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DRDOROTHEEDERSCH praxis für unternehmensentwicklung ________________________________________________________________________________ 14. Prozessberatung im IT-Strukturwandel Reaktionen eines mittelständischen Unternehmens ________________________________________________________________________________ Einführung und Arbeitshypothesen Strategieprojekte der Information Technology (IT) haben insofern eine ganz eigene Faszination, als sie schon in der Planung separat funktionierende Welten kreieren, die in sich stimmig zu sein scheinen, jedoch nicht ausreichend komplementär zur Unternehmensplanung angelegt sind. Den IT-Abteilungen mögen die Probleme der Implementierung als self-full-filling prophecy bekannt sein. Dabei bestimmt die Akzeptanz der Konzeptentwicklung und Strategieplanung bei den betriebsinternen Kunden und beim Management einen großen Anteil des Erfolges. Aber auch wenn Konzeptentwicklung und Strategieplanung den geringeren Teil der Veränderung ausmachen, ist deren Ausrichtung auf die Unternehmensstrategie von fundamentaler Bedeutung, weil sie den Umsetzungserfolg determiniert. Dennoch scheint sich die Praxis der ‚Strategieentwicklungen‘ der tradierten Routine zu beugen, auch wenn bekannt ist, dass die bisherigen Vorgehensweisen nicht notwendigerweise erfolgversprechend sind. Den Konsequenzen wie Ressourcen- und Reibungsverluste wird nahezu offen und hilflos entgegengesehen. Das fast vorprogrammierte Scheitern in der strategischen Implementierung wurde schon früh erkannt, ohne dass es zu einer effektiven Neuausrichtung von IT-Strategieprojekten gekommen wäre (Fatzer 1996; Bobizien 1997). Qualitätsmanagement von Organisationsentwicklung ist das Management von Prozessen, in denen Berater zusammen mit ihren Kunden lernen“ (s. GOE /Fatzer, 1999; S. 158), wobei die Erfolgskriterien vor allem in der Prozess- und Ergebnisqualität der Beratung liegen, aber letztlich nur die Systeme selbst bestimmen können, was Erfolg ist und was nicht“ (Rappe- Giesecke, in: Fatzer 1999; S.81). Erfolgreiche Praxisbeispiele sind jedoch nicht nur von dem Anspruch des Beraters, sondern vor allem von der Haltung des Kunden geprägt – von seiner Bereitschaft der Übernahme von Verantwortung und seiner Lernfähigkeit (Schein 2003). Dass die Schere zwischen progressivem Beratungsanspruch und der Realität vor Ort dennoch immer weiter aufgeht, liegt u. a. daran, dass positiv wirkende Bedingungen der Nachhaltigkeit und Wirksamkeit von IT-Strategievorhaben schwer identifizierbar sind und damit analytisch oft nur unzureichend erfasst werden können. Um aber scheinbar unaufhaltsame Routinemuster innerhalb des Systems der Beratungskunden und in der Kunden- und Beratungsbeziehung zu durchbrechen, wird in der Beratungsbranche viel über eine eigenständige Prozessentwicklung durch den Veröentlicht in: „Gute Beratung von Organisationen. Auf dem Weg zu einer Beratungswissenschaft.“ Gerhard Patzer (Hg.), EHP-Verlag, Köln, 2005, S. 347-377) 1

Prozessberatung in der IT

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Prozessberatung im IT-Wandel. Reaktionen eines mittelständischen Unternehmens auf organisationale Veränderungen der IT-Strukturen. (Beitrag wurde veröffentlicht in "Gute Beratung", EHP Verlag. Co-Autorin: Dorothee Dersch, 2005)

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14. Prozessberatung im IT-StrukturwandelReaktionen eines mittelständischen Unternehmens________________________________________________________________________________

Einführung und Arbeitshypothesen

Strategieprojekte der Information Technology (IT) haben insofern eine ganz eigene Faszination, als sie schon in der Planung separat funktionierende Welten kreieren, die in sich s t immig zu se in sche inen, jedoch n icht ausre ichend komplementär zur Unternehmensplanung angelegt sind. Den IT-Abteilungen mögen die Probleme der Implementierung als self-full-filling prophecy bekannt sein. Dabei bestimmt die Akzeptanz der Konzeptentwicklung und Strategieplanung bei den betriebsinternen Kunden und beim Management einen großen Anteil des Erfolges. Aber auch wenn Konzeptentwicklung und Strategieplanung den geringeren Teil der Veränderung ausmachen, ist deren Ausrichtung auf die Unternehmensstrategie von fundamentaler Bedeutung, weil sie den Umsetzungserfolg determiniert.

Dennoch scheint sich die Praxis der ‚Strategieentwicklungen‘ der tradierten Routine zu beugen, auch wenn bekannt ist, dass die bisherigen Vorgehensweisen nicht notwendigerweise erfolgversprechend sind. Den Konsequenzen wie Ressourcen- und Reibungsverluste wird nahezu offen und hilflos entgegengesehen. Das fast vorprogrammierte Scheitern in der strategischen Implementierung wurde schon früh erkannt, ohne dass es zu einer effektiven Neuausrichtung von IT-Strategieprojekten gekommen wäre (Fatzer 1996; Bobizien 1997).

„Qualitätsmanagement von Organisationsentwicklung ist das Management von Prozessen, in denen Berater zusammen mit ihren Kunden lernen“ (s. GOE /Fatzer, 1999; S. 158), wobei die Erfolgskriterien vor allem in der Prozess- und Ergebnisqualität der Beratung liegen, aber „letztlich nur die Systeme selbst bestimmen können, was Erfolg ist und was nicht“ (Rappe-Giesecke, in: Fatzer 1999; S.81). Erfolgreiche Praxisbeispiele sind jedoch nicht nur von dem Anspruch des Beraters, sondern vor allem von der Haltung des Kunden geprägt – von seiner Bereitschaft der Übernahme von Verantwortung und seiner Lernfähigkeit (Schein 2003). Dass die Schere zwischen progressivem Beratungsanspruch und der Realität vor Ort dennoch immer weiter aufgeht, liegt u. a. daran, dass positiv wirkende Bedingungen der Nachhaltigkeit und Wirksamkeit von IT-Strategievorhaben schwer identifizierbar sind und damit analytisch oft nur unzureichend erfasst werden können.

Um aber scheinbar unaufhaltsame Routinemuster innerhalb des Systems der Beratungskunden und in der Kunden- und Beratungsbeziehung zu durchbrechen, wird in der Beratungsbranche viel über eine eigenständige Prozessentwicklung durch den

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Beratungskunden gesprochen. Dies verlangt jedoch von den IT-Organisationsabteilungen und ihren unternehmensinternen Kunden eine ungewohnt kognitive Haltung und den Willen zum Lernen. Ein solches Anschauen der Herausforderung und Anstrengung einer IT-Strategieplanung bedeutet aber auch, den Beratungsansatz, der mithin in der Prozessberatung liegt, flexibel und situativ anzulegen. Hierüber handelt dieser Beitrag, dessen Fokus auf der Reaktion des Beratungskunden und seiner Verantwortung für den Veränderungsprozess liegt. Aufgezeigt wird, wie eine prozessual ausgerichtete IT-Strategieberatung bereits während der Planungsphase erste Schritte der Implementierung induzieren kann, wenn der Kunde zu Beratungsbeginn bereit ist, den Weg der bekannten Routinen zu verlassen und sich offen der Veränderungsdynamik zu stellen.

Zwei grundlegend rahmende Arbeitshypothesen sollen durch die Analyse der Qualität der Prozessberatung in der IT-Strategieentwicklung bestätigt oder verworfen werden:

1. Mittelständische Unternehmen weisen besondere Bedingungen auf, um aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung strategische Veränderungen und Neupositionierungen im IT-Bereich nachhaltig und wirkungsvoll zu vollziehen. Diese Bedingungen liegen in dem relativ hohen Grad der corporate identity, der personell und weniger automatisiert-prozessgesteuerten Arbeitsstruktur und ihren Ablaufsystemen und des damit einhergehenden hohen Grades der Vernetzung der strategischen mit den operativen Strukturen. Diese Bedingungen werden in gesunden mittelständigen Unternehmen nur in relativ geringem Maße von defensiven Routinen der Mitarbeiter konterkariert.

2. Die Art und Weise (Prozess- und Ergebnisorientierung, Grad an Involviertheit und Konkretion) der IT-Strategieentwicklung prägt den Erfolgsgrad der Implementierung im Hinblick auf Wirkung und Nachhaltigkeit. Je klarer die Strategieentwicklung und Umsetzungsplanung an den Prozess der Implementierung gekoppelt ist und je konkreter und vorstellbarer die Ziele formuliert sind, desto besser sind die Voraussetzungen für eine effektive Prozessberatung und eine ergebnisorientierte Vorgehensweise (s. Rappe und Giesecke 1999).

Der Beitrag basiert auf einem Beratungsauftrag für eine IT-Strategieentwicklung in einem mittelständischen Unternehmen, dessen allgemeine Bedingungen sowie die Ergebnisse und Wirkungen des Veränderungsprozesses Anlass genug waren, um Möglichkeiten nachhaltiger Prozessberatung in dem noch relativ unerprobten IT-Umfeld aufzuzeigen und die gängige Beratungspraxis verbessern zu helfen. Die Herausforderungen für den Kunden und die Beratung, die dieser Prozess mit sich brachte, stellen einerseits einen weiteren reality check und ein ground truthing progressiver Beratungskonzepte im IT-Umfeld dar, andererseits muss sich auch die Beratung selbst einer Analyse ihrer Lernfähigkeit stellen.

Der Beitrag ist geschrieben aus der Sicht des Beratungskunden. Im Vordergrund steht nicht die analytische Beobachtung des Prozesses, sondern die Gestaltung des Prozesses durch den Kunden und seiner Forderungen an die Beratung. Dieser analytische Ansatz wurde gewählt, um den Beratungskunden zu Wort kommen zu lassen, der den Prozess gestaltet hat und der Beratung ihre instrumentelle Rolle zugewiesen hat, um zu unterstützen, statt die Führung zu übernehmen.

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Tiefgreifender Strukturwandel in der IT

Geprägt von hoch turbulenten, komplex technologischen und IT-architektonischen Veränderungen war die IT-Welt schon immer, besonders seit der Erfindung des Internets und des PCs. Rasante Entwicklungen, Anpassungen und deren Implementierung prägten stets das Umfeld, Veränderungsgewohnheit und Lernen ist der IT-Welt eigen. Es zeichnet sich jedoch seit einigen Jahren, vor allem durch Ressourcenreduzierung, Einsparungen sowie unternehmerische Anforderungen nach einer effektiveren IT-Integration in das Gesamtunternehmen, ein für die IT enorm herausfordernder Strukturwandel ab. Dieser Wandel zielt auf die gängige Grundausrichtung der IT, die sich tendenziell der realen Welt des jeweiligen Unternehmens nicht zugehörig fühlte, eigene Systeme entwickelte und die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den betriebsinternen Kunden vernachlässigte.

Die Forderung, mit anderen Geschäftsbereichen des Unternehmens zu kommunizieren, zusammenzuarbeiten und mithin zum integralen Bestandteil der Unternehmensstruktur zu werden, bedeutet, neue Management- und Governance-Systeme in die IT-Welt einzuführen und damit eine neue Rolle innerhalb des Unternehmens einzunehmen: vom relativ unabhängigen Entwickler und Designer zum unternehmensinternen IT-Architekten, IT-Strategieberater und IT-Dienstleister. Die komfortable Konzentration auf technische Entwicklungen wird damit zunehmend aufgehoben.

Bedingt ist diese grundsätzliche Neuausrichtung durch die zunehmende Verflechtung der IT-Technologien, Anwendungssysteme sowie Infrastrukturen mit den Geschäftsprozessen und Organisations- und Arbeitsstrukturen (z. B. Help Desk, digitale Kommunikationsmedien etc.). Die IT-Welten haben sich den realen Geschäftswelten zu öffnen und das impliziert einen enormen Lernprozess: sich verständlich zu machen, sich zu integrieren und zu kooperieren, um gemeinsam erfolgreicher zu werden.

Eine moderne IT-Strategieentwicklung basiert deshalb auf der Einsicht, dass die IT ihre eigene Integration in das Unternehmen und damit die Entwicklung einer neuen Rolle, Aufgabe und Verantwortlichkeit nur gemeinsam mit den anderen Geschäftsbereichen im Unternehmen vornehmen kann. Wenn die anderen Geschäftsbereiche zu internen Kunden der IT-Abteilung werden sollen, wird schon in der Strategieentwicklung und Umsetzungsplanung eine neue und von allen Beteiligten äußerst ungewohnte Art an Kommunikation und Zusammenarbeit verlangt, die Grundlage der gemeinsamen Implementierung werden muss. Wie sich unschwer ablesen lässt, impliziert diese Herausforderung ein stark prozessuales Vorgehen, das Entwicklung, Planung und Umsetzung zu einem Ansatz verbindet. Technische Inhalte und Kennzahlen treten damit eher in den Hintergrund, ohne dass es zu einer IT-technischen Qualitätsminderung kommen darf.

Konsequenterweise müssten sich die Anfragen nach Methoden- / Prozessberatung erhöhen, die die technische Expertenberatung ablöst. Es ist in vielen Fällen jedoch zu beobachten, dass IT-Verantwortliche weiterhin der Meinung sind, internes und externes technisches Wissen reiche für die Strategieentwicklung aus, deren Umsetzung dann eher technokratisch in der mitteilenden Papierform vorgenommen werden kann. Alternativen sind in vielen Unternehmen wenig bekannt.

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Situationsskizze

Die deutsche Tochtergesellschaft eines mittelständischen, international operierenden Automobilunternehmens steht vor Wachstumsschüben, die eine Überprüfung ihrer Produktions- und Vertriebspraxis auslösen, um den Marktanforderungen möglichst kurzfristig und schnell gerecht zu werden. Einerseits bedeutet dies, Unternehmensstrukturen durch eine adäquate Reorganisation zu verändern. Andererseits werden Arbeitseffizienz vertikal und horizontal in den Fokus einer potenziellen Rationalisierung interner Abläufe gestellt.

Beide Bestrebungen enden mit dem Auftrag, eine neue IT-Strategie für Organisations- und Informationssysteme (OIS) zu entwickeln und zu implementieren, um mit gleichen oder idealerweise geringeren Ressourcen eine höhere Effektivität zu erreichen. Für die IT-Abteilung des Unternehmens ist vor allem von Bedeutung, dass die Organisation der Arbeitsabläufe auf Doppelstrukturen überprüft wird. Wie in vielen anderen Unternehmen, ist dadurch auch hier die IT prägt, da viele Geschäftsbereiche parallele IT-Strukturen aufgebaut haben.

In diesen geradezu klassischen IT-Doppelstrukturen, die sich aus der bisherigen relativen Isolation der IT-Abteilungen ergeben haben, liegt ein vergleichbar größeres Potenzial an Rationalisierungsmomenten als in den anderen Geschäftsbereichen. Unternehmerische Antworten auf die rasante Technologieentwicklung und die dadurch bedingten Automatisierungsschübe werden aufgrund der Doppelstrukturen jedoch nicht nur in der IT-Abteilung erarbeitet, sondern auch in den Fachabteilungen. Dieses sehr konfliktträchtige und auch kostenintensive Problemfeld wurde bisher als Ausdruck der "kleinen Kriege" zwischen den IT- und Fachabteilungen hingenommen, ohne dass es zu einer Klärung gekommen wäre.

Zusammenfassend liegen die Ziele zur Kosten- und Prozessvereinfachung in der IT im Bereich der Integration in andere Geschäftsbereiche bzw. Fachabteilungen, der IT-übergreifenden Governance sowie in der Harmonisierung der IT-Architekturen, Anwendungen und Infrastrukturen im Gesamtunternehmen..

Der Auftrag an die IT-Abteilung beinhaltet die drei klassischen Veränderungsbereiche im Gesamtunternehmen, die durch ein internes Projekt umzusetzen sind:

• Kohärenz der IT-Systeme mit der Konzernvision • Integration der Internet-Projekte in die IT-Gesamtlandschaft • Budgetkonsolidierung

Die Ausgangssituation und die Ziele der Strategie wurden durch das Direktionskomitee noch einmal für die IT-Abteilungsebene konkretisiert:

Ausgangsprobleme: • Fehlende Differenzierung zwischen Kernkompetenz und „Commodity-Services“ • Unscharfe Abgrenzungen der Rollen und Aufgaben (z. B. Projektbetreuung, Anwendungsunterstützung, IT-Betrieb) • Zufällig gewachsene Strukturen für Aufbau- und Ablauforganisation • Relativ hohe Unflexibilität

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• Primär Rolle des „Kümmerers“ für PC • Internen Kundenanforderungen (Geschäftsbereiche) wird OIS nicht gerecht (z. B.

geringe Akzeptanz, Geschäftsbereiche arbeiten bevorzugt mit externen IT-DL) • Zuständigkeitsdenken dominiert Dienstleistungsdenken

Zielsetzung des Strategieprojektes: • Abbildung der Anforderungen der internen Kunden in einer leistungsfähigen und

flexiblen Aufbau- und Ablauforganisation • Bestimmung der zukünftigen Rolle von OIS als zentraler IT • Aufnahme der Kundenerwartungen und Abweichungsanalyse • Identifikation und Abgrenzung der Kernkompetenzen von Commodities

Methodisches Vorgehen

Die Entscheidung für die Vorgehensweise blieb der IT-Abteilung offen. Zur Wahl stand der klassische Weg, um mit Hilfe eines externen IT-Beratungsunternehmens die Strategieentwicklung und die Einführungsphase in gewohnter, technokratisch ausgerichteter Weise begleiten zu lassen. Dabei hätte die externe Beratung strategisch-technische Veränderungsmöglichkeiten der OIS ausgearbeitet und zur Entscheidungsreife gebracht.

In der IT-Abteilung war natürlich bekannt, dass ein solcher top-down Ansatz meist einen technisch gut strukturierten und mit Kennzahlensystemen wie derBalance Score Card unterlegten Strategieplan zum Ergebnis hat. Dieser findet in den unterschiedlichen Abstimmungsgremien aber oftmals wenig Verständnis und Akzeptanz und dessen Fertigstellung ist oft mit hohen Reibungsverlusten verbunden. Dem IT-Verantwortlichen war strategisch-rational klar, welche Ziele es zu erreichen galt. Nur die Frage des Vorgehens brauchte mehr als sechs Monate der Klärung, bis er sich für eine breite und relativ offene Prozessberatung entschied, die vom Auftragnehmer, dem Berater, als ein strukturierter Lernprozess ohne Abkopplung der operativ verantwortlichen Geschäftsbereiche bzw. Fachabteilungen angelegt wurde.

Als Prozessberatung bezeichnet Schein die Art und Weise, wie geplante Organisationsentwicklung umgesetzt wird . Für die Verbesserung von Funktionsweisen zwischenmenschlicher Beziehungen oder auch Beziehungen zwischen Menschen und Techniken ist die Beschäftigung mit interpersonalen Prozessen, Gruppen- und Organisationsprozessen noch relativ neu. Ihre Praxis zeigt jedoch eine bessere Wirkung als allein technisch ausgerichtete Veränderungsprozesse. Andererseits sind offene Veränderungsprozesse, die den interaktiven Einbezug aller Akteure in den Mittelpunkt stellen, gerade für technisch ausgerichtete Gruppen und Individuen schwer zu akzeptieren.

Die methodische Grundlage für diesen Beratungsauftrag war der Ansatz, dass Nachhaltigkeit und Qualität in der Beratung weitgehend vom Auftraggeber in seinen Wahrnehmungen und Kriterien selbst bestimmt werden, vorausgesetzt die Qualitätskriterien werden von der Beratung professionell erfüllt (s. Fatzer 1999). Voraussetzung seitens des Auftraggebers ist ein selbst tragender und organisierter Prozess, der aus den gemeinsamen Interessen aller Beteiligten im Unternehmen heraus lebt. Vier wesentliche Voraussetzungen

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für diese Form der Beratung können formuliert werden, die auch in dem hier analysierten Veränderungsprojekt in unterschiedlichen Phasen immer wieder eine Art Grundkonsens zwischen Auftraggeber und Berater darstellten (s.a. Franz, 1999).

Voraussetzungen für Prozessberatung • Hilfe zur Selbsthilfe • Betroffene zu Beteiligten zu machen • Motivation durch Verbesserung und Innovation • Kooperative Qualitätsverantwortung als Organisationsprinzip

Es wurde ein Beratungsvorgehen vereinbart, das die Führungskräfte und Mitarbeiter der IT-Abteilung in den verschiedenen Phasen der Analyse, Entwicklung und Gestaltung der OIS ohne Rückgriff auf externes technisches Expertenwissen aktiv unterstützen sollte. Es ist zu unterstreichen, dass der Auftraggeber ein relativ hohes Risiko einging, da nicht nur der Prozess, gemessen an der gängigen Routine, nicht vorausschaubar war, sondern auch die Reaktion der Mitarbeiter im Prozess schwer kalkuliert werden konnte.

Um aus Sicht des Kunden schreiben zu können, folgt eine Art "analytisches Protokoll", das mit Hilfe von sechs Elementen einer nachhaltigen IT-Strategieberatung strukturiert wurde, die als Fragestellungen formuliert werden:

1. Tun wir überhaupt noch das Richtige? 2. Was und wen benötigen wir für die Veränderung? 3. Wie sind wir Beteiligte und nicht nur Betroffene? 4. Wie sieht unser Tun und unsere Zusammenarbeit aus? 5. Was ist nötig, um Veränderung sichtbar und spürbar zu machen? 6. Wohin gehen wir mit welchen Ergebnissen?

Basierend auf den Arbeitshypothesen, liegt der Fokus der Analyse auf der Art und Weise sowie dem Grad der Beteiligung der Mitarbeiter der IT-Abteilung während des Beratungsprozesses. Grundmotivation und Haltung der Beteiligten, Reaktionen und das Wahrnehmen von Eigenverantwortung sind Faktoren, an denen die Beratung gemessen und verbessert werden kann.

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Sechs Elemente einer nachhaltigen IT-Strategieberatung

1. Tun wir überhaupt noch das Richtige?

Dies ist vielleicht die bedeutendste Frage, die die IT-Leitung selbstreflektierend an sich, das Management Board, die IT-Führungskräfte und Mitarbeiter zum Neubeginn stellen konnte. Basierend auf dem Auftrag der Integration, enthielt bereits die Frage implizit die neue Ausrichtung auf die internen Kunden. Das Ergebnis eines Brain Storming als eine erste Antwort war allerdings erwartungsgemäß nicht eindeutig und daher Anstoß für einen Initialprozess der Problem- und Standortanalyse. Ausgangsmoment war dazu die grundlegende Erkenntnis, dass die formulierten IT-Zielsetzungen des Unternehmens mit der gewachsenen IT-Struktur nicht erreicht werden würden.

Eine zweitägige Klausurtagung zur Problem- und Standortanalyse hatte zwei zentrale Fokusse:

1.Darstellung der aktuellen Situation im Hinblick auf die interne Arbeitsstruktur, IT-interne Professionalität, das Dienstleistungsverständnis und die Arbeitsbeziehungen zu den internen Kunden,

2.Zielformulierung und die daraus abzuleitenden Maßnahmen.

Die Ergebnisse dieser Klausur Tagungen wurden festgehalten (s. umseitig).

Diese erste kritische Problem- und Standortanalyse, durchgeführt als SWOT-Analyse, machte deutl ich, dass Doppelstrukturen nicht „zufäll ig“ wachsen und dass Koordinationsmängel zwischen den Geschäftsbereichen und Unklarheiten in der Rollen- und Aufgabenverteilung rational begründet sind. Mangelnde Akzeptanz der IT-Abteilung in allen Bereichen wie IT-Projektentwicklung und Verwandlung der Projekte in Produkte der Anwendung (Roll-out), Service und Support als Anwendungs- und Anwenderunterstützung, Betriebsstruktur (Operating und Infrastruktur) ist das Ergebnis jahrelanger Isolation der IT und führte zu unzureichender Flexibilität auf beiden Seiten. Der Wettbewerbsdruck von außen und damit die Gefahr des Outsourcing der IT tat ein Übriges, um den Erkenntnisdruck zu erhöhen.

Die zweitägige Klausurtagung stellte daher einen intensiven, inhaltlich-strategischen Self-Assessment-Process dar, der von allen Beteiligten getragen wurde. Dennoch war das Ergebnis der Klausurtagung nicht für jeden Mitarbeiter der IT-Abteilung akzeptabel oder nachvollziehbar. Mangelndes Verständnis und Schwierigkeiten in der Konsensfindung erlaubten es deshalb nicht, in einem kurzen Prozess der Veränderung auf die neuen Anforderungen der internen Kunden ausreichend zu reagieren und damit auch die notwendige Positionierung im Unternehmen strategisch rasch vorantreiben.

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Ergebnis der Klausurtagung

I. Wie arbeiten wir in der Realität? Sind wir nicht flexibel genug, um auf die vielfältigen Anforderungen der Zukunft reagieren zu können? • Starre, unelastische Strukturen • Begünstigtes „Zuständigkeitsdenken“

Werden wir den Anforderungen unser „Kunden“ nicht gerecht? • unsere Akzeptanz in den Fachbereichen ist teilweise gering • Fachbereiche arbeiten lieber mit externen Dienstleistern als mit OIS ⇐ Wir müssen uns zu einem flexiblen Projekthaus wandeln, das unseren Kunden hilft, Mehrwerte zu erzeugen Wie stellen wir uns einen idealtypischen Ablauf in Zukunft vor? • Projekte / Produkte werden „zur Reife“ gebracht • Anschließend erfolgt ein Roll-Out • Gleichzeitig werden Betreuung und Support organisiert (Diese Strukturen sind - rudimentär und unscharf differenziert - oft feststellbar (DCS, SAP, ...) ⇐ Wie bilden wir diese Anforderungen in der Organisation ab?

II. Wie stellen wir uns einen idealtypischen Ablauf in Zukunft vor? • Projekte / Produkte werden „zur Reife“ gebracht • Anschließend erfolgt ein Roll-Out • Gleichzeitig werden Betreuung und Support organisiert (Diese Strukturen sind - rudimentär und unscharf differenziert - oft feststellbar: DCS, SAP, ...) ⇐ Wie bilden wir diese Anforderungen in der Organisation ab?

III. Wie setzen wir diese Struktur um? • Wir setzen ein Projekt auf, um uns zu einem Projekthaus zu wandeln • Wir untersuchen, wie wir heute funktionieren - im Guten und im Schlechten • Wir überlegen gemeinsam, wie wir uns und unsere Arbeit zukünftig organisieren wollen • Wir schauen uns an, wer unsere Kunden sind und was sie wirklich von uns erwarten ⇐ Wir holen uns externe Unterstützung - aber es bleibt unser Projekt

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Aus diesem Ergebnis heraus konnten Grundzüge einer Prozessberatung vereinbart werden. Dies bedeutete letztlich nichts anderes, als dass die IT-Abteilung – überzeugt von der eigenen fachlichen Kompetenz – die Beratung im "Prozess des Neu-Denkens" als komplementär wahrnahm und nicht als vom Management eingesetztes externes Know-how im eigenen technischen Kompetenzfeld. Damit stieg zunächst die Akzeptanz einer Prozessberatung, die als nicht konkurrent angesehen wurde. Grundsätzliche Zweifel an der Prozess- und Gruppenkompetenz der Beratung blieben allerdings zu diesem Zeitpunkt weiterhin bestehen. Als Vereinbarung wurde deshalb explizit niedergelegt, dass die Prozessberatung ihren Aufgabenbereich ausreichend transparent machte, Rollen klärte und die IT-Abteilung aktiv dabei unterstützte, den Veränderungsprozess in eigener Verantwortung durchzuführen, ohne bei Komplikationen vorschnell aufzugeben.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Bedingungsfaktoren für die relativ hohe Motivation der IT-Abteilung weder in den Zielvorgaben des Unternehmens noch in den Ergebnissen der Problem- und Standortanalyse lagen, sondern in ihrer Kopplung mit der Corporate Identity gegenüber dem Unternehmen und einer relativ hohen Gruppenidentität in der IT-Abteilung. Eine solche Einigkeit, sich aus der eigenen strukturellen Starrheit zu befreien und die mangelnde Akzeptanz im Unternehmen zu überwinden, leitet jedoch nicht notwendigerweise einen Veränderungsprozess ein, der sichtbaren Mehrwert in der Wirkung bringt. Tradiertes Verhalten und defensive Routinen blockieren bekanntl ich Veränderungsprozesse, vor allem in ihrer verdeckten Form.

Einen gemeinsamen Lern- und Kooperationsmodus bei knappen zeitlichen und budgetären Ressourcen zu finden, ist deshalb keine Frage einer Verabredung, sondern ein Ergebnis des Veränderungsprozesses. Für die Beratung bedeutet dies, die Gruppe (in diesem Fall die IT-Abteilung) dabei zu unterstützen, die eigene Kompetenz aufzubauen und ein Niveau zu erreichen, das Erfolg im Veränderungsprozess verspricht (s. Schein: 2000). Es ist Aufgabe der Beratung, die Kompetenzentwicklung zu beurteilen und erst dann weitere Schritte unternehmen zu lassen bis Zwischenziele auch erfolgreich erreicht werden können.

Indikatoren für diese Kompetenz sind "weich" und nur bedingt messbar. Sie ergeben sich jedoch aus Transparenz und Beteiligung in der Einleitung des Veränderungsprozesses, Nachvollziehbarkeit der Problemanalyse und Ziele, Verständnis für Methodik und für angewandte Instrumente sowie aus der Frage wie der Prozess für die Corporate Identity und den Gruppenkonsens wahrgenommen wird.

2. Was und wen benötigen wir für die Veränderung ?

Die grundlegende Erkenntnis der IT-Abteilung einen Lernprozess zu beginnen, um Veränderungen effektiv durchführen zu können, warf einerseits die Frage nach der Konkretisierung im speziellen Umfeld auf. Andererseits musste die IT-Abteilung klären, ob das Beratungsangebot passte bzw. die Beratung in ihrer methodischen Kompetenz geeignet ist, um diese Neuausrichtung verankern zu können.

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Bezüglich der Konkretisierung des Instrumentariums und der Zusammenarbeit (was und wen?) formulierte die IT-Abteilung weitere Anforderungen, die für den Veränderungsprozess von wesentlicher Bedeutung waren:

Die Liste der Anforderungen ist beeindruckend, aber es fehlt die Ausrichtung auf die internen Kunden. Die drei formulierten Bereiche – Wissen, Arbeitsbedingungen innerhalb OIS und Unterstützung durch die Hierarchie – lassen darauf schließen, dass die Öffnung der Gruppe und das Eintreten in die Kommunikation der Arbeits- und Dienstleistungsbeziehung weiterhin problematisch war. Die Formulierung der Anforderungen spiegelt damit deutlich den Aufgabenbereich der Beratung wider.

Im Auftragsklärungsgespräch wurde eine grundlegende Bedingung für den Beratungsauftrag dahingehend formuliert, dass die Beratung in jedem Stadium des Prozesses die Eigenverantwortung und Führung des Auftraggebers respektiert. Der

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Liste von Anforderungen

Wissen/ Expertise • Prozess- / Methodenunterstützung, um den e igenen Analyse- und Entwicklungsprozess zu begleiten • Expertenwissen in der Abteilung und aus dem Unternehmen

Arbeitsbedingungen innerhalb der OIS • Keyplayer in der IT, die den Prozess von innen heraus verändern wollen, um auch die anderen Mitarbeiter mit zu ziehen • Arbeitsklima (Offenheit, Transparenz, gemeinsamer Wille, Vertrauen, Erkennen wollen) • Ressourcenbereitstellung seitens der Mitarbeiter • Kreativität und Mut der Beteiligten, Realitäten und Spiegelungen anzuschauen • Vermittlung von Absicht und Glaubwürdigkeit seitens der Verantwortlichen, dass OIS Neuausrichtung kein Lippenbekenntnis, sondern Unternehmensabsicht ist

Unterstützung seitens der landesgesellschaftlichen Unternehmensleitung • Mitwirkung des Managements, der internen Kunden und IT-Mitarbeiter während und nach der Reorganisationsphase • Ausreichendes Sponorship vom Management Board • Offene Auseinandersetzung im Unternehmen • Verpflichtung der Verantwortlichen, nach der OIS-Neuausrichtung, Entscheidungen zu treffen und die OIS-Neustruktur in ihrer Umsetzung zu unterstützen und nachzuhalten (wie Projektgenehmigungsverfahren, Kundenmanagement) • Unterstützung der zentralen Geschäftsbereiche und Stakeholders, v. a. von HR sowie Identifizierung sozialverträglicher Lösungen (mittelfristig)

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Auftraggeber hatte eine relativ klare Vorstellung, welche Art der Beratung er benötigte, nämlich „uns mit den richtigen Methoden zu helfen, uns selbst zu analysieren sowie unsere Anliegen und Ziele zu erkennen, um daraus selbst ableiten zu können, wohin es gehen kann und was wir brauchen“. Rückblickend impliziert diese Forderung seitens des Auftraggebers, dass viel Erfahrung mit externer Beratung vorhanden war, diese aber nicht notwendigerweise als positiv angesehen wurde. Für die Auftragsklärung der Beratung war die Forderung des Auftraggebers sehr hilfreich, wichtiger jedoch war die Klärung der Rolle der Beratung innerhalb der Gruppe.

Als Resümee bezüglich der grundlegenden Anforderungen kann festgehalten werden, dass recht klare Vorstellungen über das interne wie externe Instrumentarium bestanden, d. h. sowohl die internen Bedingungen als auch die Rolle der Beratung sind hinreichend in der Gruppe verankert. Der Schritt jedoch, sich für eine neue interne Kundenbeziehung zu öffnen, fehlt in diesem Stadium noch. Hier stellt sich die Frage, ob die Beratung dafür sorgen sollte, dass die Gruppe bereits vor einer detaillierten Zielformulierung die Rolle der internen Kunden als die eigentliche Zielgruppe klären sollte. In diesem Falle entschied die Beratung aufgrund einer Überforderung der Gruppe gegen einen solchen Schritt.

3. Wie sind wir Beteiligte und nicht nur Betroffene?

Im Regelfall sind Gruppen wie hier die IT-Abteilung von einer Entscheidung des Managements Betroffene, die einen Auftrag zu erfüllen haben. Die Eigenverantwortung, die sich in diesem Fall bereits früh im Veränderungsprozess entwickelt hatte, verlangte nach einer genaueren Klärung der Beteiligung, mithin nach dem Selbstverständnis der Gruppe.

Wie die Beteiligung während des Prozesses aussehen kann, zeichnet sehr treffend die folgende Maxime nach: „Wir wollen involviert statt informiert sein“. Der Satz wurde zum Projektslogan und stand später für den Selbstentwicklungsprozess. Dieses oberste Gebot, „Wir führen es durch“ sorgte aber auch für einige Konflikte, die zu Beginn nicht antizipiert werden konnten, u. a. weil die Erfahrung mit einer solchen Prozessgestaltung fehlte. Konflikte traten in der IT-Abteilung dann auf,

• „wenn es an uns geht und wir die Wahrheit statt unsere eigene Selbstverherrlichung anschauen“

• wenn wir kurz vor Einführung der neuen Organisation feststellen, dass wir in unserem Inneren noch an der gleichen Stelle stehen wie am Anfang und erst langsam verstehen, wo nun jeder seinen Platz habe soll“

Betroffenheit und Beteiligt-Sein sah der Auftragnehmer im Rückblick, wenn:

• „wir die neue Funktion und Verantwortung schon während des Projektes in uns empfinden"

• „wir betroffen waren, wenn wir durch die Beratung den Außenblick erhielten, der mal schockierend und dann auch lösend war“

• „wir beteiligt waren wir in der Analyse und in der Bewertung der Zukunft“

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• „wir beteiligt waren in den Foren im Austausch mit unseren internen Kunden“ • „wir kreativ beteiligt waren bei der Entwicklung unseres neuen OIS Portfolios und

wussten, dass wir es sind, die das tun können“

Die Zusammensetzung des Projektteams bestand aus Leitungspersonen der IT-Abteilung und entsprach allen Diversitätsansprüchen, auch wenn sie eher zufällig zustande kam. Damit konnte ein diversifiziertes Wissen, das notwendige institutionelle Gedächtnis und ein breites Netzwerk eingebracht werden, die zusammengenommen auch ein Spiegel der Unternehmensheterogenität in seiner OIS-Struktur war. Das Team repräsentierte die inhaltliche und strategische Breite der IT-Abteilung, so dass die verschiedenen „Stimmen“ während der Analyse- und Entwicklungsphase zu Wort kamen.

Das Projektteam war in dieser Phase des Prozesses beauftragt, erste Kontakte zu anderen Geschäftsbereichen aufzunehmen. An den Schnittstellen zwischen IT-Abteilung und anderen Geschäftsbereichen zeigte das Team außerordentlich hohe Bestrebungen, Loyalität im Sinne der Corporate Identity zu vermitteln, Transparenz des Prozesses sicherzustellen und die Vernetzung einzuleiten. Die Reaktion der Kollegen innerhalb und außerhalb der IT-Abteilung war keineswegs immer positiv und schwankte v. a. zu Beginn zwischen defensiver Abwehr, Ignorieren und partiellem Interesse, so dass teilweise ein offener Austausch, trotz aller Angebote, nicht aufkam. Für das Projektteam war es zeitweise ein persönlich belastender und konfliktträchtiger Weg, da sie sich in Rollenkonflikte begaben, die durch die Prozessorientierung induziert waren und deren Beilegung mangels Erfahrung zeit- und kraftaufwändig war. Die Beratung war an diesen Stellen besonders gefragt.

Eine weitere wichtige Komponente der Beteiligung war das Engagement des OIS-Managers, dem Leiter der IT-Abteilung. Er stellte sich sehr aktiv den Herausforderungen und nahm den Spiegel, den der Prozess seiner Abteilung vorhielt, konstruktiv an. Damit stärkte er die Akzeptanz der Mitarbeiter und vor allem des Projektteams in den anderen Geschäftsbereichen und der Prozess gewann an Glaubwürdigkeit. Zugleich ließ er viel an Kreativität und Visionen zu, schenkte dem Team großes Vertrauen und war offen für Konflikte. Insgesamt war die Stimmung im Projektteam mehr ein Barometer für die Effektivität des Prozesses und weniger für die kurzfristigen Ergebnisse.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Beteiligung und Engagement während des gesamtem Prozesses einen hohen Grad an Persistenz aufwiesen. Bedingungsfaktoren dafür waren (i) eine relativ hohe Frustrationstoleranz aufgrund der internen positiven Gruppendynamik und Kooperationsbereitschaft innerhalb der IT-Abteilung, (ii) Transparenz und Unterstützung, die vor allem von den Führungskräften und dem OIS-Manager praktiziert und eingefordert wurden, (iii) klare Absprachen für die Prozessgestaltung sowie (iv) zielgerichtete Beratung, die die Frage der Beteiligung zu einem der wesentlichsten Bestandteile der Arbeit gemacht hatte und besonderen Wert auf das Konfliktmanagement gelegt hatte.

Beteiligt und nicht nur betroffen zu sein, ist eine zentrale Forderung nach aktiver Partizipation. Der Grad des Engagements und die Tiefe an Verständnis für die Veränderungen bedingt die Gestaltung des Prozesses, der nach dieser Forderung ausgerichtet ist. Somit kann ist die Eigenverantwortung als ein wesentliches Kriterium für Qualität, Akzeptanz und Nachhaltigkeit der Strategieentwicklung formuliert werden.

Veröffentlicht in: „Gute Beratung von Organisationen. Auf dem Weg zu einer Beratungswissenschaft.“ Gerhard Patzer (Hg.), EHP-Verlag, Köln, 2005, S. 347-377) �12

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4. Wie sieht unsere Zusammenarbeit aus und was bedingt den Erfolg?

In einer einwöchigen Initialisierungsphase wurden mit dem Projektteam und dem OIS- Management die Zielsetzungen, Aufgaben und der Projektplan (s. Abb. 1) erarbeitet und auf seine Durchführbarkeit überprüft. Ein iteratives Vorgehen war notwendig, denn in der Konkretisierung der Ziele und Aufgaben stellte das Team fest, dass eine dringende Priorisierung erfolgen musste – das Vorhaben wurde sonst zu komplex und nicht mehr ausreichend vermittelbar. In dieser Situation ereilte vor allem das Projektteam eine gewisse Unsicherheit, ob eine beratende Prozessbegleitung ausreichend sei. Die offensichtlich immer noch ungenügende Vorstellung über Vorgehensweise und die anzuwendende Methoden löste eine lähmende Hilflosigkeit aus und ließ den Ruf nach einer technischen Expertenberatung laut werden. Es war die heftigste Reaktion während des Prozesses, die die Beratung zunächst überraschte.

Von Beratungsseite ist davon ausgegangen worden, dass zumindest dem Team die Methodik der Prozessberatung spätestens nach der Klausurtagung und der Auftragsklärung bekannt sei und ausreichend Vertrauen in die Beratungskompetenz bestand. Eine erneute Auftragsklärung war notwendig und vor allem deshalb sehr hilfreich, da dadurch Unsicherheiten und Vorbehalte aus dem Weg geräumt wurden, die sich während dieser erste Phase durch prozessbedingte Konflikte und Probleme aufgebaut hatten. Der Prozess blieb weiterhin offen.

In dieser Initialisierungsphase wurden mit einem hohen Grad an Reflektion abgeschlossene Projekte im Hinblick auf Effektivität und Wirkung analysiert. Für die IT-Welt ist dies ein eher ungewöhnlicher Schritt, da man normalerweise nicht über das redet, was abgeschlossen wurde und es schon gar nicht gemeinsam bewertet oder Erkenntnisse daraus zieht.

Interessant ist, dass diese Analyse die Orientierung des Projektteams auf die internen Kunden maßgeblich stärkte. Deutlich wurde dies in einem späteren Workshop mit allen internen Kundenvertretern, auf dem sich das OIS-Projektteam souverän und offen zeigte, sich der Kritik der internen Kunden, d. h. der Geschäftsbereiche stellte und proaktiv mit Neuerungen umzugehen in der Lage war. Das Projektteam und die IT-Abteilung gewann hier eine erste Vorstellung über die Probleme und auch über die Potenziale der späteren Umsetzung.

Es sollte nicht unterschätzt werden, welche Wirkung die ungewohnte Form der Transparenz und Zusammenarbeit für den IT-Bereich hatte: erfreulich, wahrgenommen und geschätzt zu werden, aber auch verwirrend, weil andere die Möglichkeit bekamen, in die eigene Domäne einzugreifen. Kundenorientierung ist dann schockierend, wenn der Service Provider begreift, dass nicht allein seine Prioritäten zählen. Methoden v. a. aus der systemischen Beratung waren hier wirkungsvoll, z. B. im Hinblick auf Projektanalysen, Mitarbeiteranalysen und auf die Dynamik des Kundenforums.

Noch in der Initialisierungsphase wurde gemeinsam ein strukturierter und dennoch inhaltsoffener „Fahrplan“ entwickelt, der weitgehend eingehalten wurde.

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Nachhaltig beeindruckend und für die Veränderung und den Lernprozess wesentlich waren aus der Sicht des Projektteams und der IT-Abteilung folgende Maßnahmen:

• Interviews mit den internen Kunden (Management) und das Kundenforum mit den Geschäftsbereichen

• Strukturierung der Ziele, Aufgaben des IT-Bereiches in Quick Wins und Quick Losses (schaffte Bewusstsein und gab Abstand)

• die Konsolidierung der Zwischenergebnisse unterstützte die Erstellung des Gesamtkonzeptes (OIS- IT-HAUS)

• Verständnis für die sich aufbauenden Prozessschritte, die sich an die Entwicklung und Möglichkeiten des Teams und OIS anschmiegten

• Entwicklung und Altes anschauen • den Veränderungsprozess – unter Anleitung – selbst zu erleben • uns den internen Kunden offen stellen innerhalb dieser Phase • Projekte auszuwerten • Chef ist auch dabei und stellt sich allem, setzt sich ein und nimmt das Projekt

ernst

Abb. 1: Fahrplan der Strategientwicklung und seine Phasen

• Chef hört auf seine Mannschaft, reflektiert und bleibt dennoch unser Chef • unser so unterschiedliches Potenzial kennen lernen und es zusammenfügen • das IT-Haus bauen“

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!Vorphase Phase I Phase II Phase III Phase IV

Initialisierung (2.-6.12.02)

Analyse der OIS

(9.-20.12.02)

Erwartungs- analyse FA

Soll-ORG- Design

Maßnahmen- vorschläge

Initialisierungs-Workshop

(Zielsetzung, Projektplan, Aufgaben)

Priorisierung auf 5 Arbeitsziele

(Konkretisierung der Ziele, Vorgehensweise zur

Umsetzung)

Analyse des Projekt- Life-Cycle in OIS

(6 Projekte)

Projektplanung und -methode für

Analysephase (Zielsetzung, Projektplan, Aufgaben)

OIS-MA-Analyse (Arbeitsbeziehungen und

-felder, Kompetenzen, Prozesse)

Projektanalysen Auswertung,

erste Maßnahmen

Datenauswertung (Auswertungskriterien,

Zusammenstellung, Conclusion)

Review-Status Auswertungen,

Ergebnisse, Planung

Ist-Analyse der FA (Durchführung

der Interview (7))

Datenauswertung (Auswertungskriterien,

Zusammenstellung, Conclusion)

Zusammenstellung aller Ergebnisse

(Projekte, OIS MA, Kunden)

Priorisierung der entwickelten

Erfolgsfaktoren

Handlungs-empfehlungen zu den

Ergebnissen

Runder Tisch:

Kundenaustausch

Erster Soll-Design Entwurf

(in Abst. mit PA)

Review-Solldesign

Priorisierung der Handlungs

-empfehlungen

OIS-Außendarstellung: Leistungsportfolio

Entwicklung von Maßnahmen & Umsetzungs-empfehlungen

Endpräsentation

2.12.2002 9.12.2002 31.12.2002 20.01.2003 31.01.2003 14.03.2003

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Die Bedeutung der Einflussgrößen auf den Projekterfolg, wie sie in Abb. 2 dargestellt sind, entsprechen der Einschätzung des Projektteams. Stellenwert und Chancen dieser Einflussgrößen auf den Projekterfolg wurden all Win-Win-Situation dargestellt.

Die Frage, welche Indikatoren formuliert werden sollten, um die Wirkung dieser Einflussgrößen zu messen bzw. vorausschaubar zu machen, nahm verständlicherweise einen breiten Raum ein, konnte jedoch im Wesentlichen nur qualitativ beantwortet werden, was für ein IT-Team und vor allem für ein verantwortliches Projektteam nur sehr schwer zu akzeptieren ist, da dadurch deutlich wurde, wie schwer diese Einflussgrößen steuerbar sind.

Als Fazit dieser Phase kann angemerkt werden, dass die Beschäftigung mit dem Fahrplan und seinen konkreten Schritten hilfreich war, um das Vertrauen in den Erfolg des Projektes mit seiner ungewohnten Ausrichtung als offener Prozess zu erhalten, da er damit mehr Struktur annahm. Die IT-interne Kultur des instrumentellen Umgangs mit Technologien findet so in der Organisation von Analysen, Planungen, Runden Tischen und Workshops seine Fortsetzung als etwas Fassbares und auch Vorausschaubares. Die ungewöhnliche Rückschau auf die Wirkungen der abgeschlossenen Projekte und die ungewohnte Zusammenarbeit mit anderen Geschäftsbereichen zur Erreichung gemeinsamer Ziele sind Anforderung genug, denn es darf nicht vergessen werden, dass das Projektteam den Fahrplan als Ergebnis dieser Phase kommunizieren und verankern muss.

Es ist deshalb verständlich, wenn vor allem das Projektteam als Verantwortungsträger nervös auf die problematische Fassbarkeit der Einflussgrößen reagiert, die an sich leicht vermittelbar sind, aber zu Verunsicherungen führen, wenn sie zum Ausdruck der bestehenden Befürchtungen und Ängste werden bzw. die Einflussgrößen an diese Befürchtungen und Ängste erinnern. Diese Stelle des Prozesses ist für die Beratung von besonderer Sensibilität, da nicht negiert werden kann, dass die Wirkung der Einflussgrößen nicht vorausschaubar ist. Es kommt hier wesentlich darauf an, dass die Beratung hilft, die konkrete Planung der Vorgehensweise mit der Diskussion um die Einflussgrößen zu

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!

Projektmanagement

Schulung/ Training

Ressourcen.

Sozio-kulturelle Phänomene

Kompetenzen

Politik & Strategie

Zusammenarbeit

Synergien mit anderen

Projekten

Bedeutung der Einflußgrößen auf den Projekterfolg

Steigende Win-Win-Situtation

Ste

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Pro

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verbinden, um mehr Sicherheit zu schaffen, da während der einzelnen Schritte der Analysen und Diskussionen des Fahrplans eine kontinuierliche Bewertung der Wirkung der Einflussgrößen vorgenommen werden kann und von der Beratung gefördert werden sollte.

5. Was ist nötig, um Veränderung sichtbar und spürbar zu machen?

Die Veränderungen, die im Prozess identifiziert und geplant werden, beziehen sich in erster Linie auf die Umsetzung und Anpassung von Technologien und ihre Vernetzung, auf eine verbesserte Kommunikation und Kooperation zwischen IT-Abteilung und anderen Geschäftsbereichen sowie auf Fragen der Steuerung (Governance) und der organisatorischen Entwicklung des Unternehmens. Einer der determinierenden Faktoren für den Erfolg des Projektes und seiner Umsetzung ist jedoch die langsame Veränderung der alten Routinen, die bekanntermaßen über lange Zeit zumindest latent als passives Wissen vorgehalten wird. Die Subversion dieses Wissens (vgl. Foucault, 1973) als implizit erhaltene Betriebskultur, deren Elemente zumindest partiell jederzeit aktiviert werden und unbewusst oder bewusst kontraproduktiv in Anwendung kommen können, berechtigen zu der Frage: Wie kann das Gelernte verlernt werden, um dem zu Lernenden und zu Begreifenden eine Chance zu geben?

Aus wissenssoziologischer Sicht geht es hier um die gruppenspezifische und individuelle Konstruktion eines veränderten Wissenssystems, das nur konsolidiert werden kann, wenn Informationen, Erfahrungen und ihr Austausch kontinuierlich als verfügbares Wissen in die jeweiligen Wissenssysteme integriert werden. Ohne an dieser Stelle psychosoziale Erklärungsansätze herleiten zu wollen, muss betont werden, dass die Bereitschaft des IT-Teams, die Veränderungen zu tragen, auch nur dann wirkungsvoll sein kann, wenn gemeinsame Interessen mit den anderen Geschäftsbereichen identifiziert werden, die Win-Win-Situation transparent und nachvollziehbar ist und deshalb das „neue“ Wissen über die Veränderung positiv belegt ist. Mit kontraproduktiver Verwendung dieses Wissens im Sinne einer defensiven Routine ist natürlich zu jedem Zeitpunkt zu rechnen.

Um die geplanten Veränderungen zunächst sichtbar zu machen, brachte die Beratung so genannte „Projektschicksals-Linien“ in Anwendung, die durch die Erfassung von Leistungsmerkmalen und auf Basis von qualitativen Interviews mit internen Kundenverantwortlichen aufgezeichnet wurden. Sichtbarkeit bedeutet in erster Linie die Auseinandersetzung mit den internen Kunden, um nicht wieder der alten IT-Routine der zurückgezogenen und abgekoppelten Entwicklung zu verfallen. Der Beteiligtenkreis wurde abermals geöffnet und die „stillen“ Kritiker bekamen ihre Gelegenheit. Diesen Kritikern stellte sich die IT-Abteilung im ersten Schritt über die Interviews und im zweiten, einem gemeinsamen Dialogworkshop mit allen Fachbereichen. Dieser Workshop setzte für alle Beteiligten Zeichen als ein Novum in der Unternehmensgeschichte. Die IT des Unternehmens war gut vorbereitet und zeigte sich in einem für die Fachbereiche neuen Kleid: kommunikativ, dienstleistungsorientiert, offen für Kritik und konstruktiv in der Entwicklung einer integrierten IT.

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Auf Grundlage dieses noch durch die Praxis bestätigten Selbstbewusstseins, ist nicht erstaunlich, dass das Risiko-Portfolio der Kernaussagen (Einflussgrad der geplanten Veränderungen in Abhängigkeit von der Eintrittswahrscheinlich – vgl. Abb.3) insgesamt sehr positiv war, sowohl was die IT-Mitarbeiter anbelangte als auch in der OIS-Gesamtbewertung. Dieses Risiko-Portfolio als Bewertung der Einschätzung der Mitarbeiter und Annahmen innerhalb der OIS wurde in einem mehrstufigen Prozess bis hin zur Risikoanalyse durchlaufen. Zugleich wurden Aussagen bewertet, eingeschätzt und Empfehlungen in einem offenen Prozess entwickelt, um Situationen zu verändern.

Das methodische Vorgehen, individuelle Unterschiede in den Einschätzungen herauszuarbeiten und in einem Risiko-Portfolio sichtbar zu machen, war gänzlich neu für alle Beteiligten. Dennoch verhielt sich die Gruppe oder eine nennenswerte Zahl von Kollegen keineswegs defensiv, sondern das Vorgehen förderte eher noch die konstruktive Gruppendynamik..

Als Fazit dieser Phase sollte zunächst festgehalten werden, dass im Prozess ein fachbezogenes, verwendbares und damit konstruktives Profil der IT für die anderen Geschäftsbereiche sichtbar wurde. Damit hatte die IT Anschlussmöglichkeiten geschaffen, konnte die notwendigen Commitments der Geschäftsbereiche erlangen und sich gut aufgestellt in einen Bewährungskontext stellen. Alte Berührungsängste oder auch Zuschreibungen begannen sich zu lösen.

6. Wohin gehen wir mit welchen Ergebnissen?

Nach der Entwicklung der strategischen Neuausrichtung der IT Abteilung und der Entscheidung des Vorstandes über die künftigen Maßnahmen wurde ein interner Kick-Off-

Abb. 3: Risiko-Portfolio der Kernaussagen

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! MA-Kernaussagen & OIS-Gesamtbewertung

Ein

tritt

swah

rsch

einl

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eit

(/%)

Einflußgrad auf den künftigen Mehrwert der OIS in 2003

1 10

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50 %

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2

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5 9.2

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9.1 8

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Killer

Erfolg

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Stillstand

1

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Einflußgrad auf den künftigen Mehrwert der OIS in 2003

1 10

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I/3

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I/7

I/2

I/4

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III/B/1

III/B/6

III/B/2

III/B/7

III/A/1

III/A/2

III/B/5

III/B/4

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III/D

III/E/4

III/F

III/A/3

III/A/4

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III/A/6

III/A/7

III/A/8

III/A/9

Killer

Erfolg

Verschwendung

Stillstand

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DRDOROTHEEDERSCH praxis für unternehmensentwicklung

Workshop für die neue Organisationsstruktur der IT mit allen Mitarbeitern durchgeführt. Dieser eintägige Workshop hatte zum Ziel, die Vorgehensweise und Ergebnisse des Prozesses aus dem Projektteam zu vermitteln, die Mitarbeiter und Geschäfts-/Fachbereiche institutionell und organisatorisch neu aufzustellen und erste Aufgaben und Rollen aus der neuen Arbeitsstruktur heraus gemeinsam zu erarbeiten. Dieses Kick-out & Come-in war der erste gemeinsame Schritt mit allen Beteiligten, das neue „Organigramm“ zu vermitteln.

Inhaltliche Ergebnisse des Strategieprojektes waren:

1.Geschäftsstrategie: Enabling aufstellen und Commodities von externen Dienstleistern durchführen lassen

2.Rolle und Arbeitsbeziehung zwischen Geschäftsbereichen und IT-Leitung: IT tritt als IT-Strategiepartner und als Berater für die Gesamtentwicklung der IT im Unternehmen auf

3.Abbau von Doppelstrukturen: der schwerste Prozess 4. Personalveränderungen:

a. Abbau: innerhalb der IT-Abteilung b. Rekrutierungen: neue Kompetenzen und Profile, die den Anspruch der internen Kunden erfüllen (hier bes. das Kundenmanagement)

5. IT-Projektmanagement: Projektgenehmigungsverfahren und -review durch die IT für alle Geschäftsbereiche

6.Einführung eines zentrales Projektcontrolling 7.Regelmäßiges Budgetreporting an den Vorstand 8.Unternehmensinternes IT-Systemhaus: Einführung neuer Aufgaben, Rollen,

Kompetenzen innerhalb der IT-Abteilung

Im einjährigen Rückblick beschreibt der Auftragnehmer seine Lessons learned mit Prozessberatung mit:

• „Sie haben gelernt, sich zu vermitteln und sichtbarer zu werden • Sie haben gelernt, auf die Geschäftsbereiche zuzugehen und das konnten sie

gemeinsam während des Projektes erfahren – auch die Reaktionen, die dann projektintern betrachtet/ reflektiert wurden“

• „Allgemein ist die Akzeptanz und Nachhaltigkeit der Beratungsarbeit sehr hoch (erstes Beratungsprojekt mit Nachhaltigkeitscharakter)

• Durchweg alle Mitarbeiter haben verstanden, worum es geht und setzen sich voll in ihrem Verantwortungsbereich für die Ziele der IT ein

• IT ist als Berater sehr gefragt – übernimmt oft die Vermittlerrolle zw. Geschäftsbereichen und HQ des Konzern

• Dienstleistungsdenken wird gelebt!“ • „Rückblickend war dieses Projekt wohl das erste Beratungsprojekt (im IT-Bereich),

welches wirklich nachhaltige Erfolge zeigte“

... seine Erfolge:

• „IT wird von anderen Bereichen als kompetenter Partner im Haus gesehen

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DRDOROTHEEDERSCH praxis für unternehmensentwicklung

• Eine klar erkennbare Struktur hat sich in bestimmten Bereichen etabliert (z. B. Projektmanagement, Controlling)

• Die Motivation der Mitarbeiter ist spürbar gestiegen, sie nehmen ihren Auftrag auf und ernst und erkennen die Notwendigkeit (z. B. Reaktion auf Kundenwünsche hat sich verändert; können die Veränderung und Notwendigkeit nachvollziehen; strengen sich an, als Dienstleister aufzutreten)“

.... fehlende oder ausbleibende Erfolge:

• „Die Rolle der Key-Accounts hat sich noch nicht etabliert, tw. Überlastung und Begleitung ist noch notwendig

• Die neue Rolle der IT wird manchmal missverstanden => IT als Kümmerer für alle Belange, IT ‚muss’ "

Was positiv ist, wenn es sichtbar wird, verändert sich in der Wahrnehmung, wenn es spürbar wird. In der Zeit nach dem Kick-Off-Workshop änderte sich die Wahrnehmung der Geschäftsbereiche und ihre daraus resultierende Position gegenüber der „neuen“ IT jedoch noch relativ häufig und war nach wie vor ein wichtiger und „zäher“ Punkt, bei dem es um Ansehen und Wertschätzung, Angebot und Nachfrage und damit um die Frage der D iens t le i s tung g ing . Tro tz des gesch i lder ten , insgesamt sehr pos i t i ven Veränderungsprozesses und trotz des sich veränderten Selbstverständnisses kam die IT-Abteilung dennoch nur schwer aus ihrer alten Rolle des „PC-Kümmerers und Büchsenr-Reparieres“ heraus – kein Einzelfall.

Der Auftraggeber bestätigte nach einem Jahr, dass trotz „internem Marketing für den IT- Bereich, in dem die neue IT-Organisationsstruktur in der Mitarbeiter-Zeitung vorgestellt wurde“, das Bewusstsein und die Wahrnehmung unternehmensintern noch viel Zeit benötigte und viel operationale Arbeit. Der Prozess wird fortgesetzt.

Resümee

Es ist zunächst festzuhalten, dass der inhaltliche Auftrag vom Management des Unternehmens klar umrissen war und die Leitung der IT-Abteilung sowie die MitarbeiterInnen der Abteilung sich in der Lage sahen, den Auftrag trotz aller Komplexität zu erfüllen. Dass dabei externes Know-how hätte Verwendung finden können, lag im Bereich des gewohnten Vorgehens. Auch die institutionelle Problemlage bezüglich der Doppelstrukturen war bereits zu Beginn des Prozesses bekannt. Was im fachlich-inhaltlichen Sinne der IT praktikabel und mit interner wie externer IT-Kompetenz zu bewältigen erschien, war dennoch risikoreich in der Umsetzung. Das primär prozessual-methodisches Vorgehen in diesem Projekt war daher nicht Ausdruck von IT-Kompetenzproblemen, sondern ausgerichtet auf die internen Kunden des Unternehmens.

Die Bereitschaft der IT-Abteilung und seiner Leitung, sich eine offene Prozess- und Kommunikationsorientierung zu eigen zu machen, lag einerseits in der Einschätzung, dass ein Erfolg des Projektes mit anderen Mitteln sichergestellt werden müsste als durch die bisher gewohnte Expertenberatung für Strategieentwicklung. Andererseits war die Begrenzung der

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Befürchtungen innerhalb der IT-Abteilung und das Aufrechterhalten der Neugierde bedingt durch die richtige Kombination aus gewohnten IT-Sachthemen und methodischen Settings. Diese Kombination ist eine wichtige Grösse für die Arbeit mit innovativen Gruppen, deren Innovationsbereitschaft sich in einer klar definierten Welt entfaltet, deren Innovationspotenzial eventuell jedoch empfindlich reduziert werden könnte, wenn diese Welt sich durch den Kontakt mit internen Kunden erheblich erweitert.

In seiner eigenen Bewertung hat der Auftraggeber das prozessuale Vorgehen der Beratung als hilfreich empfunden und hat als Evaluierung des Prozesses die Strategie-Entwicklung und seine Beratung dahingehend zusammengefasst dass:

• neue Kriterien und Merkmale für die eigene Effizienzbewertung wurden erfahren • Betrachtungswinkel auf die Organisation, die eigenen Leistungen, den Vergleich und

die Spiegelung mit den Geschäftsbereichen wurden mit richtigen Methoden erweitert und es wurden recht hohe Aussagewerte zur Arbeitsstruktur und Qualität erfahrbar gemacht (z.B. Projektbewertung)

• mit Verstand und Herz wurde gearbeitet • ein ergebnisorientiertes Arbeiten war möglich • Zeitdruck und effiziente Beratung hat „Schleifenwirtschaft“ unmöglich gemacht • Hohe Anschlussfähigkeit mit diesem Beratungsvorgehen innerhalb der IT-Abteilung

war gegeben • für die anderen Geschäftsbereiche nachvollziehbar war, was und wie der IT Bereich

sich verändert.

Zusammenfassend sollte zunächst hervorgehoben werden, dass die IT-Abteilung mit kreativem Engagement, großer Eigenständigkeit und großem Interesse ihr eigenes Projekt umgesetzt hat. Das Projektteam war hohen Belastungen ausgesetzt, u.a. weil der erforderliche Grad an Neutralität gegenüber den eigenen KollegInnen oftmals ein besonders kritisches Moment war. Das Bestreben, ihre Projektarbeit, die sonst von externen Beratern geleistet wurden, objektiv, nachvollziehbar und umsetzbar zu gestalten, ohne von politischen oder strategischen Partikularinteressen eingeholt zu werden, war ein wichtiges Grundprinzip des Projektteams.

Für die IT-Abteilung gab es wesentliche Erkenntnisgewinne, z.B. wie der unterschiedliche Blick der Fachabteilungen auf ihr professionelles Tun ist; es gab Überraschungen, dass sich trotz aller Aussenorientierung keine unmittelbare Verbesserung der Kommunikation und Kooperation einstellte bzw. sich Fehler wiederholten, was ihre Frustrationstoleranz auf eine teilweise harte Probe stellte.

Allerdings passten die Zwischenergebnisse und Resultate des Beratungsprozesses recht gut zu ihren persönlichen Vermutungen und Einschätzungen, was ein wichtiger Sicherheitsfaktor für die Neuausrichtung darstellte. Von Bedeutung war darüber darüber hinaus die Methodenkompetenz der Beratung, die keine Fehlerzuweisungen vornahm, sondern eine wirkungsvollere Selbstanalyse ermöglichte

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Ein ganz wesentlicher Aspekt für die hohe Akzeptanz der Ergebnisse des Prozesses war der Grad an Selbsterkenntnis und Selbstverständnis, gefördert durch Enttabuisierung von kritischen Punkten, Thematisierung von Problemen, offene Analyse der Situation bzw. der Position der IT-Abteilung im Unternehmen und die Erarbeitung von Empfehlungen, die mit den Fachabtei lungen abgestimmt wurden. Damit konnten Handlungs- und Veränderungschancen besser abgeschätzt werden. Wesentlich ist, dass die IT-Abteilung von ihren Projekterfahrungen wird „zehren“ können – OIS intern und im zukünftigen Umgang mit den Geschäftsbereichen bzw. Fachabteilungen. Die Gruppe teilt damit eine erste Erfahrungen im Aussenkontakt miteinander und stellt eine Art kollektive Referenz für das neue Selbstverständnis der IT im Unternehmen dar. Es ist deshalb festzuhalten, dass bereits während der Entwicklung einer neuen IT-Strategie auf die zukünftige Umsetzung und Anwendung der Veränderungen im Sinne der Kommunikation und Kooperation geachtet werden sollte (Methoden, Instrumente, Kompetenz als Teil der IT-Governance).

Ein wichtiger Bedingungsfaktor, der auch von der IT-Abteilung thematisiert wurde, war die konstruktive und kontinuierliche Unterstützung durch das Management und vor allem durch die Leitung der IT-Abteilung. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die notwendige Unterstützung in solchen Veränderungsprozessen für die Betroffenen ebenso transparent ist, wie dies hier der Fall war. Eventuell ist es notwendig, Management und Leitung der federführenden IT-Abteilung strukturierter und vorausschaubarer einzubinden, als es in diesem Beratungsfall notwendig war.

Die Reaktionen der internen Kunden in den Fachabteilungen auf den Veränderungsprozess waren u.a. aufgrund der Doppelstrukturen erwartungsgemäss zunächst eher defensiv und besitzstandswahrend, später offener und kooperativer. Ein determinierender Faktor für die Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit war das Auftreten der IT-Abteilung und vor allem des Projektteams. Es ist aber auch festzuhalten, dass im Anschluss an die Strategie-Entwicklung mehr Engagement investiert werden musste, als dies antizipiert war oder vielleicht auch nur unausgesprochen erhofft war. Bereits im Prozess der Strategie-Entwicklung muss „die Zeit danach“ vielleicht noch stärker thematisiert werden, um den Erfolg nicht in Frage zu stellen. Dies ist vor allem auch vor dem Hintergrund wichtig, dass die externe Beratung mit Abschluss der Strategie-Entwicklung beendet ist.

Ein Aspekt, der in diesem Fallbeispiel nicht angesprochen wurde, sondern als „selbstverständlich“ galt, war die zukünftige technische Qualität der IT-Dienstleistungen. Die Frage ist allerdings, ob OIS die benötigten Dienstleistungen auch wirklich erbringen kann, wenn der Kundenkontakt intensiviert wird und damit Anwenderwünsche verstärkt auf die Entwicklung Einfluss nehmen. Um das technische Niveau und die IT-Innovationsbereitschaft zu erhalten, könnten andere Bestimmungsfaktoren wesentlich werden als dies bisher der Fall, z.B. die Überwindung des „chill effects“, der sich eventuell als inhaltlich-fachlicher Rückzug in der IT-Abteilung einstellen könnte, wenn der Kontakt zu den internen Kunden sich als problematisch erweist und keine Instrumente und Methoden verfügbar sind, zu einem gemeinsamen Verständnis über die Technologie-Entwicklung zu kommen.

Dies ist ein Risiko, das zu Beginn der Strategie nicht abgeschätzt werden kann, da eine Diskussion über die zukünftige technische Kompetenz zu einem frühen Zeitpunkt im Prozess zu Abwehr und Verunsicherung führen bzw. im besten Fall auf lächelndes Unverständnis stossen würde mit der Konsequenz, dass der Prozessberater, der eine solche Diskussion initiiert, diskreditiert wird.

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Beratung

Aufgrund der grundsätzlich positiven Haltung der IT-Abteilung und vor allem des Projektteams gegenüber einem relativ offenen Vorgehen, hatte die Prozessberatung nicht nur gute Grundvoraussetzungen. Darüber hinaus erleichterte die Forderung des Auftraggebers, ausschliesslich eine Methodenberatung für die strategische Neuausrichtung der IT-Abteilung einzusetzen, die Kommunikation. Daher waren die angewandten methodisch-strukturellen, partizipativen und zugleich ziel- und lösungsausgerichteten Ansätze in den einzelnen Beratungsphasen sehr willkommen, so dass sich die IT-Abteilung und v.a. das Projektteam sehr offen, konstruktiv und kritisch zugleich auf den Prozess einlassen konnte.

Dabei konnte mit einer an die Auftrags- und Zielstellung angepassten Methodenarchitektur, die im wesentlichen aus affektlogischen und systemischen Methodenelementen bestand, das Selbsterkennen, -verstehen und Neugestalten des Auftraggebers unterstützt und gefördert werden. Zugleich liess sich der Auftraggeber nicht primär von kategorisch, bereits vorab determinierten Zielen und Ergebnissen leiten, sondern es entstand ein zunehmend größeres Verständnis und Begreifen für seine Situation und der Problemlage bezüglich des eigenen interaktiven Handelns und dessen Auswirkungen auf die Fachbereiche als interne Kunden. Das waren die zentralen Lern- und Veränderungsmomente in dieser konzeptionell-planerischen Neuausrichtung.

Um Qualität und Nachhaltigkeit von Prozessberatung evaluieren zu können, wird dies nicht von der Beratung als Eigenanalyse vorgenommen werden können, da sie sich in den Hintergrund der Sache stellt und majeutisch den Auftraggeber begleitet, mit strukturell angepasstem Prozessdesign und mit der jeweiligen Entwicklungssituation angemessenen Methoden dem Auftraggeber hilft, seinen neuen Weg zu erkennen bzw. selbst zu gestalten. Für eine inhaltliche Bewertung der Beratung legt hier also der Auftraggeber seine Kriterien an, die das Lernen von Neuem und das Verlernen des Alten bestimmten und der Neuausrichtung dienten.

Auf Grundlage der vorgenannten Punkte, die zu Prozess-Blockaden führen könnten und auf die die Beratung besonders achten sollte, gab es wesentliche Erkenntnisgewinne, die in der Prozessberatung qualitativ berücksichtigt werden sollten, insbesondere für die IT-Branche. Generalisiert und zusammengefasst sind es folgende:

• Die Größe des Unternehmens für den IT-Strukturwandel: • Mittelstands- oder Konzernstrukturen • Größe der IT-Abteilungen und ihre Vernetzung innerhalb des Unternehmens • Grad an bereits bestehenden Kernkompetenzen und Commodity Strukturen

• IT-Bereiche sind und waren schon immer permanenten und turbulenten Veränderungs- und Entwicklungsdynamiken ausgesetzt, jedoch weniger auf der Ebene der Arbeitsbeziehungen, vor allem mit internen IT-Kunden wie auf der Sachebene

• Selbstlernende Prozesse im Bereich der Arbeitsbeziehungen und der Beziehungsauseinandersetzung: Mensch und Technologie sind ihnen von ihrem

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Arbeitsgegenstand und Thematik eher fremd und erschweren somit auch den anstehenden Strukturwandel

• Zwang, sich gegenüber den Fachbereichen zu öffnen, ist gepaart mit einer unternehmensstrategischen Neuausrichtung und der Forderung, sich selbst verändern zu müssen.

• Der zunehmende existenziel le interne und externe Wettbewerbs- und Veränderungsdruck bis hin zur Auflösung der IT-Abteilungen nimmt zu und stellt die Menschen unter einen ganz besonderen professionellen Überlebensdruck

Zentral für die Prozesssteuerung in dieser konzeptionellen Neuausrichtung der IT-Strategieentwicklung und damit für die Beratungsarbeit insgesamt war die Verbindung der zu entwickelnden Sachthemen (z.B. Ziele, Ergebnisse, Bewertungen) mit der Integration der IT-Abteilung und ihrer Produkte in das Unternehmen. Hierin liegt die größte Herausforderung, der sich IT-Abteilungen gegenwärtig stellen müssen. Prozessberatung ist gerade unter diesen Umständen der sinnvollste Ansatz wie dieses positive Beispiel aus der IT-Praxis zeigen konnte.

Literatur

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Lernen. In: Fatzer, G./Rappe-Giesecke, K./Looss, W.: Qualität und Leistung von Beratung. Köln: EHP (2. Aufl. 2002), 133-177

FATZER,G./RAPPE-GIESECKE, K./LOOS, W. (1999): Qualität und Leistung von Beratung. Köln: 2. Aufl. 2002)

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FRANZ, H.-W. (1999) NPO - Nachhaltige Personal- und Organisationsentwicklung. Eine Lernzeit (Beitrag aus der Forschung, 110). Dortmund: Sozialforschungsstelle

RAPPE-GIESECKE, K. (1999) Supervision - Veränderung durch soziale Selbstreflexion. In: Fatzer, G./Rappe-Giesecke, K./Looss, W.: Qualität und Leistung von Beratung. Köln: EHP (2. Aufl. 2002), 27 - 103

SCHEIN, E. H. (2000) Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Der Aufbau der heilenden Beziehung. EHP-Organisation. Köln, EHP (2. Aufl. Bergisch Gladbach 2003)

SCHEIN, E.H. (2003) Organisationskultur. „The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide“. EHP-Organisations. Bergisch Gladbach: EHP

Veröffentlicht in: „Gute Beratung von Organisationen. Auf dem Weg zu einer Beratungswissenschaft.“ Gerhard Patzer (Hg.), EHP-Verlag, Köln, 2005, S. 347-377) �23

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DRDOROTHEEDERSCH praxis für unternehmensentwicklung

Anmerkungen

1. In diesem Beratungsfall spielen die „internen Kunden“ der beauftragten IT Abteilung, d.h. die Fachbereiche des Unternehmens eine wichtige Rolle. Zur Unterscheidung dieses internen Kundensystems vom 2Beratungskunden2 wird Letztere als „Auftraggeber“ bezeichnet.

2. Prozessberatung betont innerhalb der Veränderung mit der Einbeziehung der Kunden, „wie die Angelegenheiten zwischen Menschen oder Gruppen geregelt werden, als WAS geregelt wird. Das WIE oder der „Prozess“ verdeutlicht in der Regel eher das Gesagte, worum es uns wirklich geht. (…) Jedoch haben wir mit dem Prozess häufig weniger Erfahrung. (Schein 2000, 6)

Zur Autorin

Dorothee Dersch (Praxis für Unternehmensentwicklung, www.dorotheedersch.de/ www.beratungswerkstatt.org), Projektleitung des beschriebenen Projektes (2005/2016), Beirat der Zeitschrift Profile.

Veröffentlicht in: „Gute Beratung von Organisationen. Auf dem Weg zu einer Beratungswissenschaft.“ Gerhard Patzer (Hg.), EHP-Verlag, Köln, 2005, S. 347-377) �24