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Station der Geister

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Atlan -Der Held von Arkon

Nr. 236

Station der Geister

Atlan auf der Flucht - und in derGewalt des Magnortöters

von Marianne Sydow

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn esmuß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feindesind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zuschaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, derenHabgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Fein-de des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinzvon Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rück-schläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, denKampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzuset-zen.

In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va-ters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegen Orbanaschol. Doch dann, nachdem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raum-schiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besatzungsmitglieder derISCHTAR betroffen werden.

Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommenwurde, entpuppt sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimli-chen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR. Er zwingt sieerst, auf dem Planeten Ketokh zu landen, und dann, als seine Kolonisierungsplänesich nicht realisieren lassen, zwingt er sie wieder zum Start.

Atlan und Fartuloon werden dabei zurückgelassen. Die beiden Männer erreichendie STATION DER GEISTER …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Fartuloon - Die Gestrandeten der ISCHTAR werden abgeholt.Akon-Akon - Herr der ISCHTAR.Klinsanthor - Der Magnortöter fordert seinen Preis.Orbanaschol III. - Imperator von Arkon.Scolaimon Nove - Ein Gestaltwandler.

1.

Etwa fünf Meter unter uns breitete sichder Buschwald wie eine dichte, graugrüneDecke aus. Ab und zu stachen einzelneStämme aus dem Gewirr der Zweige fast biszu uns herauf. Fünfzig Meter weiter rechtsglänzte das Wasser eines Flusses im Son-nenschein. Es war – wenn wir uns nichtgründlich verirrt hatten – jener Wasserlauf,der aus dem Tal kam, in dem die ISCHTARnoch immer stehen mußte.

Optimist!Ich ignorierte den Einwurf des Logiksek-

tors. Bewußt verdrängte ich jeden Gedankendaran, daß Akon-Akon inzwischen den Pla-neten Ketokh verlassen haben könnte. Vor-läufig hoffte ich noch, das Raumschiff recht-zeitig zu erreichen. Selbst die Tatsache, daßGerlo Malthor und ich dann wieder dempsychischen Bannkreis des Jungen von Per-pandron unterlagen, war mir jetzt gleichgül-tig. Hauptsache, wir kamen von Ketokhweg.

Gerlo Malthor, ein korpulenter, sehr be-sonnener Mann, drückte die Flughöhe nochetwas herunter. Eine weite Flußschleife kamin Sicht.

»Geradeaus?« fragte er. »Oder umfliegenwir diesen Bereich?«

Nachdenklich musterte ich das Gelände.Der Fluß war hier sehr breit, das Land

flach und nahezu lückenlos vom Wald über-zogen. Wir rechneten nicht damit, verfolgtzu werden, waren aber trotzdem vorsichtiggenug, um uns vom Wasser fernzuhalten.

Zwar wußten wir, daß die Julkas Land-fahrzeuge besaßen und ausgedehnte Raubzü-ge ins Landesinnere veranstalteten, aber dieWagen machten genug Krach und hielten

sich außerdem an die von ihnen gebahntenSchneisen. Sie würden wir auf jeden Fallrechtzeitig bemerken. Anders war es mitEingeborenen, die den Fluß selbst als für sieideales Transportmittel benutzten – idealdeshalb, weil sie sich beliebig lange imWasser aufhalten konnten und wie die Fi-sche schwammen.

Andererseits hatten wir es eilig. Wir ka-men nur langsam voran, denn das eine Flug-gerät, das wir besaßen, mußte uns beide tra-gen. Die Flußschleife war riesig. Kilometer-weit dehnte sich die Landzunge aus. Sie waran einigen Stellen kaum hundert Meter breit.

»Geradeaus«, entschied ich. »Geben Siemir den Impulsstrahler.«

Ich hing in einer Seilschlinge, die anMalthors Gürtel befestigt war. Der Naviga-tor reichte mir die Waffe und widmete sichdann der Aufgabe, uns möglichst schnellüber das gefährliche Gelände zu bringen. Ichbeobachtete sorgfältig die Umgebung undhielt die Waffe schußbereit. Die Julkas wa-ren keines von den Völkern, bei denen mansich auf lange Verhandlungen einlassendurfte. An sich mochten sie ganz friedlichsein, aber sie trugen Symbionten, über diesie mit den Gnohlen in Verbindung standen,und diese monströsen Wesen hatten fürFremde nichts übrig. Vielleicht hatten siesogar erfahren, daß dank unserer Mitwir-kung einer der ihren gestorben war, so daßnun eine ganze schwimmende Stadt demEinfluß der heimlichen Herrscher entzogenwar.

Malthor ging so tief hinab, daß die ober-sten Zweige mich fast streiften. Gleichzeitigerhöhte er unsere Geschwindigkeit. Zwi-schen dem Buschwald und dem Wasser gabes nur einen schmalen Streifen sumpfigenGeländes. Dann schwebten wir über dem

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Fluß.Das Wasser unter uns war trübe. Pflan-

zenteile trieben mit der schwachen Strö-mung dem Meer entgegen. Ab und zu tauch-ten die dunklen Rücken riesiger Wasserbe-wohner auf und versanken seufzend wieder.Luftblasen stiegen hoch und zerplatzten un-ter uns.

»Schneller!« sagte ich nervös.Malthor schwieg. Er nutzte die Kapazität

des Fluggeräts bereits voll aus. Uns warnicht damit geholfen, wenn wir den Apparatüberlasteten.

Das andere Ufer näherte sich scheinbargar nicht. Ein schuppiger Kopf tauchte ausden schmutzigen Fluten, starre, rote Augenblickten zu uns hinauf, dann setzte das Tiersich in Bewegung und schwamm uns nach.Malthor drehte nervös den Schalter, und wirstiegen um ein oder zwei Meter. Geradenoch rechtzeitig, denn das Wesen unter unshatte soeben beschlossen, sich diese fetteBeute nicht entgehen zu lassen. Das Biestspuckte eine wahre Fontäne von Wassernach uns. Sein breiter Schwanz peitschtewütend die Oberfläche auf, als es merkte,daß wir entkommen waren. Der breite Kopfhob sich erneut. Ich sah, wie ein silbernglänzender Kehlsack sich dehnte. Gleichzei-tig glitt das Tier mit ungeheurer Geschwin-digkeit näher an uns heran. Bevor es dienächste Ladung Wasser gegen uns einsetzte,schoß ich. Der Fluß brodelte an dieser Stelleauf, eine dicke Dampfwolke stieg auf undnahm uns sekundenlang die Sicht. Als wirdiesen Bereich verlassen hatten, war vondem Tier nichts mehr zu sehen.

Falls noch andere Wasserbewohner mitdem Gedanken gespielt hatten, uns zu ver-speisen, so war ihnen nach diesem Ereigniswohl der Appetit vergangen. Wir erreichtenendlich das Ufer, überflogen den schmalenWaldstreifen und sahen uns dann wiederdem Fluß gegenüber. Unsere Nerven warenbis zum Zerreißen gespannt, und als wirendlich auch diese deckungslose Streckehinter uns gebracht hatten, atmeten wir er-leichtert auf. Unsere Freude war verfrüht.

Ich sah das Blitzen zwischen zwei rotblü-henden Büschen am Ufer und zielte. Aberich erfaßte das Ziel zu spät.

Es krachte, dann heulte ein Geschoßdurch die Luft. Malthor schlug einen Hakenund steuerte in steilem Winkel eine Lückezwischen den Zweigen an. Wenige Metervon uns entfernt explodierte das Geschoß.Metallfetzen flogen uns um die Ohren,Flammen loderten auf, und die Druckwelleschleuderte uns zur Seite.

»Runter!« schrie ich.Malthor reagierte schwerfällig. Er schien

Mühe zu haben, das Fluggerät unter Kon-trolle zu halten. Für einen Augenblick flo-gen wir sogar steil nach oben. In diesemMoment entdeckte ich die Julkas.

Es waren mindestens hundert. Sie mußtendurch den Schuß auf das wasserspeiendeUngeheuer auf uns aufmerksam gewordensein und hatten sich bis zum letzten Momentunter den Zweigen verborgen gehalten. Jetztrannten sie auf dem sumpfigen Uferstreifenumher. Wieder krachte es, und diesmal wa-ren es mehrere Geschosse. Aber inzwischenhatten wir durch Malthors unberechenbareFlugmanöver erneut die Richtung gewech-selt, und der Angriff der Fremden ging insLeere.

Ich entdeckte ein Geschütz, das auf unsgerichtet wurde. Es widerstrebte mir, dieEingeborenen zu töten, denn ich wußte ja,daß sie für ihre Handlungen nur bedingt ver-antwortlich waren. Aber hier ging es um un-ser Leben.

Das Ziel hüpfte und tanzte vor meinemAugen. Die Druckwellen zahlreicher Explo-sionen in der Umgebung warfen uns hin undher. Aber es gelang mir wie durch ein Wun-der, die vorsintflutliche Kanone zu treffen.Sie explodierte mitten zwischen den Julkasund setzte auf diese Weise eine Anzahl vonGegnern außer Gefecht. Die anderen ließensich dadurch nicht einschüchtern, sondernrichteten ihre Handfeuerwaffen auf uns.

Mit Malthor schien etwas nicht zu stim-men. Wir hingen immer noch in der Luft.Bis auf die Ortsveränderungen, die die Ex-

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plosionen uns aufzwangen, bewegten wiruns kaum vorwärts. Noch waren wir imSchußbereich der Spitzköpfe. Wenn sie unsbis jetzt nicht getroffen hatten, dann lag daseinzig und allein daran, daß ihre Waffennicht gut genug waren. Aber allmählichwurde die Lage brenzlig. Man schoß sichauf uns ein.

Ich schrie den Navigator an, aber Malthorreagierte gar nicht. Zehn Meter neben unsschoß eine Stichflamme hoch. Die Äste fin-gen Feuer. Fetter Rauch stieg auf. Wiedertraf uns eine Druckwelle. Ich sah einen et-was höheren Baum auf uns zukommen, zogden Kopf ein und fing mich mit Armen undBeinen an einem dicken Ast ab. Malthorblieb dicht über mir hängen. Atemlos zogich mich näher an ihn heran. Jetzt erst sahich das Loch in seinem Rücken.

In fliegender Hast befreite ich den Navi-gator aus den Zweigen, an denen er sich ver-fangen hatte. Eine neue Explosion ließ mei-ne Trommelfelle fast platzen. UnerträglicheHitze hüllte mich ein, dann hatte ich Malthorgepackt und konnte mit der freien Hand sei-ne Gürtelschnalle erreichen. Dabei bemerkteich, daß Malthor seinen Impulsstrahler nichtmehr trug.

Mit hoher Geschwindigkeit flog ich mitmeinem bewußtlosen Begleiter aus der vonRauch erfüllten Zone hinaus. Schrille Pfiffebewiesen, daß die Julkas uns wieder ent-deckt hatten. Ehe die Schüsse loskrachten,konnte ich noch einmal unsere Richtung än-dern. Dann brach die Hölle um mich herumaus. Es krachte, blitzte, heulte und pfiff.Flammen griffen nach mir, ein Zweigpeitschte über mein Gesicht und hinterließeine blutende Spur auf meiner Stirn. Einscharfer Schmerz durchzuckte das linkeBein, aber ich biß die Zähne zusammen undverringerte weder unsere Geschwindigkeit,noch die Flugrichtung. Die Flucht nach un-ten, in die sichere Deckung der Zweige, warlängst sinnlos geworden. Der Wald branntean unzähligen Stellen.

Mit mehr Glück als Verstand entkam ichschließlich dem Inferno. Die Eingeborenen

merkten schnell, daß sie mich mit ihrenWaffen nicht mehr erreichen konnten. Siestellten den Beschuß ein. Aber fast gleich-zeitig hörte ich das dumpfe Rumoren starkerMotoren.

Sie gaben nicht auf.Gerlo Malthor stöhnte leise. Ich biß mir

auf die Lippen und überlegte, wie ich ihmhelfen konnte.

Zuerst mußt du weg von hier, bemerktedas Extrahirn warnend.

Vor mir tauchte eine Schneise auf. DerBoden zwischen den Büschen war zerfurcht.Ich überquerte die Straße, auf der die Einge-borenen uns verfolgen würden, und flogweiter über den Buschwald hinweg, bis ichzwischen den Bäumen ein paar Felsen ent-deckte. Dort landete ich und legte den Navi-gator vorsichtig auf einen weichen Gras-flecken. Der Arkonide wälzte sich stöhnendherum.

»Wir sind in Sicherheit«, sagte ich beruhi-gend. »Keine Sorge, das bringen wir schonwieder in Ordnung.«

Malthor öffnete die Augen und sah michan. Sein Blick ging mir durch und durch.Dieser Mann wußte, wie es um ihn stand.Mit gutgemeinten Lügen war ihm nicht zuhelfen.

Sekunden später verlor er wieder das Be-wußtsein. Ich vergewisserte mich, daß ummich herum alles ruhig war, dann löste ichdie Gurte und bettete den Arkoniden so be-quem wie möglich. Vorsichtig untersuchteich die Wunde. Mir wurde klar, daß ichüberhaupt nichts unternehmen konnte.

Ein Splitter der ersten Bombe hatte GerloMalthor unterhalb der linken Knochenplattegetroffen. Der Wundkanal verlief eindeutigschräg nach oben. Es war ein äußerst un-glücklicher Treffer. Der Splitter mußtezwangsläufig wichtige Organe, vielleicht so-gar die Lunge verletzt haben. Wäre diesesStückchen Metall nur wenige Zentimeterweiter oben eingeschlagen, so wäre es vonder Knochenplatte abgelenkt worden undhätte nur eine vergleichsweise harmloseFleischwunde hinterlassen.

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Deprimiert setzte ich mich neben dem Na-vigator auf einen Stein. Ich hatte nicht ein-mal ein schmerzmilderndes Medikament zurVerfügung. Mir blieb nichts anderes übrig,als zu warten.

Diesem Mann hilfst du durch Wartenauch nicht weiter, meldete sich das Extra-hirn. Nimm das Fluggerät und die Waffe undfliege weiter. Die Julkas werden weiter nachdir suchen, und Akon-Akon wird wegen dei-ner sentimentalen Regungen nicht den Startverschieben – falls er nicht längst diesenPlaneten verlassen hat.

»Halt den Mund, du gefühlloses Mon-strum!« schrie ich. Ich war außer mir vorWut. Wie konnte dieses Ding von mir ver-langen, daß ich einen Sterbenden einfachliegenließ!

Der Logiksektor schwieg.Schwerfällig erhob ich mich, und bei die-

ser Gelegenheit wurde ich daran erinnert,daß auch ich nicht ganz ungeschoren davon-gekommen war.

Flüchtig untersuchte ich die Wunde amlinken Bein. Es war nichts Gefährliches,aber das Gehen fiel mir schwer. Humpelnddurchsuchte ich das Gelände zwischen denFelsen, fand eine kleine Quelle und stürztemich auf das eiskalte Wasser. Ich stillte mei-nen Durst, wusch Dreck und Blut aus mei-nem Gesicht und reinigte auch die tiefeSchramme an meinem Schienbein. Das linkeHosenbein war bis zum Knie aufgerissen.Ich trennte einen breiten Stoffstreifen herausund tauchte ihn in das Wasser der Quelle.

Gerlo Malthor rührte sich nicht, als ichihm vorsichtig das Gesicht abwischte. Erwar sehr blaß, sein Atem ging unregelmäßig.

Von einem Busch riß ich etliche Zweigeab. Die großen Blätter rochen aromatisch.Ich bastelte einen primitiven Sonnenschutz,um den Navigator vor der sengenden Hitzezu schützen. Dann setzte ich mich erschöpftneben ihn, stützte den Kopf in die Händeund versuchte, jeden Gedanken auszuschal-ten. Es gelang mir nicht. Ich war an einemabsoluten Tief angelangt. Zu viele Enttäu-schungen reihten sich aneinander. Der

Kampf gegen Orbanaschol und dessenSchergen, der Mikrokosmos mit den hoch-mütigen Varganen, der wahnwitzige Ver-such, meinen ermordeten Vater ins Lebenzurückzurufen – immer hatte es Rückschlä-ge gegeben, immer Tote und Verletzte,Männer, die mit mir und für mich gekämpfthatten und ihre Treue mit dem Tod bezahl-ten. Zwei Frauen hatte ich geliebt – Farna-thia war auf einem wilden, ungastlichen Pla-neten gestorben, Ischtar und mein SohnChapat waren spurlos verschwunden. Unddie tapfere, mutige Crysalgira hatte alle Ge-fahren unserer Irrfahrt im Mikrokosmosüberstanden um ausgerechnet auf einem ar-konidischen Stützpunktplaneten ein schreck-liches Ende zu finden.

Die blaue Sonne Ketokhs senkte sich demHorizont entgegen, als Gerlo Malthor eben-falls starb.

Fast unbeteiligt bettete ich ihn zwischenzwei eng nebeneinander aufragenden Felsenzur letzten Ruhe, wälzte andere Steine heranund deckte seinen Körper damit ab, damitkein wildes Tier ihn davonschleppen konnte.Mit meinem Impulsstrahler brannte ich sei-nen Namen in den größten der Felsen. Dannschnallte ich das Fluggerät um, steckte denImpulsstrahler ein und machte mich auf denWeg.

*

Die Julkas hatten es wohl doch aufgege-ben, einen fliegenden Fremden verfolgen zuwollen. Es war schon dunkel, und sie be-merkten mich nicht, als ich über das Lageram Fluß hinwegflog. Sie hockten zwischenihren klobigen Fahrzeugen und unterhieltensich mit pfeifenden Stimmen.

Für einen Augenblick spürte ich die Ver-suchung, Rache zu nehmen, dann hatte ichmich wieder in der Gewalt. Es war sinnlos.

Ich folgte dem Fluß, der auch in derNacht leicht zu erkennen war, obwohl ichmich vorsichtshalber in beträchtlicher Höhehielt. Der Himmel war etwas dunstig, aberdie hellen Riesensonnen bildeten grell blit-

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zende Sterne, die sich trotz des leichten Ne-bels auf dem Wasser spiegelten. Ich flog dieganze Nacht hindurch weiter. Im Morgen-grauen erreichte ich hügeliges Gelände. Fel-sen tauchten neben dem Fluß auf. Ich warfest entschlossen, durchzuhalten und ohneAufenthalt bis zu Akon-Akons Siedlung zufliegen, aber die Müdigkeit zwang michschließlich doch zu einer Rast.

Ein breiter Vorsprung in einer senkrech-ten Felswand erschien mir als ein relativ si-cheres Quartier. Ich näherte mich diesemFelsen vorsichtig und hielt den Impulsstrah-ler schußbereit, aber bis auf eine kleine Ech-se war der Platz auf dem Felsen leer. DasTier starrte mich mißtrauisch an, als ich dieFüße auf den Boden setzte, dann riß es dasMaul auf und zischte mich wütend an.Gleich darauf schien es zu begreifen, daß essich mit einem Gegner anlegte, dem es nichtgewachsen war. Die Echse huschte zumRand des Felsens, streckte die Beine vonsich und entfaltete dabei hauchdünne, far-benprächtige Flughäute. Lautlos verschwanddas Tier.

Du hättest es erlegen sollen, bemerkte derLogiksektor. Für einen Braten war es auf je-den Fall groß genug.

Ich war zu erschöpft, um mich über dieverpaßte Gelegenheit zu ärgern. Im hinterenTeil des Vorsprungs entdeckte ich eine mitgrauem Moos bewachsene Fläche. Ich tau-melte vorwärts, sank zu Boden und war Se-kunden später bereits fest eingeschlafen.

Das Erwachen war recht unerfreulich. DieSonne stand hoch und blendete mich. Ichmerkte, daß etwas an meinem rechten Beinzerrte und richtete mich mühsam auf. Mir ta-ten alle Knochen weh, denn die dünne Un-terlage aus Moos war nicht halb so weich,wie sie ausgesehen hatte. Verblüfft starrteich die Echse an, die sich in meinem Hosen-bein verbissen hatte und mit aller Gewaltdaran zog.

Das Tier ließ augenblicklich los, als ichmich bewegte. Es wich einen halben Meterzurück, blieb lauernd stehen und stieß eindurchdringendes Zischen aus. Ich tastete

nach dem Strahler. Im gleichen Augenblickregnete es förmlich Echsen. Sie kamen vonüberall, zischten wütend und ließen sich aufdem Felsen nieder. Ich sprang kampfbereitauf, dann merkte ich, daß die Tiere sich trotzihrer angriffslustigen Haltung nicht näher-ten. Einige, die von oben kamen, wichen mirsogar aus, landeten ein paar Meter entfernt,falteten die Flughäute zusammen und blie-ben dann abwartend stehen.

Mit der linken Hand schaltete ich dasFluggerät ein.

Die Echsen zischelten unruhig.Ich drehte den Schalter voll herum und ra-

ste wie ein Geschoß nach oben, kippte in derLuft leicht nach vorne und zielte nach unten,für den Fall, daß diese flugfähigen Reptilienmir folgten. Aber sie dachten gar nicht dar-an.

Kaum hatte ich den Moosflecken verlas-sen, da stürzten sie sich auf die Pflanzen.

Ich wartete nicht ab, bis der Grund fürdieses merkwürdige Verhalten sichtbar wur-de, sondern nutzte die günstige Gelegenheit,um zu verschwinden. Genau genommen hat-ten mir die Tiere sogar einen Dienst erwie-sen, indem sie mich weckten. Erstens hätteich mir einen bildschönen Sonnenbrand ho-len können, wenn ich dort weitergeschlafenhätte, zweitens war es höchste Zeit, daß ichmich wieder auf den Weg machte.

An einer von Felsen umschlossenenBucht hielt ich kurz an. Ich tauchte das Ge-sicht ins Wasser und unterdrückte nur mitMühe das Verlangen, zu trinken. Immerhinentdeckte ich einen ziemlich großen Fisch,und es gelang mir, ihn zu fangen. Mein Hun-ger war inzwischen in jenem Stadium ange-langt, in dem man ihn eigentlich kaum nochfühlt. Ein Großteil der Nahrung, die wir beiden Julkas erhalten hatten, war so schlechtgewesen, daß sie mich eher geschwächt alsgestärkt hatte. Und Konzentrate besaß ichauch nicht mehr. Ich suchte Schwemmholzzusammen, entfachte ein kleines Feuer, undals der Geruch nach gebratenem Fischfleischaufstieg, wurde mir prompt übel. Ich aß nureinen winzigen Bissen, hakte den Fisch samt

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dem Spieß an meinem Gürtel fest und eilteweiter. Wenig später konnte ich meinenDurst an einer Quelle stillen. Dann hörte ichdas Rauschen eines Wasserfalls und wußte,daß ich dem Ziel sehr nahe war.

Der Gedanke, doch noch zu spät zu kom-men, trieb mich vorwärts. Rücksichtslos jag-te ich das Flugaggregat hoch. Felsen unddichter Urwald glitten an mir vorbei, dannwurde das Wasser ruhiger, die Ufer wichenauseinander, und vor mir lag das Tal.

Ich sah die ISCHTAR.Die Erleichterung war so groß, daß ich

fast zusammengeklappt wäre. Das Raum-schiff, die einzige Möglichkeit, diesen Pla-neten zu verlassen, lag vor mir. Die Julkasmit ihren Explosivgeschossen hatten ihmkeinen Schaden zufügen können.

Salziges Sekret sickerte aus meinen Au-gen, während ich auf die silbrige Kugel zu-flog. Ich hatte gewonnen. Nicht gegenAkon-Akon, der uns erst in diese Lage ge-bracht hatte, aber gegen diesen Planeten undetliche widrige Umstände. Nur noch wenigeMinuten, dann war ich in Sicherheit. Dortvorne gab es Nahrung und Wasser, Ruheund Medikamente. Der Junge von Perpan-dron war mir völlig gleichgültig. Wenn ichnur einige Zeit ausruhen und neue Kräfteschöpfen durfte …

In diesem Augenblick startete die ISCHT-AR.

2.

Ich war wie von Sinnen. Ich schrie auf,jagte mit voller Beschleunigung auf die sichhebende Riesenkugel zu, feuerte den Im-pulsstrahler mehrmals ab und winkte wie einBesessener. Niemand bemerkte mich.

Zurück, du Narr!Die Warnung des Extrahirns kam in

schmerzhafter Intensität. Erst jetzt wurde ichmir der Gefahr bewußt, der ich mich aus-setzte. Ich war noch etwa dreihundert Metervon dem startenden Schiff entfernt. Bis jetztstieg es lautlos auf, die Antigravtriebwerkewaren in Betrieb. Wenn die Impulstriebwer-

ke zu arbeiten begannen, während ich in derNähe des Raumers in der Luft hing, brauchteich mir um mein weiteres Schicksal keineGedanken zu machen.

Ich riß mich zusammen. Solange ich amLeben war, gab es immer noch eine Chance.

In steilem Flug glitt ich nach unten. Ichlandete zwischen den halbverbrannten, ge-schwärzten Trümmern eines Hauses. DieWände aus Plastikteilen waren zu groteskenFormen zerschmolzen, sie bildeten einen un-regelmäßigen, glasigen Wall. Ich warf michdahinter und spähte über den Rand zurISCHTAR hinauf. Das Schiff mochte bereitseine Höhe von fünfhundert Metern erreichthaben. Es stieg langsam und majestätischweiter. Dann ging ein leichtes Flimmern vonden Abstrahlöffnungen des Ringswulsts aus.

Der Donner rollte über die traurigen Resteder Siedlung, die wir in pausenlosem Ein-satz errichtet hatten. Die ISCHTARschrumpfte zu einem Punkt zusammen undwar Augenblicke später verschwunden. ZumGlück war die Entfernung so groß, daß derStart sich auf die ehemalige Siedlung kaumnegativ auswirkte.

Minutenlang blieb ich in meinem Ver-steck liegen. Ich fühlte mich leer. Was nun?

Das Extrahirn schwieg zum Glück, dennseine kalten, logischen Bemerkungen hättenmir jetzt den Rest gegeben. Mein Weg warklar vorgezeichnet, ich wollte ihn nur nochnicht akzeptieren. Der Schock war zu groß.Nur wenige Minuten hatten gefehlt, dannhätte ich die Schleuse noch rechtzeitig errei-chen können.

Nur langsam beruhigte ich mich.Mein Selbsterhaltungstrieb machte sich

bemerkbar. Ich verließ die Überreste derHütte und begab mich auf die Suche nachGegenständen, die mir bei meinem Lebenauf Ketokh helfen konnten.

Die Siedlung sah schlimm aus. Die Julkashatten sich gründlich ausgetobt, und die Be-satzung der ISCHTAR hatte das Werk derZerstörung offensichtlich fortgesetzt. Alles,was nicht niet- und nagelfest war, hatte mandavon geschleppt. Werkzeuge, Vorräte,

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technische Einrichtungen – es gab fast nichtsmehr. Ich wanderte ziellos zwischen denTrümmern umher und versuchte, mir einenersten Überblick zu verschaffen.

Plötzlich hörte ich ein lautes Klirren, alswäre Metall gegen Metall gestoßen.

Blitzschnell huschte ich in die Deckungeiner niedrigen Mauer.

Das Geräusch kam aus der Richtung, inder ein noch gut erhaltener Schuppen stand.Vorsichtig spähte ich über die rußge-schwärzten Steine. Die Tür des Schuppenswackelte beängstigend. Gleichzeitig klirrtees erneut. Dann prallte ein schwerer Körpervon innen gegen die Türplatte. Ich sah, wiedie Riegel sich durchbogen, und zog den Im-pulsstrahler.

Lautlos schlich ich mich im Schutz derTrümmer an das Gebäude heran. Ungesehenerreichte ich die Seitenwand, spähte um dieEcke und hielt den Strahler schußbereit.

