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Grundsätzlich gilt, dass das Knochen- wachstum von 2 unterschiedlichen kyber- netischen Systemen (Abb. 1) bestimmt wird: 1. die Epiphysenfugen regeln das Längen- wachstum, während 2. das Dickenwachstum durch ein periostal- endostales Regulationssystem bestimmt wird [11]. Beide Systeme arbeiten nach dem von Roux [9] formulierten Prinzip und stre- ben eine Knochenform an, die mit ei- nem Minimum an Materialaufwand, so- zusagen in „Leichtbauweise“, ein Opti- mum an Stabilität, Elastizität und me- chanischer Belastbarkeit gewährleistet [9]. Wachstums- und funktionelle Korrekturmechanismen der Epiphysenfuge Im epi- und metaphysären Bereich ist die Epiphysenfuge für das Längenwachs- tum, das Perichondrium für das Dicken- wachstum der Fuge verantwortlich (Abb. 2). Die Richtung der endostalen Knochenbildung ist von den einwirken- den Druck- und Zugkräften abhängig. Unter physiologischer funktioneller Be- lastung richten sich die Knorpelzellen pallisadenförmig senkrecht zur einwir- kenden Kraft aus [3]. Bei geänderten Funktionsverhält- nissen, z. B. nach frakturbedingten Achs- Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S13 Trauma Berufskrankh 2001 · 3 [Suppl 1]: S13–S17 © Springer-Verlag 2001 Verletzte Kinder Wolfgang Schlickewei 1 · Mahmoud Seif El Nasr 2 · Hedie von Essen 3 1 Abteilung Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, RkK St.Josefskrankenhaus Freiburg 2 Abteilung Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie,Kreiskrankenhaus Traunstein 3 Abteilung Unfallchirurgie,Universitätsklinik Freiburg Spontankorrektur bei der kindlichen Fraktur Wann darf man darauf vertrauen? Prof. Dr. W. Schlickewei Abteilung Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, RkK St. Josefskrankenhaus Freiburg, Hermann-Herder-Straße 1, 79104 Freiburg (E-Mail:[email protected], Tel.: 0761-27112501,Fax: 0761-27112102) Zusammenfassung Der Knochenbruch des Kindes unterscheidet sich von der Fraktur des Erwachsenen inso- fern, als bei Kindern der Knochen nicht nur als statisches Skelettelement, sondern auch als Wachstumsorgan betroffen ist. Für die Therapieplanung bei kindlichen Frakturen sind aus diesem Grund 1. Kenntnisse über die Wachstumsphänomene am kindlichen Skelett, 2. Kenntnisse über deren formkor- rigierendes Potenzial sowie 3. Kenntnisse über die möglichen Folgen bei direkten Ver- letzungen der Wachstumszonen unabding- bar. Schlüsselwörter Knochenbruch bei Kindern · Wachstums- phänomene · Formkorrigierendes Potenzial der Wachstumszonen Abb. 1 Funktionelle Korrekturmechanismen der Epiphysenfuge: Bei verbliebener Fehlstel- lung erfolgen im Bereich der Fuge, den verän- derten Druckverhältnissen entsprechend, ein asymmetrisches Längenwachstum und damit eine Aufrichtung und Neuausrichtung der Epi- physe. Funktionelle Korrekturmechanismen der Diaphyse: Parallel zur Aufrichtung der Epiphyse erfolgt durch Anbau auf der Konkavseite und Abbau auf der Konvexseite das Remodelling der Diaphyse entsprechend der funktionellen Beanspruchung

Spontankorrektur bei der kindlichen Fraktur

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Page 1: Spontankorrektur bei der kindlichen Fraktur

Grundsätzlich gilt, dass das Knochen-wachstum von 2 unterschiedlichen kyber-netischen Systemen (Abb. 1) bestimmtwird:

1. die Epiphysenfugen regeln das Längen-wachstum,

während

2. das Dickenwachstum durch ein periostal-endostales Regulationssystem bestimmtwird [11].

Beide Systeme arbeiten nach dem vonRoux [9] formulierten Prinzip und stre-ben eine Knochenform an, die mit ei-nem Minimum an Materialaufwand, so-zusagen in „Leichtbauweise“, ein Opti-mum an Stabilität, Elastizität und me-chanischer Belastbarkeit gewährleistet[9].

