbst kontrollieren

können. Routinierte Ernährungsmuster, besonders frühmorgens, geben somit den Personen eine

Beständigkeit, auf die Verlass ist (Interview 3, 5, 6, 7, 8, 9). In Bezug auf Bourdieus Habitus

Konzeption fungiert seitens der Interviewten gerade das Frühstück angereichert mit Superfoods

als jene Praxisform, die tägliche Anwendung findet und identitätsstiftend auf die persönliche

Ernährungsweise wirkt. Routinen folgen in der Regel konkreten Verhaltensmustern, die konti-

nuierlich kopiert und reproduziert werden. Hierbei bedarf es keiner besonderen Kreativität in

der Zubereitung der Speisen, sondern bestimmte Nahrungsmittel werden schablonenhaft Tag

72

für Tag verspeist. Bourdieu spricht vom Habitus als Denk- und Verhaltensmuster, die formge-

bend auf die Beurteilung kultureller Praktiken wirken. In diesem Zusammenhang bildet das

routinierte Superfood-Frühstück der befragten Personen eine Praxisform, die zum Verständnis

einer gesunden Ernährung maßgeblich beiträgt, ihre persönlichen Ernährungsweisen definiert

und darüber hinaus den weiteren Verlauf des Tages bestimmt und mit welcher Denkweise be-

ziehungsweise Motivation an diesen herangetreten wird. Im Hinblick darauf, beschrieb eine

Gesprächspartnerin ihr tägliches Morgenritual, kontinuierlich dasselbe Frühstück zu verzehren:

„Ich bin schon ein Gewohnheitsmensch, ich mache mir jeden Morgen ein Gel aus Chiasamen, Lein-

samen und Wasser, vermische das mit Joghurt, Gojibeeren, Acaibeeren und Flocken und dann gebe

ich noch ein bisschen Algen dazu und das esse ich jeden Tag“ (Interview 7).

Neben konkreten Speisen, die den Anspruch auf Sättigung tragen, werden pulverisierte Super-

foods vermengt mit Wasser oder Säften, in Form von Shots konsumiert (Interview 2, 8). Hierbei

gilt primär, den Bedarf an Nährstoffen, den der Körper täglich benötigt, durch die Inhaltsstoffe

der jeweiligen Superfoods, zu decken. In erster Linie wird der medizinische Aspekt der aufge-

nommenen Lebensmittel fokussiert.

Während im Rahmen des Frühstücks für die befragten Personen meist konstant dieselben

Speisen, angereichert mit Superfoods, gegessen werden, variieren die Gerichte für Mittag- oder

Abendessen. Für Hauptmahlzeiten findet überwiegend Quinoa seine Verwendung. 90% der Be-

fragten schätzen das Pseudogetreide als Sättigungsbeilage, besonders als Ersatz für Nudeln oder

Reis. Quinoa wird meist mit Avocado, oder anderem Gemüse kombiniert, und als Quinoa-Riso-

tto oder Quinoa-Gemüsepfanne serviert (Interview 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10). Als leichtere Kost

wird zudem Salat mit Avocado und unterschiedlichen Samen, wie Chia, sehr gerne verspeist

(Interview 1, 3, 6, 7, 8, 10). Im Kochvorgang selbst finden diverse Superfoods ihren Einsatz,

besonders Samen werden verwendet, um eine nussig-körnige Textur zu erzeugen und Gojibee-

ren werden asiatischen Eintopfgerichten hinzugefügt (Interview 1, 4, 5, 9). Auch drei der be-

fragten Personen verarbeiten Chiasamen und Quinoa in selbst gebackenem Brot (Interview 3,

4, 7). Zum Anbraten verschiedener Zutaten wird vorwiegend Kokosöl, anstelle von Butter oder

anderen pflanzlichen Ölen, gebraucht (Interview 1, 2, 3, 5, 9, 10). Dieses findet zudem im Ba-

cken von veganen Süßspeisen als Stabilisator, in Kombination mit einem Chia-Ei, seinen Ein-

satz. Um das herkömmliche Weizenmehl zu vermeiden, werden glutenfreie Alternativen, wie

Mandel-, Hanf- oder Kokosmehl verwendet (Interview 2, 3, 10).

Der Großteil der Gesprächspartner beschrieb, mit dem Umgang von Superfoods keine

Schwierigkeiten zu verbinden. Anfängliche Ratlosigkeit über die Verwendung neuer Produkte,

73

wurde durch die regelmäßige Einbindung in die tägliche Ernährungsweise überwunden. Die

Rolle von Genuss der Superfoods, und die Gewöhnung an neue Geschmacksfelder, wird aus-

führlicher etwas später in diesem Kapitel thematisiert. Im Gegensatz zu regulären Arbeitstagen,

bietet das Wochenende für vier der befragten Personen einen Zeitraum, um Mahlzeiten mit

Superfoods umfangreicher zu gestalten und neue Rezepte auszuprobieren. Der Faktor Zeit,

spielt an freien Tagen insofern eine Rolle, dass Superfoods mehr genossen werden und teilweise

jene teureren Produkte konsumiert werden, die nicht täglich verzehrt werden (Interview 1, 2, 3,

4). Andere Interviewte hingegen äußerten eine konstant bleibende Ernährung, die sich im Rah-

men von Arbeitstagen und Wochenende ident äußert (Interview 5, 6, 10).

Eine Komponente, die es in der Untersuchung der Ernährungspraktiken der befragten Personen

zu beachten gibt, sind die sozialen Rahmenbedingungen in denen Superfoods gebettet sind.

Interessant dabei ist zu erfahren ob Superfoods primär alleine, im Kontext einer individuellen

Ernährungsweise, oder überwiegend in Gesellschaft genossen werden und sozialen Charakter

tragen. In diesem Zusammenhang gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, Superfoods aus-

schließlich alleine zu konsumieren (Interview 1, 2, 3, 5, 6, 8, 9). Mit Freunden, die sich ebenso

mit Superfoods ernähren, wird teilweise gekocht (Interview 7, 10) und eine Dame verzehrt Su-

perfoods ausschließlich im Rahmen der Familie (Interview 4). Als besonders interessant erwies

sich, dass 70% der befragten Personen Superfoods primär für sich konsumieren und im Kontakt

mit ihren Mitmenschen gänzlich andere Speisen zu sich nehmen (Interview 1, 2, 3, 7, 8, 9, 10).

Hierbei bewegen sich die Befragten in unterschiedlichen Lebens- und Handlungsräumen, die

sich nach Bourdieu, durch den jeweilig geltenden Habitus, der als Erzeugungsprinzip und Klas-

sifikationssystem der geltenden Praxisformen, definieren (Bourdieu 1982: 278). In diesem Zu-

sammenhang schildern zwei Grazerinnen ihr unterschiedliches Essverhalten situationsbezogen:

„Superfoods sind schon auch einschränkend, wenn ich sage ich esse nur Gemüse und Superfoods,

und mich Leute abends zum Essen einladen, dann kann ich auch nicht sagen: für mich bitte nur

Gemüse. Deswegen will ich eben nicht auf diesen sozialen Akt verzichten, deswegen geh ich dann

trotzdem Essen am Abend und bestell mir dann etwas anderes oder gehe zu meinen Freunden obwohl

die was kochen, was ich eigentlich nicht essen würde“ (Interview 1)

„Bei gesellschaftlichen Anlässen esse ich schon andere Sachen oder zu Hause, wenn meine Familie

kocht, dann esse ich das natürlich auch alles, oder mit Freunden“ (Interview 10).

In diesem Zusammenhang ist Bourdieus Habitus-Konzept einzubringen. Bourdieu spricht vom

Habitus, als ein Set an bestimmten Denk-, Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern, das

74

einerseits die Konstruktion von bestimmten Praxisformen - in diesem Fall von Ernährungsprak-

tiken -, und andererseits die Unterscheidung und Bewertung der Produkte und dessen Ge-

schmack, definiert und in Folge den Raum der Lebensstile bildet (Bourdieu 1982: 277f). In

Bezug darauf, können den sieben Superfood-KonsumentInnen, zwei sich überlappende Räume

an Ernährungsstile zugeschrieben werden. Einerseits äußeren sich Superfoods als Teil indivi-

dueller Identität, realisiert in persönlichen und eigenständigen Ernährungspraktiken. Sie finden,

beeinflusst durch gesellschaftliche Vorstellungen und Idealbilder von gesunder Ernährung, täg-

liche Anwendung. Die damit einhergehende Bewertung der Superfood-Produkte konzentriert

sich auf ihre Wirkungsfelder und den Einfluss auf die körperliche und geistige Gesundheit der

Verbraucher. Da sie zweckorientiert konsumiert werden, ist der soziale Aspekt von Ernährung

bei diesen sieben Befragten nicht vorrangig. Andererseits fungieren die in einer Gesellschaft

aufgenommenen Speisen, als Teil kollektiver Identität, praktiziert durch gemeinschaftliche Er-

nährungsformen. Dessen Bewertung fokussiert hierbei Aspekte wie Zusammenhalt, Zugehö-

rigkeit, sozialer Austausch und Genuss. Resümierend zeigen die ausgearbeiteten Ergebnisse,

dass der Superfood-Konsum für 70% der Befragten einem individuellen Ernährungsstil zuge-

ordnet werden kann, der kollektive Ernährungspraktiken eher ausklammert. Da jedoch auf ge-

meinschaftlich genossene Speisen nicht verzichtet werden möchte, wird dem familiären Habi-

tus mit Anpassung begegnet und seine Verhaltens- und Bewertungsstrukturen praktiziert.

4.5.3.1 Superfoods – Notwendigkeit oder Luxus?

Ebenso im Kontext mit Bourdieus Habitus-Konzept liegt das anschließende Hauptaugenmerk

auf seine Differenzierung von Luxusgeschmack und Notwendigkeitsgeschmack. Dem Notwen-

digkeitsgeschmack nach Bourdieu entsprechend, zählen hierzu jene Lebensmittel, die mit Nütz-

lichkeit und Funktionalität in Einklang zu bringen sind und einen sättigenden und deftigen Ge-

schmack tragen (Bourdieu 1982: 594). Der Luxusgeschmack hingegen zeichnet sich durch

leichte Kost aus, deren Anspruch nicht auf Einfachheit und nach Abels (2009) auf einer Distanz

zur Notwendigkeit liegt (Abels 2009: 305f, Bourdieu 1982: 594). Im Rahmen der Interviews

wurde der Fragestellung nachgegangen, inwiefern der Superfood-Konsum der Befragten im

Sinne Bourdieus, als Notwendigkeit, oder Instrument zur Distinktion hierzu verstanden werden

kann.

Zwei Personen empfinden Superfoods als notwendiges Element eines gesunden Ernährungs-

stils. Vor allem wurde auf diese Lebensmittel, als eine Quelle vielseitiger Nährstoffe verwiesen

(Interview 5, 6). Die Funktionalität der Produkte, und ihre Anwendung für einen konkreten

75

Zweck, wurde dabei hervorgehoben. Für eine weitere Dame sind exotische Lebensmittel zwar

kein unerlässlicher Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung, aber sie beschreibt die Wahl

der konsumierten Superfoods als rational und wohlüberlegt. Als Mutter von drei Kindern, ein-

gebunden in einem hektischen Familienalltag, wird ihrerseits ein funktionaler und praktikabler

Charakter an den Superfood-Konsum geknüpft:

„Meistens google ich Superfoods und suche nach Rezepten, mit denen ich kochen kann und die zu

unserer Familie passen würden und je nachdem entscheide ich dann ob ich die Produkte kaufe oder

nicht. Ich gehe da eher von einem praktischen Ansatzpunkt aus. Für mich sind einfach die Nützlich-

keit und Dinge im Alltag wichtig, da kaufe ich nichts impulsiv. Das sind ja meistens auch teurere

Sachen und ich kaufe nichts, bei dem ich nicht weiß, ob ich das zu Hause überhaupt verwenden

kann“ (Interview 4)

Eine konkrete Vorstellung der Verwendung von Superfoods in bestimmten Speisen, wird aus-

schließlich von dieser Dame angesprochen. In diesem Zuge ist festzuhalten, dass der Familien-

stand einer Person ausschlaggebend für ihre jeweiligen Ernährungspraktiken ist. Ob eine Person

für Kinder sorgt und kocht, oder ob diese alleinstehend ist, definieren den Handlungsspielraum

und das Agieren der VerbraucherInnen und sind für den Kauf von Nahrungsmitteln, wie Su-

perfoods, mitbestimmend.

Abgesehen von dem Herrn aus Interview 5 und der Dame aus Interview 6, sehen alle weite-

ren Interviewten (80% der Befragten), Superfoods nicht als Notwendigkeit, sondern als Ergän-

zung zu gängigen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Vollkornprodukten, die die persönliche

Ernährung bunter und facettenreicher gestalten (Interview 1, 2, 3, 4, 7, 10). Hierbei hängt die

Wahrnehmung der GesprächspartnerInnen von gesundheitsförderlichen Lebensmitteln als not-

wendiges oder Luxusprodukt von der jeweiligen Definition von Superfoods ab. Diejenigen Per-

sonen, die heimische und exotische Nahrungsmittel gleichermaßen als Superfood anerkennen,

sehen Chiasamen, Gojibeeren und dergleichen nicht als erforderliche Komponente einer aus-

gewogenen Ernährung. Vielmehr wird die Bandbreite an Superfoods, als Zusatz und als etwas,

das sich die Personen gönnen oder leisten können, beschrieben:

„Es ist ja jedes Obst und Gemüse ein Superfood […] und das ist auch nicht etwas, das nur für eine

gewisse Gesellschaftsschicht leistbar ist, weil ein Apfel kostet eigentlich gar nichts. Und auf Maca-

pulver kann man ja verzichten, das ist kein Muss, das ist etwas das Ich gerne esse und gerne auspro-

biere und mir das leiste, aber das muss man ja nicht um gesund zu leben“ (Interview 1).

Hier schildert die Grazerin, Superfoods nicht als unabdingbar für eine gesunde Ernährung zu

erachten. In ihrem Fall geht der Verzehr von Macapulver mit dem Interesse einher, durch den

76

Konsum des Produktes positive Veränderungen zu vermerken. Die dabei vorliegende Neu-

gierde die Wirkstoffe von Superfoods zu testen, überwiegt und regt zum Konsum an, der ebenso

damit begründet wird, sich etwas leisten zu können, da die notwendigen monetären Mittel vor-

handen sind. Relativiert wird dieser Standpunkt durch den Verweis, dass Superfoods nicht ver-

pflichtend sind für eine gesunde Ernährung, und die Dame sieht in ihrem angeführten Beispiel

des Apfels, als heimisches Superfood, das unabhängig von ökonomischem Kapital und zuge-

höriger Gesellschaftsschicht zugänglich ist. Dem hauptsächlichen Konsummotiv nach, eine ge-

sunde Ernährung zu praktizieren, entweder mithilfe von Superfoods, hier in der Position des

Luxusgeschmacks, oder durch einen heimischen Apfel, als Vertreter des Notwendigkeitsge-

schmacks, liegt nach dem Gedankengang der Grazerin und in Bezug auf Bourdieu, kein sozial

distinktiver Charakter von Ernährung vor. Eine weitere Dame beschreibt den Verzehr nicht

alltäglich konsumierter Produkte angereichert mit Superfoods, als Besonderheit, die im Ver-

gleich zu anderen Lebensmitteln durch einen höheren Preis zum Luxusartikel werden:

„solche Riegel sind natürlich schon Luxus, dass gönn ich mir nur wenn ich einen Einkaufsgutschein

habe, weil da ist auf jeden Fall der Preis ausschlaggebend“ (Interview 2).