Drinnen schien ein großes, schweres Tierzu toben. Ich hörte trampelnde Schritte, dasdumpfe Aufprallen des Körpers, und es warnur noch eine Frage von wenigen Minuten,bis der Riegel aus der Halterung platzte.

Was hatte das zu bedeuten? Wen oderwas hatte man dort eingesperrt? Fanden sicham Ende sogar Gefangene in diesem Schup-pen, Julkas, die sich nicht rechtzeitig zu-rückgezogen hatten?

Ein lautes Keuchen ließ mich zusammen-zucken. Dann folgte ein Kampfruf.

»Harr-reeh!«»Fartuloon!« schrie ich.In diesem Augenblick krachte es, die Tür

flog aus der Fassung, und der Bauchauf-schneider trat mit wütend blitzenden Augenaus dem Schuppen. Er hielt das Skargkampfbereit in der Hand, auf seinem zer-beulten Brustpanzer spiegelte sich das Lichtder tiefstehenden Sonne. Als er mich ent-deckte, stieß er einen Freudenschrei aus. Erstampfte auf mich zu, und für einige Zeitwaren wir ausreichend damit beschäftigt,uns gegenseitig auf die Schultern zu klop-fen. Dann blickte Fartuloon zu dem Platzhinüber, auf dem die ISCHTAR gestanden

hatte, und die Wiedersehensfreude wich dernüchternen Erkenntnis, daß unsere Lage al-les andere als lustig war.

»Dieser verflixte Bengel«, murmelte derBauchaufschneider und schwang wütendsein Schwert in den leeren Himmel.

»Was ist passiert?«»Das siehst du doch. Nach dem Überfall

der Julkas war er zunächst kaum ansprech-bar. Dann begann er nachzudenken. Als ernichts vom Wiederaufbau der Hütten sagte,wußte ich, was die Stunde geschlagen hatte.Natürlich versuchte ich, das Unheil hinaus-zuschieben. Ich habe den Bordrechner sabo-tiert. Leider hat die Reparatur nicht langegenug gedauert. Sobald die ISCHTAR start-klar war, ließ er alles an Bord bringen, wasirgendwie von Wert war, und nun ist er weg.Mich muß er wohl als unzuverlässig einge-stuft haben, oder er wollte mich bestrafen.Jedenfalls wurde ich eingesperrt und be-täubt. Er hat mir nichts gelassen.«

»Immerhin hast du noch das Skarg«, trö-stete ich.

Fartuloon warf einen nachdenklichenBlick auf das Schwert. Unwillkürlich ver-suchte ich – ich weiß nicht, zum wievieltenMal –, die Figur auf dem Knauf zu erken-nen. Es gelang mir nicht. Je länger ich hin-sah, desto verschwommener wurden dieUmrisse.

»Ja«, nickte Fartuloon langsam.»Vielleicht war das Akon-Akons größterFehler.«

Es war nicht aus ihm herauszubekommen,wie er diesen Ausspruch gemeint hatte, undich gab es auch schnell auf, diesbezüglicheFragen zu stellen.

»In der Siedlung können wir nicht blei-ben«, stellte der Bauchaufschneider fest.»Früher oder später werden die Eingebore-nen zurückkehren, und diesmal sind sie aufWiderstand gefaßt. Wir beide könnten nichtsgegen sie ausrichten. Sehen wir also nach,was wir an brauchbaren Dingen finden, unddann suchen wir uns ein gutes Versteck.«

Mitten bei unserer Suche überraschte unsdie Dunkelheit. Wir waren beide mit unse-

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ren Kräften am Ende. Die Hütte, in der Far-tuloon die letzten Tage verbracht hatte, botuns zumindest ein festes Dach über demKopf. Zwei Konzentratpäckchen hatte derBauchaufschneider von seiner Verpflegungaufgespart. Wir aßen schweigend, rolltenuns auf einem Haufen zusammengetragenerStoffetzen zusammen und schliefen über-gangslos ein.

*

Am nächsten Morgen setzten wir unsereArbeit fort. Wir durchkämmten systematischdie ganze Siedlung, den Hügel, auf demAkon-Akon seinen Beobachtungsplatz ein-gerichtet hatte, und den Trampelpfad, der zuder Stelle führte, an der die ISCHTAR ge-standen hatte. Gegen Mittag ging Fartuloonzum Fluß hinunter und erlegte zwei große,ungewöhnlich fette Fische.

Während des Essens machten wir eineBestandsaufnahme.

Unsere Reichtümer waren äußerst be-scheiden. Bis auf meinen Impulsstrahler unddas Skarg hatten wir keine Waffen. Ein paarMesser, zum Teil mit gebrochenen Klingen,eine kleine Axt, die halb unter einem Stein-haufen verborgen war, etliche krumme Nä-gel – das war unser Werkzeug. Jemand hatteeine Decke liegen gelassen, und auf Akon-Akons Hügel fand sich ein Kissen mit far-benprächtigem Bezug. Der wichtigste Fundwar ein Armbandfunkgerät. Der Versuch,damit die ISCHTAR zu erreichen und dieBesatzung zur Umkehr zu bewegen, schei-terte. Das Schiff befand sich vermutlichlängst außer Reichweite.

Wir packten alles zusammen, rollten es indie Stoffetzen ein und machten uns auf denWeg. Abwechselnd trugen wir das Paket,während der andere jeweils den Impulsstrah-ler übernahm. Wir wandten uns nach Süden.

Am späten Nachmittag fanden wir einekleine Höhle, in deren Nähe eine Quelle auseiner Felsspalte drang. Der Platz lag in hal-ber Höhe eines Hügels, von dem aus wir dasTal gut übersehen konnten. Wir wagten es

nicht, diesen Ort ganz zu verlassen. DieWahrscheinlichkeit, daß die ISCHTAR dochnoch zurückkehrte, war zwar gering, aberwenn es so kam, wollten wir den Augen-blick der Rettung nicht verpassen.

Nachdem wir einige nicht sehr freundli-che Höhlenbewohner vertrieben hatten,machten wir es uns in der Höhle gemütlich.Ein kleines Feuer spendete angenehme Wär-me, ein Stück Fleisch drehte sich am Spieß,klares Wasser besaßen wir im Überfluß.

»Ist doch ganz idyllisch«, murmelte Far-tuloon mit vollem Mund. »Einen Urlaub ha-be ich mir schon lange gewünscht.«

Es war ein gutgemeinter Versuch, aberdiesmal funktionierte der Trick nicht.

»Mach dir nichts vor«, sagte ich bitter.»Der Urlaub wird dir bald zum Halse her-aushängen. Wir sitzen fest.«

»Unsinn. Eines Tages wird die Besatzungder ISCHTAR diesen hochnäsigen Burschenüberlisten, und dann holen sie uns ab. Akon-Akon ist schließlich kein Gott. Er hat schwa-che Stellen.«

»So? Davon habe ich bis jetzt noch nichtsgemerkt!«

»Laß mich ausreden. Ra, Vorry und einpaar andere verläßliche Leute sind noch anBord. Außerdem sitzen auf Kraumon unsereFreunde und machen sich bestimmt schonSorgen um uns. Sie werden nicht einfach dieHände in den Schoß legen.«

»Nein, natürlich nicht. Sie werden starten,eine Leuchtschrift mitten im All finden, aufder die Koordinaten Ketokhs stehen, undschon sind sie hier.«

»Du bist verbittert und enttäuscht«, sagteFartuloon ernst. »Das ist verständlich. Aberwenn du es dir genau überlegst, wirst du zu-geben müssen, daß wir schon oft in ähnli-chen Situationen gesteckt haben. Irgendei-nen Ausweg gab es immer. Um dich endgül-tig aus dem Verkehr zu ziehen, müssen dieDämonen der Finsternis sich schon selbstherbemühen. Wie wäre es sonst zu erklären,daß du selbst aus dem Mikrokosmos zurück-gekehrt bist – und das gleich zweimal!«

»Ich hatte eine Menge Glück. Aber auch

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die größte Glückssträhne ist einmal zu En-de.«

Fartuloon richtete sich auf und legte fastmechanisch die Hand auf den Knauf desSchwertes.

»Du bist Atlan, der Kristallprinz von Ar-kon!« sagte er fest. »Ich habe einen beträcht-lichen Teil meines Lebens dazu aufge-wendet, dir eine standesgemäße Ausbildungzu ermöglichen. Du hast die Ark summia er-halten, bist in sämtlichen Kampftechnikengeschult worden, besitzt ein umfassendesWissen auf allen denkbaren Bereichen unddazu praktische Erfahrungen, die nur wenigeArkoniden in deinem Alter vorweisen kön-nen. Vielleicht hattest du in einigen Situatio-nen wirklich nur Glück, aber sehr oft war al-lein deine Geschicklichkeit entscheidend.

Wenn du von Glück sprichst, dann vergißtdu, daß eintrainierte Reflexe dir in vielenFällen das Leben gerettet haben. Aber jetztmußt du deinen Denkapparat strapazieren.Geduld, Beharrlichkeit und Wissen – dassind jetzt die ausschlaggebenden Fähigkei-ten. Es sollte mir leid tun, wenn du mir aus-gerechnet hier, auf diesem vergleichsweiseharmlosen Planeten, den Beweis dafür lie-ferst, daß meine ganze Arbeit sinnlos war!«

Ich starrte ihn fassungslos an. Seit meinerKindheit hatte ich keine solche Predigt mehrgehört. Sekundenlang flammte Wut in mirauf. Fartuloon sah den Ausdruck in meinenAugen und gab den Blick kühl zurück. Ichsenkte betroffen den Kopf.

»Entschuldige«, murmelte ich verlegen.Er setzte sich wieder an das Feuer, schnitt

sich ein Stück von dem Braten ab und aßschweigend weiter. Als er satt war, wischteer sich umständlich das Fett aus dem Bart,dann grinste er mich an.

»In ein paar Tagen sieht alles ganz andersaus«, behauptete er.

*

Die »paar Tage« vergingen, und es änder-te sich so gut wie nichts. Wir hatten anfangseine Menge Arbeit, die mich vom Grübeln

abhielt.Nach sorgfältiger Überlegung beschlossen

wir, vorläufig in der Höhle zu bleiben. DerPlatz war ideal für uns. Wir konnten fast dasganze Tal überblicken, hatten vor allen Din-gen eine gute Sicht auf den Fluß, waren abergleichzeitig durch hohe Büsche vor einer zu-fälligen Entdeckung gut geschützt. Die Jul-kas besaßen keine flugfähigen Maschinen,und sie dachten wohl auch nicht im entfern-testen daran, in naher Zukunft den Luftraumihres Planeten zu erobern. Vorläufig wurdensie noch zwischen der Frage hin und her ge-rissen, ob sie lieber im Wasser bleiben oderauf das Land übersiedeln sollten. Falls dasEnde des Gnohlen von Asgajol wirklich zueiner Revolution führen sollte, so waren dieSpitzköpfe erst recht ausreichend mit sichselbst beschäftigt.

Wir richteten die Höhle wohnlich ein, lei-teten das Wasser der Quelle in die Höhleum, trugen trockenes Gras für unser Lagerzusammen, fällten ein paar kleine Bäume,um eine bequeme Sitzgelegenheit zu bauen,jagten und fischten, und all das beschäftigteuns für eine Weile. Aber dann kam unwei-gerlich der Punkt, an dem nur noch wenige,sich ständig wiederholende Tätigkeiten üb-rigblieben.

Immer häufiger ertappte ich mich dabei,daß ich in den leeren Himmel hinaufstarrte,in der Hoffnung, einen dunklen Punkt zuentdecken, der sich tiefer senkte, zu einersilbernen Kugel anschwoll …

Fartuloon versuchte auf seine Weise,mich von diesen nutzlosen Grübeleien abzu-lenken. Er stellte ein Trainingsprogrammauf, durchstöberte noch einmal die Siedlungund fand auch tatsächlich etliche Metallteile,aus denen sich ein kleiner Generator zusam-menbasteln ließ, aber diesen Plan gab erdann doch wieder auf, denn selbst wenn esuns gelang, Strom zu gewinnen, hatten wirnichts, womit wir ihn verbrauchen konnten.Mehrere Stunden am Tage verbrachten wirdamit, unsere Nahkampftechniken zu ver-vollkommnen. Wir vervollständigten unsereWaffensammlung, bastelten Bögen, schnitz-

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ten Pfeile und Speere aus hartem Holz –aber immer verfolgte mich der Gedanke andie ISCHTAR, die sich in jeder Sekundeweiter von uns entfernen konnte.

Mehrmals am Tage schaltete ich das Arm-bandfunkgerät ein. Einmal erwischte icheinen undeutlichen Impuls, und stundenlangwartete ich vergeblich darauf, endlich eineVerbindung zu bekommen – mit wem, daswar mir gleichgültig. Wer auch immer im-stande war, ein Hyperfunkgerät zu bauenund zu bedienen, mußte auch die Raumfahrtkennen. Aber der Lautsprecher blieb stumm.Vielleicht war es nur das Echo eines verirr-ten Funkspruchs, der verstümmelte Teil ei-ner Nachricht, die Jahrtausende alt seinmochte. Derartige »Geisterstimmen« fingman des öfteren auf.

Die Erkenntnis, daß meine Hoffnungenauch diesmal enttäuscht wurden, traf michschwer. Als Fartuloon mir auffordernd einenlangen Stock entgegenstreckte, schlug ichseine Hand zur Seite.

»Laß mich in Ruhe!«Der Bauchaufschneider musterte mich be-

sorgt. Ich war darauf gefaßt, Vorwürfe zuhören, aber er schwieg. Lautlos verschwander zwischen den Büschen. Kurz darauf sahich ihn in der Nähe des Flusses auftauchen.Völlig unbeteiligt beobachtete ich, wie ersich an eines der hasenähnlichen Tiere her-anpirschte, die unsere bevorzugte Beute wa-ren. Die Jagd war nicht einfach. Den Im-pulsstrahler wagten wir nicht einzusetzen,denn wir wußten nicht, ob wir jemals ein Er-satzmagazin für diese Waffe erhalten wür-den.

Fartuloon verschwand für einen Augen-blick hinter einem Busch. Als er wieder zumVorschein kam, hatte er das Tier wenigeMeter vor sich. Der Speer flog durch dieLuft, verfehlte jedoch das Tier nur um Haa-resbreite. Blitzschnell huschte die Beute da-von und verschwand im hohen Gras direktam Fluß. Deutlich sah ich die Stellen, an de-nen sich die Halme bewegten. Und plötzlichentdeckte ich, daß es dort unten nicht nurFartuloon und das Tier gab.

Ein grauer Fleck hob sich aus dem gift-grünen Gras ab. Die Entfernung war zugroß, als daß ich die Umrisse genau erken-nen konnte, aber die Farbe erinnerte michunangenehm an die Spitzköpfe. Gleich dar-auf erhielt ich Gewißheit. Die Gestalt einesJulkas wurde für einen Augenblick vollsichtbar. Dann duckte sich der Eingeboreneund verschmolz mit einer unbewachsenenSumpffläche. Ganz kurz blinkte Metall auf.Zwischen den Bäumen am anderen Rand desGrasfleckens bewegten sich düstere Schat-ten.

Ich hatte genug gesehen. Fartuloon, festentschlossen, für ein nahrhaftes Abendbrotzu sorgen, lief genau in die Falle der Einge-borenen hinein. Ich hatte keine Ahnung, wieviele Julkas unbemerkt bis zu unserem Hü-gel vorgedrungen waren, aber ich wußte,daß es meine Schuld war. Statt die Umge-bung zu überwachen, hatte ich mich aufeinen Funkimpuls konzentriert, der völligbedeutungslos war.

Der Impulsstrahler hing griffbereit nebenmir. Lautlos huschte ich den Hügel hinunter.Ich konnte nur hoffen, daß ich nicht zu spätkam.

3.

»Es ist zum Auswachsen«, beschwerte Rasich wütend. Er kratzte sich den wolligenSchädel und starrte die Instrumente auf demPult an, vor dem er saß.

»Ich habe Ihnen gleich gesagt, daß Sie esnicht schaffen werden«, bemerkte KarminaArthamin ruhig. »Eine Kursänderung ohneden Befehl des Jungen ist undurchführbar.«

»Wir müssen zurück!« knurrte Ra wild.»Wir können doch nicht zulassen, daß Atlanund die anderen hilflos auf diesem ver-dammten Planeten zurückbleiben.«

»Wir wollen es nicht«, korrigierte die Ar-konidin, Sonnenträgerin und ehemaligeKommandantin eines Flottenverbands.»Aber wir können unseren Willen nicht indie Tat umsetzen.«

»Und wenn wir ein Beiboot ausschleu-

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sen?«»Damit ist niemandem geholfen. Abgese-

hen davon, daß es uns höchstwahrscheinlichgar nicht gelingt. Wir sind inzwischen zuweit von dem Wasserplaneten entfernt. DieFernsteuerung reicht längst nicht mehr aus.«

»Ich versuche es trotzdem!«Karmina Arthamin sah dem dunkelhäuti-

gen Barbaren seufzend nach. Noch vor kurz-er Zeit war sie eine erklärte Gegnerin desKristallprinzen gewesen, bereit, den Befehldes herrschenden Imperators zu erfüllen, dereine hohe Prämie auf Atlans Kopf gesetzthatte. Inzwischen hatte sie ihre Meinung ge-ändert. Dieser Arkonide war kein Freibeuterund Pirat, wie sie zunächst angenommenhatte. Obwohl sie ihn erst seit kurzer Zeitkannte, hatte sie ihn in verschiedenen wich-tigen Situationen beobachten können. Wennsie Atlan und Orbanaschol miteinander ver-glich, dann schnitt der fette Mann im Kri-stallpalast von Arkon nicht sehr schmeichel-haft ab. Am meisten jedoch imponierte ihrdie unverbrüchliche Treue, mit der so ver-schiedenartige, sogar völlig fremde Wesenwie Ra und Vorry zu dem jungen Arkonidenhielten.

Sie warf dem pechschwarzen, tonnenför-migen Wesen, das sich mit ihr zusammen inder Zentrale aufhielt, einen Blick zu.

»Ich wollte, ich könnte ihn zerdrücken«,wünschte Vorry sich inbrünstig.

Die Arkonidin lächelte schwach, dannwandte sie sich wieder den Instrumenten zu.

Niemand kümmerte sich im Augenblickdarum, wo das Schiff sich befand und wie esin der Umgebung aussah. Akon-Akon ver-hielt sich still – ein Umstand, der beunruhi-gend wirkte. Die ISCHTAR bewegte sich imfreien Fall durch den Weltraum. Auf denBildschirmen zeichneten sich die Riesenson-nen dieses Gebiets als hartglänzende Punkteab. Leuchtende Gasnebel bildeten filigranar-tige Muster, dahinter verschwammen dieSterne zu einem dichten Gewimmel ver-schieden heller Lichtflecke. Sie kannten ihrePosition noch immer nicht. Karmina Artha-min schätzte, daß sie sich in der Nähe der

galaktischen Zentrumsballung befanden.Außer ihr und dem Magnetier war niemandin der Kommandozentrale. Alles an Bordschien den Atem anzuhalten, eine unheimli-che Spannung hing in der Luft.

Was würde Akon-Akon unternehmen,wenn er sich endlich zu einer Entscheidungdurchrang?

Auch Ra spürte es. Es war, als würde einGewitter sich zusammenbrauen – was natür-lich an Bord eines Raumschiffs absolut un-möglich war. Die Stille war unheimlich. Inden Wänden des Raumschiffs knackte es abund zu. Belüftungsanlagen summten leise.Aber nirgends sah er einen Menschen, erhörte keine Stimmen, keine Schritte. Die ge-samte Besatzung schien regungslos auf dieBefehle des Jungen zu warten.

Seine Schritte hallten unheimlich von denleeren Wänden wider. Er erreichte den Anti-gravschacht, der zu einem der Hangars führ-te, schwang sich hinein und ließ sich nachunten sinken. Im Vorbeischweben spähte erin jedes Deck, aber das Bild blieb unverän-dert.

»Verdammt«, murmelte er kaum hörbar.»Was geht hier eigentlich vor?«

Federnd setzte er im Vorraum des Han-gars auf. Er war auf alles gefaßt, und es ent-täuschte ihn beinahe, daß niemand auf ihnwartete. Diese Ruhe war schlimmer als einnoch so wilder Kampf. Er wollte endlichwissen, woran er war.

Das Schott öffnete sich lautlos. Ra spähteum die Ecke. Der Hangar war leer – bis aufdas Beiboot, das darin stand. Mit einigenlangen Schritten erreichte er den Einstieg.Plötzlich wußte er, was er zu tun hatte.

Akon-Akon hatte einen Fehler gemacht.Der Junge war voll und ganz darauf einge-stellt, auf einem Planeten zu erwachen. Aberman hatte ihn aus seinem gläsernen Turm inder unterplanetarischen Anlage auf Perpan-dron entführt. So war Akon-Akon auf dieISCHTAR gelangt – und die Folgen warenverheerend. Der Junge verstand von derRaumfahrt kaum etwas, konnte sich auchnur schwer an die Tatsache gewöhnen, daß

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er sich nicht auf dem festen Boden einesPlaneten befand. Während des Fluges nachKetokh hatte niemand die Lücke entdeckt,denn die Verwirrung war zu groß. Auf demPlaneten selbst hatte Akon-Akon durchausrichtig reagiert. Aber jetzt, nach dem Start,hatte er versäumt, ein ausdrückliches Verbotauszusprechen.

Akon-Akon hatte niemandem verboten,die ISCHTAR zu verlassen!

Wahrscheinlich kam der Junge gar nichtauf die Idee, daß das möglich sein könne.Seine Erfahrungen mit der Raumfahrt warenminimal. Vielleicht ahnte er nicht einmal,daß es überhaupt Beiboote gab, die eine be-achtenswerte Reichweite besaßen.

Ra grinste. Er prüfte die Systeme durchund fand keinen Fehler. Dann, als er geradeden Impuls abstrahlen wollte, der dieSchleuse öffnen sollte, fiel ihm ein, daß erdie Kursdaten brauchte. Zwar hatte er sichfast während der gesamten Flugdauer in derZentrale aufgehalten, aber er war schließlichkein Computer. Abgesehen davon, daß dieAufzeichnung direkt in die Speicher einge-speist wurde.

Hastig drückte er auf eine Taste des Bild-sprechgeräts. Der Schirm erhellte sich – undRa wußte, daß er die größte Chance, die je-mals einer von ihnen gegen Akon-Akon ge-habt hatte, verstreichen lassen mußte. Es warunwahrscheinlich, daß diese Gelegenheitnoch einmal zurückkehrte.

Akon-Akon stand in der Kommandozen-trale der ISCHTAR. Er wandte der Kameraden Rücken zu, aber Ra erkannte ihn trotz-dem.

»Wo ist Ra?«Karmina Arthamins Augen weiteten sich

unwillkürlich, als sie direkt hinter dem Jun-gen das Gesicht des Barbaren erblickte. Rawußte, wann er ein Spiel verloren hatte. Nie-mand vermochte es, diesem Jungen eineAuskunft zu verweigern oder ihn gar zu be-lügen. Die Arkonidin kämpfte gegen den un-heimlichen Zwang an, der von Akon-Akonausging. Ehe sie endgültig verlor, drückteRa die Sprechtaste herunter.

»Ich nehme eine Inspektion vor«, erklärteer.

Akon-Akon drehte sich gelassen um undentdeckte den Bildschirm.

»Wo sind Sie?«Diese Frage hatte Ra befürchtet. Im stillen

verwünschte er die Tatsache, daß Akon-Akon nach dem Fiasko im Tal einen großenTeil seiner Zeit darauf verwendet hatte, sei-ne Sprachkenntnisse zu vervollständigen.Als er noch ausschließlich Altarkonidischsprach, war der Umgang mit ihm angeneh-mer gewesen. Auf diese direkte Frage konn-te der Barbar keine ausweichende Antwortmehr geben.

»Im Hangar«, sagte er bitter.»Was ist das?«Ra hatte sich immer für ziemlich willens-

stark gehalten, aber jetzt erklärte er diesemunverschämten Bengel haargenau, was esmit einem Hangar auf sich hatte.

»Du wolltest die ISCHTAR verlassen?«Ra nickte stumm.»Du wirst so schnell wie möglich auf dei-

nen Platz zurückkehren!«Während Ra resignierend aus dem Bei-

boot kletterte und die leeren Gänge durch-schritt, hörte er aus den LautsprechernAkon-Akons Stimme.

»Niemand wird dieses Schiff verlassen, essei denn, auf meinen ausdrücklichen Befehl.Niemand wird auch einem anderen behilf-lich sein, zu fliehen oder sich auf andereWeise gegen meine Befehle zu stellen.«

Er lernt, dachte Ra beunruhigt. Er hat dieLehre aus seinen Fehlern bereits gezogen.Von nun an wird es immer schwieriger wer-den, ihn zu überlisten.

Wie schwierig, das erfuhr er, als er dieZentrale erreichte. Akon-Akon war immernoch da.

»Warum wolltest du das Schiff verlas-sen?« fragte der Junge.

»Wir haben vier Männer und eine Frauauf Ketokh zurückgelassen. Ich wollte ihnenhelfen.«

»Mit einem Beiboot?«Widerstrebend setzte Ra dem seltsamen

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Fremden auseinander, zu welcher Fluglei-stung die kleinen Raumschiffe fähig waren.Akon-Akon hörte aufmerksam zu. In dereinfachen, lindgrünen Kombination, die erseit kurzem trug, wirkte er nicht mehr sofremdartig. Nur die übergroßen roten Augenerinnerten daran, daß er kein Arkonide war.

»Es ist gut«, sagte Akon-Akon fast unbe-teiligt, als Ra seinen Bericht abschloß. »Duwirst keinen weiteren Versuch dieser Art un-ternehmen. Auch ein unbemannter Start istverboten. Wir werden unseren Flug jetztfortsetzen.«

»Mit welchem Ziel?«»Wir suchen Planeten. Du und deine Ge-

fährten werden die Schiffsführung auch wei-terhin übernehmen. Steuert jeden Planetenan, den ihr findet. Ich möchte diese Weltenselbst prüfen.«

»Aber das ist doch sinnlos. Wenn wir je-den beliebigen Planeten ansteuern, wird un-sere Suche ewig dauern. Worauf sollen wirüberhaupt achten?«

»Auf Zeichen einer früheren Besiedlung.«Ra wurde allmählich ungeduldig. Der

Junge verstand einfach nicht, daß der Befehlin dieser Form fast undurchführbar war. Siekonnten jahrelang durch den Raum eilen,ohne einen Planeten zu finden, der die ge-wünschten Spuren aufwies.

»Dann scheiden also Welten mit für unsungünstigen Umweltbedingungen aus«,mischte Karmina Arthamin sich ein. »Oderist es gleichgültig, wenn wir die Ruinen vonStützpunkten der Methans und ähnlichfremdartiger Wesen finden.«

»Methans?«»Wasserstoff-Methan-Atmer«, erklärte

die Arkonidin geduldig. »Sie werden auchMaahks genannt.«

»Sind das Wesen, die in einer für uns gif-tigen Atmosphäre leben?«

Ra seufzte. Er hatte noch nie einen Men-schen getroffen, bei dem Unwissenheit undÜberlegenheit in so merkwürdigem Verhält-nis zueinander standen.

»Die Maahks sind nur eines von vielenSternenvölkern. Wir kennen einige tausend

Arten von intelligenten Lebensformen. Eini-ge sehen uns ähnlich, andere sind völligfremdartig. Die meisten unterscheiden sichnicht nur durch ihr Aussehen voneinander,sie stellen auch unterschiedliche Ansprüchean ihre Umwelt.«

Akon-Akon lauschte fasziniert. Es schien,als hätte er die Arkoniden bisher für einzig-artig gehalten. Dabei war er doch auf Ke-tokh den Spitzköpfen begegnet, und hier inder Zentrale saß der Vertreter eines unbe-kannten Volkes vor ihm – nämlich Vorry,der sich den schwarzen Kopf darüber zer-brach, wie er den Jungen aus dem Verkehrziehen könne.

