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453 Physikalische Behandlung biologischer Probleme. ~on Richard lieigel. Hierzu 2 Textfiguren. ,.Mathematics and Mitosis': ist ein Aufsatz von Prof. Marcus Ha r tog betitelt, ~) in dem der Autor die Darlegungen bekampft, die ich unter der Aufsehrift ,,Zur Meehanik der Kernteilung und der Befruchtung" ill diesem Arehiv 2) gegeben habe. In einer Angelegenheit, der nut" wenige mit eigener Kritik folgen k0nnen oder zu folgen Lust haben, pflegt der Recht zu behalten, der das letzte Wort spricht, und damit es nieht den Anschein hat, (lass ich reich far widerlegt halte, bin ieh gen0tigt, auf die Aus- fiihrungen yon Ha r tog zu erwidern. Zunachst muss festgestellt werden, dass der ,,zytologische Freund'q der reich irregeleitet hat (misled him), nieht existiert. Wohl gibt es Histiologen yon Fach und Ruf, die ich Freund nennen daft, abet keiner hat an meiner Arbeit irgend einen Anteil. nur dass, wie ich sclmn erwtthnte, Sob ott a mir schOne Praparate yon Mitosis zum eigenen Studium freundlichst iiber- liess. Ziel und Zweek meiner Arbeit hat auch er erst naeh deren Druek erfahren, und ich bin, wie ich ausdrtmklich erklt~re, far diese meine Arbeit ganz allein verantwortlieh, und wenn ich reich geirrt haben sollte, will ieh nieht auch noeh andere, ganz Unschuldige, mit ins Verderben reissen. Ieh habe abet nicht geirrt. Ich habe versueht, unter den Bewegungsvorgfmgen, die sieh bei der Karyokinese abspielen, einen der mathematischen Analyse zu unterziehen, der die Phase betrifft, in tier die Tochterchromo- somen sich yore Xquator weg gegen die Zentrosomen hin bewegen. H a r t o g bestreitet mir die Bereehtigung, dabei t~berhaupt genaue Gleichungen aufzustellen, sie krtmen in so verwickelten Verh~tlt- nissen aberhaupt nicht in Frage (in such complexe case equitations are quite out of the question). Man mtisse sich mit dem Nach- t, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 83, Abt. II, S. 370ff. ~) Ebenda, Bd. 80, .~bt. II, S. 171 ft.

Physikalische Behandlung biologischer Probleme

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Physikalische Behandlung biologischer Probleme. ~on

Richard lieigel.

Hierzu 2 Textfiguren.

,.Mathematics and Mitosis': ist ein Aufsatz von Prof. Marcus Ha r t o g betitelt, ~) in dem der Autor die Darlegungen bekampft, die ich unter der Aufsehrift ,,Zur Meehanik der Kernteilung und der Befruchtung" ill diesem Arehiv 2) gegeben habe. In einer Angelegenheit, der nut" wenige mit eigener Kritik folgen k0nnen oder zu folgen Lust haben, pflegt der Recht zu behalten, der das letzte Wort spricht, und damit es nieht den Anschein hat, (lass ich reich far widerlegt halte, bin ieh gen0tigt, auf die Aus- fiihrungen yon Ha r t o g zu erwidern.

Zunachst muss festgestellt werden, dass der ,,zytologische Freund'q der reich irregeleitet hat (misled him), nieht existiert. Wohl gibt es Histiologen yon Fach und Ruf, die ich Freund nennen daft, abet keiner hat an meiner Arbeit irgend einen Anteil. nur dass, wie ich sclmn erwtthnte, Sob o t t a mir schOne Praparate yon Mitosis zum eigenen Studium freundlichst iiber- liess. Ziel und Zweek meiner Arbeit hat auch er erst naeh deren Druek erfahren, und ich bin, wie ich ausdrtmklich erklt~re, far diese meine Arbeit ganz allein verantwortlieh, und wenn ich reich geirrt haben sollte, will ieh nieht auch noeh andere, ganz Unschuldige, mit ins Verderben reissen. Ieh habe abet nicht geirrt.