Superfood-Riegel sind hoch im Trend, verschiedene Anbieter bringen in kurzer Zeit immer

wieder neue Produkte auf den Markt. Bei einem solchen Müsliriegel angereichert mit verschie-

denen Superfoods, die besonders die Energie und Konzentration steigern sollen, liegen die Kos-

ten bei ca. 3 Euro, das im Vergleich zu einem herkömmlichen Schokoladen- oder Müsliriegel

die dreifache Summe ist. Zweifelsohne spielt der Preis und das zur Verfügung stehende ökono-

mische Kapital im Erwerb um Superfoods eine Rolle. Zur Bewertung der Produkte, ob Not-

wendigkeit oder Luxus, sind unterschiedliche Faktoren mitentscheidend. Überwiegend schät-

zen die Mehrheit der Befragten Personen, Superfoods als einen gesundheitsförderlichen Be-

standteil ihrer Ernährung, der jedoch für eine ausgewogene und nährstoffreiche Nahrungsweise

nicht zwingend ist. Demzufolge finden sich Superfoods nicht in der Position einer Notwendig-

keit wieder. Sie stehen aus Perspektive der InterviewpartnerInnen, für eine Bereicherung der

herkömmlichen Ernährungsweise und werden mit Worten, wie sich etwas leisten können und

sich etwas gönnen, in Verbindung gebracht. Diese Sichtweise der befragten Personen auf den

Konsum von Superfoods, der hierbei bis zu einem gewissen Grad als etwas Besonderes und

nicht Alltägliches gilt, kann in Bezug zu Bourdieus Darstellung der oberen Gesellschaftsschicht

und ihrem Luxusgeschmack als vorgebende Bewertungsmuster und Geschmacksempfindun-

gen, die andere Menschen nachstreben, gesetzt werden. Resümierend lässt sich die Bandbreite

an verschiedenen Superfoods überwiegend dem Luxusgeschmack zuordnen.

77

Im Hinblick auf den Stellenwert der eigenen Ernährung schilderten alle befragten Personen,

dass diese eine wichtige Position einnimmt und direkt mit anderen Lebensbereichen in Verbin-

dung steht und über körperliche Leistungsfähigkeit, mentale Stärke und Energielevel entschei-

det. Fünf Personen beschrieben im Laufe der Befragungen, negative Auswirkungen einer Ver-

änderung ihrer gewohnten Ernährungspraktiken, beispielsweise durch den Verzehr festlicher

reichhaltiger Speisen im Familienkreis, innerhalb kurzer Zeit zu verspüren (Interview 3, 6, 7,

8, 10). Eine Grazerin schilderte den hohen Stellenwert ihres Ernährungsstils, der durch Miss-

achtung aus gesundheitlichen Gründen zu Beschwerden führen kann:

„Weil ich so starke Problem mit der Haut habe, ist bei mir der größte Faktor die Ernährung. Deshalb

ist meine Ernährung in jedem Teil meines Lebens sehr wichtig und ich möchte schon drauf achten,

dass ich auch fit und gesund bleibe“ (Interview 8).

Da die Gesundheit durch das alltägliche Ernährungsverhalten beeinflusst werden kann, kommt

dem Ernährungsverhalten bei allen Befragten, denen ihre Gesundheit als wertvolles Gut gilt,

bei der Suche nach Möglichkeiten, auf ihre Gesundheit Einfluss zu nehmen, ein hoher Stellen-

wert zu.

4.5.3.2 Selbstpraktiken und die Rolle des Geschmacks

Zwei Punkte, die im Rahmen der Ernährung eine tragende Rolle einnehmen, ist der Geschmack

der Speisen und die Genussempfindung der Menschen. Inwiefern dem Geschmackserlebnis von

Superfoods Beachtung geschenkt wird, oder ob der gesundheitliche Aspekt der Lebensmittel

Priorität trägt, wird nun im Folgenden anhand der befragten Personen beschrieben. An dieser

Stelle werden die Ergebnisse der Interviews mit dem in Kapitel 3.3 erläuterten Konzept von

Foucaults Technologie des Selbst und dessen Selbsttechniken in Verbindung gesetzt. Dabei soll

untersucht werden, in welcher Weise sich die GesprächspartnerInnen selbst auferlegten Prakti-

ken unterziehen und welche Bedeutung dem Genuss zugeschrieben wird.

Im Folgenden werden nun durch Analyse des Gesprächsmaterials, die zunehmend aversive

Intensität der Geschmacksempfindung dargestellt. Besonders beachtlich ist, dass ausschließlich

zwei Personen dem Genuss von Superfoods eine Relevanz zuweisen (Interview 4, 9). Ein Herr

gab an, primär Superfoods zu konsumieren, die geschmacklich, und in Bezug auf deren bein-

haltenden Nährstoffe, anziehend sind (Interview 9). Eine Dame schilderte, Superfoods in erster

Linie als Genussmittel zu konsumieren. Mit den Gaumenfreuden von Superfoods, die im Rah-

men ihrer Ernährungsweise alleinig am Wochenende zelebriert werden, wird eine Auszeit vom

78

Alltag verbunden. Die Befragte betont im Zuge dessen, dass der Akt des „sich Zeit nehmen, für

gutes und gesundes Essen“ einen hohen Stellenwert einnimmt (Interview 4).

Drei weitere Grazerinnen heben den geschmacklichen Aspekt des Superfood-Verzehrs her-

vor, jedoch schildern sie einen Prozess der Gewöhnung an die einzelnen Geschmacksfelder der

Produkte. Beispielsweise wurden Chiasamen, Gojibeeren und Hanfsamen als geschmacklich

unangenehm, beziehungsweise gewöhnungsbedürftig, empfunden. Diese anfängliche Abnei-

gung konnte mithilfe eines regelmäßigen Verzehrs überwunden werden (Interview 3, 6, 10).

Die Anpassung an den Geschmack der einzelnen Superfoods, der erst als ungewöhnlich und

eher negativ wahrgenommen wurde, konnte somit durch Habituationseffekte, zugunsten der

erwünschten Aufnahme der gesundheitsförderlichen Stoffe, bewerkstelligt werden. Dem Ge-

schmackserlebnis des Konsums von Superfoods kommt bei den beiden Gesprächspartnerinnen

keine besondere Relevanz zu.

Die nun angeführten Geschmacksempfindungen und das Ernährungsverhalten der inter-

viewten Personen, in Bezug auf ausgewählte Superfoods, sind eindeutig mit Foucaults Selbst-

techniken in Zusammenhang zu bringen. Denn die Ernährungspraktiken, denen sich 50% der

Befragten unterziehen, nehmen Produkte mit als schlecht empfundenem Geschmacksbild in

Kauf (Interview 1, 2, 5, 7, 8). Priorität kommt hierbei den erwünschten gesundheitsförderlichen

Wirkungen der Produkte zu, wie auch eine Grazerin wie folgt beschreibt:

„Also bei Sachen, die extrem gut sein sollen für die Haut oder für die Funktionen des Körpers, die

zwing ich mir auf, weil Macapulver ist eigentlich überhaupt nicht gut, Aloe Vera schmeckt wirklich

widerlich. Also für mich überwiegt der Nährstoffgehalt, das ist dann eben wie Medizin“ (Interview

1).

Die Schilderungen dieser Dame lassen auf Idies (2017: 87) verweisen, der in Zusammenhang

mit Foucaults Technologie des Selbst, die Unterwerfung unter sich selbst in der Sorge um sich,

und in diesem Rahmen sich selbst auferlegten Praktiken, wie hier Ernährungspraktiken mit Su-

perfoods, thematisiert. Die Grazerin spricht von einer Art Zwang, Macapulver, geschmacklich

als überhaupt nicht gut, und Aloe Vera, geschmacklich als widerlich empfunden, zu konsumie-

ren. Wie von der Interviewpartnerin geschildert, wird der Verzehr von ungenießbaren Produk-

ten aufgrund von medizinischen Überlegungen dennoch durchgeführt. Der Anspruch, der an

Superfoods in diesem Sinne geknüpft wird, ist frei von geschmacklichem Genuss, sondern ge-

sundheitsförderliche Nährstoffe, in Form eines Medikamentes gegen konkrete Beschwerden,

werden hierbei fokussiert. Dieses Ernährungsverhalten, zeichnet nach Foucault (1986) Hand-

lungs- und Ernährungsweisen, um auf die eigene körperliche und seelische Verfassung Einfluss

79

zu nehmen und die eigene Person nach konkreten Vorstellungen und Mustern zu verändern

(Foucault 1986: 18). Angestrebt wird in diesem Fall die Verkörperung eines gesunden, vitalen

und sportlichen Menschen. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass Rahmenbe-

dingungen wie politische Machtverhältnisse, oder aktuell geltende gesellschaftliche Vorstel-

lungen von Körperbildern, Menschen in ihrem Ernährungsverhalten und in Bezug auf Foucaults

Veränderung von Körper und Geist durch selbst auferlegten Praktiken, beeinflussen (Foucault

1993: 26, Strüver 2016: 180f).

In Hinblick auf den Konsum geschmacklich als unangenehm empfundener Superfoods gab

eine weitere Dame an, Gerstengraspulver als voll grausig zu empfinden und den Geschmack

dieses Produkt möglichst in Speisen verstecken zu versuchen (Interview 2). Diese Taktik ver-

folgt ebenso eine andere Grazerin mit Algen wie Spirulina und Chlorella (Interview 7). Im

Kontext des Verzehrs von Algen beschreibt eine weitere Interviewpartnerin sich überwinden

zu müssen, diese zu trinken. Daher wird das grüne Pulver lediglich als Shot zu sich zu genom-

men, da der schlechte Geschmack nicht mit anderen Speisen in Kontakt geraten soll. Die Dame

beschreibt ihr Ritual wie folgt:

„Algen schmecken mir auch nicht, das krieg ich gerade mal so runter mit ein bisschen Wasser und

Nase zuhalten“ (Interview 8).

Wieder einem heilenden Arzneimittel gleich, ist der Genuss des Produktes nicht relevant. Es

gilt die Nährstoffe aufzunehmen, um das persönlich fokussierte Ziel von Gesundheit zu errei-

chen. Die Dame beschreibt dabei, dass der Vitamingehalt von bestimmten Superfoods dem Ge-

schmack der Produkte vorgezogen wird, auch wenn der Moment des Verzehrs keine Freude

und Genuss bereitet, liegt der Fokus am Resultat einer gesunden Ernährung. Diese Thematik

wird in ähnlicher Form von einem anderen Grazer aufgegriffen, der dem Aspekt Genussemp-

findung eine sekundäre Rolle zuspricht:

„Auch wenn ich gar keine Lust auf Nüsse hab, dann esse ich trotzdem eine Hand voll, kau die schnell

durch, weil ich weiß es geht mir gut danach, mein Körper fühlt sich einfach gut und der Geschmack

ist ja ein kurzes Intervall […] Ich habe auch manchmal Phasen wo ich mich mal zwei drei Tage frei

ernähre. Da ist dann auch gern mal eine Pizza dabei oder ein Burger, weil diese Sachen einfach

geschmacklich interessant sind. Das ist dann was besonders, aber ich merk sofort die Auswirkungen

[…] sobald ich die Ernährung wieder umstelle, dann habe ich auch die Gewissheit, dass ich einen

12, 13, 14 Stunden Tag gut durchstehe“ (Interview 5).

80

Der hier dargestellte Gesprächsauszug skizziert eine Ernährungsweise, die einen zweckorien-

tierten und funktionalen Ablauf des Verzehrs von Superfood, wie beispielsweise Nüssen, be-

schreibt. Der Geschmack, hier beschrieben als kurzes Intervall, wird überwunden, beziehungs-

weise missachtet, um den Gefühlszustand von Ausdauer und ein hohes Energielevel aufrecht

erhalten zu können. Zudem hält die befragte Person fest, Lebensmittel wie Teufelskralle zu

konsumieren, die ebenso als ungenießbar bewertet werden und dennoch aus gesundheitsförder-

lichen Motiven verspeist wird. Die persönliche Ernährungsweise dieses Herrn scheint auf einer

bestimmten Regelhaftigkeit zu basieren, deren Umsetzung nur selten eine Ausnahme findet.

Selten konsumierte Speisen wie Pizza, die in Phasen einer – wie der Interviewpartner schilderte

– freien Ernährung, gelten als Besonderheit und werden mit geschmacklichem Genuss ver-

knüpft, ein Anspruch, der im Gegensatz an Superfoods nicht gestellt wird. Demzufolge findet

der Superfood-Konsum, eingebettet in die Ernährungsweise dieses Grazers in Bezug auf

Foucault, tägliche Anwendung mit dem Ansporn, sich selbst zu einem gesunden und agilen

Individuum zu verändern, oder den Zustand der erwünschten oder vorgegebenen Verkörperung

zu erhalten.

Resümierend lässt sich festhalten, dass Superfoods zum Großteil, genauer zu 80%, nicht als

Genussmittel genossen werden und dessen Verzehr nicht im Rahmen gesellschaftlichen Aus-

tausches und Feierlichkeiten zelebriert wird. Vielmehr finden sich Superfoods in der Position

eines heilenden Arzneimittels wieder, das in Form individueller Ernährungspraktiken und ohne

Begleitung von Genuss, konsumiert wird.

4.5.3.3 Körperlichkeit und der Stellenwert des Erscheinungsbildes

Da Ernährung und Körperlichkeit ineinandergreifen, bedarf es im Rahmen der Untersuchung

einen näheren Blick auf die Rolle der körperlichen Leistungsfähigkeit und den Einfluss auf das

subjektive äußerliche Erscheinungsbild der InterviewpartnerInnen zu werfen. In Bezug auf die

in Kapitel 3.3 ausführlich behandelte Körperpolitik nach Foucault, sind Körper Träger be-

stimmter gesellschaftlicher Normen und definieren für gültig erklärte Körperbilder, die von

vielen Personen angestrebt werden, und zugleich als Mittel sozialer Kategorisierung fungieren.

In Hinblick auf die sportliche Aktivität der Befragten, äußerten alle Personen sich regelmä-

ßig zu bewegen und Kurse unterschiedlichen Sportangebots zu besuchen. Der Konsum von

Superfoods fördert die Leistungsfähigkeit und Ausdauer der körperlichen Betätigung und ver-

schafft den Befragten einen munteren und wachen Gefühlszustand (Interview 2, 9, 10). Der

Körper eines Menschen lässt bereits eine gewisse Regelhaftigkeit und bestimmte Praktiken der

81

persönlichen Ernährung vermuten. Wie von Foucault erläutert, werden Selbsttechniken nicht

nur auf die einzelnen Ernährungspraktiken angewendet, sondern ebenso auf die Formung und

einhergehende Veränderung des Körpers. Judith Butler (1991) pointiert in Hinblick auf diese

Thematik eingebettet in Foucaults Sorge um sich, dass der eigene Körper einen Stellenwert, als

beispielsweise eines Statussymbols, trägt oder als ein Projekt fungiert, an dem kontinuierlich

gearbeitet und modelliert wird (Strüver 2012: 21-23). Im Kontext hierzu berichtet eine befragte

Grazerin über ihren problemzentrierten Superfood-Konsum wie folgt:

„Ja meine Probleme mit der Haut haben auch mit Äußerlichkeit zu tun, […] auf jeden Fall habe ich

das ganze Projekt deswegen gestartet […]. Es hat bis jetzt keine negativen Effekte für mich gehabt

deswegen mache ich es weiter, und sehe eigentlich keinen Grund aufzuhören“ (Interview 1).

Den Schilderungen der Dame zufolge werden Superfoods von ihr konkret verzehrt, um eine

Besserung des Hautbildes zu erwirken. Dabei wird besondere Aufmerksamkeit auf die Verfas-

sung einer gesunden Haut, als Bestandteil eines, als positiv wahrgenommenen, Erscheinungs-

bildes, gelenkt. Wie von Judith Butler beschrieben, verwendet auch diese Interviewpartnerin

den Begriff des Projektes in Bezug auf die Veränderung ihres Hautbildes. Ebenso das kontinu-

ierliche Arbeiten an sich und seinem Körper findet in dem Superfood-Verzehr der Grazerin

seinen Ausdruck, indem darauf verwiesen wird, Superfood-Produkte weiterhin zu konsumie-

ren, in der Hoffnung auf gesundheitsförderliche Auswirkungen auf die Haut. In diesem Zusam-

menhang verweist Strüver (2012) ebenso auf die Bedeutung des Körpers, als Feld inkorporier-

ter gesellschaftlicher Normen, sowie ökonomischer und politischer Diskurse, und macht dabei

auf soziale Wechselbeziehungen einer Gesellschaft aufmerksam (Strüver 2012: 19-22). Gerade

an die Wahrnehmung und Bewertung eines Hautbildes sind gesellschaftlich konstruierte ästhe-

tische Normen geknüpft. Die Vorstellung und der Wunsch eines gesunden, frischen und jungen

Aussehens, wird auch im Rahmen des Superfood-Konsums, verfolgt.