Wachstums- und funktionelleKorrekturmechanismen der Epiphysenfuge

Im epi- und metaphysären Bereich istdie Epiphysenfuge für das Längenwachs-tum, das Perichondrium für das Dicken-wachstum der Fuge verantwortlich(Abb. 2). Die Richtung der endostalenKnochenbildung ist von den einwirken-den Druck- und Zugkräften abhängig.Unter physiologischer funktioneller Be-lastung richten sich die Knorpelzellenpallisadenförmig senkrecht zur einwir-kenden Kraft aus [3].

Bei geänderten Funktionsverhält-nissen,z. B.nach frakturbedingten Achs-

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S13

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S13–S17 © Springer-Verlag 2001 Verletzte Kinder

Wolfgang Schlickewei1 · Mahmoud Seif El Nasr2 · Hedie von Essen3

1Abteilung Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, RkK St. Josefskrankenhaus Freiburg2Abteilung Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Kreiskrankenhaus Traunstein3Abteilung Unfallchirurgie, Universitätsklinik Freiburg

Spontankorrektur bei der kindlichen FrakturWann darf man darauf vertrauen?

Prof. Dr.W. SchlickeweiAbteilung Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,RkK St. Josefskrankenhaus Freiburg,Hermann-Herder-Straße 1, 79104 Freiburg(E-Mail: [email protected],Tel.: 0761-27112501,Fax: 0761-27112102)

Zusammenfassung

Der Knochenbruch des Kindes unterscheidetsich von der Fraktur des Erwachsenen inso-fern, als bei Kindern der Knochen nicht nurals statisches Skelettelement, sondern auchals Wachstumsorgan betroffen ist. Für dieTherapieplanung bei kindlichen Frakturensind aus diesem Grund 1. Kenntnisse überdie Wachstumsphänomene am kindlichenSkelett, 2. Kenntnisse über deren formkor-rigierendes Potenzial sowie 3. Kenntnisseüber die möglichen Folgen bei direkten Ver-letzungen der Wachstumszonen unabding-bar.

Schlüsselwörter

Knochenbruch bei Kindern · Wachstums-phänomene · Formkorrigierendes Potenzialder Wachstumszonen

Abb. 1 � Funktionelle Korrekturmechanismender Epiphysenfuge: Bei verbliebener Fehlstel-lung erfolgen im Bereich der Fuge, den verän-derten Druckverhältnissen entsprechend, einasymmetrisches Längenwachstum und damiteine Aufrichtung und Neuausrichtung der Epi-physe. Funktionelle Korrekturmechanismen derDiaphyse: Parallel zur Aufrichtung der Epiphyseerfolgt durch Anbau auf der Konkavseite undAbbau auf der Konvexseite das Remodellingder Diaphyse entsprechend der funktionellenBeanspruchung

Page 2: Spontankorrektur bei der kindlichen Fraktur

abweichungen, führt die ungleichmäßi-ge Druckverteilung in der Fuge zu einerStimulation auf der Seite der verminder-ten Belastung und zu einer Wachstums-hemmung auf der Seite der vermehrtenBelastung [4]. Durch diese Reaktion auffunktionelle Druckverhältnisse vermagdie Epiphysenfuge als Wachstumsorgannicht nur die Form der Gelenke in phy-siologischer Weise zu prägen, sondernauch Achsabweichungen in und um denEpiphysenbereich sowie im Gelenk selbstzu korrigieren (Abb. 1).

Wachstums- und funktionelleKorrekturmechanismen des Schaftbereichs

Im diaphysären Bereich kommt es phy-siologischerweise durch appositionellen,periostalen Anbau zu einem Dicken-wachstum des Knochens. Gleichzeitigführt endostaler Knochenabbau zu einerfunktionellen Anpassung des Knochensan die Belastungsverhältnisse [9]. Dasperiostal-endostale Regulationssystemist aber auch in einem gewissen Grad inder Lage, über eine funktionelle An-passung Korrekturen posttraumatischverbliebener (Achs)abweichungen zukorrigieren. Durch periostalen Anbauauf der Konkavseite und gleichzeitigenendostalen konvexseitigen Abbau ist so-mit ein Ausgleich von Achsfehlstellungenmöglich (Abb. 3) [5].

Diaphysäres und epiphysäres Wachs-tum bzw. Korrekturvorgänge laufen ne-beneinander ab (Tabelle 1). Eine Kopp-lung beider Mechanismen ist anzuneh-men, wobei die Epiphyse nach experi-mentellen Untersuchungen [8] auch beiAchsabweichungen im Schaftbereich inetwa 50% (–75%) der stattgehabten Kor-rekturen verantwortlich zu sein scheint.

S14 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Verletzte Kinder

W. Schlickewei · M. Seif El Nasr · H. v. Essen

Spontaneous correction of fractures in children:when can we believe in it?

Abstract

Bone fractures in children are different fromthose in adults in that a child’s bone is af-fected not only as a static element of theskeleton but also as an organ of growth. Forthis reason the treatment cannot be plannedwithout detailed knowledge of (1) thegrowth processes in in the skeleton duringchildhood, (2) their potential for correctionof the skeletal form, and (3) the possibleconsequences of direct lesions to the growthplates.

Keywords

Fractures in children · Phenomenons of thegrowing skeleton · Spontaneous remodelingafter fractures in children

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S13–S17 © Springer-Verlag 2001

Abb. 3 a–c � Aktueller Fall eines 4-jährigen Jungen, der mit dem rechten Bein in eine Handschnee-fräse geraten war. Zweitgradig offene Unterschenkelfraktur mit Weichteildefekt (a). Primäre Platten-osteosynthese der Fibula und Kirschner-Draht-Osteosynthese der Tibia (b). Der Fixateur kam nichtzur Anwendung, da der Weichteildefekt primär mit einem Rotationslappen versorgt wurde und wiruns den Schwenkraum nicht durch den Fixateur einschränken wollten. Nach Abschluss der Weichteil-versorgung schien die Stabilität so ausreichend, dass eine Weiterbehandlung im Gips erfolgte. DieVerlaufskontrolle zeigt die Dislokation der Tibia in die Valgusstellung sowie das beginnende Remo-delling (c). Das Ausheilungsbild zeigt wieder weitgehend regelrechte Achsenverhältnisse

a b c

Abb. 2 � Reaktionen der Wachstumszonen auf

Page 3: Spontankorrektur bei der kindlichen Fraktur

Diese Fähigkeiten zur Spontankor-rektur posttraumatischer Achsabwei-chungen bzw. -fehlstellungen sind einwichtiges Argument für eine konservativeFrakturbehandlung im Kindesalter. Dadas Ausmaß dieser Korrekturen jedochnicht mit Sicherheit voraus bestimmtwerden kann, ist das zu erwartende post-traumatische Remodelling im individu-ellen Einzelfall mit großen Unwägbar-keiten behaftet und somit im Grund un-voraussagbar.

Wesentliches Therapieziel auch beider konservativen Behandlung kindlicherFrakturen bleibt demnach weiterhin,Achsabweichungen möglichst primär zubeseitigen bzw. zu vermeiden. Die Risi-koabwägung zwischen der operativenBehandlung und einem konservativen,eine eventuelle Spontankorrektur ab-wartenden Management ist in der Praxissomit nur dann wirklich indiziert, wennwiederholt reponiert oder operiert wer-den müsste, um eine gegebene Achsab-weichung primär zu beseitigen.

PosttraumatischeAchsabweichungen und derenSpontankorrekturen

Unter den prognostischen Faktoren fürein suffizientes Remodelling verbliebe-ner Achsabweichungen ist das Alter desKindes an erster Stelle zu nennen. Jejünger das Kind ist und damit je größerdie Wachstumserwartung, umso größerist das Ausmaß der möglichen Korrek-tur. Als Altersgrenze wird allgemein das10.–12. Lebensjahr angesehen. Frakturender oberen Extremität wird dabei eineprinzipiell bessere Prognose eingeräumtals Frakturen der unteren Extremität[10]. Dies ist nicht zuletzt dadurch be-dingt, dass statische Defizite an der obe-ren Extremität wesentlich besser als ander unteren Extremität toleriert werden.Das Korrekturausmaß ist weiterhin vonder Lokalisation der Fehlstellung ab-hängig. Hierbei spielen sowohl der Ab-

stand zur nächstgelegenen Wachstums-fuge als auch das Wachstumspotenzialdieser Fuge eine Rolle. Je näher die Fehl-stellung zu einer Wachstumsfuge liegt,umso größer ist die im weiteren Be-handlungsverlauf mögliche Korrektur.Die Epiphysenfugen sind bekannter-maßen in unterschiedlichem Ausmaßam Längenwachstum der jeweiligenKnochen beteiligt (Abb. 4).An den obe-ren Extremitäten ist diese Exzentrizitätausgeprägter als an den unteren. Achs-abweichungen in der Nähe „hochpro-zentig wachsender Fugen“ werden besserkorrigiert als solche in der Nähe „nied-rigprozentig wachsender Fugen“. Zu-dem verschließen sich die hochprozentigwachsenden Fugen wesentlich späterund ermöglichen damit eine Korrekturüber größere Zeiträume [7].