»Ich verstehe«, murmelte Akon-Akonnachdenklich. Er schwieg lange Zeit undstarrte auf die Bildschirme. Unzählige Son-nen zeichneten sich darauf ab. Der Jungevon Perpandron gab sich einen Ruck.

»Es kommen nur Planeten in Frage, diefür uns annehmbare Verhältnisse aufwei-sen«, sagte er. »Er spielt keine Rolle, wenndie Idealwerte geringfügig unter- oder über-schritten werden.«

Er wollte sich abwenden und die Zentraleverlassen, aber Ra war mit den erhaltenenAnweisungen längst nicht zufrieden.

»Wonach suchst du eigentlich?« fragte er.Akon-Akon sah den dunkelhäutigen Bar-

baren an.»Du bist kein Arkonide«, stellte er fest.Ra wartete schweigend.»Ich bin auch keiner«, fuhr Akon-Akon

gelassen fort. »Um meine Bestimmung er-füllen zu können, reicht es nicht, auf irgend-einem Planeten eine Siedlung zu errichtenund Nachkommen zu zeugen. Das habe ichbereits erkannt. Der Plan ist in Unordnunggeraten, etwas läuft in die falsche Richtung.Um nicht noch mehr Fehler zu machen, su-che ich also nach denen, die mich auf Per-pandron zur Ruhe gebettet haben.«

»Du willst in diesem Sternendschungeldein Volk aufspüren?« fragte Karmina Ar-thamin fassungslos und deutete auf die Bild-schirme.

Akon-Akon lächelte flüchtig.

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»Ja.«»Aber das kann nie und nimmer gelingen!

Wir wissen nicht einmal, in welchem Teilder Galaxis wir uns befinden. Vielleichtstecken wir in einer Sternballung in der Nä-he des Zentrums, aber auch das ist nur eineVermutung. Weißt du überhaupt, wievieleSonnen es im Umkreis von nur hundertLichtjahren gibt? Wenn wir annehmen, daßjede nur drei Planeten hat und davon nur einZehntel annähernd arkonähnliche Verhält-nisse aufweist …«

»Es spielt keine Rolle«, unterbrach er dieArkonidin.

Karmina Arthamin schnappte hörbar nachLuft.

»Wir könnten nach Ketokh zurückfliegenund die Leute an Bord nehmen, die wir zu-rückgelassen haben«, machte Ra sich be-merkbar. »Atlan und Fartuloon kennen vielefremde Planeten. Vielleicht wissen sie sogar,wo dein Volk jetzt steckt. Auf jeden Fallaber werden sie die ISCHTAR aus diesemSektor herausbringen können. Wenn wir aufPerpandron mit der Suche beginnen, habenwir eine gute Chance.«

»Ich habe gesagt, es spielt keine Rolle«,wiederholte Akon-Akon. Seine Blickebrachten Ra und die Arkonidin zum Schwei-gen. Vorry hielt sich wie üblich im Hinter-grund. Bis jetzt hatte Akon-Akon die Rolledes Tonnenwesens noch nicht voll durch-schaut. Vorry legte Wert darauf, daß es da-bei blieb. Wenn Akon-Akon ihn unter-schätzte, so dachte er, gab er sich vielleichtdoch einmal eine Blöße.

»Es gibt viele Dinge, die ich noch nichtganz verstehe«, fuhr der Junge von Perpan-dron fort. »Aber ich kenne den Begriff›Galaxis‹. Es gibt überall in dieser Sternbal-lung Spuren, die mein Volk hinterließ. Da-her ist es gleichgültig, an welcher Stelle wirmit der Suche beginnen. Sobald ich einenHinweis sehe, werde ich ihn erkennen undauch seine Bedeutung durchschauen. Undnun wünsche ich, daß ihr umgehend mit derArbeit beginnt!«

»Wir sind zu wenig Leute!« protestierte

Ra wütend.Akon-Akon drehte sich kurz vor dem

Schott um. Er wirkte ungeduldig.»Das ist nicht mein Problem, aber da ihr

offensichtlich unfähig seid …«In diesem Augenblick sprang Vorry vor.

Er hatte die ganze Zeit über darauf gewartet,daß der Junge ihn vergaß, weil er sich zustark auf Ra und die Arkonidin konzentrier-te. Dieser Augenblick war gekommen.Akon-Akon wurde von seinen Überlegungenund seiner Ungeduld so stark in Anspruchgenommen, daß der Magnetier für einen Au-genblick das Gefühl hatte, frei zu sein. Wieein riesiges Geschoß raste er auf den Jungenzu.

Akon-Akon reagierte mit unerwarteterGeschwindigkeit. Er huschte zur Seite, undder Magnetier konnte seine Richtung nichtschnell genug ändern. Zum Abbremsen bliebebenfalls keine Zeit mehr. Vorry krachte mitvoller Wucht gegen das Schott. Die metalle-ne Platte bog sich durch und knirschte be-drohlich. Dem Magnetier machte der furcht-bare Anprall nichts aus. Er wirbelte herum,bereit, das Werk zu vollenden – und dannblieb er hilflos stehen.

Der Junge starrte das Tonnenwesen an.Akon-Akons Augen schienen zu lodern. DerZwang, der von dem Jungen ausging, war sostark, daß keiner der drei auch nur den Kopfbewegen konnte.

Sekundenlang standen sie wie gelähmtauf ihren Plätzen, dann lächelte Akon-Akonverächtlich. Wortlos drehte er sich um undschritt davon. Das Schott knirschte undkrachte, dann blieb es in den Führungsschie-nen stecken. Ra sah durch die verbleibendeLücke verbittert dem Jungen nach, der sicheben in einen Liftschacht schwang.

»Ich hätte ihn fast erdrückt!« jammerteVorry enttäuscht.

4.

Ich duckte mich hinter einen niedrigenFelsen und überlegte fieberhaft, wie ich Far-tuloon hätte warnen können. Er schlich ge-

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bückt zwischen einigen Sträuchern auf dieLichtung am Fluß zu, auf der wir bei unsererJagd schon oft auf Beute getroffen waren.Im oberen Teil war der Boden trocken, zumFluß hin wurde er zunehmend sumpfig. DieLichtung war fast genau dreieckig, wurde anzwei Seiten vom Wald und auf der drittenvom Fluß begrenzt. Auf meiner Seite warder Hang, der zu der grasbewachsenen Flä-che hinunterführte, ziemlich steil, und soweit ich es beurteilen konnte, gab es hierkeine Julkas. Aber Fartuloon befand sich ander direkten Grenze zum freien Gelände.Nur noch wenige Schritte, und die Spitzköp-fe mußten ihn entdecken.

Von den Julkas selbst war nichts zu ent-decken. Nur die Zweige, die sich ab und zubewegten, verrieten mir den Standort derEingeborenen.

Dicht hinter Fartuloon tauchte kurz eineder grauen Gestalten auf und duckte sichnach einem kurzen Sprung zwischen einpaar ebenfalls graue Felsbrocken. DerBauchaufschneider hatte das Geräusch be-merkt, wirbelte herum, sah den Eingebore-nen jedoch nicht.

Sie wollen ihn lebend, vermutete das Ex-trahirn.

Vorsichtig ließ ich mich über den Hangnach unten gleiten. Ich hatte nur unklareVorstellungen davon, was ich unternehmensollte. Da ich die Anzahl der Gegner und ih-re Bewaffnung nicht kannte, wäre es auf je-den Fall unklug gewesen, einfach draufloszu schießen.

Unbehelligt erreichte ich die Lichtung,hielt mich im Sichtschutz der letzten Büscheund schlich in die Richtung, in der ich Fartu-loon vermutete. Wahrscheinlich kauerte eram Boden und wartete darauf, daß ihm einschmackhafter Braten vor die Speerspitzelief. Ich dagegen suchte nach einer Möglich-keit, ihn zu warnen und gleichzeitig die Auf-merksamkeit der Julkas abzulenken.

Ich stieß mit dem Fuß gegen einen hartenGegenstand, der leise klappernd davon roll-te. Erschreckt blieb ich stehen und sichertenach allen Seiten.

Die Julkas mußten halb taub sein. Viel-leicht hinderte auch die dicke Schutzklei-dung sie daran, das verdächtige Geräusch zuhören.

Mich dagegen brachte die röhrenförmigeschwarze Schote auf eine Idee.

Fartuloon hatte einige von diesen Früch-ten von einem Streifzug mitgebracht. Leiderließen sich die Schoten nur sehr schwer öff-nen. Die Schale war außerordentlich hart,und die Nüsse, die sich darin befanden, wa-ren so fade, daß sie den Kraftaufwand nichtlohnten. Darauf waren wir allerdings erstspäter gekommen. Nachdem Fartuloon mi-nutenlang mit einem unserer Messer an soeiner Schote herumgekratzt hatte, wurde erwütend und schleuderte die Frucht von sich.Sie fiel ausgerechnet ins Feuer. Das Dingwar explodiert wie eine Bombe.

Auf der anderen Seite der Lichtung stan-den viele solcher Schotenbäume. Ich hoffte,daß ich die Leistung des Impulsstrahlersrichtig eingestellt hatte, denn die pflanzli-chen Bomben nützten mir ja nichts, wenn sieeinfach verbrannten.

Der erste Schuß ließ das dürre Geäst einesBaumes wie Zunder aufflammen. Die Scho-ten hingen ganz oben, an den schwankendenEnden der dünnen Zweige. Sie zerplatztenmit dem Geräusch eines Maschinengewehrsbei Dauerfeuer.

Der vorher so stille Wald erwachte zu tur-bulentem Leben. Die Julkas sahen sich zweierschreckenden Dingen gegenüber: erstenspfiffen ihnen die Nüsse um die Ohren, zwei-tens regneten brennende Blätter und Zweigeauf sie herab. Unter schrillem Pfeifen rann-ten sie auf die Lichtung hinaus, rasten zumFluß, so schnell ihre kurzen Beine sie tru-gen, und warfen sich kopfüber ins Wasser.Wie im Rausch feuerte ich immer wieder indas Geäst hinein, und als ich keinen Scho-tenbaum mehr fand, nahm ich mir die Julkasvor.

Die Eingeborenen schwammen in Ufernä-he hin und her und pfiffen aufgeregt. Sieschienen noch nicht ganz zu verstehen, waspassiert war. Vielleicht glaubten sie sogar,

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es mit einem natürlichen Phänomen zu tunzu haben.

Als die Energiestrahlen das Wasser vorihnen zum Kochen brachten, ergriffen sie inpanischer Angst die Flucht. Mit grimmigerGenugtuung sah ich sie davonschwimmen.Dann erinnerte ein erstickter Schrei mich anden Bauchaufschneider.

Hastig lief ich unter den Büschen weiter.Natürlich, der Julka, der hinter ihm zwi-schen den Felsen gesessen hatte, konnte vondem feurigen Regen kaum etwas abbekom-men haben.

Als ich Fartuloon endlich erreichte,kämpfte der Bauchaufschneider mit einemargen Problem: Er drosch auf den Julka ein,kannte aber dessen verwundbare Stellennicht. Der Eingeborene revanchierte sichredlich. Der hölzerne Speer durchdrang diedicke Schutzkleidung nicht, darum hatteFartuloon ihn fallen gelassen. Sein Schwertlag oben in der Höhle. Die beiden waren somiteinander beschäftigt, daß sie mich garnicht bemerkten. Erst als der Julka zu Bodenging, sah Fartuloon auf.

Ich streifte die Kapuze des Eingeborenenzur Seite und sah den gelblich leuchtendenFleck auf dem spitzen Ende des Kopfes. DasMoglio dieses Julkas war gesund und mun-ter.

»Sie wollten dich einfangen«, bemerkteich nebenher.

»Reizend«, knurrte Fartuloon schwerat-mend zurück. »Bist du dir eigentlich darüberim klaren, daß wir unsere Höhle jetzt verlas-sen müssen?«

»Das ist logisch. Aber vielleicht war esnur eine kleine Gruppe.«

»Sie wird schnell größer werden«, versi-cherte Fartuloon grimmig. »Es war voraus-zusehen, daß sie ins Tal zurückkehren wür-den, und jetzt wissen sie, daß sie immernoch Beute finden. Das Schiff ist zwar ver-schwunden, aber nach dem Spektakel, dasdu hier angerichtet hast, müssen sie glauben,es mit einer ganzen Horde schwerbewaffne-ter Männer zu tun zu haben.«

Ich schluckte eine bittere Bemerkung hin-

unter, denn der Bauchaufschneider hatterecht. Aber wenn ich nicht eingegriffen hät-te, wäre er von den Eingeborenen ver-schleppt worden – das hatte er anscheinendnoch gar nicht ganz verdaut.

Wir trugen den bewußtlosen Eingebore-nen zum Flußufer und legten ihn dort aufden Boden. Er würde eine Weile brauchen,um wieder klar denken zu können, aber esdrohte ihm an diesem Ort kaum eine ernst-hafte Gefahr.

Brummend packte Fartuloon zwei Bün-del. Er war wütend darüber, daß wir dieHöhle verlassen mußten, aber daran ließ sichnun nichts mehr ändern. Ich selbst war fastfroh, daß sich endlich etwas ereignete.

»Wohin?« fragte ich, als wir zum Abmar-sch bereit waren.

»Am besten über den Fluß. Die Julkaswerden zuerst die Seite des Tales absuchen,auf der sie uns gefunden haben. Drüben kön-nen wir uns ein neues Versteck in den Hü-geln suchen.«

»Ich habe keine Lust, mich ständig zuverstecken! Damit erreichen wir doch garnichts. Wenn die Eingeborenen es darauf an-legen, werden sie uns für den Rest unseresLebens kreuz und quer über den Kontinenttreiben.«

»Was willst du sonst tun?« fragte Fartu-loon ärgerlich. »Dich in den Kampf stürzen?Glaubst du, damit hast du mehr Erfolg? DieISCHTAR wird zurückkehren, dessen binich mir sicher. Aber es kostet Zeit. Wir ha-ben lediglich die Aufgabe, am Leben zubleiben. Und jetzt komm endlich, sonst sinddie Eingeborenen früher zurück, als uns liebsein kann.«

Mißmutig folgte ich dem Bauchaufschnei-der. Ich wußte, daß seine Argumente ver-nünftig waren, aber das änderte nichts anmeiner Überzeugung daran, daß wir diesmaletwas zu tief in der Patsche saßen.

Der Raumsektor, in dem Ketokh sich be-fand, war uns absolut fremd. Es war nichtdamit zu rechnen, daß in der nächsten Zeitrein zufällig arkonidische Schiffe auf diesemPlaneten landeten. Die Wahrscheinlichkeit

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dafür, zufällig ein anderes raumfahrendesVolk zu treffen, das bereit war, uns zu hel-fen, war noch geringer. Die Julkas hatten ei-ne bescheidene Technik entwickelt, aberzum Bau von Raumern reichten ihre Kennt-nisse noch lange nicht. Wir hatten also keineChance, selbst die Initiative zu ergreifen.Und die ISCHTAR?

Wer Akon-Akon kannte, der wußte, wieschwer er zu überlisten war.

Wir fanden eine Furt und wateten durchdas Wasser ans andere Ufer. Schweigendstapften wir nebeneinander durch das niedri-ge Gras den Hügeln entgegen. Wir hattendie ersten Felsen erreicht, als ein leichtesZittern den Boden durchlief. Wie auf einKommando wirbelten wir herum.

Die Julkas hatten die Höhle gefunden. Ih-re Wut über den Fehlschlag mußte sehr großsein, denn sie jagten alles, was uns, den ver-haßten Fremden, gehört hatte, in die Luft.

Der halbe Berg barst auseinander. Fel-strümmer segelten durch die Luft, dann ver-hüllte eine dichte Wolke von Rauch undStaub das Bild. Als der Donner der Explosi-on uns erreichte, explodierten auch in derverlassenen Siedlung die ersten Bomben.

»Sie wollen alle Spuren tilgen«, sagteFartuloon nachdenklich.

Ich preßte die Lippen aufeinander undballte die Hände zu Fäusten.

Sie handeln auf Befehl der Gnohlen, be-hauptete das Extrahirn gelassen. Die heimli-chen Herrscher in den schwimmenden Städ-ten wollen sichergehen, daß nichts von euchzurückbleibt. Sie werden euch jagen, sobaldsie da drüben fertig sind.

»Schade um die Arbeit«, murmelte Fartu-loon neben mir, wandte sich dann ab undwollte weitergehen. Ich zog den Impuls-strahler aus dem Halfter und setzte mich inRichtung auf den Fluß in Bewegung.

»Was ist los?«Ich antwortete nicht. Es war mir völlig

gleichgültig, wie groß die Übermacht derJulkas war. Ich hatte nur einen Wunsch – ih-nen zu zeigen, daß wir uns unserer Hautwehren konnten.

Fartuloon eilte mir nach. Er wollte micham Arm packen, aber ich schüttelte ihn ab.

»Bist du verrückt geworden?« schrie ermich an.

Ich hörte ihn kaum.Ein Teil meines Gehirns erkannte klar und

deutlich, daß ich unlogisch und leichtsinnighandelte, aber die Erkenntnis drang nichtvoll zu mir durch. Ich war wie in Trance, ei-ne ungeheure Wut füllte mich aus.

Bleib stehen! warnte das Extrahirn ein-dringlich. Noch ein paar Schritte, und dubist im freien Gelände. Willst du den Julkasals Zielscheibe dienen? Wenn du schon un-bedingt gegen sie kämpfen willst, dann fan-ge es wenigstens richtig an!

Für einen Moment stutzte ich. Ich hattemeiner Umgebung keine Beachtung ge-schenkt. Erst jetzt merkte ich, daß ich tat-sächlich drauf und dran war, in das völligdeckungslose Gebiet hinauszutreten. DieJulkas mußten blind sein, wenn sie michdort nicht sofort bemerkten, und …

Etwas traf mich am Kinn, und dann warvorerst alles dunkel.

*

»Das nächstemal solltest du mich vorherwarnen, wenn du die Absicht hast, durchzu-drehen«, hörte ich Fartuloons grollendeStimme. Ich schlug die Augen auf.

Um mich herum waren Felsen. Darüberleuchtete der Abendhimmel in einem seltsa-men Rot.

»Auf der anderen Seite des Flusses brenntes«, erklärte der Bauchaufschneider. »Wirsollten zusehen, daß wir weiterkommen.Wenn der Wind sich dreht, kann das Feuerauf unser Ufer übergreifen.«

Ich rappelte mich mühsam auf, bemerkte,daß Fartuloon jetzt den Impulsstrahler trugund zuckte hilflos die Schultern. Mir war esselbst unbegreiflich, wie es zu dem Vorfallhatte kommen können.

Schweigend suchten wir uns unseren Wegüber Geröllstreifen und Kiesflächen, zwi-schen hellen Felsen und dunklen Büschen

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hindurch, bis wir einen Platz fanden, an demwir uns sicher glaubten. Von oben hatten wireinen guten Überblick. Nicht nur die Trüm-mer der Siedlung brannten, das Feuer hattesich auf die Halbsteppe der gegenüberlie-genden Talhälfte ausgedehnt. Es hatte seitvielen Tagen nicht geregnet, und das Feuerfand reichlich Nahrung.

»Verrückt«, murmelte Fartuloon. »DieseJulkas müssen übergeschnappt sein. Hof-fentlich haben sie sich wenigstens rechtzei-tig zurückgezogen. Ich möchte wetten, daßsie sich das Ergebnis ihrer Zerstörungswutnicht so grandios vorgestellt haben.«

Ich befand mich nicht in der Stimmung,mich mit den Sorgen und Nöten der Einge-borenen zu befassen. Mir kam immer stärkerzu Bewußtsein, daß ich mich in den letztenTagen geradezu unmöglich verhalten hatte.Was war mit mir los? War wirklich das Ver-schwinden der ISCHTAR der Grund fürmein Versagen? Oder handelte es sich umSpätfolgen des geistigen Zwanges, denAkon-Akon auf uns alle ausgeübt hatte?

Fartuloon berührte das Thema nicht. Ertat, als wäre nichts geschehen. Aber ichselbst zerbrach mir die halbe Nacht denKopf – vergeblich. Auch das Extrahirnkonnte mir nicht weiterhelfen.

Im Morgengrauen setzten wir unsere ziel-lose Wanderung fort. Wir hatten keine Ah-nung, wie es weitergehen sollte. Immer wie-der hörten wir aus der Ferne das leise Brum-men von Motoren – die Julkas durchkämm-ten das Gelände. Wir sahen weder sie nochihre Fahrzeuge, aber das Geräusch alleinreichte aus, um uns nervös zu machen.

»Sie können nicht das ganze Tal umzin-gelt haben«, sagte Fartuloon, als wir imSchutz eines großen Felsens Rast machten.»Das Gelände ist viel zu unübersichtlich.Wir müssen die Lücke finden.«

»Wenn wir durchbrechen, wissen sie erstrecht, wo wir geblieben sind.«

»Das stimmt. Es gibt noch eine andereMöglichkeit. Wir bleiben in den Hügeln, su-chen uns ein Versteck und rühren uns nicht.Vielleicht kommen sie dann zu der Überzeu-

gung, daß wir tot sind. Sie werden sich nichtlänger als nötig mit der Suche aufhalten.«

Mir war es ziemlich gleichgültig. Solltedie ISCHTAR zurückkehren, dann würde sieauch mit den Eingeborenen fertig werden.Wenn nicht – war es nicht egal, ob die Jul-kas uns umbrachten, oder ob ein wildes Tierdiese Aufgabe übernahm?

»Ich denke, das wäre das Vernünftigste«,fuhr Fartuloon unbeeindruckt fort. »Alsolos, suchen wir uns eine Höhle oder etwasÄhnliches.«

Einige Stunden später lagen wir im wei-chen Sand unter einem Felsüberhang. Eswar bedrückend still, kein Tier ließ sich se-hen. Am Himmel zogen bleifarbene Wolkenauf. Von hier aus konnten wir die Steppe amanderen Flußufer nicht sehen, aber die auf-steigenden Rauchwolken verrieten uns, daßes immer noch brannte. Wir zuckten zusam-men, als das plötzliche Röhren eines Motorsdie Stille zerriß.

»Da unten«, sagte der Bauchaufschneiderleise und deutete in ein enges, von Felsenumschlossenes Tal.

Ein schwarzer, kastenförmiger Wagenrollte langsam über den groben Kies. Einpaar Julkas beugten sich über die Ränder derLadefläche und beobachteten die Hänge.Wir waren durch dieses Tal gekommen, undwenn die Eingeborenen nicht schliefen,mußten sie zwangsläufig unsere Spuren fin-den.

»Gib mir den Impulsstrahler!« forderteich.

»Bist du immer noch nicht zur Vernunftgekommen? Wenn wir die Burschen angrei-fen, haben wir die anderen auch auf demHals.«

»Wir können nicht mehr weglaufen«, er-widerte ich ruhig und deutete zum anderenEnde des Tales. Fartuloon stieß einen leisenFluch aus, als er dort ebenfalls einen Wagenerblickte.

»Wetten, daß es hinter uns genauso ist?«fragte ich. »Sie wissen, wo wir sind. Viel-leicht habe ich ihre technischen Möglichkei-ten unterschätzt, und sie haben doch schon

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so etwas wie Ortungsgeräte.«Fartuloon zögerte noch. Links, etwa einen

Kilometer entfernt, hielt der eine Wagen an.Julkas sprangen auf den Boden und eiltenzielsicher an die Stelle des Hanges, an derein schmaler Sims begann. Das Felsbandführte bis dicht unter unser Versteck. Derandere Wagen hielt direkt unter uns an. DieJulkas deuteten nach oben. Wir konnten ihrepfeifenden Stimmen nicht hören, aber derSinn ihres Manövers wurde offensichtlich,als sie sich an der gegenüberliegenden Seitezwischen großen Steinblöcken verschanzten.Waffen wurden von der Ladefläche gereicht.

»Wir können auf das Band hinunterklet-tern und nach rechts zu entkommen versu-chen«, murmelte der Bauchaufschneidernachdenklich. »Ich fürchte allerdings, duhast recht. Und das hieße, daß sie schon aufuns warten.«

Er gab sich einen Ruck, schob den Strah-ler zu mir herüber und nahm den Bogen zurHand. Die hölzernen Pfeile konnten zwardie dicke Schutzkleidung der Eingeborenennicht durchdringen, aber das Felsband warschmal, und vielleicht ließen sie sich durchdie heransausenden Pfeile verwirren. Ichwar jedenfalls entschlossen, bis zum letztenAtemzug zu kämpfen. Die Julkas wolltenuns offensichtlich immer noch lebendig ein-fangen. Wenn sie uns in eine ihrer schwim-menden Städte verschleppten, war auch dieletzte Chance auf Rettung dahin.

Sorgfältig visierte ich das Fahrzeug an.Der Wagen wurde durch einen Verbren-nungsmotor angetrieben. Ich mußte denTank treffen, dann würden die auf der Lade-fläche verbliebenen Waffen automatischmitzerstört werden.

Aber es kam anders.Im selben Augenblick, in dem ich ab-

drücken wollte, flammte ein greller Blitzauf. Ich dachte schon, die Eingeborenen hät-ten auf uns gefeuert, da rollte der Donnerüber das Tal.

Wir hatten auf das heranziehende Unwet-ter gar nicht mehr geachtet. Der Himmelhatte sich verdunkelt, und als wäre der erste

Blitz ein Signal gewesen, brach das Unwet-ter jetzt voll über uns herein.

Ein fauchender Windstoß fuhr durch dasenge Tal, riesige Regentropfen klatschtengegen die Felsen. Eine Serie von Blitzentauchte unsere Umgebung in flackerndesLicht. Die Julkas rannten zum Wagen zu-rück. Ich sah noch, daß sie die Ladeflächeerreichten, dann verhüllten dichte Regen-schwaden das Bild. Von links kamen pfei-fende Schreie. Das schmale Felsband mußtejetzt ein sehr ungemütlicher Aufenthaltsortsein.

Wir preßten uns in den hintersten Winkelunseres Unterschlupfs. Der Regen prasseltemit unvorstellbarer Wucht herab, Wassersprühte zu uns herein, und der Sturm wirbel-te den Sand auf.

»Das hat uns gerade noch gefehlt!« hörteich Fartuloon murmeln.

Danach hatten wir lange Zeit ausreichenddamit zu tun, uns festzuklammern. Aus einerFelsspalte wenige Meter neben uns brachdas Wasser wie aus einem geplatzten Hoch-druckrohr hervor. Die Temperatur sank rapi-de. Naß und frierend hingen wir neben demspontan entstandenen Wasserfall.

Ein unheimliches Rauschen übertönte denRegen. Es steigerte sich zu einem wildenGetöse. Der Fels unter unseren Körpern er-zitterte.

»Festhalten!« schrie Fartuloon mir zu unddeutete auf den Gürtel des Fluggeräts.

Ich robbte näher an ihn heran. Brüllendjagte etwas durch die Schlucht auf uns zu,ein ungeheuerer Windstoß traf uns, dannhatte ich die Hand um den Gürtel geschlos-sen. Die untere Kante des Überhangs rasteheran, dann waren wir in der Luft. DerSturm packte uns und wirbelte uns herum.Ich biß die Zähne zusammen und zwangmich, nicht loszulassen, obwohl ich das Ge-fühl hatte, der Arm würde mir ausgerissen.Endlich hatte Fartuloon die Orientierungwiedergewonnen. Wir trieben ein Stück ander Felswand entlang, dann warf uns eineBö nach oben, und gleich darauf erreichtenwir den Rand des Steilhangs. Der Bauchauf-

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schneider kämpfte wild gegen die unbere-chenbaren Luftströmungen an, aber erschaffte es, uns hinter eine aufragende Fels-nadel zu bringen. Im Windschatten landetenwir ziemlich hart.