Eine weitere Dame bezeichnete als Hauptmotive für ihre Ernährung angereichert mit Super-

foods, die Einflussnahme auf positive Veränderungen ihres Erscheinungsbildes. Dabei wird

primär ein schönes Hautbild und eine Gewichtsabnahme fokussiert (Interview 8). Eine andere

Grazerin akzentuiert ebenso die Eigenschaften von Superfoods, wie den Gojibeeren, und ihren

innewohnenden Anti-Aging-Effekten, verweist zusätzlich auf die direkte Verknüpfung von Er-

nährung und Schönheit indem „ein gesunder innerer Körper ein schönes Erscheinungsbild

macht“ (Interview 3). Zwei Gesprächspartnerin beschreiben kein konkretes Produkt, sondern

heben das zugewonnene Selbstbewusstsein, resultierend aus der Verbindung Ernährung und

Sport, hervor:

82

„Ich mache schon Sport […] und wenn ich Superfoods esse, dann fühl ich mich gesund und bin auch

viel selbstbewusster. Dann ist meine Haltung und Ausstrahlung viel besser, das wirkt sich dann schon

auf meine Erscheinung aus. Das haben mir auch schon Freunde gesagt“ (Interview 6).

Wie diese Dame schildert, tragen Aspekte wie Selbstbewusstsein, eine verbesserte Haltung und

Ausstrahlung zu einem gewünschten Erscheinungsbild bei. In Hinblick auf die in Kapitel 3.1

thematisierte Konzeption des demonstrativen Konsums von Veblen, wird hierbei Anerkennung

und Wertschätzung resultierend aus gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität, durch den

Zuspruch der Mitmenschen konstruiert. Die wiederum Antrieb liefert, jene Praktiken, die das

Ernährungsverhalten und auch die regelmäßige sportliche Betätigung prägen, zu routinieren. In

diesem Zusammenhang wird der eigene Körper und die Gesundheit durch die Begutachtung

der Gesellschaft bewertet und entscheidet nach Kreisky über soziale Zugehörigkeit oder Aus-

grenzung im Rahmen eines Körperkults (Kreisky 2008: 156). Wesenszüge eines modernen

Menschen werden mit gesund, sportlich, dynamisch und erfolgreich beschrieben die Ausdruck

einer modernen Lebensführung sind (Strüver 2012: 23). Jene Charakterisierung wird ebenso

von einem Grazer angestrebt, der einer gesunden und sportlichen Tagesgestaltung hohe Rele-

vanz zuspricht:

„Das Bild von einem sportlich agilen erfolgreichen Menschen spielt auf jeden Fall eine Rolle. Wenn

man sich gut ausgewogen und mit Superfoods ernährt, da steigt das körperliche Wohlbefinden, das

macht sich in der Ausstrahlung bemerkbar wie ein gewisses Strahlen in den Augen, Wachheit, Kon-

zentration im Gespräch auch mit anderen. […] Wenn man sich gut ernährt merke ich schon, dass die

Haut schöner ist, der Körper sich besser anfühlt, selber von innen heraus, aber auch optisch von

außen hat man eine schönere Wirkung. Ist schon schön, wenn man sich im Spiegel anschaut und

Komplemente auch bekommt“ (Interview 5).

Wie sich an diesem Gesprächsauszug zeigen lässt, nehmen Ernährung und Sport für diesen

Befragten einen hohen Stellenwert ein und sind formgebend für seinen Lebensstil. Mit Super-

foods und regelmäßiger Bewegung sollen auf Körper und Seele direkten Einfluss genommen

werden. Wie in Kapitel 2.5 erläutert gilt nach den Autoren Weiss/Bor, der Anspruch an Super-

foods mehr körperlich und geistig leisten zu können, sowie Glückseligkeit zu verspüren und

„das Gefühl haben, von innenheraus kraftvoll zu leuchten“ (Weiss/Bor 2013: 8f). Dieses Ziel

geistiger und körperlicher Vollkommenheit scheint auch der befragte Herr zu verfolgen. Die

von ihm beschriebene körperliche Ausstrahlung und das Strahlen der Augen, sowie ein durch

den Superfood-Konsum besseres Körpergefühl und für das soziale Umfeld optisch wahrnehm-

bare positive Veränderungen, sind ebenso feststellbar. Zudem beschreibt der Interviewpartner

83

gerne Komplimente zu erhalten und seinen Körper selbst im Spiegel zu begutachten. Der Kör-

per scheint hier als Statussymbol zu fungieren und ebenso in Bezug auf Foucaults Selbsttech-

niken und Judith Butler als ein Projekt, an dem es kontinuierlich zu arbeiten gilt. In Bezug auf

Veblens Konzeption des demonstrativen Konsums zeigt sich die Sichtbarmachung und eine Art

Zurschaustellung des eignen Körpers als Instrument für Wertschätzung und auch Prestige (Len-

ger/Priebe 2013: 95ff). Demzufolge trägt nach Veblen das Prestigeobjekt, in diesem Falle der

Körper, zur Persönlichkeitsentwicklung des Konsumenten bei und fördert die Steigerung des

Selbstwertgefühls durch die Kenntnisnahme und Bewunderung des sozialen Umfeldes (Veblen

2011: 52).

Ernährungsweisen und Körperlichkeit sind meist in gegenseitiger Begleitung. Für einige Be-

fragte werden mit Fokus eines äußerlichen Erscheinungsbildes, konkrete Problemstellungen,

wie die Verfassung der Haut thematisiert. Andere schätzen durch die Kombination Ernährung

und sportlicher Aktivität, Einfluss auf ihre Ausstrahlung, Haltung und ebenso ihr Selbstbe-

wusstsein nehmen zu können. Für andere wiederum fungiert der eigene Körper als Statussym-

bol, der als Instrument sozialer Anerkennung dient.

4.5.3.4 Vielschichtigkeit der Ernährungsstile

Abschließend für diese Kategorie und im Rahmen der Untersuchung verschiedener Aspekte,

die zu Ernährungspraktiken der befragten Personen im Hinblick auf ihren Superfood-Konsum

beitragen, werden nun Landwirtschafts- und Ernährungsstile, die von Boltanski und Thévenot

konzipiert wurden, näher beleuchtet und mit dem Ernährungsverhalten der InterviewpartnerIn-

nen in Verbindung gesetzt. Die einzelnen Welten fokussieren unterschiedliche Formen der

Wertschöpfungskette von Produkten, beginnend mit deren Produktion und endend mit ihrem

Verzehr der VerbraucherInnen (Ermann et al. 2018: 179f). Da diese Ernährungssysteme nicht

alleine für sich und losgelöst von einander existieren, liegt das Interesse der Untersuchung auf

der Überlappung und der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Welten. In Folge wer-

den, besonders die häusliche Welt, die Welt des Marktes und die Welt der Inspiration behandelt.

Hingegen die Welt der Industrie und der zivilgesellschaftlichen Welt werden in Kategorie 4

konkret thematisiert und in Kategorie 5 liegt das Hauptaugenmerk auf der Welt der Meinung.

Im Rahmen der Interviews wurden die Personen befragt, inwiefern Rabattangebote, wie bei-

spielsweise 1+1 gratis Produkte und vergünstigte Artikel, konsumiert werden. Die Bewertung

dieser Nahrungsmittel wird in der Welt des Marktes beschrieben. In diesem Ernährungssystem

konzentriert sich die Produzentenseite an Ertragszahlen und Gewinnmaximierung, hingegen

84

die KonsumentInnenseite an günstigen Preisen (Boltanski/Thévenot 2007: 270ff, Ermann et al.

2018: 180f). Im Rahmen der Befragungen gaben drei Personen an, gerne auch auf unterschied-

liche Rabattangebote zurückzugreifen, obwohl der Erwerb dieser Produkte mit einer ursprüng-

lichen Kaufintention nicht behaftet war (Interview 1, 2, 4). Andere Befragte wiederum beachten

ebenso vergünstigte Produkte, kaufen jedoch nur jene Nahrungsmittel, die sie ohnehin regel-

mäßig verzehren (Interview 3, 5, 6, 7). Hierbei gilt, dass nicht nur ausschließlich für gesund

empfundene Lebensmittel konsumiert werden, sondern auch Süßwaren, oder teilweise andere

Fertigprodukte. Das heißt jene Lebensmittel, die überwiegen von Rabattaktionen betroffen sind

(1, 2, 3, 4, 9, 10). Die Orientierung an niedrigen Preisen ist zweifelsohne auch ein Punkt, der

die GesprächspartnerInnen im Zuge des Superfood-Konsums begleitet. Ein Herr verweist da-

rauf zu achten „wo man gut einkaufen […] und wo man auch Geld sparen kann“ (Interview 9).

Gut einkaufen wird in diesem Sinne mit niedrigen Preisen definiert. Gerade bei Superfoods, die

kostenintensiver sind als durchschnittliche Lebensmittel, wird dem Faktor Preis eine wichtige

Rolle zugeschrieben. Eine sogenannte Schnäppchenjagd wird auch im Bereich Superfood-Kon-

sum praktiziert. Dies schildert eine Grazerin wie folgt:

„[Auf] Aktionen [achte ich] schon, aber ich informier mich schon vorher wo gibt es das Produkt

noch? Gibt es das woanders noch billiger? Ich informier mich da schon sehr stark, weil mir der Preis

eben auch wichtig ist“ (Interview 8).

Der Schilderungen der Dame zufolge, sind die Kosten der einzelnen Superfood-Produkte äu-

ßerst relevant und tragen maßgeblich zur Kaufentscheidung bei. Das Suchen nach noch günsti-

geren Preisen des gewünschten Produktes, und die damit einhergehenden Recherchen, sind mit

Aufwand verbunden und teils zeitintensiv. Diese Konsumpraktiken, die in einen Ernährungsstil

mit Superfoods gebettet sind, lassen sich mit Boltanski und Thévenots Konzeption der Welt des

Marktes in Bezug setzen. Neben herkömmlichen Lebensmittel, die mit Rabattangeboten behaf-

tet sind und von 60% der Befragten konsumiert werden (Interview 1, 2, 3, 4, 9, 10), spielt die

Orientierung an günstigen Preisen ebenso im Rahmen des Superfood-Trends eine Rolle (Inter-

view 2, 6, 8, 9). Die Relevanz der Produktkosten von Superfoods wird in Kategorie 4 bezüglich

der Konsumpraktiken der Interviewten näher beleuchtet.

In weiterer Analyse liegt die Konzentration auf der Welt der Inspiration. Boltanksi und

Thévenot beschreiben das eigene Anbauen und Zubereiten von Lebensmitteln als schöpferische

Tätigkeit und eine Art Selbstverwirklichung. Hierfür bieten die Teilnahme an Gemeinschafts-

oder Selbsterntegärten eine Möglichkeit der Umsetzung (Boltanski/Thévenot 2007: 223-227,

Ermann et al. 2018: 188). In diesem Zusammenhang wurden die Interviewten befragt, ob sie

85

selbst Lebensmittel kultivieren. 50% der Personen schilderten keine Nahrungsmittel anzubauen

und auch nicht in Vereinen aktiv zu sein, die Gemeinschaftsgärten betreiben, zudem ist das

Interesse an dieser Form der landwirtschaftlichen Tätigkeit seitens der GesprächspartnerInnen

nicht vorhanden (Interview 1, 2, 6, 8, 10). Ein Herr erläuterte, in seinem momentanen Lebens-

abschnitt keine Zeit zu haben einen Garten, beziehungsweise einen Acker, zu bewirtschaften.

Jedoch liegt die Absicht vor in späterem Alter selbst Lebensmittel zu kultivieren (Interview 5).

40% der befragten Personen bauen selbst Nahrungsmittel an. Darunter werden verschiedene

Kräuter wie Kresse, Schnittlauch, Basilikum oder Thymian und Früchte, wie Tomaten am Bal-

kon angepflanzt (Interview 3, 9). Zwei Damen besitzen einen Garten, in dem verschiedene Bee-

ren und Gemüse wie Zucchini, Kürbis, Kraut und verschiedene Kräuter und Obstbäume gedei-

hen (Interview 4, 7). Als Beweggründe für den Eigenanbau der Nahrungsmittel werden unter

anderem die Gewissheit, unbehandelte Produkte zu erhalten, oder der Genuss an geschmack-

vollen Lebensmitteln, genannt (Interview 3, 4, 7, 9).

Die häusliche Welt setzt ihren Fokus auf die Beziehung und den Austausch regionaler Pro-

duzentInnen und KonsumentInnen. Hier bilden Vertrauen und Wertschätzung der erzeugten

Nahrungsmittel die Basis des Geschäftsverhältnisses und realisiert sich beispielsweise durch

den Besuch der KonsumentInnen an Bauernmärkten, sowie Eier- oder Milchautomaten

(Boltanski/Thévenot 2007: 228ff, 276ff, Ermann et al. 2018: 183ff). In diesem Kontext wurde

untersucht, welche Rolle regionale Produkte und der Bezug zu lokalen ProduzentInnen spielen.

Dabei hielten 50% der Personen fest, keinen großen Wert auf den Kauf regionaler Nahrungs-

mittel zu legen (Interview 2, 5, 6, 8, 9). Eine andere Dame schilderte ab und zu regionale Pro-

dukte zu konsumieren, jedoch ausschließlich im Supermarkt. Sie meinte sie würde gerne einen

Bauernmarkt besuchen, verbindet dies jedoch mit einem zu großen Aufwand:

„Ich würde das gerne machen, aber ich muss sagen, dass ich dafür zu faul bin. Ich arbeite unter der

Woche und am Wochenende früh aufstehen und zum Bauernmarkt zu gehen, der nicht vor meiner

Haustür ist im Gegensatz zu einem herkömmlichen Supermarkt, ja da bin ich ehrlich gesagt zu faul

dafür“ (Interview 1).

Den Schilderungen der befragten Grazerin zufolge überwiegt die Anziehung eines herkömmli-

chen Lebensmittelgeschäftes, das den Großteil der benötigten und gewünschten Nahrungsmittel

anbietet. Der unmittelbare Kontakt und Austausch mit lokalen ProduzentInnen, um beispiels-

weise den Ursprung der Produkte zu erfahren, wird von dieser Dame zwar gewünscht, es man-

gelt jedoch an der Umsetzung. Hingegen beschrieben 40% der InterviewpartnerInnen regelmä-

ßig einen Bauern- oder Wochenmarkt zu besuchen und ebenso in Supermärkten Obst, Gemüse,

86

Fleisch, Eier und Milchprodukte aus regionaler Produktion zu bevorzugen (Interview 3, 4, 7,

10). Ebenso werden kleine Bauernläden aufgesucht und ProduzentInnen im Bekannten- und

Familienkreis unterstützt (Interview 4, 7). Eine Dame pointiert neben der Regionalität der Le-

bensmittel auch die Bedeutung der Saisonalität und argumentiert wie folgt:

„Also da schau ich schon drauf, im Winter kaufe ich keine Heidelbeeren, die aus Spanien kommen

und die irgendwo in großen Häusern angebaut werden, die extrem viel CO2 verbrauchen und die

Arbeitsbedingungen miserabel sind. Da schau ich schon drauf saisonal zu kaufen, ist auch günstiger

eigentlich“ (Interview 10).

Nach den Ausführungen dieser Person wird die Wahl der jeweiligen Lebensmittel auf ihre Sai-

sonalität getroffen und zudem werden umweltökologische Aspekte, wie der CO2-Verbrauch der

Produkte oder soziale Rahmenbedingungen des Anbaus miteinbezogen. Der Bezug auf Regi-

nalität und Interaktion mit lokalen ProduzentInnen leistet Aufklärung über die Produktion der

verspeisten Lebensmittel und vermindert, im Gegensatz zu weitgereisten Superfoods, negative

Auswirkungen auf die Umwelt. Hinsichtlich des Bewusstseins der Verbraucher über die Her-

kunft und Anbaubedingungen von Superfoods wird in der folgenden Kategorie näher darauf

eingegangen.

