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Gastroenterologe 2013 · 8:485–486 DOI 10.1007/s11377-012-0740-4 Online publiziert: 24. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 F. Schmitz 1  · J.F. Riemann 2 1  Medizinische Klinik II, m. S. Gastroenterologie & Onkologie, Klinikum Hildesheim GmbH, Hildesheim 2  c/o Stiftung LebensBlicke; em. Direktor der Medizinischen Klinik C, Klinikum Ludwigshafen Klinische Pathologie in  der Gastroenterologie Der Zugang zu Biopsiematerial aus dem nur endoskopisch erreichbaren Gastro- intestinaltrakt darf als Meilenstein in der Geschichte der Medizin betrachtet wer- den: Aber hat diese technische Errungen- schaft den klinischen Alltag in ähnlich spektakulärer Weise wie die Endoskopie wirklich bereichert? In dem vorliegenden Themenheft wird der aktuelle Stand des Wissens über histo- logische Veränderungen im Gastrointes- tinaltrakt dargestellt. Die prognostische Bedeutung der Histopathologie für die klinische Medizin wird kritisch auf Gren- zen und Möglichkeiten für die Diagnose- sicherung, Prognoseabschätzung und da- raus abgeleitete Überwachungsstrategien verschiedener Krankheitsbilder bewertet. Die Barrett-Metaplasie der Mukosa der gastroösophagealen Übergangszone stellt eine etablierte Komplikation einer chro- nischen Refluxerkrankung dar. Sie gilt als Präkanzerose. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Inzidenz des Barrett-Kar- zinoms stellt sich die Frage, wer die kar- zinomatöse Verlaufsform entwickeln und wer den Gastroenterologen aufgrund sei- ner Refluxerkrankung konsultieren wird, ohne dass die maligne Transformation schicksalsbestimmend wird. Der histo- logische Nachweis von Epitheldysplasien darf derzeit als wichtigster Risikofaktor für die Progression zum Adenokarzinom angesehen werden. Die Variabilität der Befundung durch den Pathologen macht eine Zweitmeinung erforderlich, wenn- gleich die diagnostische Mukosaresektion eine wesentliche Verbesserung der Befun- dung ermöglicht. Im Kolon ist die genaue Kenntnis von Vorläuferläsionen aber ebenfalls essen- ziell, um bereits heute verfügbare Vor- sorgemöglichkeiten effektiv zu nut- zen. Die klassische Adenom-Karzinom- Sequenz ist nicht der einzige Weg zum Karzinom. Und andere Wege erscheinen schneller beim Progress zum Karzinom. Hier sind unter anderen die sessilen ser- ratierten Adenome zu nennen. Sie unter- scheiden sich in ihrem molekularen Pro- fil von klassischen Adenomen und ver- deutlichen morphologisch die Diversität der Pathogenese der Darmkrebserkran- kung. Die Endoskopie entkräftet eher die Vermutung einer wesentlich akzelerier- ten Sequenz vom serratierten Adenom zum Karzinom; denn 70–80% aller Inter- vallkarzinome (Erkrankung nach stattge- habter Koloskopie und vor erneuter Kon- trolle) weisen molekulare Charakteristi- ka klassischer Adenome auf und dürften daher übersehenen Befunden oder in- kompletten Polypektomien entsprechen. Die Etablierung des serratierten Ade- nompfades zum invasiven Karzinom för- dert einmal mehr zutage, dass das genaue und sorgfältige Hinschauen und die en- doskopisch und histologisch vollständi- ge Abtragung auch kleiner und flacher Vorläuferläsionen im rechten Hemikolon größtmögliche Sorgfalt und Akribie beim Gastroenterologen erfordert. Das Kolitis-assoziierte Karzinom ist ein weiteres Indiz für die Vielschich- tigkeit der Entstehung der Darmkrebs- erkrankung. Der langjährige Verlauf einer Colitis ulcerosa ist mit einem erhöhten Ri- siko für Darmkrebs vergesellschaftet. Im Gegensatz zur Transformation vom Ade- nom steht hier die intraepitheliale Neo- plasie als Vorläuferläsion im Vorder- grund. Diese Läsionen sind meist flach und multifokal und entziehen sich der konventionellen Detektion in der Weiß- lichtendoskopie. Eine Verbesserung der Detektionsraten ist durch die Chromoen- doskopie jedoch möglich. Da die chroni- sche Entzündung als Trigger der Karzino- genese angesehen wird, ist die konsequen- te und suffiziente antiinflammatorische Therapie die entscheidende Maßnahme, das Auftreten intraepithelialer Neoplasien zu vermeiden. Die nichtalkoholische Steatohepati- tis (NASH) zählt zu den häufigsten Le- bererkrankungen der westlichen Welt. Auf der Basis epidemiologischer Daten scheint die Progression der Fettleber über die Fettleberhepatitis zur Zirrhose va- lidiert. In den USA stellt sie bereits die dritthäufigste Ursache unter den Indika- tionen zu einer Lebertransplantation dar. Der diagnostische Goldstandard ist die Leberbiopsie, da nichtinvasive Verfah- ren und auch Biomarker keine treffsiche- re Differenzierung zwischen Fettleber und Steatohepatitis gestatten. Die Autoimmunhepatitis (AIH) ist eine immunvermittelte chronische Leber- erkrankung. Als solche ist sie für geschätz- te 10% aller Fälle einer chronischen Hepa- titis verantwortlich und somit keine selte- ne Erkrankung. Es handelt sich um eine klinische Diagnose, da auch gegenwärtig kein singuläres Testverfahren oder klini- sches Merkmal existiert, das diagnosebe- weisend ist. Vor dem Hintergrund einer serologischen und klinischen Ausschluss- diagnostik anderer Hepatitisursachen kommt der Leberbiopsie entscheiden- de Bedeutung für das diagnostische Ge- samtbild zu, das zur Diagnose führt. Aber auch der Zeitpunkt der Therapiebeendi- gung bedarf eines histologischen „Remis- sionsbeleges“, und nach Lebertransplanta- tion erfolgt die Differenzierung zwischen Einführung zum Thema 485 Der Gastroenterologe 6 · 2013|