Funktionelle Belastungen durch dieumgebende Muskulatur sowie die Bewe-

gungsebenen der die Fraktur umgeben-den Gelenke und statische Belastungenspielen darüber hinaus eine wichtigeRolle für die Korrekturmechanismen.Achsabweichungen in der Hauptbewe-gungsebene des Körpers, der Sagittal-ebene, werden dabei besser korrigiertals solche in der Frontalebene. Funktio-nelle Fehlbelastungen hingegen,wie z. B.Narbenzüge oder Lähmungen, könnenzu einer Verstärkung einer Achsabwei-chung führen.

Seit-zu-Seit-Verschiebungen

Seit-zu-Seit-Verschiebungen werdendurch periostale Korrektur ausgeglichen.Sie sind dadurch eine Paradebeispiel fürein effizientes posttraumatisches Remo-delling. Die Wiederherstellung der ur-sprünglichen Form, auch bei Verschie-bungen um die volle Schaftbreite, ist anfast allen Skelettabschnitten bis zu einemAlter von 10–12 Jahren zuverlässig mög-lich. Die Ausnahme ist hierbei das pro-ximale Radiusende. Hier werden, un-abhängig vom Alter, keinerlei Seit-zu-Seit-Verschiebungen korrigiert [6].

Achsabweichungen in der Frontal- und Sagittalebene

Korrekturen erfolgen hier kombiniertdurch periostal-endostale und epiphy-säre Mechanismen.Parallel zum konkav-seitigen Knochenanbau und konvex-seitigen Abbau im meta-/diaphysärenBereich stellt sich die Epiphyse durchasymmetrisches Wachstum wieder senk-recht zur Belastungsebene ein. Korrek-turen sind bis zum 10. Lebensjahr zu-verlässiger zu erwarten als jenseits des10. Lebensjahrs, wobei folgende Richt-linien zu beachten sind:

∑ Achsabweichungen in der Sagittalebenewerden besser korrigiert als solche inder Frontalebene.

∑ Varusdeformitäten werden besser korri-giert als Valgusdeformitäten.

Eine besondere Ausnahme bildet das pro-ximale Radiusende. Hier werden dieseAchsabweichungen,obwohl keine „hoch-prozentige Wachstumsfuge“ in der Näheist und obwohl funktionelle und stati-sche Belastungen der Fuge fehlen, ohneProbleme ausgeglichen. In dieser Lokali-sation sowie am proximalen Oberarmund distalen Unterarm werden inner-

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S15

Tabelle 1Mögliche Korrekturmechanismen am wachsenden Skelett

Periostale-endostale Korrekturmechanismen Epiphysäre Korrekturmechanismen

Gezielt UngezieltDirekt Indirekt

Abb. 4 � Wachstumsanteil der einzelnen Fugenam Längenwachstum des jeweiligen Skelettab-

Page 4: Spontankorrektur bei der kindlichen Fraktur

halb der genannten Altersgrenze Achs-abweichungen bis zu 60% korrigiert [7].

Verkürzungen

Der Versuch des Längenausgleichs er-folgt über die posttraumatische Stimu-lation der Fuge. Häufig kommt es dabeizu einem überschießenden stimulativenWachstumsschub, und es resultiert eineVerlängerung des betroffenen Skelettab-schnitts. Da die Korrektur von Längen-differenzen nicht gezielt erfolgt, ist einehalbwegs zuverlässige Längenprognoseunmöglich [7]. Nur am Unterarm findeteine gezielte Längenkorrektur zwischenRadius und Ulna, nicht jedoch zur Ge-genseite statt. Die Relation der beidenKnochen zueinander wird bis zum Wachs-tumsabschluss regelhaft wiederherge-stellt, es sei denn, die Verkürzung ist Fol-ge eines vorzeitigen Fugenschlusses.

Verlängerungen

Verlängerungen sind im klinischen All-tag nur als iatrogene Folgen von Exten-sionsbehandlungen anzutreffen und wer-den im Verlauf des weiteren Wachstumsnicht korrigiert. Sie sind an der unterenExtremität wesentlich bedeutsamer alsan der oberen Extremität.

Rotationsfehler

An allen Röhrenknochen finden imWachstumsverlauf physiologische Tor-sionsveränderungen statt, in deren Rah-men posttraumatische Rotationsfehlerkorrigiert werden können. Hierfür gibtes aber keine klaren Richtwerte. Es lie-gen im Gegenteil Untersuchungen vor,die mit CT-Verlaufskontrollen belegen,dass eine Derotation im klinischen Ver-lauf nicht erwartet werden kann [1]. Kli-nische Relevanz haben diese Korrektu-ren bisher nur bei Oberschenkelfraktu-ren gezeigt. Rotationsfehler, wie sie imKindesalter gehäuft nach geschlossenerReposition von suprakondylären Hume-rusfrakturen beobachtet werden, korri-gieren sich im Wachstumsverlauf nicht.Hier sind eine Nachreposition, ggf.offen, und eine Fixierung erforderlich.

Sprengung partieller epi-/metaphysärerKnochenbrücken

Kommt es zu einer traumatisch beding-ten,persistierenden Schädigung der Pro-liferationsvorgänge in der Fuge, so be-dingen die Reparationsvorgänge eine bin-degewebige und kapillare Einwanderungund damit ein Übergreifen der Minera-lisation auf den epiphysären Teil der Fu-ge. Folge ist ein partieller oder totalervorzeitiger Fugenschluss mit einer knö-chernen Brückenbildung zwischen Epi-und Metaphyse. In Abhängigkeit vomnoch vorhandenen Wachstumspotenzialkann eine derartige partielle Brücken-bildung wieder gesprengt werden [2].Die weiteren Korrekturen erfolgen dannentsprechend der noch vorhandenenFehlstellung.

Folgerungen für die Therapie

Obgleich im Wachstumsalter durch be-sondere Regulationssysteme (epiphysä-res System und periostales-endostalesSystem) formkorrigierende Potenzialevorhanden sind, die grundsätzlich im-stande sind, posttraumatische Achsab-weichungen im weiteren Wachstums-verlauf auszugleichen, ist die Einhaltungder Grundregeln der Knochenbruchbe-handlung, die u. a. eine korrekte Ein-richtung einer Fraktur verlangen, ob-ligat. Laut diesen Grundregeln werdenAchsabweichungen eher

∑ in der Nähe von hochprozentig wach-senden Fugen (proximaler Oberarm,distaler Unterarm),

∑ in der Nähe von Gelenken mit mehrerenBewegungsebenen,

∑ in der Sagittalebene des Körpers imVergleich zur Frontalebene

korrigiert.Hierbei ist besonders auf Fehl-stellungen in der Nähe von Gelenken mitdeterminierten Bewegungsebenen, diegegenläufig zu dieser Ebene liegen, zuachten.

Im Unterschied zum Erwachsenensind bei Kindern Toleranzbereiche vor-handen, deren Einschätzung von folgen-den Parametern abhängt:

∑ dem Alter des Kindes: höheres Korrek-turpotenzial bei jüngeren Kindern;

∑ der Lokalisation der Fraktur in Relationzur Wachstumsfuge: das Korrekturpo-tenzial ist umso größer, je dichter dieWachstumsfuge an der Fraktur liegt;

∑ dem Wachstumsanteil der der Frakturnächstgelegenen Wachstumsfuge:„hochprozentig wachsende Epiphysen-fugen“ lassen eher eine Korrektur er-warten;

∑ der funktionellen Belastung der Frak-turumgebung: Achsabweichungen inder Hauptbewegungsebene korrigiereneher als Deviationen in anderen Ebenen.

Bei der Einschätzung von Achsabwei-chungen sind folgende Regeln zu beach-ten:

∑ Achsabweichungen (v. a. Seit-zu-Seit)zeigen ein hohes Korrekturpotenzial(periostaler-endostaler Mechanismus),Fehlstellungen in der Sagittalebenesind besser tolerierbar als solche in derFrontalebene [12].

∑ Verkürzungen sind in ihrem Korrektur-potenzial unsicher.

∑ Verlängerungen lassen grundsätzlichkeine Korrektur erwarten.

∑ Rotationsfehler zeigen allenfalls eineungezielte Korrektur und sind deswe-gen in der Regel nicht akzeptabel [13].

Wesentlich in der Therapieführung istnicht zuletzt auch eine ausführliche El-terninformation,da bei Achsabweichun-gen zunehmend eine „second opinion“eingeholt wird und hierbei nicht seltendurch die Eltern ein erheblicher Druckzur Korrektur einer Achsabweichungbzw. -fehlstellung ausgeübt wird.

S16 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Verletzte Kinder

Page 5: Spontankorrektur bei der kindlichen Fraktur

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S17