Boltanksi und Thévenots konzipierte Welten als Basis der hier untersuchten Ergebnisse zeigen,

dass die befragten VerbraucherInnen sich in unterschiedlichen Welten bewegen. Der persönli-

che individuelle Ernährungsstil lässt sich nicht konform gestalten, sondern unterliegt einer

Komplexität. So nehmen VerbraucherInnen gleichzeitig aus der Welt des Marktes Rabattange-

bote wahr, kultivieren im Rahmen der Welt der Inspiration selbst angebaute Lebensmittel und

legen in Bezug auf die häusliche Welt, Wert auf regionale Produkte und den Austausch mit

lokalen ProduzentInnen (Interview 3, 4). Bei anderen Befragten überlappen sich wiederum an-

dere Welten. Deshalb bewegen sich Ernährungsstile nicht in einer geschlossenen Welt, sondern

aufgrund kontextueller Rahmenbedingungen und unterschiedlicher Lebensgestaltung finden sie

individuellen Ausdruck und formen verschiedene Lebensstile.

Ernährungspraktiken konstituieren sich nach den ausgearbeiteten Ergebnissen durch mehrere

Aspekte. Die im Sinne Bourdieus und seinem Habitus-Konzept geschilderten Verhaltenswei-

sen, Praktiken und Routinen der Personen geben ihnen Struktur und bilden eine verlässliche

Stütze in einem schnelllebigen Alltag. Die persönliche Gestaltung nimmt dabei eine bedeutende

Rolle ein. Superfoods sind primär in ein individuelles und nicht kollektives Ernährungsverhal-

ten gebettet und finden sich überwiegend in der Position einer Medizin für

87

gesundheitsförderliche körperliche und geistige Veränderungen wieder. Selbst auferlegte Prak-

tiken im Kontext von Foucault können hierbei realisiert werden und machen sich durch den

Konsum, teilweise als ungenießbar empfundener Superfoods, deutlich. Dabei spielt die Rolle

des Geschmacks eine überwiegend sekundäre Rolle. Die gewählten Superfoods werden in die-

sem Zusammenhang nicht als unbedingt notwendiger Bestandteil einer gesunden Ernährungs-

weise gesehen, sondern vielmehr als eine zusätzliche Komponente einer facettenreichen Ernäh-

rung und die Bereitschaft höherer Lebensmittelkosten wird voraussetzt. Daher können sie im

Zusammenhang mit Foucaults Differenzierung des Notwendigkeits- oder Luxusgeschmack e-

her letzterem zugeschrieben werden. Nicht nur die Ernährung selbst, sondern auch die Verfas-

sung des Köpers und die körperliche Bewegung, nehmen einen hohen Stellenwert der befragten

Personen ein, um unter anderem auf ihr äußerliches Erscheinungsbild positiven Einfluss zu

nehmen und ebenso, um soziale Anerkennung zu erlangen. In Hinblick auf Boltanski und

Thévenots Entwurf der verschiedenen Welten von Landwirtschafts- und Ernährungsstilen, die

sich je nach Person überlappen und unterschiedliche Ernährungsweisen skizzieren, wird darauf

aufmerksam gemacht, dass der Ernährungsstil eines Menschen von unterschiedlichen Faktoren

abhängt und von mehreren Einflüssen geprägt wird. Daher ist das individuelle Ernährungsver-

halten immer im Kontext verschiedener Rahmenbedingungen wie beispielsweise verfügbares

ökonomisches Kapitel, Lebensabschnitt, Familienstand, gesundheitsbedingte Beschwerden,

Ernährungstrends und viele weitere Aspekte, zu betrachten. Da die Ernährungspraktiken mit

dem Konsumverhalten der Verbraucher Hand in Hand gehen, werden diese nun in folgender

Kategorie näher behandelt.

4.5.4 Konsumpraktiken

Bevor Superfoods verzehrt werden können, müssen sie zuerst eingekauft werden. Das Kon-

sumverhalten der im Rahmen der Untersuchung befragten GesprächspartnerInnen, und die Ge-

staltung ihrer Ernährungspraktiken, zeichnen den persönlichen Ernährungsstil. Deshalb werden

nun in dieser Kategorie verschiedene Aspekte thematisiert, die zur Konstruktion der Kon-

sumpraktiken der jeweiligen Interviewten beitragen. Bezüglich ihres Superfood-Konsums wur-

den die Personen zu Beginn befragt, wo die verschiedenen Produkte eingekauft werden. Bis auf

eine Dame, schilderten 90% der Personen in herkömmlichen Lebensmittelgeschäften, wie

Hofer, Billa, Spar oder in Drogerien wie Dm, Superfoods zu kaufen und schätzen die mittler-

weile große Auswahl an verschiedenen Produkten und Rabattangebote (Interview 2, 3, 4, 5, 6,

7, 8, 9, 10). Während Reformhäuser ebenso gerne besucht werden, werden Biomärkte eher

88

gemieden, da an diesem Verkaufsort die Superfoods im Vergleich teurer angeboten werden

(Interview 1, 2, 5, 6, 10).

4.5.4.1 Tragweite der Kosten

Da der Preis für sechs befragte Personen Relevanz trägt und darüber entscheidet, wo die Pro-

dukte gekauft werden, wird der Markt mit günstigeren Superfoods überwiegend bevorzugt.

Hierbei beschrieben 60% der Interviewten regelmäßig im Internet zu bestellen. Hauptgrund

sind die niedrigeren Preise im Vergleich zum regulären Lebensmitteleinzelhandel (Interview 1,

5, 7, 8, 9 ,10). Eine Dame beschreibt folgend das Verhältnis von Biomarkt und Online-Anbie-

tern von Superfoods:

„Macapulver [kaufe ich] online, weil ich habe es einmal in einem Bioladen gekauft, und da war es

viel teurer als online und dann habe ich mir die zweite Packung online gekauft" (Interview 1).

Wie diese Dame schildert ist der Preis der Produkte je nach Anbieter unterschiedlich. Bioläden

sind unter den befragten Personen bekannt für kostenintensivere Produkte. Anziehungskraft

besitzt jedoch das günstigere Angebot und daher werden unter der Vielzahl an Online-Markt-

plätzen die jeweiligen gewünschten Superfoods gewählt. Der Online-Handel bietet zudem grö-

ßere Mengen der einzelnen Lebensmittel an, das wiederum die KonsumentInnen anspricht (In-

terview 5, 7). In diesem Zusammenhang hält eine Grazerin fest:

„Online kaufe ich Chiasamen und Matcha, weils eben auch billiger ist. Da bekomme ich ein Kilo

nach Hause geliefert und da habe ich länger was davon und die halten sich ewig, das ist dann schon

praktisch“ (Interview 7)

Der hier angesprochene Mengenrabatt, der mit dem Bestellen größerer Portionen einhergeht

und aufgrund der längeren Haltbarkeit der Produkte, ist der Verkaufsweg über den Online-

Handel aus Perspektive der Konsumentin in doppeltem Sinne praktikabel. Die Orientierung an

niedrigen Preisen, die mehr als die Hälfte der interviewten Personen verfolgt, kann in Bezug zu

Boltanksi und Thévenots Welt des Marktes gesetzt werden. 60% der befragten Personen schil-

derten auf den Preis der Superfrüchte und Supersamen zu achten und dieser ist ebenso für die

jeweilige Produktwahl entscheidend (Interview 1, 2, 6, 7, 8, 10). Vor allem wird in der Regel

von den InterviewpartnerInnen nie nur ein einzelnes Superfood konsumiert, sondern immer

mehrere Produkte, das wiederum die Bereitschaft für den Erwerb teurer Lebensmittel sinken

89

lässt. Eine Dame skizzierte ihren Erwerb von Superfoods, wie beispielsweise Chlorella, wie

folgt:

„Der Preis ist für mich auf jeden Fall sehr sehr relevant, ich schau schon darauf, dass ich auch immer

die günstigere Variante suche und beispielweise bei Chlorella habe ich auch gleich geschaut, dass

ich einen Einkaufsgutschein erwische und dass es heruntergesetzt ist“ (Interview 8).

Somit unterliegen die Konsumpraktiken dieser Person keiner Spontanität oder gleichen einem

Impulskauf, sondern verfolgen eine konkrete Struktur, mit dem Ziel das gewünschte Produkt

möglichst günstig zu erwerben. Obwohl der Superfood-Konsum der Grazerin kein unbeschwer-

tes Einkaufen ermöglicht und stets eine Recherchearbeit in Hinblick auf die einzelnen Produkt-

preise der verschiedenen Anbieter erfordert, möchte sie auf das Lebensmittel, wie hier Chlorella

nicht verzichten. Diese Orientierung an günstigen Angeboten untermauert in Bezug auf

Veblens demonstrativen Konsum, das Streben nach dem Entsprechen und Praktizieren aktueller

Ernährungstrends, die der Geschmackswahrnehmung einer bestimmten sozialen Gruppe ent-

spricht, dessen Zugehörigkeit über den Konsum konkreter Superfoods bestimmt. Es sei er-

wähnt, dass gerade Superfood-Pulver, darunter Algen wie Chlorella und Spirulina oder Grün-

tee-Extrakt wie Matcha, bezüglich der Preiskategorie an der Spitze liegen. Vor allem Matcha-

Tee, als Szenegetränk gerne konsumiert, startet im Durchschnitt bei 20 Euro für 30g (ca. 4

Esslöffel) und je nach Qualität des Produktes ist mit einem höheren Preis zu rechnen. Eine

Dame, die diesen Tee konsumiert, berichtet wie folgt:

„Ja der Preis ist für mich schon ausschlaggebend welches Produkt ich kaufe, da nehme ich meistens

das günstigste Angebot. Ich find Matcha-Tee auch voll super, aber das kaufe ich mir sehr selten, weil

es ja so teuer ist“ (Interview 6)

In diesem Zusammenhang stellt der Konsum von Matcha-Tee für diese Grazerin eine Beson-

derheit dar und fungiert im Sinne Bourdieus und seiner Konzeption des Luxusgeschmack, als

ein Lebensmittel, das ein gewisses ökonomisches Kapital voraussetzt und somit kann der re-

gelmäßige Konsum eher der oberen Gesellschaftsschicht zugeschrieben werden (Abels 2009:

305f). Zudem sei festgehalten, dass Matcha-Tee und auch Matcha-Latte eine unheimliche Me-

dienaufmerksamkeit genießen. Matcha-Latte, hergestellt aus Matcha-Pulver und pflanzenba-

sierter Milch, als Pendant eines herkömmlichen Milchkaffees, gilt als Trendgetränk, das auf

verschiedenen sozialen Netzwerken massiv beworben wird. Bekannte Persönlichkeiten des Öf-

fentlichen Raums fungieren hierbei als Werbeträger.

90

Während sechs von zehn Personen auf den Preis der Produkte achten und dieser über Kauf oder

Verzicht entscheidet, sind vier Befragte bereit mehr Geld für Superfoods auszugeben (Interview

3, 4, 5, 9). Hierbei wird der hohe Stellenwert der Ernährung akzentuiert, sowie der Genussas-

pekt der Lebensmittel (Interview 3) und die Freude am Kochen (Interview 4, 9). Auch das Ar-

gument für Ernährung mehr Geld auszugeben, als für andere Lebensbereiche wird hervorgeho-

ben (Interview 5, 9). Zudem bevorzugen drei InterviewpartnerInnen Superfoods aus biologi-

schem Anbau (Interview 3, 4, 9), und drei Personen legen Wert auf Fairtrade-Siegel (Interview

3, 9, 10). Biologischer Anbau und Fairtrade-Siegel sind zwei Aspekte, die zu einem höheren

Preis der Produkte beitragen.

Da in kurzen zeitlichen Abständen neue Superfoods auf den Markt gebracht werden, schien es

von Relevanz, im Rahmen der Interviews zu untersuchen, inwiefern neu erschienene Produkte

von den jeweiligen Befragten wahrgenommen und konsumiert werden. 80% der Interviewpart-

nerInnen hielten in ihren Erzählungen fest, regelmäßig neue Superfoods auszuprobieren und

diese auf ihre Eigenschaften zu testen (Interview 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10). Zu den Beweggründen

zählen neben Neugierde für unbekannte Superfoods, ebenso die, durch die Inklusion der Pro-

dukte im täglichen Kochprozess, einfließenden neuen Geschmacksfelder. Hierbei schildert eine

Dame, sich für Neuerscheinungen zu interessieren, da sie ihr Ernährungsverhalten abwechs-

lungsreich gestalten möchte, um Langeweile zu vermeiden. Deshalb finden neue Superfoods

ihre Verwendung in unterschiedlichen Rezepten (Interview 3). Eine andere Grazerin informiert

sich zuerst über die Bewertung der Superfoods, bevor sie diese selbst konsumiert:

„Ich interessiere mich schon immer sehr dafür, aber ich betrachte das auch immer mit einer gewissen

Skepsis, ich google zuerst immer und lies Reviews darüber, was die Leute so sagen“ (Interview 1).

Nach den Schilderungen dieser Dame sind die Empfindungen anderer Personen über Super-

foods auschlaggebend, ob von ihr unbekannte Produkte ausprobiert werden oder nicht. Hierbei

lässt sich der Bezug zu Boltanksi und Thévenots Welt der Meinung ziehen. Darin wird die

Wertschätzung der Produkte durch ein konstruiertes Publikum an Personen beurteilt und be-

wertet (Boltanski/Thévenot 2007: 246). Daher werden stark verbreitete und viel konsumierte

Produkte als gut und empfehlenswert erachtet, denn die Meinung der Menschen gilt hierbei als

Maßstab. Die Markenbildung von Superfoods und die Verknüpfung bestimmter Eigenschaften,

wie beispielsweise antioxidativ, besitzen daher große Anziehungskraft. Neben der ohnehin star-

ken Vermarktung und Informationsverbreitung von Superfoods, bedarf es, um den Trend ver-

folgen zu können, eine hohe Eigeninitiative bezüglich der Informationsaneignung über neu

91

erschienene Produkte am Markt. Im Kontext zu Veblens demonstrativen Konsum gilt es ständig

informiert zu sein über konkrete Produkte und deren Verwendung, wie beispielsweise in Hin-

blick auf Superfoods die Acaibeere und ihr Verzehr in Form einer Acai-Bowl (Kapitel 2.5 Abb.

10), um der vorherrschenden Geschmackswahrnehmung einer bestimmten sozialen Gruppe zu

entsprechen, die wiederum über Zugehörigkeit und Abweisung bestimmt und den Prestigewert

der Ernährung festmacht (Abels 2009: 301).

Wie in Kapitel 2.5 erläutert, werden Superfoods häufig mit einer höheren Nährstoffdichte, ver-

glichen mit herkömmlichen Lebensmitteln, beworben. Auf den einzelnen Superfood-Packun-

gen wird je nach Produkt auf den Anteil unterschiedlicher Nährstoffe verwiesen. Dennoch

spricht Jürgen König, Ernährungswissenschaftler der Uni Wien, von einem unzureichenden

Wissen der VerbraucherInnen über die Nährstoffe von Lebensmitteln und deren Zusammenset-

zung (Der Standard 2018). Im Kontext der durchgeführten Interviews war es von Interesse,

ausfindig zu machen, inwiefern den aufgelisteten Nähr- und Inhaltsstoffe des jeweiligen Le-

bensmittels, beim Kauf durch die KonsumentInnen, Aufmerksamkeit geschenkt wird. Von den

befragten InterviewteilnehmerInnen beschrieben fünf Personen den enthaltenen Nährstoffen ei-

nes Superfood-Produkts keine Beachtung zukommen zu lassen (Interview 1, 3, 4, 6, 8). Für die

weiteren 50% der Interviewten wird der Nährstofftabelle des jeweiligen Superfood-Produktes

Bedeutung zugesprochen (Interview 2, 5, 7, 9, 10). Eine Dame beschreibt, sich ausführlicher

mit den enthaltenen Nährstoffen auseinanderzusetzen, lässt sich jedoch von irreführenden Be-

zeichnungen leiten:

„Ja nur auf die Bezeichnung reich an Proteinen hört ich nicht, weil ich vergleiche dann schon [die]

Nährwertquellen und wenn es wirklich außerordentlich gut ist und viele Vitamine enthält, dann spielt

das schon auch eine Rolle […] Also ich informiere mich und mir ist auch schon aufgefallen, dass

Nährwerte wie Vitamine und Mineralstoffe auf der Verpackung großteils gar nicht angeführt werden,

mich interessiert dann schon wieviel ist da wirklich drin“ (Interview 10).