Ich habe versueht, unter den Bewegungsvorgfmgen, die sieh bei der Karyokinese abspielen, einen der mathematischen Analyse zu unterziehen, der die Phase betrifft, in tier die Tochterchromo- somen sich yore Xquator weg gegen die Zentrosomen hin bewegen. H a r t o g bestreitet mir die Bereehtigung, dabei t~berhaupt genaue Gleichungen aufzustellen, sie krtmen in so verwickelten Verh~tlt- nissen aberhaupt nicht in Frage (in such complexe case equitations are quite out of the question). Man mtisse sich mit dem Nach-

t, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 83, Abt. II, S. 370ff. ~) Ebenda, Bd. 80, .~bt. II, S. 171 ft.

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weis begntigen, dass ein Faktor eine Funktion eines anderen sei, mehr k6nne man nicht verlangen. Das bestreite ich und glaube auch gezeigt zu haben, dass man wirklich mehr kann, und dass es gelingt, diesen in der Tat relativ einfachen Bewegungs- vorgang mathematisch zu behandeln. Ich weiss freilich wohl. wenn unser einer die Hilfsmittel der Infinitesimalrechnung auch auf seinem eigenen Arbeitsgebiet, dem medizinisch-biologischen, anwendet, so hat er eigentlich zweierlei Leute um Verzeihung zu bitten: die Physiker und Mathematiker im besten Fall wegen der Ausfiihrlichkeit und Miihseligkeit der Entwicklungen, auf jeden Fall aber seine eigenen Fachgenossen daftir, dass er solches fiberhaupt kann.

Weiter macht H a r t o g den Einwurf, dass meine Gleichullg(,n nut e in Zentrum annehmen, wtthrend wirkIich z wei, die beid~tt~ Zentrosomen, im Kalkul berficksichtigt werden miissten. WenH damit gesagt werden soll, dass die beiden (;hromosomenreiheti yon beiden Zentren aus angezogen werdem ist der Einwurf siclwr thlsch. Es sind zwar zwei Kraftzentren da (eigentlich leugrm ich ja, class tiberhaupt eines da sei), d. h. es sind zwei Zentrosomen withrend der Anaphase zu sehen, yon denen man glanbt, dass sie als KraftzeHtren auf die Chromosomen wirken. Abet es ist nieht anzunehmen, dass jedes Zentrosoma auf die b e i d e il ]{eihert der ~tquatorial gestellten (!hromosomen anziehend wirke, m~d wie ich glaube, hat dies bis jetzt auch wirklich niemand angenommen. Mit Recht, denn gar nichts spricht dafiir. W~ire es der l,'all, so mtisste es doch ab und zu vorkommen, dass die Anziehung des einen Zentrums auf die Chromosomenreihen die des anderen Zentrums fibertr',tfe, sei es, dass die anziehende Kraft grSsser oder der Abstand kleiner w~tre als gegen das andere Zentrum hin. [:nd dann mfissten die Chromosomen alle zusammen gegen das eine Zentrosoma hin wandern, das andere bekame gar keine. Abet auch angenommen, die Anordnung der Teile w~tre allemaI

mit mathematischer Genauigkeit so getroffen, dass stets p~ P~ h / - - h.., ~

w~ire (wenn p die beschleunigende Kraft und h den Abstand yon tier ~tquatorialen Ebene bezeichnet, auf deren beiden Seiten sich die Tochterehromosomen befinden), dann miisste notwendig ein Bewegungsvorgang sich vol]ziehen, der, soviel ich weiss, niemals bei der Anaphase gesehen worden ist.