Ich blieb erschöpft liegen, bis die wüten-den Schmerzen in meinem Arm nachließen.Dann schob ich mich zu Fartuloon vor, derüber die Kante nach unten blickte.

»Es war vorauszusehen«, meinte derBauchaufschneider gelassen.

Unten gurgelte und strudelte das Wasser.Von den Julkas und ihren Fahrzeugen warnichts mehr zu sehen. Die Flutwelle mußtealles mitgerissen haben, was sich ihr in denWeg stellte.

Das Krachen und Blitzen ließ nach, derRegen wurde dünner. Das Unwetter zogzum Fluß hin weiter.

»Das war Glück im Unglück«, bemerkteich und rieb mir die Schulter. »Das Gewitterkam genau von der richtigen Seite.«

»Weiter oben muß es schon früher ange-fangen haben zu regnen«, stimmte Fartuloonzu. Er grinste flüchtig. »Jetzt haben wir dieLücke. Komm schon, wir wollen uns beei-len.«

5.

Orbanaschol III. lehnte in den weichenPolstern, zupfte genießerisch eine zartrosaBeere aus der kostbaren Schale, die in be-quemer Reichweite neben ihm stand, undlauschte mäßig interessiert dem Bericht desjungen Kelquan. Als er feststellte, daß Kel-quan nichts Neues zu erzählen hatte, schalte-te er vollends ab und widmete sich seinenGedanken.

»Die Spuren beweisen … Einwandfreiverschwunden … Nach sorgfältigen Unter-suchungen …«

Es ging um irgendein Forschungskom-mando, das sich seit längerer Zeit nicht mehrmeldete. So etwas kam immer wieder vor.Orbanaschol III. dachte daran, daß er eigent-lich stärkere Kontrollen einführen müßte. Eswar nicht auszuschließen, daß einige dieser

Kommandos in Wirklichkeit desertiertenund eine Widerstandsorganisation gründe-ten. Sobald die laufende Aktion gegen Atlanund dessen Horde abgeschlossen war, würdeer sich darum kümmern.

Augenblicklich kehrte jene Unsicherheitzurück, die er immer dann empfand, wenn eran Klinsanthor erinnert wurde. Der Magnor-töter hatte sich zwar bereits gemeldet, aberalles erschien so undurchsichtig und bedroh-lich. Wie konnte er sicher sein, daß der Un-heimliche seinen Auftrag durchführte? Undwelche Forderungen wollte Klinsanthor stel-len?

Kelquan redete immer noch. Orbanascholrichtete sich ärgerlich auf. Der junge Arko-nide verstummte sofort und zog sich einStück zurück.

Normalerweise empfand der ImperatorGenugtuung, wenn er merkte, welche Angstseine Untertanen vor ihm hatten. Heute bliebdieser innere Triumph aus.

Klinsanthor!Sicher war es ein Fehler gewesen, diesen

Fremden zu rufen, aber das Geschehene ließsich nicht rückgängig machen. Orbanascholhatte Angst. Seine Berater, die ihn mit dü-sterer Miene zu einem Fenster schreiten sa-hen, wagten kaum zu atmen. Kelquan warblaß, feine Schweißtropfen bedeckten seineStirn. Wenn der Imperator in dieser Art vorsich hinstarrte, drohte jedem Gefahr, dersich in seiner Nähe aufhielt.

»Vhertos!«Die schrille Fistelstimme des Imperators

konnte nicht befehlend klingen, aber es be-fand sich niemand in dem prunkvollen Sa-lon, der nicht zusammenzuckte.

Ein hagerer Arkonide in höfischer Klei-dung trat bleich, aber gefaßt ein paar Schrit-te vor.

»Gibt es neue Nachrichten über diesenAtlan? Hat man ihn endlich gefaßt?«

Vhertos verneigte sich unterwürfig.»Euer allergnädigste Erhabenheit müssen

sich gedulden«, stotterte er. »Unsere Leutesind dem Verräter auf der Spur …«

»Das höre ich jetzt seit Jahren!« quiekte

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Orbanaschol III. schrill. »Ich will seinenKopf, und du erzählst mir etwas von Spuren.Ich werde …«

Ein seltsames Gurgeln unterbrach den Im-perator des Großen Imperiums. Totenstillebreitete sich aus. Vhertos starrte Orbana-schol entsetzt an, dann blickte er zu Kelquanhinüber, der mit hervorquellenden Augenum sein Gleichgewicht kämpfte. Der Jungeschien irgendeinen Anfall zu haben, aber daskonnte sein Leben auch nicht mehr retten.Den Imperator zu unterbrechen – das warein tödliches Vergehen. Vor allem dann,wenn Orbanaschol ohnehin schlechter Launewar.

»Nehmt ihn fest«, befahl der Imperatorkalt und wandte sich fast angeekelt ab. »Undnun …«

»Es ist Zeit, Orbanaschol!«Diesmal wirbelte der Imperator trotz sei-

ner Körperfülle auf dem Absatz herum. Je-mand hatte ihn einfach mit seinem Namenangesprochen! Vhertos zog sich eilig einStückchen zurück. Vielleicht hatte er Glück,und der Erhabene wurde von den ungeheuer-lichen Vorgängen erfolgreich abgelenkt.Aber Kelquan mußte tatsächlich wahnsinniggeworden sein. Der Junge stand hochaufge-richtet da. Die Männer, die ihn hatten ergrei-fen wollen, waren in grotesker Haltung er-starrt. Fassungslos standen sie um den Jun-gen herum.

»Schafft ihn weg!« kreischte Orbanascholmit überschnappender Stimme, aber als dieMänner den Jungen berührten, zuckten sieerschrocken zurück.

»Er ist steif«, flüsterte einer. »Wie ge-lähmt.«

»Du mußt deine Schulden bezahlen«, sag-te Kelquan. Seine Stimme klang fremd undgepreßt. »Die Belohnung ist fällig.«

Orbanaschol kniff die Augen zu schmalenSchlitzen zusammen. Er begann, den Vor-gang zu verstehen. Nicht Kelquan benahmsich unpassend – das wäre auch unwahr-scheinlich genug gewesen. Der Jungestammte aus einer der angesehensten Famili-en des Imperiums, er strebte eine hohe Stel-

lung im Führungsstab an, und er wußte sehrgenau, wie er sich bei Hofe zu verhalten hat-te.

»Klinsanthor?«Ein hohles Kichern drang aus Kelquans

Mund. Es wirkte abschreckend und unheim-lich, weil das Gesicht des jungen Arkonidenabsolut ausdruckslos blieb. Die Augen blick-ten stumpf in immer dieselbe Richtung.

Orbanaschol III. gab den Männern einenherrischen Wink. Sie zogen sich eilig zu-rück. Jetzt, als ihm die Situation klar wurde,hatte der Imperator sich wieder in der Ge-walt. Endlich würde er Klarheit erhalten.

»Ich hatte versprochen, mich zu melden«,sagte der Unheimliche durch KelquansMund. »Diese Art meiner Kontaktaufnahmemag dir seltsam erscheinen, aber es ist fürmich der einfachste Weg.«

»Was willst du?«Orbanaschol wußte, daß er von seinen

Untertanen aufmerksam beobachtet wurde.Natürlich war er empört über die Art, in derder Magnortöter mit ihm sprach, und er warauch wütend darüber, daß der Unheimlichediesen Umweg benutzte. Er hätte zu gernegewußt, wie Klinsanthor nun eigentlich aus-sah. Er zwang sich zur Wahrung desScheins. Nach außen hin blieb er ruhig –wenigstens vorerst noch.

»Ich verlange nur den Lohn für meine Ar-beit. Du wirst die König-Regho-Flotte anmich ausliefern. Ich gebe dir die Koordina-ten des Übergabeorts bekannt. Sie lauten…«

Ein wütender Aufschrei des Imperatorsunterbrach Klinsanthor-Kelquan.

»Die Köng-Regho-Flotte! Diese Forde-rung ist purer Wahnsinn! Ein Eliteverband,zweihundertsechsunddreißig Kampfschiffe –die soll ich ausgerechnet dir überlassen? Ichdenke nicht daran! Außerdem – was willstdu eigentlich mit der Flotte anfangen?«

Klinsanthor-Kelquan wartete geduldig,bis der Ausbruch des Imperators vorüberwar. Das Gesicht des jungen Arkonidenzuckte, er stöhnte, aber dann hatte der Ma-gnortöter ihn wieder fest im Griff. Der starre

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Mund öffnete sich, und das hohle Kichernließ Orbanaschols Kopfhaut kribbeln. Dieentsetzliche Angst, einen überlegenen Geg-ner völlig unnötig gereizt zu haben, triebihm den Schweiß aus den Poren.

Er hätte dieses Wesen niemals rufen dür-fen!

Aber wer konnte auch ahnen, wasKlinsanthor vermochte – die mythologischausgeschmückten Berichte lieferten keinekonkreten Anhaltspunkte. Orbanaschol hattegeglaubt, mit jedem Gegner fertig zu wer-den, und Klinsanthor war angeblich nichtsals ein Werkzeug, dessen ein Imperator sichbedienen konnte, wie es ihm beliebte.

»Was ich mit der mir zustehenden Beloh-nung anfange, geht dich nichts an«, versi-cherte der Unheimliche kalt. »Du erhältstjetzt die Koordinaten – und ich rate dir, gutzuzuhören. Wenn du deine Schulden nichtbezahlst, werde ich mich auf meine Weiseselbst schadlos halten.«

Orbanaschol war von dieser unverschäm-ten Drohung so schockiert, daß er wie einFisch nach Luft schnappte.

Eine Reihe von Zahlen drang aus Kel-quans Mund, ein Name – Kallito. Ehe Orba-naschol sich soweit erholt hatte, daß erKlinsanthor eine Antwort geben konnte,brach der junge Arkonide zusammen.

Minutenlang blieb es still in dem großenSalon. Dann breitete ein leises Raunen sichaus.

Der Imperator legte den Kopf schräg undlauschte verwundert. Es dauerte geraumeZeit, bis er das Raunen in den richtigen Zu-sammenhang gebracht hatte. Wütend sah ersich um. Das Flüstern und Murmeln ver-stummte, schreckensbleiche Gesichter starr-ten ihn an.

Orbanaschol lächelte verzerrt. So war esbesser! Noch war er derjenige, der dieMacht in den Händen hielt.

Kelquan schlug die Augen auf, richtetesich mühsam auf und stierte verblüfft aufden Boden. Dann entdeckte er den Impera-tor, der direkt vor ihm stand. Entsetzt riß ersich zusammen und bemühte sich, Haltung

anzunehmen, aber er konnte nicht verhin-dern, daß er am ganzen Körper zitterte. Erwußte, daß etwas Schreckliches geschehenwar – aber er hatte keine Erinnerung an dieletzten Minuten.

»Nun?«Kelquan öffnete ein paarmal den Mund,

ehe es ihm gelang, ein verständliches Worthervorzubringen.

»Euer Erhabenheit, ich bitte euch, gnä-digst mein Versagen zu entschuldigen. Ich… mein … mir war etwas unwohl. WennEure Erhabenheit es erlauben, werde ichmich zurückziehen und einen Bauchauf-schneider konsultieren …«

An Orbanaschols zynischem Grinsen zer-brach der Rest an Selbstbeherrschung, durchden der Arkonide sich noch aufrecht hielt.Er begann zu stottern, schlug dann die Hän-de vors Gesicht und sank in die Knie.

»Schafft ihn weg!« befahl Orbanascholverächtlich.

Zwei Wachen rissen Kelquan hoch undzogen ihn zum Ausgang.

»Aber so sagt mir doch wenigstens, wasgeschehen ist!« schrie der junge Mann ver-zweifelt. »Ich weiß doch nichts. Es ist allesleer in mir! Helft mir!«

Sein Geschrei entfernte sich schnell. Je-mand war so taktvoll, die Tür zu schließen.Orbanaschol kehrte zu den weichen Kissenzurück. Ein Höfling reichte ihm einen Be-cher Wein. Der Mann verbeugte sich über-trieben tief und vermied es, den Imperatoranzusehen. Orbanaschol riß ihm ungeduldigden Becher aus der Hand und stürzte dasGetränk in einem Zug herunter.

Nur allmählich kamen seine vibrierendenNerven zur Ruhe. Den zweiten Becher leerteer langsam, und er überdachte dabei die La-ge. Angenehm war sie nicht. Er hatte derWut nachgegeben. Natürlich hatte Kelquankeine Schuld an dem, was Klinsanthor getanhatte. Aber es war nun einmal geschehen.Einen Fehler einzugestehen, konnte Orbana-schol sich nicht leisten. Er würde dafür sor-gen müssen, daß andere belastende Punktein Kelquans Vorleben auftauchten. Aber das

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war das kleinere Problem. Solange die Po-gim die Dinge im Griff behielt, durfte nie-mand es wagen, den Imperator wegen desVerschwindens eines adligen Höflings zurRechenschaft zu ziehen.

Anders verhielt es sich da schon beiKlinsanthor.

Die König-Regho-Flotte!Orbanaschol kam einfach nicht darüber

hinweg. Selbstverständlich würde er dieseunverschämte Forderung nicht erfüllen. Erbesaß ja nicht einmal einen Beweis dafür,daß Klinsanthor seinen Auftrag tatsächlicherfüllt hatte!

»Auf welchen Ort treffen die Koordinatenzu?« fragte er.

Er hielt es für selbstverständlich, daß so-fort einer seiner Vertrauten die Antwort be-reit hielt.

»Es handelt sich um einen Punkt in derNähe des Systems Kallito, das am Rande derarkonidischen Ballung steht.«

Dem Sprecher, einem alten, fast kahlköp-figen Arkoniden, war anzumerken, daß ergerne eine Frage gestellt hatte. Orbanascholließ ihn schmoren. Die Spannung im Salonsteigerte sich. Der Imperator lächelte zy-nisch. Er legte sich keine Rechenschaft überdie Gründe seines Verhaltens ab. Indem erseine Untertanen in Furcht versetzte, kom-pensierte er seine Angst vor Klinsanthor. Erwagte auch nicht, darüber nachzudenken,was der Magnortöter unternehmen würde,wenn die Flotte nicht termingerecht vor Kal-lito auftauchte.

Als er den Becher mit einer plötzlichenBewegung gegen die Wand schleuderte,ging ein kaum hörbares Stöhnen durch dieGruppen der Anwesenden. Das kristalleneTrinkgefäß zersplitterte, der Rest des kostba-ren Weines versickerte im Teppich.

»Die Flotte wird diesen Ort nicht ansteu-ern!« gab Orbanaschol bekannt.»Klinsanthor hat seine Forderung zu frühgestellt. Noch ist er mir den Beweis dafürschuldig, daß er die Belohnung verdient. Ichwill Altans Kopf sehen – dann bin ich bereit,zu bezahlen.«

Orbanaschol verließ hochaufgerichtet denSalon. Seine persönlichen Diener um-schwirrten ihn wie Motten das Licht. DieHöflinge eilten hinterher. Nur wenige Män-ner ließen sich von dieser unterwürfigen Be-triebsamkeit nicht anstecken. Sie blieben zu-rück, aber auch sie wagten es nicht, an die-sem Ort ihre Bedenken auszusprechen.

6.

Das Unwetter bildete offensichtlich denBeginn einer unangenehmen Wetterverände-rung. Es blieb kühl und regnerisch, ein kal-ter Wind kam auf.

Wir hatten uns inzwischen weit genugvom Tal entfernt. Von den Julkas war nichtsmehr zu hören oder zu sehen, obwohl siesich bei diesem Wetter vermutlich um eini-ges wohler fühlten, als es bei uns der Fallwar. Vor uns dehnte sich eine weite, trostlo-se Ebene, bedeckt von triefenden Buschwäl-dern und schlammigen Grasflächen. ImSchutz der letzten Felsen hatten wir mit vielMühe ein kleines Feuer entfacht. Wir warendurchgefroren und müde. Da sämtliche Tieresich verborgen hielten, waren wir auf diespärlichen Vorräte angewiesen. Das Feuerqualmte unerträglich, und meine Laune warauf dem Nullpunkt angelangt.

»Ein reizender Ort«, sagte ich bissig.»Zum Glück wird ja in spätestens hundertJahren die ISCHTAR hier auftauchen unduns abholen. Eine Kleinigkeit, die Leutenwie uns nichts ausmachen sollte, nichtwahr?«

Fartuloon warf mir einen kühlen Blick zu.Die Ruhe, die er zur Schau trug, machte

mich rasend. Ich wußte, wie sinnlos es war,einen Streit zu provozieren, aber irgendwiemußte ich mir Luft verschaffen. Fartuloontat mir den Gefallen nicht, er reagierte ein-fach nicht. Behäbig saß er neben dem Feuer,kaute gelassen auf dem Rest des zähen Bra-tens herum und beobachtete das Feuer. Dieroten Flammen spiegelten sich auf seinemzerbeulten Brustpanzer.

»Du arbeitest vermutlich an einem genia-

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len Plan«, fuhr ich in bewußt aufreizendemTonfall fort. »Demnächst werden wir denSpitzköpfen ein paar Wagen abnehmen undaus einem stinkenden Motor und sonstigenTeilen ein Wunderwerk der Technik zusam-menbasteln. Da du ja überall Stützpunkteund versteckte Stationen unterhältst, dürftees ein Kinderspiel sein, Kraumon zu errei-chen. Habe ich recht?«

»Nicht ganz«, erwiderte Fartuloon lä-chelnd. »Den ersten Teil der Arbeit könnenwir uns wahrscheinlich sparen. Es sieht soaus, als wäre bereits ein Raumschiff für unsunterwegs.«

Ich fuhr hoch, stieß mir den Kopf undstarrte den Bauchaufschneider entgeistert an.Also doch! Akon-Akon hinterließ Spuren imGehirn derer, die er zu seinen Untertanenmachte!

»Bevor du irgendwelche Verdächtigungenaussprichst«, sagte Fartuloon mit vollemMund, »solltest du in diese Richtungblicken!«

Automatisch folgte ich seinem Hinweis.Aus den tiefhängenden Wolken sank ein

schwarzes Gebilde. Es war zu weit entfernt,um Einzelheiten erkennen zu können, aberes handelte sich zweifellos um ein Flugge-rät, und es kam auf uns zu!

Die Unsicherheit der letzten Tage fiel vonmir ab. Hastig duckte ich mich unter demFelsen hindurch und wollte zum voraus-sichtlichen Landeplatz rennen. Fartuloonwar sofort neben mir und hielt mich zurück.

»Vorsicht«, brummte er. »Noch wissenwir nicht, ob man an Bord überhaupt Passa-giere wünscht!«

Gebannt beobachteten wir das Gebilde. Esglitt langsam näher, und als ich endlich Ein-zelheiten ausmachte, stieß ich einen über-raschten Pfiff aus.

Der Flugkörper war scheibenförmig, be-saß auf der Oberseite eine Energiekuppelund auf der Unterseite gitterähnliche Aus-wüchse.

»Die Station im Raum«, flüsterte ich aufgeregt.

Fartuloon fuhr herum.

Ich hatte ihm von meinem Erlebnis be-richtet. Während die restliche Besatzung derISCHTAR bewußtlos gewesen war, hatte ichals einziger einen rätselhaften Vorgang be-obachtet. Eine fremde Raumstation war aufden Schirmen aufgetaucht. Mein Vater, derseit seiner Wiedererweckung auf nichts rea-giert hatte, manipulierte die Steuerung desSchiffes und sprach mit einem Unbekanntenin einer fremden Sprache. Später war derName »Klinsanthor« gefallen – und Fartu-loon schien ihn zu kennen. Allerdings hüllteder Bauchaufschneider sich in Schweigenund weigerte sich, irgendeine Erklärung zugeben.

Der Flugkörper besaß die Form derRaumstation, aber er war nicht mit ihr iden-tisch. Die Station mußte ungeheure Ausma-ße haben, der Flugkörper dagegen war nurfünf Meter hoch, der Durchmesser betrugdas doppelte. Völlig geräuschlos senkte dasBeiboot sich vor uns, ein schwaches Flim-mern ging von seiner Unterseite aus. Sanftkam es auf dem energetischen Polster zumStillstand, ohne daß die gitterförmigen Aus-wüchse den Boden berührten. Eine Schleuseöffnete sich, und ein leuchtendes Band zeig-te das Vorhandensein einer energetischenRampe an.

»Das gefällt mir nicht.«Ich warf Fartuloon einen unwilligen Blick

zu.»Wem immer dieses Boot auch gehört, er

meint es offensichtlich gut mit uns«, sagteich. »Komm endlich, oder willst du warten,bis das Schiff ohne uns abfliegt?«

»Für mich besteht kein Zweifel daran, daßKlinsanthor uns das Boot geschickt hat. Essoll schon vielen Leuten sehr schlecht ergan-gen sein, die sich auf Geschäfte mit demMagnortöter eingelassen haben. Es ist besserfür uns, wenn wir auf die ISCHTAR war-ten.«

»Die vielleicht nie kommt! Dein Klinsan-thor kann meinetwegen der Fürst aller Dä-monen in Person sein, aber ich lasse mir die-se Chance nicht entgehen!«

»Es könnte eine tödliche Falle sein.«

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»Und wenn schon! Ich habe in so vielenFallen gesessen, daß ich sie nicht mehr zuzählen vermag. Trotzdem lebe ich noch. Duhast mir vor einigen Tagen einen wunder-schönen Vortrag gehalten. Nun, dort stehtein Ding, das uns von Ketokh wegbringenwird. Falls es da drin Gefahren gibt, werdenwir sie beseitigen. Und wenn du nicht willst,kannst du ja hierbleiben.«

Das war natürlich gelogen, aber ich warwirklich wütend. Das Beiboot wartete – wielange? Jeden Augenblick konnten die Her-ren der Station es sich anders überlegen.

Fartuloon zuckte die Schultern und rückteseinen Gürtel zurecht.

Drinnen sah es nüchtern und fremdartigzugleich aus. Der Innenraum wurde durchtechnische Anlagen mehrfach unterteilt. DieGeräte waren mir unbekannt, aber sie mach-ten einen sehr starken Eindruck auf mich.Obwohl ich ihre Funktion nicht durchschau-te, war ich mir sicher, daß es an ihnen nichtszu verbessern gab.

Lautlos schloß sich das Schott hinter uns.Fartuloon stand in der Mitte des freienRaumes, der sich an die Schleuse anschloß.Er blickte sich wachsam um, seine rechteHand lag auf dem Griff des Schwertes.

Ein leises Summen drang aus den Gerä-ten. Der Boden unter unseren Füßen vibrier-te leicht, dann erhellte sich ein großes Qua-drat an der rechten Wand.

Wir waren gestartet.Unter uns versank der Planet Ketokh,

grauer Dunst wirbelte auf dem Bildschirm,blieb dann zurück und gab den Blick auf dieSterne frei.

*

Wir hatten das erstaunliche Fahrzeuggründlich durchsucht. Nirgends gab esSchaltelemente, die darauf schließen ließen,daß man mit ihnen das Boot steuern konnte.Offensichtlich hatte eine vollrobotische An-lage diese Aufgabe übernommen, und wenndiese Maschine überhaupt zu manipulierenwar, dann jedenfalls nicht durch uns. Die

Einrichtung war zu fremdartig.Wenigstens hatten die Besitzer des Bootes

nicht die Absicht, uns verhungern oder ver-dursten zu lassen. Nachdem wir unserenRundgang beendet hatten und wieder amAusgangspunkt anlangten, surrte es an ei-nem Geräteblock, eine Klappe öffnete sich,und zwei Behälter glitten schwerelos daraushervor. Die silbrigen Dinger schwirrten ge-nau auf uns zu.

»Was soll das?« fragte Fartuloon alar-miert und faßte das Skarg fester.

Die Behälter hielten dicht vor uns an, einleiser Glockenton erklang. Im gleichen Au-genblick löste der obere Teil der Kästen sicheinfach auf, und ein verlockender Duft stieguns in die Nase.

»Fleisch, Gemüse, Früchte, sogar Wein«,staunte Fartuloon.

»Es ist serviert«, murmelte ich spöttischund berührte den Behälter vorsichtig. DasDing bestand aus einem mir unbekanntenMaterial. Die Speisen dampften, aber derBehälter selbst fühlte sich kühl an.

Fartuloon leckte sich die Lippen undwollte den Teller mit den großen Fleisch-stücken aus seinem Behälter nehmen, aberdas ging nicht.

»Wir müssen wohl im Stehen essen«, be-merkte er stirnrunzelnd.

Der Behälter richtet sich nach eurer Hal-tung, teilte das Extrahirn mir mit. Es hatteeine Beobachtung ausgewertet, der ich keineAufmerksamkeit schenkte. Fartuloon war et-was kleiner als ich, und trotzdem hielt sichder Behälter auch für ihn in bequemerReichweite.

Ohne zu zögern, setzte ich mich auf denBoden, lehnte mich gegen die warme Wandeines Maschinenblocks und wartete, bis dieseltsame Servierautomatik sich auf die ver-änderten Verhältnisse eingestellt hatte.

Als wir satt waren, blieben die Behälternoch für kurze Zeit vor uns stehen, dannsetzten sie sich in Bewegung und ver-schwanden wieder hinter der Klappe.

»Diese Leute scheinen zumindest gast-freundlich zu sein«, sagte ich zufrieden. Mir

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war viel wohler, seitdem ich endlich wiedereinmal eine vernünftige Mahlzeit zu mir ge-nommen hatte. »Woher wußten sie eigent-lich, was wir am liebsten zu uns nehmen?«

»Was weiß ich«, knurrte Fartuloon. Ihnhatte die vorzügliche Bewirtung nicht beru-higen können. »Außerdem braucht das mitFreundlichkeit nichts zu tun zu haben. Aucheinem Verurteilten gewährt man einen letz-ten Wunsch.«

»Dein Pessimismus, verehrter Pflegeva-ter, geht mir auf die Nerven, auch wenn ermöglicherweise berechtigt ist. Findest dunicht, daß es an der Zeit ist, mir ein paar Er-klärungen zu geben?«

»Du möchtest wissen, was es mit Klinsan-thor auf sich hat?«

»Was sonst?«»Neugier ist das Vorrecht der Jugend«,

schnaufte Fartuloon und warf dem Bild-schirm mißtrauische Blicke zu. Eine Unzahlvon Sternen blitzte darauf. Ab und zu zogenfarbige Schlieren über das Bild, ein Phäno-men, das ich nicht einzuordnen vermochte.Erst allmählich erkannte ich, daß sie das ein-zige sichtbare Anzeichen dafür bildeten, daßdas Boot sich streckenweise schneller alsdas Licht bewegte. Die Technik der – oderdes – Fremden mußte der unseren weit über-legen sein. Die arkonidischen Schiffe ver-fügten über Transitionsantriebe, wir»sprangen« durch den Hyperraum, wobeiwir für einen nicht meßbaren Zeitraum ent-stofflicht wurden – ein Vorgang, der unan-genehme, auch schmerzhafte Begleiterschei-nungen mit sich brachte. Bei den Varganenhatte ich eine andere Form des Antriebs ken-nengelernt, wobei mir leider die technischenEinzelheiten verborgen geblieben waren. Je-denfalls schien außerhalb des Mikrokosmosauch ein anderes Volk einen überlicht-schnellen Antrieb auf völlig anderer Basisentwickelt zu haben.

»Ich kann dir über Klinsanthor nicht mehrsagen, als ich selbst gehört und gelesen ha-be. Zum größten Teil handelt es sich umMärchen oder Sagen – ihr Wahrheitsgehaltist ziemlich fragwürdig.«

»Spare dir die Einleitung und komme zumThema. Wer oder was ist Klinsanthor?«

Der Bauchaufschneider seufzte.»Der Kosmos wird an vielen Stellen von

psionischen Energiebahnen durchlaufen«,erklärte er. »Sie sind unsichtbar und mit nor-malen Geräten nicht zu orten. An einigenStellen treffen und überkreuzen sie sich, esentstehen Schnittpunkte, die von höheremEnergiegehalt sind.«

»Das klingt nicht nach einem Märchen«,murmelte ich.

Fartuloon lächelte schwach.»Es ist auch keins. Allerdings ist es wie

gesagt sehr schwierig, die Existenz dieserBahnen überhaupt nachzuweisen. Aus denÜberlieferungen verschiedener uralter Völ-ker geht jedoch hervor, daß es irgendwannWesen gab, die die Bahnen kannten und so-gar benutzten. Und jetzt kommt das, was derganzen Geschichte einen unwirklichenAspekt verleiht.«

»Es war einmal«, grinste ich.Der Bauchaufschneider nickte grimmig.»Es war einmal in fernster Vergangenheit

ein Raumfahrer. Er gehörte einem unbe-kannten Volk an, und er hieß Klinsanthor.Er geriet zufällig in einen solchen Schnitt-punkt, blieb dort hängen und wurde durch ir-gendwelche Umstände mit übernatürlichenKräften ausgestattet. Klinsanthor wurde völ-lig verändert. Seine Fähigkeiten hätten ihmzu großer Macht verhelfen können, aber erkonnte sich ihrer anscheinend nicht frei be-dienen. Er geriet in ein Abhängigkeitsver-hältnis zu anderen Wesen, die ihn rufen undsich seiner bedienen konnten.«

»Und wie riefen sie ihn?«»Das ist ein Geheimnis. Der jeweilige Im-

perator des Großen Imperiums vermag übri-gens Klinsanthor zu rufen.«

Ich fuhr hoch.»Orbanaschol?«»Ich weiß nicht, ob er in das Geheimnis

eingeweiht ist«, erwiderte Fartuloon ernst.»Aber es läßt sich nicht völlig ausschließen.Die Art der Kontaktaufnahme wird nirgendskonkret geschildert, es scheint, als handele

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es sich um einen fast unberechenbaren Ef-fekt.«

»Vielleicht läuft eine dieser rätselhaftenEnergiebahnen durch Arkon I hindurch.«

»Das sind Vermutungen – wie alles ande-re, was Klinsanthor betrifft. Aber laß michweitererzählen. In der Vergangenheit ge-langten immer wieder Wesen an das Ge-heimnis, und sie riefen Klinsanthor. DemFremden scheint nichts anderes übrigzublei-ben, als derart erteilte Aufgaben zu erfüllen.Bezeichnenderweise wendeten sich haupt-sächlich Leute an ihn, deren Ziele nicht un-bedingt positiv waren. Mit anderen Worten:Der verschollene Raumfahrer wurde gründ-lich mißbraucht. Es gab große Katastrophen,die man auf ihn zurückführte, darunter aucheinige geheimnisvolle Vorgänge nach denUnabhängigkeitskriegen zwischen Akon undden abtrünnigen Arkoniden, die letztlich dei-ne Vorfahren sind. So kam Klinsanthor zudem Beinamen ›Magnortöter‹. Das ist soziemlich alles, was ich in Erfahrung bringenkonnte.«

»Eine Märchenfigur ist er jedenfalls nicht,das dürfte durch den Zwischenfall auf derISCHTAR bewiesen sein. Wenn Orbana-schol ihn wirklich gerufen hat …«

Es knackte, und wir fuhren beide zusam-men.

»Orbanaschol III. hat die Bedingungennoch nicht erfüllt«, sagte eine knarrendeStimme aus einem unsichtbaren Lautspre-cher. »Das kann eure Chance sein!«

Wir sahen uns stumm an. Klinsanthor exi-stierte zweifellos – und wir saßen in einemRaumschiff, das allein seinen Befehlen ge-horchte.

7.

Der Flug dauerte nicht lange. Höchstenseine Stunde war vergangen, seit der Magn-ortöter sich gemeldet hatte, da tauchte aufden Bildschirmen die Station auf, die ichschon einmal gesehen hatte.

Eine gigantische Scheibe, deren Durch-messer mindestens drei Kilometer betrug.

Die Oberseite wurde von einem mächtigenEnergieschirm überspannt, aus der Untersei-te ragten diese gitterähnlichen Auswüchse inden Raum, die – in verkleinerter Form –auch unser Beiboot besaß. Das kleine Schiffraste auf diese Scheibe zu.

Eine riesige Wand aus Metall wuchs voruns auf. Nur selten durchbrachen halbrundeHöcker, trichterförmige Vertiefungen oderdünne Metallgebilde die Einförmigkeit die-ser glatten Fläche. Auf einen der Trichtersteuerte das Beiboot los.

»Wir sind viel zu schnell«, flüsterte Fartu-loon besorgt. Auch ich beobachtete das Ma-növer mit gemischten Gefühlen.

Das Beiboot war höchstens noch zwei Ki-lometer von der Seitenwand der Station ent-fernt, und ich schloß entsetzt die Augen. Dader Aufprall und das unvermeidliche Endeeine Sekunde später immer noch nicht ein-getreten waren, wagte ich es, zu blinzeln.Verblüfft starrte ich auf die Schirme. Esmußte sich um eine Halluzination handeln.Kein Raumschiff konnte meiner Meinungnach auf so kurzer Strecke mit derart irrsin-nigen Werten gebremst haben, ohne daßman in seinem Innern nicht wenigstenseinen Ruck gespürt hätte.

»Noch einmal davongekommen«, seufzteFartuloon neben mir und stieß geräuschvollden Atem aus.

Also doch keine Halluzination!Wir schwebten sanft an der Wand ent-

lang. Über der trichterförmigen Vertiefungkam das Beiboot kurz zum Stillstand. Ir-gendwo in den Geräteblöcken tickte es. DieStille war bedrückend. Nirgends ein Ge-räusch, das auf die Arbeit der Antriebsag-gregate hingewiesen hätte. Dieses kleineSchiff war tatsächlich ein technisches Wun-der.

Laß den Unsinn, mahnte das Extrahirn.Du wirst kaum Gelegenheit haben, diesesSchiff deiner Privatflotte einzuverleiben.Vergiß nicht, in welcher Lage du dich befin-dest.

Mit diesem Boot könnten wir in wenigenTagen nach Kraumon und zurück fliegen.

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Zweifellos. Aber vorher müßtest du dieseGeräte erforschen, die Bedienungselementeerkennen lernen und außerdem die Positioninnerhalb der Galaxis herausfinden – unddas mit einer Anlage, die dir von Grund auffremd ist.

Inzwischen schwebte das Boot dem Mit-telpunkt des Trichters entgegen. Das Innereder Vertiefung war pechschwarz, und es lie-ßen sich keine Einzelheiten ausmachen. Ge-rade dachte ich bedauernd, daß wir denSchleusenmechanismus nicht erkennen wür-den, da flammten Scheinwerfer auf.

Eine regenbogenfarbige Fläche lag voruns. Sie schillerte unruhig, wie eine mit ei-nem Ölfilm bedeckte Wasserlache, über dieein leichter Wind strich. Dann wurden la-mellenförmige Elemente sichtbar, die sichineinander schoben und eine blaßgelbe Öff-nung freigaben. Das Beiboot glitt tiefer, pas-sierte den Kranz der Lamellen, und aus derNähe wurde deutlich, daß diese Gebilde fastso dünn wie Papier waren.

Wir passierten eine blaßgelbe Röhre, de-ren Wände so gleichförmig waren, daß sieuns keinen Anhaltspunkt gaben, um unsereGeschwindigkeit zu schätzen.

Ich warf Fartuloon einen Blick zu. DerBauchaufschneider starrte düster auf dieBildschirme.

Ein zweiter Lamellenverschluß tauchteauf, aber dahinter begann wieder ein gelberGang, und erst nach der dritten Schleuse lan-dete das Beiboot in einer Halle. Gleichzeitigwurden die Bildschirme dunkel, die Schleu-se öffnete sich.

»Endstation«, murmelte Fartuloon undnickte mir zu.

Vorsichtig, nach allen Seiten sichernd,verließen wir das kleine Schiff über dieenergetische Rampe. Falls es sich bei dieserHalle um einen Hangar handelte, so hatteman eine Menge Platz verschwendet. Keinweiteres Beiboot war in Sicht. Dafür gab esan der gegenüberliegenden Wand mehrereÖffnungen.

»Wohin?«Ich hoffe, daß Klinsanthor sich auf diese

Frage melden würde, aber der Magnortöterschwieg sich aus.

»Die Gänge führen ins Innere der Stati-on«, murmelte der Bauchaufschneider. »Wirsollten versuchen, ins Zentrum vorzudrin-gen. Vielleicht treffen wir dort auf Klinsan-thor. Ohne seine Zustimmung werden wirdie Station wohl kaum verlassen können.«

Es waren acht Gänge, die uns zur Verfü-gung standen. Wir spähten in jeden hinein,aber die Korridore glichen einander wie einEi dem anderen. Sie waren scheinbar endloslang, von quadratischem Querschnitt undvon blaßgelbem Licht erfüllt, dessen Her-kunft unerklärlich war. Alle Wände bestan-den aus einem hellgrauen, absolut glattenMaterial. Nirgends sahen wir Türen odersonstige Öffnungen, nicht einmal Fugen, diedas Vorhandensein verschlossener Durch-gänge andeuteten.

Und doch mußte es Seitenräume geben,denn die Abstände zwischen den Korridorenwaren so groß, daß es unvernünftig erschien,zwischen ihnen nur leeren Raum zu vermu-ten.

»Ich schlage vor, wir kehren zunächst insBoot zurück, lassen uns eine Mahlzeit ser-vieren und versuchen, auch etwas Proviantherauszuschinden«, meinte Fartuloon, alswir diese erste Untersuchung abgeschlossenhatten.

»Das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag«,sagte eine heisere, schrill klingende Stimme.

Wir fuhren herum und starrten den Frem-den an.

Er war aus einem der Korridore getreten –genauer gesagt, aus dem, den ich zuletzt un-tersucht hatte. Mir war es rätselhaft, woherder Mann kam – ich hätte ihn sehen müssen.Aber nun stand er da, ein Arkonide wie auseinem Bilderbuch, mit halblangem, schnee-weißem Haar, schmalrückiger, leicht gebo-gener Nase und messerscharfem Mund. Sei-ne roten Augen musterten uns prüfend, wäh-rend er die rechte Hand hinter dem breitenGürtel verhakte, der sich um seine schmalenHüften schlang. Er trug eine Uniform, wieich sie noch nie gesehen hatte, bunt, farben-

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prächtig, von glitzernden Abzeichen undStreifen übersät. Seine Füße steckten in San-dalen, deren goldene Riemen sich bis zu denKnien hinaufwanden.

»Wer sind Sie?« fragte Fartuloon miß-trauisch.

Der Arkonide vollführte eine formvollen-dete Verbeugung, richtete sich dann auf undschlug mit der rechten Hand gegen seineBrust.

»Mein Name ist Scolaimon Nove!«Wir warfen uns erstaunte Blicke zu. Der

Name war ungewöhnlich.»Und was machen Sie hier?«»Dasselbe wie Sie, denke ich«, sagte No-

ve mit einem so arroganten Lächeln, wie esnur ein Arkonide des Hochadels zustandebringen konnte. »Aber Sie hatten geradeeinen löblichen Entschluß gefaßt. Darf ichIhnen bei Ihrem Mahl Gesellschaft leisten?«

Vorsicht! wisperte das Extrahirn. Mit demBurschen stimmt etwas nicht.

Diesen Verdacht habe ich auch, gab ichlautlos zurück. Aber ich komme nicht dahin-ter, was mit ihm los ist. Vielleicht ist er einevon Orbanaschols Kreaturen, und Klinsan-thor hält ihn als Geisel.

Der Logiksektor schwieg. Der aktivierteGehirnteil brauchte weitere Fakten, um dieWahrscheinlichkeit dieser Theorie zu prü-fen.

»Es wird uns eine Ehre sein«, sagte ich zudem Arkoniden. Er nickte kurz und ging oh-ne zu zögern auf das Boot zu. Fartuloon öff-nete den Mund, als wollte er etwas sagen,überlegte es sich dann jedoch anders. Grim-mig stapfte er Nove nach. Seine Hand hattesich um den Griff des Skargs geschlossen.Also war auch er mißtrauisch.

Während wir die Halle durchquerten, ver-suchte ich, aus der Gestalt Noves und seinenBewegungen etwas herauszulesen, aber ichkonnte nichts entdecken, was von der Normabwich. Es schien sich um einen ganz ge-wöhnlichen Arkoniden zu handeln. Am En-de der energetischen Rampe blieb er stehenund wartete, bis wir neben ihm waren.

»Wie lange sind Sie eigentlich schon in

dieser Station?«»Station?« fragte Nove zerstreut, starrte

den Bauchaufschneider an, der die Frage ge-stellt hatte, und strich sich über die Stirn.»Ach so, Sie meinen dieses Gebilde hier!Ich weiß nicht so recht, wie ich hergekom-men bin. Bis jetzt nahm ich an, es handelesich um eine unterplanetarische Anlage oderso etwas. Ich habe mehrmals versucht, denAusgang zu finden, aber es ist mir nicht ge-lungen.«

Er hat die Frage noch nicht beantwortet.»Da hatten Sie Glück«, sagte Fartuloon.

»Diese Station schwebt im Weltraum. DerAusgang hätte sie unweigerlich ins Vakuumgeführt.«

»Ja, so kann es gehen!« lachte ScolaimonNove.

»Wie lange sind Sie also hier?« mischteich mich ein.

Der Arkonide zuckte die Schultern.»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Hier drin

verändert sich nichts; und darum ist es ein-fach unmöglich, die Zeit zu messen.«

Die Rampe trug uns nach oben, ohne daßwir etwas zu tun brauchten.

»Jahre?« bohrte ich weiter.Wieder wirkte Nove verwirrt, zögerte mit

der Antwort, als müsse er den Begriff erstverarbeiten. »So lange wohl nicht«, erklärteer schließlich.

Inzwischen hatten wir die Schleuse er-reicht. Niemand hinderte uns daran, das Bei-boot zu betreten. Ich hatte instinktiv mitSchwierigkeiten gerechnet, aber dann wurdemir klar, daß Klinsanthor sich eine gewisseGroßzügigkeit leisten durfte. Mit den Kon-trollen wurden wir sowieso nicht fertig, eswar uns also unmöglich, zu fliehen.

Ich beobachtete Nove genau. Er sah sichschnell um, war jedoch über die Fremdartig-keit dieser Umgebung kaum erstaunt. Zielsi-cher ging er zu einer von Schaltern übersä-ten Wand, seine Finger tasteten geschicktüber Knöpfe und Hebel, dann sah er aufeinen Bildschirm. Er wirkte enttäuscht. Hat-te er wirklich geglaubt, das Beiboot unterseine Kontrolle bringen zu können?

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Er merkte, daß ich ihn beobachtete undwandte sich rasch ab. Sein Gesicht zeigtewieder den gleichgültigarroganten Aus-druck.

»Sie kennen sich mit diesen Maschinenaus?« fragte ich mißtrauisch.

»Ein wenig«, erwiderte er abweisend.»Offensichtlich reichen meine Kenntnissenicht aus. Schade, es wäre eine einmaligeGelegenheit gewesen, aus der Station zu ent-kommen.«

Die automatischen Essenbehälter tauchtenauf, und die Unterhaltung wurde unterbro-chen. Wir hatten Hunger, und da wir nichtwußten, ob wir in der Station ebensogut be-dient wurden, genossen wir die Mahlzeit.Die Portionen waren reichlich bemessen.Wir wickelten die Reste ein und verstautensie in unseren Gürteltaschen.

»Woher kommen Sie?« begann ich dasFragespiel von neuem.

Scolaimon Nove lächelte amüsiert.»Sie sind sehr neugierig, um nicht zu sa-

gen unhöflich«, stellte er fest. »Ist Ihnennoch nicht aufgefallen, daß ich an Sie nochkeine Fragen gerichtet habe?«

»Das ist keine Antwort. Nennen Sie mirden Namen des Planeten, auf dem Sie gebo-ren wurden.«

Wieder wirkte Nove verwirrt. Ich hatteden Eindruck, als beherrsche er unsere Spra-che nur sehr schlecht. Andererseits war sei-ne Aussprache fehlerfrei. Sein Arkonidischentsprach jener Ausdrucksweise, wie sie un-ter gebildeten Arkoniden verwendet wurde.

»Wir sollten das Boot jetzt wieder verlas-sen«, mischte Fartuloon sich ein.»Klinsanthor könnte ungeduldig werden. Erwartet sicher darauf, daß wir uns zur Zentra-le der Station durcharbeiten.«

Im ersten Moment war ich ärgerlich überden Bauchaufschneider.

Ich glaubte, dem Ziel schon ziemlich nahegewesen zu sein, und sicher hätte ich nurnoch wenige Fragen zu stellen brauchen, umdas Geheimnis, das diesen Mann umgab, zulüften.

Dann sah ich Noves Gesicht.

Der Name des Magnortöters rief eine er-schreckende Veränderung bei ihm hervor.Für einige Sekunden verschwammen die ed-len Züge, die Nase zerfloß zu einem breiigenGebilde, und der Mund wurde zu einem run-den, schwarzen Loch, in dem es keine Zähnezu geben schien. Dann hatte Nove sich wie-der gefangen.

»Gehen wir!« stieß er hervor. In seinerStimme schwang grenzenloser Haß.

Er ist kein Arkonide, stellte das Extrahirnfest.

Vielleicht war er selbst Klinsanthor? EinWesen, das über solche Macht verfügte,konnte sicher auch die Körperformen einesanderen übernehmen.

Unsinn! Er ist ein Opfer des Magnortö-ters. Wahrscheinlich hat er längst den Ver-stand verloren. Er muß seit undenkbarenZeiten in dieser Station festgehalten werden.

Weder Fartuloon noch ich ließen uns an-merken, daß wir etwas bemerkt hatten. Noveselbst schien gar nicht erkannt zu haben, daßseine Tarnung für einen kurzen Momentnicht funktioniert hatte. Er folgte demBauchaufschneider die Rampe hinab. Aufdem Boden der Halle blieben die beiden un-gleichen Männer stehen, um auf mich zuwarten.

Die Veränderung kam so plötzlich, daßich fast zu spät reagiert hätte.

Fartuloon stand etwa einen Meter weitvon Nove entfernt. Der angebliche Arkonideschrumpfte zusammen wie ein Stück Fett ineiner heißen Pfanne. Die Sandalen mit dengoldenen Riemen lösten sich auf und ver-schmolzen mit einem zähen, graubraunenGewebe, das von den Füßen und den sichverkürzenden Beinen gebildet wurde. Dieuntere Hälfte Scolaimon Noves floß zu ei-nem pulsierenden Fladen zusammen, ausdem der von Orden bedeckte Oberkörperherausragte.

Auch die Arme wurden von diesem Pro-zeß ergriffen. Sie wuchsen zu langen Tenta-keln aus. Einer griff nach Fartuloon, der an-dere schnellte mir entgegen.

Fartuloon brachte sich mit einem Hecht-

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sprung aus der Gefahrenzone, rollte sichherum und zog das Skarg. Für mich war esschwieriger, dem heimtückischen Angriff zuentgehen, denn auf der schmalen Rampe warmeine Bewegungsfreiheit begrenzt. Nochbefand ich mich etwa vier Meter über demBoden der Halle.

»Fang auf!« schrie Fartuloon.Ich hatte eben den Impulsstrahler ziehen

wollen, da flog das Schwert durch die Luft.Ich erwischte es am Knauf und ließ es nachunten sausen, wo der Tentakel meine Beinebereits berührte.

Nove – falls das der richtige Name diesesWesens war – stieß einen grauenhaftenSchrei aus und zog den Arm zurück. Fartu-loon tauchte unter mir auf und gab mir einZeichen. Ich gab dem Skarg den entspre-chenden Schwung, und der Bauchaufschnei-der fing es geschickt auf. Im gleichen Au-genblick feuerte ich den Impulsstrahler aufdas Fladenwesen ab.

Nove zeigte keine Reaktion. EinzelneSektionen seines immer breiter werdendenKörpers glommen auf, aber das war auchschon alles. Fartuloon hatte mehr Glück.

Mit einem blitzschnellen Ausfall erreichteer den zweiten Tentakel. Die blitzende Klin-ge trennte den Pseudoarm glatt durch. Wie-der das markerschütternde Geschrei. DerTentakel zuckte unkontrolliert herum, fegteden Bauchaufschneider von den Beinen undstieß gegen die energetische Rampe. DasGebrüll wurde um eine Nuance schriller.

Scolaimon Nove floh. Der Faden rastedicht über den Boden dem nächsten Korri-dor entgegen und war binnen Sekunden ver-schwunden.

»Verdammt«, keuchte Fartuloon, als ersich wieder aufgerappelt hatte. »Was für einWesen kann das sein?«

Ich erklärte ihm, welche Äußerungenmein Extrahirn zu diesem Thema von sichgegeben hatte, und er nickte nachdenklich.»Verrückt ist er auf jeden Fall«, murmelteer. »Sein Verhalten läßt sich sonst kaum er-klären. Wir sind schließlich in der gleichenLage wie er. Was hätte näher gelegen, als

sich mit uns zu verbünden?«Ich zuckte die Schultern. Der Grund für

das feindselige Verhalten des Fremden warmir ziemlich gleichgültig. Allein der Gedan-ke, daß dieser Verrückte irgendwo auf unslauerte, machte mir zu schaffen.

»Haben Sie sich diesen Wahnsinnigenvom Hals schaffen können?« erkundigtesich jemand hinter uns mit zirpender Stim-me.

Wieder wirbelten wir überrascht herum.Das Wesen war etwa zwei Meter groß,

grün und offensichtlich unbekleidet. Es sahaus wie eine Säule. Im oberen Drittel desKörpers saßen acht dünne Ärmchen, darübermehrere rotglühende Augen. Die Hände wa-ren feingliedrig und wirkten sehr mensch-lich, bis auf die Tatsache, daß es je zweiDaumen gab. Das Säulenwesen glitt aufDutzenden von dünnen, kaum fußhohenBeinchen auf uns zu.

»Die Überraschungen reißen nicht ab«,murmelte Fartuloon, starrte das Säulenwe-sen mißtrauisch an und ließ das Skarg hinund her pendeln.

*

»Ich bin Brontzto aus dem Volk der Skyl-lier«, stellte die Säule sich vor. Dazu recktesie die dürren Arme in die Höhe und faltetedie acht Hände auf verzwickte Weise umein-ander. Es sah aus, als hätte man einen Vo-gelkäfig über den Oberteil des Wesensge-stülpt.

Wir nannten unsere Namen, und Brontztowedelte kokett mit seinen fransenförmigenBeinen.

»Er ist schon eine Plage«, sagte der Frem-de. Offensichtlich meinte er Scolaimon No-ve. »Er kann sich nicht damit abfinden, daßauch andere Wesen auf dieser Station gefan-gen sitzen. Was ist schon dabei? Jeder vonuns wußte, daß er seinen Preis zu zahlen hat-te. Mit Klinsanthor kann man eben nichtspielen, er durchschaut alles und läßt sichnicht betrügen.«

»Was ist mit Nove geschehen – und mit

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den anderen?« erkundigte ich mich neugie-rig.

Brontzto wedelte mit den dünnen Armenin der Luft herum und stieß ein dünnes Sir-ren aus.

»Das müßtet ihr doch auch wissen. Oderhabt ihr Klinsanthor nicht gerufen?«

»Wir sind Schiffbrüchige. Dieses Boot hatuns aufgelesen und hierher gebracht.«

»Das ist Pech«, stellte Brontzto ohnegroße Anteilnahme fest. »Von diesem Ortkommt niemand weg. Aber um eure Fragezu beantworten: Alle, die hier gefangen sind– bis auf euch natürlich –, haben Klinsanthorgerufen und seine Dienste in Anspruch ge-nommen. Der Magnortöter ist nicht geradezimperlich in seinen Forderungen. Wer dieBelohnung nicht bezahlen kann, muß dafürbüßen. Nove wurde vor sehr langer Zeit aufdie Station gebracht. Er ist ein Gestaltwand-ler, aber das habt ihr ja schon bemerkt. Lei-der hat er den Verstand verloren. Er erinnertsich nicht einmal mehr an seine wahre Ge-stalt.«

»Aber warum hat er uns angegriffen?«»Er denkt, er könne sich bei Klinsanthor

freikaufen, wenn er alle lebenden Wesen tö-tet, die in der Station erscheinen. Wie ge-sagt, das ist eine fixe Idee bei ihm gewor-den. Solange er lebt, ist niemand von uns si-cher.«

»Und wie lange wird er leben?«Brontzto sirrte amüsiert.»In der Station ist alles etwas anders«, er-

klärte er gelassen. »Ich selbst wurde vor ei-nigen tausend Jahren gezwungen, meinenPlaneten zu verlassen und den Weg anzutre-ten, den Klinsanthor für mich bestimmt hat-te. Es gibt hier keine Mittel, um die Zeit zumessen, aber allmählich bekommt man einGefühl dafür. Welches Volk herrscht zurZeit in der Galaxis?«

»Die Arkoniden«, hätte ich fast geantwor-tet, aber das wäre anmaßend gewesen.

»Es gibt mehrere Sternenreiche«, erklärteich deshalb. »Wir sind Arkoniden. UnserVolk befindet sich gerade in einem erbitter-ten Kampf gegen die Maahks, das sind Was-

serstoff-Methan-Atmer, die alle sauerstoffat-menden Wesen mit unstillbarem Haß verfol-gen.«

»Ich habe noch nie von ihnen gehört. WirSkyllier hatten es mit den rundköpfigenKämpfern von Tloth zu tun. Wir hatten ih-nen nichts getan. Unser Fehler bestand dar-in, daß unser Planet zu dicht an der Stellewar, an der ihre Flotte sich zum Angriff ge-gen ein anderes Sternenreich formierte. Einverirrter Kampfstrahl traf unsere Welt, undwir machten den großen Fehler, zurückzu-schlagen. Falls Sie die Kämpfer von Tlothkennen sollten, wissen Sie, was das bedeu-tet.«

»Ich habe von diesen Fremden noch niegehört.«

Brontzto sah mich erstaunt an.»Dann ist noch mehr Zeit vergangen, als

ich gedacht hatte«, zirpte er. »Die Rundköp-fe hätten uns gar nicht beachtet, aber als sieden Versuch eines Angriffs registrierten,schlugen sie zu. Skyllith wurde innerhalbweniger Stunden vernichtet. Wir Überleben-den wollten den Tod unserer Artgenossenrächen, und nachdem wir viele Opfer ge-bracht hatten, wandten wir uns an Klinsan-thor. Uns war von vornherein klar, daß wirdie geforderte Belohnung nicht aufbringenkonnten, aber das war uns egal. Nun,Klinsanthor schlug die Kämpfer von Tlothzurück und verschaffte uns eine Gelegen-heit, spurlos in einen anderen Raumsektorauszuwandern. Dann forderte er seine Be-lohnung. Ich hatte mich als Bürge zur Verfü-gung gestellt – und so bin ich in die Stationgekommen.«

Fartuloon und ich sahen uns kurz an,schwiegen dann aber betreten. Was hätte esdem Skyllier genutzt, wenn wir ihm nun ver-rieten, daß sein Volk allen Bemühungenzum Trotz schließlich doch untergegangenwar? Niemand kannte sie noch, und auch dierundköpfigen Kämpfer von Tloth warenlängst vergessen. Es berührte mich merk-würdig, daß vor so langer Zeit andere Völ-ker genauso verbissen um ihre Existenz ge-kämpft hatten, wie es jetzt die Arkoniden ta-

34 Marianne Sydow

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ten.Wie viele große Sternenreiche mochte es

schon gegeben haben – und in Zukunft ge-ben? Wie wichtig – oder unwichtig – war indiesen kosmischen Zusammenhängen Ar-kon?

Jedes Lebewesen ist egoistisch, und jedessieht sich selbst im Mittelpunkt seiner per-sönlichen Welt. Ich hatte oft geglaubt, vonbesonderer Bedeutung zu sein, in die Le-benskreise anderer Wesen positiv hinein-greifen zu können. Der nüchterne Berichtdes Skylliers brachte mein Selbstbewußtseinzum Schwanken, aber der Logiksektor zogmich wieder auf den Boden der Tatsachenzurück.

Versuche, von dem Skyllier einen Hin-weis auf den Aufenthaltsort der anderen Ge-fangenen zu bekommen!

»Sie sind überall und nirgends«, lautetedie Antwort des Säulenwesens. »Die mei-sten legen keinen Wert auf Gesellschaft.Manchmal trifft man einen, aber es könnenauch Jahre vergehen, in denen man alleineist. Es spielt auch keine Rolle. Wir lebenewig – jedenfalls solange, wie auch Klinsan-thor existiert. Wir haben zu viel Zeit. Wür-den wir uns zu Gruppen zusammenschlie-ßen, dann gäbe es bald Mord und Tot-schlag.«

»Aber ihr müßt doch eine Möglichkeit ha-ben, euch untereinander zu verständigen.Wenn nun einer von euch in Gefahr gerät…«

»Die einzige Gefahr ist Scolaimon Nove.Alles andere auf dieser Station ist irrational.Als ich zum erstenmal starb, glaubte ich tat-sächlich, nun wäre ich erlöst. Aber man ge-wöhnt sich daran.«

Mir lief ein Schauder über den Rücken.Konnten Wesen unter diesen Bedingun-

gen überhaupt normal bleiben? »Als ich zumerstenmal starb«, dieser Ausspruch setztesich in mir fest. Ich sah mir unseren seltsa-men Bekannten genauer an.

Irgendwie war mir die grüne Säule sym-pathisch. Brontzto wirkte nüchtern und ver-nünftig und schien sogar über eine Art Hu-

mor zu verfügen. Aber wie sah es hinter die-ser Maske aus? Welche Motive mochten denSkyllier bewegen, sich mit uns zu unterhal-ten?

»Wie kommt es eigentlich, daß Sie so gutArkonidisch sprechen?« fragte ich, um michabzulenken.

Brontzto sirrte und versetzte seine Bein-fransen in wellenförmige Bewegungen.

»Ich kenne Ihre Sprache schon sehr lan-ge«, sagte er. »Genauer gesagt, kenne ich je-de Sprache, die irgendein Besucher dieserStation benutzt. Ich übernehme sie mit …«

Zurück! schrie das Extrahirn.»… dem Körper meiner Vorbilder«, fuhr

Brontzto fort.Als sein säulenförmiger Körper die ersten

Anzeichen einer Verwandlung zeigte, warich bereits einige Meter von ihm entfernt.Fartuloon hatte ebenfalls schnell genug rea-giert.

Der Skyllier verwandelte sich in eine Ku-gel auf sechs Beinen, die mit Tausenden vonhakenförmig gebogenen Stacheln besetztwar. Die Kugel zog die Beine ein und rolltewie ein lebendes Geschoß auf mich zu. Ichwich zur Seite aus, zog den Strahler und feu-erte auf das, was nur Scolaimon Nove in ei-ner neuen Gestalt sein konnte.

Der konzentrierte Energiestrahl brachtedie Kugel geringfügig von ihrem Kurs ab,konnte ihr sonst aber nichts anhaben. Ver-zweifelt sah ich mich nach einer Deckungum. Bis auf das fremdartige Beiboot war dieHalle leer. Ich duckte mich unter der energe-tischen Rampe hindurch und rannte weiter.

»Hierher!« schrie Fartuloon mir zu.Ich schlug einen Haken, denn die Kugel

war mir dicht auf den Fersen. Die stahlhar-ten Stacheln verursachten auf dem glattenBoden ein so schrilles Quietschen, daß ichdas Gefühl hatte, meine Zähne würden mireinzeln ausfallen. Immerhin kam ich nocheinmal davon, spurtete dann auf den Bauch-aufschneider zu, warf mich zur Seite undverlor das Gleichgewicht.

Ich rutschte mehrere Meter weit, ehe ichmich an der Wand abfangen konnte. Die Ku-

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gel war anscheinend noch weniger manö-vrierfähig. Sie krachte mit voller Wuchtdicht neben Fartuloon gegen die Wand. DerBauchaufschneider ließ das Skarg nach un-ten sausen. Der Hieb traf die Oberseite derKugel und hinterließ eine klaffende Wunde.

Noch während Fartuloon zurücksprang,paßte Scolaimon Nove sich den verändertenVerhältnissen an.

In einer Mischung von Grauen und Neu-gier beobachtete ich, wie der Kugelleib biszur Hälfte aufklappte. Das zitronengelbeFleisch unter der harten Panzerhaut wuchsmit atemberaubendem Tempo nach oben,teilte sich und formte sich zu Flügeln. Ausder unteren Kugelhälfte bohrten sich plumpeFüße, deren Enden Saugnäpfe trugen, dieauf diesem glatten Bodenbelag hervorragen-den Halt boten. Die Stacheln verschwanden,an ihre Stelle trat ein dichtes, weiches Fell.Gleichzeitig bildete sich ein schlangenförmi-ger Hals, auf dem ein Kopf saß, der nur auseinem riesigen Schnabel und winzigenschwarzen Augen zu bestehen schien.

Das Vogelwesen stieß einen schrillenSchrei aus und hoppelte auf seinen Saugfü-ßen in die Richtung, in der Fartuloon sich imEingang eines Korridors verborgen hatte.Der lange Hals glitt dicht über dem Bodendahin, darüber schlugen die kümmerlichengelben Flügel einen rasenden Wirbel. Ichhastete wieder zum Beiboot zurück, denn in-zwischen war mir klar geworden, daß ichgegen den Gestaltwandler mit meinem Im-pulsstrahler nichts ausrichten konnte.

Scolaimon Nove beachtete mich nicht.Fartuloon war der einzige, der ihm gefähr-lich erschien. Hatte er ihn besiegt, dannblieb immer noch Zeit, sich mit mir zu be-schäftigen. Was konnte ich tun, um demBauchaufschneider zu helfen?

Nichts, stellte der Logiksektor lakonischfest.

Ich fluchte lautlos vor mich hin, ducktemich unter das schwach leuchtende Bandder Rampe und blieb keuchend stehen. Wa-rum griff Klinsanthor nicht ein? Er konnteuns doch wohl nicht den weiten Weg bis in

diese Station transportiert haben, nur um unsabschlachten zu lassen!

Er ist entweder anderweitig beschäftigt,meinte das Extrahirn, oder er hat in diesemSektor keine Macht. Das ist sogar wahr-scheinlich, denn sonst hätte er Nove wohllängst ausgeschaltet.

Das Vogelwesen hatte den Korridor er-reicht. Es steckte den Kopf um die Ecke undstieß einen schrillen Schrei aus. Fartuloonkonnte ich nicht sehen, aber ich hörte eindumpfes Krachen, und die winzigen Flügelschlugen so schnell auf und ab, daß ihreUmrisse sich verwischten.

Trotz der pessimistischen Bemerkung desExtrahirns zog ich den Strahler.

Ich zielte auf das stumpfe Hinterteil desFremden und drückte ab. Das Pseudofellglühte auf, und diesmal empfand Nove dieHitze wohl doch als unangenehm. Er trom-petete laut und sprang zur Seite. Im selbenAugenblick nutzte Fartuloon seine Chance.

Die Klinge des Skargs blitzte auf unddurchdrang den nackten Hals des Vogelwe-sens.

Ich sah den Kopf mit dem riesigen Schna-bel fallen. Der Kampf war vorüber. Erleich-tert schloß ich für einen Augenblick die Au-gen. Als ich sie wieder öffnete, hüpfte daskopflose Geschöpf auf seinen plumpen Bei-nen gerade in den nächsten Korridor. Deut-lich erkannte ich die Anzeichen einer neuenVerwandlung.

»Ich werde euch töten!« schrie ScolaimonNove wild. »Ihr entkommt mir nicht. Ich binschneller als ihr, und ich werde euch in tau-send Gestalten begegnen. Hört ihr mich? Ichwerde euch töten, töten …«

Seine Stimme wurde leiser und verlor sichin einem Echo in den Tiefen der Station.

Fartuloon stapfte in die Halle, stieß denKopf des Vogelwesens mit dem Fuß an undnickte dann nachdenklich.

»Es scheint, als müßte man diesen Kerlstückweise umbringen«, murmelte er.»Einen netten Hausgenossen hat Klinsanthorsich da zugelegt.«

36 Marianne Sydow

Page 37: Station der Geister

8.

Die Sonne, die im Mittelpunkt des Bild-schirms stand, war gelb, hatte fünf Planetenund wirkte in keiner Weise ungewöhnlich.

»Fernortung!« befahl Ra.Er war müde. Seit Tagen hatte er kaum

noch ein Auge zubekommen. Akon-Akonhielt es für überflüssig, weitere»Untertanen« an die Schiffsführung abzu-stellen.

Der dunkelhäutige Mann, den ein schierunglaubliches Schicksal aus einer Steinzeit-zivilisation gerissen hatte, erkannte das Ab-sonderliche seiner Situation genau, aber erwar zu erschöpft, um sich darüber zu amü-sieren. Er, ein Barbar, hatte vorübergehenddas Kommando auf der ISCHTAR über-nommen, einem Raumschiff von dreihundertMetern Durchmessern, das über Triebwerkeverfügte, die es durch die halbe Galaxis tra-gen konnten. Rund sechshundert Menschenlebten in der stählernen Kugel, und darunterbefanden sich hochqualifizierte Wissen-schaftler, Techniker, Strategen. Neben ihmbeobachtete Karmina Arthamin die Instru-mente – sie war Sonnenträgerin und hatte ei-ne ganze Flotte von gleichwertigen Schiffenkommandiert. Und ausgerechnet er, der Bar-bar, der bei seinem ersten Zusammentreffenmit Vertretern dieses Volkes jeden Arkoni-den für einen Gott gehalten hatte, trug nunzu einem großen Teil die Verantwortung fürdieses Schiff.

Er machte sich nichts vor. Seine Machtwar gering. Seine Verantwortung als Kom-mandant auf Zeit beschränkte sich darauf,einer Handvoll von Leuten jene Befehle zuerteilen, die die Sicherheit der ISCHTARgarantierten. Welches Ziel er anflog, wel-chen Beschäftigungen der Rest der Mann-schaft nachging – das alles lag außerhalbseiner Zuständigkeit.

Die Werte kamen herein.Planet Nummer fünf – eine riesige Welt,

deren Oberfläche von Stickstoffsümpfen undMethanschneewüsten überzogen war. Dar-

über brodelten Wolkenmassen, und dieSchwerkraft reichte aus, um einen Arkoni-den in Bruchteilen von Sekunden zu töten.

Nummer vier – lebensfeindlich, eisig, vonden Trümmern zerstörter Monde umkreist.

Nummer drei – eine atmosphärelose Ku-gel aus totem Gestein und gefrorenen Gasen.

Nummer zwei …Ra stutzte.Die Werte sahen gut aus. Eine atembare

Atmosphäre, erträgliche Durchschnittstem-peraturen, normale Schwerkraft. Noch wa-ren sie zu weit entfernt, um Einzelheiten aufder Oberfläche erkennen zu können. Wennsie endlich die Spuren fanden, nach denenAkon-Akon suchte, wurden sie den Jungenvielleicht sogar los. Und das hieße, daß sienach Ketokh zurückkehren und Atlan undseine Begleiter abholen konnten.

»Glauben Sie, der läßt uns so einfach zie-hen?« fragte Karmina Arthamin skeptisch.

Ra schüttelte den Kopf.»Nein, aber eine Chance haben wir dann

wenigstens. Wenn er sein Volk gefundenhat, wird er uns wohl nicht mehr brauchen.Ich hoffe es jedenfalls.«

»Eines Tages werde ich ihn doch nochzerdrücken!« versicherte Vorry ernsthaft.Das Tonnenwesen stellte fest, daß niemandauf seinen Einwurf achtete und zog sich be-leidigt zurück. Auch er mußte in der derzei-tigen Notlage Aufgaben übernehmen, undwenn auch so mancher den Magnetier fürein tolpatschiges Tier halten mochte, so warVorry doch ein zuverlässiger und fleißigerMitarbeiter.

Langsam glitt die ISCHTAR tiefer in daseben entdeckte System hinein. Der Kugel-raumer kreuzte die Umlaufbahn des äußer-sten Planeten. Die Energietaster nahmen dieWelt Nummer zwei aufs Korn.

»Was soll das bedeuten?« fragte Ra unsi-cher.

Karmina Arthamin nahm ihm die Folieaus der Hand.

»So merkwürdige Impulse habe ich auchnoch nicht gesehen«, gestand sie. »SehenSie mal, hier haben wir die Echos von Kraft-

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stationen. Das ist ganz eindeutig. Aber wassollen diese spitzen Amplituden darstellen?Nicht einmal die Positronik hat einen Kom-mentar dazu abgegeben.«

»Keine Raumschiffe«, rief Vorry von ei-nem anderen Pult herüber. »Weder in derNähe des Planeten noch sonst innerhalb desSystems.«

»Komisch«, meinte Ra. »Riesige Energie-quellen, aber keine Raumfahrt. Wie paßt daszusammen?«

»Warten wir, bis wir näher heran sind«,schlug Karmina Arthamin vor.

»Was habt ihr gefunden?«Akon-Akons Stimme hallte in viel zu

großer Verstärkung durch die Zentrale.Ra zuckte zusammen, blickte unsicher zu

dem Bildschirm hinauf und erstattete Be-richt. Nach einem Blick in die großen rotenAugen blieb ihm nichts anderes übrig, alsdie Wahrheit zu sagen.

Akon-Akon nickte gnädig.»Ich wünsche, daß du mir in kürzester

Zeit die Oberfläche dieser Welt zeigst.«»Etwas anderes hatte ich gar nicht vor«,

murmelte Ra, aber der Junge von Perpan-dron hatte die Verbindung bereits abgebro-chen.

»Riesige Städte«, stellte die Sonnenträge-rin kurz darauf fest. »Aber immer noch kei-ne Anzeichen dafür, daß die Leute dort un-ten Raumschiffe haben. Bis jetzt konntenwir nicht einmal Bodenfahrzeuge orten.Wenn es welche gibt, dann bedienen sie sichnicht anmeßbarer Energiequellen.«

»Eine Ruinenwelt«, kommentierte Ra nie-dergeschlagen. »Ich möchte fast wetten, daßdiese Städte verlassen sind.«

»Und die Energiestationen?«Ra zuckte die Schultern.»Wer weiß …«Er erinnerte sich der vielen Abenteuer, die

er mit Atlan, Fartuloon, Ischtar und den an-deren bestanden hatte. Sie waren oft genugauf Rätsel gestoßen.

»Ich stelle große Metallansammlungenfest«, verkündete Vorry genießerisch undschmatzte lautstark. »Eisen – mir wird ganz

schlecht vor Hunger, wenn ich nur darandenke!«

»Eines Tages wird dieses Ungetüm nochein Loch in die Schiffshülle fressen«, ora-kelte Ra düster.

»Du irrst dich«, trompetete Vorry. »Beidiesem Hunger würde ich mich mit Kleinig-keiten gar nicht aufhalten. Ich könnte dieganze ISCHTAR verspeisen. Dann ein paarRoboter als Nachspeise, und die Schwertervon Akon-Akons Leibwächtern wären einfeines Konfekt für den Kaffeeklatsch.«

Sie lachten, aber ihre Heiterkeit verflog,als ein lautes Glockensignal ertönte.

Akon-Akon bemühte sich persönlich indie Zentrale. Er kam nicht allein. Eine Scharvon Untertanen begleitete ihn. Ra spürte ei-ne Gänsehaut auf seinem Rücken, als er diestumpfen Blicke einiger Raumfahrer sah. Siestanden schon zu lange unter dem Einflußdes Jungen. Die Wirkung war individuellverschieden. Während er, der Magnetier unddie Sonnenträgerin noch einigermaßen freiwaren, hatten andere ihren Willen völligverloren. Besorgt fragte er sich, ob dieserVorgang überhaupt umkehrbar war.

»Ich möchte die Bilder sehen!«Gegen Akon-Akons Befehle gab es auch

für den Barbaren und seine Helfer keinenWiderstand. Ein Bildschirm erhellte sich.Die Oberfläche des Planeten, übersät vonriesigen Städten und weitläufigen Anlagen,die vielleicht einmal als Landefelder fürRaumschiffe gedient hatten, wurde sichtbar.Der Junge starrte lange Zeit auf dieses Bild,dann nickte er.

»Wir landen!«Ra wartete, bis Akon-Akon mit seinem

Gefolge die Zentrale verlassen hatte.»Wir nehmen Kurs auf den zweiten Pla-

neten«, sagte er dann. »Natürlich werden wirversuchen, in einer Umlaufbahn nähere Er-kenntnisse zu gewinnen, ehe wir eine Lan-dung riskieren. Vorry, du nimmst die Raum-beobachtung. Irgendwie kommt mir dasGanze komisch vor. Wenn du etwas merkst,gibst du sofort für das ganze Schiff Alarm!«

»Meinen Sie, das könnte eine Falle sein?«

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fragte die Sonnenträgerin.Ra musterte nachdenklich das Bild auf

den Schirmen. Die Auflösung war jetzt bes-ser. Die Form der Gebäude war einigerma-ßen klar zu erkennen. Die Wesen, die dieseStädte gebaut hatten, mußten ein hohes tech-nisches Niveau erreicht haben. Die Energie-echos wurden zahlreicher und deutlicher.Aber noch immer fehlte es an Beweisen da-für, daß dort unten intelligente Lebewesenexistierten. Auf einem anderen Schirmtauchten immer wieder die fremdartigenAmplituden auf, die sich in kein bekanntesSchema einordnen ließen.

»Bevor ich nicht weiß, wer die Erbauerdieser Städte waren, wo sie geblieben sindund was mit ihnen geschah«, sagte der Bar-bar langsam, »rechne ich mit allem. Ich binvon Natur aus mißtrauisch. Was sagt dieFunkzentrale?«

»Sie empfangen nichts.«Die ISCHTAR flog lautlos ihrem Ziel ent-

gegen. Aus den Tiefen des Schiffes halltendie Klänge einer exotischen Musik, dasBrüllen fanatischer Arkoniden, der Kampf-lärm aus der Arena, in der für Akon-Akonfast pausenlos Schaukämpfe abgehaltenwurden. Ra fröstelte. Die Geräuschkulissegefiel ihm nicht.

9.

»Dieser Scolaimon Nove muß wirklichtotal übergeschnappt sein«, sagte ich ärger-lich.

Wir steckten immer noch in der Halle, inder wir gelandet waren. Das Beiboot standauf seinem Platz. Nichts rührte sich, und dieStille zerrte an unseren Nerven.

»Brontzto, der Skyliier – ist das eine Er-findung des Fremden? Das Wesen war mirdirekt sympathisch. Ich verstehe nicht, wieer sich so verstellen kann. Immerhin hat ersich in dieser Maske außerordentlich normalverhalten.«

»Das mag einen einfachen Grund haben«,behauptete Fartuloon. »Ich glaube nicht, daßNove eine Gestalt annehmen kann, die er

sich nur ausgedacht hat. Vielleicht war erfrüher dazu in der Lage, aber inzwischendürfte sein Verstand zu stark geschädigtsein. Den Skyllier hat es also gegeben. Diemeisten Wesen, die Klinsanthor zu Hilfe rie-fen, hatten sicher die Hoffnung, ihn hinter-gehen zu können. Der Skyllier gab sich sol-chen Selbsttäuschungen nicht hin. Er wußte,daß sein Volk die Schulden nicht zu beglei-chen vermochte, und er stellte sich innerlichauf die Folgen ein. Dementsprechend rea-gierte er gelassener als seine Leidensgefähr-ten auf die Entführung. Nove hat Brontztoso übernommen, wie er ihn kannte, als einvernünftiges, nüchtern denkendes Wesen.«

»Aber warum hat er uns seine Geschichteerzählt?«

»Er ist eben verrückt. Wer weiß, wie lan-ge er schon in dieser Station lebt. Wenn erwirklich seine wahre Gestalt vergessen hat,dann dürfte auch sein Verstand total aufge-spalten sein. Er hat unzählige Persönlichkei-ten.«

»Eine teuflische Falle. Warum magKlinsanthor seine Opfer hierher bringen?«

»Kannst du dir eine schlimmere Strafevorstellen? Wer in diese Anlage gebrachtwird, erhält gewissermaßen das ewige Le-ben. Was soll er hier damit anfangen?«

Ich schwieg bedrückt. Es schien mir un-endlich lange zurückzuliegen, daß wir denStein der Weisen gesucht hatten. Damalshatten wir auch die Möglichkeit in Betrachtgezogen, es könne sich dabei um das Ge-heimnis der Unsterblichkeit handeln – undin gewisser Weise stimmte das auch. DerStein der Weisen war der Umsetzer der Var-ganen, jenes Gerät, das den Übergang vomMakro- in den Mikrokosmos und umgekehrterlaubte. Die Varganen wurden durch diesenVorgang unsterblich, aber dafür konnten siesich nicht mehr fortpflanzen. Die Unsterb-lichkeit war ein uralter Traum, dem so ziem-lich alle Intelligenzen irgendwann einmalnachgehangen hatten. Vruumys zum Bei-spiel, der auf der Suche nach dem Lebenseli-xier durch den Mikrokosmos geeilt war. Alser die stählernen Urnen fand, die das ge-

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heimnisvolle Mittel enthalten sollten, vergif-tete er sich an genau dem Zeug, mit dessenHilfe er die Natur zu überlisten gedachte.

»Es muß scheußlich sein«, gab ich zu.»Ewiges Leben um den Preis ewiger Gefan-genschaft. Ein schlechter Tausch.«

Ein dumpfes Dröhnen unterbrach unsereUnterhaltung. In einem der Korridoreflackerte das Licht. Fartuloon sprang aufund rannte – das Skarg in der Hand – daraufzu.

»Nove!« schrie er. »Komm heraus undkämpfe! Nur ein Feigling versteckt sich sowie du!«

Keine Antwort.»Entscheide dich endlich!« fuhr Fartuloon

wütend fort. »Wir wollten keinen Kampf,und wir sind auch jetzt noch bereit, einenKompromiß zu schließen. Aber wenn dudeine Herausforderung aufrecht erhältst,dann stelle dich auch zum Kampf!«

Er schwieg und sah sich wachsam nachallen Seiten um.

Nichts.»Gib es auf«, sagte ich. »Vielleicht ist er

längst geflohen. Wir sollten uns endlich aufden Weg machen. Es sieht wirklich so aus,als könnte Klinsanthor keinen Kontakt zuuns aufnehmen, solange wir uns im äußerenTeil der Station aufhalten.«

»Damit uns Nove bei der erstbesten Gele-genheit in den Rücken fallen kann? Nein,ehe wir ihn nicht zur Vernunft gebracht ha-ben, können wir keinen Vorstoß wagen.«

Ich runzelte ärgerlich die Stirn. Fartuloonhatte sich schon zu sehr in den Gedankenverbissen, den Gestaltwandler zu stellen undeine Entscheidung zu erzwingen. Mir wärees lieber gewesen, wenn wir diese Halleendlich verlassen hätten. Irgendwo in die-sem Labyrinth mußte Klinsanthor sich auf-halten. Nur er konnte uns helfen – falls erdazu aufgelegt war.

Trotzdem ist es besser, einen kleinen Zeit-verlust zu riskieren, bemerkte der Logiksek-tor. Solange ihr in der Nähe des Beibootsbleibt, ist eure Versorgung gesichert, undihr erhaltet euch genug Kampfkraft. Seid ihr

erst tiefer in die Station vorgedrungen, wer-det ihr euch keinen Aufenthalt mehr leistenkönnen.

Und woher beziehst du deine weisenSprüche? fragte ich lautlos.

Rechts!Ich zuckte zusammen.Aus einem der Korridore schoß ein

Schwarm winziger Dinger hervor. LautesSummen erfüllte die Halle. Die Flugkörperwaren kaum so groß wie ein Fingernagel.Sie kurvten um das Beiboot herum und ra-sten dann in perfekter Keilformation aufFartuloon zu.

Der Bauchaufschneider warf sich zu Bo-den und entging so dem ersten Angriff. In-zwischen hatte ich das Ziel erkannt und feu-erte auf die kleinen fliegenden Dinger, vondenen ich noch nicht einmal wußte, ob essich um Maschinen handelte oder ob unshier Lebewesen entgegentraten.

Der erste Schuß riß die Spitze der Forma-tion auf. Die Flugkörper torkelten zur Seite,sofern sie nicht direkt in den Energiestrahlgeraten waren. Aber sie ließen sich nichtverwirren. Binnen Sekunden sammelten siesich und stießen wieder auf Fartuloon hinab.

»Nicht dort hinein!« schrie ich entsetzt.Fartuloon, der eben zu einem Sprung an-

setzte, der ihn in einen Korridor hineintra-gen sollte, zögerte. Sofort nutzten die flie-genden Dinger ihre Chance.

Ich schnellte mich in eine bessere Schuß-position und fegte ein halbes Hundert derheimtückischen Angreifer aus der Luft. Ei-ner landete direkt vor meinen Füßen.

Es waren wirklich Maschinen. WinzigeRoboter mit Rotorflügeln, messerscharfenGreifklauen und mehreren spitzen Auswüch-sen, aus deren Enden eine glitzernde Flüs-sigkeit drang.

Nun kannte ich keine Rücksichtnahmemehr. Die Roboter – zweifellos von Noveausgeschickt – hatten es auf den Bauchauf-schneider abgesehen.

Die Schüsse brachen über den Schwarmherein. Fartuloon hüpfte von einem Fleckauf den anderen, um den herabprasselnden

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Überresten der Kleinstroboter zu entkom-men. Mit dem Skarg konnte er gegen dieMaschinen nichts ausrichten.

Es dauerte mehrere Sekunden, ehe Novebegriff, daß das Ablenkungsmanöver nichtnach seinen Wünschen verlief. Er schrie ent-täuscht auf und stürzte aus dem Korridorhervor, in dem Fartuloon hatte Schutz su-chen wollen. Diesmal erschien der Gestalt-wandler als stahlblauer Wurm, der anstellevon Beinen kurze Krallen direkt an der Un-terseite des Körpers trug.

Mit einem Kampfruf stürmte der Bauch-aufschneider dem Wesen entgegen. DasSchwert wirbelte durch die Luft, aber Novekrümmte seinen etwa vier Meter langen Leibrechtzeitig zur Seite. Ich sah, wie das Mauldes Wurmes sich öffnete – Fartuloon wurdevom Schwung seines eigenes Schlages ausdem Gleichgewicht gebracht und hatte Mü-he, sich auf dem glatten Boden zu fangen.Der Energiestrahl aus meiner Waffe traf denWurm in der Körpermitte. Die stahlblauePanzerung riß auf, Nove fuhr herum. Ausdem weitgeöffneten Maul schlug mir einstinkender Gluthauch entgegen.

Ich zielte, aber diesmal waren die kleinenRoboter auf der Hut. Ein Stich traf mich imNacken, und ich hatte den Eindruck, von ei-ner gewaltigen Faust zu Boden geschleudertzu werden. In einem Reflex drückte ich ab,ehe die krampfartigen Schmerzen auch mei-ne Hand erreicht hatten.

Ich vergaß Scolaimon Nove und die Ge-fahr, in der ich schwebte. Undeutlich hörteich, daß jemand meinen Namen rief, aberder brüllende Schmerz, der durch meinenKörper raste, verschlang jedes andere Ge-räusch. Meine Nerven spielten verrückt, alleWahrnehmungen veränderten sich. Selbstmein Gleichgewichtssinn versagte und spie-gelte mir die unmöglichsten Dinge vor. Soglaubte ich abwechselnd zu schweben undzu fallen, wie ein Geschoß weitergeschleu-dert zu werden, um anschließend in einerdicken Decke zu landen, die sich lückenlosum mich schloß und mich völlig von derAußenwelt abkapselte.

Ich habe keine Ahnung, wie lange dasGift mich in diese private Hölle bannte.

Irgendein gestaltloses Ungeheuer packtemich am Arm und biß sich fest. Ich kämpfteverzweifelt, aber das Biest gab mich nichtfrei, sondern zerrte mich über eine Unterla-ge, die aus scharfkantigen Steinen zu beste-hen schien. Von weit her flüsterte eine Stim-me mir zu, daß es sich um eine Täuschunghandeln müsse, daß ich immer noch in derHalle mit dem glatten Boden sei, und daßdas Ungeheuer etwas ganz anderes wäre. Ichhörte gar nicht hin.

Endlich bekam ich den Arm frei. Ichseufzte zufrieden und blieb regungslos lie-gen. Sofort wurden die Schmerzen erträg-lich, aber als ich versuchte, die Augen auf-zuschlagen, stachen glühende Nadeln inmeinen Schädel.

»Ruhig!« dröhnte eine Stimme neben mirauf. »Du hast es gleich geschafft.«

Fartuloon versicherte mir später, er hättetatsächlich nur geflüstert, schon weil Novenoch immer in der Nähe war. Tatsache istjedoch, daß der Krach, den er verursachte,mir den Rest gab.

*

»Ich habe einen unglaublichen Unsinn ge-träumt!« stöhnte ich und richtete mich vor-sichtig auf.

Fartuloon verfolgte jede meiner Bewe-gungen mit einer so besorgten Miene, daßich ihm eine Grimasse schnitt. Jeder kannschließlich einmal von einem Alptraum ge-plagt werden, das ist kein Grund, ihn wieeinen Schwerkranken anzustarren.

Ich lag in der sicheren Geborgenheit desBeiboots. Zu meinem Erstaunen waren dieBildschirme leer.

»Sind wir schon gelandet?« fragte ich.Fartuloon nickte vorsichtig.»Du hättest mich wecken sollen!« be-

merkte ich ärgerlich und rieb mir denNacken. Als ich die Beule spürte, stutzte ich.Ganz langsam dämmerte es bei mir.

»Sag mal«, begann ich vorsichtig, »diesen

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komischen Kerl, der sich ständig verwandelt– den gibt es doch wohl nicht in Wirklich-keit?«

Fartuloon schwieg. Sein Gesicht drücktedeutlich genug aus, was er empfand.

»Eine Gedächtnislücke?«»Nicht ganz. Einer dieser fliegenden Ro-

boter hat dir ein Gift eingespritzt. Erinnerstdu dich daran?«

»Kaum. Wie komme ich hierher?«»Du hattest den Gestaltwandler schwer

verwundet. Ich konnte ihn zwar nicht töten,aber doch wenigstens aus der Halle verja-gen. Dann habe ich dich ins Boot ge-schleppt, weil du hier noch am sicherstenaufgehoben bist.«

Während er redete, kehrte Stück für Stückdie Erinnerung zurück. Ich wußte, daß derLogiksektor, der unabhängig von meinemnormalen Gedächtnis alle Eindrücke spei-cherte, mir die Informationen zugänglichmachte. Der aktivierte Gehirnteil konnte essich nicht verkneifen, eine Beobachtung be-sonders hervorzuheben – ich hatte nämlichim entscheidenden Moment überhaupt keineSchlüsse daraus gezogen.

»Wenigstens kennen wir jetzt Noves wun-den Punkt«, murmelte ich, trat vor die Ver-sorgungsautomatik und wünschte mir eineheiße Suppe und ein ebenfalls heißes, anre-gendes Getränk. Wie auch immer das Gerätes schaffte, meine Gedanken aufzunehmenund in die Realität umzusetzen, es funktio-nierte jedenfalls. Ich trank in kleinenSchlucken ein dunkelbraunes, herbschmeckendes Gebräu und stellte fest, daßdie letzten Nachwirkungen der Vergiftungverschwanden.

»Scolaimon Nove erschien uns zuletzt alsWurm«, stellte ich fest. »Das Biest war umdie vier Meter lang und konnte durch einenEnergieschuß verwundet werden. Das Vo-gelwesen war etwas größer als ein Arkonideund reagierte nur schwach auf meinen An-griff. Der Fladen, zu dem er zuerst zerfloß,besaß noch die Hälfte des Volumens des er-sten Scolaimon Nove, dem wir begegneten.Dieser Fladen war gegen Energieschüsse to-

tal unempfindlich.«»Hm, das stimmt. Der Gestaltwandler hat

eine bestimmte Körpermasse. Er kann ihrnicht nur alle denkbaren Formen geben, son-dern auch ihre Dichte verändern. Ab einergewissen Grenze ist er verwundbar. Aberwas hilft uns das? Er könnte aus den Erfah-rungen des letzten Kampfes die richtigenSchlüsse gezogen haben und in Zukunft aufdie Nachahmung von zu großen Wesen ver-zichten. Außerdem – wenn er wieder diesekleinen Roboter einsetzt, sind wir verloren.«

»Er wird sie nicht einsetzen.«»Bist zu sicher?«»Er kann es gar nicht. Es sind nicht seine

Roboter, sondern die des Wurmes, den ernachahmte. Wenn er eine andere Gestalt an-nimmt, werden die Maschinen ihm nichtmehr gehorchen.«

Fartuloon runzelte die Stirn. Ihm wardeutlich anzusehen, daß er der Logik meinerÜberlegungen noch nicht ganz traute.

»Es gibt, einen Beweis dafür, daß meineBehauptung stimmt«, sagte ich. »Die klei-nen Roboter sind eine phantastische Waffe.Hätte er sie früher losgeschickt, dann wäreder Kampf vielleicht schon entschieden.Aber er konnte es nicht.«

»Dann wird er nichts Eiligeres zu tun ha-ben, als wieder den Wurm zu imitieren.«

»Bis jetzt hat er sich niemals wiederholt.Er muß ein bestimmtes Schema haben, nachdem die Veränderungen ablaufen. Ich glau-be, er kann den Vorgang nicht einmal mehrvoll steuern. Die Zeitspanne, in der er eineganz bestimmte Form aufrecht erhaltenkann, ist begrenzt. Er wäre nicht freiwilligmitten in einem Gespräch zerflossen, beidem sich innerhalb weniger Sekunden eineviel bessere Angriffsmöglichkeit gebotenhätten.«

»Schön und gut, aber welchen Nutzen sol-len wir daraus ziehen. Wir können ihn inkeiner Weise beeinflussen, das steht fest.«

»Er ist verwundet?«»Er war es. Inzwischen hat er diese klei-

nen Behinderungen sicher überwunden.«»Ich traf ihn in der Körpermitte, soviel

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weiß ich noch. Auch wenn er noch so verän-derlich ist, muß er ein Nervenzentrum besit-zen, von dem aus alle Vorgänge gesteuertwerden. Aufgrund seiner Fähigkeiten hat eres nicht nötig, seinen Denkapparat an ähn-lich exponierter Stelle herumzutragen, wiedas bei uns der Fall ist. Gleichgültig, in wel-cher Gestalt er auftritt, interessant für uns istdie Körpermitte, beziehungsweise der Teil,der am dicksten ist.«

Fartuloon nickte nachdenklich.»Das ist eine gute Basis für einen

Schlachtplan«, stimmte er zu. »Also gut.Bleibt er bei einer Verwandlung unterhalbder beobachteten Größe, dann beschränkenwir uns darauf, ihn uns vom Leibe zu halten.Dabei übernimmst du mit dem Strahler inerster Linie die Aufgabe, uns den Rückenfreizuhalten. Wir wissen nicht, ob er nochmehr Helfer von der Art der Kleinstroboteraufbieten kann. Sobald er eine größere Ge-stalt annimmt, greifen wir an. Du lenkst ihnab, indem du versuchst, ihm mit dem Strah-ler ein paar Wunden beizubringen. Der Kernseines Wesens wird dadurch sicher nicht ge-fährdet, aber es muß mir gelingen, mit demSkarg an ihn heranzukommen. Das ist offen-sichtlich die einzige Waffe, die ihm etwasanhaben kann.«

Wir sahen uns an und bemühten uns, zu-versichtlich auszusehen. Unser Plan hörtesich so einfach an, aber wir wußten genau,daß Scolaimon Nove ein Gegner war, vondem wir noch jede Menge unangenehmerÜberraschungen erwarten durften.

*

»He, Scolaimon, wo steckst du?«Ich kauerte neben einem Korridor und

hielt den Impulsstrahler bereit. Wir hattenkeine Lust, uns von diesem Wahnsinnigendie Bedingungen diktieren zu lassen. Wirwollten es endlich hinter uns bringen.

In dem Gang blieb alles still. Die Wändewaren gleichförmig grau, von dem Gestalt-wandler keine Spur.

»Komm schon«, lockte ich. »Es ist ein

fairer Kampf. Vielleicht besiegst du uns so-gar. Dann hast du möglicherweise wiederfür einige tausend Jahre Ruhe.«

Ich gab einen Schuß ab. Die graue Wandschluckte den Energiestrahl. Es blieb nichteinmal ein dunkler Fleck zurück.

Fartuloon stand auf der anderen Seite desDurchgangs. Er schüttelte mißmutig denKopf. Nove war in diesen Korridor geflo-hen, aber es schien, als kenne er Verbin-dungsgänge, durch die er seine Positionschnell wechseln konnte.

Wir versuchten es bei jedem Eingang,aber der Erfolg blieb aus.

»Vielleicht waren die Verletzungen dochernster Natur«, überlegte ich.

»Er lebt!« erklärte Fartuloon überzeugt.»Er will uns nur aus der Halle locken. Hierkönnen wir ihm ausweichen, wir haben ge-nug Platz. In den engen Korridoren wärenwir ihm hilflos ausgeliefert. Außerdemkennt er das Gelände genau.«

Nove braucht euch, meldete sich das Ex-trahirn. Er wird den Augenblick der Ent-scheidung so lange wie möglich hinauszö-gern. Der Kampf ist die einzige Abwechs-lung in seinem eintönigen Leben. Wenn erannehmen muß, daß ihr euch der Auseinan-dersetzung entziehen wollt, wird er sofortangreifen!

Ich grinste und gab Fartuloon ein Zei-chen. Der Bauchaufschneider wußte, daß icheinen Plan hatte, und er würde auf jedesSpiel eingehen.

»Hast du das gehört?« fragte ich laut.»Was?«»Ein Geräusch. Es kam aus dem Beiboot.

So ein Knacken, genau wie während desFluges, als Klinsanthor sich meldete.«

Fartuloon begriff sofort.»Das kann nur der Magnortöter sein!« rief

er. »Ich möchte jede Wette eingehen, daß al-le anderen Funkverbindungen sowieso nichtfunktionieren.«

»Ich passe auf, daß Nove jetzt nicht auf-taucht!« spann ich den Faden weiter. »Dusiehst mal nach, was Klinsanthor will.«

»Wahrscheinlich hat er es sich anders

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überlegt«, meinte Fartuloon überzeugend.»Er will uns loswerden. Wenn er uns nichtdiesem Verrückten zum Fraß vorwirft, wirder uns mit dem Beiboot aus der Station ent-fernen. Ich habe mich schon die ganze Zeitgefragt, weshalb er uns hierhergebrachthat.«

Er brummte noch mehr vor sich hin, wäh-rend er langsam zu dem leuchtenden Bandder Rampe ging.

Ich zog mich so weit zurück, daß ich ge-rade noch den vordersten Abschnitt des Kor-ridors im Auge behalten konnte. Wenn derLogiksektor recht behielt, mußte Nove sichbemerkbar machen, ehe Fartuloon das Bei-boot erreicht hatte.

Der Gestaltwandler fiel auf den Trick her-ein.

»Ihr entkommt mir nicht!«Der schrille Ruf kam von einem anderen

Korridor. Fartuloon drehte sich gelassen um.»Halte diesen Irren auf, Atlan! Ich werde

Klinsanthor bitten, uns nach Ketokh zurück-zuschaffen. Lieber schmore ich noch eineWeile auf diesem komischen Planeten, alsmit einem idiotischen Monstrum zu kämp-fen. Ich melde mich, wenn ich Neuigkeitenhabe.«

Das war zu viel für Scolaimon Nove.Wie ein Geschoß jagte er in die Halle. Als

ich ihn sah, ahnte ich, warum er uns in einenHinterhalt hatte locken wollen. Seine neueGestalt war die eines vielarmigen Fabelwe-sens mit tellergroßen Augen und einemRumpf von der Ausdehnung eines mittlerenGleiters.

Er hatte aus der letzten Begegnung ge-lernt. Mit ungeheurer Geschwindigkeit rasteer auf mich zu. Ich versuchte, einen Schußauf ihn abzugeben, aber ein langer Armschlug gegen den Strahler. Ein stechenderSchmerz durchzuckte mein Handgelenk, dieWaffe rutschte klappernd über den Boden.Ich warf mich hinterher, aber ScolaimonNove erwischte mich mit einem anderenArm am linken Bein und zog mich mit ei-nem Ruck zu sich heran.

Ich schloß im stillen mit meinem Leben

ab. Direkt über mir glühten die riesigen Au-gen, ein wulstiger Mund öffnete sich undgab den Blick auf das mörderische Gebißdieses Ungeheuers frei.

Das Messer!Ich hatte nur die linke Hand frei. Durch

die fauchenden Atemzüge des Vielarmershörte ich das Zischen, mit dem FartuloonsSchwert durch die Luft sauste. Für einenMoment war Scolaimon Nove abgelenkt. Ei-nes seiner Beine war abgetrennt und ringeltesich wie eine Schlange über den Boden. DerGestaltwandler kämpfte um sein Gleichge-wicht, und so gelang es mir, das Messer ausdem Gürtel zu ziehen. Ich zielte auf einesder sechs Augen und stieß zu.

Mit einem wilden Schrei stieß der Vielar-mer mich von sich. Noch vor dem Aufprallrollte ich mich zusammen, kullerte über denBoden und landete direkt neben dem Strah-ler. Ich riß die Waffe an mich, gab einenSchuß auf einen Arm ab, der schräg übermir auftauchte, und schrie triumphierendauf, als das Gebilde aufglühte. BeißenderGestank breitete sich aus. Scolaimon Novekreischte wild, drehte sich wie ein Kreiselund schlug mit den verbliebenen Armen un-kontrolliert um sich.

»Jetzt!« brüllte Fartuloon.Ich zielte sehr sorgfältig, obwohl ich wuß-

te, daß uns nicht mehr viel Zeit blieb. Dienächste Verwandlung stand unmittelbar be-vor. Zwei der glühenden Augen hatten sichbereits aufgelöst, und auch die Arme wurdenkürzer, dicker und zogen sich in den Rumpfzurück.

Ich traf sechs Arme, ehe Nove es ge-schafft hatte, erneut eine Kugelgestalt anzu-nehmen. Aber es war nicht jenes hakenbe-wehrte Wesen, als das er sich uns schon ein-mal präsentiert hatte. Statt dessen hockte einplumpes, schleimiges Gebilde vor uns, dasauf den ersten Blick als ziemlich wehrlos er-schien.

Wieder war es der Bauchaufschneider, derzuerst merkte, was der Fremde vorhatte.

»Zurück!«Ich gehorchte, ohne lange zu überlegen.

44 Marianne Sydow

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In der schleimigen Oberfläche hatte sicheine Beule gebildet. Sie öffnete sich mit lei-sem Schmatzen, und eine gelbliche Flüssig-keit spritzte daraus hervor. Der dünne Strahltraf die Stelle, an der ich Sekunden vorhernoch gestanden hatte. Der Bodenbelag, derselbst auf die Energieschüsse nicht reagierthatte, kräuselte sich und begann zu kochen.Ein fremdartiger, stechender Geruch stiegauf.

Ich zielte auf die nächste Beule. Das Vo-lumen des Gestaltwandlers war jetzt jedochgeringer, und die Energie des Schussesreichte nicht aus, um ihn zu verletzen. Im-merhin gelang es mir, die Absonderung ei-nes weiteren Säurestrahls zu verhindern.

Im Augenblick konnten weder Nove nochwir dem Kampf eine entscheidende Wendegeben. Mit dem Impulsstrahler hielt ich dieKugel in Schach, aber Fartuloon durfte esnicht wagen, sich diesem säurespeiendenUngeheuer so weit zu nähern, daß er dasSkarg einzusetzen vermochte. Andererseitswaren die Säurestrahlen die einzige Vertei-digungsmöglichkeit dieses Wesens.

Minutenlang blieb es bei diesem Unent-schieden, dann wurde die Situation brenzlig.Die Waffe in meiner Hand begann sich zuerhitzen. Wenn es so weiterging, brauchteScolaimon Nove gar kein Risiko mehr ein-zugehen.

Gerade noch rechtzeitig trat eine Verän-derung ein. Die Bildung neuer Blasen unter-blieb. Die schleimige Kugel pulsierte hek-tisch und kroch unter sichtlicher Anstren-gung in die Richtung des nächsten Korri-dors.

Fartuloon raste mit erhobenem Schwerthinterher. Ich wollte ihn warnen, aber derBauchaufschneider hatte die Kugel bereitserreicht. Mit wuchtigen Schlägen drang erauf das Wesen ein. Die Kugel pulsierte nochheftiger und verdoppelte ihre Bemühungen,sich durch die Flucht in Sicherheit zu brin-gen. Aus einem unerfindlichen Grunde ver-zichtete Nove darauf, sich zu verwandeln.

Ich konnte im Augenblick nichts weitertun, als wachsam zu bleiben. Der Griff des

Strahlers war fast unerträglich heiß, meineHand schmerzte, aber ich zwang mich, dieWaffe nicht fallen zu lassen.

Fartuloon brauchte meine Hilfe jedochnicht. Anfangs prallte das Skarg von der ela-stischen Haut der Kugel ab, aber ScolaimonNove war am Ende seiner Kräfte. Das Pul-sieren ließ nach, und gleichzeitig erschienendie ersten klaffenden Wunden.

Verbissen führte der Bauchaufschneiderden Kampf weiter. Ich mußte mich zusam-menreißen, um ihn nicht von dem jetzt prak-tisch wehrlosen Gestaltwandler zurückzu-treiben. Alles in mir sträubte sich gegen die-ses sinnlose Abschlachten eines Wesens,daß zu einem wertvollen Verbündeten hättewerden können. Gab es denn wirklich keineMöglichkeit, eine Verständigung herbeizu-führen?

Nein, sagte das Extrahirn. Sobald Novesich erholt hätte, würde er seine Angriffefortsetzen. Mit Vernunft erreichst du bei ihmnichts mehr.

Noch einmal bäumte der Gestaltwandlersich gegen das Ende auf. Fartuloon stießeinen Schmerzenslaut aus, als aus einer derWunden ein scharfer Dorn hervorschoß undihm den Handrücken aufriß. Als Reaktionauf den plötzlichen Schmerz stieß er dasSkarg mit einem Ruck vorwärts, und dies-mal traf er den zentralen Nervenpunkt diesesunbegreiflichen Wesens. Die Kugel sank insich zusammen. Der Bauchaufschneidersprang hastig zurück. Nove stieß einen kla-genden Laut aus, dann erklang ein irres Ki-chern, das sich in vielfachem Echo an denWänden der Halle brach.

»Hölle und Dämonen!« keuchte Fartuloonentsetzt.

Das Kichern brach abrupt ab. Die Kugelzerfloß zu einer schleimigen Masse, und einunerträglicher Ge stank ließ uns zurückwei-chen. Aus sicherer Entfernung beobachtetenwir die Überreste Scolaimon Noves bis wirsicher waren, daß aus dieser übelriechendenSchleim kein neue Wesen hervorwachsenkonnte.

Der Weg ins Innere der Station war end-

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Page 46: Station der Geister

lich frei.

10.

Wir wählten den Gang aus, der die direkteVerlängerung zu der Schleusenröhre darstel-len mußte. Es war uns klar, daß wir vielGlück brauchten, um in dieser riesigen Stati-on die Zentrale zu finden, aber wir mußtendas Risiko eingehen. Klinsanthor meldetesich nicht, und das Beiboot gab uns auf sei-ne Weise zu verstehen, daß unser Aufenthaltin der Halle nicht mehr erwünscht war. Alswir vor den nahrungsspendenden Automatentraten, öffnete sich zwar die Klappe, aber diekleinen Robotbehälter blieben diesmal aus.Statt dessen klapperten zwei Plastikpäck-chen in die Auffangschale.

»Konzentrate und Wassertabletten«,knurrte Fartuloon enttäuscht, nachdem erden Inhalt besichtigt hatte. »Das ist also un-sere Marschverpflegung.«

Schweigend schritten wir vorwärts. Wirhatten uns fest vorgenommen, stur auf die-sem Hauptgang zu bleiben, um notfalls denRückweg finden zu können, aber dieser guteVorsatz erwies sich als restlos überflüssig.Es gab keinen Seitengang. Jedenfalls sahenwir keinen. Natürlich mußte es Querverbin-dungen geben, denn Scolaimon Nove hattemühelos von einem Korridor in den anderenhinübergewechselt. Aber das Geheimnis warwohl zu hoch für uns, denn selbst als wir dieWände millimeterweise untersuchten, ent-deckten wir nichts. Der Belag war grau undfugenlos, es gab keinerlei Unregelmäßigkei-ten.

Nach ungefähr fünf Stunden ließen wiruns erschöpft auf dem Boden nieder undgönnten uns eine kurze Pause.

»Da stimmt doch etwas nicht«, murmelteFartuloon ratlos. »Die Station ist zwar riesig,aber wir haben inzwischen mindestenszwanzig Kilometer zurückgelegt. Im Kreiskönnen wir nicht gegangen sein, sonst hättenwir längst in der Halle landen müssen.«

Vergeblich wartete ich auf eine superklu-ge Bemerkung des Extrahirns. Der aktivierte

Gehirnteil schwieg sich aus.»Mir erscheint es ziemlich sinnlos, ein-

fach weiterzulaufen«, sagte ich. »Damit er-reichen wir gar nichts, wir verschwendennur unsere Kräfte. Ich schlage vor, daß wirdie Wände noch einmal ganz genau untersu-chen. Irgendwo muß es Kontakte geben, ir-gend etwas, womit man einen Durchgangschaffen kann. Wenn wir wieder nichts fin-den, kehren wir um.«

Unsere Suche blieb erfolglos. Ich klopftemit dem Griff des Impulsstrahlers den Bo-den ab, aber wenn es dort Hohlräume gab,dann war die Zwischendecke zu dick, alsdaß man sie durch eine Klangveränderungaufspüren konnte.

»Also gut«, knurrte der Bauchaufschnei-der wütend. »Kehren wir um.«

Wir gingen kaum zwei Minuten, dann lagwie hingezaubert die Halle vor uns. Anfangszweifelten wir daran, daß wir wirklich wie-der am Ausgangspunkt unserer Suche wa-ren, aber die stinkenden Überreste Scolai-mon Noves beseitigten alle Unklarheiten.Immerhin hatte sich während unserer Abwe-senheit doch etwas verändert: Das Beibootwar verschwunden.

Fartuloon gab fast sein gesamtes Reper-toire an Flüchen zum besten. Als er sichendlich beruhigte, deutete ich wortlos aufden nächsten Korridor.

»Versuchen können wir es immerhin.«Fartuloon folgte mir mißmutig. Er war in-

zwischen davon überzeugt, daß wir einenriesigen Fehler gemacht hatten, als wir unsin die Gewalt des Magnortöters begaben. Ichdagegen wollte einfach nicht glauben, daßKlinsanthor uns feindlich gesinnt war. Erhätte uns töten können. Wenn er es nicht ge-tan hatte, mußte er seine Gründe haben.

Orbanaschol, behauptete das Extrahirnsofort. Du kennst seine Forderungen. Er willdeinen Kopf. Klinsanthor teilte euch mit,daß die Bedingungen noch nicht erfüllt sind.Falls Orbanaschol seine Schulden dochnoch bezahlt, wird auch Klinsanthor sich anden Vertrag halten. Es ist für ihn einfacher,dich bis dahin in der Station festzuhalten. Er

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braucht dich nicht erst zu suchen.Die emotionslose Logik dieses lautlosen

Partners hatte mich schon oft zur Weißglutgereizt.

Darf ich dich daran erinnern, daß deineExistenz mit der Unversehrtheit meinesSchädels verbunden ist? fragte ich in Gedan-ken sarkastisch.

Ich existiere nicht in diesem Sinne, gabder Logiksektor gelassen zurück.

Ich merkte, daß Fartuloon mich neugieriganstarrte und biß die Zähne zusammen. Aufkeinen Fall durfte ich dem Bauchaufschnei-der mitteilen, welche Vermutungen das Ex-trahirn anstellte. Außerdem war ich nachwie vor der Ansicht, Klinsanthor müssenoch ein anderes, positives Motiv für seinVerhalten haben. Er hatte eine Chance er-wähnt.

Der Bauchaufschneider blieb plötzlichstehen.

»Jetzt sind wir ungefähr zehn Minutenlang unterwegs«, sagte er. »Es ist genau das-selbe wie in dem anderen Gang.«

Wortlos kehrte ich um. Nach fünfzigSchritten stand ich in der Halle. Ich drehtemich um. Fartuloon war etwas zurück ge-blieben. Ich sah ihn heranstapfen, und plötz-lich hatte ich eine Idee.

»Es muß ein Zeitfeld sein«, sagte ich.»Erinnerst du dich an den Planeten, auf demwir Vorry gefunden haben?«

»Du meinst die Zonen des Schweigens,die diese gräßlichen Zwillinge errichtet hat-ten. Ja, ich erinnere mich sehr gut. Aberzweifellos haben wir uns in den Gängen nor-mal bewegt. Es sei denn – aber das wäreWahnsinn …«

»Woran denkst du?«»Wenn es wirklich Zeitfelder sind, dann

haben wir keine Kontrolle darüber, wie lan-ge wir in Relation zu unseren normalen Ver-hältnissen da drin gesteckt haben. Theore-tisch wäre alles denkbar. Es könnten einpaar tausend Jahre vergangen sein …«

»Das ist reine Theorie«, unterbrach ichmeinen Pflegevater hastig. Ich entschloßmich, ihm nun doch zu berichten, was das

Extrahirn zu Klinsanthors Motiven meinte.»Wenn es so ist – und dieses Ding hat leiderschon viel zu oft recht behalten -,dann wäreder Handel zwischen Orbanaschol undKlinsanthor längst bereinigt. Ich habe mei-nen Kopf noch.«

»Das ist …«Ehe Fartuloon dazu kam, weitere Speku-

lationen anzustellen, fiel mir zum Glück einnoch viel deutlicherer Beweis dafür ein, daßwir alles andere als eine mittlere Ewigkeit inden Gängen verbracht hatten. Ich zeigte aufdie große Pfütze aus stinkendem Schleim,die sich kaum verändert hatte.

»Sieh dir das an. Einen besseren Hinweisgibt es doch gar nicht. In den Gängen pas-siert etwas ganz anderes. Wir wurden durchirgendein Kraftfeld in einen schnellerenZeitablauf versetzt. Darum konnten wir auchNove nicht entdecken, solange er sich in denGängen aufhielt. Er bewegte sich so schnell,daß er für uns unsichtbar wurde.«

Fartuloon nickte nachdenklich.»Das ist eine gute Erklärung, und wir

können es jederzeit nachprüfen. Aber dafehlt noch etwas. Wir haben uns stundenlangin diesem Feld bewegt, ohne einen Schrittvoranzukommen. Nove dagegen muß dieentsprechende Zone durchstoßen haben. In-nerhalb des Bereichs, in dem das Feld wirk-sam ist, gibt es keine Querverbindung zuden anderen Korridoren.«

»Schade, daß er uns das Geheimnis derGänge nicht mehr verraten kann. Nun müs-sen wir selbst sehen, wie wir mit dieserSperre fertig werden. Irgendwo muß eseinen Kontakt geben, mit dem das Feldkurzfristig ausgeschaltet wird.«

Fartuloon zückte mit grimmiger Mienedas Schwert.

»Ich habe keine Lust, mich auf ein länge-res Rätselraten einzulassen. Unser Vorrat anKonzentraten reicht nicht mehr lange. Dubleibst hier. Nach jedem Schritt sagst dumir, ob ich das Feld bereits erreicht habeoder nicht. Und dann werde ich dem Dingmal kurz auf den Zahn fühlen!«

Mit gemischten Gefühlen sah ich dem

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Bauchaufschneider nach. Klinsanthor würdesicher nicht erfreut sein, wenn wir die tech-nischen Einrichtungen seiner Station demo-lierten.

Seiner Station? fragte das Extrahirn spöt-tisch. Der Magnortöter mag allerhand fertigbringen, aber der Bau eines so riesigen Ge-bildes dürfte ihn überfordern.

Nach dem zehnten Schritt war Fartuloonverschwunden.

»So«, sagte er zufrieden, als er wiederauftauchte. »Jetzt müssen wir den Projektorfinden.«

Wir suchten die Wand im Grenzbereichab und entdeckten tatsächlich einen haarfei-nen Riß in der rechten Wand. Falls es andieser Stelle ein Gerät zur Erzeugung diesesseltsamen Feldes gab, dann mußte es dahin-ter verborgen sein. Ich begann, den Riß mitder Messerklinge zu untersuchen, aber Far-tuloon schob mich ungeduldig zur Seite. Ichzog mich vorsichtig ein Stück zurück.

Das Skarg berührte den Riß. Um die Klin-ge bildete sich ein bläulich flimmerndesFeld. Winzige Entladungen zuckten zwi-schen der Spitze des Schwertes und derWand. Es knisterte unheimlich, dann gab eseinen dumpfen Knall, und aus dem Rißdrang ein dünner Rauchfaden. Fartuloon tratzurück und nickte zufrieden.

»Versuchen wir es mal«, murmelte er undüberschritt die Grenzlinie. Er sah sich um.

»Du hast es geschafft«, nickte ich.»Worauf wartest du dann noch?«Auf den ersten Blick schien sich in dem

Gang kaum etwas verändert zu haben. Aberals wir nur wenige Schritte zurückgelegt hat-ten, verwandelte sich plötzlich unsere Um-gebung.

*

Es war ein friedliches Bild. Eine leicht ge-wellte Fläche dehnte sich vor uns aus. Einsanfter Wind strich über die hohen Grashal-me und trug den Duft unzähliger Blüten her-an. Vereinzelt stehende Bäume und blühen-de Buschgruppen erweckten den Eindruck,

in einem großen Park zu stehen. Irgendwoplätscherte Wasser.

»Eine neue Illusion?« fragte ich leise.Fartuloon schüttelte stumm den Kopf und

deutete zur Seite. Direkt an der Wand standeine Hütte. Sie war ungeschickt zusammen-gebastelt und machte einen wenig anziehen-den Eindruck. Auf ihrer rechten Seite türmtesich ein Haufen aus Abfällen, daneben gabes ein paar unordentliche Beete. Wir gingennäher heran und rümpften die Nasen, als wirden Gestank bemerkten.

»Scolaimon Nove«, sagte Fartuloon ver-ächtlich. »Wie auch immer er in seiner wah-ren Gestalt ausgesehen haben mag, ein ord-nungsliebendes Wesen war er nicht.«

Auf den Beeten wuchsen die unterschied-lichsten Pflanzen wild durcheinander. Zer-brochene Geräte, meistens aus Holz ge-schnitzt, lagen auf den Wegen. Wir sahen indie Hütte hinein. Sie war direkt an einen derDurchgänge gebaut worden. Von seinem La-ger aus hatte der Gestaltwandler alles beob-achten können, was in der Halle geschah.Auch hier drin stank es entsetzlich, und diespärliche Einrichtung starrte von Dreck.

Angewidert zogen wir uns zurück.»Eine aufwendige Anlage«, murmelte

Fartuloon und meinte damit natürlich nichtdie Hütte, sondern diesen Park. »Ich bin ge-spannt, welche Überraschungen diese Stati-on uns sonst noch bieten wird.«

Ich dachte an die Bemerkung des Extra-hirns und erzählte dem Bauchaufschneiderdavon.

»Ich glaube auch nicht, daß Klinsanthordas alles gebaut hat«, nickte Fartuloon.»Diese Station war gewiß nicht nur für eineinzelnes Wesen bestimmt. Der Magnortöterdürfte sie irgendwann übernommen haben.«

»Aber von wem?«»Was fragst du mich? Wir wissen doch

inzwischen, daß es lange vor der Gründungdes Großen Imperiums eine Menge hochent-wickelter, raumfahrender Zivilisationen gab.Irgendein Volk, das wahrscheinlich längstuntergegangen ist, hat die Station gebaut,und wir müssen nun zusehen, wie wir in die-

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sem Labyrinth den Magnortöter finden.«Hinter uns lag die Wand, vor uns dehnte

sich die Parklandschaft scheinbar unendlichweit aus. Das mußte eine Täuschung sein,aber die Erfahrung mit den Gängen hatte unsgelehrt, daß die Tricks der fremden Erbauerdieser Station nicht so leicht zu durchschau-en waren.

»Wir könnten einfach an der Wand ent-langgehen«, schlug ich vor. »Irgendwo mußes ja einen Zugang zum inneren Teil der An-lage geben.«

»Zweifellos. Und was machst du, wenndiese Parklandschaft sich ringförmig um dieganze Station herumzieht?«

»Also geradeaus«, seufzte ich resignie-rend.

Wir fanden einen Bach, der in die entspre-chende Richtung floß und marschierten anihm entlang. Es war angenehm warm, undaus dem Pseudohimmel brannte die künstli-che Sonne herab. Man konnte durchaus ver-gessen, daß dies nur ein Teil einer techni-schen Anlage war.

Nach einigen Minuten sah ich mich um.Überrascht blieb ich stehen.

Die Hütte des Gestaltwandlers war ver-schwunden. Auch die Wand konnte ich nichtmehr sehen. In der Richtung, aus der wir ge-kommen waren, erstreckte sich dieselbescheinbar endlos weite Parklandschaft, wiewir sie vor uns sahen.

»Also wieder ein Trick«, knurrte Fartu-loon. »Verdammt, ich möchte wissen, wasdas alles soll! Wenn Klinsanthor uns hier-hergeholt hat, könnte er doch wenigstens dieGüte haben, uns den Weg zu zeigen!«

Ratlos sahen wir uns an. Es schien absolutsinnlos zu sein, in der alten Richtung weiter-zugehen. Die Parallele zu den Ereignissen inden blaßgelben Gängen war nur zu deutlich.Wahrscheinlich waren wir wieder in den Be-reich eines dieser komischen Felder geraten.

»Scolaimon Nove ist sicher nicht ohneGrund in der Nähe der Halle geblieben«,sagte ich. »Klinsanthor wird sich abgesicherthaben.«

»Mit anderen Worten: Wir sitzen fest.

Wir können zurückgehen, dann landen wirwieder bei der Hütte. Oder wir laufen wei-ter, bis wir vor Erschöpfung zusammenbre-chen.«

»Das alles kommt mir unlogisch vor. Esmuß doch irgendeine Möglichkeit geben,von der Schleuse in die Station zu kommen.Warum sollte das Beiboot uns sonst dort ab-gesetzt haben!«

»Es gibt nur eine Erklärung: Klinsanthorhat uns hereingelegt. Wir sind in die Fallegegangen.«

»Unsinn. Um jemanden in eine solchePhantasiewelt zu sperren, holt man ihn dochnicht extra von einem weitentfernten Plane-ten ab.«

»Dein Extrahirn hat dir die Erklärungdoch schon gegeben«, knurrte Fartuloon wü-tend. »Du bist nur zur Aufbewahrung be-stimmt. Meine Anwesenheit ist reiner Zu-fall.«

Ich schwieg. Es hatte keinen Sinn, dar-über zu diskutieren.

Wir gingen bedrückt am Bach entlang zu-rück, aber wir stellten bald fest, daß wir dieEntscheidung zu lange hinausgezögert hat-ten. Obwohl wir uns immer neben dem Was-ser hielten, fanden wir die Hütte nicht wie-der. Nach einigen Minuten deutete Fartuloonschweigend auf den Bach. Ich mußte zwei-mal hinsehen, ehe ich begriff. Das Wasserfloß in die verkehrte Richtung.

»Wir gehen im Kreis herum«, sagte derBauchaufschneider bitter. »Wir merken esnicht, aber wir sitzen in einem unsichtbarenKäfig.«

Wir versuchten, die Grenze zu bestim-men, die Stelle, an der das Wasser seineRichtung änderte, aber ehe uns das gelang,wurde es plötzlich dunkel.

»Jetzt haben die uns auch noch das Lichtausgedreht!« schimpfte der Bauchaufschnei-der neben mir.

Ich tastete mich zu ihm heran. Die Fin-sternis war vollkommen. Wir wagten esnicht, auch nur einen Schritt zu tun, denn eswar nicht gesagt, daß unsere Umgebung sichnicht radikal verändert hatte.

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»Merkst du es auch?« flüsterte Fartuloonnach einer Weile. »Der Wind ist weg. Da,jetzt hört man den Bach auch nicht mehr.«

Ich bückte mich vorsichtig und tastete denBoden neben meinen Füßen ab. Keine Spurmehr von Gras oder Steinen. Ich berührte ei-ne glatte, leicht elastische, kühle Fläche.

»Ein Transportfeld?« murmelte ich.»Wenn es eines ist, dann verstehe ich

nicht, warum es keine Beleuchtung gibt.«»Vielleicht sollten wir nach einem Schal-

ter suchen.«»Halt! Rühr dich nicht von der Stelle. Ich

habe die unbestimmte Ahnung, als ob dassehr unangenehme Folgen haben wird!«

Die totale Dunkelheit und das Fehlen vonGeräuschen machten mich nervös. Je längerdieser Zustand anhielt, desto stärker wurdeder Wunsch, einfach loszurennen, um die-sem Gefängnis zu entkommen. Minuten ver-gingen, und nichts änderte sich. Selbst derLogiksektor schwieg. Und als dann endlichetwas geschah, kam es so plötzlich, daß wirhinterher nicht wußten, was mit uns passiertwar. Auf einmal war die Dunkelheit aufge-rissen, und wir fielen in einen erleuchtetenSchacht, immer tiefer, einem glutroten Fleckentgegen, aus dem lange Flammen züngel-ten. Aber auch das erwies sich als eine Illu-sion, denn noch ehe wir die Flammen er-reichten, prallten wir hart auf, und dannstanden wir in einer Halle.

Im ersten Moment glaubte ich, wir wärenwieder einmal am Ausgangspunkt unsererWanderung angelangt. Dann entdeckte ichUnterschiede. Hier gab es mehr beleuchteteEingänge, und über einigen davon warenfremdartige, für uns unverständliche Hin-weistafeln angebracht.

Wir waren endlich unserem Ziel näherge-kommen.

Eine kleine, blauleuchtende Kugel löstesich von der Wand, schwebte auf uns zu undblieb kurze Zeit vor uns in der Luft hängen.Dann flog sie langsam zu einem Korridor,hielt plötzlich an und kehrte zurück. Nach-dem die Kugel das dreimal getan hatte, ka-men wir auf den Gedanken, es handele sich

um einen Wegweiser. Tatsächlich führte unsdie Kugel kreuz und quer durch viele Gänge,bis wir einen einigermaßen gemütlich einge-richteten Raum erreichten.

Wir waren so müde, daß wir uns wortlosauf die weichen Lager warfen und soforteinschliefen.

*

»Wach endlich auf, du Schlafmütze!«sagte Fartuloon und rüttelte mich an derSchulter.

Ich richtete mich benommen auf undglaubte zuerst, immer noch zu träumen. DasZimmer war hell erleuchtet. Eine Tür warhalb geöffnet, und dahinter sah ich etwas,was sich bewegte.

»Ein Roboter«, erklärte Fartuloon, dermeine Blicke bemerkt hatte. »Er bringt dasFrühstück. Nebenan kannst du dich wa-schen.«

Das war untertrieben. Die Hygienekabineverfügte über alle Einrichtungen, die dazugeeignet waren, mich wieder fit zu machen.Als ich nach etwas über einer halben Stundein meine frisch gereinigten Kleider schlüpf-te, fühlte ich mich wie neugeboren. Daskräftige Frühstück ließ den Rest von Er-schöpfung verfliegen. Tatendurstig sah ichmich um.

»Erstaunlich«, murmelte Fartuloon undverzehrte den Rest einer saftigen, sehr wohl-schmeckenden Frucht. »Mit einer solchenBewirtung habe ich nicht gerechnet. Womag der Gastgeber stecken?«

»Wir sollten ihn suchen.«Der Bauchaufschneider schüttelte sich.»Eigentlich habe ich genug von der Her-

umlauferei. Warum warten wir nicht einfachab? Klinsanthor wird sich schon melden …«

»Zweifellos wird er das tun. Ich rechneauch gar nicht damit, daß wir ihn finden,wenn er es nicht will. Abgesehen davon, daßer sich uns wohl kaum zeigen wird. Aber dieStation interessiert mich. Wir befinden unsjetzt offensichtlich in einem Sektor, dernoch voll funktionsfähig ist. Vielleicht ent-

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decken wir eine Spur, die auf die Erbauerhinweist.«

»Daß du doch niemals ein paar Minutenstillsitzen kannst!« schimpfte der Bauchauf-schneider, aber er meinte es nicht ernst. Ichsah ihm an, daß er genauso ungeduldig warwie ich. Sein zerbeulter Brustpanzer war aufHochglanz poliert, sein schwarzer Bartfrisch gebürstet, und seine Augen funkeltenunternehmungslustig.

Wir steckten unsere kümmerlichen Be-sitztümer ein und verließen die Kabine. DieTür war nicht verschlossen, der Gang drau-ßen absolut leer. Selbst der Roboter, der unsdas Essen gebracht hatte, war verschwun-den.

Langsam durchschritten wir den Gang,entdeckten rechts und links ein paar Türenund sahen in die darunterliegenden Räume.Sie waren alle verschieden ausgestattet. Esschien, als hätte man mit der Notwendigkeitgerechnet, die verschiedenartigsten Wesenhier unterzubringen. In einem Zimmer standein riesiges Bassin mit stinkendemSchlamm, in einem anderen wallten gelbli-che Nebel, die nach Chlor stanken. Wir zo-gen uns hastig zurück und sahen uns an.

»Klinsanthor nimmt wohl an, daß soziemlich jede intelligente Rasse ihn irgend-wann rufen würde«, brummte Fartuloon. »Erist jederzeit bereit, seine Dienste anzubieten– und dafür zu kassieren.«

»Aber das hier sieht nicht nach einem Ge-fängnis aus.«

»Dann sind es eben Warteräume. Waswissen wir schon von diesem Fremden.«

Wir erreichten die runde Halle. Nachdemwir uns vergewissert hatten, daß wir denRückweg finden würden, überlegten wir,welchen der vielen Gänge wir als nächstesuntersuchen sollten. Die Hinweisschilderhalfen uns nicht weiter, und diesmal ließsich auch keine leuchtende Kugel sehen.Überhaupt wirkten die Gänge nun wiedervöllig verlassen.

»Wir gehen systematisch vor«, bestimmteFartuloon. »Einen Gang nach dem anderen.Wonach suchen wir eigentlich?«

Ich wußte es selbst nicht. Eine innere Un-ruhe trieb mich weiter. Ich war ungeduldigund nervös, als fürchtete ich, ein wichtigesEreignis zu verpassen.

Wir hatten den ersten Gang kaum betre-ten, da schossen mehrere Kugelroboter aufuns zu. Sie pfiffen und heulten in allen Ton-lagen durcheinander. Hastig wichen wir zu-rück. Ich zog den Strahler, und Fartuloonzückte sein Schwert, denn es sah gar nichtso aus, als hätten diese Kugeln friedlicheAbsichten. Sie hielten einige Meter vor unsan und ordneten sich zu einer regelrechtenMauer. Langsam kamen sie näher.

Wir verständigten uns mit einem kurzenBlick und wichen zurück. Es hatte keineSinn, die Roboter zu provozieren. Sie warenin der Übermacht. Mit unseren unzureichen-den Waffen hatten wir keine Chance gegensie.

Aber wir kamen nicht weit.»Zurück!« rief eine dumpfe. Stimme hin-

ter der Mauer aus metallenen Kugeln.Die Roboter gehorchten. Sie pfiffen kurz,

drehten ab und waren binnen Sekundenspurlos verschwunden. Verblüfft starrten wirden Mann an, der mitten im Gang stand unduns zuwinkte. Es war ein Arkonide – jeden-falls sah er so aus.

»Das wird doch nicht etwa …«»Scolaimon Nove ist tot«, erinnerte ich

den Bauchaufschneider.»Und wenn er nicht der einzige Gestalt-

wandler in dieser Station war?«»Ich grüße euch!« sagte der Fremde und

kam langsam auf uns zu. Er sprach Altarko-nidisch. Im Gegensatz zu Scolaimon Novetrug er keine Uniform, sondern ein loses Ge-wand aus einem schillernden, ständig dieFarben wechselnden Stoff. Er sah fast ju-gendlich aus, nur seine Augen wirkten uralt.

»Wer sind Sie?« fragte Fartuloon miß-trauisch, das Skarg in der Hand.

»Mein Name ist Gharto, aber dieser Namewird euch nichts bedeuten. Es ist auch un-wichtig. Ich soll euch führen.«

»Wohin?«»An euer Ziel.«

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»Wir haben keine Zeit.«Gharto sah Fartuloon erstaunt an.»Mir wurde etwas anderes berichtet«, sag-

te er verwirrt. »Ich muß meine Aufgabe er-füllen. Kommt!«

Er drehte sich um und entfernte sich, abernach ein paar Metern merkte er, daß wir ihmnicht folgten. In einer Mischung von Unge-duld und Erstaunen starrte er uns an undvollführte eine Geste, deren Sinn für uns un-verständlich war. Die Roboter begriffen da-für um so besser. Wie ein Schwarm von zor-nigen Insekten rasten sie aus ihren Ver-stecken hervor.

»Kommt!« sagte Gharto wieder.Die Kugeln umgaben uns von allen Sei-

ten. Als wir uns weigerten, dem Fremden zufolgen, rückten sie näher. Ihr Leuchten wur-de stärker, und mein rechtes Bein hob sichohne mein Zutun.

Neben mir fluchte Fartuloon. Er versuchtedas Skarg zu heben, aber sein Arm gehorch-te ihm nicht.

»Was hat dieser Kerl mit uns vor?«keuchte er. »Das ist doch bestimmt wiedereine Falle!«

Gharto, der irgendwo jenseits der Hülleaus Kugeln steckte, die uns unerbittlich vor-wärtstrieben, kicherte schrill. Mir sträubtensich die Haare. Gab es in dieser Station ei-gentlich nur Wahnsinnige?

»Wir sind gleich da«, verkündete der Ar-konide. »Die erste Zeit ist am schlimmsten,aber ihr gewöhnt euch schnell ein. Ihr habtviel Zeit, unendlich viel Zeit. Manchmal istes ein bißchen langweilig, aber ab und zu er-haltet ihr Gesellschaft. Ich würde euch aberraten, auf der Hut zu sein. Die meisten, diehier eintreffen, sind nicht mehr normal. Mandarf ihnen nicht trauen.«

»Wem sagt er das eigentlich?« knurrteFartuloon wütend. »Verstehst du, was derBursche meint?«

»Er ist verrückt«, gab ich gelassen zurück.»Er denkt, er wäre eine Art Aufseher. Wahr-scheinlich will er uns in diese komischeSteppe zurückschicken.«

Die Roboter schoben uns weiter, dann wi-

chen die vordersten zurück. Vor uns gähnteein Schacht. Gharto stand neben dem Ein-stieg und lächelte freundlich.

»Dort unten warten die anderen aufeuch!« verkündete er. »Ich wünsche euchviel Glück. Ihr habt zwar das ewige Lebenerrungen, aber ihr seid immer noch verletz-bar. Wehrt euch also!«

Der Schacht war sehr tief. Von unten zün-gelten Flammen herauf. Das Bild kam unsnur zu bekannt vor, und wir konnten nichtdarauf rechnen, noch einmal im letzten Au-genblick gerettet zu werden.

Fartuloon warf sich zur Seite, in dem Ver-such, den Alten zu packen. Ich fuhr gleich-zeitig herum und schoß auf die Roboter, dieuns so dicht vor dem Ziel nicht mehr so auf-merksam beobachteten. Ein paar Kugelnplatzten auf, brennende Trümmerstücke flo-gen uns um die Ohren. Gharto kreischte inden höchsten Tönen und trat nach Fartuloon,traf den Bauchaufschneider aber nicht. Dieschmale Plattform, die uns von dem grauen-haften Schacht trennte, verwandelte sich inden Schauplatz eines kurzen, aber erbittertenKampfes.

Dann hatten die Kugeln erkannt, daß wirnicht gewillt waren, uns freiwillig in unserSchicksal zu ergeben. Ohne einen Befehl ih-res Herrn abzuwarten, sandten sie ihre glü-henden Lichtstrahlen aus und zwangen unsSchritt für Schritt auf die Öffnung zu. Imletzten unbewachten Augenblick schleuderteFartuloon das Schwert. Gharto wurde vonder scharfen Klinge durchbohrt, aber dasschien diesem unheimlichen Kerl gar nichtsauszumachen. Er lächelte friedlich und kam– das Skarg in der Brust – auf uns zu.

Der letzte Schritt. Wir glaubten, die Hitzeder Flammen zu spüren, dazu einen stechen-den Geruch, und wir stemmten uns mit allerKraft gegen den Zwang, der von den Robo-tern ausging. Umsonst. Ich merkte, wie meinBein sich hob, über dem Nichts schwebte.Die nächste Sekunde mußte das Ende brin-gen.

Ein hallender Gongschlag ließ mich zu-sammenzucken. Ich verlor das Gleichge-

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wicht und merkte, daß ich fiel. Instinktivwarf ich mich nach hinten und krallte michirgendwo fest. Meine Beine hingen imSchacht, und meine Fußsohlen wurden un-angenehm heiß.

Verbissen zog ich mich weiter auf diePlattform hinauf. Ich sah mich kaum um,merkte nur, daß auch Fartuloon sich nochhatte festhalten können und genau wie ichversuchte, festen Boden unter die Füße zubekommen. Ich schaffte es zuerst und warfeinen kurzen Blick auf die Umgebung –Gharto und seine Roboter waren verschwun-den. Einige Meter weiter lag das Schwertauf dem Boden. Die Klinge glänzte, keineSpur von Blut klebte daran.

Ohne mein Zeit mit irgendwelchen Über-legungen zu verschwenden, wandte ich michdem Bauchaufschneider zu und half ihm aufdie Plattform. Fartuloon richtete sich schweratmend auf, lief zu seinem Skarg und sahsich kampfbereit um.

»Ihr seid nicht allein!«Es war die Stimme, die wir auf dem Flug

zu dieser Station gehört hatten.»Klinsanthor!« schrie Fartuloon wütend.

»Was soll das alles bedeuten?«Nichts.»Nun«, murmelte Fartuloon, der sich nur

langsam beruhigte, »immerhin sieht es soaus, als hätte der Magnortöter uns gerettet.Gharto und diese verflixten Kugeln ver-schwanden mit dem Glockenschlag.«

»Hast du dir dein Schwert angesehen?«Der Bauchaufschneider nickte grimmig.»Wir sind auf einen Geist hereingefallen.

Komm, ich möchte nicht noch länger an die-sem Schacht herumstehen.«

Nichts rührte sich in dem Gang. Als wirbereits die Halle vor uns sahen, bemerktenwir eine Tür, die offenstand. Unsere Ent-deckungsfreude hatte sich mittlerweile ge-legt, und so spähten wir nur kurz um dieEcke. Dann allerdings betraten wir denRaum doch.

Die Wände waren von Bildschirmen be-deckt. Dazwischen gab es fremdartige Be-dienungselemente. Zum erstenmal sahen wir

in der Station des Magnortöters einen Raum,mit dem wir wirklich etwas anfangen konn-ten. Es waren sogar einige Bildschirme inBetrieb. Sie zeigten die Sonnen der Umge-bung. Auf anderen zeichnete sich ein kugel-förmiger Gegenstand ab, der über der Ober-fläche eines Planeten schwebte. Ich brauchteSekunden, um das Bild zu verarbeiten.

»Die ISCHTAR!«Fartuloon trat näher und starrte verblüfft

auf den Schirm. Kein Zweifel, es war unserRaumschiff. Der Planet, dem es sich näher-te, war uns unbekannt. Wir erhaschten flüch-tige Bilder und gewannen den Eindruck, daßes dort große Städte geben müsse, aber ehewir Einzelheiten erkennen konnten, erloschder Bildschirm.

»Das kann nicht wahr sein«, stöhnte Far-tuloon. »Man kann doch nicht aus einer sol-chen Entfernung …«

Es knackte.»Eure Freunde werden ständig beobach-

tet!« teilte die knarrende Stimme uns mit.»Wo sind sie jetzt?« fragte ich aufgeregt.

»Was ist das für ein Planet, auf dem sie lan-den wollen? Können wir mit ihnen Verbin-dung aufnehmen?«

Keine Antwort.Ratlos sahen wir uns an. Hatte Klinsan-

thor den Kontakt schon wieder abgebro-chen? Dieser Fremde mußte unberechenbarsein. Seine Sprunghaftigkeit brachte michzur Verzweiflung. Warum gab er immer nurhalbe Erklärungen und Andeutungen vonsich?

»Klinsanthor!« sagte Fartuloon laut.»Hören Sie uns?«

»Ja.«»Können Sie uns zu unseren Freunden

bringen?«Wieder blieb es lange Zeit still.Du vergißt, welche Bedeutung du für den

Magnortöter hast, meldete sich in dieserZeit das Extrahirn. Er braucht dich, um denHandel mit Orbanaschol perfekt zu machen.Warum sollte er dich jetzt laufen lassen?

Ich antwortete nicht. Meine Hoffnung,ausgerechnet an diesem Ort Hilfe zu finden,

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kam mir selbst irreal vor. Aber KlinsanthorsHandlungen waren so undurchsichtig, daßich ihm beinahe alles zutraute. Dennoch ver-loren wir allmählich die Geduld. Als wir esaufgeben wollten, auf eine Antwort zu war-ten, knackte es wieder. Die knarrende Stim-me hallte unheimlich durch den großenRaum.

»Ich bin es müde, immer wieder gerufenund geweckt zu werden. Mein Leben ist ab-geschlossen – ich möchte schlafen und träu-

men. Vielleicht seid ihr in der Lage, michvon allem zu befreien. Wenn es euch ge-lingt, könnt ihr euch retten.«

Klinsanthor schwieg. Verwirrt starrtenwir die Bildschirme an und warteten. Wor-auf? Wir wußten es nicht.

ENDE

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