Den Schilderungen dieser Interviewpartnerin zufolge lässt die konkrete Beschäftigung mit den

Inhaltsstoffen und Nährwerten eines Superfoods stellenweise Fragen offen. So sind die teil-

weise unzureichenden Angaben für die jeweilige Wahl der Produkte mitentscheidend. Nur

wenn Vitamine und Mineralstoffe, und deren Prozentanteil, ausdrücklich auf der Verpackung

des Produktes zu finden sind, sind VerbraucherInnen imstande sich ein Bild zu machen, wie

viele Nährstoffe mit einer Tagesdosis aufgenommen werden können.

92

4.5.4.2 Bewusstsein des Produktionskontextes und Relevanz von Gütesiegeln

Ein weiterer zentraler Aspekt, den es im Rahmen der Konsumpraktiken von Superfood-Ver-

braucherInnen zu untersuchen gilt, ist die Beachtung von Gütesiegeln wie Bio, Fairtrade, EZA,

Demeter und dergleichen, die auf soziale und ökologische Aspekte des Produktionskontextes

der Lebensmittel verweisen. Im Zuge der Befragungen hielten vier Personen fest, Superfoods

mit Siegeln und bestimmten Zertifikaten nicht zu konsumieren (Interview 2, 5, 6, 7). Argumente

hierfür sind das Interesse an Neuerscheinungen am Markt, die noch nicht in Bio-Qualität er-

hältlich sind (Interview 2), sowie höhere Kosten, die mit dem Erwerb von Lebensmitteln mit

Umwelt- und Sozialsiegeln einhergehen (Interview 6), sowie fehlende Beachtung von Verbrau-

cherInnenseite (Interview 7). Aber auch eine skeptische Haltung gegenüber der Authentizität

der unterschiedlichen Siegel kann ein Grund dafür sein, dass der Kauf von zertifizierten Pro-

dukten vermieden wird. Dieses kontraproduktive Agieren schildert ein befragter Grazer wie

folgt:

„Ich achte weniger auf Siegel, da ich mich mittlerweile überflutet fühle von den ganzen Siegeln und

ich hatte mich da mal mit einer Lebensmittelbiologin unterhalten und die meinte dass von den un-

zähligen Bio-Siegel nur drei Bio gut sind und die anderen sind eher marketingtechnisch kreiert wor-

den. Deshalb haben Siegel leider für mich an Stellenwert verloren“ (Interview 5).

In Hinblick auf die Äußerung dieses Interviewten, lässt sich ein Bedeutungsverlust der Güte-

siegel festmachen, der durch die Skepsis der VerbraucherInnen, gegenüber der durch verschie-

dene Siegel erzeugten Informationsvielfalt, Misstrauen erzeugt und somit jene Produkte nicht

gezielt gekauft werden. Nach Ahaus et al. (2011) führt die Vielzahl an verschiedenen Siegeln

zu einer Desorientierung und Überforderung bezüglich der Entscheidungswahl der Konsumen-

tInnen. Ebenso kann wachsende Informiertheit der VerbraucherInnen Unklarheiten hervorru-

fen, die wiederum der Kaufentscheidung für Lebensmittel umweltfreundlichen und biologi-

schen Anbaus, hinderlich sind (Ahaus et al. 2011). Um sich in der Vielfalt an unterschiedlichen

Gütesiegeln zurecht zu finden, bieten die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000, in Ko-

operation mit der Menschenrechtsorganisation Südwind, im Rahmen ihres Gütesiegel-Check,

einen Leitfaden zu vertrauenswürdigen Siegeln der Lebensmittelbranche und geben Aufschluss

über soziale, ökologische und Tierwohl-fördernde Kriterien (GLOBAL 2000 2019).

Abgesehen von den vier Personen, die im Rahmen ihrer Konsumpraktiken den Erwerb von

zertifizierten Lebensmitteln, sowie Superfoods nicht fokussieren, legen 60% der Befragten

Wert auf Gütesiegel. Allem voran stehen Bio-Siegel (Interview 1, 3, 4, 8, 9, 10). Mit Superfoods

aus biologischem Anbau wird eine höhere Qualität und eine ausgeprägte Wirkstoffdichte der

93

Produkte, im Vergleich mit Superfoods ohne Bio-Gütesiegel, assoziiert. Eine Dame verbindet

in diesem Kontext günstige Superfoods mit weniger Qualität (Interview 8). Zudem lässt sich

seitens der InterviewpartnerInnen eine Differenz der Wahrnehmung und Glaubwürdigkeit zwi-

schen heimischer und exotischer Superfoods feststellen. In diesem Kontext drückt eine Graze-

rin aus, gerade beim Konsum exotischer Superfoods auf das Bio-Siegel zu achten:

„Bei Sachen, die nicht regional angebaut werden können, wie das Macapulver, schau ich schon drauf,

dass es Bio ist, weil irgendwie habe ich da nicht so viel Vertrauen drin, als wie [bei heimischen

Produkten]. Bio heißt für mich, dass es sauber ist, also Ehrlichkeit in der Produktion, dass keine

Giftstoffe verwendet werden, um dieses Produkt anzubauen, die dann wieder schlecht für meinen

Körper sind“ (Interview 1)

Hierbei wird regionalen Superfoods in Bezug auf ihren Anbau mehr Vertrauen geschenkt, als

exotischen Produkten, die KonsumentInnen ohne Eigenrecherche wenig Einblicke in deren

Produktion bieten. Bio-Standards für Produkte wie Macapulver, das in Südamerika kultiviert

wird, tragen somit für die befragte Person Bedeutung. Wie in Kapitel 2.4 dargelegt wurde, zäh-

len zu den Kriterien von Bio-Produkten ein geringer Energieverbrauch und CO2-Ausstoß, ein

verantwortungsbewusster Umgang mit natürlichen Rohstoffen und der Verzicht auf umwelt-

schädliche Düngemittel und Pestizide (Grach et al. 2016:12). Gerade die Komponente der Ver-

meidung umwelt-und gesundheitsschädlicher Mittel in der Produktion gelten als Anziehungs-

punkt der Bio-Superfoods für die befragten KonsumentInnen. Wie die interviewte Dame schil-

derte, ihrem Körper keine Giftstoffe zuführen zu wollen, zeigt in ihrem Fall, dass das Hauptau-

genmerk primär auf der eigenen Gesundheit liegt und nicht ökologische und soziale Aspekte

der Produktion berücksichtigt. Dies kann konträr zu dem, wie in Kapitel 2.4 ausführlich behan-

delten Konzept der Vollwert-Ernährung nach Koerber et al. (2012) gesehen werden, das Kon-

sumentInnen in Hinblick auf eine soziale und ökologische Verträglichkeit von Lebensmitteln,

eine tragende Rolle zuspricht. Denn durch den Erwerb von Produkten wie Superfoods aus bio-

logischer Landwirtschaft und zertifiziert mit Fairtrade-Standards, besteht eine Möglichkeit für

EndverbraucherInnen, klimafreundliche Produktionsabläufe und nachhaltige Entwicklungsbe-

dingungen mitzugestalten und anzuregen (Koerber et al 2012: 4, 61). Zudem unterstützt das

Konzept nicht nur den eigenen Aktionsraum zu beleuchten und zu hinterfragen, sondern auch

das Blickfeld auf die einzelnen Stationen der Lebensmittelproduktion zu werfen. Daher kann –

im Kontext der zuvor befragten Grazerin – die Wahl von Bioprodukten nicht nur für das eigene

Wohlbefinden und die Gesundheit der VerbraucherInnen befürwortet werden, sondern auch für

die im Produktionsprozess agierenden Bauern, Bäuerinnen und FeldarbeiterInnen ist der

94

biologische Anbau frei von Schadstoffen und gesundheitsschädlichen Chemikalien, ein Ar-

beitsplatz, der die Gesundheit der ErzeugerInnen nicht unnötig beeinträchtigt. Das bedeutet Bi-

oprodukte können nicht nur aus Ichbezogenheit konsumiert werden, sondern auch unter Mit-

einbezug der ProduzentInnen, zur Vermeidung negativer Auswirkungen sowohl in sozialer als

auch in ökologischer Hinsicht. In Hinblick auf Foucaults Biopolitik und der dabei erläuterten

Machtverhältnisse von globalen Handelskonzernen sowie weitreichende Werbekampagnen, die

den vermehrten Konsum von Superfoods forcieren und dabei lokale ProduzentInnen in den

Anbauländern der Lebensmittel unter Wettbewerbsdruck geraten, unterstützt die Wahl von Bio-

und Fairtrade-Superfoods zum einen sozial gerechte Produktionsbedingungen der ArbeiterIn-

nen, zum anderen die ökologische Biodiversität und nährstoffreiche Bodenbeschaffung der Pro-

duktionsorte.

Ein weiteres Siegel, das drei der sechs Personen berücksichtigen, ist das Fairtrade-Siegel

(Interview 3, 9, 10). Der mit den Produkten einhergehende höhere Preis wird von den Befragten

gerne in Kauf genommen, denn die Wertigkeit liegt hierbei auf einer gerechten Entlohnung der

lokalen Bauern und Bäuerinnen, die in den Produktionsprozess eingebunden sind. Eine Dame

hält die Begründung ihrer Entscheidungswahl für Superfoods mit Fairtrade-Siegel wie folgt

fest:

„Ja ich schau auf Faire Trade, weil in Indonesien […] mit dieser Palmölgewinnung - Das ist schlimm,

[…] weil da so riesige Flächen gerodet werden und die Arbeiter werden ausgenutzt […] die Orang-

Utans werden geschlachtet und die Indigenen haben keinen Lebensraum mehr, das ist wirklich ein

riesen Problem. Genau dasselbe Problem gibt es teilweise mit Kaffeeplantagen, also ich versuche

mich so gut wies geht darüber zu informieren, genau deswegen schau ich auf Fairtrade“ (Interview

3).

Diese Grazerin äußert ein Bewusstsein für die Produktionsbedingungen der Superfoods und

anderer häufig konsumierter Produkte wie Kaffee, die weitreichende Auswirkungen auf Um-

welt und die lokale Bevölkerung der Anbaugebiete tragen. Nach Boltanski und Thévenot, in

Hinblick auf die von ihnen konzipierte zivilgesellschaftliche Welt, können VerbraucherInnen

durch ihr Bewusstsein und Engagement die Koordination der Wertschöpfungskette von Super-

foods mitbeeinflussen. Die Autoren pointieren dabei die Unterstützung von Fairtrade-Prinzi-

pien, die auf globaler Ebene gerechte Wirtschaftsbeziehungen mit Entwicklungsländern fördern

(Boltanski/Thévenot 2007: 254-264, Ermann et al. 2018: 186).

Die prozentuale Verteilung der Beachtung von Gütesiegeln, die maßgeblichen Einfluss zur

jeweiligen Kaufentscheidung der befragten Personen beiträgt und ihre Konsumpraktiken mit-

gestaltet, wird in der folgenden Abbildung dargestellt.

95

Bezüglich der Herkunft der konsumierten Superfoods haften 50% der befragten Personen dem

Anbaugebiet der Lebensmittel keine Relevanz zu (Interview 1, 4, 6, 7, 8). Bei jenen Inter-

viewpartnerInnen, die unter anderem auf den Erwerb von zertifizierten Produkten achten, trägt

die Wahrnehmung der Herkunftskennzeichnung der Superfoods zur jeweiligen Produktwahl

mit bei (Interview 2, 3, 5, 9, 10). In den Befragungen trat überwiegend ein Bewusstsein für die

Herkunft frischer Obst- und Gemüsesorten der Superfoods, wie beispielsweise Avocado, her-

vor. Hingegen wird der Verweis auf das Anbaugebiet, angeführt auf den verpackten und verar-

beiteten Superfood-Produkten, eher weniger wahrgenommen. Die interviewten Personen schei-

nen daher zu unverarbeiteten Früchten einen größeren Bezug zu haben und eine vage Vorstel-

lung über deren Kultivierung, als beispielsweise über einen Superfood-Pulver-Mix aus ver-

schiedenen Komponenten, der unzureichenden Aufschluss über die Herkunft der einzelnen Zu-

taten bietet. In diesem Zusammenhang scheint interessant, dass in Bezug zu Veblens demonst-

rativen Konsum und die dabei behandelte kontinuierliche Wissensaneignung aktuell geltender

Geschmackswahrnehmungen, sich primär – und zu 80% der Befragten – auf das Interesse von

Neuerscheinungen unterschiedlicher Superfoods bezieht und nicht auf die bewusste Wahrneh-

mung und Thematisierung der Herkunftsländer der Produkte, die nur für 50% der Befragten

eine Rolle in der Kaufentscheidung spielt.

Eine Frucht, die im Nachhaltigkeitsdiskurs von Superfoods jedoch stark im Vordergrund

steht, ist die Avocado. Dadurch, dass sie allseits beliebt ist und viel konsumiert wird, stoßen

Negativschlagzeilen und Kritiken an der Superbeere auf viel Gehör der VerbraucherInnen. Auf-

klärende fundierte Berichterstattung zeigt somit Effekte auf ein Umdenken und Veränderungen

von Konsumpraktiken der KonsumentInnen. Hierbei zeigt Boltanski und Thévenots Welt der

Keine

Beachtung

40%

Bio

30%

Fairtrade

Bio

30%

Beachtung von Gütesiegeln

Abb. 12: Beachtung von Gütesiegeln nach Prozent (eigene Angaben 2019)

96

Meinung – in der das Bewertungssystem für gut empfundener Lebensmittel durch ein Publikum

an Personen konstruiert wird – nicht nur in der Verdichtung von Konsumwünschen und der

folgenden Kaufintention der Menschen seine Wirkung, sondern auch im Diskurs und im Infor-

mationsaustausch von negativen Auswirkungen des Ernährungstrends, verlieren anfänglich

hochgelobte Superfoods an Glanz und sinken in ihrer positiven Bewertung als beliebtes Nah-

rungsmittel. In diesem Zusammenhang schilderten 60% der befragten Personen, dass sie ver-

suchen ihren Avocado-Verzehr zu minimieren (Interview 2, 3, 5, 7, 9, 10). Argumentationsmo-

tive für den Verzicht und die Reduzierung des Verzehrs sind die Rodung des Regenwaldes

(Interview 2), sowie der hohe Wasserverbrauch für die Kultivierung des Baumes (Interview 7)

und die langen Transportwege der Frucht (Interview 3, 5, 7, 9). Obgleich das Bewusstsein für

globale Wertschöpfungsketten von Superfoods und deren soziale, wie ökologische Auswirkun-

gen, immer mehr wahrgenommen werden, trügt dies nicht über den steigenden Anstieg des

Avocado-Konsums in Österreich und Europa hinweg. Die in Kapitel 2.5 angeführten Umsatz-

zahlen und Importbeträge weisen auf einen weiteren Zuwachs des beliebten Superfoods hin.