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Ich will mich nur der allereintSchsten Htilfsmittel bedienen und nut eine geometrische Anschauung davon geben, welche Be- wegung ein Chromosoma (Ch, Fig. 1) einschlagen muss, das yon beiden Zentrosomen (C, und C,) zugleich angezogen wird. Wit wollen als einfachsten Fall annehmen, jedes Zentrosoma ziehe mit tier gleichell Kraft das Chromosoma an, wenn es gleichweit yon ilmen entfernt ist. Beide Zentrosomen sollen auch gleichweit yore .(,luator AB entfernt sein, die Achse werde durch den -~quator wirklich halbiert. Der Abstand beider Zentrosomen ~'oneinander betrage 10 ,,, das Chromosoma stehe yon der Achse 5 !t entfernt und wie nile seine Genossen in -(quatorstellung um 1. , yore ~quator entfernt. Die ganze Reihe der Chromosomen sei also vom einen Zentrosoma um 9 p, vom anderen um 11 /~ entfernt. Die Voraussetzung, dass die Anziehungskraft yon den Zentrosomen aus mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, sei gegeben. 1)am1 wirken im ersten Zeitteil auf das Chromosoma zwei Zugkrt~fte, die (Fig. 1) als Streckeu im richtigen Verhg~Itnis aufgetragen sind, das Chromosoma muss also den Weg zur/ick- legen, den (lie Resultante des konstruierten Parallelogramms darstellt. Man sieht deur dass die Bewegung der Chromo- somell zuerst vielmehr gegeu die Achse zu als vom ~(quator weg .~tattfinden muss. Das ist auch selbstverstttndlich, denn zer- legt man die Vecoren der Kr~tfte in zwei zueinander senkrechte Komponenteu entsprechend der Richtung der Achse und der des :((iuators, so ergibt sich, dass die axialen Komponenteu einander entgegensetzt, die t~quatorialen aber im gleichen $inne wirken. Die Summe der letzteren also verringert den Abstand yon der Achse, die Differenz der ersteren den yore "(quator. Eine weitere Betrachtung ergibt leicht, dass unter diesen Verhaltnissen jedes Chromosoma einen Weg gegen das Zentrosoma zurticklegen wird entlang eiller nach oben konkaven Kurve, die anfangs ganz fiach, spiiter steiler und im allerletzten Augenblick, im Zentrosoma selbst, der Achse parallel verliiuft, hier also ins Unendliche geht. Worauf es bier ankommt, ist dies, dass die Anziehung yon beiden Zentrosomeu aus eine rasche Ann'hherung aller Chromosomen gegen die Achse zu herbeiffihren muss, sie mfissen sich bedeutend zusammendrangen, bevor sie nur in erheblicherem Mat~e vom :(quator gegen das nahere Zentrosoma vorrticken. Ich glaube nicht, dass dieser Vorgang den beobachteten Tatsachen entspricht,

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ich babe solches weder je im Mikroskop noch in Abbildungm~ gesehen. Ich halte diese theoretisch geforderte Annttherung gegm~ die Achse abet ftir einen wichtigen Punkt f~ir oder gegen die Annahme einer Attraktion yore Zentrosoma aus {iberhaupt. denn auch bei der Anziehung yon nur e i n e m Zentrum aus muss sie sich, wenn auch in nicht so starkem Mal]e, geltend machen. Wit werden spttter noch einmal darauf zuriickkommen.

A

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Fig. 1.

/7

Auf S. 372 sprieht H a r t o g von meinen Gleichungen als ,unm6glich oder unsicher" (impossible or uneel'tain equalities); ,.und eine ungereehtfertigte Genauigkeit der Sehlussfolgerung ist eine der sehlimmsten Formen der Ungenauigkeit" (and an unjusti- fiable precision of statement is one of the worst forms of inaccuracy.

Physikalisehe Behandlung biologischer Probleme. 457

So lange mir nicht nachgewiesen wird, dass meine Gleichungen unmi)glich oder unsicher sind und dass ich aus ihnen unberechtigte Schltisse gezogen babe, kann ich diesen Vorwurf kalt ablehnen. H a t t o g glaubt tibrigens in viel genauerer Form zum n~imlichen Resultat wie ich gekommen zu sein. class die axialen Chromosomen bei ihrem Marsch anf/ihren, die peripherischen zurtickbleiben und zwal" durch die Betrachtung seiner beiden Fig. 1 und 2.

A- T /

Fig. 2.

Auf den ersten Blick erkennt man in ihnen iiquiponentiale Kurven um zwei Zentren, die in seiner Fig. 1 elektrostatisch ungleichnamig, in Fig. 2 gleichnamig geladen sind. Leider sind in seiner Fig. 2 die orthogonalen Trajektorien nicht auch gezeichnet, wie in Fig. 1, sonst wiirde man leicht eine Besthtigung dessert

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erkenaen, was ich welter oben ausgeftihrt habe ftir den Fall, dass die Chromosomen yon beiden Zentren aus aagezogen werden. Zieht man durch die ~iquiponentialen Kurven seiner Fig. 2 senk- rechte Linien auf die Tangenten, so ergibt sich in der Tat, dass in der Nahe des Aquators die Richtung dieser Kraftlinien unver- gleichlich mehr gegen die Achse als gegen den Pol hinweist, und dass im weiteren Verlauf die Kraftlinien eine konkave, immer steiler werdeade Kurve gegen das Attraktionszentrum darstellen werdea, ist augenscheinlich. Diese Einschnfirung des Chromosomen- btindels mtisste erst noch einmal nachgewiesen werden, wenn die Lehre yon den zwei attraktiven Zentren zu Recht bestehen sollte.