Klinische Pathologie in der Gastroenterologie; Clinical pathology in gastroenterology;

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Page 1: Klinische Pathologie in der Gastroenterologie; Clinical pathology in gastroenterology;

Gastroenterologe 2013 · 8:485–486DOI 10.1007/s11377-012-0740-4Online publiziert: 24. Oktober 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

F. Schmitz1 · J.F. Riemann2

1 Medizinische Klinik II, m. S. Gastroenterologie & Onkologie, Klinikum Hildesheim GmbH, Hildesheim2 c/o Stiftung LebensBlicke; em. Direktor der Medizinischen Klinik C, Klinikum Ludwigshafen

Klinische Pathologie in der Gastroenterologie

Der Zugang zu Biopsiematerial aus dem nur endoskopisch erreichbaren Gastro-intestinaltrakt darf als Meilenstein in der Geschichte der Medizin betrachtet wer-den: Aber hat diese technische Errungen-schaft den klinischen Alltag in ähnlich spektakulärer Weise wie die Endoskopie wirklich bereichert?

In dem vorliegenden Themenheft wird der aktuelle Stand des Wissens über histo-logische Veränderungen im Gastrointes-tinaltrakt dargestellt. Die prognostische Bedeutung der Histopathologie für die klinische Medizin wird kritisch auf Gren-zen und Möglichkeiten für die Diagnose-sicherung, Prognoseabschätzung und da-raus abgeleitete Überwachungsstrategien verschiedener Krankheitsbilder bewertet.

Die Barrett-Metaplasie der Mukosa der gastroösophagealen Übergangszone stellt eine etablierte Komplikation einer chro-nischen Refluxerkrankung dar. Sie gilt als Präkanzerose. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Inzidenz des Barrett-Kar-zinoms stellt sich die Frage, wer die kar-zinomatöse Verlaufsform entwickeln und wer den Gastroenterologen aufgrund sei-ner Refluxerkrankung konsultieren wird, ohne dass die maligne Transformation schicksalsbestimmend wird. Der histo-logische Nachweis von Epitheldysplasien darf derzeit als wichtigster Risikofaktor für die Progression zum Adenokarzinom angesehen werden. Die Variabilität der Befundung durch den Pathologen macht eine Zweitmeinung erforderlich, wenn-gleich die diagnostische Mukosaresektion eine wesentliche Verbesserung der Befun-dung ermöglicht.

Im Kolon ist die genaue Kenntnis von Vorläuferläsionen aber ebenfalls essen-ziell, um bereits heute verfügbare Vor-

sorgemöglichkeiten effektiv zu nut-zen. Die klassische Adenom-Karzinom- Sequenz ist nicht der einzige Weg zum Karzinom. Und andere Wege erscheinen schneller beim Progress zum Karzinom. Hier sind unter anderen die sessilen ser-ratierten Adenome zu nennen. Sie unter-scheiden sich in ihrem molekularen Pro-fil von klassischen Adenomen und ver-deutlichen morphologisch die Diversität der Pathogenese der Darmkrebserkran-kung. Die Endoskopie entkräftet eher die Vermutung einer wesentlich akzelerier-ten Sequenz vom serratierten Adenom zum Karzinom; denn 70–80% aller Inter-vallkarzinome (Erkrankung nach stattge-habter Koloskopie und vor erneuter Kon-trolle) weisen molekulare Charakteristi-ka klassischer Adenome auf und dürften daher übersehenen Befunden oder in-kompletten Polypektomien entsprechen. Die Etablierung des serratierten Ade-nompfades zum invasiven Karzinom för-dert einmal mehr zutage, dass das genaue und sorgfältige Hinschauen und die en-doskopisch und histologisch vollständi-ge Abtragung auch kleiner und flacher Vorläuferläsionen im rechten Hemikolon größtmögliche Sorgfalt und Akribie beim Gastro enterologen erfordert.

Das Kolitis-assoziierte Karzinom ist ein weiteres Indiz für die Vielschich-tigkeit der Entstehung der Darmkrebs-erkrankung. Der langjährige Verlauf einer Colitis ulcerosa ist mit einem erhöhten Ri-siko für Darmkrebs vergesellschaftet. Im Gegensatz zur Transformation vom Ade-nom steht hier die intraepitheliale Neo-plasie als Vorläuferläsion im Vorder-grund. Diese Läsionen sind meist flach und multifokal und entziehen sich der konventionellen Detektion in der Weiß-

lichtendoskopie. Eine Verbesserung der Detektionsraten ist durch die Chromoen-doskopie jedoch möglich. Da die chroni-sche Entzündung als Trigger der Karzino-genese angesehen wird, ist die konsequen-te und suffiziente antiinflammatorische Therapie die entscheidende Maßnahme, das Auftreten intraepithelialer Neoplasien zu vermeiden.

Die nichtalkoholische Steatohepati-tis (NASH) zählt zu den häufigsten Le-bererkrankungen der westlichen Welt. Auf der Basis epidemiologischer Daten scheint die Progression der Fettleber über die Fettleberhepatitis zur Zirrhose va-lidiert. In den USA stellt sie bereits die dritthäufigste Ursache unter den Indika-tionen zu einer Lebertransplantation dar. Der diagnostische Goldstandard ist die Leberbiopsie, da nichtinvasive Verfah-ren und auch Biomarker keine treffsiche-re Differenzierung zwischen Fettleber und Steatohepatitis gestatten.

Die Autoimmunhepatitis (AIH) ist eine immunvermittelte chronische Leber-erkrankung. Als solche ist sie für geschätz-te 10% aller Fälle einer chronischen Hepa-titis verantwortlich und somit keine selte-ne Erkrankung. Es handelt sich um eine klinische Diagnose, da auch gegenwärtig kein singuläres Testverfahren oder klini-sches Merkmal existiert, das diagnosebe-weisend ist. Vor dem Hintergrund einer serologischen und klinischen Ausschluss-diagnostik anderer Hepatitisursachen kommt der Leberbiopsie entscheiden-de Bedeutung für das diagnostische Ge-samtbild zu, das zur Diagnose führt. Aber auch der Zeitpunkt der Therapiebeendi-gung bedarf eines histologischen „Remis-sionsbeleges“, und nach Lebertransplanta-tion erfolgt die Differenzierung zwischen

Einführung zum Thema

485Der Gastroenterologe 6 · 2013  | 

Page 2: Klinische Pathologie in der Gastroenterologie; Clinical pathology in gastroenterology;

Abstoßung und Rezidiv einer AIH über das histologische Bild der Entzündungs-reaktion.

Streng genommen nur mikroskopisch diagnostizierbare Krankheitsbilder sind die mikroskopische Kolitis oder die noch seltenere perikryptische eosinophile En-terokolitis, die lymphozytäre Ösophagi-tis und die lymphozytäre sowie kollagene Gastritis. Die Inzidenz der mikroskopi-schen Kolitis dürfte bei 4 bis 5 Erkran-kungen pro 100.000 liegen. Die Gemein-samkeit dieser über den gesamten Gastro-intestinaltrakt verteilten Krankheitsbilder ist der normale endoskopische Mukosa-befund. Dies wirft wiederum die vielfach diskutierte Frage auf, ob eine Endoskopie überhaupt ohne Probenentnahme erfol-gen darf oder sollte.

»  Die Kenntnis der Morphologie ist unverzichtbar

Das Fazit für die Lektüre der vorliegenden Ausgabe ist daher klinisch wie auch „mik-roskopisch“ anschaulich: Die Kenntnis der Morphologie ist für Fdie wissenschaftliche und klinische

Identifikation von Vorläuferläsionen,Fdie Bewertung ihres Progressionsrisi-

kos,Fdie Analyse sequenzieller molekularer

Gewebeveränderungen

in der malignen Transformation der Epit-helien des oberen und unteren Gastroin-testinaltrakts unverzichtbar. Der Patholo-ge war, ist und bleibt ein zentraler Partner des Gastroenterologen. Und wer den Pa-thologen nicht konsultiert, wird – streng genommen – die eine oder andere Er-krankung gar nicht erst diagnostizieren.

Prof. Dr. med. F. Schmitz

Prof. Dr. med. J.F. Riemann

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. F. SchmitzMedizinische Klinik II, m. S. Gastroenterologie & Onkologie, Klinikum Hildesheim GmbHSenator-Braun-Allee 33, 31135 Hildesheimf.schmitz@ klinikum-hildesheim.de

Prof. Dr. J.F. Riemannc/o Stiftung LebensBlicke;  em. Direktor der  Medizinischen Klinik C ,  Klinikum LudwigshafenParkstr. 49, 67061 [email protected]

Robotik

Die Einführung der minimal-invasiven 

Chirurgie (MIC) vor nahezu 25 Jahren 

hat die Chirurgie in fast allen operativen 

Fächern grundlegend verändert. Heute 

versucht die medizintechnische Industrie 

ihre Einschränkungen durch unterschied-

liche Innovationen weiter zu minimieren 

oder ganz  aufzuheben. Die umfassendste 

Neuerung ist sicherlich die Einführung von 

Robotik-Assistenzsystemen. Diese Systeme 

in der videoassistierten Chirurgie zeichnen 

sich durch die drei-

dimensionale Sicht, 

frei abwinkelbare 

Instrumente, einen 

Tremorfilter und 

eine hervorragen-

de Ergonomie für 

den Operateur aus. 

In der Ausgabe 

8/2013 unserer Zeitschrift „Der Chirurg“ 

werden folgende wichtige Themen vor-

gestellt:

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5  Anwendung des daVinci-Robotersys-

tems in der Thoraxchirurgie

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urgie und Magenchirurgie

5  Robotik-assistierte laparoskopische ko-

lorektale Resektionen

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Lesetipp

486 |  Der Gastroenterologe 6 · 2013