Mit Blick auf die Wertschöpfungskette der Superfoods, schien es neben der Relevanz der Her-

kunft der Produkte, von Bedeutung zu untersuchen, welche Vorstellungen die befragten Perso-

nen vom Kultivierungsprozess der Pflanze, bis hin zu den sozioökonomischen und ökologi-

schen Auswirkungen, einerseits für die lokale Bevölkerung der Produktionsländer, andererseits

im globalen Kontext in Hinblick auf Umwelt und Biodiversität, haben. In der Untersuchung

gaben drei Personen an, dass für sie die Bewirtschaftung der Superfoods und deren möglichen

Auswirkungen, keine Relevanz tragen und keine entscheidende Rolle innerhalb ihrer Kon-

sumpraktiken einnehmen (Interview 2, 4, 6). Eine andere Grazerin zeichnet ein grobes Bild

ihrer Vorstellungen der Produktion von Superfood, wie Macapulver, wie folgt:

„Bei Macapulver, weiß ich, dass es eine Wurzel ist […]. [Aber ich weiß] jetzt nicht wer daran arbei-

tet, ich nehme an, dass es viele Frauen sind, die in einer Fabrik arbeiten, nein ich weiß es eigentlich

überhaupt nicht. Aber ich glaub man hat eine gewisse Vorstellung davon, aber wenn man auf das

Produkt nicht verzichten will hat man da gar keine Möglichkeit da auszukommen“ (Interview 1).

Gerade bei exotischen Superfoods, die nicht in unserer Nähe angebaut werden, fehlt meist der

Bezug zu diesen Produkten. Aus diesem Grund besitzen die befragten Personen unterschiedli-

che Vorstellungen der Produktion. Wie die Grazerin erläutert, verknüpft sie die Produktion von

Macapulver in erster Linie mit Fabrikarbeit. Obwohl sie in Verbindung mit diesem Gedanken

Unbehagen äußert, ist der Erwerb des Produktes und dessen gesundheitliche Wirkung im

97

Vordergrund ihrer Kaufentscheidung. Damit wird der ihr persönliche Nutzen, der aus dem Kon-

sum von Macapulver gezogen wird, den Produktionsabläufen und mitwirkenden Menschen,

vorangestellt. In Verbindung mit den fehlenden Kenntnissen der VerbraucherInnen und auch

mangelhafter Transparenz der ProduktherstellerInnen pointiert eine befragte Dame, Kurzge-

schichten auf der Verpackung des gewählten Superfoods zu begrüßen, die über Anbau und

Produktion aufklären:

„Deshalb mag ich Verpackungen wo […] eine kleine Story geschrieben ist: das wird im nördlichen

Urwald in Argentinien angebaut, also wo die Pflanze herkommt, wies angebaut wird und ein Bild ist

auch drauf. Ich find das total cool, […] weil du kriegst einen Bezug zu dem Produkt“ (Interview 3).

Inwiefern der durch Produktbeschreibung konstruierte Bezug den tatsächlichen Herstellungs-

stationen entspricht ist fraglich. Wie in Kapitel 2.5 ausführlich besprochen, werden Superfoods

gerne mit sagenumwobenen Geschichten vermarktet, die eher steigenden Verkaufszahlen die-

nen sollen, als kritische Bewusstseinsbildung der VerbraucherInnen zu fördern.

Bezüglich botanischer Kenntnisse über Superfoods - wie sie aussehen, wo und wie sie wach-

sen – gibt lediglich eine Person an, sich näher mit den Anbaubedingungen den von ihr persön-

lich konsumierten Superfoods näher auseinanderzusetzen (Interview 7). Durch Eigenrecherche,

Dokumentationen über die Kultivierung von Quinoa, Chia, Gojibeeren, Avocados, aber auch

dem Besuch von einem Hanfanbaugebiet in Osteuropa und einer Algenaufbereitungsanlage in

Wien, konnte sie sich verschiedenste Kenntnisse über Anbau und Kultivierung der Superfoods

aneignen.

In Hinblick auf ökologische Auswirkungen des Superfood-Konsums wird von 60% der be-

fragten Personen die Avocado und ihre Produktionsbedingungen hervorgehoben (Interview 3,

5, 7, 8, 9, 10). Hierbei wird vor allem ihr hoher Wasserverbrauch, sowie die Rodung von Re-

genwaldflächen, und der übermäßige CO2-Verbrauch durch lange Transportwege, akzentuiert

(Interview 3, 8, 9, 10). Die Bewirtschaftung riesiger Monokulturen, wie es beispielsweise im

Produktionskontext der Avocado der Fall ist, kann in Verbindung zu Boltanski und Thévenots

Welt der Industrie gesehen werden. Dabei werden effiziente und praktikable sowie technolo-

gisch unterstütze Produktions- und Verarbeitungsweisen eingesetzt, um eine Großzahl an Le-

bensmittel zu bewirtschaften (Boltanski/Thévenot 2007: 228ff, 276ff, Ermann et al. 2018:

183ff). Für die Avocado wird in Michoacán, einer Provinz im Westen Mexicos, jährlich 700

Hektar Wald, teilweise auch illegal, für groß angelegte Plantagen gerodet (Die Presse 2019b).

Ebenso wie in Kapitel 2.3 geschildert, wurden im Jahr 2015 für den Anbau von Gojibeeren

mehr als 66 Millionen Hektar Land in Ningxia kultiviert (Chen et al. 2018). Abgesehen von

98

den enormen Landflächen, die für den Anbau von Superfoods benutzt werden, spielt der Was-

serbedarf für die Bewirtschaftung der Pflanzen eine tragende Rolle. Wie von den befragten

Personen angesprochen, ist dieser für die Avocado besonders hoch, denn 1 Kilo Avocado, das

sind 2,5 Früchte, benötigen 1000 Liter Wasser. Plantagen mit einem hohen Wasserverbrauch,

wie beispielsweise in Südafrika, bedingten die Austrocknung von Flüssen und akuter Wasser-

not (Die Presse 2019b).

Im Rahmen der Untersuchung zur Beachtung von ökologischen und sozioökonomischen

Auswirkungen der Superfood-Produktion, akzentuierte ein Grazer die Quinoa-Bauern in Süd-

amerika als Leidtragende des Ernährungstrends:

„Bei Quinoa und Amaranth, dadurch, dass so ein großer Hype in Europa stattgefunden hat, sind die

Preise so hoch gestiegen und den Einheimischen wird das Grundnahrungsmittel weggenommen, weil

sie die Produkte teurer in Europa und Amerika verkaufen können. Und als ich das gehört hab, dachte

ich mir das geht zu weit“ (Interview 5).

In Bezug auf die Schilderungen des Grazers verzeichnete Bolivien seit dem Jahr 2013 durch

Quinoa und Amaranth Rekordumsätze. Damals ist der Preis für das Pseudogetreide innerhalb

von 15 Jahren um das 10-fache angestiegen. Daher wurde den lokalen Bauern und Bäuerinnen

der Zugang zu ihrem Grundnahrungsmittel verwehrt, indem das Korn nicht mehr für sie leistbar

war (Die Presse 2019b). Das Wohl der lokalen Bevölkerung, die in den Herstellungsprozess

der Superfood-Produkte eingebunden ist, wird so großteils stark gefährdet. Gesundheits-, Si-

cherheits-, und Sozialstandards, die durch Zertifizierungen bestätigt werden, gibt es für Super-

food-Plantagen kaum (GLOBAL 2000 2017). Siegel, die sich um derartige Kriterien bemühen,

sind Fairtrade, EZA oder Rapunzel-Hand in Hand.

Resümierend lässt sich festhalten, dass mit Blick auf die Wahrnehmung der befragten Per-

sonen über den Produktionskontext von Superfoods, vorrangig die ökologischen Auswirkungen

des Avocado-Anbaus berücksichtigt werden und teilweise ein Umdenken in bereits gefestigten

Konsumpraktiken stattfindet. Das Bewusstsein für soziale und ökonomische Auswirkungen des

Superfood-Trends, wie der gesundheitsschädliche Einsatz von Pestiziden mit schwerwiegenden

Folgen für die Bauern und Bäuerinnen sowie die anliegende Bevölkerung, oder reduzierter Zu-

gang zu Grundnahrungsmittel wie beispielsweise Quinoa, und eine gerechte Entlohnung, kann

durch den Konsum von zertifizierten Produkten noch mehr unterstützt werden, um im Sinne

Koerbers et al. (2012) im Rahmen der Konzeption der Vollwert-Ernährung, eine globale soziale

Gerechtigkeit in Form einer sozialverträglichen Ernährungs- und Konsumweise, zu fördern

(Koerber 2012: 5).

99

Zusammenfassend setzen sich die Konsumpraktiken der befragten Personen aus verschiedenen

Komponenten, wie den Vorlieben, den Gewohnheiten und einer konkreten Geisteshaltung, zu-

sammen. Boltanski und Thévenots Welt des Marktes entsprechend, zeigten 60% der Konsu-

menten eine Orientierung an günstigen Angeboten und niedrigen Preisen, während die anderen

40% für Superfoods gerne mehr Geld ausgeben, begründet durch die Freude am Kochen, die

Wertschätzung an Qualität und die bevorzugte Wahl von mit Gütesiegeln zertifizierten Produk-

ten. Eine hohe Anzahl der befragten Personen (80%) testet gerne mit Neugierde und Interesse

am Markt neuerschienene Superfoods. Dieses Konsumverhalten verlangt den VerbraucherIn-

nen, nach Veblens Konzeption des demonstrativen Konsums, eine permanente Aufmerksam-

keit und Wissensaneignung über das vorherrschende Geschmacksbild einer sozialen Gruppe

ab, um der Dynamik und dem Bewertungssystems des Ernährungstrends folgen zu können.

Auch Boltanski und Thévenots Welt der Meinung, setzt durch die Zustimmung eines Konsu-

mentInnen-Publikums von konkreten Superfoods, wie der Avocado oder der Acaibeere, Be-

wertungsmaßstäbe, die verschiedenen exotischen Lebensmitteln zu großer Beliebtheit verhel-

fen. Eine Praxis, die im Rahmen des Konsumverhaltens der Personen Relevanz trägt, ist die

Beachtung von Gütesiegeln. Hierbei werden vorrangig Bio-Siegel, gefolgt von Fairtrade-Güte-

kriterien, fokussiert. Beiden Aspekten wird eine wichtige Rolle zugeschrieben, um in Bezug

auf Koerber et al. (2012) Vollwert-Ernährung, eine sozial und ökologisch verträgliche Ernäh-

rungsweise, zu praktizieren. Obgleich wenige Befragte Kenntnisse über die botanische Be-

schaffenheit und Kultivierung von Superfoods besitzen, ist bezüglich der Produktionsbedin-

gungen gerade die Avocado jene Frucht, die am meisten Aufmerksamkeit genießt und ihre öko-

logischen Auswirkungen durch vermehrte Berichterstattung, das Bewusstsein für den Produk-

tionskontext von Superfoods geschärft haben. Die Ernährungs- und Konsumpraktiken der be-

fragten Personen sind stets im Kontext zu einander zu betrachten und zeichnen unterschiedliche

Bilder konkreter Wünsche, Erwartungen, Gewohnheiten, ethischer Ansprüche sowie konkreter

Vorstellungen eines Menschen und sagen viel über seine individuelle Persönlichkeit aus. Da

der Ernährungstrend Superfood auch von seiner Diskursivität lebt, und in einen sozialen Aus-

tausch gebettet ist, wird nun im Rahmen der Untersuchung konkret auf die Informationsver-

mittlung des Trends eingegangen.

4.5.5 Diskurs des Ernährungstrends und seine Vermarktung

Die Aktualität des Superfood-Trends und seine Einbettung in den persönlichen Ernährungsstil

werden stark durch Marketingstrategien der Lebensmittelindustrie, sowie durch den

100

zirkulierenden Wissens- und Informationsaustausch der Menschen untereinander gefördert. Im

Zuge der Untersuchung galt es ausfindig zu machen, wie die befragten Personen über Super-

foods informiert werden und in welchem Rahmen sie diese Informationen nutzen und weiter-

leiten. Den dabei wirkenden unterschiedlichen Einflüssen werden ebenso Aufmerksamkeit ge-

schenkt. Zu Beginn wurde erhoben, durch welche konkreten Wege die Interviewten über Su-

perfood regelmäßig benachrichtigt werden. Neben den klassischen Medien, wie dem Fernseher,

dem Radio und der Suchmaschine Google (Interview 2, 3, 4, 6, 7, 9), die als Informationsquel-

len dienen, sind es besonders Soziale Netzwerke wie Facebook, Youtube und Instagram, die

von den InterviewpartnerInnen benutzt werden (Interview 1, 2, 5, 6, 8, 10). Auf die Frage, wie

sie mit Superfoods in Kontakt gekommen sind, schildert eine Grazerin ihre Erfahrung wie folgt:

„Übers Fernsehen und Radio. Der Ursprung war eigentlich der, dass man das in den Medien gehört

hat, also von den Gojibeeren oder den Chiasamen, ich meine, wenn ich das nicht irgendwo gehört

hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen die zu verwenden, weil ich die eben auch gar nicht gekannt

habe“ (Interview 4).

Den Schilderungen der befragten Dame zufolge, wurde sie mittels der Bewerbung der Super-

food-Produkte durch das Fernsehen und Radio über deren Beliebtheit in Kenntnis gesetzt und

zum Kauf der besagten Lebensmittel bewegt. Wäre diese Dame nicht über Superfoods infor-

miert worden, hätte sie diese nicht aufgrund von Eigenrecherchen und Eigeninteresse konsu-

miert. In diesem Zusammenhang pointiert eine weitere Dame die flächendeckende Präsenz von

Superfoods wie folgt:

„[Superfoods sind] viel in der Werbung, die sind ja schon überall, auch im Supermarkt werden sie

angepriesen, überall bekommt man sie mit und auch auf Soziale Medien werden sie angezeigt“ (In-

terview 10).

Diese Grazerin hebt ebenso die starke Bewerbung der Produkte hervor, die unzählige Konsu-

mentInnen gewollt oder ungewollt über neue Superfoods informiert. Die Macht und der Akti-

onskreis von Werbung werden ebenso in Foucaults Konzept der Biopolitik näher thematisiert.

Wie in Kapitel 3.3 behandelt, geht es hierbei um ein Gefüge an Machtstrukturen, das Einfluss

auf das tägliche Leben der Menschen nimmt (Foucault 1997: 73ff). So haben auch Agrar- und

Ernährungspolitik Wirkung auf den Ernährungsstil der Personen. Das Agieren von globalen

Lebensmittel- und Handelskonzernen, sowie die mediale Berichterstattung und Bewerbung

konkreter Superfoods, gestalten Ernährungstrends und konstituieren individuelle Ernährungs-

stile (Ermann et al. 2018: 145f). Superfoods sind Lebensmittel, die auf verschiedenen Wegen

101

stark vermarktet werden. Gerade durch ihren Charakter als Nahrungsmittel mit gesundheitsför-

derlichen Eigenschaften und medizinischen Wirkstoffen (Wolfe 2015: 11), bietet die großteils

vorliegende Unwissenheit der KonsumentInnen über den realen Produktionskontext und seine

Auswirkungen, aber auch die mangelnde Transparenz seitens der Agrar- und Handelskonzerne,

viel Spielraum um Superfoods mithilfe von ausgeschmückten und sagenumwobenen Erzählun-

gen, über entlegene Orte und magische Kräfte weiser Kulturvölker, zu vermarkten (Clausen

2015: 193). Dadurch, dass die Werbemaschinerie der Lebensmittelkonzerne mit Idealbildern,

Wunschvorstellungen und Bedürfnissen der KonsumentInnen spielt, nehmen sie direkten Ein-

fluss auf das Ernährungs- und Konsumverhalten der VerbraucherInnen.