Wean ich die Hypothese, class die Chromosomen yon den Zentrosomen angezogen werden, auf Grund meiner Uater- suchuagen verwerfen musste, so legte ieh die mir aus eigener Aasehauuag und aoch mehr aus der Literatur bekanaten Bilder der Anaphase zugruade und verglich sie mit dem, wie es tbeoretisch gefordert werden muss, wean wirklich Attraktion yore Zentrosoma aus die Ursache ftir die Bewegung der Chromosomea abgibt. Ausdrfieklich habe ieh auch die-~[0glichkeit often ge- ]assea und berficksichtigt, dass die Bilder, die anscheinend koakav angeordnete Chromosomenreihen zeigen, perspektiviseh gezeichnet uad die Chromosomen in einer Ebene aageordnet sein k6anten. Auch das erwies sich als der Theorie entgegen. Nun bringt aber H a r t o g in seiner Fig. 5 ( a a c h V e j d o w s k ~ ) ein ganzaaderes Bild, in dem wirklich die zentralen Chromosomea den peripheri- schen gegen das Zentrosoma hin vorauseilea, sehr deutlich vor- auseilea. H a r t o g behauptet ferner, dass dies immer zutreffe, wenn die Zahl der Chromosomea eine grosse sei. Seien es aber nut wenjge, so ordneten sie sieh alle a]s ein Kranz oder eiae Krone in tier Peripherie an, und dann werden sie nattirlich in uagefahr dem gleichen .Mal3e vorrticken. Damit ist fiir m i ch die Saehe wesentlich verschoben und zuni~chst muss yon den Zytologen ausgemacht werden, ob dies zutrifft. Wenn ja, so fitllt e in wichtiges Argument meiner Darlegungen, well ihm die Priimisse entzogen wird, aber es fallen ni e h t n i le meine Argu- mente. Nicht nur, dass die axialen Chromosomen den peripheri- sehen vorauseilen, wird nach der Attraktionshypothese zu fordern sein, wie es aus meiner theoretisch konstruierten Fig. 5 deutlieh zu sehen ist, sondern auch ein immer aither Aneinanderrtieken

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der Chromosomen gegeneinander, je mehr sie sich yore Aquator entfernen. Wenn vielleicht das auch von den Autoren eben nut nicht abgebildet worden ist (,Cytologists naturally prefer such figures as are clear to decipher, and demonstrative for their purpose'~), nun dann muss ich sagen, h0rt eben alles auf und ein redlicher Naturtbrscher muss es sich wohl ~iberlegen, einen so trt~gerischen Boden zu betreten, auch wenn er mit so freund- lichen Worten dazu eingeladen wird, wie yon H a r t o g .

Die einzige M0glichkeit, wie das Zusammenwirken zweier Kraftzeutren alienfalls die Bewegung der Chromosomen bewirken kSm~e, scheint H a r t og auch beim Anblick seiner Fig. 1 nicht erkam~t zu haben. Nimmt man namlich an, dass ein Chromosoma in der Tat yon zwei Kraftzentren beeiniiusst wird, zwar nicht yon beiden angezogen, sondern yon einem angezogen, yore anderen abgestossen, dann ffdlt die Schwierigkeit wegen der Anmtherung gegen die Achse ftir einen Tell des Weges zum guten Tell fort. [)ann summieren sich die axialen Komponenten beider Kr~tfte und nur die Differenz der iiquatorialen Komponenten treibt die ('hromosomen gege~l die Achse, wie dies aus obenstehender Fig. 2 ohne weiteres zu erkenaen ist. Die orthogoualen Trajektorien ia H a r t o g s Fig. 1 wtirden bei dieser Annahme ein recht gutes Bild tt~r den Weg der ('hromosonen abgeben. Allerdings ist auch unter dieser Annahme nocl~ aicht alles erklgtrt. Am Ende ihres

t , Weges mfissten die Ch~omosomen doch m~her aneinander stehen, uud schliesslich warum treffen sie denn ttberhaupt das Zentro- soma hie, yon dem sie doch um so st~trker angezogen werden miissen, je n~iher sie ibm kommen ? Erlischt da zur rechten Zeit die Attraktion oder ist sonst ein Hindernis vorhanden?

Wie dem auch sei, jedenfalls muss, wer die Bewegung der Chromosomen der Kraftwirkung der Zentrosomen zuschreibt, notwendig wenigstet~s Anziehung vom eine~l und gleichzeitig Abstossung vom anderen annehmen. Zur Fernkraft kommt dann noch die Annahme tier Polaritat. Bleiben wir bei dem Beispiel elektrisch geladener K0rper, nur um die Sache anschaulich zu machete, obwohl ich schon in meiner frtiheren Arbeit nachge- wiesen habe, dass yon elektrostatischer Ladung in der ZeUe nirgends die Rede sein kann. Dann wi'tren die Zentrosomen un- gleichnamig geladen und die beiden Chromosomenreihen ebenfalls und zwar mtissten sie so angeordnet sein, dass jedem Zentrosoma

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die Reihe mit Ladung yon entgegengesetztem Vorzeichea gegen- iibersttiude. Freilich kttme dann eine neue Schwierigkeit. Jede Reihe yon Tochterchromosomen w~tre ft~r sich gleichnamig geladen und die einzelnen Chromosomen mtissten bestrebt sein, auseiuander

zu weichen. .~ian bemerke aber wohl: Weml die Sache sich wirklich so

verhalt, d~ss bei der Mitose eine Fernkraff uud zwar eine voI~ polarer Wirkung in der Zelle wirksam ist, daml liegt hi~r ~tuch ganz sicher ein Fall vor, wo keine der bisher bekannten Fern- krtffte in Frage kommen kann. dann handelt es sich bier um ein weiteres Beispiel you Existenz einer neuen Fernkraft. die ich ,.vitale Attraktion" getauft habe und unsere Keantuisse davou wi~reu durch. den neu hinzugekommenen Begriff der Polarit~t hOchst weseutlich erweitert. So angenehm mir pers0ulich dies auch sein miisste. k;tnn ich den Beweis noch nicht ffir erbracht ansehen, dass Fernkraft. und nicht, wie ich angeuommen habe. ein einfacher Wachstums- vorgaag (lie l;ewegung der Tochterchromosomen herl)eit'tihrt. Yielleieht abeL' gibt dieser 5treit den Zytologen Veranlassung. die Mitose, speziell die Anaphase, you diesem (;esichtspunkt aus eiuer erueuten Untersuehung zu unterziehen. Wenu dann ganz authentische Bestimmungen yon Oft und Zeit vorliegen, kOmlte man ja eineu neuen Versueh mit (let" mathematischeu Anal)-sis machen.

Wenl~ ich sehon einmal beim Bitten bin, mOchte ich gleich noch eine aussprechen. Nach dem, was ich gelese m u m l nach dem weuigen, was ich selbst gesehen habe. kommt es mir so vor. als welm das Zent~'osoma, das ja nicht nur bei der .~Iitose, sonderll auch sonst in vielen, namentlicll jungen Zellen beobachtet wird. eine ganz andere bi01ogische Rolle spielt, als man sie ihm bis jetzt zugetraut hat. Wenu man sich einmal you der Vorstelhmg' frei gemacht hat, class das Zeutrosomt~ ein Attraktionszentrum darstellt, muss man, meine ich, eher den Eindruck gewim~en, dass es Bewegungsvorghnge hemmt; speziell (tie Kernsubstanz sich yore Leibe halt. Ich denke hier beispielsweise an die Bewegung des Kerns in Zelleu des Zylinderepithels. Ich bemerke ausdriick- lich, class ich hier keine Behauptung ausspreche, dazu halte ich reich nicht ffir berechtigt, sondern nur eine Vermutullg, die sich .ja auch als falsch erweisen kann.

Jetzt kommen wir aber zum zweiten Teil meiner Arbeit uncl den Angrit-ten tt a r t o g s auf denselben, tiier habe ich au~

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Grtinden, die ich nicht wiederholen will, die Bildung des eigen- tiimlichen Empfangnishtigels auf die Wirkung einer Fernl~raft zuriickgeftihrt, die yore ersten anriickenden Spermatozoon aus- geht und habe geradezu die Existenz einer neuen Fernkraft, der ,vitalen Attraktion", postuliert. Hier babe ich nebenbei auch yon chemotaktischen Vorgangen gesprochen. Dabei macht es mir .ja nichts aus, dass mir H a r t o g dell Vorwurf der Unwissenheit macht, indem Chemotaxis meist nicht positive Annaherung, sondern negative, Vermeidnng bewirke. Um so weniger kommt, dtinkt reich, Chemotaxis bei der Bildung des F o l ' s c h e n Htigels in Betracht.

Nieumnd darf, ohne gegen den Satz yore zureichendel~ Grunde zu verstossen, eine Wirkung ohne Ursache annel~men. Die Ursache f(ir jeden Bewegungsvorgang heissen wir aber Kraft. Die Bildung des Fol ' schen Hfigels ist ein Bewegungsvorgang, und ich habe nach einer m0glichen Kraft gesucht, der man nach unseren heutigen Kenntnissen eine solche Wirkung zuschreibel~ diirfte, habe sie abet nach sorgf~ltiger l)rtifung aller ausschliessen mfissen und darauf die Annahme einer ,,neuen Fernkraft" der vitalen Attraktion gegrttndet, immer unter der Voraussetzung, wie ieh noehmals betone, dass der Bewegungsvorgang sieh wirklieh so vollzieht, wie er yon den allerbesten Ileobaehtern.besehrieben wir(I. Und nun verweist H a r t o g auf (lie Pseudopodien der Am6ben usw. Da mtisste erst noeh naehgewiesen werden, class die Pseudopodien aueh die Gestalt eines RotationskOrpers am~ehmen kOnnen, dessen Erzeugende eine Kurve der dritten Ordnung ist. Natarlieh darfen dann nieht ~tussere Umstande bestimmend mitwirken, wie wenn z. B. beim bertihmten C o h n h e l m ' sehen Versuch ein weisses Blutk6rperehen sieh dureh die Gefltsswand hindurehdr~tngt. Aller- dings gebe ieh zu, dass die physikalisehe Behandlung der Tatig- keit yon AmOben noeh aussteht, sie muss abet yore physikaliseh- mathematisehen Standpunkt aus erfolgen. 0"brigens ist das Ei zwar eine einzige Zelle wie eine Ami)be, aber entbehrt der amoeboiden Bewegungen, nur dem Spermatozoon sehiekt sie de~ Empfimgnishtigel entgegen, nut einmal und nur einem einzigen. H a r t o g verlangt eine physiologisehe Antwort, keine physikalisehe yon mir. Der Sehwellenwert komme in Betraeht. Ein Reiz kann, sobald er den Sehwellenwert tibersehritten hat, freilieh in Orga- nismen und in Organen einen Vorgang, die Umsetzung potentieller

462 R i c h a r d G e i g e l :

Energie in kinetische, a u s 10s en. D a nll ~tber gehSrt der Vor- gang der Physik oder der Molekularphysik, der Chemie.

In meinen Untersuchungen spreche ich yon Fernkrhften, deren Wirkung mit dem QuMrat der Entfernung abnimmt. H a r t o g verlangt die Berticksichtigung des W e b e r - F e c h n e r: schen G e- setzes, wonach die Wirkung arithmetisch zunimmt bei geometrischem Wachsen des Reizes, oder wie man diesseits des Kanals gewShntich sagt, wo die Wirkuag proportional dem Logarithmus des Reizes wiichst. Mlein d a s W e b e r - F e c h n e r ' s c h e G e s e t z i s t ein Gesetz der Psychophysik, behandelt die Starke der Empfindung bei wachsendem Reiz uM hat mit Krt~iten und Bewegungen nicht das Mlermindeste ziJ. tun.

Unztihlbar sind die Bewegungsvorgt~nge mannigfacher Art, die genau beobachtet und beschrieben worden sind. Man ti~te gut, nun endlich auch au die wichtige Aufgabe heranzutreten, die Ursache ftir diesc Bewegungsvorgimge aufzudecken. Die Ursache kann allemal nm" eine Kraft sein.

Gewiss gibt es eine Menge yon Bewegungsvorgangen, die viel zu kompliziert sind, als dass man sic einer mathematischen An,'dvse unterziehen k0,mte, es gibt aber auch einfachere, bei denen man solches wagen und durchfiihren kaml. Auf alle Fiille sind wit aber dutch das, was die Physik bis jetzt geleistet hat, schon ftihig, unter den uns bekamlten 5"aturkriiften wenigstens eine ausfindig zu machen, auf deren Wirkung der beobachtete Bewegungsvorgang im allgemeinen zurtickgeftihrt werden kann. Ob es eine auf molekularen Abstand nut wirkende Kraft, ob es Osmose, Imbibition, Oberfiachenspannung usw., oder ob es eine Fernkraft ist, was tiberlmupt in Frage kommen kann, das muss jetzt sehon herausgebracht werden kSnnen. Derartige Unter- suchungen sollten, wie ich meine, schon in der n~tchsten Zeit eine wichtige lr spielen. Freilich gehbrt dazu wenigstens ein gewisses Maass 1)hysikalischer Vorbildung, und speziell auf den Missbrauch mSctlte ich hinweisen, der mit der Annahme ,elektrischer Ladung", ,magnetischer Anziehung "~' u. dergl, yon manchen Forschern vielleicht deswegen getrieben wird, weil gerade Elektrizitttt und Magnetismus zufallig ftir den Autor das aller- dunkelste Gebiet der Physik darstellen.

Begntigt man sich nicht damit, Bewegungen in der organischen Welt als Lebensausserung aufzufassen und zu bezeichnen, sondern

Physikalische Behandlung biologischer Probleme. 463

verlangt nach einer Ursache, also nach einer Kraft, und zeigt es sich dann, dass wit mit tier Zahl tier uns bisher bekannten Krafte nicht auskommen, um den Bewegungsvorgang darauf zurtick- zuffihren, wird vielmehr nachgewiesen, class keine derselben in Betracht kommen ka nn, nach allem, was yon ihrer Wirksamkeit bisher erforscht wurde, dann und dann erst daft oder vielmehr muss eben eine ,,neue Kraft" als tatig angenommen werden. Von tier aber muss gezeigt werden, dass sie den Bewegungsvorgang wirklich so gestalten kann, wie es den Beobachtungen entspricht. Der erste, der nachweist, dass die ,,neue Kraft" unnOtig zur Erld~trung ist, dass irgendeine der bisher bekannten auch nut in l,'rage kommen kann, wirft damit die Annahme einer neuen Kraft vSllig tiber den Haufen. Deswegen str~tube ich mich selbst immer noch gegen die Annahme einer 1,'ernkraft bei der Karyokinese, well immer noch Apposition neuer Teile, nach vorgegebenem geometrischen Plan, Wachstum, die nitmlichen Bewegungsvorgange herbeiftihren kSnnte, obwohl ja manches recht gut mit der An- nahme vertraglich w~tre, dass anziehende, zugleich aber auch abstossende Fernkrafte dabei im Spiel sind. Ich glaube abcr sclbst fest, class ich zu tier Annahme einer vitalen Attraktion bei dcr Be- fruchtung, wic ich sie in meiner friiheren Arbeit aufgestellt babe, durchaus berechtigt war und bin. Nach der negativen Seite bin, indem ich alle bisher bekannten physikalischen Krafte ausschliessen konnte, nach der I)ositiven wegen der fiberraschenden Ubereinstimmung der Beobachtung mit der Theorie, der die Wirkung einer Fernkraft zugrunde gelegt war. Auf solche merkwtirdige Rotationsk0rper wie tier Empfangnishfigel, deren Erzeugende eine Kurve der dritten ()rdnung ist, mag man vielleicht in Zukunft sein besonderes Augen- merk richten. Es ist nicht unm0glich, sollte ich denken, dass sich das Wirken einer solchen vitalen Kraft an noch mehr Beispielen nachweisen lassen wird. Diese Beispiele kbnnen nur die Beobachter beibringen, also die Vertreter der beschreibenden Naturwissen- schaften. Wie wichtig es ist, dass auch ihnen die nStigen Kennt- nisse der exakten Wissenschaften nicht fremd sind, liegt auf der Hand.

,Vitale Attraktion" habe ich die neue Fernkraft genannt. Besser wohl heisst sie ,,vitale Fernkraft", well ein polarer Gegen- satz dabei wohl m0glich ist, auch um anzudeuten, dasses sich nicht um Attraktion auf molekulare Entfernungen, chemische Affinitat, handelt.

4 6 4 R i c h ~ r d G e i g e 1 : Phys iku l i s che B e h a n d l u n g etc.

Nachdem ich, keck vielleicht, aber nicht leichten Herzens, sondern ktihlen Kopfes, das Walten einer KTaft angenommen habe, die nur der lebenden Materie eigen ist, im Gegensatz zu den Kraften, die lebende und leblose Massen in ganz gleicher Weise beeinfiussen, babe ich eigentlich auch keinen unerh0rteren Gegensatz aufgestellt, ais er zwischen Leben und Tod iiberhaupt und doch unleugbar besteht.