Moderne Werbeträger sind vor allem Persönlichkeiten, die in sozialen Netzwerken wie Y-

outube und Instagram neue Produkte präsentieren und bewerten. Beide Plattformen bieten den

sogenannten Influencern eine Möglichkeit verschiedene Inhalte zu transportieren. Die Präsen-

tation der eigenen Essgewohnheiten wird dabei ebenso stark thematisiert. Videos mit dem Titel

What I eat in a day generieren eine enorme Reichweite an ZuseherInnen. Werden diese auf

Google gesucht, liefert die Suchmaschine über 2,3 Milliarden Ergebnisse. Aufgrund der großen

Marktkraft dieser in der Öffentlichkeit stehender Personen, die Zuseher in Millionenhöhe er-

reichen, galt es im Rahmen der Untersuchung zu erkunden, inwiefern die befragten Inter-

viewpartnerInnen sich von diesen Persönlichkeiten inspirieren lassen. Bis auf eine Dame, die

keine Sozialen Netzwerke nutzt (Interview 4), beziehen alle weiteren Befragten Informationen

von Instagram oder Youtube (Interview 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10). Jene Interviewten, die regel-

mäßig Instagram nutzen, schätzen den Inhalt, der vermittelt wird. Darunter schildert eine Graze-

rin Ernährungsexperten zu folgen, die Themen wie Ernährung und Gesundheit verknüpfen (In-

terview 1). Je nach Beschwerden versuchen die Befragten auch in Sozialen Netzwerken nach

Lösungen zu suchen. Hierbei werden der soziale Austausch und die gegenseitige Beratung ge-

schätzt (Interview 1, 2, 8, 10). Urteile und Kaufentscheidungen werden dabei durch die Berück-

sichtigung der Erfahrungen und Meinungen anderer Personen gefällt und bewerten somit un-

terschiedliche Superfoods. Diesbezüglich kann der Bezug zu Boltanksi und Thévenots Welt der

Meinung gesetzt werden, in der die Beachtung und die Meinung eines konstruierten Publikums

an Personen, die Wertschätzung und die Bewertung der Dinge, in diesem Fall von Lebensmit-

teln, festlegt (Boltanski/Thévenot 2007: 246). Die Beurteilungen und Geschmackswahrneh-

mungen konkreter Persönlichkeiten mit großem Bekanntheitsgrad und Anhängerschaft tragen

somit Gültigkeit. Eine befragte Dame schildert ihre Begeisterung für eine britische Bloggerin,

die auf ihren Plattformen Themen pflanzenbasierter Ernährung behandelt, wie folgt:

102

„Instagram nutze ich ganz viel, da folge ich auch verschiedenen Personen, die sich mit Superfoods

befassen. Beispielsweise finde ich die Deliciously Ella total toll, da habe ich alle ihre Kochbücher

und ihre Apps […] und auch ihre Podcasts, die hör ich mir immer an und die inspirieren mich auch.

Ich bin ja sogar extra mal nach London gefahren, um in eines ihrer Delis zu gehen“ (Interview 6).

In Bezug auf die Beschreibungen dieser Dame können Persönlichkeiten aus Sozialen Netzwer-

ken auch mit einem Kultfaktor behaftet werden. Die präsentierten und beworbenen Ernährungs-

weisen dieser Menschen können daher weitreichenden Einfluss auf die Essgewohnheiten und

den Lebensstil ihrer Gefolgschaft haben. Wie in Kapitel 3.1 und in Anlehnung an Veblen, kon-

stituiert der vorgezeigte Lebensstil ernährungsbewusster bekannter Persönlichkeiten die Be-

wertung und Wertschätzung des vorherrschenden Geschmacks und ruft zur Nachahmung auf.

Nach Veblen übernimmt der für gültig erklärte Geschmack eine formgebende Rolle und defi-

niert gesellschaftlich soziale Praktiken (Veblen 2011: 165).

Abgesehen von Instagram, findet Youtube durch 70% der InterviewpartnerInnen häufige

Verwendung. Hierbei geht es darum, einerseits die Essgewohnheiten bestimmter Persönlich-

keiten zu erfahren und andererseits Inspiration für Rezeptideen mit Superfoods zu erhalten (In-

terview 2, 3, 5, 7, 8, 9, 10). Gerade Videos für Kochinteressierte werden mit Vorliebe konsu-

miert. Eine Dame schildert ihre Suche nach Superfood-Rezepten auf folgendem Weg:

„Ja beispielsweise Jamie Oliver Kochvideos, wenn er mit Superfoods kocht, da lass ich mich schon

inspirieren. Da schau ich verschiedene Kanäle die was mit Superfood machen“ (Interview 10)

Wie in Kapitel 2.5 erläutert, veröffentlichte der britische Küchenchef zwei Superfood-Kochbü-

cher und vermittelt ebenso über seinen Youtube-Kanal verschiedene Rezepte, die von Abon-

nentInnen genutzt werden können. Auch auf diesem Wege finden Superfoods ihren Diskurs

und sind in einen regen Informationsaustausch kochbegeisterter Personen gebettet. Eine Dame

schildert zudem auch die auf Youtube stattfindende auffallend starke Bewerbung von Super-

foods, die in Form von konkreten Produktbewerbungen, Rezeptvorschlägen und dem Verwei-

sen auf Kanäle ernährungsbewusster Persönlichkeiten, zielen (Interview 8). Ein befragter Herr

führte aus, Youtube auch für bestimmte Dokumentationen über vegane Ernährung, Raw Foods

und Superfoods zu nutzen, um sich über aktuelle Ernährungstrends zu informieren:

„[Ich hole mir] Informationen über Youtube, Podcasts, Interviews, Shows von Personen, die sich mit

Ernährung und Fitness auseinandersetzen [darunter sind] Ernährungsberater, Business Leute, [die

über] Sport und Ernährung [diskutieren]. [Beispielsweise] wie kann ich meinen Körper optimieren?“

(Interview 5).

103

Den Beschreibungen dieses Herrn zufolge, dienen Youtube und Soziale Medien als reiche In-

formationsquellen unterschiedlicher Inhalte. Auch im Rahmen Veblens demonstrativen Kon-

sums spielt die kontinuierliche Aneignung von Informationen über vorherrschende Ge-

schmackswahrnehmungen und damit verknüpfte Körperbilder und Prestigewerte eine Rolle (A-

bels 2009: 301). In Folge liefert das Internet dem Streben nach Selbstoptimierung und dem

Entsprechen konkreten Idealbildern einer modernen Gesellschaft ausreichend Material, um ge-

wünschtes Ernährungs- und Konsumverhalten in Form eines für gültig erklärten Lebensstils zu

praktizieren.

In Hinblick auf die Nutzung von Sozialen Netzwerken stellte sich im Rahmen der Untersu-

chung die Frage, ob die befragten Personen selbst ein Profil besitzen, durch das sie Inhalte von

Superfoods verbreiten. 60% der Interviewten gaben an Instagram und Youtube zu konsumieren,

jedoch selbst keine Beiträge zu verfassen in denen Superfoods eine explizite Rolle spielen. Aber

Beiträge über Superfoods, wie verschiedene Links und Videos, werden von 60% der Befragten

an Familie und Freunden versandt (Interview 2, 3, 4, 8, 9, 10). Die anderen 40% der Inter-

viewpartnerInnen nutzen Instagram, um selbst auch Inhalte zu verfassen und öffentlich zugäng-

lich zu machen. Allem voran werden dabei Bilder und Videos von angerichteten und zuberei-

teten Superfood-Speisen präsentiert. Eine Dame hält ihre Gedanken hierzu wie folgt fest:

„Ja ich habe auch ein Instagram Profil und wenn ich was koche und es schaut gut aus, dann stell ichs

rauf“ (Interview 6).

Diesbezüglich liegt die Motivation des Teilens der Bilder in der Zubereitung ästhetischer Spei-

sen und dem Entsprechen der herrschenden Geschmackswahrnehmungen. Im Kontext zu

Veblens demonstrativen Konsum, kann hierbei Aufmerksamkeit auf sich selbst gelenkt werden,

um durch das Präsentieren eines anerkannten Ernährungsstils, Wertschätzung und Anerken-

nung zu erhalten auch, um infolge das persönliche Selbstwertgefühl, zu steigern (Veblen 2011:

52). Eine weitere Grazerin berichtet selbst produzierte Fotos und andere Beiträge von Super-

foods auf Instagram zu teilen, aber auch auf einem separaten Blog, in dessen Rahmen verschie-

denen Themen zu Ernährung, Gesundheit und Lebensstil thematisiert werden (Interview 7).

Da Superfood stark in Sozialen Medien ihren Diskurs finden, galt es zu untersuchen, inwiefern

diese Lebensmittel in dem unmittelbaren Bekanntenkreis der Personen thematisiert werden.

Außer zwei Personen, die sich überwiegend selbst informieren und ihre Kenntnisse nicht mit

ihrem Umfeld austauschen (Interview 7, 8), schilderten die anderen 80% der befragten Perso-

nen Superfoods regelmäßig im Gespräch mit Familienmitgliedern und vor allem Freunden zu

104

behandeln (Interview 1, 2, 3, 4, 5, 6, 9, 10). In der Untersuchung wurde seitens der Befragten

hervorgehoben großen Wert auf die Empfehlungen von einerseits bekannten und vertrauten

Personen des eigenen unmittelbaren Umfeldes zu legen und andererseits die Erfahrungsberichte

unbekannter Personen aus Sozialen Netzwerken in ihren Kaufentscheidungen zu berücksichti-

gen (Interview 1, 2, 3, 6, 9, 10). Eine Grazerin hält in diesem Zusammenhang fest:

„Empfehlungen von Freunden sind gut, weil die sind dann meistens am Glaubwürdigsten, wenn es

jemand anderer empfiehlt. Ich schau mir gerne Rezepte und Tipps auf Blogs über Ernährung an und

schau wegen den Erfahrungen, die die Leute berichten“ (Interview 3).

Wie diese, und ebenso eine weitere Grazerin schildert, wird die Bewertung von Superfoods auf

der Basis von Meinungs- und Erfahrungsberichten von Personen gebildet (Interview 3, 6). Der

Ernährungstrend Superfood lebt von seinem Diskurs und dem sozialen Interagieren in Form

eines Informationsaustausches. Gerade in Sozialen Netzwerken und verschiedenen Onlineplatt-

formen werden unterschiedliche Superfoods bewertet und infolge konsumiert. Da jedoch die

unendlichen Weiten des Internets ein Potpourri an unterschiedlichen Meinungen und Ansichten

hervorbringen, ist es für KonsumentInnen umso schwieriger sich zurecht zu finden und auf

glaubwürdige Empfehlungen zu stoßen. Denn positive Bewertungen von Produkten sowie Be-

richte über Superfoods unter dem Deckmantel konzipierter Marketingstrategien, können von

Produktherstellern gekauft worden sein und basieren nicht auf ehrlichen Empfindungen einer

Testperson. Ein Grazer betont die Thematisierung von Superfoods als wichtigen sozialen Akt

und zugleich als Informationsquelle um Lebensbereiche wie körperliche Bewegung zu unter-

stützen:

„Im Freundeskreis zum Thema Sport, da kann man schon drüber reden und da ist Ernährung ja auch

wichtig, da reden auch viele Leute drüber, wieviel Nährstoffe hat dies und das, was sollte man essen,

wenn man körperliche leistungsfähig sein will und da tausch man sich schon drüber aus“ (Interview

9).

Durch den Austausch von Meinungen, Informationen und Erfahrungen der Personen kann eine

Vielzahl an Produkten vermarktet und deren Verkaufszahlen gesteuert werden. Im Kontext zu

Boltanski und Thévenots Welt der Meinung ist das konstruierte Publikum an Personen entschei-

dend, das durch seine Meinung und Bewertung von Lebensmitteln die Wertschätzung von Su-

perfood festlegt (Boltanski/Thévenot 2007: 246). Dabei spielt auch die Markenbildung von

Produkten eine Rolle, indem stark vermarktete Nahrungsmittel an Wert steigen. Die Autoren

105

sprechen zudem von der Bedeutung verdichteter Meinungen und entstehender Gerüchte, die

mit Produktvermarktungen einhergehen (Boltanski/Thévenot 2007: 252).

Im Rahmen des Diskurses von Superfood und des oft medial vermittelten Bildes ernährungs-

bewusster Menschen, sowie der Wirkung auf deren ZuseherInnen, wird nun untersucht, welche

Wahrnehmung das Umfeld der befragten Personen von ihrer Ernährung haben und welchen

Stellenwert das Selbstbild durch die Bewertung anderer Menschen einnimmt. Während die Er-

nährungsweise zweier Personen von ihrem Umfeld nicht sonderlich beachtet wird (Interview

3, 4), haben Freunde und Familie der anderen befragten InterviewpartnerInnen ein konkretes

Bild von den Ernährungsweisen der Interviewten (Interview 1, 2, 5, 6, 7, 8, 9, 10). Der Ernäh-

rungsstil einer Dame wird beispielsweise an ihrem Arbeitsplatz folglich wahrgenommen:

„Also in der Arbeit ist es auf jeden Fall so, dass ich bekannt bin als diejenige, die jeden Tag einen

Kübel Salat isst und zu meinem Geburtstag habe ich eigentlich auch nur Bioprodukte geschenkt

bekommen, worüber ich mich echt sehr gefreut habe. Alle wissen, dass ich da voll drauf achte“

(Interview 1).

Demzufolge wird die persönliche Ernährungsweise im Bekanntenkreis als offenkundig wahr-

genommen und das Bild einer gesunden bewussten Ernährung wird mit der befragten Dame

verknüpft. Der individuelle Ernährungsstil wird hierbei nicht nur im privaten Rahmen themati-

siert, sondern auch im öffentlichen Kreis, beziehungsweise am Arbeitsplatz. Die durch die Be-

achtung anderer Menschen gewonnene Aufmerksamkeit kann daher das eigene Selbstwertge-

fühl steigern und Bewunderung auslösen. In diesem Zusammenhang gaben weitere Personen

an, weitreichend positive Beachtung von ihren Mitmenschen bezüglich ihres Ernährungsstils

bekommen zu haben (Interview 6, 7, 8, 9, 10). Ein Grazer drückt in Bezug auf seine Ernährung

aus, auf überwiegend positive Resonanz zu stoßen:

„Andere nehmen das natürlich wahr und wissen das auch, man kriegt auch positive Rückmeldung,

wenn man sich so gesund ernährt und das so diszipliniert macht, also das beeindruckt manche auch

ein bisschen und manche interessieren sich auch dafür was das dann ist und fragen nach. Also es

wird eigentlich positiv wahrgenommen im Umfeld, diese bewusste Ernährungsweise“ (Interview 9).

In diesem Zusammenhang lässt sich eine Verknüpfung zu Veblens demonstrativem Konsum

herstellen, der in Bezug auf die Untersuchung auf den Zugewinn an Selbstbewusstsein, Anse-

hen und Hochachtung der Mitmenschen durch das erfüllen gesellschaftlich erwünschter Ideal-

bilder und Statussymbole in Form praktizierter Ernährungsweisen und Körperbilder, verweist.

106

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Ernährungstrend Superfood von seinem Dis-

kurs lebt. Der Austausch der Personen in Sozialen Netzwerken feuert einen regen Informati-

onsaustausch an und bietet den Menschen eine Anlaufstelle und zugleich einen Leitfaden, um

gesellschaftlich konstruierten und erwünschten Idealbildern zu entsprechen. Die Bewertung der

Superfood-Produkte basiert auf Meinungs- und Erfahrungsberichte in der Öffentlichkeit ste-

hender Werbeträger, die mittels der Thematisierung verschiedener Inhalte bezüglich eines ge-

sunden Lebensstils auf das Ernährungs- und Konsumverhalten der Menschen Einfluss nehmen.

Zudem kann auch die praktizierte Ernährungsweise Anerkennung und Wertschätzung des per-

sönlichen Umfeldes auslösen. Demzufolge sind Ernährungs- und Körperbilder stets im Kontext

der Wünsche und Bedürfnisse einer Person zu betrachten.

107

5. Schlussfolgerungen

Nun soll mit Blick auf den empirischen Teil dieser Arbeit folgende Schlussfolgerungen gezo-

gen und die gestellten Forschungsfragen beantwortet werden. Zur alles umfassenden Kernfrage

Wie gestaltet sich das Konsum- und Ernährungsverhalten von Superfood-KonsumentInnen in

Graz? leisten diese drei Fragestellungen Aufklärung.

(1a) Welche Ernährungs- und Lebensmittelkonsumpraktiken verfolgen KonsumentInnen von

Superfood?

Die Ernährungspraktiken der Superfood-KonsumentInnen konstituieren sich durch verschie-

dene Facetten. Die in Bezug auf Bourdieu und seiner Habitus-Konzeption thematisierten Denk-

, Wahrnehmungs-, und Bewertungsmuster täglicher Praktiken, die sich im Ernährungs- und

Konsumverhalten der VerbraucherInnen äußern, formen ihre Vorlieben und Gewohnheiten.

Speisen, zubereitet mit verschiedenen Superfoods – und laut Angaben der Interviewten vorzüg-

lich in Form eines Frühstücks konsumiert – erwiesen sich im Rahmen der Untersuchung als

eine routinierte Konstante, die für die VerbraucherInnen eine verlässliche Stütze darstellt und

Sicherheit gibt um einen hektischen Alltag in einer schnelllebigen Zeit zu meistern. Hierbei

äußerten die KonsumentInnen den Wunsch und die Freude an der eigenständigen und selbstbe-

stimmten Gestaltungsfreiheit ihrer Ernährungsweise, während in anderen Lebensbereichen, wie

dem Beruf oder der Ausbildungsstätte, auferlegte Tätigkeitsfelder und Handlungsräume vorge-

ben sind. Zudem ist der Konsum von Superfoods als Teil der individuellen Identität überwie-

gend in ein persönliches und eigenständiges Ernährungsverhalten gebettet, da Superfoods pri-

mär zweckorientiert verzehrt werden, sowie den Stellenwert einer Medizin für gesundheitsför-

dernde körperliche und geistige Veränderungen einnehmen und die Konsumpraktiken der Per-

sonen durch gesellschaftliche Idealbilder von gesunder Ernährung beeinflusst werden. Im Kon-

trast dazu äußert sich der soziale Aspekt von Ernährung als Teil kollektiver Identität, gelebt

durch gemeinschaftlich praktizierte Ernährungsweisen im Rahmen der Familie und Freunde in

anderen Speisen, die Superfoods vorrangig ausschließen.

In Hinblick auf Foucaults Selbsttechniken realisieren sich diese durch den Konsum, teil-

weise als stark ungenießbar empfundener Superfoods. Der Fokus der selbst auferlegten Prakti-

ken liegt nach Foucault hierbei darauf, die eigene körperliche und seelische Verfassung nach

konkreten Vorstellungen und Mustern zu verändern (Foucault 1986: 18). Geschmack und Ge-

nussempfindung spielen im Kontext des Superfood-Verzehrs eine sekundäre Rolle. Die ge-

wählten Superfoods wurden von Befragten nicht als unbedingt notwendiger Bestandteil einer

108

gesunden Ernährungsweise erachtet, sondern gelten vielmehr als eine zusätzliche Komponente

einer facettenreichen Ernährung, die ebenso die Bereitschaft für höhere Lebensmittelkosten er-

fordert und aus Perspektive mancher KonsumentInnen als Luxusartikel wahrgenommen wird.

Nicht nur die Ernährung selbst, sondern auch die Verfassung des Köpers und das äußerliche

Erscheinungsbild, nehmen einen hohen Stellenwert der InterviewpartnerInnen ein. Der Körper

wird als ein Projekt gesehen, an dem es kontinuierlich zu arbeiten und modellieren gilt, um

durch die Bewertung und Begutachtung der Gesellschaft als Statussymbol zu fungieren, dem

mit Anerkennung, Wertschätzung und Bewunderung begegnet wird (Strüver 2012: 21-23, Veb-

len 2011: 52). Wohltuende Eigenschaften, die durch Begrifflichkeiten wie antioxidativ und

freie Radikale große Anziehungskraft besitzen, schaffen seitens der VerbraucherInnen Neu-

gierde für am Markt neuerschienene Superfoods. Zudem wird den KonsumentInnen, um dem

Ernährungstrend folgen zu können und an dem Diskurs teilzuhaben, eine kontinuierliche Wis-

sensaneignung und Wachsamkeit über die vorherrschende Geschmackswahrnehmung und des-

sen Bewertungssystem abverlangt.

In Hinblick auf Boltanski und Thévenots Entwurf der verschiedenen Welten von Landwirt-

schafts- und Ernährungsstilen, die sich je nach Person überlappen und unterschiedliche Ernäh-

rungsweisen skizzieren, wird darauf aufmerksam gemacht, dass der Ernährungsstil eines Men-

schen von unterschiedlichen Faktoren abhängt und durch unterschiedliche Einflüssen geprägt

ist. So entscheiden sich beispielsweise VerbraucherInnen für teils weitgereiste Superfoods, neh-

men Rabattangebote war und orientieren sich bezüglich bestimmter Produkte an günstigen Prei-

sen, fördern aber gleichzeitig regionale ProduzentInnen durch den Konsum lokaler und saiso-

naler Lebensmittel, und kultivieren teils selbst Obst und Gemüse. Demzufolge gestaltet sich

das individuelle Ernährungs- und Konsumverhalten nicht konform, sondern ist stets im Kontext

verschiedener Rahmenbedingungen, wie einem ausreichenden ökonomischen Kapitel, Lebens-

abschnitt, Familienstand, gesundheitsbedingte Beschwerden, Ernährungstrends und vieler wei-

terer Aspekte, zu betrachten.

(1b) Aus welchen Gründen werden Superfoods konsumiert und welche Erwartungen sind an

den Verzehr dieser Lebensmittel geknüpft?

Obgleich unterschiedliche Beweggründe eine Ernährung mit Superfoods veranlassen, konstitu-

ierten sich im Rahmen der empirischen Untersuchung zwei Tendenzen als ausschlaggebende

Motive. Einerseits liegt die Motivation des Superfood-Konsums auf einer ganzheitlichen ge-

sunden Ernährung, andererseits finden sich Superfoods in der Position eines Instruments zum

Zweck konkreter gesundheitlicher Genesung oder optischer Veränderungen wieder.

109

Hinsichtlich des ersten Konsummotives handelt es sich hierbei um präventive Maßnahmen, die

mithilfe von Superfoods eine nährstoffreiche und ausgewogene Ernährung gestalten, um dabei

Mangelerscheinungen vorzubeugen. Hingegen fokussiert im Rahmen des zweiten Motives der

Superfood-Konsum die Linderung konkreter Krankheitsbeschwerden. Bestimmte Symptome

sollen mittels Ernährung gelöst werden. Zu häufig berichteten Beschwerden zählen überwie-

gend Magen-Darm-Erkrankungen, aber auch Hautprobleme und starker Eisenmangel. Durch

den Verzehr von Quinoa, Gojibeeren, Macapulver oder Algen wie Chlorella und Avocado soll

hierbei entgegengesteuert werden. Superfoods werden mit medizinischen und heilenden Effek-

ten behaftet, die in Form einer Selbstmedikation auf den eignen Körper angewendet werden.

Der Superfood-Konsum begründet sich somit in dem zunehmenden Ernährungsbewusstsein der

VerbraucherInnen und in der Möglichkeit der Menschen, direkt auf ihre Ernährung und Ge-

sundheit Einfluss zu nehmen (Nielsen 2017).

Hinsichtlich der Erwartungen, die VerbraucherInnen an Superfood knüpfen, sind diese eng

mit den jeweiligen individuellen Konsumgründen verbunden. Resümierend wird jedoch eine

Summe an unterschiedlichen positiven psychischen und physischen Entwicklungen erwartet.

Hierzu zählen Konzentrationsstärke, kognitive Leistungsfähigkeit, körperliche Ausdauer und

ein hohes Energielevel. Im Rahmen der Untersuchung konstituierte sich seitens der Befragten

der Wunsch nach einem (generellen) Wohlbefinden. In Bezug auf wahrgenommene Verände-

rungen bestätigten sich überwiegend die Erwartungen der Personen. 30% der Interviewten hat-

ten jedoch keine Veränderungen oder negative Entwicklungen, wie beispielsweise Unverträg-

lichkeiten, feststellen können. Die Wechselwirkung von Superfoods mit anderen Lebensmitteln

oder Medikamenten ist nur teilweise erforscht und kann Unverträglichkeiten, sowie allergische

Reaktionen, hervorrufen (AK Niederösterreich 2017: 52, Clausen 2015: 194). Der zentrale Be-

weggrund einer Ernährung mit Superfoods liegt in ihren als gesundheitsförderlich empfunde-

nen Eigenschaften, die gleichsam der eigenen Gesundheit dienen und ästhetische Ansprüche

befriedigen sollen.

(1c) Welche Rolle spielt der Produktionskontext der Trendlebensmittel für KonsumentInnen?

Um das Bewusstsein und die Sensibilität der VerbraucherInnen für soziale und ökologische

Aspekte des Produktionskontexts von Superfoods ausfindig zu machen, leisten unter anderem

Konsumpräferenzen für Produkte mit Gütesiegeln Aufklärung. 60% der befragten Personen

konsumieren mit Vorliebe Superfoods die mit Siegeln versehen sind. Allem voran wird dabei

auf Superfoods aus biologischem Anbau geachtet, die mit einer höheren Produktqualität, einer

ausgeprägten Nährstoffdichte, sowie einer geringen Schadstoffbelastung und dem Verzicht auf

110

umweltschädliche Düngemittel und Pestizide, assoziiert werden. Ein weiteres Siegel, dem Auf-

merksamkeit zuteil wird ist das Fairtrade-Gütesiegel. Die damit verbundene Relevanz für eine

gerechte Entlohnung der lokalen Bauern und Bäuerinnen, sowie die Sicherung gesundheitsver-

träglicher und stabiler Arbeitsverhältnisse in Bezug auf die Förderung eines gerechten Welt-

handels, wird seitens der KonsumentInnen hervorgehoben. Obgleich sozial- und umweltver-

träglichen Zertifikaten eine Bedeutung zugeschrieben wird, besitzen die VerbraucherInnen ver-

hältnismäßig wenig Kenntnisse über den Kultivierungsprozess und die botanische Zuordnung

der konsumierten Superfoods. Im Kontext von fehlenden und unkonkreten Kenntnissen der

VerbraucherInnen und mangelhafter Transparenz der ProduktherstellerInnen konstituieren sich

zugunsten der Lebensmittelindustrie Handlungsspielräume, die mithilfe von effizienter Marke-

tingstrategien genutzt werden können. Neben vereinzeltem Wissen der VerbraucherInnen, ei-

nerseits über die intensive Bewirtschaftung von Gojibeeren, andererseits über den beschränkten

Zugang bolivianischer Bauern und Bäuerinnen zu ihrem Grundnahrungsmittel Quinoa durch

den massiven Preisanstieges des Pseudogetreides, ist vor allem die Avocado jene Frucht, die

im Nachhaltigkeitsdiskurs von Superfoods am häufigsten kritisch thematisiert wird und seitens

der VerbraucherInnen das Bewusstsein für globale Wertschöpfungsketten von Nahrungsmitteln

schult. 60% der befragten KonsumentInnen schilderten den Verzehr der Beere minimieren zu

wollen. Entscheidungsgründe hierfür sind die massive Rodung des Regenwaldes, der enorme

Wasserbedarf für den Anbau der Bäume und der hohe CO2-Verbrauch der weiten Transport-

wege. Obwohl die Sensibilisierung der KonsumentInnen für sozioökonomische und ökologi-

sche Auswirkungen der Produktionsbedingungen weitgereister Superfoods zunimmt, dürfen

dennoch nicht die stetig ansteigenden Verkaufszahlen und Importbeträge, wie beispielsweise

die 650.000 Tonnen Avocados, die im Zeitraum von 2016 bis 2018 nach Europa importiert

wurden, missachtet werden (Die Presse 2019a). Um das Bewusstsein der Menschen für eine

sozialverträgliche Ernährungs- und Konsumweise zu unterstützen, verweisen Koerber et al.

(2012) in Form ihrer Konzeption der Vollwert-Ernährung auf den Konsum zertifizierter Pro-

dukte, um negative Auswirkungen des Superfood-Trends einzugrenzen (Koerber 2012: 5).

Resümierend ist festzuhalten, dass sich die Gestaltung des Konsum- und Ernährungsverhaltens

von Superfood-VerbraucherInnen je nach individuellen Beschwerden, Wünschen und Bedürf-

nissen unterschiedlich definiert. Superfoods fungieren als ein gesundheitsförderndes und posi-

tiv wirkendes Instrument zur direkten Einflussnahme auf unterschiedliche Lebensbereiche wie

Gesundheit, Ernährung, Sport, Beruf, Ausbildung und dergleichen und zur Erfüllung konkreter

Erwartungen, wie der Steigerung der Leistungsfähigkeit, Ausdauer, Konzentrationsförderung,

111

aber auch der Generierung von Anerkennung, Wertschätzung und Bewunderung im sozialen

Kontext. Der Ernährungstrend Superfood spiegelt zweifelsohne das Wertesystem einer moder-

nen Leistungsgesellschaft wider, in dem durch die Optimierung von Ernährung, Gesundheit

und Körper konkrete Idealbilder und Lebensstile angestrebt werden. Die exotischen Nahrungs-

mittel leben von ihrem Diskurs und ihrer starken Vermarktung, doch gegen den Ernährungs-

trend stellen sich ebenso vermehrt kritische Stimmen, die bedenkliche Aspekte des Superfood-

Konsums aufzeigen und in Folge zur Bewusstseinsförderung der VerbraucherInnen für sozio-

ökonomische und ökologische Auswirkungen globaler Wertschöpfungsketten beitragen.

112

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Anhang

Leitfadeninterview - Fragenkatalog

Allgemeine Daten zur Person: Alter, Geschlecht, Beruf

1. Allgemeines Verständnis

a) Welche Superfoods kennen Sie?

b) Wie definieren Sie Superfoods?

2. Gründe

a) Welche Superfoods genießen Sie regelmäßig und warum?

b) Inwiefern interessieren Sie sich für die physiologischen Wirkungsweisen der Produkte? Wel-

che Rolle spielen Begriffe wie antioxidativ, Sekundäre Pflanzenstoffe, freie Radikale?

c) Welche Erwartungen knüpfen Sie an die Produkte?

d) Welche körperlichen und/oder geistigen Veränderungen haben Sie wahrgenommen?

3. Ernährungspraktiken

a) Beschreiben Sie kurz ihre Ernährung mit Superfoods an einem regulären Wochentag und an

den Wochenenden. Welche Vorlieben und Gewohnheiten haben Sie entwickelt?

b) Werden Superfoods von Ihnen in Gesellschaft genossen oder alleine?

c) Sehen Sie Superfoods als notwendigen Bestandteil einer gesunden Ernährung?

d) Welchen Stellenwert hat Ihre Ernährung und sehen Sie einen direkten Zusammenhang mit

anderen Lebensbereichen?

e) Welche Rolle spielt für Sie der geschmackliche Genuss von Superfoods und welche Rolle

der gesundheitliche Aspekt?

f) Inwiefern möchten Sie durch den Superfood-Konsum auf Ihren Körper Einfluss nehmen?

Welche Rolle spielen äußerliches Erscheinungsbild oder körperliche Leistungsfähigkeit?

g) Inwiefern kaufen Sie Rabattangebote oder günstige Artikel im Supermarkt (1+1 gratis)?

h) Kultivieren Sie selbst Lebensmittel, wenn ja welche?

i) Welche Rolle spielen für Sie Produkte regionaler Produzenten?

4. Konsumpraktiken

a) Wo kaufen Sie Ihre Superfoods?

b) In welchem Ausmaß werden am Markt neu erschienene Superfoods von Ihnen ausprobiert?

119

c) Inwiefern ist der Preis der Produkte für den Kauf ausschlaggebend?

d) Inwiefern achten Sie auf die Nähr- und Wirkstofftabelle der Produkte?

e) Welche Rolle spielen für Sie Siegel wie Bio, Fairtrade, EZA, Demeter?

f) Wie relevant ist für Sie die Herkunft der Superfoods?

g) Welche Vorstellung haben Sie von den Produktionsbedingungen und den Auswirkungen der

Produkte?

5. Diskurs und Informationsaustausch

a) Welche Medienkanäle nutzen Sie, die Superfoods regelmäßig thematisieren?

b) Inwiefern lassen Sie sich von bestimmten Persönlichkeiten inspirieren?

c) Nutzen Sie eine Plattform, auf der Sie Ihre Ernährungs- und Sportvorlieben mit anderen

Personen teilen?

d) In welcher Hinsicht werden Superfoods in Ihrem unmittelbaren Personenkreis thematisiert?

e) Welche Wahrnehmung haben Personen in Ihrem Umfeld von Ihrer Ernährung?

Profil der befragten Personen: