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Station der Geister

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Atlan -Der Held von Arkon

Nr. 236

Station der Geister

Atlan auf der Flucht - und in der Gewalt des Magnortöters

von Marianne Sydow

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Fein­de des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rück­schläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzuset­zen.

In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va­ters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegen Orbanaschol. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raum­schiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besatzungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden.

Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommen wurde, entpuppt sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimli­chen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR. Er zwingt sie erst, auf dem Planeten Ketokh zu landen, und dann, als seine Kolonisierungspläne sich nicht realisieren lassen, zwingt er sie wieder zum Start.

Atlan und Fartuloon werden dabei zurückgelassen. Die beiden Männer erreichen die STATION DER GEISTER …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Fartuloon - Die Gestrandeten der ISCHTAR werden abgeholt.Akon-Akon - Herr der ISCHTAR.Klinsanthor - Der Magnortöter fordert seinen Preis.Orbanaschol III. - Imperator von Arkon.Scolaimon Nove - Ein Gestaltwandler.

1.

Etwa fünf Meter unter uns breitete sich der Buschwald wie eine dichte, graugrüne Decke aus. Ab und zu stachen einzelne Stämme aus dem Gewirr der Zweige fast bis zu uns herauf. Fünfzig Meter weiter rechts glänzte das Wasser eines Flusses im Son­nenschein. Es war – wenn wir uns nicht gründlich verirrt hatten – jener Wasserlauf, der aus dem Tal kam, in dem die ISCHTAR noch immer stehen mußte.

Optimist! Ich ignorierte den Einwurf des Logiksek­

tors. Bewußt verdrängte ich jeden Gedanken daran, daß Akon-Akon inzwischen den Pla­neten Ketokh verlassen haben könnte. Vor­läufig hoffte ich noch, das Raumschiff recht­zeitig zu erreichen. Selbst die Tatsache, daß Gerlo Malthor und ich dann wieder dem psychischen Bannkreis des Jungen von Per­pandron unterlagen, war mir jetzt gleichgül­tig. Hauptsache, wir kamen von Ketokh weg.

Gerlo Malthor, ein korpulenter, sehr be­sonnener Mann, drückte die Flughöhe noch etwas herunter. Eine weite Flußschleife kam in Sicht.

»Geradeaus?« fragte er. »Oder umfliegen wir diesen Bereich?«

Nachdenklich musterte ich das Gelände. Der Fluß war hier sehr breit, das Land

flach und nahezu lückenlos vom Wald über­zogen. Wir rechneten nicht damit, verfolgt zu werden, waren aber trotzdem vorsichtig genug, um uns vom Wasser fernzuhalten.

Zwar wußten wir, daß die Julkas Land­fahrzeuge besaßen und ausgedehnte Raubzü­ge ins Landesinnere veranstalteten, aber die Wagen machten genug Krach und hielten

sich außerdem an die von ihnen gebahnten Schneisen. Sie würden wir auf jeden Fall rechtzeitig bemerken. Anders war es mit Eingeborenen, die den Fluß selbst als für sie ideales Transportmittel benutzten – ideal deshalb, weil sie sich beliebig lange im Wasser aufhalten konnten und wie die Fi­sche schwammen.

Andererseits hatten wir es eilig. Wir ka­men nur langsam voran, denn das eine Flug­gerät, das wir besaßen, mußte uns beide tra­gen. Die Flußschleife war riesig. Kilometer­weit dehnte sich die Landzunge aus. Sie war an einigen Stellen kaum hundert Meter breit.

»Geradeaus«, entschied ich. »Geben Sie mir den Impulsstrahler.«

Ich hing in einer Seilschlinge, die an Malthors Gürtel befestigt war. Der Naviga­tor reichte mir die Waffe und widmete sich dann der Aufgabe, uns möglichst schnell über das gefährliche Gelände zu bringen. Ich beobachtete sorgfältig die Umgebung und hielt die Waffe schußbereit. Die Julkas wa­ren keines von den Völkern, bei denen man sich auf lange Verhandlungen einlassen durfte. An sich mochten sie ganz friedlich sein, aber sie trugen Symbionten, über die sie mit den Gnohlen in Verbindung standen, und diese monströsen Wesen hatten für Fremde nichts übrig. Vielleicht hatten sie sogar erfahren, daß dank unserer Mitwir­kung einer der ihren gestorben war, so daß nun eine ganze schwimmende Stadt dem Einfluß der heimlichen Herrscher entzogen war.

Malthor ging so tief hinab, daß die ober­sten Zweige mich fast streiften. Gleichzeitig erhöhte er unsere Geschwindigkeit. Zwi­schen dem Buschwald und dem Wasser gab es nur einen schmalen Streifen sumpfigen Geländes. Dann schwebten wir über dem

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Fluß. Das Wasser unter uns war trübe. Pflan­

zenteile trieben mit der schwachen Strö­mung dem Meer entgegen. Ab und zu tauch­ten die dunklen Rücken riesiger Wasserbe­wohner auf und versanken seufzend wieder. Luftblasen stiegen hoch und zerplatzten un­ter uns.

»Schneller!« sagte ich nervös. Malthor schwieg. Er nutzte die Kapazität

des Fluggeräts bereits voll aus. Uns war nicht damit geholfen, wenn wir den Apparat überlasteten.

Das andere Ufer näherte sich scheinbar gar nicht. Ein schuppiger Kopf tauchte aus den schmutzigen Fluten, starre, rote Augen blickten zu uns hinauf, dann setzte das Tier sich in Bewegung und schwamm uns nach. Malthor drehte nervös den Schalter, und wir stiegen um ein oder zwei Meter. Gerade noch rechtzeitig, denn das Wesen unter uns hatte soeben beschlossen, sich diese fette Beute nicht entgehen zu lassen. Das Biest spuckte eine wahre Fontäne von Wasser nach uns. Sein breiter Schwanz peitschte wütend die Oberfläche auf, als es merkte, daß wir entkommen waren. Der breite Kopf hob sich erneut. Ich sah, wie ein silbern glänzender Kehlsack sich dehnte. Gleichzei­tig glitt das Tier mit ungeheurer Geschwin­digkeit näher an uns heran. Bevor es die nächste Ladung Wasser gegen uns einsetzte, schoß ich. Der Fluß brodelte an dieser Stelle auf, eine dicke Dampfwolke stieg auf und nahm uns sekundenlang die Sicht. Als wir diesen Bereich verlassen hatten, war von dem Tier nichts mehr zu sehen.

Falls noch andere Wasserbewohner mit dem Gedanken gespielt hatten, uns zu ver­speisen, so war ihnen nach diesem Ereignis wohl der Appetit vergangen. Wir erreichten endlich das Ufer, überflogen den schmalen Waldstreifen und sahen uns dann wieder dem Fluß gegenüber. Unsere Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und als wir endlich auch diese deckungslose Strecke hinter uns gebracht hatten, atmeten wir er­leichtert auf. Unsere Freude war verfrüht.

Marianne Sydow

Ich sah das Blitzen zwischen zwei rotblü­henden Büschen am Ufer und zielte. Aber ich erfaßte das Ziel zu spät.

Es krachte, dann heulte ein Geschoß durch die Luft. Malthor schlug einen Haken und steuerte in steilem Winkel eine Lücke zwischen den Zweigen an. Wenige Meter von uns entfernt explodierte das Geschoß. Metallfetzen flogen uns um die Ohren, Flammen loderten auf, und die Druckwelle schleuderte uns zur Seite.

»Runter!« schrie ich. Malthor reagierte schwerfällig. Er schien

Mühe zu haben, das Fluggerät unter Kon­trolle zu halten. Für einen Augenblick flo­gen wir sogar steil nach oben. In diesem Moment entdeckte ich die Julkas.

Es waren mindestens hundert. Sie mußten durch den Schuß auf das wasserspeiende Ungeheuer auf uns aufmerksam geworden sein und hatten sich bis zum letzten Moment unter den Zweigen verborgen gehalten. Jetzt rannten sie auf dem sumpfigen Uferstreifen umher. Wieder krachte es, und diesmal wa­ren es mehrere Geschosse. Aber inzwischen hatten wir durch Malthors unberechenbare Flugmanöver erneut die Richtung gewech­selt, und der Angriff der Fremden ging ins Leere.

Ich entdeckte ein Geschütz, das auf uns gerichtet wurde. Es widerstrebte mir, die Eingeborenen zu töten, denn ich wußte ja, daß sie für ihre Handlungen nur bedingt ver­antwortlich waren. Aber hier ging es um un­ser Leben.

Das Ziel hüpfte und tanzte vor meinem Augen. Die Druckwellen zahlreicher Explo­sionen in der Umgebung warfen uns hin und her. Aber es gelang mir wie durch ein Wun­der, die vorsintflutliche Kanone zu treffen. Sie explodierte mitten zwischen den Julkas und setzte auf diese Weise eine Anzahl von Gegnern außer Gefecht. Die anderen ließen sich dadurch nicht einschüchtern, sondern richteten ihre Handfeuerwaffen auf uns.

Mit Malthor schien etwas nicht zu stim­men. Wir hingen immer noch in der Luft. Bis auf die Ortsveränderungen, die die Ex­

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plosionen uns aufzwangen, bewegten wir uns kaum vorwärts. Noch waren wir im Schußbereich der Spitzköpfe. Wenn sie uns bis jetzt nicht getroffen hatten, dann lag das einzig und allein daran, daß ihre Waffen nicht gut genug waren. Aber allmählich wurde die Lage brenzlig. Man schoß sich auf uns ein.

Ich schrie den Navigator an, aber Malthor reagierte gar nicht. Zehn Meter neben uns schoß eine Stichflamme hoch. Die Äste fin­gen Feuer. Fetter Rauch stieg auf. Wieder traf uns eine Druckwelle. Ich sah einen et­was höheren Baum auf uns zukommen, zog den Kopf ein und fing mich mit Armen und Beinen an einem dicken Ast ab. Malthor blieb dicht über mir hängen. Atemlos zog ich mich näher an ihn heran. Jetzt erst sah ich das Loch in seinem Rücken.

In fliegender Hast befreite ich den Navi­gator aus den Zweigen, an denen er sich ver­fangen hatte. Eine neue Explosion ließ mei­ne Trommelfelle fast platzen. Unerträgliche Hitze hüllte mich ein, dann hatte ich Malthor gepackt und konnte mit der freien Hand sei­ne Gürtelschnalle erreichen. Dabei bemerkte ich, daß Malthor seinen Impulsstrahler nicht mehr trug.

Mit hoher Geschwindigkeit flog ich mit meinem bewußtlosen Begleiter aus der von Rauch erfüllten Zone hinaus. Schrille Pfiffe bewiesen, daß die Julkas uns wieder ent­deckt hatten. Ehe die Schüsse loskrachten, konnte ich noch einmal unsere Richtung än­dern. Dann brach die Hölle um mich herum aus. Es krachte, blitzte, heulte und pfiff. Flammen griffen nach mir, ein Zweig peitschte über mein Gesicht und hinterließ eine blutende Spur auf meiner Stirn. Ein scharfer Schmerz durchzuckte das linke Bein, aber ich biß die Zähne zusammen und verringerte weder unsere Geschwindigkeit, noch die Flugrichtung. Die Flucht nach un­ten, in die sichere Deckung der Zweige, war längst sinnlos geworden. Der Wald brannte an unzähligen Stellen.

Mit mehr Glück als Verstand entkam ich schließlich dem Inferno. Die Eingeborenen

merkten schnell, daß sie mich mit ihren Waffen nicht mehr erreichen konnten. Sie stellten den Beschuß ein. Aber fast gleich­zeitig hörte ich das dumpfe Rumoren starker Motoren.

Sie gaben nicht auf. Gerlo Malthor stöhnte leise. Ich biß mir

auf die Lippen und überlegte, wie ich ihm helfen konnte.

Zuerst mußt du weg von hier, bemerkte das Extrahirn warnend.

Vor mir tauchte eine Schneise auf. Der Boden zwischen den Büschen war zerfurcht. Ich überquerte die Straße, auf der die Einge­borenen uns verfolgen würden, und flog weiter über den Buschwald hinweg, bis ich zwischen den Bäumen ein paar Felsen ent­deckte. Dort landete ich und legte den Navi­gator vorsichtig auf einen weichen Gras­flecken. Der Arkonide wälzte sich stöhnend herum.

»Wir sind in Sicherheit«, sagte ich beruhi­gend. »Keine Sorge, das bringen wir schon wieder in Ordnung.«

Malthor öffnete die Augen und sah mich an. Sein Blick ging mir durch und durch. Dieser Mann wußte, wie es um ihn stand. Mit gutgemeinten Lügen war ihm nicht zu helfen.

Sekunden später verlor er wieder das Be­wußtsein. Ich vergewisserte mich, daß um mich herum alles ruhig war, dann löste ich die Gurte und bettete den Arkoniden so be­quem wie möglich. Vorsichtig untersuchte ich die Wunde. Mir wurde klar, daß ich überhaupt nichts unternehmen konnte.

Ein Splitter der ersten Bombe hatte Gerlo Malthor unterhalb der linken Knochenplatte getroffen. Der Wundkanal verlief eindeutig schräg nach oben. Es war ein äußerst un­glücklicher Treffer. Der Splitter mußte zwangsläufig wichtige Organe, vielleicht so­gar die Lunge verletzt haben. Wäre dieses Stückchen Metall nur wenige Zentimeter weiter oben eingeschlagen, so wäre es von der Knochenplatte abgelenkt worden und hätte nur eine vergleichsweise harmlose Fleischwunde hinterlassen.

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Deprimiert setzte ich mich neben dem Na­vigator auf einen Stein. Ich hatte nicht ein­mal ein schmerzmilderndes Medikament zur Verfügung. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten.

Diesem Mann hilfst du durch Warten auch nicht weiter, meldete sich das Extra­hirn. Nimm das Fluggerät und die Waffe und fliege weiter. Die Julkas werden weiter nach dir suchen, und Akon-Akon wird wegen dei­ner sentimentalen Regungen nicht den Start verschieben – falls er nicht längst diesen Planeten verlassen hat.

»Halt den Mund, du gefühlloses Mon­strum!« schrie ich. Ich war außer mir vor Wut. Wie konnte dieses Ding von mir ver­langen, daß ich einen Sterbenden einfach liegenließ!

Der Logiksektor schwieg. Schwerfällig erhob ich mich, und bei die­

ser Gelegenheit wurde ich daran erinnert, daß auch ich nicht ganz ungeschoren davon­gekommen war.

Flüchtig untersuchte ich die Wunde am linken Bein. Es war nichts Gefährliches, aber das Gehen fiel mir schwer. Humpelnd durchsuchte ich das Gelände zwischen den Felsen, fand eine kleine Quelle und stürzte mich auf das eiskalte Wasser. Ich stillte mei­nen Durst, wusch Dreck und Blut aus mei­nem Gesicht und reinigte auch die tiefe Schramme an meinem Schienbein. Das linke Hosenbein war bis zum Knie aufgerissen. Ich trennte einen breiten Stoffstreifen heraus und tauchte ihn in das Wasser der Quelle.

Gerlo Malthor rührte sich nicht, als ich ihm vorsichtig das Gesicht abwischte. Er war sehr blaß, sein Atem ging unregelmäßig.

Von einem Busch riß ich etliche Zweige ab. Die großen Blätter rochen aromatisch. Ich bastelte einen primitiven Sonnenschutz, um den Navigator vor der sengenden Hitze zu schützen. Dann setzte ich mich erschöpft neben ihn, stützte den Kopf in die Hände und versuchte, jeden Gedanken auszuschal­ten. Es gelang mir nicht. Ich war an einem absoluten Tief angelangt. Zu viele Enttäu­schungen reihten sich aneinander. Der

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Kampf gegen Orbanaschol und dessen Schergen, der Mikrokosmos mit den hoch­mütigen Varganen, der wahnwitzige Ver­such, meinen ermordeten Vater ins Leben zurückzurufen – immer hatte es Rückschlä­ge gegeben, immer Tote und Verletzte, Männer, die mit mir und für mich gekämpft hatten und ihre Treue mit dem Tod bezahl­ten. Zwei Frauen hatte ich geliebt – Farna­thia war auf einem wilden, ungastlichen Pla­neten gestorben, Ischtar und mein Sohn Chapat waren spurlos verschwunden. Und die tapfere, mutige Crysalgira hatte alle Ge­fahren unserer Irrfahrt im Mikrokosmos überstanden um ausgerechnet auf einem ar­konidischen Stützpunktplaneten ein schreck­liches Ende zu finden.

Die blaue Sonne Ketokhs senkte sich dem Horizont entgegen, als Gerlo Malthor eben­falls starb.

Fast unbeteiligt bettete ich ihn zwischen zwei eng nebeneinander aufragenden Felsen zur letzten Ruhe, wälzte andere Steine heran und deckte seinen Körper damit ab, damit kein wildes Tier ihn davonschleppen konnte. Mit meinem Impulsstrahler brannte ich sei­nen Namen in den größten der Felsen. Dann schnallte ich das Fluggerät um, steckte den Impulsstrahler ein und machte mich auf den Weg.

*

Die Julkas hatten es wohl doch aufgege­ben, einen fliegenden Fremden verfolgen zu wollen. Es war schon dunkel, und sie be­merkten mich nicht, als ich über das Lager am Fluß hinwegflog. Sie hockten zwischen ihren klobigen Fahrzeugen und unterhielten sich mit pfeifenden Stimmen.

Für einen Augenblick spürte ich die Ver­suchung, Rache zu nehmen, dann hatte ich mich wieder in der Gewalt. Es war sinnlos.

Ich folgte dem Fluß, der auch in der Nacht leicht zu erkennen war, obwohl ich mich vorsichtshalber in beträchtlicher Höhe hielt. Der Himmel war etwas dunstig, aber die hellen Riesensonnen bildeten grell blit­

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zende Sterne, die sich trotz des leichten Ne­bels auf dem Wasser spiegelten. Ich flog die ganze Nacht hindurch weiter. Im Morgen­grauen erreichte ich hügeliges Gelände. Fel­sen tauchten neben dem Fluß auf. Ich war fest entschlossen, durchzuhalten und ohne Aufenthalt bis zu Akon-Akons Siedlung zu fliegen, aber die Müdigkeit zwang mich schließlich doch zu einer Rast.

Ein breiter Vorsprung in einer senkrech­ten Felswand erschien mir als ein relativ si­cheres Quartier. Ich näherte mich diesem Felsen vorsichtig und hielt den Impulsstrah­ler schußbereit, aber bis auf eine kleine Ech­se war der Platz auf dem Felsen leer. Das Tier starrte mich mißtrauisch an, als ich die Füße auf den Boden setzte, dann riß es das Maul auf und zischte mich wütend an. Gleich darauf schien es zu begreifen, daß es sich mit einem Gegner anlegte, dem es nicht gewachsen war. Die Echse huschte zum Rand des Felsens, streckte die Beine von sich und entfaltete dabei hauchdünne, far­benprächtige Flughäute. Lautlos verschwand das Tier.

Du hättest es erlegen sollen, bemerkte der Logiksektor. Für einen Braten war es auf je-den Fall groß genug.

Ich war zu erschöpft, um mich über die verpaßte Gelegenheit zu ärgern. Im hinteren Teil des Vorsprungs entdeckte ich eine mit grauem Moos bewachsene Fläche. Ich tau­melte vorwärts, sank zu Boden und war Se­kunden später bereits fest eingeschlafen.

Das Erwachen war recht unerfreulich. Die Sonne stand hoch und blendete mich. Ich merkte, daß etwas an meinem rechten Bein zerrte und richtete mich mühsam auf. Mir ta­ten alle Knochen weh, denn die dünne Un­terlage aus Moos war nicht halb so weich, wie sie ausgesehen hatte. Verblüfft starrte ich die Echse an, die sich in meinem Hosen­bein verbissen hatte und mit aller Gewalt daran zog.

Das Tier ließ augenblicklich los, als ich mich bewegte. Es wich einen halben Meter zurück, blieb lauernd stehen und stieß ein durchdringendes Zischen aus. Ich tastete

nach dem Strahler. Im gleichen Augenblick regnete es förmlich Echsen. Sie kamen von überall, zischten wütend und ließen sich auf dem Felsen nieder. Ich sprang kampfbereit auf, dann merkte ich, daß die Tiere sich trotz ihrer angriffslustigen Haltung nicht näher­ten. Einige, die von oben kamen, wichen mir sogar aus, landeten ein paar Meter entfernt, falteten die Flughäute zusammen und blie­ben dann abwartend stehen.

Mit der linken Hand schaltete ich das Fluggerät ein.

Die Echsen zischelten unruhig. Ich drehte den Schalter voll herum und ra­

ste wie ein Geschoß nach oben, kippte in der Luft leicht nach vorne und zielte nach unten, für den Fall, daß diese flugfähigen Reptilien mir folgten. Aber sie dachten gar nicht dar­an.

Kaum hatte ich den Moosflecken verlas­sen, da stürzten sie sich auf die Pflanzen.

Ich wartete nicht ab, bis der Grund für dieses merkwürdige Verhalten sichtbar wur­de, sondern nutzte die günstige Gelegenheit, um zu verschwinden. Genau genommen hat­ten mir die Tiere sogar einen Dienst erwie­sen, indem sie mich weckten. Erstens hätte ich mir einen bildschönen Sonnenbrand ho­len können, wenn ich dort weitergeschlafen hätte, zweitens war es höchste Zeit, daß ich mich wieder auf den Weg machte.

An einer von Felsen umschlossenen Bucht hielt ich kurz an. Ich tauchte das Ge­sicht ins Wasser und unterdrückte nur mit Mühe das Verlangen, zu trinken. Immerhin entdeckte ich einen ziemlich großen Fisch, und es gelang mir, ihn zu fangen. Mein Hun­ger war inzwischen in jenem Stadium ange­langt, in dem man ihn eigentlich kaum noch fühlt. Ein Großteil der Nahrung, die wir bei den Julkas erhalten hatten, war so schlecht gewesen, daß sie mich eher geschwächt als gestärkt hatte. Und Konzentrate besaß ich auch nicht mehr. Ich suchte Schwemmholz zusammen, entfachte ein kleines Feuer, und als der Geruch nach gebratenem Fischfleisch aufstieg, wurde mir prompt übel. Ich aß nur einen winzigen Bissen, hakte den Fisch samt

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dem Spieß an meinem Gürtel fest und eilte weiter. Wenig später konnte ich meinen Durst an einer Quelle stillen. Dann hörte ich das Rauschen eines Wasserfalls und wußte, daß ich dem Ziel sehr nahe war.

Der Gedanke, doch noch zu spät zu kom­men, trieb mich vorwärts. Rücksichtslos jag­te ich das Flugaggregat hoch. Felsen und dichter Urwald glitten an mir vorbei, dann wurde das Wasser ruhiger, die Ufer wichen auseinander, und vor mir lag das Tal.

Ich sah die ISCHTAR. Die Erleichterung war so groß, daß ich

fast zusammengeklappt wäre. Das Raum­schiff, die einzige Möglichkeit, diesen Pla­neten zu verlassen, lag vor mir. Die Julkas mit ihren Explosivgeschossen hatten ihm keinen Schaden zufügen können.

Salziges Sekret sickerte aus meinen Au­gen, während ich auf die silbrige Kugel zu­flog. Ich hatte gewonnen. Nicht gegen Akon-Akon, der uns erst in diese Lage ge­bracht hatte, aber gegen diesen Planeten und etliche widrige Umstände. Nur noch wenige Minuten, dann war ich in Sicherheit. Dort vorne gab es Nahrung und Wasser, Ruhe und Medikamente. Der Junge von Perpan­dron war mir völlig gleichgültig. Wenn ich nur einige Zeit ausruhen und neue Kräfte schöpfen durfte …

In diesem Augenblick startete die ISCHT­AR.

2.

Ich war wie von Sinnen. Ich schrie auf, jagte mit voller Beschleunigung auf die sich hebende Riesenkugel zu, feuerte den Im­pulsstrahler mehrmals ab und winkte wie ein Besessener. Niemand bemerkte mich.

Zurück, du Narr! Die Warnung des Extrahirns kam in

schmerzhafter Intensität. Erst jetzt wurde ich mir der Gefahr bewußt, der ich mich aus­setzte. Ich war noch etwa dreihundert Meter von dem startenden Schiff entfernt. Bis jetzt stieg es lautlos auf, die Antigravtriebwerke waren in Betrieb. Wenn die Impulstriebwer-

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ke zu arbeiten begannen, während ich in der Nähe des Raumers in der Luft hing, brauchte ich mir um mein weiteres Schicksal keine Gedanken zu machen.

Ich riß mich zusammen. Solange ich am Leben war, gab es immer noch eine Chance.

In steilem Flug glitt ich nach unten. Ich landete zwischen den halbverbrannten, ge­schwärzten Trümmern eines Hauses. Die Wände aus Plastikteilen waren zu grotesken Formen zerschmolzen, sie bildeten einen un­regelmäßigen, glasigen Wall. Ich warf mich dahinter und spähte über den Rand zur ISCHTAR hinauf. Das Schiff mochte bereits eine Höhe von fünfhundert Metern erreicht haben. Es stieg langsam und majestätisch weiter. Dann ging ein leichtes Flimmern von den Abstrahlöffnungen des Ringswulsts aus.

Der Donner rollte über die traurigen Reste der Siedlung, die wir in pausenlosem Ein­satz errichtet hatten. Die ISCHTAR schrumpfte zu einem Punkt zusammen und war Augenblicke später verschwunden. Zum Glück war die Entfernung so groß, daß der Start sich auf die ehemalige Siedlung kaum negativ auswirkte.

Minutenlang blieb ich in meinem Ver­steck liegen. Ich fühlte mich leer. Was nun?

Das Extrahirn schwieg zum Glück, denn seine kalten, logischen Bemerkungen hätten mir jetzt den Rest gegeben. Mein Weg war klar vorgezeichnet, ich wollte ihn nur noch nicht akzeptieren. Der Schock war zu groß. Nur wenige Minuten hatten gefehlt, dann hätte ich die Schleuse noch rechtzeitig errei­chen können.

Nur langsam beruhigte ich mich. Mein Selbsterhaltungstrieb machte sich

bemerkbar. Ich verließ die Überreste der Hütte und begab mich auf die Suche nach Gegenständen, die mir bei meinem Leben auf Ketokh helfen konnten.

Die Siedlung sah schlimm aus. Die Julkas hatten sich gründlich ausgetobt, und die Be­satzung der ISCHTAR hatte das Werk der Zerstörung offensichtlich fortgesetzt. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, hatte man davon geschleppt. Werkzeuge, Vorräte,

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technische Einrichtungen – es gab fast nichts mehr. Ich wanderte ziellos zwischen den Trümmern umher und versuchte, mir einen ersten Überblick zu verschaffen.

Plötzlich hörte ich ein lautes Klirren, als wäre Metall gegen Metall gestoßen.

Blitzschnell huschte ich in die Deckung einer niedrigen Mauer.

Das Geräusch kam aus der Richtung, in der ein noch gut erhaltener Schuppen stand. Vorsichtig spähte ich über die rußge­schwärzten Steine. Die Tür des Schuppens wackelte beängstigend. Gleichzeitig klirrte es erneut. Dann prallte ein schwerer Körper von innen gegen die Türplatte. Ich sah, wie die Riegel sich durchbogen, und zog den Im­pulsstrahler.

Lautlos schlich ich mich im Schutz der Trümmer an das Gebäude heran. Ungesehen erreichte ich die Seitenwand, spähte um die Ecke und hielt den Strahler schußbereit.

Drinnen schien ein großes, schweres Tier zu toben. Ich hörte trampelnde Schritte, das dumpfe Aufprallen des Körpers, und es war nur noch eine Frage von wenigen Minuten, bis der Riegel aus der Halterung platzte.

Was hatte das zu bedeuten? Wen oder was hatte man dort eingesperrt? Fanden sich am Ende sogar Gefangene in diesem Schup­pen, Julkas, die sich nicht rechtzeitig zu­rückgezogen hatten?

Ein lautes Keuchen ließ mich zusammen­zucken. Dann folgte ein Kampfruf.

»Harr-reeh!« »Fartuloon!« schrie ich. In diesem Augenblick krachte es, die Tür

flog aus der Fassung, und der Bauchauf­schneider trat mit wütend blitzenden Augen aus dem Schuppen. Er hielt das Skarg kampfbereit in der Hand, auf seinem zer­beulten Brustpanzer spiegelte sich das Licht der tiefstehenden Sonne. Als er mich ent­deckte, stieß er einen Freudenschrei aus. Er stampfte auf mich zu, und für einige Zeit waren wir ausreichend damit beschäftigt, uns gegenseitig auf die Schultern zu klop­fen. Dann blickte Fartuloon zu dem Platz hinüber, auf dem die ISCHTAR gestanden

hatte, und die Wiedersehensfreude wich der nüchternen Erkenntnis, daß unsere Lage al­les andere als lustig war.

»Dieser verflixte Bengel«, murmelte der Bauchaufschneider und schwang wütend sein Schwert in den leeren Himmel.

»Was ist passiert?« »Das siehst du doch. Nach dem Überfall

der Julkas war er zunächst kaum ansprech­bar. Dann begann er nachzudenken. Als er nichts vom Wiederaufbau der Hütten sagte, wußte ich, was die Stunde geschlagen hatte. Natürlich versuchte ich, das Unheil hinaus­zuschieben. Ich habe den Bordrechner sabo­tiert. Leider hat die Reparatur nicht lange genug gedauert. Sobald die ISCHTAR start­klar war, ließ er alles an Bord bringen, was irgendwie von Wert war, und nun ist er weg. Mich muß er wohl als unzuverlässig einge­stuft haben, oder er wollte mich bestrafen. Jedenfalls wurde ich eingesperrt und be­täubt. Er hat mir nichts gelassen.«

»Immerhin hast du noch das Skarg«, trö­stete ich.

Fartuloon warf einen nachdenklichen Blick auf das Schwert. Unwillkürlich ver­suchte ich – ich weiß nicht, zum wievielten Mal –, die Figur auf dem Knauf zu erken­nen. Es gelang mir nicht. Je länger ich hin­sah, desto verschwommener wurden die Umrisse.

»Ja«, nickte Fartuloon langsam. »Vielleicht war das Akon-Akons größter Fehler.«

Es war nicht aus ihm herauszubekommen, wie er diesen Ausspruch gemeint hatte, und ich gab es auch schnell auf, diesbezügliche Fragen zu stellen.

»In der Siedlung können wir nicht blei­ben«, stellte der Bauchaufschneider fest. »Früher oder später werden die Eingebore­nen zurückkehren, und diesmal sind sie auf Widerstand gefaßt. Wir beide könnten nichts gegen sie ausrichten. Sehen wir also nach, was wir an brauchbaren Dingen finden, und dann suchen wir uns ein gutes Versteck.«

Mitten bei unserer Suche überraschte uns die Dunkelheit. Wir waren beide mit unse­

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ren Kräften am Ende. Die Hütte, in der Far­tuloon die letzten Tage verbracht hatte, bot uns zumindest ein festes Dach über dem Kopf. Zwei Konzentratpäckchen hatte der Bauchaufschneider von seiner Verpflegung aufgespart. Wir aßen schweigend, rollten uns auf einem Haufen zusammengetragener Stoffetzen zusammen und schliefen über­gangslos ein.

*

Am nächsten Morgen setzten wir unsere Arbeit fort. Wir durchkämmten systematisch die ganze Siedlung, den Hügel, auf dem Akon-Akon seinen Beobachtungsplatz ein­gerichtet hatte, und den Trampelpfad, der zu der Stelle führte, an der die ISCHTAR ge­standen hatte. Gegen Mittag ging Fartuloon zum Fluß hinunter und erlegte zwei große, ungewöhnlich fette Fische.

Während des Essens machten wir eine Bestandsaufnahme.

Unsere Reichtümer waren äußerst be­scheiden. Bis auf meinen Impulsstrahler und das Skarg hatten wir keine Waffen. Ein paar Messer, zum Teil mit gebrochenen Klingen, eine kleine Axt, die halb unter einem Stein­haufen verborgen war, etliche krumme Nä­gel – das war unser Werkzeug. Jemand hatte eine Decke liegen gelassen, und auf Akon-Akons Hügel fand sich ein Kissen mit far­benprächtigem Bezug. Der wichtigste Fund war ein Armbandfunkgerät. Der Versuch, damit die ISCHTAR zu erreichen und die Besatzung zur Umkehr zu bewegen, schei­terte. Das Schiff befand sich vermutlich längst außer Reichweite.

Wir packten alles zusammen, rollten es in die Stoffetzen ein und machten uns auf den Weg. Abwechselnd trugen wir das Paket, während der andere jeweils den Impulsstrah­ler übernahm. Wir wandten uns nach Süden.

Am späten Nachmittag fanden wir eine kleine Höhle, in deren Nähe eine Quelle aus einer Felsspalte drang. Der Platz lag in hal­ber Höhe eines Hügels, von dem aus wir das Tal gut übersehen konnten. Wir wagten es

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nicht, diesen Ort ganz zu verlassen. Die Wahrscheinlichkeit, daß die ISCHTAR doch noch zurückkehrte, war zwar gering, aber wenn es so kam, wollten wir den Augen­blick der Rettung nicht verpassen.

Nachdem wir einige nicht sehr freundli­che Höhlenbewohner vertrieben hatten, machten wir es uns in der Höhle gemütlich. Ein kleines Feuer spendete angenehme Wär­me, ein Stück Fleisch drehte sich am Spieß, klares Wasser besaßen wir im Überfluß.

»Ist doch ganz idyllisch«, murmelte Far­tuloon mit vollem Mund. »Einen Urlaub ha­be ich mir schon lange gewünscht.«

Es war ein gutgemeinter Versuch, aber diesmal funktionierte der Trick nicht.

»Mach dir nichts vor«, sagte ich bitter. »Der Urlaub wird dir bald zum Halse her­aushängen. Wir sitzen fest.«

»Unsinn. Eines Tages wird die Besatzung der ISCHTAR diesen hochnäsigen Burschen überlisten, und dann holen sie uns ab. Akon-Akon ist schließlich kein Gott. Er hat schwa­che Stellen.«

»So? Davon habe ich bis jetzt noch nichts gemerkt!«

»Laß mich ausreden. Ra, Vorry und ein paar andere verläßliche Leute sind noch an Bord. Außerdem sitzen auf Kraumon unsere Freunde und machen sich bestimmt schon Sorgen um uns. Sie werden nicht einfach die Hände in den Schoß legen.«

»Nein, natürlich nicht. Sie werden starten, eine Leuchtschrift mitten im All finden, auf der die Koordinaten Ketokhs stehen, und schon sind sie hier.«

»Du bist verbittert und enttäuscht«, sagte Fartuloon ernst. »Das ist verständlich. Aber wenn du es dir genau überlegst, wirst du zu­geben müssen, daß wir schon oft in ähnli­chen Situationen gesteckt haben. Irgendei­nen Ausweg gab es immer. Um dich endgül­tig aus dem Verkehr zu ziehen, müssen die Dämonen der Finsternis sich schon selbst herbemühen. Wie wäre es sonst zu erklären, daß du selbst aus dem Mikrokosmos zurück­gekehrt bist – und das gleich zweimal!«

»Ich hatte eine Menge Glück. Aber auch

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die größte Glückssträhne ist einmal zu En­de.«

Fartuloon richtete sich auf und legte fast mechanisch die Hand auf den Knauf des Schwertes.

»Du bist Atlan, der Kristallprinz von Ar­kon!« sagte er fest. »Ich habe einen beträcht­lichen Teil meines Lebens dazu aufge­wendet, dir eine standesgemäße Ausbildung zu ermöglichen. Du hast die Ark summia er­halten, bist in sämtlichen Kampftechniken geschult worden, besitzt ein umfassendes Wissen auf allen denkbaren Bereichen und dazu praktische Erfahrungen, die nur wenige Arkoniden in deinem Alter vorweisen kön­nen. Vielleicht hattest du in einigen Situatio­nen wirklich nur Glück, aber sehr oft war al­lein deine Geschicklichkeit entscheidend.

Wenn du von Glück sprichst, dann vergißt du, daß eintrainierte Reflexe dir in vielen Fällen das Leben gerettet haben. Aber jetzt mußt du deinen Denkapparat strapazieren. Geduld, Beharrlichkeit und Wissen – das sind jetzt die ausschlaggebenden Fähigkei­ten. Es sollte mir leid tun, wenn du mir aus­gerechnet hier, auf diesem vergleichsweise harmlosen Planeten, den Beweis dafür lie­ferst, daß meine ganze Arbeit sinnlos war!«

Ich starrte ihn fassungslos an. Seit meiner Kindheit hatte ich keine solche Predigt mehr gehört. Sekundenlang flammte Wut in mir auf. Fartuloon sah den Ausdruck in meinen Augen und gab den Blick kühl zurück. Ich senkte betroffen den Kopf.

»Entschuldige«, murmelte ich verlegen. Er setzte sich wieder an das Feuer, schnitt

sich ein Stück von dem Braten ab und aß schweigend weiter. Als er satt war, wischte er sich umständlich das Fett aus dem Bart, dann grinste er mich an.

»In ein paar Tagen sieht alles ganz anders aus«, behauptete er.

*

Die »paar Tage« vergingen, und es änder­te sich so gut wie nichts. Wir hatten anfangs eine Menge Arbeit, die mich vom Grübeln

abhielt. Nach sorgfältiger Überlegung beschlossen

wir, vorläufig in der Höhle zu bleiben. Der Platz war ideal für uns. Wir konnten fast das ganze Tal überblicken, hatten vor allen Din­gen eine gute Sicht auf den Fluß, waren aber gleichzeitig durch hohe Büsche vor einer zu­fälligen Entdeckung gut geschützt. Die Jul­kas besaßen keine flugfähigen Maschinen, und sie dachten wohl auch nicht im entfern­testen daran, in naher Zukunft den Luftraum ihres Planeten zu erobern. Vorläufig wurden sie noch zwischen der Frage hin und her ge­rissen, ob sie lieber im Wasser bleiben oder auf das Land übersiedeln sollten. Falls das Ende des Gnohlen von Asgajol wirklich zu einer Revolution führen sollte, so waren die Spitzköpfe erst recht ausreichend mit sich selbst beschäftigt.

Wir richteten die Höhle wohnlich ein, lei­teten das Wasser der Quelle in die Höhle um, trugen trockenes Gras für unser Lager zusammen, fällten ein paar kleine Bäume, um eine bequeme Sitzgelegenheit zu bauen, jagten und fischten, und all das beschäftigte uns für eine Weile. Aber dann kam unwei­gerlich der Punkt, an dem nur noch wenige, sich ständig wiederholende Tätigkeiten üb­rigblieben.

Immer häufiger ertappte ich mich dabei, daß ich in den leeren Himmel hinaufstarrte, in der Hoffnung, einen dunklen Punkt zu entdecken, der sich tiefer senkte, zu einer silbernen Kugel anschwoll …

Fartuloon versuchte auf seine Weise, mich von diesen nutzlosen Grübeleien abzu­lenken. Er stellte ein Trainingsprogramm auf, durchstöberte noch einmal die Siedlung und fand auch tatsächlich etliche Metallteile, aus denen sich ein kleiner Generator zusam­menbasteln ließ, aber diesen Plan gab er dann doch wieder auf, denn selbst wenn es uns gelang, Strom zu gewinnen, hatten wir nichts, womit wir ihn verbrauchen konnten. Mehrere Stunden am Tage verbrachten wir damit, unsere Nahkampftechniken zu ver­vollkommnen. Wir vervollständigten unsere Waffensammlung, bastelten Bögen, schnitz­

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ten Pfeile und Speere aus hartem Holz – aber immer verfolgte mich der Gedanke an die ISCHTAR, die sich in jeder Sekunde weiter von uns entfernen konnte.

Mehrmals am Tage schaltete ich das Arm­bandfunkgerät ein. Einmal erwischte ich einen undeutlichen Impuls, und stundenlang wartete ich vergeblich darauf, endlich eine Verbindung zu bekommen – mit wem, das war mir gleichgültig. Wer auch immer im­stande war, ein Hyperfunkgerät zu bauen und zu bedienen, mußte auch die Raumfahrt kennen. Aber der Lautsprecher blieb stumm. Vielleicht war es nur das Echo eines verirr­ten Funkspruchs, der verstümmelte Teil ei­ner Nachricht, die Jahrtausende alt sein mochte. Derartige »Geisterstimmen« fing man des öfteren auf.

Die Erkenntnis, daß meine Hoffnungen auch diesmal enttäuscht wurden, traf mich schwer. Als Fartuloon mir auffordernd einen langen Stock entgegenstreckte, schlug ich seine Hand zur Seite.

»Laß mich in Ruhe!« Der Bauchaufschneider musterte mich be­

sorgt. Ich war darauf gefaßt, Vorwürfe zu hören, aber er schwieg. Lautlos verschwand er zwischen den Büschen. Kurz darauf sah ich ihn in der Nähe des Flusses auftauchen. Völlig unbeteiligt beobachtete ich, wie er sich an eines der hasenähnlichen Tiere her­anpirschte, die unsere bevorzugte Beute wa­ren. Die Jagd war nicht einfach. Den Im­pulsstrahler wagten wir nicht einzusetzen, denn wir wußten nicht, ob wir jemals ein Er­satzmagazin für diese Waffe erhalten wür­den.

Fartuloon verschwand für einen Augen­blick hinter einem Busch. Als er wieder zum Vorschein kam, hatte er das Tier wenige Meter vor sich. Der Speer flog durch die Luft, verfehlte jedoch das Tier nur um Haa­resbreite. Blitzschnell huschte die Beute da­von und verschwand im hohen Gras direkt am Fluß. Deutlich sah ich die Stellen, an de­nen sich die Halme bewegten. Und plötzlich entdeckte ich, daß es dort unten nicht nur Fartuloon und das Tier gab.

Marianne Sydow

Ein grauer Fleck hob sich aus dem gift­grünen Gras ab. Die Entfernung war zu groß, als daß ich die Umrisse genau erken­nen konnte, aber die Farbe erinnerte mich unangenehm an die Spitzköpfe. Gleich dar­auf erhielt ich Gewißheit. Die Gestalt eines Julkas wurde für einen Augenblick voll sichtbar. Dann duckte sich der Eingeborene und verschmolz mit einer unbewachsenen Sumpffläche. Ganz kurz blinkte Metall auf. Zwischen den Bäumen am anderen Rand des Grasfleckens bewegten sich düstere Schat­ten.

Ich hatte genug gesehen. Fartuloon, fest entschlossen, für ein nahrhaftes Abendbrot zu sorgen, lief genau in die Falle der Einge­borenen hinein. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Julkas unbemerkt bis zu unserem Hü­gel vorgedrungen waren, aber ich wußte, daß es meine Schuld war. Statt die Umge­bung zu überwachen, hatte ich mich auf einen Funkimpuls konzentriert, der völlig bedeutungslos war.

Der Impulsstrahler hing griffbereit neben mir. Lautlos huschte ich den Hügel hinunter. Ich konnte nur hoffen, daß ich nicht zu spät kam.

3.

»Es ist zum Auswachsen«, beschwerte Ra sich wütend. Er kratzte sich den wolligen Schädel und starrte die Instrumente auf dem Pult an, vor dem er saß.

»Ich habe Ihnen gleich gesagt, daß Sie es nicht schaffen werden«, bemerkte Karmina Arthamin ruhig. »Eine Kursänderung ohne den Befehl des Jungen ist undurchführbar.«

»Wir müssen zurück!« knurrte Ra wild. »Wir können doch nicht zulassen, daß Atlan und die anderen hilflos auf diesem ver­dammten Planeten zurückbleiben.«

»Wir wollen es nicht«, korrigierte die Ar­konidin, Sonnenträgerin und ehemalige Kommandantin eines Flottenverbands. »Aber wir können unseren Willen nicht in die Tat umsetzen.«

»Und wenn wir ein Beiboot ausschleu­

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sen?« »Damit ist niemandem geholfen. Abgese­

hen davon, daß es uns höchstwahrscheinlich gar nicht gelingt. Wir sind inzwischen zu weit von dem Wasserplaneten entfernt. Die Fernsteuerung reicht längst nicht mehr aus.«

»Ich versuche es trotzdem!« Karmina Arthamin sah dem dunkelhäuti­

gen Barbaren seufzend nach. Noch vor kurz­er Zeit war sie eine erklärte Gegnerin des Kristallprinzen gewesen, bereit, den Befehl des herrschenden Imperators zu erfüllen, der eine hohe Prämie auf Atlans Kopf gesetzt hatte. Inzwischen hatte sie ihre Meinung ge­ändert. Dieser Arkonide war kein Freibeuter und Pirat, wie sie zunächst angenommen hatte. Obwohl sie ihn erst seit kurzer Zeit kannte, hatte sie ihn in verschiedenen wich­tigen Situationen beobachten können. Wenn sie Atlan und Orbanaschol miteinander ver­glich, dann schnitt der fette Mann im Kri­stallpalast von Arkon nicht sehr schmeichel­haft ab. Am meisten jedoch imponierte ihr die unverbrüchliche Treue, mit der so ver­schiedenartige, sogar völlig fremde Wesen wie Ra und Vorry zu dem jungen Arkoniden hielten.

Sie warf dem pechschwarzen, tonnenför­migen Wesen, das sich mit ihr zusammen in der Zentrale aufhielt, einen Blick zu.

»Ich wollte, ich könnte ihn zerdrücken«, wünschte Vorry sich inbrünstig.

Die Arkonidin lächelte schwach, dann wandte sie sich wieder den Instrumenten zu.

Niemand kümmerte sich im Augenblick darum, wo das Schiff sich befand und wie es in der Umgebung aussah. Akon-Akon ver­hielt sich still – ein Umstand, der beunruhi­gend wirkte. Die ISCHTAR bewegte sich im freien Fall durch den Weltraum. Auf den Bildschirmen zeichneten sich die Riesenson­nen dieses Gebiets als hartglänzende Punkte ab. Leuchtende Gasnebel bildeten filigranar­tige Muster, dahinter verschwammen die Sterne zu einem dichten Gewimmel ver­schieden heller Lichtflecke. Sie kannten ihre Position noch immer nicht. Karmina Artha­min schätzte, daß sie sich in der Nähe der

galaktischen Zentrumsballung befanden. Außer ihr und dem Magnetier war niemand in der Kommandozentrale. Alles an Bord schien den Atem anzuhalten, eine unheimli­che Spannung hing in der Luft.

Was würde Akon-Akon unternehmen, wenn er sich endlich zu einer Entscheidung durchrang?

Auch Ra spürte es. Es war, als würde ein Gewitter sich zusammenbrauen – was natür­lich an Bord eines Raumschiffs absolut un­möglich war. Die Stille war unheimlich. In den Wänden des Raumschiffs knackte es ab und zu. Belüftungsanlagen summten leise. Aber nirgends sah er einen Menschen, er hörte keine Stimmen, keine Schritte. Die ge­samte Besatzung schien regungslos auf die Befehle des Jungen zu warten.

Seine Schritte hallten unheimlich von den leeren Wänden wider. Er erreichte den Anti­gravschacht, der zu einem der Hangars führ­te, schwang sich hinein und ließ sich nach unten sinken. Im Vorbeischweben spähte er in jedes Deck, aber das Bild blieb unverän­dert.

»Verdammt«, murmelte er kaum hörbar. »Was geht hier eigentlich vor?«

Federnd setzte er im Vorraum des Han­gars auf. Er war auf alles gefaßt, und es ent­täuschte ihn beinahe, daß niemand auf ihn wartete. Diese Ruhe war schlimmer als ein noch so wilder Kampf. Er wollte endlich wissen, woran er war.

Das Schott öffnete sich lautlos. Ra spähte um die Ecke. Der Hangar war leer – bis auf das Beiboot, das darin stand. Mit einigen langen Schritten erreichte er den Einstieg. Plötzlich wußte er, was er zu tun hatte.

Akon-Akon hatte einen Fehler gemacht. Der Junge war voll und ganz darauf einge­stellt, auf einem Planeten zu erwachen. Aber man hatte ihn aus seinem gläsernen Turm in der unterplanetarischen Anlage auf Perpan­dron entführt. So war Akon-Akon auf die ISCHTAR gelangt – und die Folgen waren verheerend. Der Junge verstand von der Raumfahrt kaum etwas, konnte sich auch nur schwer an die Tatsache gewöhnen, daß

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er sich nicht auf dem festen Boden eines Planeten befand. Während des Fluges nach Ketokh hatte niemand die Lücke entdeckt, denn die Verwirrung war zu groß. Auf dem Planeten selbst hatte Akon-Akon durchaus richtig reagiert. Aber jetzt, nach dem Start, hatte er versäumt, ein ausdrückliches Verbot auszusprechen.

Akon-Akon hatte niemandem verboten, die ISCHTAR zu verlassen!

Wahrscheinlich kam der Junge gar nicht auf die Idee, daß das möglich sein könne. Seine Erfahrungen mit der Raumfahrt waren minimal. Vielleicht ahnte er nicht einmal, daß es überhaupt Beiboote gab, die eine be­achtenswerte Reichweite besaßen.

Ra grinste. Er prüfte die Systeme durch und fand keinen Fehler. Dann, als er gerade den Impuls abstrahlen wollte, der die Schleuse öffnen sollte, fiel ihm ein, daß er die Kursdaten brauchte. Zwar hatte er sich fast während der gesamten Flugdauer in der Zentrale aufgehalten, aber er war schließlich kein Computer. Abgesehen davon, daß die Aufzeichnung direkt in die Speicher einge­speist wurde.

Hastig drückte er auf eine Taste des Bild­sprechgeräts. Der Schirm erhellte sich – und Ra wußte, daß er die größte Chance, die je­mals einer von ihnen gegen Akon-Akon ge­habt hatte, verstreichen lassen mußte. Es war unwahrscheinlich, daß diese Gelegenheit noch einmal zurückkehrte.

Akon-Akon stand in der Kommandozen­trale der ISCHTAR. Er wandte der Kamera den Rücken zu, aber Ra erkannte ihn trotz­dem.

»Wo ist Ra?« Karmina Arthamins Augen weiteten sich

unwillkürlich, als sie direkt hinter dem Jun­gen das Gesicht des Barbaren erblickte. Ra wußte, wann er ein Spiel verloren hatte. Nie­mand vermochte es, diesem Jungen eine Auskunft zu verweigern oder ihn gar zu be­lügen. Die Arkonidin kämpfte gegen den un­heimlichen Zwang an, der von Akon-Akon ausging. Ehe sie endgültig verlor, drückte Ra die Sprechtaste herunter.

Marianne Sydow

»Ich nehme eine Inspektion vor«, erklärte er.

Akon-Akon drehte sich gelassen um und entdeckte den Bildschirm.

»Wo sind Sie?« Diese Frage hatte Ra befürchtet. Im stillen

verwünschte er die Tatsache, daß Akon-Akon nach dem Fiasko im Tal einen großen Teil seiner Zeit darauf verwendet hatte, sei­ne Sprachkenntnisse zu vervollständigen. Als er noch ausschließlich Altarkonidisch sprach, war der Umgang mit ihm angeneh­mer gewesen. Auf diese direkte Frage konn­te der Barbar keine ausweichende Antwort mehr geben.

»Im Hangar«, sagte er bitter. »Was ist das?« Ra hatte sich immer für ziemlich willens­

stark gehalten, aber jetzt erklärte er diesem unverschämten Bengel haargenau, was es mit einem Hangar auf sich hatte.

»Du wolltest die ISCHTAR verlassen?« Ra nickte stumm. »Du wirst so schnell wie möglich auf dei­

nen Platz zurückkehren!« Während Ra resignierend aus dem Bei­

boot kletterte und die leeren Gänge durch­schritt, hörte er aus den Lautsprechern Akon-Akons Stimme.

»Niemand wird dieses Schiff verlassen, es sei denn, auf meinen ausdrücklichen Befehl. Niemand wird auch einem anderen behilf­lich sein, zu fliehen oder sich auf andere Weise gegen meine Befehle zu stellen.«

Er lernt, dachte Ra beunruhigt. Er hat die Lehre aus seinen Fehlern bereits gezogen. Von nun an wird es immer schwieriger wer­den, ihn zu überlisten.

Wie schwierig, das erfuhr er, als er die Zentrale erreichte. Akon-Akon war immer noch da.

»Warum wolltest du das Schiff verlas­sen?« fragte der Junge.

»Wir haben vier Männer und eine Frau auf Ketokh zurückgelassen. Ich wollte ihnen helfen.«

»Mit einem Beiboot?« Widerstrebend setzte Ra dem seltsamen

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15 Station der Geister

Fremden auseinander, zu welcher Fluglei­stung die kleinen Raumschiffe fähig waren. Akon-Akon hörte aufmerksam zu. In der einfachen, lindgrünen Kombination, die er seit kurzem trug, wirkte er nicht mehr so fremdartig. Nur die übergroßen roten Augen erinnerten daran, daß er kein Arkonide war.

»Es ist gut«, sagte Akon-Akon fast unbe­teiligt, als Ra seinen Bericht abschloß. »Du wirst keinen weiteren Versuch dieser Art un­ternehmen. Auch ein unbemannter Start ist verboten. Wir werden unseren Flug jetzt fortsetzen.«

»Mit welchem Ziel?« »Wir suchen Planeten. Du und deine Ge­

fährten werden die Schiffsführung auch wei­terhin übernehmen. Steuert jeden Planeten an, den ihr findet. Ich möchte diese Welten selbst prüfen.«

»Aber das ist doch sinnlos. Wenn wir je-den beliebigen Planeten ansteuern, wird un­sere Suche ewig dauern. Worauf sollen wir überhaupt achten?«

»Auf Zeichen einer früheren Besiedlung.« Ra wurde allmählich ungeduldig. Der

Junge verstand einfach nicht, daß der Befehl in dieser Form fast undurchführbar war. Sie konnten jahrelang durch den Raum eilen, ohne einen Planeten zu finden, der die ge­wünschten Spuren aufwies.

»Dann scheiden also Welten mit für uns ungünstigen Umweltbedingungen aus«, mischte Karmina Arthamin sich ein. »Oder ist es gleichgültig, wenn wir die Ruinen von Stützpunkten der Methans und ähnlich fremdartiger Wesen finden.«

»Methans?« »Wasserstoff-Methan-Atmer«, erklärte

die Arkonidin geduldig. »Sie werden auch Maahks genannt.«

»Sind das Wesen, die in einer für uns gif­tigen Atmosphäre leben?«

Ra seufzte. Er hatte noch nie einen Men­schen getroffen, bei dem Unwissenheit und Überlegenheit in so merkwürdigem Verhält­nis zueinander standen.

»Die Maahks sind nur eines von vielen Sternenvölkern. Wir kennen einige tausend

Arten von intelligenten Lebensformen. Eini­ge sehen uns ähnlich, andere sind völlig fremdartig. Die meisten unterscheiden sich nicht nur durch ihr Aussehen voneinander, sie stellen auch unterschiedliche Ansprüche an ihre Umwelt.«

Akon-Akon lauschte fasziniert. Es schien, als hätte er die Arkoniden bisher für einzig­artig gehalten. Dabei war er doch auf Ke­tokh den Spitzköpfen begegnet, und hier in der Zentrale saß der Vertreter eines unbe­kannten Volkes vor ihm – nämlich Vorry, der sich den schwarzen Kopf darüber zer­brach, wie er den Jungen aus dem Verkehr ziehen könne.

»Ich verstehe«, murmelte Akon-Akon nachdenklich. Er schwieg lange Zeit und starrte auf die Bildschirme. Unzählige Son­nen zeichneten sich darauf ab. Der Junge von Perpandron gab sich einen Ruck.

»Es kommen nur Planeten in Frage, die für uns annehmbare Verhältnisse aufwei­sen«, sagte er. »Er spielt keine Rolle, wenn die Idealwerte geringfügig unter- oder über­schritten werden.«

Er wollte sich abwenden und die Zentrale verlassen, aber Ra war mit den erhaltenen Anweisungen längst nicht zufrieden.

»Wonach suchst du eigentlich?« fragte er. Akon-Akon sah den dunkelhäutigen Bar­

baren an. »Du bist kein Arkonide«, stellte er fest. Ra wartete schweigend. »Ich bin auch keiner«, fuhr Akon-Akon

gelassen fort. »Um meine Bestimmung er­füllen zu können, reicht es nicht, auf irgend­einem Planeten eine Siedlung zu errichten und Nachkommen zu zeugen. Das habe ich bereits erkannt. Der Plan ist in Unordnung geraten, etwas läuft in die falsche Richtung. Um nicht noch mehr Fehler zu machen, su­che ich also nach denen, die mich auf Per­pandron zur Ruhe gebettet haben.«

»Du willst in diesem Sternendschungel dein Volk aufspüren?« fragte Karmina Ar­thamin fassungslos und deutete auf die Bild­schirme.

Akon-Akon lächelte flüchtig.

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»Ja.« »Aber das kann nie und nimmer gelingen!

Wir wissen nicht einmal, in welchem Teil der Galaxis wir uns befinden. Vielleicht stecken wir in einer Sternballung in der Nä­he des Zentrums, aber auch das ist nur eine Vermutung. Weißt du überhaupt, wieviele Sonnen es im Umkreis von nur hundert Lichtjahren gibt? Wenn wir annehmen, daß jede nur drei Planeten hat und davon nur ein Zehntel annähernd arkonähnliche Verhält­nisse aufweist …«

»Es spielt keine Rolle«, unterbrach er die Arkonidin.

Karmina Arthamin schnappte hörbar nach Luft.

»Wir könnten nach Ketokh zurückfliegen und die Leute an Bord nehmen, die wir zu­rückgelassen haben«, machte Ra sich be­merkbar. »Atlan und Fartuloon kennen viele fremde Planeten. Vielleicht wissen sie sogar, wo dein Volk jetzt steckt. Auf jeden Fall aber werden sie die ISCHTAR aus diesem Sektor herausbringen können. Wenn wir auf Perpandron mit der Suche beginnen, haben wir eine gute Chance.«

»Ich habe gesagt, es spielt keine Rolle«, wiederholte Akon-Akon. Seine Blicke brachten Ra und die Arkonidin zum Schwei­gen. Vorry hielt sich wie üblich im Hinter­grund. Bis jetzt hatte Akon-Akon die Rolle des Tonnenwesens noch nicht voll durch­schaut. Vorry legte Wert darauf, daß es da­bei blieb. Wenn Akon-Akon ihn unter­schätzte, so dachte er, gab er sich vielleicht doch einmal eine Blöße.

»Es gibt viele Dinge, die ich noch nicht ganz verstehe«, fuhr der Junge von Perpan­dron fort. »Aber ich kenne den Begriff ›Galaxis‹. Es gibt überall in dieser Sternbal­lung Spuren, die mein Volk hinterließ. Da­her ist es gleichgültig, an welcher Stelle wir mit der Suche beginnen. Sobald ich einen Hinweis sehe, werde ich ihn erkennen und auch seine Bedeutung durchschauen. Und nun wünsche ich, daß ihr umgehend mit der Arbeit beginnt!«

»Wir sind zu wenig Leute!« protestierte

Marianne Sydow

Ra wütend. Akon-Akon drehte sich kurz vor dem

Schott um. Er wirkte ungeduldig. »Das ist nicht mein Problem, aber da ihr

offensichtlich unfähig seid …« In diesem Augenblick sprang Vorry vor.

Er hatte die ganze Zeit über darauf gewartet, daß der Junge ihn vergaß, weil er sich zu stark auf Ra und die Arkonidin konzentrier­te. Dieser Augenblick war gekommen. Akon-Akon wurde von seinen Überlegungen und seiner Ungeduld so stark in Anspruch genommen, daß der Magnetier für einen Au­genblick das Gefühl hatte, frei zu sein. Wie ein riesiges Geschoß raste er auf den Jungen zu.

Akon-Akon reagierte mit unerwarteter Geschwindigkeit. Er huschte zur Seite, und der Magnetier konnte seine Richtung nicht schnell genug ändern. Zum Abbremsen blieb ebenfalls keine Zeit mehr. Vorry krachte mit voller Wucht gegen das Schott. Die metalle-ne Platte bog sich durch und knirschte be­drohlich. Dem Magnetier machte der furcht­bare Anprall nichts aus. Er wirbelte herum, bereit, das Werk zu vollenden – und dann blieb er hilflos stehen.

Der Junge starrte das Tonnenwesen an. Akon-Akons Augen schienen zu lodern. Der Zwang, der von dem Jungen ausging, war so stark, daß keiner der drei auch nur den Kopf bewegen konnte.

Sekundenlang standen sie wie gelähmt auf ihren Plätzen, dann lächelte Akon-Akon verächtlich. Wortlos drehte er sich um und schritt davon. Das Schott knirschte und krachte, dann blieb es in den Führungsschie­nen stecken. Ra sah durch die verbleibende Lücke verbittert dem Jungen nach, der sich eben in einen Liftschacht schwang.

»Ich hätte ihn fast erdrückt!« jammerte Vorry enttäuscht.

4.

Ich duckte mich hinter einen niedrigen Felsen und überlegte fieberhaft, wie ich Far­tuloon hätte warnen können. Er schlich ge­

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17 Station der Geister

bückt zwischen einigen Sträuchern auf die Lichtung am Fluß zu, auf der wir bei unserer Jagd schon oft auf Beute getroffen waren. Im oberen Teil war der Boden trocken, zum Fluß hin wurde er zunehmend sumpfig. Die Lichtung war fast genau dreieckig, wurde an zwei Seiten vom Wald und auf der dritten vom Fluß begrenzt. Auf meiner Seite war der Hang, der zu der grasbewachsenen Flä­che hinunterführte, ziemlich steil, und so weit ich es beurteilen konnte, gab es hier keine Julkas. Aber Fartuloon befand sich an der direkten Grenze zum freien Gelände. Nur noch wenige Schritte, und die Spitzköp­fe mußten ihn entdecken.

Von den Julkas selbst war nichts zu ent­decken. Nur die Zweige, die sich ab und zu bewegten, verrieten mir den Standort der Eingeborenen.

Dicht hinter Fartuloon tauchte kurz eine der grauen Gestalten auf und duckte sich nach einem kurzen Sprung zwischen ein paar ebenfalls graue Felsbrocken. Der Bauchaufschneider hatte das Geräusch be­merkt, wirbelte herum, sah den Eingebore­nen jedoch nicht.

Sie wollen ihn lebend, vermutete das Ex­trahirn.

Vorsichtig ließ ich mich über den Hang nach unten gleiten. Ich hatte nur unklare Vorstellungen davon, was ich unternehmen sollte. Da ich die Anzahl der Gegner und ih­re Bewaffnung nicht kannte, wäre es auf je-den Fall unklug gewesen, einfach drauflos zu schießen.

Unbehelligt erreichte ich die Lichtung, hielt mich im Sichtschutz der letzten Büsche und schlich in die Richtung, in der ich Fartu­loon vermutete. Wahrscheinlich kauerte er am Boden und wartete darauf, daß ihm ein schmackhafter Braten vor die Speerspitze lief. Ich dagegen suchte nach einer Möglich­keit, ihn zu warnen und gleichzeitig die Auf­merksamkeit der Julkas abzulenken.

Ich stieß mit dem Fuß gegen einen harten Gegenstand, der leise klappernd davon roll­te. Erschreckt blieb ich stehen und sicherte nach allen Seiten.

Die Julkas mußten halb taub sein. Viel­leicht hinderte auch die dicke Schutzklei­dung sie daran, das verdächtige Geräusch zu hören.

Mich dagegen brachte die röhrenförmige schwarze Schote auf eine Idee.

Fartuloon hatte einige von diesen Früch­ten von einem Streifzug mitgebracht. Leider ließen sich die Schoten nur sehr schwer öff­nen. Die Schale war außerordentlich hart, und die Nüsse, die sich darin befanden, wa­ren so fade, daß sie den Kraftaufwand nicht lohnten. Darauf waren wir allerdings erst später gekommen. Nachdem Fartuloon mi­nutenlang mit einem unserer Messer an so einer Schote herumgekratzt hatte, wurde er wütend und schleuderte die Frucht von sich. Sie fiel ausgerechnet ins Feuer. Das Ding war explodiert wie eine Bombe.

Auf der anderen Seite der Lichtung stan­den viele solcher Schotenbäume. Ich hoffte, daß ich die Leistung des Impulsstrahlers richtig eingestellt hatte, denn die pflanzli­chen Bomben nützten mir ja nichts, wenn sie einfach verbrannten.

Der erste Schuß ließ das dürre Geäst eines Baumes wie Zunder aufflammen. Die Scho­ten hingen ganz oben, an den schwankenden Enden der dünnen Zweige. Sie zerplatzten mit dem Geräusch eines Maschinengewehrs bei Dauerfeuer.

Der vorher so stille Wald erwachte zu tur­bulentem Leben. Die Julkas sahen sich zwei erschreckenden Dingen gegenüber: erstens pfiffen ihnen die Nüsse um die Ohren, zwei­tens regneten brennende Blätter und Zweige auf sie herab. Unter schrillem Pfeifen rann­ten sie auf die Lichtung hinaus, rasten zum Fluß, so schnell ihre kurzen Beine sie tru­gen, und warfen sich kopfüber ins Wasser. Wie im Rausch feuerte ich immer wieder in das Geäst hinein, und als ich keinen Scho­tenbaum mehr fand, nahm ich mir die Julkas vor.

Die Eingeborenen schwammen in Ufernä­he hin und her und pfiffen aufgeregt. Sie schienen noch nicht ganz zu verstehen, was passiert war. Vielleicht glaubten sie sogar,

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es mit einem natürlichen Phänomen zu tun zu haben.

Als die Energiestrahlen das Wasser vor ihnen zum Kochen brachten, ergriffen sie in panischer Angst die Flucht. Mit grimmiger Genugtuung sah ich sie davonschwimmen. Dann erinnerte ein erstickter Schrei mich an den Bauchaufschneider.

Hastig lief ich unter den Büschen weiter. Natürlich, der Julka, der hinter ihm zwi­schen den Felsen gesessen hatte, konnte von dem feurigen Regen kaum etwas abbekom­men haben.

Als ich Fartuloon endlich erreichte, kämpfte der Bauchaufschneider mit einem argen Problem: Er drosch auf den Julka ein, kannte aber dessen verwundbare Stellen nicht. Der Eingeborene revanchierte sich redlich. Der hölzerne Speer durchdrang die dicke Schutzkleidung nicht, darum hatte Fartuloon ihn fallen gelassen. Sein Schwert lag oben in der Höhle. Die beiden waren so miteinander beschäftigt, daß sie mich gar nicht bemerkten. Erst als der Julka zu Boden ging, sah Fartuloon auf.

Ich streifte die Kapuze des Eingeborenen zur Seite und sah den gelblich leuchtenden Fleck auf dem spitzen Ende des Kopfes. Das Moglio dieses Julkas war gesund und mun­ter.

»Sie wollten dich einfangen«, bemerkte ich nebenher.

»Reizend«, knurrte Fartuloon schwerat­mend zurück. »Bist du dir eigentlich darüber im klaren, daß wir unsere Höhle jetzt verlas­sen müssen?«

»Das ist logisch. Aber vielleicht war es nur eine kleine Gruppe.«

»Sie wird schnell größer werden«, versi­cherte Fartuloon grimmig. »Es war voraus­zusehen, daß sie ins Tal zurückkehren wür­den, und jetzt wissen sie, daß sie immer noch Beute finden. Das Schiff ist zwar ver­schwunden, aber nach dem Spektakel, das du hier angerichtet hast, müssen sie glauben, es mit einer ganzen Horde schwerbewaffne­ter Männer zu tun zu haben.«

Ich schluckte eine bittere Bemerkung hin-

Marianne Sydow

unter, denn der Bauchaufschneider hatte recht. Aber wenn ich nicht eingegriffen hät­te, wäre er von den Eingeborenen ver­schleppt worden – das hatte er anscheinend noch gar nicht ganz verdaut.

Wir trugen den bewußtlosen Eingebore­nen zum Flußufer und legten ihn dort auf den Boden. Er würde eine Weile brauchen, um wieder klar denken zu können, aber es drohte ihm an diesem Ort kaum eine ernst­hafte Gefahr.

Brummend packte Fartuloon zwei Bün­del. Er war wütend darüber, daß wir die Höhle verlassen mußten, aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Ich selbst war fast froh, daß sich endlich etwas ereignete.

»Wohin?« fragte ich, als wir zum Abmar­sch bereit waren.

»Am besten über den Fluß. Die Julkas werden zuerst die Seite des Tales absuchen, auf der sie uns gefunden haben. Drüben kön­nen wir uns ein neues Versteck in den Hü­geln suchen.«

»Ich habe keine Lust, mich ständig zu verstecken! Damit erreichen wir doch gar nichts. Wenn die Eingeborenen es darauf an­legen, werden sie uns für den Rest unseres Lebens kreuz und quer über den Kontinent treiben.«

»Was willst du sonst tun?« fragte Fartu­loon ärgerlich. »Dich in den Kampf stürzen? Glaubst du, damit hast du mehr Erfolg? Die ISCHTAR wird zurückkehren, dessen bin ich mir sicher. Aber es kostet Zeit. Wir ha­ben lediglich die Aufgabe, am Leben zu bleiben. Und jetzt komm endlich, sonst sind die Eingeborenen früher zurück, als uns lieb sein kann.«

Mißmutig folgte ich dem Bauchaufschnei­der. Ich wußte, daß seine Argumente ver­nünftig waren, aber das änderte nichts an meiner Überzeugung daran, daß wir diesmal etwas zu tief in der Patsche saßen.

Der Raumsektor, in dem Ketokh sich be­fand, war uns absolut fremd. Es war nicht damit zu rechnen, daß in der nächsten Zeit rein zufällig arkonidische Schiffe auf diesem Planeten landeten. Die Wahrscheinlichkeit

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dafür, zufällig ein anderes raumfahrendes Volk zu treffen, das bereit war, uns zu hel­fen, war noch geringer. Die Julkas hatten ei­ne bescheidene Technik entwickelt, aber zum Bau von Raumern reichten ihre Kennt­nisse noch lange nicht. Wir hatten also keine Chance, selbst die Initiative zu ergreifen. Und die ISCHTAR?

Wer Akon-Akon kannte, der wußte, wie schwer er zu überlisten war.

Wir fanden eine Furt und wateten durch das Wasser ans andere Ufer. Schweigend stapften wir nebeneinander durch das niedri­ge Gras den Hügeln entgegen. Wir hatten die ersten Felsen erreicht, als ein leichtes Zittern den Boden durchlief. Wie auf ein Kommando wirbelten wir herum.

Die Julkas hatten die Höhle gefunden. Ih­re Wut über den Fehlschlag mußte sehr groß sein, denn sie jagten alles, was uns, den ver­haßten Fremden, gehört hatte, in die Luft.

Der halbe Berg barst auseinander. Fel­strümmer segelten durch die Luft, dann ver­hüllte eine dichte Wolke von Rauch und Staub das Bild. Als der Donner der Explosi­on uns erreichte, explodierten auch in der verlassenen Siedlung die ersten Bomben.

»Sie wollen alle Spuren tilgen«, sagte Fartuloon nachdenklich.

Ich preßte die Lippen aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten.

Sie handeln auf Befehl der Gnohlen, be­hauptete das Extrahirn gelassen. Die heimli­chen Herrscher in den schwimmenden Städ­ten wollen sichergehen, daß nichts von euch zurückbleibt. Sie werden euch jagen, sobald sie da drüben fertig sind.

»Schade um die Arbeit«, murmelte Fartu­loon neben mir, wandte sich dann ab und wollte weitergehen. Ich zog den Impuls­strahler aus dem Halfter und setzte mich in Richtung auf den Fluß in Bewegung.

»Was ist los?« Ich antwortete nicht. Es war mir völlig

gleichgültig, wie groß die Übermacht der Julkas war. Ich hatte nur einen Wunsch – ih­nen zu zeigen, daß wir uns unserer Haut wehren konnten.

Fartuloon eilte mir nach. Er wollte mich am Arm packen, aber ich schüttelte ihn ab.

»Bist du verrückt geworden?« schrie er mich an.

Ich hörte ihn kaum. Ein Teil meines Gehirns erkannte klar und

deutlich, daß ich unlogisch und leichtsinnig handelte, aber die Erkenntnis drang nicht voll zu mir durch. Ich war wie in Trance, ei­ne ungeheure Wut füllte mich aus.

Bleib stehen! warnte das Extrahirn ein­dringlich. Noch ein paar Schritte, und du bist im freien Gelände. Willst du den Julkas als Zielscheibe dienen? Wenn du schon un­bedingt gegen sie kämpfen willst, dann fan­ge es wenigstens richtig an!

Für einen Moment stutzte ich. Ich hatte meiner Umgebung keine Beachtung ge­schenkt. Erst jetzt merkte ich, daß ich tat­sächlich drauf und dran war, in das völlig deckungslose Gebiet hinauszutreten. Die Julkas mußten blind sein, wenn sie mich dort nicht sofort bemerkten, und …

Etwas traf mich am Kinn, und dann war vorerst alles dunkel.

*

»Das nächstemal solltest du mich vorher warnen, wenn du die Absicht hast, durchzu­drehen«, hörte ich Fartuloons grollende Stimme. Ich schlug die Augen auf.

Um mich herum waren Felsen. Darüber leuchtete der Abendhimmel in einem seltsa­men Rot.

»Auf der anderen Seite des Flusses brennt es«, erklärte der Bauchaufschneider. »Wir sollten zusehen, daß wir weiterkommen. Wenn der Wind sich dreht, kann das Feuer auf unser Ufer übergreifen.«

Ich rappelte mich mühsam auf, bemerkte, daß Fartuloon jetzt den Impulsstrahler trug und zuckte hilflos die Schultern. Mir war es selbst unbegreiflich, wie es zu dem Vorfall hatte kommen können.

Schweigend suchten wir uns unseren Weg über Geröllstreifen und Kiesflächen, zwi­schen hellen Felsen und dunklen Büschen

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hindurch, bis wir einen Platz fanden, an dem wir uns sicher glaubten. Von oben hatten wir einen guten Überblick. Nicht nur die Trüm­mer der Siedlung brannten, das Feuer hatte sich auf die Halbsteppe der gegenüberlie­genden Talhälfte ausgedehnt. Es hatte seit vielen Tagen nicht geregnet, und das Feuer fand reichlich Nahrung.

»Verrückt«, murmelte Fartuloon. »Diese Julkas müssen übergeschnappt sein. Hof­fentlich haben sie sich wenigstens rechtzei­tig zurückgezogen. Ich möchte wetten, daß sie sich das Ergebnis ihrer Zerstörungswut nicht so grandios vorgestellt haben.«

Ich befand mich nicht in der Stimmung, mich mit den Sorgen und Nöten der Einge­borenen zu befassen. Mir kam immer stärker zu Bewußtsein, daß ich mich in den letzten Tagen geradezu unmöglich verhalten hatte. Was war mit mir los? War wirklich das Ver­schwinden der ISCHTAR der Grund für mein Versagen? Oder handelte es sich um Spätfolgen des geistigen Zwanges, den Akon-Akon auf uns alle ausgeübt hatte?

Fartuloon berührte das Thema nicht. Er tat, als wäre nichts geschehen. Aber ich selbst zerbrach mir die halbe Nacht den Kopf – vergeblich. Auch das Extrahirn konnte mir nicht weiterhelfen.

Im Morgengrauen setzten wir unsere ziel­lose Wanderung fort. Wir hatten keine Ah­nung, wie es weitergehen sollte. Immer wie­der hörten wir aus der Ferne das leise Brum­men von Motoren – die Julkas durchkämm­ten das Gelände. Wir sahen weder sie noch ihre Fahrzeuge, aber das Geräusch allein reichte aus, um uns nervös zu machen.

»Sie können nicht das ganze Tal umzin­gelt haben«, sagte Fartuloon, als wir im Schutz eines großen Felsens Rast machten. »Das Gelände ist viel zu unübersichtlich. Wir müssen die Lücke finden.«

»Wenn wir durchbrechen, wissen sie erst recht, wo wir geblieben sind.«

»Das stimmt. Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Wir bleiben in den Hügeln, su­chen uns ein Versteck und rühren uns nicht. Vielleicht kommen sie dann zu der Überzeu-

Marianne Sydow

gung, daß wir tot sind. Sie werden sich nicht länger als nötig mit der Suche aufhalten.«

Mir war es ziemlich gleichgültig. Sollte die ISCHTAR zurückkehren, dann würde sie auch mit den Eingeborenen fertig werden. Wenn nicht – war es nicht egal, ob die Jul­kas uns umbrachten, oder ob ein wildes Tier diese Aufgabe übernahm?

»Ich denke, das wäre das Vernünftigste«, fuhr Fartuloon unbeeindruckt fort. »Also los, suchen wir uns eine Höhle oder etwas Ähnliches.«

Einige Stunden später lagen wir im wei­chen Sand unter einem Felsüberhang. Es war bedrückend still, kein Tier ließ sich se­hen. Am Himmel zogen bleifarbene Wolken auf. Von hier aus konnten wir die Steppe am anderen Flußufer nicht sehen, aber die auf­steigenden Rauchwolken verrieten uns, daß es immer noch brannte. Wir zuckten zusam­men, als das plötzliche Röhren eines Motors die Stille zerriß.

»Da unten«, sagte der Bauchaufschneider leise und deutete in ein enges, von Felsen umschlossenes Tal.

Ein schwarzer, kastenförmiger Wagen rollte langsam über den groben Kies. Ein paar Julkas beugten sich über die Ränder der Ladefläche und beobachteten die Hänge. Wir waren durch dieses Tal gekommen, und wenn die Eingeborenen nicht schliefen, mußten sie zwangsläufig unsere Spuren fin­den.

»Gib mir den Impulsstrahler!« forderte ich.

»Bist du immer noch nicht zur Vernunft gekommen? Wenn wir die Burschen angrei­fen, haben wir die anderen auch auf dem Hals.«

»Wir können nicht mehr weglaufen«, er­widerte ich ruhig und deutete zum anderen Ende des Tales. Fartuloon stieß einen leisen Fluch aus, als er dort ebenfalls einen Wagen erblickte.

»Wetten, daß es hinter uns genauso ist?« fragte ich. »Sie wissen, wo wir sind. Viel­leicht habe ich ihre technischen Möglichkei­ten unterschätzt, und sie haben doch schon

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so etwas wie Ortungsgeräte.« Fartuloon zögerte noch. Links, etwa einen

Kilometer entfernt, hielt der eine Wagen an. Julkas sprangen auf den Boden und eilten zielsicher an die Stelle des Hanges, an der ein schmaler Sims begann. Das Felsband führte bis dicht unter unser Versteck. Der andere Wagen hielt direkt unter uns an. Die Julkas deuteten nach oben. Wir konnten ihre pfeifenden Stimmen nicht hören, aber der Sinn ihres Manövers wurde offensichtlich, als sie sich an der gegenüberliegenden Seite zwischen großen Steinblöcken verschanzten. Waffen wurden von der Ladefläche gereicht.

»Wir können auf das Band hinunterklet­tern und nach rechts zu entkommen versu­chen«, murmelte der Bauchaufschneider nachdenklich. »Ich fürchte allerdings, du hast recht. Und das hieße, daß sie schon auf uns warten.«

Er gab sich einen Ruck, schob den Strah­ler zu mir herüber und nahm den Bogen zur Hand. Die hölzernen Pfeile konnten zwar die dicke Schutzkleidung der Eingeborenen nicht durchdringen, aber das Felsband war schmal, und vielleicht ließen sie sich durch die heransausenden Pfeile verwirren. Ich war jedenfalls entschlossen, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Die Julkas wollten uns offensichtlich immer noch lebendig ein­fangen. Wenn sie uns in eine ihrer schwim­menden Städte verschleppten, war auch die letzte Chance auf Rettung dahin.

Sorgfältig visierte ich das Fahrzeug an. Der Wagen wurde durch einen Verbren­nungsmotor angetrieben. Ich mußte den Tank treffen, dann würden die auf der Lade­fläche verbliebenen Waffen automatisch mitzerstört werden.

Aber es kam anders. Im selben Augenblick, in dem ich ab­

drücken wollte, flammte ein greller Blitz auf. Ich dachte schon, die Eingeborenen hät­ten auf uns gefeuert, da rollte der Donner über das Tal.

Wir hatten auf das heranziehende Unwet­ter gar nicht mehr geachtet. Der Himmel hatte sich verdunkelt, und als wäre der erste

Blitz ein Signal gewesen, brach das Unwet­ter jetzt voll über uns herein.

Ein fauchender Windstoß fuhr durch das enge Tal, riesige Regentropfen klatschten gegen die Felsen. Eine Serie von Blitzen tauchte unsere Umgebung in flackerndes Licht. Die Julkas rannten zum Wagen zu­rück. Ich sah noch, daß sie die Ladefläche erreichten, dann verhüllten dichte Regen­schwaden das Bild. Von links kamen pfei­fende Schreie. Das schmale Felsband mußte jetzt ein sehr ungemütlicher Aufenthaltsort sein.

Wir preßten uns in den hintersten Winkel unseres Unterschlupfs. Der Regen prasselte mit unvorstellbarer Wucht herab, Wasser sprühte zu uns herein, und der Sturm wirbel­te den Sand auf.

»Das hat uns gerade noch gefehlt!« hörte ich Fartuloon murmeln.

Danach hatten wir lange Zeit ausreichend damit zu tun, uns festzuklammern. Aus einer Felsspalte wenige Meter neben uns brach das Wasser wie aus einem geplatzten Hoch­druckrohr hervor. Die Temperatur sank rapi­de. Naß und frierend hingen wir neben dem spontan entstandenen Wasserfall.

Ein unheimliches Rauschen übertönte den Regen. Es steigerte sich zu einem wilden Getöse. Der Fels unter unseren Körpern er­zitterte.

»Festhalten!« schrie Fartuloon mir zu und deutete auf den Gürtel des Fluggeräts.

Ich robbte näher an ihn heran. Brüllend jagte etwas durch die Schlucht auf uns zu, ein ungeheuerer Windstoß traf uns, dann hatte ich die Hand um den Gürtel geschlos­sen. Die untere Kante des Überhangs raste heran, dann waren wir in der Luft. Der Sturm packte uns und wirbelte uns herum. Ich biß die Zähne zusammen und zwang mich, nicht loszulassen, obwohl ich das Ge­fühl hatte, der Arm würde mir ausgerissen. Endlich hatte Fartuloon die Orientierung wiedergewonnen. Wir trieben ein Stück an der Felswand entlang, dann warf uns eine Bö nach oben, und gleich darauf erreichten wir den Rand des Steilhangs. Der Bauchauf­

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schneider kämpfte wild gegen die unbere­chenbaren Luftströmungen an, aber er schaffte es, uns hinter eine aufragende Fels­nadel zu bringen. Im Windschatten landeten wir ziemlich hart.

Ich blieb erschöpft liegen, bis die wüten­den Schmerzen in meinem Arm nachließen. Dann schob ich mich zu Fartuloon vor, der über die Kante nach unten blickte.

»Es war vorauszusehen«, meinte der Bauchaufschneider gelassen.

Unten gurgelte und strudelte das Wasser. Von den Julkas und ihren Fahrzeugen war nichts mehr zu sehen. Die Flutwelle mußte alles mitgerissen haben, was sich ihr in den Weg stellte.

Das Krachen und Blitzen ließ nach, der Regen wurde dünner. Das Unwetter zog zum Fluß hin weiter.

»Das war Glück im Unglück«, bemerkte ich und rieb mir die Schulter. »Das Gewitter kam genau von der richtigen Seite.«

»Weiter oben muß es schon früher ange­fangen haben zu regnen«, stimmte Fartuloon zu. Er grinste flüchtig. »Jetzt haben wir die Lücke. Komm schon, wir wollen uns beei­len.«

5.

Orbanaschol III. lehnte in den weichen Polstern, zupfte genießerisch eine zartrosa Beere aus der kostbaren Schale, die in be­quemer Reichweite neben ihm stand, und lauschte mäßig interessiert dem Bericht des jungen Kelquan. Als er feststellte, daß Kel­quan nichts Neues zu erzählen hatte, schalte­te er vollends ab und widmete sich seinen Gedanken.

»Die Spuren beweisen … Einwandfrei verschwunden … Nach sorgfältigen Unter­suchungen …«

Es ging um irgendein Forschungskom­mando, das sich seit längerer Zeit nicht mehr meldete. So etwas kam immer wieder vor. Orbanaschol III. dachte daran, daß er eigent­lich stärkere Kontrollen einführen müßte. Es war nicht auszuschließen, daß einige dieser

Marianne Sydow

Kommandos in Wirklichkeit desertierten und eine Widerstandsorganisation gründe­ten. Sobald die laufende Aktion gegen Atlan und dessen Horde abgeschlossen war, würde er sich darum kümmern.

Augenblicklich kehrte jene Unsicherheit zurück, die er immer dann empfand, wenn er an Klinsanthor erinnert wurde. Der Magnor­töter hatte sich zwar bereits gemeldet, aber alles erschien so undurchsichtig und bedroh­lich. Wie konnte er sicher sein, daß der Un­heimliche seinen Auftrag durchführte? Und welche Forderungen wollte Klinsanthor stel­len?

Kelquan redete immer noch. Orbanaschol richtete sich ärgerlich auf. Der junge Arko­nide verstummte sofort und zog sich ein Stück zurück.

Normalerweise empfand der Imperator Genugtuung, wenn er merkte, welche Angst seine Untertanen vor ihm hatten. Heute blieb dieser innere Triumph aus.

Klinsanthor! Sicher war es ein Fehler gewesen, diesen

Fremden zu rufen, aber das Geschehene ließ sich nicht rückgängig machen. Orbanaschol hatte Angst. Seine Berater, die ihn mit dü­sterer Miene zu einem Fenster schreiten sa­hen, wagten kaum zu atmen. Kelquan war blaß, feine Schweißtropfen bedeckten seine Stirn. Wenn der Imperator in dieser Art vor sich hinstarrte, drohte jedem Gefahr, der sich in seiner Nähe aufhielt.

»Vhertos!« Die schrille Fistelstimme des Imperators

konnte nicht befehlend klingen, aber es be­fand sich niemand in dem prunkvollen Sa­lon, der nicht zusammenzuckte.

Ein hagerer Arkonide in höfischer Klei­dung trat bleich, aber gefaßt ein paar Schrit­te vor.

»Gibt es neue Nachrichten über diesen Atlan? Hat man ihn endlich gefaßt?«

Vhertos verneigte sich unterwürfig. »Euer allergnädigste Erhabenheit müssen

sich gedulden«, stotterte er. »Unsere Leute sind dem Verräter auf der Spur …«

»Das höre ich jetzt seit Jahren!« quiekte

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Orbanaschol III. schrill. »Ich will seinen Kopf, und du erzählst mir etwas von Spuren. Ich werde …«

Ein seltsames Gurgeln unterbrach den Im­perator des Großen Imperiums. Totenstille breitete sich aus. Vhertos starrte Orbana­schol entsetzt an, dann blickte er zu Kelquan hinüber, der mit hervorquellenden Augen um sein Gleichgewicht kämpfte. Der Junge schien irgendeinen Anfall zu haben, aber das konnte sein Leben auch nicht mehr retten. Den Imperator zu unterbrechen – das war ein tödliches Vergehen. Vor allem dann, wenn Orbanaschol ohnehin schlechter Laune war.

»Nehmt ihn fest«, befahl der Imperator kalt und wandte sich fast angeekelt ab. »Und nun …«

»Es ist Zeit, Orbanaschol!« Diesmal wirbelte der Imperator trotz sei­

ner Körperfülle auf dem Absatz herum. Je­mand hatte ihn einfach mit seinem Namen angesprochen! Vhertos zog sich eilig ein Stückchen zurück. Vielleicht hatte er Glück, und der Erhabene wurde von den ungeheuer­lichen Vorgängen erfolgreich abgelenkt. Aber Kelquan mußte tatsächlich wahnsinnig geworden sein. Der Junge stand hochaufge­richtet da. Die Männer, die ihn hatten ergrei­fen wollen, waren in grotesker Haltung er­starrt. Fassungslos standen sie um den Jun­gen herum.

»Schafft ihn weg!« kreischte Orbanaschol mit überschnappender Stimme, aber als die Männer den Jungen berührten, zuckten sie erschrocken zurück.

»Er ist steif«, flüsterte einer. »Wie ge­lähmt.«

»Du mußt deine Schulden bezahlen«, sag­te Kelquan. Seine Stimme klang fremd und gepreßt. »Die Belohnung ist fällig.«

Orbanaschol kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Er begann, den Vor­gang zu verstehen. Nicht Kelquan benahm sich unpassend – das wäre auch unwahr­scheinlich genug gewesen. Der Junge stammte aus einer der angesehensten Famili­en des Imperiums, er strebte eine hohe Stel­

lung im Führungsstab an, und er wußte sehr genau, wie er sich bei Hofe zu verhalten hat­te.

»Klinsanthor?« Ein hohles Kichern drang aus Kelquans

Mund. Es wirkte abschreckend und unheim­lich, weil das Gesicht des jungen Arkoniden absolut ausdruckslos blieb. Die Augen blick­ten stumpf in immer dieselbe Richtung.

Orbanaschol III. gab den Männern einen herrischen Wink. Sie zogen sich eilig zu­rück. Jetzt, als ihm die Situation klar wurde, hatte der Imperator sich wieder in der Ge­walt. Endlich würde er Klarheit erhalten.

»Ich hatte versprochen, mich zu melden«, sagte der Unheimliche durch Kelquans Mund. »Diese Art meiner Kontaktaufnahme mag dir seltsam erscheinen, aber es ist für mich der einfachste Weg.«

»Was willst du?« Orbanaschol wußte, daß er von seinen

Untertanen aufmerksam beobachtet wurde. Natürlich war er empört über die Art, in der der Magnortöter mit ihm sprach, und er war auch wütend darüber, daß der Unheimliche diesen Umweg benutzte. Er hätte zu gerne gewußt, wie Klinsanthor nun eigentlich aus­sah. Er zwang sich zur Wahrung des Scheins. Nach außen hin blieb er ruhig – wenigstens vorerst noch.

»Ich verlange nur den Lohn für meine Ar­beit. Du wirst die König-Regho-Flotte an mich ausliefern. Ich gebe dir die Koordina­ten des Übergabeorts bekannt. Sie lauten …«

Ein wütender Aufschrei des Imperators unterbrach Klinsanthor-Kelquan.

»Die Köng-Regho-Flotte! Diese Forde­rung ist purer Wahnsinn! Ein Eliteverband, zweihundertsechsunddreißig Kampfschiffe – die soll ich ausgerechnet dir überlassen? Ich denke nicht daran! Außerdem – was willst du eigentlich mit der Flotte anfangen?«

Klinsanthor-Kelquan wartete geduldig, bis der Ausbruch des Imperators vorüber war. Das Gesicht des jungen Arkoniden zuckte, er stöhnte, aber dann hatte der Ma­gnortöter ihn wieder fest im Griff. Der starre

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Mund öffnete sich, und das hohle Kichern ließ Orbanaschols Kopfhaut kribbeln. Die entsetzliche Angst, einen überlegenen Geg­ner völlig unnötig gereizt zu haben, trieb ihm den Schweiß aus den Poren.

Er hätte dieses Wesen niemals rufen dür­fen!

Aber wer konnte auch ahnen, was Klinsanthor vermochte – die mythologisch ausgeschmückten Berichte lieferten keine konkreten Anhaltspunkte. Orbanaschol hatte geglaubt, mit jedem Gegner fertig zu wer­den, und Klinsanthor war angeblich nichts als ein Werkzeug, dessen ein Imperator sich bedienen konnte, wie es ihm beliebte.

»Was ich mit der mir zustehenden Beloh­nung anfange, geht dich nichts an«, versi­cherte der Unheimliche kalt. »Du erhältst jetzt die Koordinaten – und ich rate dir, gut zuzuhören. Wenn du deine Schulden nicht bezahlst, werde ich mich auf meine Weise selbst schadlos halten.«

Orbanaschol war von dieser unverschäm­ten Drohung so schockiert, daß er wie ein Fisch nach Luft schnappte.

Eine Reihe von Zahlen drang aus Kel­quans Mund, ein Name – Kallito. Ehe Orba­naschol sich soweit erholt hatte, daß er Klinsanthor eine Antwort geben konnte, brach der junge Arkonide zusammen.

Minutenlang blieb es still in dem großen Salon. Dann breitete ein leises Raunen sich aus.

Der Imperator legte den Kopf schräg und lauschte verwundert. Es dauerte geraume Zeit, bis er das Raunen in den richtigen Zu­sammenhang gebracht hatte. Wütend sah er sich um. Das Flüstern und Murmeln ver­stummte, schreckensbleiche Gesichter starr­ten ihn an.

Orbanaschol lächelte verzerrt. So war es besser! Noch war er derjenige, der die Macht in den Händen hielt.

Kelquan schlug die Augen auf, richtete sich mühsam auf und stierte verblüfft auf den Boden. Dann entdeckte er den Impera­tor, der direkt vor ihm stand. Entsetzt riß er sich zusammen und bemühte sich, Haltung

Marianne Sydow

anzunehmen, aber er konnte nicht verhin­dern, daß er am ganzen Körper zitterte. Er wußte, daß etwas Schreckliches geschehen war – aber er hatte keine Erinnerung an die letzten Minuten.

»Nun?« Kelquan öffnete ein paarmal den Mund,

ehe es ihm gelang, ein verständliches Wort hervorzubringen.

»Euer Erhabenheit, ich bitte euch, gnä­digst mein Versagen zu entschuldigen. Ich … mein … mir war etwas unwohl. Wenn Eure Erhabenheit es erlauben, werde ich mich zurückziehen und einen Bauchauf­schneider konsultieren …«

An Orbanaschols zynischem Grinsen zer­brach der Rest an Selbstbeherrschung, durch den der Arkonide sich noch aufrecht hielt. Er begann zu stottern, schlug dann die Hän­de vors Gesicht und sank in die Knie.

»Schafft ihn weg!« befahl Orbanaschol verächtlich.

Zwei Wachen rissen Kelquan hoch und zogen ihn zum Ausgang.

»Aber so sagt mir doch wenigstens, was geschehen ist!« schrie der junge Mann ver­zweifelt. »Ich weiß doch nichts. Es ist alles leer in mir! Helft mir!«

Sein Geschrei entfernte sich schnell. Je­mand war so taktvoll, die Tür zu schließen. Orbanaschol kehrte zu den weichen Kissen zurück. Ein Höfling reichte ihm einen Be­cher Wein. Der Mann verbeugte sich über­trieben tief und vermied es, den Imperator anzusehen. Orbanaschol riß ihm ungeduldig den Becher aus der Hand und stürzte das Getränk in einem Zug herunter.

Nur allmählich kamen seine vibrierenden Nerven zur Ruhe. Den zweiten Becher leerte er langsam, und er überdachte dabei die La­ge. Angenehm war sie nicht. Er hatte der Wut nachgegeben. Natürlich hatte Kelquan keine Schuld an dem, was Klinsanthor getan hatte. Aber es war nun einmal geschehen. Einen Fehler einzugestehen, konnte Orbana­schol sich nicht leisten. Er würde dafür sor­gen müssen, daß andere belastende Punkte in Kelquans Vorleben auftauchten. Aber das

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war das kleinere Problem. Solange die Po­gim die Dinge im Griff behielt, durfte nie­mand es wagen, den Imperator wegen des Verschwindens eines adligen Höflings zur Rechenschaft zu ziehen.

Anders verhielt es sich da schon bei Klinsanthor.

Die König-Regho-Flotte! Orbanaschol kam einfach nicht darüber

hinweg. Selbstverständlich würde er diese unverschämte Forderung nicht erfüllen. Er besaß ja nicht einmal einen Beweis dafür, daß Klinsanthor seinen Auftrag tatsächlich erfüllt hatte!

»Auf welchen Ort treffen die Koordinaten zu?« fragte er.

Er hielt es für selbstverständlich, daß so­fort einer seiner Vertrauten die Antwort be­reit hielt.

»Es handelt sich um einen Punkt in der Nähe des Systems Kallito, das am Rande der arkonidischen Ballung steht.«

Dem Sprecher, einem alten, fast kahlköp­figen Arkoniden, war anzumerken, daß er gerne eine Frage gestellt hatte. Orbanaschol ließ ihn schmoren. Die Spannung im Salon steigerte sich. Der Imperator lächelte zy­nisch. Er legte sich keine Rechenschaft über die Gründe seines Verhaltens ab. Indem er seine Untertanen in Furcht versetzte, kom­pensierte er seine Angst vor Klinsanthor. Er wagte auch nicht, darüber nachzudenken, was der Magnortöter unternehmen würde, wenn die Flotte nicht termingerecht vor Kal­lito auftauchte.

Als er den Becher mit einer plötzlichen Bewegung gegen die Wand schleuderte, ging ein kaum hörbares Stöhnen durch die Gruppen der Anwesenden. Das kristallene Trinkgefäß zersplitterte, der Rest des kostba­ren Weines versickerte im Teppich.

»Die Flotte wird diesen Ort nicht ansteu­ern!« gab Orbanaschol bekannt. »Klinsanthor hat seine Forderung zu früh gestellt. Noch ist er mir den Beweis dafür schuldig, daß er die Belohnung verdient. Ich will Altans Kopf sehen – dann bin ich bereit, zu bezahlen.«

Orbanaschol verließ hochaufgerichtet den Salon. Seine persönlichen Diener um­schwirrten ihn wie Motten das Licht. Die Höflinge eilten hinterher. Nur wenige Män­ner ließen sich von dieser unterwürfigen Be­triebsamkeit nicht anstecken. Sie blieben zu­rück, aber auch sie wagten es nicht, an die­sem Ort ihre Bedenken auszusprechen.

6.

Das Unwetter bildete offensichtlich den Beginn einer unangenehmen Wetterverände­rung. Es blieb kühl und regnerisch, ein kal­ter Wind kam auf.

Wir hatten uns inzwischen weit genug vom Tal entfernt. Von den Julkas war nichts mehr zu hören oder zu sehen, obwohl sie sich bei diesem Wetter vermutlich um eini­ges wohler fühlten, als es bei uns der Fall war. Vor uns dehnte sich eine weite, trostlo­se Ebene, bedeckt von triefenden Buschwäl­dern und schlammigen Grasflächen. Im Schutz der letzten Felsen hatten wir mit viel Mühe ein kleines Feuer entfacht. Wir waren durchgefroren und müde. Da sämtliche Tiere sich verborgen hielten, waren wir auf die spärlichen Vorräte angewiesen. Das Feuer qualmte unerträglich, und meine Laune war auf dem Nullpunkt angelangt.

»Ein reizender Ort«, sagte ich bissig. »Zum Glück wird ja in spätestens hundert Jahren die ISCHTAR hier auftauchen und uns abholen. Eine Kleinigkeit, die Leuten wie uns nichts ausmachen sollte, nicht wahr?«

Fartuloon warf mir einen kühlen Blick zu. Die Ruhe, die er zur Schau trug, machte

mich rasend. Ich wußte, wie sinnlos es war, einen Streit zu provozieren, aber irgendwie mußte ich mir Luft verschaffen. Fartuloon tat mir den Gefallen nicht, er reagierte ein­fach nicht. Behäbig saß er neben dem Feuer, kaute gelassen auf dem Rest des zähen Bra­tens herum und beobachtete das Feuer. Die roten Flammen spiegelten sich auf seinem zerbeulten Brustpanzer.

»Du arbeitest vermutlich an einem genia­

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len Plan«, fuhr ich in bewußt aufreizendem Tonfall fort. »Demnächst werden wir den Spitzköpfen ein paar Wagen abnehmen und aus einem stinkenden Motor und sonstigen Teilen ein Wunderwerk der Technik zusam­menbasteln. Da du ja überall Stützpunkte und versteckte Stationen unterhältst, dürfte es ein Kinderspiel sein, Kraumon zu errei­chen. Habe ich recht?«

»Nicht ganz«, erwiderte Fartuloon lä­chelnd. »Den ersten Teil der Arbeit können wir uns wahrscheinlich sparen. Es sieht so aus, als wäre bereits ein Raumschiff für uns unterwegs.«

Ich fuhr hoch, stieß mir den Kopf und starrte den Bauchaufschneider entgeistert an. Also doch! Akon-Akon hinterließ Spuren im Gehirn derer, die er zu seinen Untertanen machte!

»Bevor du irgendwelche Verdächtigungen aussprichst«, sagte Fartuloon mit vollem Mund, »solltest du in diese Richtung blicken!«

Automatisch folgte ich seinem Hinweis. Aus den tiefhängenden Wolken sank ein

schwarzes Gebilde. Es war zu weit entfernt, um Einzelheiten erkennen zu können, aber es handelte sich zweifellos um ein Flugge­rät, und es kam auf uns zu!

Die Unsicherheit der letzten Tage fiel von mir ab. Hastig duckte ich mich unter dem Felsen hindurch und wollte zum voraus­sichtlichen Landeplatz rennen. Fartuloon war sofort neben mir und hielt mich zurück.

»Vorsicht«, brummte er. »Noch wissen wir nicht, ob man an Bord überhaupt Passa­giere wünscht!«

Gebannt beobachteten wir das Gebilde. Es glitt langsam näher, und als ich endlich Ein­zelheiten ausmachte, stieß ich einen über­raschten Pfiff aus.

Der Flugkörper war scheibenförmig, be­saß auf der Oberseite eine Energiekuppel und auf der Unterseite gitterähnliche Aus­wüchse.

»Die Station im Raum«, flüsterte ich auf geregt.

Fartuloon fuhr herum.

Marianne Sydow

Ich hatte ihm von meinem Erlebnis be­richtet. Während die restliche Besatzung der ISCHTAR bewußtlos gewesen war, hatte ich als einziger einen rätselhaften Vorgang be­obachtet. Eine fremde Raumstation war auf den Schirmen aufgetaucht. Mein Vater, der seit seiner Wiedererweckung auf nichts rea­giert hatte, manipulierte die Steuerung des Schiffes und sprach mit einem Unbekannten in einer fremden Sprache. Später war der Name »Klinsanthor« gefallen – und Fartu­loon schien ihn zu kennen. Allerdings hüllte der Bauchaufschneider sich in Schweigen und weigerte sich, irgendeine Erklärung zu geben.

Der Flugkörper besaß die Form der Raumstation, aber er war nicht mit ihr iden­tisch. Die Station mußte ungeheure Ausma­ße haben, der Flugkörper dagegen war nur fünf Meter hoch, der Durchmesser betrug das doppelte. Völlig geräuschlos senkte das Beiboot sich vor uns, ein schwaches Flim­mern ging von seiner Unterseite aus. Sanft kam es auf dem energetischen Polster zum Stillstand, ohne daß die gitterförmigen Aus­wüchse den Boden berührten. Eine Schleuse öffnete sich, und ein leuchtendes Band zeig­te das Vorhandensein einer energetischen Rampe an.

»Das gefällt mir nicht.« Ich warf Fartuloon einen unwilligen Blick

zu. »Wem immer dieses Boot auch gehört, er

meint es offensichtlich gut mit uns«, sagte ich. »Komm endlich, oder willst du warten, bis das Schiff ohne uns abfliegt?«

»Für mich besteht kein Zweifel daran, daß Klinsanthor uns das Boot geschickt hat. Es soll schon vielen Leuten sehr schlecht ergan­gen sein, die sich auf Geschäfte mit dem Magnortöter eingelassen haben. Es ist besser für uns, wenn wir auf die ISCHTAR war­ten.«

»Die vielleicht nie kommt! Dein Klinsan­thor kann meinetwegen der Fürst aller Dä­monen in Person sein, aber ich lasse mir die­se Chance nicht entgehen!«

»Es könnte eine tödliche Falle sein.«

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27 Station der Geister

»Und wenn schon! Ich habe in so vielen Fallen gesessen, daß ich sie nicht mehr zu zählen vermag. Trotzdem lebe ich noch. Du hast mir vor einigen Tagen einen wunder­schönen Vortrag gehalten. Nun, dort steht ein Ding, das uns von Ketokh wegbringen wird. Falls es da drin Gefahren gibt, werden wir sie beseitigen. Und wenn du nicht willst, kannst du ja hierbleiben.«

Das war natürlich gelogen, aber ich war wirklich wütend. Das Beiboot wartete – wie lange? Jeden Augenblick konnten die Her­ren der Station es sich anders überlegen.

Fartuloon zuckte die Schultern und rückte seinen Gürtel zurecht.

Drinnen sah es nüchtern und fremdartig zugleich aus. Der Innenraum wurde durch technische Anlagen mehrfach unterteilt. Die Geräte waren mir unbekannt, aber sie mach­ten einen sehr starken Eindruck auf mich. Obwohl ich ihre Funktion nicht durchschau­te, war ich mir sicher, daß es an ihnen nichts zu verbessern gab.

Lautlos schloß sich das Schott hinter uns. Fartuloon stand in der Mitte des freien Raumes, der sich an die Schleuse anschloß. Er blickte sich wachsam um, seine rechte Hand lag auf dem Griff des Schwertes.

Ein leises Summen drang aus den Gerä­ten. Der Boden unter unseren Füßen vibrier­te leicht, dann erhellte sich ein großes Qua­drat an der rechten Wand.

Wir waren gestartet. Unter uns versank der Planet Ketokh,

grauer Dunst wirbelte auf dem Bildschirm, blieb dann zurück und gab den Blick auf die Sterne frei.

*

Wir hatten das erstaunliche Fahrzeug gründlich durchsucht. Nirgends gab es Schaltelemente, die darauf schließen ließen, daß man mit ihnen das Boot steuern konnte. Offensichtlich hatte eine vollrobotische An­lage diese Aufgabe übernommen, und wenn diese Maschine überhaupt zu manipulieren war, dann jedenfalls nicht durch uns. Die

Einrichtung war zu fremdartig. Wenigstens hatten die Besitzer des Bootes

nicht die Absicht, uns verhungern oder ver­dursten zu lassen. Nachdem wir unseren Rundgang beendet hatten und wieder am Ausgangspunkt anlangten, surrte es an ei­nem Geräteblock, eine Klappe öffnete sich, und zwei Behälter glitten schwerelos daraus hervor. Die silbrigen Dinger schwirrten ge­nau auf uns zu.

»Was soll das?« fragte Fartuloon alar­miert und faßte das Skarg fester.

Die Behälter hielten dicht vor uns an, ein leiser Glockenton erklang. Im gleichen Au­genblick löste der obere Teil der Kästen sich einfach auf, und ein verlockender Duft stieg uns in die Nase.

»Fleisch, Gemüse, Früchte, sogar Wein«, staunte Fartuloon.

»Es ist serviert«, murmelte ich spöttisch und berührte den Behälter vorsichtig. Das Ding bestand aus einem mir unbekannten Material. Die Speisen dampften, aber der Behälter selbst fühlte sich kühl an.

Fartuloon leckte sich die Lippen und wollte den Teller mit den großen Fleisch­stücken aus seinem Behälter nehmen, aber das ging nicht.

»Wir müssen wohl im Stehen essen«, be­merkte er stirnrunzelnd.

Der Behälter richtet sich nach eurer Hal­tung, teilte das Extrahirn mir mit. Es hatte eine Beobachtung ausgewertet, der ich keine Aufmerksamkeit schenkte. Fartuloon war et­was kleiner als ich, und trotzdem hielt sich der Behälter auch für ihn in bequemer Reichweite.

Ohne zu zögern, setzte ich mich auf den Boden, lehnte mich gegen die warme Wand eines Maschinenblocks und wartete, bis die seltsame Servierautomatik sich auf die ver­änderten Verhältnisse eingestellt hatte.

Als wir satt waren, blieben die Behälter noch für kurze Zeit vor uns stehen, dann setzten sie sich in Bewegung und ver­schwanden wieder hinter der Klappe.

»Diese Leute scheinen zumindest gast­freundlich zu sein«, sagte ich zufrieden. Mir

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war viel wohler, seitdem ich endlich wieder einmal eine vernünftige Mahlzeit zu mir ge­nommen hatte. »Woher wußten sie eigent­lich, was wir am liebsten zu uns nehmen?«

»Was weiß ich«, knurrte Fartuloon. Ihn hatte die vorzügliche Bewirtung nicht beru­higen können. »Außerdem braucht das mit Freundlichkeit nichts zu tun zu haben. Auch einem Verurteilten gewährt man einen letz­ten Wunsch.«

»Dein Pessimismus, verehrter Pflegeva­ter, geht mir auf die Nerven, auch wenn er möglicherweise berechtigt ist. Findest du nicht, daß es an der Zeit ist, mir ein paar Er­klärungen zu geben?«

»Du möchtest wissen, was es mit Klinsan­thor auf sich hat?«

»Was sonst?« »Neugier ist das Vorrecht der Jugend«,

schnaufte Fartuloon und warf dem Bild­schirm mißtrauische Blicke zu. Eine Unzahl von Sternen blitzte darauf. Ab und zu zogen farbige Schlieren über das Bild, ein Phäno­men, das ich nicht einzuordnen vermochte. Erst allmählich erkannte ich, daß sie das ein­zige sichtbare Anzeichen dafür bildeten, daß das Boot sich streckenweise schneller als das Licht bewegte. Die Technik der – oder des – Fremden mußte der unseren weit über­legen sein. Die arkonidischen Schiffe ver­fügten über Transitionsantriebe, wir »sprangen« durch den Hyperraum, wobei wir für einen nicht meßbaren Zeitraum ent­stofflicht wurden – ein Vorgang, der unan­genehme, auch schmerzhafte Begleiterschei­nungen mit sich brachte. Bei den Varganen hatte ich eine andere Form des Antriebs ken­nengelernt, wobei mir leider die technischen Einzelheiten verborgen geblieben waren. Je­denfalls schien außerhalb des Mikrokosmos auch ein anderes Volk einen überlicht­schnellen Antrieb auf völlig anderer Basis entwickelt zu haben.

»Ich kann dir über Klinsanthor nicht mehr sagen, als ich selbst gehört und gelesen ha­be. Zum größten Teil handelt es sich um Märchen oder Sagen – ihr Wahrheitsgehalt ist ziemlich fragwürdig.«

Marianne Sydow

»Spare dir die Einleitung und komme zum Thema. Wer oder was ist Klinsanthor?«

Der Bauchaufschneider seufzte. »Der Kosmos wird an vielen Stellen von

psionischen Energiebahnen durchlaufen«, erklärte er. »Sie sind unsichtbar und mit nor­malen Geräten nicht zu orten. An einigen Stellen treffen und überkreuzen sie sich, es entstehen Schnittpunkte, die von höherem Energiegehalt sind.«

»Das klingt nicht nach einem Märchen«, murmelte ich.

Fartuloon lächelte schwach. »Es ist auch keins. Allerdings ist es wie

gesagt sehr schwierig, die Existenz dieser Bahnen überhaupt nachzuweisen. Aus den Überlieferungen verschiedener uralter Völ­ker geht jedoch hervor, daß es irgendwann Wesen gab, die die Bahnen kannten und so­gar benutzten. Und jetzt kommt das, was der ganzen Geschichte einen unwirklichen Aspekt verleiht.«

»Es war einmal«, grinste ich. Der Bauchaufschneider nickte grimmig. »Es war einmal in fernster Vergangenheit

ein Raumfahrer. Er gehörte einem unbe­kannten Volk an, und er hieß Klinsanthor. Er geriet zufällig in einen solchen Schnitt­punkt, blieb dort hängen und wurde durch ir­gendwelche Umstände mit übernatürlichen Kräften ausgestattet. Klinsanthor wurde völ­lig verändert. Seine Fähigkeiten hätten ihm zu großer Macht verhelfen können, aber er konnte sich ihrer anscheinend nicht frei be­dienen. Er geriet in ein Abhängigkeitsver­hältnis zu anderen Wesen, die ihn rufen und sich seiner bedienen konnten.«

»Und wie riefen sie ihn?« »Das ist ein Geheimnis. Der jeweilige Im­

perator des Großen Imperiums vermag übri­gens Klinsanthor zu rufen.«

Ich fuhr hoch. »Orbanaschol?« »Ich weiß nicht, ob er in das Geheimnis

eingeweiht ist«, erwiderte Fartuloon ernst. »Aber es läßt sich nicht völlig ausschließen. Die Art der Kontaktaufnahme wird nirgends konkret geschildert, es scheint, als handele

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es sich um einen fast unberechenbaren Ef­fekt.«

»Vielleicht läuft eine dieser rätselhaften Energiebahnen durch Arkon I hindurch.«

»Das sind Vermutungen – wie alles ande­re, was Klinsanthor betrifft. Aber laß mich weitererzählen. In der Vergangenheit ge­langten immer wieder Wesen an das Ge­heimnis, und sie riefen Klinsanthor. Dem Fremden scheint nichts anderes übrigzublei­ben, als derart erteilte Aufgaben zu erfüllen. Bezeichnenderweise wendeten sich haupt­sächlich Leute an ihn, deren Ziele nicht un­bedingt positiv waren. Mit anderen Worten: Der verschollene Raumfahrer wurde gründ­lich mißbraucht. Es gab große Katastrophen, die man auf ihn zurückführte, darunter auch einige geheimnisvolle Vorgänge nach den Unabhängigkeitskriegen zwischen Akon und den abtrünnigen Arkoniden, die letztlich dei­ne Vorfahren sind. So kam Klinsanthor zu dem Beinamen ›Magnortöter‹. Das ist so ziemlich alles, was ich in Erfahrung bringen konnte.«

»Eine Märchenfigur ist er jedenfalls nicht, das dürfte durch den Zwischenfall auf der ISCHTAR bewiesen sein. Wenn Orbana­schol ihn wirklich gerufen hat …«

Es knackte, und wir fuhren beide zusam­men.

»Orbanaschol III. hat die Bedingungen noch nicht erfüllt«, sagte eine knarrende Stimme aus einem unsichtbaren Lautspre­cher. »Das kann eure Chance sein!«

Wir sahen uns stumm an. Klinsanthor exi­stierte zweifellos – und wir saßen in einem Raumschiff, das allein seinen Befehlen ge­horchte.

7.

Der Flug dauerte nicht lange. Höchstens eine Stunde war vergangen, seit der Magn­ortöter sich gemeldet hatte, da tauchte auf den Bildschirmen die Station auf, die ich schon einmal gesehen hatte.

Eine gigantische Scheibe, deren Durch­messer mindestens drei Kilometer betrug.

Die Oberseite wurde von einem mächtigen Energieschirm überspannt, aus der Untersei­te ragten diese gitterähnlichen Auswüchse in den Raum, die – in verkleinerter Form – auch unser Beiboot besaß. Das kleine Schiff raste auf diese Scheibe zu.

Eine riesige Wand aus Metall wuchs vor uns auf. Nur selten durchbrachen halbrunde Höcker, trichterförmige Vertiefungen oder dünne Metallgebilde die Einförmigkeit die­ser glatten Fläche. Auf einen der Trichter steuerte das Beiboot los.

»Wir sind viel zu schnell«, flüsterte Fartu­loon besorgt. Auch ich beobachtete das Ma­növer mit gemischten Gefühlen.

Das Beiboot war höchstens noch zwei Ki­lometer von der Seitenwand der Station ent­fernt, und ich schloß entsetzt die Augen. Da der Aufprall und das unvermeidliche Ende eine Sekunde später immer noch nicht ein­getreten waren, wagte ich es, zu blinzeln. Verblüfft starrte ich auf die Schirme. Es mußte sich um eine Halluzination handeln. Kein Raumschiff konnte meiner Meinung nach auf so kurzer Strecke mit derart irrsin­nigen Werten gebremst haben, ohne daß man in seinem Innern nicht wenigstens einen Ruck gespürt hätte.

»Noch einmal davongekommen«, seufzte Fartuloon neben mir und stieß geräuschvoll den Atem aus.

Also doch keine Halluzination! Wir schwebten sanft an der Wand ent­

lang. Über der trichterförmigen Vertiefung kam das Beiboot kurz zum Stillstand. Ir­gendwo in den Geräteblöcken tickte es. Die Stille war bedrückend. Nirgends ein Ge­räusch, das auf die Arbeit der Antriebsag­gregate hingewiesen hätte. Dieses kleine Schiff war tatsächlich ein technisches Wun­der.

Laß den Unsinn, mahnte das Extrahirn. Du wirst kaum Gelegenheit haben, dieses Schiff deiner Privatflotte einzuverleiben. Vergiß nicht, in welcher Lage du dich befin­dest.

Mit diesem Boot könnten wir in wenigen Tagen nach Kraumon und zurück fliegen.

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Zweifellos. Aber vorher müßtest du diese Geräte erforschen, die Bedienungselemente erkennen lernen und außerdem die Position innerhalb der Galaxis herausfinden – und das mit einer Anlage, die dir von Grund auf fremd ist.

Inzwischen schwebte das Boot dem Mit­telpunkt des Trichters entgegen. Das Innere der Vertiefung war pechschwarz, und es lie­ßen sich keine Einzelheiten ausmachen. Ge­rade dachte ich bedauernd, daß wir den Schleusenmechanismus nicht erkennen wür­den, da flammten Scheinwerfer auf.

Eine regenbogenfarbige Fläche lag vor uns. Sie schillerte unruhig, wie eine mit ei­nem Ölfilm bedeckte Wasserlache, über die ein leichter Wind strich. Dann wurden la­mellenförmige Elemente sichtbar, die sich ineinander schoben und eine blaßgelbe Öff­nung freigaben. Das Beiboot glitt tiefer, pas­sierte den Kranz der Lamellen, und aus der Nähe wurde deutlich, daß diese Gebilde fast so dünn wie Papier waren.

Wir passierten eine blaßgelbe Röhre, de­ren Wände so gleichförmig waren, daß sie uns keinen Anhaltspunkt gaben, um unsere Geschwindigkeit zu schätzen.

Ich warf Fartuloon einen Blick zu. Der Bauchaufschneider starrte düster auf die Bildschirme.

Ein zweiter Lamellenverschluß tauchte auf, aber dahinter begann wieder ein gelber Gang, und erst nach der dritten Schleuse lan­dete das Beiboot in einer Halle. Gleichzeitig wurden die Bildschirme dunkel, die Schleu­se öffnete sich.

»Endstation«, murmelte Fartuloon und nickte mir zu.

Vorsichtig, nach allen Seiten sichernd, verließen wir das kleine Schiff über die energetische Rampe. Falls es sich bei dieser Halle um einen Hangar handelte, so hatte man eine Menge Platz verschwendet. Kein weiteres Beiboot war in Sicht. Dafür gab es an der gegenüberliegenden Wand mehrere Öffnungen.

»Wohin?« Ich hoffe, daß Klinsanthor sich auf diese

Marianne Sydow

Frage melden würde, aber der Magnortöter schwieg sich aus.

»Die Gänge führen ins Innere der Stati­on«, murmelte der Bauchaufschneider. »Wir sollten versuchen, ins Zentrum vorzudrin­gen. Vielleicht treffen wir dort auf Klinsan­thor. Ohne seine Zustimmung werden wir die Station wohl kaum verlassen können.«

Es waren acht Gänge, die uns zur Verfü­gung standen. Wir spähten in jeden hinein, aber die Korridore glichen einander wie ein Ei dem anderen. Sie waren scheinbar endlos lang, von quadratischem Querschnitt und von blaßgelbem Licht erfüllt, dessen Her­kunft unerklärlich war. Alle Wände bestan­den aus einem hellgrauen, absolut glatten Material. Nirgends sahen wir Türen oder sonstige Öffnungen, nicht einmal Fugen, die das Vorhandensein verschlossener Durch­gänge andeuteten.

Und doch mußte es Seitenräume geben, denn die Abstände zwischen den Korridoren waren so groß, daß es unvernünftig erschien, zwischen ihnen nur leeren Raum zu vermu­ten.

»Ich schlage vor, wir kehren zunächst ins Boot zurück, lassen uns eine Mahlzeit ser­vieren und versuchen, auch etwas Proviant herauszuschinden«, meinte Fartuloon, als wir diese erste Untersuchung abgeschlossen hatten.

»Das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag«, sagte eine heisere, schrill klingende Stimme.

Wir fuhren herum und starrten den Frem­den an.

Er war aus einem der Korridore getreten – genauer gesagt, aus dem, den ich zuletzt un­tersucht hatte. Mir war es rätselhaft, woher der Mann kam – ich hätte ihn sehen müssen. Aber nun stand er da, ein Arkonide wie aus einem Bilderbuch, mit halblangem, schnee­weißem Haar, schmalrückiger, leicht gebo­gener Nase und messerscharfem Mund. Sei­ne roten Augen musterten uns prüfend, wäh­rend er die rechte Hand hinter dem breiten Gürtel verhakte, der sich um seine schmalen Hüften schlang. Er trug eine Uniform, wie ich sie noch nie gesehen hatte, bunt, farben­

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prächtig, von glitzernden Abzeichen und Streifen übersät. Seine Füße steckten in San­dalen, deren goldene Riemen sich bis zu den Knien hinaufwanden.

»Wer sind Sie?« fragte Fartuloon miß­trauisch.

Der Arkonide vollführte eine formvollen­dete Verbeugung, richtete sich dann auf und schlug mit der rechten Hand gegen seine Brust.

»Mein Name ist Scolaimon Nove!« Wir warfen uns erstaunte Blicke zu. Der

Name war ungewöhnlich. »Und was machen Sie hier?« »Dasselbe wie Sie, denke ich«, sagte No­

ve mit einem so arroganten Lächeln, wie es nur ein Arkonide des Hochadels zustande bringen konnte. »Aber Sie hatten gerade einen löblichen Entschluß gefaßt. Darf ich Ihnen bei Ihrem Mahl Gesellschaft leisten?«

Vorsicht! wisperte das Extrahirn. Mit dem Burschen stimmt etwas nicht.

Diesen Verdacht habe ich auch, gab ich lautlos zurück. Aber ich komme nicht dahin­ter, was mit ihm los ist. Vielleicht ist er eine von Orbanaschols Kreaturen, und Klinsan­thor hält ihn als Geisel.

Der Logiksektor schwieg. Der aktivierte Gehirnteil brauchte weitere Fakten, um die Wahrscheinlichkeit dieser Theorie zu prü­fen.

»Es wird uns eine Ehre sein«, sagte ich zu dem Arkoniden. Er nickte kurz und ging oh­ne zu zögern auf das Boot zu. Fartuloon öff­nete den Mund, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders. Grim­mig stapfte er Nove nach. Seine Hand hatte sich um den Griff des Skargs geschlossen. Also war auch er mißtrauisch.

Während wir die Halle durchquerten, ver­suchte ich, aus der Gestalt Noves und seinen Bewegungen etwas herauszulesen, aber ich konnte nichts entdecken, was von der Norm abwich. Es schien sich um einen ganz ge­wöhnlichen Arkoniden zu handeln. Am En­de der energetischen Rampe blieb er stehen und wartete, bis wir neben ihm waren.

»Wie lange sind Sie eigentlich schon in

dieser Station?« »Station?« fragte Nove zerstreut, starrte

den Bauchaufschneider an, der die Frage ge­stellt hatte, und strich sich über die Stirn. »Ach so, Sie meinen dieses Gebilde hier! Ich weiß nicht so recht, wie ich hergekom­men bin. Bis jetzt nahm ich an, es handele sich um eine unterplanetarische Anlage oder so etwas. Ich habe mehrmals versucht, den Ausgang zu finden, aber es ist mir nicht ge­lungen.«

Er hat die Frage noch nicht beantwortet. »Da hatten Sie Glück«, sagte Fartuloon.

»Diese Station schwebt im Weltraum. Der Ausgang hätte sie unweigerlich ins Vakuum geführt.«

»Ja, so kann es gehen!« lachte Scolaimon Nove.

»Wie lange sind Sie also hier?« mischte ich mich ein.

Der Arkonide zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Hier drin

verändert sich nichts; und darum ist es ein­fach unmöglich, die Zeit zu messen.«

Die Rampe trug uns nach oben, ohne daß wir etwas zu tun brauchten.

»Jahre?« bohrte ich weiter. Wieder wirkte Nove verwirrt, zögerte mit

der Antwort, als müsse er den Begriff erst verarbeiten. »So lange wohl nicht«, erklärte er schließlich.

Inzwischen hatten wir die Schleuse er­reicht. Niemand hinderte uns daran, das Bei­boot zu betreten. Ich hatte instinktiv mit Schwierigkeiten gerechnet, aber dann wurde mir klar, daß Klinsanthor sich eine gewisse Großzügigkeit leisten durfte. Mit den Kon­trollen wurden wir sowieso nicht fertig, es war uns also unmöglich, zu fliehen.

Ich beobachtete Nove genau. Er sah sich schnell um, war jedoch über die Fremdartig­keit dieser Umgebung kaum erstaunt. Zielsi­cher ging er zu einer von Schaltern übersä­ten Wand, seine Finger tasteten geschickt über Knöpfe und Hebel, dann sah er auf einen Bildschirm. Er wirkte enttäuscht. Hat­te er wirklich geglaubt, das Beiboot unter seine Kontrolle bringen zu können?

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Er merkte, daß ich ihn beobachtete und wandte sich rasch ab. Sein Gesicht zeigte wieder den gleichgültigarroganten Aus­druck.

»Sie kennen sich mit diesen Maschinen aus?« fragte ich mißtrauisch.

»Ein wenig«, erwiderte er abweisend. »Offensichtlich reichen meine Kenntnisse nicht aus. Schade, es wäre eine einmalige Gelegenheit gewesen, aus der Station zu ent­kommen.«

Die automatischen Essenbehälter tauchten auf, und die Unterhaltung wurde unterbro­chen. Wir hatten Hunger, und da wir nicht wußten, ob wir in der Station ebensogut be­dient wurden, genossen wir die Mahlzeit. Die Portionen waren reichlich bemessen. Wir wickelten die Reste ein und verstauten sie in unseren Gürteltaschen.

»Woher kommen Sie?« begann ich das Fragespiel von neuem.

Scolaimon Nove lächelte amüsiert. »Sie sind sehr neugierig, um nicht zu sa­

gen unhöflich«, stellte er fest. »Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, daß ich an Sie noch keine Fragen gerichtet habe?«

»Das ist keine Antwort. Nennen Sie mir den Namen des Planeten, auf dem Sie gebo­ren wurden.«

Wieder wirkte Nove verwirrt. Ich hatte den Eindruck, als beherrsche er unsere Spra­che nur sehr schlecht. Andererseits war sei­ne Aussprache fehlerfrei. Sein Arkonidisch entsprach jener Ausdrucksweise, wie sie un­ter gebildeten Arkoniden verwendet wurde.

»Wir sollten das Boot jetzt wieder verlas­sen«, mischte Fartuloon sich ein. »Klinsanthor könnte ungeduldig werden. Er wartet sicher darauf, daß wir uns zur Zentra­le der Station durcharbeiten.«

Im ersten Moment war ich ärgerlich über den Bauchaufschneider.

Ich glaubte, dem Ziel schon ziemlich nahe gewesen zu sein, und sicher hätte ich nur noch wenige Fragen zu stellen brauchen, um das Geheimnis, das diesen Mann umgab, zu lüften.

Dann sah ich Noves Gesicht.

Marianne Sydow

Der Name des Magnortöters rief eine er­schreckende Veränderung bei ihm hervor. Für einige Sekunden verschwammen die ed­len Züge, die Nase zerfloß zu einem breiigen Gebilde, und der Mund wurde zu einem run­den, schwarzen Loch, in dem es keine Zähne zu geben schien. Dann hatte Nove sich wie­der gefangen.

»Gehen wir!« stieß er hervor. In seiner Stimme schwang grenzenloser Haß.

Er ist kein Arkonide, stellte das Extrahirn fest.

Vielleicht war er selbst Klinsanthor? Ein Wesen, das über solche Macht verfügte, konnte sicher auch die Körperformen eines anderen übernehmen.

Unsinn! Er ist ein Opfer des Magnortö­ters. Wahrscheinlich hat er längst den Ver­stand verloren. Er muß seit undenkbaren Zeiten in dieser Station festgehalten werden.

Weder Fartuloon noch ich ließen uns an­merken, daß wir etwas bemerkt hatten. Nove selbst schien gar nicht erkannt zu haben, daß seine Tarnung für einen kurzen Moment nicht funktioniert hatte. Er folgte dem Bauchaufschneider die Rampe hinab. Auf dem Boden der Halle blieben die beiden un­gleichen Männer stehen, um auf mich zu warten.

Die Veränderung kam so plötzlich, daß ich fast zu spät reagiert hätte.

Fartuloon stand etwa einen Meter weit von Nove entfernt. Der angebliche Arkonide schrumpfte zusammen wie ein Stück Fett in einer heißen Pfanne. Die Sandalen mit den goldenen Riemen lösten sich auf und ver­schmolzen mit einem zähen, graubraunen Gewebe, das von den Füßen und den sich verkürzenden Beinen gebildet wurde. Die untere Hälfte Scolaimon Noves floß zu ei­nem pulsierenden Fladen zusammen, aus dem der von Orden bedeckte Oberkörper herausragte.

Auch die Arme wurden von diesem Pro­zeß ergriffen. Sie wuchsen zu langen Tenta­keln aus. Einer griff nach Fartuloon, der an­dere schnellte mir entgegen.

Fartuloon brachte sich mit einem Hecht­

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sprung aus der Gefahrenzone, rollte sich herum und zog das Skarg. Für mich war es schwieriger, dem heimtückischen Angriff zu entgehen, denn auf der schmalen Rampe war meine Bewegungsfreiheit begrenzt. Noch befand ich mich etwa vier Meter über dem Boden der Halle.

»Fang auf!« schrie Fartuloon. Ich hatte eben den Impulsstrahler ziehen

wollen, da flog das Schwert durch die Luft. Ich erwischte es am Knauf und ließ es nach unten sausen, wo der Tentakel meine Beine bereits berührte.

Nove – falls das der richtige Name dieses Wesens war – stieß einen grauenhaften Schrei aus und zog den Arm zurück. Fartu­loon tauchte unter mir auf und gab mir ein Zeichen. Ich gab dem Skarg den entspre­chenden Schwung, und der Bauchaufschnei­der fing es geschickt auf. Im gleichen Au­genblick feuerte ich den Impulsstrahler auf das Fladenwesen ab.

Nove zeigte keine Reaktion. Einzelne Sektionen seines immer breiter werdenden Körpers glommen auf, aber das war auch schon alles. Fartuloon hatte mehr Glück.

Mit einem blitzschnellen Ausfall erreichte er den zweiten Tentakel. Die blitzende Klin­ge trennte den Pseudoarm glatt durch. Wie­der das markerschütternde Geschrei. Der Tentakel zuckte unkontrolliert herum, fegte den Bauchaufschneider von den Beinen und stieß gegen die energetische Rampe. Das Gebrüll wurde um eine Nuance schriller.

Scolaimon Nove floh. Der Faden raste dicht über den Boden dem nächsten Korri­dor entgegen und war binnen Sekunden ver­schwunden.

»Verdammt«, keuchte Fartuloon, als er sich wieder aufgerappelt hatte. »Was für ein Wesen kann das sein?«

Ich erklärte ihm, welche Äußerungen mein Extrahirn zu diesem Thema von sich gegeben hatte, und er nickte nachdenklich. »Verrückt ist er auf jeden Fall«, murmelte er. »Sein Verhalten läßt sich sonst kaum er­klären. Wir sind schließlich in der gleichen Lage wie er. Was hätte näher gelegen, als

sich mit uns zu verbünden?« Ich zuckte die Schultern. Der Grund für

das feindselige Verhalten des Fremden war mir ziemlich gleichgültig. Allein der Gedan­ke, daß dieser Verrückte irgendwo auf uns lauerte, machte mir zu schaffen.

»Haben Sie sich diesen Wahnsinnigen vom Hals schaffen können?« erkundigte sich jemand hinter uns mit zirpender Stim­me.

Wieder wirbelten wir überrascht herum. Das Wesen war etwa zwei Meter groß,

grün und offensichtlich unbekleidet. Es sah aus wie eine Säule. Im oberen Drittel des Körpers saßen acht dünne Ärmchen, darüber mehrere rotglühende Augen. Die Hände wa­ren feingliedrig und wirkten sehr mensch­lich, bis auf die Tatsache, daß es je zwei Daumen gab. Das Säulenwesen glitt auf Dutzenden von dünnen, kaum fußhohen Beinchen auf uns zu.

»Die Überraschungen reißen nicht ab«, murmelte Fartuloon, starrte das Säulenwe­sen mißtrauisch an und ließ das Skarg hin und her pendeln.

*

»Ich bin Brontzto aus dem Volk der Skyl­lier«, stellte die Säule sich vor. Dazu reckte sie die dürren Arme in die Höhe und faltete die acht Hände auf verzwickte Weise umein­ander. Es sah aus, als hätte man einen Vo­gelkäfig über den Oberteil des Wesensge­stülpt.

Wir nannten unsere Namen, und Brontzto wedelte kokett mit seinen fransenförmigen Beinen.

»Er ist schon eine Plage«, sagte der Frem­de. Offensichtlich meinte er Scolaimon No­ve. »Er kann sich nicht damit abfinden, daß auch andere Wesen auf dieser Station gefan­gen sitzen. Was ist schon dabei? Jeder von uns wußte, daß er seinen Preis zu zahlen hat­te. Mit Klinsanthor kann man eben nicht spielen, er durchschaut alles und läßt sich nicht betrügen.«

»Was ist mit Nove geschehen – und mit

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den anderen?« erkundigte ich mich neugie­rig.

Brontzto wedelte mit den dünnen Armen in der Luft herum und stieß ein dünnes Sir­ren aus.

»Das müßtet ihr doch auch wissen. Oder habt ihr Klinsanthor nicht gerufen?«

»Wir sind Schiffbrüchige. Dieses Boot hat uns aufgelesen und hierher gebracht.«

»Das ist Pech«, stellte Brontzto ohne große Anteilnahme fest. »Von diesem Ort kommt niemand weg. Aber um eure Frage zu beantworten: Alle, die hier gefangen sind – bis auf euch natürlich –, haben Klinsanthor gerufen und seine Dienste in Anspruch ge­nommen. Der Magnortöter ist nicht gerade zimperlich in seinen Forderungen. Wer die Belohnung nicht bezahlen kann, muß dafür büßen. Nove wurde vor sehr langer Zeit auf die Station gebracht. Er ist ein Gestaltwand­ler, aber das habt ihr ja schon bemerkt. Lei­der hat er den Verstand verloren. Er erinnert sich nicht einmal mehr an seine wahre Ge­stalt.«

»Aber warum hat er uns angegriffen?« »Er denkt, er könne sich bei Klinsanthor

freikaufen, wenn er alle lebenden Wesen tö­tet, die in der Station erscheinen. Wie ge­sagt, das ist eine fixe Idee bei ihm gewor­den. Solange er lebt, ist niemand von uns si­cher.«

»Und wie lange wird er leben?« Brontzto sirrte amüsiert. »In der Station ist alles etwas anders«, er­

klärte er gelassen. »Ich selbst wurde vor ei­nigen tausend Jahren gezwungen, meinen Planeten zu verlassen und den Weg anzutre­ten, den Klinsanthor für mich bestimmt hat­te. Es gibt hier keine Mittel, um die Zeit zu messen, aber allmählich bekommt man ein Gefühl dafür. Welches Volk herrscht zur Zeit in der Galaxis?«

»Die Arkoniden«, hätte ich fast geantwor­tet, aber das wäre anmaßend gewesen.

»Es gibt mehrere Sternenreiche«, erklärte ich deshalb. »Wir sind Arkoniden. Unser Volk befindet sich gerade in einem erbitter­ten Kampf gegen die Maahks, das sind Was-

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serstoff-Methan-Atmer, die alle sauerstoffat­menden Wesen mit unstillbarem Haß verfol­gen.«

»Ich habe noch nie von ihnen gehört. Wir Skyllier hatten es mit den rundköpfigen Kämpfern von Tloth zu tun. Wir hatten ih­nen nichts getan. Unser Fehler bestand dar­in, daß unser Planet zu dicht an der Stelle war, an der ihre Flotte sich zum Angriff ge­gen ein anderes Sternenreich formierte. Ein verirrter Kampfstrahl traf unsere Welt, und wir machten den großen Fehler, zurückzu­schlagen. Falls Sie die Kämpfer von Tloth kennen sollten, wissen Sie, was das bedeu­tet.«

»Ich habe von diesen Fremden noch nie gehört.«

Brontzto sah mich erstaunt an. »Dann ist noch mehr Zeit vergangen, als

ich gedacht hatte«, zirpte er. »Die Rundköp­fe hätten uns gar nicht beachtet, aber als sie den Versuch eines Angriffs registrierten, schlugen sie zu. Skyllith wurde innerhalb weniger Stunden vernichtet. Wir Überleben­den wollten den Tod unserer Artgenossen rächen, und nachdem wir viele Opfer ge­bracht hatten, wandten wir uns an Klinsan­thor. Uns war von vornherein klar, daß wir die geforderte Belohnung nicht aufbringen konnten, aber das war uns egal. Nun, Klinsanthor schlug die Kämpfer von Tloth zurück und verschaffte uns eine Gelegen­heit, spurlos in einen anderen Raumsektor auszuwandern. Dann forderte er seine Be­lohnung. Ich hatte mich als Bürge zur Verfü­gung gestellt – und so bin ich in die Station gekommen.«

Fartuloon und ich sahen uns kurz an, schwiegen dann aber betreten. Was hätte es dem Skyllier genutzt, wenn wir ihm nun ver­rieten, daß sein Volk allen Bemühungen zum Trotz schließlich doch untergegangen war? Niemand kannte sie noch, und auch die rundköpfigen Kämpfer von Tloth waren längst vergessen. Es berührte mich merk­würdig, daß vor so langer Zeit andere Völ­ker genauso verbissen um ihre Existenz ge­kämpft hatten, wie es jetzt die Arkoniden ta­

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ten. Wie viele große Sternenreiche mochte es

schon gegeben haben – und in Zukunft ge­ben? Wie wichtig – oder unwichtig – war in diesen kosmischen Zusammenhängen Ar­kon?

Jedes Lebewesen ist egoistisch, und jedes sieht sich selbst im Mittelpunkt seiner per­sönlichen Welt. Ich hatte oft geglaubt, von besonderer Bedeutung zu sein, in die Le­benskreise anderer Wesen positiv hinein­greifen zu können. Der nüchterne Bericht des Skylliers brachte mein Selbstbewußtsein zum Schwanken, aber der Logiksektor zog mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Versuche, von dem Skyllier einen Hin­weis auf den Aufenthaltsort der anderen Ge­fangenen zu bekommen!

»Sie sind überall und nirgends«, lautete die Antwort des Säulenwesens. »Die mei­sten legen keinen Wert auf Gesellschaft. Manchmal trifft man einen, aber es können auch Jahre vergehen, in denen man alleine ist. Es spielt auch keine Rolle. Wir leben ewig – jedenfalls solange, wie auch Klinsan­thor existiert. Wir haben zu viel Zeit. Wür­den wir uns zu Gruppen zusammenschlie­ßen, dann gäbe es bald Mord und Tot­schlag.«

»Aber ihr müßt doch eine Möglichkeit ha­ben, euch untereinander zu verständigen. Wenn nun einer von euch in Gefahr gerät …«

»Die einzige Gefahr ist Scolaimon Nove. Alles andere auf dieser Station ist irrational. Als ich zum erstenmal starb, glaubte ich tat­sächlich, nun wäre ich erlöst. Aber man ge­wöhnt sich daran.«

Mir lief ein Schauder über den Rücken. Konnten Wesen unter diesen Bedingun­

gen überhaupt normal bleiben? »Als ich zum erstenmal starb«, dieser Ausspruch setzte sich in mir fest. Ich sah mir unseren seltsa­men Bekannten genauer an.

Irgendwie war mir die grüne Säule sym­pathisch. Brontzto wirkte nüchtern und ver­nünftig und schien sogar über eine Art Hu­

mor zu verfügen. Aber wie sah es hinter die­ser Maske aus? Welche Motive mochten den Skyllier bewegen, sich mit uns zu unterhal­ten?

»Wie kommt es eigentlich, daß Sie so gut Arkonidisch sprechen?« fragte ich, um mich abzulenken.

Brontzto sirrte und versetzte seine Bein­fransen in wellenförmige Bewegungen.

»Ich kenne Ihre Sprache schon sehr lan­ge«, sagte er. »Genauer gesagt, kenne ich je­de Sprache, die irgendein Besucher dieser Station benutzt. Ich übernehme sie mit …«

Zurück! schrie das Extrahirn. »… dem Körper meiner Vorbilder«, fuhr

Brontzto fort. Als sein säulenförmiger Körper die ersten

Anzeichen einer Verwandlung zeigte, war ich bereits einige Meter von ihm entfernt. Fartuloon hatte ebenfalls schnell genug rea­giert.

Der Skyllier verwandelte sich in eine Ku­gel auf sechs Beinen, die mit Tausenden von hakenförmig gebogenen Stacheln besetzt war. Die Kugel zog die Beine ein und rollte wie ein lebendes Geschoß auf mich zu. Ich wich zur Seite aus, zog den Strahler und feu­erte auf das, was nur Scolaimon Nove in ei­ner neuen Gestalt sein konnte.

Der konzentrierte Energiestrahl brachte die Kugel geringfügig von ihrem Kurs ab, konnte ihr sonst aber nichts anhaben. Ver­zweifelt sah ich mich nach einer Deckung um. Bis auf das fremdartige Beiboot war die Halle leer. Ich duckte mich unter der energe­tischen Rampe hindurch und rannte weiter.

»Hierher!« schrie Fartuloon mir zu. Ich schlug einen Haken, denn die Kugel

war mir dicht auf den Fersen. Die stahlhar­ten Stacheln verursachten auf dem glatten Boden ein so schrilles Quietschen, daß ich das Gefühl hatte, meine Zähne würden mir einzeln ausfallen. Immerhin kam ich noch einmal davon, spurtete dann auf den Bauch­aufschneider zu, warf mich zur Seite und verlor das Gleichgewicht.

Ich rutschte mehrere Meter weit, ehe ich mich an der Wand abfangen konnte. Die Ku­

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gel war anscheinend noch weniger manö­vrierfähig. Sie krachte mit voller Wucht dicht neben Fartuloon gegen die Wand. Der Bauchaufschneider ließ das Skarg nach un­ten sausen. Der Hieb traf die Oberseite der Kugel und hinterließ eine klaffende Wunde.

Noch während Fartuloon zurücksprang, paßte Scolaimon Nove sich den veränderten Verhältnissen an.

In einer Mischung von Grauen und Neu­gier beobachtete ich, wie der Kugelleib bis zur Hälfte aufklappte. Das zitronengelbe Fleisch unter der harten Panzerhaut wuchs mit atemberaubendem Tempo nach oben, teilte sich und formte sich zu Flügeln. Aus der unteren Kugelhälfte bohrten sich plumpe Füße, deren Enden Saugnäpfe trugen, die auf diesem glatten Bodenbelag hervorragen­den Halt boten. Die Stacheln verschwanden, an ihre Stelle trat ein dichtes, weiches Fell. Gleichzeitig bildete sich ein schlangenförmi­ger Hals, auf dem ein Kopf saß, der nur aus einem riesigen Schnabel und winzigen schwarzen Augen zu bestehen schien.

Das Vogelwesen stieß einen schrillen Schrei aus und hoppelte auf seinen Saugfü­ßen in die Richtung, in der Fartuloon sich im Eingang eines Korridors verborgen hatte. Der lange Hals glitt dicht über dem Boden dahin, darüber schlugen die kümmerlichen gelben Flügel einen rasenden Wirbel. Ich hastete wieder zum Beiboot zurück, denn in­zwischen war mir klar geworden, daß ich gegen den Gestaltwandler mit meinem Im­pulsstrahler nichts ausrichten konnte.

Scolaimon Nove beachtete mich nicht. Fartuloon war der einzige, der ihm gefähr­lich erschien. Hatte er ihn besiegt, dann blieb immer noch Zeit, sich mit mir zu be­schäftigen. Was konnte ich tun, um dem Bauchaufschneider zu helfen?

Nichts, stellte der Logiksektor lakonisch fest.

Ich fluchte lautlos vor mich hin, duckte mich unter das schwach leuchtende Band der Rampe und blieb keuchend stehen. Wa­rum griff Klinsanthor nicht ein? Er konnte uns doch wohl nicht den weiten Weg bis in

Marianne Sydow

diese Station transportiert haben, nur um uns abschlachten zu lassen!

Er ist entweder anderweitig beschäftigt, meinte das Extrahirn, oder er hat in diesem Sektor keine Macht. Das ist sogar wahr­scheinlich, denn sonst hätte er Nove wohl längst ausgeschaltet.

Das Vogelwesen hatte den Korridor er­reicht. Es steckte den Kopf um die Ecke und stieß einen schrillen Schrei aus. Fartuloon konnte ich nicht sehen, aber ich hörte ein dumpfes Krachen, und die winzigen Flügel schlugen so schnell auf und ab, daß ihre Umrisse sich verwischten.

Trotz der pessimistischen Bemerkung des Extrahirns zog ich den Strahler.

Ich zielte auf das stumpfe Hinterteil des Fremden und drückte ab. Das Pseudofell glühte auf, und diesmal empfand Nove die Hitze wohl doch als unangenehm. Er trom­petete laut und sprang zur Seite. Im selben Augenblick nutzte Fartuloon seine Chance.

Die Klinge des Skargs blitzte auf und durchdrang den nackten Hals des Vogelwe­sens.

Ich sah den Kopf mit dem riesigen Schna­bel fallen. Der Kampf war vorüber. Erleich­tert schloß ich für einen Augenblick die Au­gen. Als ich sie wieder öffnete, hüpfte das kopflose Geschöpf auf seinen plumpen Bei­nen gerade in den nächsten Korridor. Deut­lich erkannte ich die Anzeichen einer neuen Verwandlung.

»Ich werde euch töten!« schrie Scolaimon Nove wild. »Ihr entkommt mir nicht. Ich bin schneller als ihr, und ich werde euch in tau­send Gestalten begegnen. Hört ihr mich? Ich werde euch töten, töten …«

Seine Stimme wurde leiser und verlor sich in einem Echo in den Tiefen der Station.

Fartuloon stapfte in die Halle, stieß den Kopf des Vogelwesens mit dem Fuß an und nickte dann nachdenklich.

»Es scheint, als müßte man diesen Kerl stückweise umbringen«, murmelte er. »Einen netten Hausgenossen hat Klinsanthor sich da zugelegt.«

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8.

Die Sonne, die im Mittelpunkt des Bild­schirms stand, war gelb, hatte fünf Planeten und wirkte in keiner Weise ungewöhnlich.

»Fernortung!« befahl Ra. Er war müde. Seit Tagen hatte er kaum

noch ein Auge zubekommen. Akon-Akon hielt es für überflüssig, weitere »Untertanen« an die Schiffsführung abzu­stellen.

Der dunkelhäutige Mann, den ein schier unglaubliches Schicksal aus einer Steinzeit­zivilisation gerissen hatte, erkannte das Ab­sonderliche seiner Situation genau, aber er war zu erschöpft, um sich darüber zu amü­sieren. Er, ein Barbar, hatte vorübergehend das Kommando auf der ISCHTAR über­nommen, einem Raumschiff von dreihundert Metern Durchmessern, das über Triebwerke verfügte, die es durch die halbe Galaxis tra­gen konnten. Rund sechshundert Menschen lebten in der stählernen Kugel, und darunter befanden sich hochqualifizierte Wissen­schaftler, Techniker, Strategen. Neben ihm beobachtete Karmina Arthamin die Instru­mente – sie war Sonnenträgerin und hatte ei­ne ganze Flotte von gleichwertigen Schiffen kommandiert. Und ausgerechnet er, der Bar­bar, der bei seinem ersten Zusammentreffen mit Vertretern dieses Volkes jeden Arkoni­den für einen Gott gehalten hatte, trug nun zu einem großen Teil die Verantwortung für dieses Schiff.

Er machte sich nichts vor. Seine Macht war gering. Seine Verantwortung als Kom­mandant auf Zeit beschränkte sich darauf, einer Handvoll von Leuten jene Befehle zu erteilen, die die Sicherheit der ISCHTAR garantierten. Welches Ziel er anflog, wel­chen Beschäftigungen der Rest der Mann­schaft nachging – das alles lag außerhalb seiner Zuständigkeit.

Die Werte kamen herein. Planet Nummer fünf – eine riesige Welt,

deren Oberfläche von Stickstoffsümpfen und Methanschneewüsten überzogen war. Dar­

über brodelten Wolkenmassen, und die Schwerkraft reichte aus, um einen Arkoni­den in Bruchteilen von Sekunden zu töten.

Nummer vier – lebensfeindlich, eisig, von den Trümmern zerstörter Monde umkreist.

Nummer drei – eine atmosphärelose Ku­gel aus totem Gestein und gefrorenen Gasen.

Nummer zwei … Ra stutzte. Die Werte sahen gut aus. Eine atembare

Atmosphäre, erträgliche Durchschnittstem­peraturen, normale Schwerkraft. Noch wa­ren sie zu weit entfernt, um Einzelheiten auf der Oberfläche erkennen zu können. Wenn sie endlich die Spuren fanden, nach denen Akon-Akon suchte, wurden sie den Jungen vielleicht sogar los. Und das hieße, daß sie nach Ketokh zurückkehren und Atlan und seine Begleiter abholen konnten.

»Glauben Sie, der läßt uns so einfach zie­hen?« fragte Karmina Arthamin skeptisch.

Ra schüttelte den Kopf. »Nein, aber eine Chance haben wir dann

wenigstens. Wenn er sein Volk gefunden hat, wird er uns wohl nicht mehr brauchen. Ich hoffe es jedenfalls.«

»Eines Tages werde ich ihn doch noch zerdrücken!« versicherte Vorry ernsthaft. Das Tonnenwesen stellte fest, daß niemand auf seinen Einwurf achtete und zog sich be­leidigt zurück. Auch er mußte in der derzei­tigen Notlage Aufgaben übernehmen, und wenn auch so mancher den Magnetier für ein tolpatschiges Tier halten mochte, so war Vorry doch ein zuverlässiger und fleißiger Mitarbeiter.

Langsam glitt die ISCHTAR tiefer in das eben entdeckte System hinein. Der Kugel­raumer kreuzte die Umlaufbahn des äußer­sten Planeten. Die Energietaster nahmen die Welt Nummer zwei aufs Korn.

»Was soll das bedeuten?« fragte Ra unsi­cher.

Karmina Arthamin nahm ihm die Folie aus der Hand.

»So merkwürdige Impulse habe ich auch noch nicht gesehen«, gestand sie. »Sehen Sie mal, hier haben wir die Echos von Kraft­

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stationen. Das ist ganz eindeutig. Aber was sollen diese spitzen Amplituden darstellen? Nicht einmal die Positronik hat einen Kom­mentar dazu abgegeben.«

»Keine Raumschiffe«, rief Vorry von ei­nem anderen Pult herüber. »Weder in der Nähe des Planeten noch sonst innerhalb des Systems.«

»Komisch«, meinte Ra. »Riesige Energie­quellen, aber keine Raumfahrt. Wie paßt das zusammen?«

»Warten wir, bis wir näher heran sind«, schlug Karmina Arthamin vor.

»Was habt ihr gefunden?« Akon-Akons Stimme hallte in viel zu

großer Verstärkung durch die Zentrale. Ra zuckte zusammen, blickte unsicher zu

dem Bildschirm hinauf und erstattete Be­richt. Nach einem Blick in die großen roten Augen blieb ihm nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen.

Akon-Akon nickte gnädig. »Ich wünsche, daß du mir in kürzester

Zeit die Oberfläche dieser Welt zeigst.« »Etwas anderes hatte ich gar nicht vor«,

murmelte Ra, aber der Junge von Perpan­dron hatte die Verbindung bereits abgebro­chen.

»Riesige Städte«, stellte die Sonnenträge­rin kurz darauf fest. »Aber immer noch kei­ne Anzeichen dafür, daß die Leute dort un­ten Raumschiffe haben. Bis jetzt konnten wir nicht einmal Bodenfahrzeuge orten. Wenn es welche gibt, dann bedienen sie sich nicht anmeßbarer Energiequellen.«

»Eine Ruinenwelt«, kommentierte Ra nie­dergeschlagen. »Ich möchte fast wetten, daß diese Städte verlassen sind.«

»Und die Energiestationen?« Ra zuckte die Schultern. »Wer weiß …« Er erinnerte sich der vielen Abenteuer, die

er mit Atlan, Fartuloon, Ischtar und den an­deren bestanden hatte. Sie waren oft genug auf Rätsel gestoßen.

»Ich stelle große Metallansammlungen fest«, verkündete Vorry genießerisch und schmatzte lautstark. »Eisen – mir wird ganz

Marianne Sydow

schlecht vor Hunger, wenn ich nur daran denke!«

»Eines Tages wird dieses Ungetüm noch ein Loch in die Schiffshülle fressen«, ora­kelte Ra düster.

»Du irrst dich«, trompetete Vorry. »Bei diesem Hunger würde ich mich mit Kleinig­keiten gar nicht aufhalten. Ich könnte die ganze ISCHTAR verspeisen. Dann ein paar Roboter als Nachspeise, und die Schwerter von Akon-Akons Leibwächtern wären ein feines Konfekt für den Kaffeeklatsch.«

Sie lachten, aber ihre Heiterkeit verflog, als ein lautes Glockensignal ertönte.

Akon-Akon bemühte sich persönlich in die Zentrale. Er kam nicht allein. Eine Schar von Untertanen begleitete ihn. Ra spürte ei­ne Gänsehaut auf seinem Rücken, als er die stumpfen Blicke einiger Raumfahrer sah. Sie standen schon zu lange unter dem Einfluß des Jungen. Die Wirkung war individuell verschieden. Während er, der Magnetier und die Sonnenträgerin noch einigermaßen frei waren, hatten andere ihren Willen völlig verloren. Besorgt fragte er sich, ob dieser Vorgang überhaupt umkehrbar war.

»Ich möchte die Bilder sehen!« Gegen Akon-Akons Befehle gab es auch

für den Barbaren und seine Helfer keinen Widerstand. Ein Bildschirm erhellte sich. Die Oberfläche des Planeten, übersät von riesigen Städten und weitläufigen Anlagen, die vielleicht einmal als Landefelder für Raumschiffe gedient hatten, wurde sichtbar. Der Junge starrte lange Zeit auf dieses Bild, dann nickte er.

»Wir landen!« Ra wartete, bis Akon-Akon mit seinem

Gefolge die Zentrale verlassen hatte. »Wir nehmen Kurs auf den zweiten Pla­

neten«, sagte er dann. »Natürlich werden wir versuchen, in einer Umlaufbahn nähere Er­kenntnisse zu gewinnen, ehe wir eine Lan­dung riskieren. Vorry, du nimmst die Raum­beobachtung. Irgendwie kommt mir das Ganze komisch vor. Wenn du etwas merkst, gibst du sofort für das ganze Schiff Alarm!«

»Meinen Sie, das könnte eine Falle sein?«

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fragte die Sonnenträgerin. Ra musterte nachdenklich das Bild auf

den Schirmen. Die Auflösung war jetzt bes­ser. Die Form der Gebäude war einigerma­ßen klar zu erkennen. Die Wesen, die diese Städte gebaut hatten, mußten ein hohes tech­nisches Niveau erreicht haben. Die Energie­echos wurden zahlreicher und deutlicher. Aber noch immer fehlte es an Beweisen da­für, daß dort unten intelligente Lebewesen existierten. Auf einem anderen Schirm tauchten immer wieder die fremdartigen Amplituden auf, die sich in kein bekanntes Schema einordnen ließen.

»Bevor ich nicht weiß, wer die Erbauer dieser Städte waren, wo sie geblieben sind und was mit ihnen geschah«, sagte der Bar­bar langsam, »rechne ich mit allem. Ich bin von Natur aus mißtrauisch. Was sagt die Funkzentrale?«

»Sie empfangen nichts.« Die ISCHTAR flog lautlos ihrem Ziel ent­

gegen. Aus den Tiefen des Schiffes hallten die Klänge einer exotischen Musik, das Brüllen fanatischer Arkoniden, der Kampf­lärm aus der Arena, in der für Akon-Akon fast pausenlos Schaukämpfe abgehalten wurden. Ra fröstelte. Die Geräuschkulisse gefiel ihm nicht.

9.

»Dieser Scolaimon Nove muß wirklich total übergeschnappt sein«, sagte ich ärger­lich.

Wir steckten immer noch in der Halle, in der wir gelandet waren. Das Beiboot stand auf seinem Platz. Nichts rührte sich, und die Stille zerrte an unseren Nerven.

»Brontzto, der Skyliier – ist das eine Er­findung des Fremden? Das Wesen war mir direkt sympathisch. Ich verstehe nicht, wie er sich so verstellen kann. Immerhin hat er sich in dieser Maske außerordentlich normal verhalten.«

»Das mag einen einfachen Grund haben«, behauptete Fartuloon. »Ich glaube nicht, daß Nove eine Gestalt annehmen kann, die er

sich nur ausgedacht hat. Vielleicht war er früher dazu in der Lage, aber inzwischen dürfte sein Verstand zu stark geschädigt sein. Den Skyllier hat es also gegeben. Die meisten Wesen, die Klinsanthor zu Hilfe rie­fen, hatten sicher die Hoffnung, ihn hinter­gehen zu können. Der Skyllier gab sich sol­chen Selbsttäuschungen nicht hin. Er wußte, daß sein Volk die Schulden nicht zu beglei­chen vermochte, und er stellte sich innerlich auf die Folgen ein. Dementsprechend rea­gierte er gelassener als seine Leidensgefähr­ten auf die Entführung. Nove hat Brontzto so übernommen, wie er ihn kannte, als ein vernünftiges, nüchtern denkendes Wesen.«

»Aber warum hat er uns seine Geschichte erzählt?«

»Er ist eben verrückt. Wer weiß, wie lan­ge er schon in dieser Station lebt. Wenn er wirklich seine wahre Gestalt vergessen hat, dann dürfte auch sein Verstand total aufge­spalten sein. Er hat unzählige Persönlichkei­ten.«

»Eine teuflische Falle. Warum mag Klinsanthor seine Opfer hierher bringen?«

»Kannst du dir eine schlimmere Strafe vorstellen? Wer in diese Anlage gebracht wird, erhält gewissermaßen das ewige Le­ben. Was soll er hier damit anfangen?«

Ich schwieg bedrückt. Es schien mir un­endlich lange zurückzuliegen, daß wir den Stein der Weisen gesucht hatten. Damals hatten wir auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, es könne sich dabei um das Ge­heimnis der Unsterblichkeit handeln – und in gewisser Weise stimmte das auch. Der Stein der Weisen war der Umsetzer der Var­ganen, jenes Gerät, das den Übergang vom Makro- in den Mikrokosmos und umgekehrt erlaubte. Die Varganen wurden durch diesen Vorgang unsterblich, aber dafür konnten sie sich nicht mehr fortpflanzen. Die Unsterb­lichkeit war ein uralter Traum, dem so ziem­lich alle Intelligenzen irgendwann einmal nachgehangen hatten. Vruumys zum Bei­spiel, der auf der Suche nach dem Lebenseli­xier durch den Mikrokosmos geeilt war. Als er die stählernen Urnen fand, die das ge­

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heimnisvolle Mittel enthalten sollten, vergif­tete er sich an genau dem Zeug, mit dessen Hilfe er die Natur zu überlisten gedachte.

»Es muß scheußlich sein«, gab ich zu. »Ewiges Leben um den Preis ewiger Gefan­genschaft. Ein schlechter Tausch.«

Ein dumpfes Dröhnen unterbrach unsere Unterhaltung. In einem der Korridore flackerte das Licht. Fartuloon sprang auf und rannte – das Skarg in der Hand – darauf zu.

»Nove!« schrie er. »Komm heraus und kämpfe! Nur ein Feigling versteckt sich so wie du!«

Keine Antwort. »Entscheide dich endlich!« fuhr Fartuloon

wütend fort. »Wir wollten keinen Kampf, und wir sind auch jetzt noch bereit, einen Kompromiß zu schließen. Aber wenn du deine Herausforderung aufrecht erhältst, dann stelle dich auch zum Kampf!«

Er schwieg und sah sich wachsam nach allen Seiten um.

Nichts. »Gib es auf«, sagte ich. »Vielleicht ist er

längst geflohen. Wir sollten uns endlich auf den Weg machen. Es sieht wirklich so aus, als könnte Klinsanthor keinen Kontakt zu uns aufnehmen, solange wir uns im äußeren Teil der Station aufhalten.«

»Damit uns Nove bei der erstbesten Gele­genheit in den Rücken fallen kann? Nein, ehe wir ihn nicht zur Vernunft gebracht ha­ben, können wir keinen Vorstoß wagen.«

Ich runzelte ärgerlich die Stirn. Fartuloon hatte sich schon zu sehr in den Gedanken verbissen, den Gestaltwandler zu stellen und eine Entscheidung zu erzwingen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir diese Halle endlich verlassen hätten. Irgendwo in die­sem Labyrinth mußte Klinsanthor sich auf­halten. Nur er konnte uns helfen – falls er dazu aufgelegt war.

Trotzdem ist es besser, einen kleinen Zeit­verlust zu riskieren, bemerkte der Logiksek­tor. Solange ihr in der Nähe des Beiboots bleibt, ist eure Versorgung gesichert, und ihr erhaltet euch genug Kampfkraft. Seid ihr

Marianne Sydow

erst tiefer in die Station vorgedrungen, wer­det ihr euch keinen Aufenthalt mehr leisten können.

Und woher beziehst du deine weisen Sprüche? fragte ich lautlos.

Rechts! Ich zuckte zusammen. Aus einem der Korridore schoß ein

Schwarm winziger Dinger hervor. Lautes Summen erfüllte die Halle. Die Flugkörper waren kaum so groß wie ein Fingernagel. Sie kurvten um das Beiboot herum und ra­sten dann in perfekter Keilformation auf Fartuloon zu.

Der Bauchaufschneider warf sich zu Bo­den und entging so dem ersten Angriff. In­zwischen hatte ich das Ziel erkannt und feu­erte auf die kleinen fliegenden Dinger, von denen ich noch nicht einmal wußte, ob es sich um Maschinen handelte oder ob uns hier Lebewesen entgegentraten.

Der erste Schuß riß die Spitze der Forma­tion auf. Die Flugkörper torkelten zur Seite, sofern sie nicht direkt in den Energiestrahl geraten waren. Aber sie ließen sich nicht verwirren. Binnen Sekunden sammelten sie sich und stießen wieder auf Fartuloon hinab.

»Nicht dort hinein!« schrie ich entsetzt. Fartuloon, der eben zu einem Sprung an­

setzte, der ihn in einen Korridor hineintra­gen sollte, zögerte. Sofort nutzten die flie­genden Dinger ihre Chance.

Ich schnellte mich in eine bessere Schuß­position und fegte ein halbes Hundert der heimtückischen Angreifer aus der Luft. Ei­ner landete direkt vor meinen Füßen.

Es waren wirklich Maschinen. Winzige Roboter mit Rotorflügeln, messerscharfen Greifklauen und mehreren spitzen Auswüch­sen, aus deren Enden eine glitzernde Flüs­sigkeit drang.

Nun kannte ich keine Rücksichtnahme mehr. Die Roboter – zweifellos von Nove ausgeschickt – hatten es auf den Bauchauf­schneider abgesehen.

Die Schüsse brachen über den Schwarm herein. Fartuloon hüpfte von einem Fleck auf den anderen, um den herabprasselnden

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Überresten der Kleinstroboter zu entkom­men. Mit dem Skarg konnte er gegen die Maschinen nichts ausrichten.

Es dauerte mehrere Sekunden, ehe Nove begriff, daß das Ablenkungsmanöver nicht nach seinen Wünschen verlief. Er schrie ent­täuscht auf und stürzte aus dem Korridor hervor, in dem Fartuloon hatte Schutz su­chen wollen. Diesmal erschien der Gestalt­wandler als stahlblauer Wurm, der anstelle von Beinen kurze Krallen direkt an der Un­terseite des Körpers trug.

Mit einem Kampfruf stürmte der Bauch­aufschneider dem Wesen entgegen. Das Schwert wirbelte durch die Luft, aber Nove krümmte seinen etwa vier Meter langen Leib rechtzeitig zur Seite. Ich sah, wie das Maul des Wurmes sich öffnete – Fartuloon wurde vom Schwung seines eigenes Schlages aus dem Gleichgewicht gebracht und hatte Mü­he, sich auf dem glatten Boden zu fangen. Der Energiestrahl aus meiner Waffe traf den Wurm in der Körpermitte. Die stahlblaue Panzerung riß auf, Nove fuhr herum. Aus dem weitgeöffneten Maul schlug mir ein stinkender Gluthauch entgegen.

Ich zielte, aber diesmal waren die kleinen Roboter auf der Hut. Ein Stich traf mich im Nacken, und ich hatte den Eindruck, von ei­ner gewaltigen Faust zu Boden geschleudert zu werden. In einem Reflex drückte ich ab, ehe die krampfartigen Schmerzen auch mei­ne Hand erreicht hatten.

Ich vergaß Scolaimon Nove und die Ge­fahr, in der ich schwebte. Undeutlich hörte ich, daß jemand meinen Namen rief, aber der brüllende Schmerz, der durch meinen Körper raste, verschlang jedes andere Ge­räusch. Meine Nerven spielten verrückt, alle Wahrnehmungen veränderten sich. Selbst mein Gleichgewichtssinn versagte und spie­gelte mir die unmöglichsten Dinge vor. So glaubte ich abwechselnd zu schweben und zu fallen, wie ein Geschoß weitergeschleu­dert zu werden, um anschließend in einer dicken Decke zu landen, die sich lückenlos um mich schloß und mich völlig von der Außenwelt abkapselte.

Ich habe keine Ahnung, wie lange das Gift mich in diese private Hölle bannte.

Irgendein gestaltloses Ungeheuer packte mich am Arm und biß sich fest. Ich kämpfte verzweifelt, aber das Biest gab mich nicht frei, sondern zerrte mich über eine Unterla­ge, die aus scharfkantigen Steinen zu beste­hen schien. Von weit her flüsterte eine Stim­me mir zu, daß es sich um eine Täuschung handeln müsse, daß ich immer noch in der Halle mit dem glatten Boden sei, und daß das Ungeheuer etwas ganz anderes wäre. Ich hörte gar nicht hin.

Endlich bekam ich den Arm frei. Ich seufzte zufrieden und blieb regungslos lie­gen. Sofort wurden die Schmerzen erträg­lich, aber als ich versuchte, die Augen auf­zuschlagen, stachen glühende Nadeln in meinen Schädel.

»Ruhig!« dröhnte eine Stimme neben mir auf. »Du hast es gleich geschafft.«

Fartuloon versicherte mir später, er hätte tatsächlich nur geflüstert, schon weil Nove noch immer in der Nähe war. Tatsache ist jedoch, daß der Krach, den er verursachte, mir den Rest gab.

*

»Ich habe einen unglaublichen Unsinn ge­träumt!« stöhnte ich und richtete mich vor­sichtig auf.

Fartuloon verfolgte jede meiner Bewe­gungen mit einer so besorgten Miene, daß ich ihm eine Grimasse schnitt. Jeder kann schließlich einmal von einem Alptraum ge­plagt werden, das ist kein Grund, ihn wie einen Schwerkranken anzustarren.

Ich lag in der sicheren Geborgenheit des Beiboots. Zu meinem Erstaunen waren die Bildschirme leer.

»Sind wir schon gelandet?« fragte ich. Fartuloon nickte vorsichtig. »Du hättest mich wecken sollen!« be­

merkte ich ärgerlich und rieb mir den Nacken. Als ich die Beule spürte, stutzte ich. Ganz langsam dämmerte es bei mir.

»Sag mal«, begann ich vorsichtig, »diesen

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komischen Kerl, der sich ständig verwandelt – den gibt es doch wohl nicht in Wirklich­keit?«

Fartuloon schwieg. Sein Gesicht drückte deutlich genug aus, was er empfand.

»Eine Gedächtnislücke?« »Nicht ganz. Einer dieser fliegenden Ro­

boter hat dir ein Gift eingespritzt. Erinnerst du dich daran?«

»Kaum. Wie komme ich hierher?« »Du hattest den Gestaltwandler schwer

verwundet. Ich konnte ihn zwar nicht töten, aber doch wenigstens aus der Halle verja­gen. Dann habe ich dich ins Boot ge­schleppt, weil du hier noch am sichersten aufgehoben bist.«

Während er redete, kehrte Stück für Stück die Erinnerung zurück. Ich wußte, daß der Logiksektor, der unabhängig von meinem normalen Gedächtnis alle Eindrücke spei­cherte, mir die Informationen zugänglich machte. Der aktivierte Gehirnteil konnte es sich nicht verkneifen, eine Beobachtung be­sonders hervorzuheben – ich hatte nämlich im entscheidenden Moment überhaupt keine Schlüsse daraus gezogen.

»Wenigstens kennen wir jetzt Noves wun­den Punkt«, murmelte ich, trat vor die Ver­sorgungsautomatik und wünschte mir eine heiße Suppe und ein ebenfalls heißes, anre­gendes Getränk. Wie auch immer das Gerät es schaffte, meine Gedanken aufzunehmen und in die Realität umzusetzen, es funktio­nierte jedenfalls. Ich trank in kleinen Schlucken ein dunkelbraunes, herb schmeckendes Gebräu und stellte fest, daß die letzten Nachwirkungen der Vergiftung verschwanden.

»Scolaimon Nove erschien uns zuletzt als Wurm«, stellte ich fest. »Das Biest war um die vier Meter lang und konnte durch einen Energieschuß verwundet werden. Das Vo­gelwesen war etwas größer als ein Arkonide und reagierte nur schwach auf meinen An­griff. Der Fladen, zu dem er zuerst zerfloß, besaß noch die Hälfte des Volumens des er­sten Scolaimon Nove, dem wir begegneten. Dieser Fladen war gegen Energieschüsse to-

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tal unempfindlich.« »Hm, das stimmt. Der Gestaltwandler hat

eine bestimmte Körpermasse. Er kann ihr nicht nur alle denkbaren Formen geben, son­dern auch ihre Dichte verändern. Ab einer gewissen Grenze ist er verwundbar. Aber was hilft uns das? Er könnte aus den Erfah­rungen des letzten Kampfes die richtigen Schlüsse gezogen haben und in Zukunft auf die Nachahmung von zu großen Wesen ver­zichten. Außerdem – wenn er wieder diese kleinen Roboter einsetzt, sind wir verloren.«

»Er wird sie nicht einsetzen.« »Bist zu sicher?« »Er kann es gar nicht. Es sind nicht seine

Roboter, sondern die des Wurmes, den er nachahmte. Wenn er eine andere Gestalt an­nimmt, werden die Maschinen ihm nicht mehr gehorchen.«

Fartuloon runzelte die Stirn. Ihm war deutlich anzusehen, daß er der Logik meiner Überlegungen noch nicht ganz traute.

»Es gibt, einen Beweis dafür, daß meine Behauptung stimmt«, sagte ich. »Die klei­nen Roboter sind eine phantastische Waffe. Hätte er sie früher losgeschickt, dann wäre der Kampf vielleicht schon entschieden. Aber er konnte es nicht.«

»Dann wird er nichts Eiligeres zu tun ha­ben, als wieder den Wurm zu imitieren.«

»Bis jetzt hat er sich niemals wiederholt. Er muß ein bestimmtes Schema haben, nach dem die Veränderungen ablaufen. Ich glau­be, er kann den Vorgang nicht einmal mehr voll steuern. Die Zeitspanne, in der er eine ganz bestimmte Form aufrecht erhalten kann, ist begrenzt. Er wäre nicht freiwillig mitten in einem Gespräch zerflossen, bei dem sich innerhalb weniger Sekunden eine viel bessere Angriffsmöglichkeit geboten hätten.«

»Schön und gut, aber welchen Nutzen sol­len wir daraus ziehen. Wir können ihn in keiner Weise beeinflussen, das steht fest.«

»Er ist verwundet?« »Er war es. Inzwischen hat er diese klei­

nen Behinderungen sicher überwunden.« »Ich traf ihn in der Körpermitte, soviel

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weiß ich noch. Auch wenn er noch so verän­derlich ist, muß er ein Nervenzentrum besit­zen, von dem aus alle Vorgänge gesteuert werden. Aufgrund seiner Fähigkeiten hat er es nicht nötig, seinen Denkapparat an ähn­lich exponierter Stelle herumzutragen, wie das bei uns der Fall ist. Gleichgültig, in wel­cher Gestalt er auftritt, interessant für uns ist die Körpermitte, beziehungsweise der Teil, der am dicksten ist.«

Fartuloon nickte nachdenklich. »Das ist eine gute Basis für einen

Schlachtplan«, stimmte er zu. »Also gut. Bleibt er bei einer Verwandlung unterhalb der beobachteten Größe, dann beschränken wir uns darauf, ihn uns vom Leibe zu halten. Dabei übernimmst du mit dem Strahler in erster Linie die Aufgabe, uns den Rücken freizuhalten. Wir wissen nicht, ob er noch mehr Helfer von der Art der Kleinstroboter aufbieten kann. Sobald er eine größere Ge­stalt annimmt, greifen wir an. Du lenkst ihn ab, indem du versuchst, ihm mit dem Strah­ler ein paar Wunden beizubringen. Der Kern seines Wesens wird dadurch sicher nicht ge­fährdet, aber es muß mir gelingen, mit dem Skarg an ihn heranzukommen. Das ist offen­sichtlich die einzige Waffe, die ihm etwas anhaben kann.«

Wir sahen uns an und bemühten uns, zu­versichtlich auszusehen. Unser Plan hörte sich so einfach an, aber wir wußten genau, daß Scolaimon Nove ein Gegner war, von dem wir noch jede Menge unangenehmer Überraschungen erwarten durften.

*

»He, Scolaimon, wo steckst du?« Ich kauerte neben einem Korridor und

hielt den Impulsstrahler bereit. Wir hatten keine Lust, uns von diesem Wahnsinnigen die Bedingungen diktieren zu lassen. Wir wollten es endlich hinter uns bringen.

In dem Gang blieb alles still. Die Wände waren gleichförmig grau, von dem Gestalt­wandler keine Spur.

»Komm schon«, lockte ich. »Es ist ein

fairer Kampf. Vielleicht besiegst du uns so­gar. Dann hast du möglicherweise wieder für einige tausend Jahre Ruhe.«

Ich gab einen Schuß ab. Die graue Wand schluckte den Energiestrahl. Es blieb nicht einmal ein dunkler Fleck zurück.

Fartuloon stand auf der anderen Seite des Durchgangs. Er schüttelte mißmutig den Kopf. Nove war in diesen Korridor geflo­hen, aber es schien, als kenne er Verbin­dungsgänge, durch die er seine Position schnell wechseln konnte.

Wir versuchten es bei jedem Eingang, aber der Erfolg blieb aus.

»Vielleicht waren die Verletzungen doch ernster Natur«, überlegte ich.

»Er lebt!« erklärte Fartuloon überzeugt. »Er will uns nur aus der Halle locken. Hier können wir ihm ausweichen, wir haben ge­nug Platz. In den engen Korridoren wären wir ihm hilflos ausgeliefert. Außerdem kennt er das Gelände genau.«

Nove braucht euch, meldete sich das Ex­trahirn. Er wird den Augenblick der Ent­scheidung so lange wie möglich hinauszö­gern. Der Kampf ist die einzige Abwechs­lung in seinem eintönigen Leben. Wenn er annehmen muß, daß ihr euch der Auseinan­dersetzung entziehen wollt, wird er sofort angreifen!

Ich grinste und gab Fartuloon ein Zei­chen. Der Bauchaufschneider wußte, daß ich einen Plan hatte, und er würde auf jedes Spiel eingehen.

»Hast du das gehört?« fragte ich laut. »Was?« »Ein Geräusch. Es kam aus dem Beiboot.

So ein Knacken, genau wie während des Fluges, als Klinsanthor sich meldete.«

Fartuloon begriff sofort. »Das kann nur der Magnortöter sein!« rief

er. »Ich möchte jede Wette eingehen, daß al­le anderen Funkverbindungen sowieso nicht funktionieren.«

»Ich passe auf, daß Nove jetzt nicht auf­taucht!« spann ich den Faden weiter. »Du siehst mal nach, was Klinsanthor will.«

»Wahrscheinlich hat er es sich anders

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überlegt«, meinte Fartuloon überzeugend. »Er will uns loswerden. Wenn er uns nicht diesem Verrückten zum Fraß vorwirft, wird er uns mit dem Beiboot aus der Station ent­fernen. Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, weshalb er uns hierhergebracht hat.«

Er brummte noch mehr vor sich hin, wäh­rend er langsam zu dem leuchtenden Band der Rampe ging.

Ich zog mich so weit zurück, daß ich ge­rade noch den vordersten Abschnitt des Kor­ridors im Auge behalten konnte. Wenn der Logiksektor recht behielt, mußte Nove sich bemerkbar machen, ehe Fartuloon das Bei­boot erreicht hatte.

Der Gestaltwandler fiel auf den Trick her­ein.

»Ihr entkommt mir nicht!« Der schrille Ruf kam von einem anderen

Korridor. Fartuloon drehte sich gelassen um. »Halte diesen Irren auf, Atlan! Ich werde

Klinsanthor bitten, uns nach Ketokh zurück­zuschaffen. Lieber schmore ich noch eine Weile auf diesem komischen Planeten, als mit einem idiotischen Monstrum zu kämp­fen. Ich melde mich, wenn ich Neuigkeiten habe.«

Das war zu viel für Scolaimon Nove. Wie ein Geschoß jagte er in die Halle. Als

ich ihn sah, ahnte ich, warum er uns in einen Hinterhalt hatte locken wollen. Seine neue Gestalt war die eines vielarmigen Fabelwe­sens mit tellergroßen Augen und einem Rumpf von der Ausdehnung eines mittleren Gleiters.

Er hatte aus der letzten Begegnung ge­lernt. Mit ungeheurer Geschwindigkeit raste er auf mich zu. Ich versuchte, einen Schuß auf ihn abzugeben, aber ein langer Arm schlug gegen den Strahler. Ein stechender Schmerz durchzuckte mein Handgelenk, die Waffe rutschte klappernd über den Boden. Ich warf mich hinterher, aber Scolaimon Nove erwischte mich mit einem anderen Arm am linken Bein und zog mich mit ei­nem Ruck zu sich heran.

Ich schloß im stillen mit meinem Leben

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ab. Direkt über mir glühten die riesigen Au­gen, ein wulstiger Mund öffnete sich und gab den Blick auf das mörderische Gebiß dieses Ungeheuers frei.

Das Messer! Ich hatte nur die linke Hand frei. Durch

die fauchenden Atemzüge des Vielarmers hörte ich das Zischen, mit dem Fartuloons Schwert durch die Luft sauste. Für einen Moment war Scolaimon Nove abgelenkt. Ei­nes seiner Beine war abgetrennt und ringelte sich wie eine Schlange über den Boden. Der Gestaltwandler kämpfte um sein Gleichge­wicht, und so gelang es mir, das Messer aus dem Gürtel zu ziehen. Ich zielte auf eines der sechs Augen und stieß zu.

Mit einem wilden Schrei stieß der Vielar­mer mich von sich. Noch vor dem Aufprall rollte ich mich zusammen, kullerte über den Boden und landete direkt neben dem Strah­ler. Ich riß die Waffe an mich, gab einen Schuß auf einen Arm ab, der schräg über mir auftauchte, und schrie triumphierend auf, als das Gebilde aufglühte. Beißender Gestank breitete sich aus. Scolaimon Nove kreischte wild, drehte sich wie ein Kreisel und schlug mit den verbliebenen Armen un­kontrolliert um sich.

»Jetzt!« brüllte Fartuloon. Ich zielte sehr sorgfältig, obwohl ich wuß­

te, daß uns nicht mehr viel Zeit blieb. Die nächste Verwandlung stand unmittelbar be­vor. Zwei der glühenden Augen hatten sich bereits aufgelöst, und auch die Arme wurden kürzer, dicker und zogen sich in den Rumpf zurück.

Ich traf sechs Arme, ehe Nove es ge­schafft hatte, erneut eine Kugelgestalt anzu­nehmen. Aber es war nicht jenes hakenbe­wehrte Wesen, als das er sich uns schon ein­mal präsentiert hatte. Statt dessen hockte ein plumpes, schleimiges Gebilde vor uns, das auf den ersten Blick als ziemlich wehrlos er­schien.

Wieder war es der Bauchaufschneider, der zuerst merkte, was der Fremde vorhatte.

»Zurück!« Ich gehorchte, ohne lange zu überlegen.

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In der schleimigen Oberfläche hatte sich eine Beule gebildet. Sie öffnete sich mit lei­sem Schmatzen, und eine gelbliche Flüssig­keit spritzte daraus hervor. Der dünne Strahl traf die Stelle, an der ich Sekunden vorher noch gestanden hatte. Der Bodenbelag, der selbst auf die Energieschüsse nicht reagiert hatte, kräuselte sich und begann zu kochen. Ein fremdartiger, stechender Geruch stieg auf.

Ich zielte auf die nächste Beule. Das Vo­lumen des Gestaltwandlers war jetzt jedoch geringer, und die Energie des Schusses reichte nicht aus, um ihn zu verletzen. Im­merhin gelang es mir, die Absonderung ei­nes weiteren Säurestrahls zu verhindern.

Im Augenblick konnten weder Nove noch wir dem Kampf eine entscheidende Wende geben. Mit dem Impulsstrahler hielt ich die Kugel in Schach, aber Fartuloon durfte es nicht wagen, sich diesem säurespeienden Ungeheuer so weit zu nähern, daß er das Skarg einzusetzen vermochte. Andererseits waren die Säurestrahlen die einzige Vertei­digungsmöglichkeit dieses Wesens.

Minutenlang blieb es bei diesem Unent­schieden, dann wurde die Situation brenzlig. Die Waffe in meiner Hand begann sich zu erhitzen. Wenn es so weiterging, brauchte Scolaimon Nove gar kein Risiko mehr ein­zugehen.

Gerade noch rechtzeitig trat eine Verän­derung ein. Die Bildung neuer Blasen unter­blieb. Die schleimige Kugel pulsierte hek­tisch und kroch unter sichtlicher Anstren­gung in die Richtung des nächsten Korri­dors.

Fartuloon raste mit erhobenem Schwert hinterher. Ich wollte ihn warnen, aber der Bauchaufschneider hatte die Kugel bereits erreicht. Mit wuchtigen Schlägen drang er auf das Wesen ein. Die Kugel pulsierte noch heftiger und verdoppelte ihre Bemühungen, sich durch die Flucht in Sicherheit zu brin­gen. Aus einem unerfindlichen Grunde ver­zichtete Nove darauf, sich zu verwandeln.

Ich konnte im Augenblick nichts weiter tun, als wachsam zu bleiben. Der Griff des

Strahlers war fast unerträglich heiß, meine Hand schmerzte, aber ich zwang mich, die Waffe nicht fallen zu lassen.

Fartuloon brauchte meine Hilfe jedoch nicht. Anfangs prallte das Skarg von der ela­stischen Haut der Kugel ab, aber Scolaimon Nove war am Ende seiner Kräfte. Das Pul­sieren ließ nach, und gleichzeitig erschienen die ersten klaffenden Wunden.

Verbissen führte der Bauchaufschneider den Kampf weiter. Ich mußte mich zusam­menreißen, um ihn nicht von dem jetzt prak­tisch wehrlosen Gestaltwandler zurückzu­treiben. Alles in mir sträubte sich gegen die­ses sinnlose Abschlachten eines Wesens, daß zu einem wertvollen Verbündeten hätte werden können. Gab es denn wirklich keine Möglichkeit, eine Verständigung herbeizu­führen?

Nein, sagte das Extrahirn. Sobald Nove sich erholt hätte, würde er seine Angriffe fortsetzen. Mit Vernunft erreichst du bei ihm nichts mehr.

Noch einmal bäumte der Gestaltwandler sich gegen das Ende auf. Fartuloon stieß einen Schmerzenslaut aus, als aus einer der Wunden ein scharfer Dorn hervorschoß und ihm den Handrücken aufriß. Als Reaktion auf den plötzlichen Schmerz stieß er das Skarg mit einem Ruck vorwärts, und dies­mal traf er den zentralen Nervenpunkt dieses unbegreiflichen Wesens. Die Kugel sank in sich zusammen. Der Bauchaufschneider sprang hastig zurück. Nove stieß einen kla­genden Laut aus, dann erklang ein irres Ki­chern, das sich in vielfachem Echo an den Wänden der Halle brach.

»Hölle und Dämonen!« keuchte Fartuloon entsetzt.

Das Kichern brach abrupt ab. Die Kugel zerfloß zu einer schleimigen Masse, und ein unerträglicher Ge stank ließ uns zurückwei­chen. Aus sicherer Entfernung beobachteten wir die Überreste Scolaimon Noves bis wir sicher waren, daß aus dieser übelriechenden Schleim kein neue Wesen hervorwachsen konnte.

Der Weg ins Innere der Station war end­

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lich frei.

10.

Wir wählten den Gang aus, der die direkte Verlängerung zu der Schleusenröhre darstel­len mußte. Es war uns klar, daß wir viel Glück brauchten, um in dieser riesigen Stati­on die Zentrale zu finden, aber wir mußten das Risiko eingehen. Klinsanthor meldete sich nicht, und das Beiboot gab uns auf sei­ne Weise zu verstehen, daß unser Aufenthalt in der Halle nicht mehr erwünscht war. Als wir vor den nahrungsspendenden Automaten traten, öffnete sich zwar die Klappe, aber die kleinen Robotbehälter blieben diesmal aus. Statt dessen klapperten zwei Plastikpäck­chen in die Auffangschale.

»Konzentrate und Wassertabletten«, knurrte Fartuloon enttäuscht, nachdem er den Inhalt besichtigt hatte. »Das ist also un­sere Marschverpflegung.«

Schweigend schritten wir vorwärts. Wir hatten uns fest vorgenommen, stur auf die­sem Hauptgang zu bleiben, um notfalls den Rückweg finden zu können, aber dieser gute Vorsatz erwies sich als restlos überflüssig. Es gab keinen Seitengang. Jedenfalls sahen wir keinen. Natürlich mußte es Querverbin­dungen geben, denn Scolaimon Nove hatte mühelos von einem Korridor in den anderen hinübergewechselt. Aber das Geheimnis war wohl zu hoch für uns, denn selbst als wir die Wände millimeterweise untersuchten, ent­deckten wir nichts. Der Belag war grau und fugenlos, es gab keinerlei Unregelmäßigkei­ten.

Nach ungefähr fünf Stunden ließen wir uns erschöpft auf dem Boden nieder und gönnten uns eine kurze Pause.

»Da stimmt doch etwas nicht«, murmelte Fartuloon ratlos. »Die Station ist zwar riesig, aber wir haben inzwischen mindestens zwanzig Kilometer zurückgelegt. Im Kreis können wir nicht gegangen sein, sonst hätten wir längst in der Halle landen müssen.«

Vergeblich wartete ich auf eine superklu­ge Bemerkung des Extrahirns. Der aktivierte

Marianne Sydow

Gehirnteil schwieg sich aus. »Mir erscheint es ziemlich sinnlos, ein­

fach weiterzulaufen«, sagte ich. »Damit er­reichen wir gar nichts, wir verschwenden nur unsere Kräfte. Ich schlage vor, daß wir die Wände noch einmal ganz genau untersu­chen. Irgendwo muß es Kontakte geben, ir­gend etwas, womit man einen Durchgang schaffen kann. Wenn wir wieder nichts fin­den, kehren wir um.«

Unsere Suche blieb erfolglos. Ich klopfte mit dem Griff des Impulsstrahlers den Bo­den ab, aber wenn es dort Hohlräume gab, dann war die Zwischendecke zu dick, als daß man sie durch eine Klangveränderung aufspüren konnte.

»Also gut«, knurrte der Bauchaufschnei­der wütend. »Kehren wir um.«

Wir gingen kaum zwei Minuten, dann lag wie hingezaubert die Halle vor uns. Anfangs zweifelten wir daran, daß wir wirklich wie­der am Ausgangspunkt unserer Suche wa­ren, aber die stinkenden Überreste Scolai­mon Noves beseitigten alle Unklarheiten. Immerhin hatte sich während unserer Abwe­senheit doch etwas verändert: Das Beiboot war verschwunden.

Fartuloon gab fast sein gesamtes Reper­toire an Flüchen zum besten. Als er sich endlich beruhigte, deutete ich wortlos auf den nächsten Korridor.

»Versuchen können wir es immerhin.« Fartuloon folgte mir mißmutig. Er war in­

zwischen davon überzeugt, daß wir einen riesigen Fehler gemacht hatten, als wir uns in die Gewalt des Magnortöters begaben. Ich dagegen wollte einfach nicht glauben, daß Klinsanthor uns feindlich gesinnt war. Er hätte uns töten können. Wenn er es nicht ge­tan hatte, mußte er seine Gründe haben.

Orbanaschol, behauptete das Extrahirn sofort. Du kennst seine Forderungen. Er will deinen Kopf. Klinsanthor teilte euch mit, daß die Bedingungen noch nicht erfüllt sind. Falls Orbanaschol seine Schulden doch noch bezahlt, wird auch Klinsanthor sich an den Vertrag halten. Es ist für ihn einfacher, dich bis dahin in der Station festzuhalten. Er

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braucht dich nicht erst zu suchen. Die emotionslose Logik dieses lautlosen

Partners hatte mich schon oft zur Weißglut gereizt.

Darf ich dich daran erinnern, daß deine Existenz mit der Unversehrtheit meines Schädels verbunden ist? fragte ich in Gedan­ken sarkastisch.

Ich existiere nicht in diesem Sinne, gab der Logiksektor gelassen zurück.

Ich merkte, daß Fartuloon mich neugierig anstarrte und biß die Zähne zusammen. Auf keinen Fall durfte ich dem Bauchaufschnei­der mitteilen, welche Vermutungen das Ex­trahirn anstellte. Außerdem war ich nach wie vor der Ansicht, Klinsanthor müsse noch ein anderes, positives Motiv für sein Verhalten haben. Er hatte eine Chance er­wähnt.

Der Bauchaufschneider blieb plötzlich stehen.

»Jetzt sind wir ungefähr zehn Minuten lang unterwegs«, sagte er. »Es ist genau das­selbe wie in dem anderen Gang.«

Wortlos kehrte ich um. Nach fünfzig Schritten stand ich in der Halle. Ich drehte mich um. Fartuloon war etwas zurück ge­blieben. Ich sah ihn heranstapfen, und plötz­lich hatte ich eine Idee.

»Es muß ein Zeitfeld sein«, sagte ich. »Erinnerst du dich an den Planeten, auf dem wir Vorry gefunden haben?«

»Du meinst die Zonen des Schweigens, die diese gräßlichen Zwillinge errichtet hat­ten. Ja, ich erinnere mich sehr gut. Aber zweifellos haben wir uns in den Gängen nor­mal bewegt. Es sei denn – aber das wäre Wahnsinn …«

»Woran denkst du?« »Wenn es wirklich Zeitfelder sind, dann

haben wir keine Kontrolle darüber, wie lan­ge wir in Relation zu unseren normalen Ver­hältnissen da drin gesteckt haben. Theore­tisch wäre alles denkbar. Es könnten ein paar tausend Jahre vergangen sein …«

»Das ist reine Theorie«, unterbrach ich meinen Pflegevater hastig. Ich entschloß mich, ihm nun doch zu berichten, was das

Extrahirn zu Klinsanthors Motiven meinte. »Wenn es so ist – und dieses Ding hat leider schon viel zu oft recht behalten -,dann wäre der Handel zwischen Orbanaschol und Klinsanthor längst bereinigt. Ich habe mei­nen Kopf noch.«

»Das ist …« Ehe Fartuloon dazu kam, weitere Speku­

lationen anzustellen, fiel mir zum Glück ein noch viel deutlicherer Beweis dafür ein, daß wir alles andere als eine mittlere Ewigkeit in den Gängen verbracht hatten. Ich zeigte auf die große Pfütze aus stinkendem Schleim, die sich kaum verändert hatte.

»Sieh dir das an. Einen besseren Hinweis gibt es doch gar nicht. In den Gängen pas­siert etwas ganz anderes. Wir wurden durch irgendein Kraftfeld in einen schnelleren Zeitablauf versetzt. Darum konnten wir auch Nove nicht entdecken, solange er sich in den Gängen aufhielt. Er bewegte sich so schnell, daß er für uns unsichtbar wurde.«

Fartuloon nickte nachdenklich. »Das ist eine gute Erklärung, und wir

können es jederzeit nachprüfen. Aber da fehlt noch etwas. Wir haben uns stundenlang in diesem Feld bewegt, ohne einen Schritt voranzukommen. Nove dagegen muß die entsprechende Zone durchstoßen haben. In­nerhalb des Bereichs, in dem das Feld wirk­sam ist, gibt es keine Querverbindung zu den anderen Korridoren.«

»Schade, daß er uns das Geheimnis der Gänge nicht mehr verraten kann. Nun müs­sen wir selbst sehen, wie wir mit dieser Sperre fertig werden. Irgendwo muß es einen Kontakt geben, mit dem das Feld kurzfristig ausgeschaltet wird.«

Fartuloon zückte mit grimmiger Miene das Schwert.

»Ich habe keine Lust, mich auf ein länge­res Rätselraten einzulassen. Unser Vorrat an Konzentraten reicht nicht mehr lange. Du bleibst hier. Nach jedem Schritt sagst du mir, ob ich das Feld bereits erreicht habe oder nicht. Und dann werde ich dem Ding mal kurz auf den Zahn fühlen!«

Mit gemischten Gefühlen sah ich dem

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Bauchaufschneider nach. Klinsanthor würde sicher nicht erfreut sein, wenn wir die tech­nischen Einrichtungen seiner Station demo­lierten.

Seiner Station? fragte das Extrahirn spöt­tisch. Der Magnortöter mag allerhand fertig bringen, aber der Bau eines so riesigen Ge­bildes dürfte ihn überfordern.

Nach dem zehnten Schritt war Fartuloon verschwunden.

»So«, sagte er zufrieden, als er wieder auftauchte. »Jetzt müssen wir den Projektor finden.«

Wir suchten die Wand im Grenzbereich ab und entdeckten tatsächlich einen haarfei­nen Riß in der rechten Wand. Falls es an dieser Stelle ein Gerät zur Erzeugung dieses seltsamen Feldes gab, dann mußte es dahin­ter verborgen sein. Ich begann, den Riß mit der Messerklinge zu untersuchen, aber Far­tuloon schob mich ungeduldig zur Seite. Ich zog mich vorsichtig ein Stück zurück.

Das Skarg berührte den Riß. Um die Klin­ge bildete sich ein bläulich flimmerndes Feld. Winzige Entladungen zuckten zwi­schen der Spitze des Schwertes und der Wand. Es knisterte unheimlich, dann gab es einen dumpfen Knall, und aus dem Riß drang ein dünner Rauchfaden. Fartuloon trat zurück und nickte zufrieden.

»Versuchen wir es mal«, murmelte er und überschritt die Grenzlinie. Er sah sich um.

»Du hast es geschafft«, nickte ich. »Worauf wartest du dann noch?« Auf den ersten Blick schien sich in dem

Gang kaum etwas verändert zu haben. Aber als wir nur wenige Schritte zurückgelegt hat­ten, verwandelte sich plötzlich unsere Um­gebung.

*

Es war ein friedliches Bild. Eine leicht ge­wellte Fläche dehnte sich vor uns aus. Ein sanfter Wind strich über die hohen Grashal­me und trug den Duft unzähliger Blüten her­an. Vereinzelt stehende Bäume und blühen­de Buschgruppen erweckten den Eindruck,

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in einem großen Park zu stehen. Irgendwo plätscherte Wasser.

»Eine neue Illusion?« fragte ich leise. Fartuloon schüttelte stumm den Kopf und

deutete zur Seite. Direkt an der Wand stand eine Hütte. Sie war ungeschickt zusammen­gebastelt und machte einen wenig anziehen­den Eindruck. Auf ihrer rechten Seite türmte sich ein Haufen aus Abfällen, daneben gab es ein paar unordentliche Beete. Wir gingen näher heran und rümpften die Nasen, als wir den Gestank bemerkten.

»Scolaimon Nove«, sagte Fartuloon ver­ächtlich. »Wie auch immer er in seiner wah­ren Gestalt ausgesehen haben mag, ein ord­nungsliebendes Wesen war er nicht.«

Auf den Beeten wuchsen die unterschied­lichsten Pflanzen wild durcheinander. Zer­brochene Geräte, meistens aus Holz ge­schnitzt, lagen auf den Wegen. Wir sahen in die Hütte hinein. Sie war direkt an einen der Durchgänge gebaut worden. Von seinem La­ger aus hatte der Gestaltwandler alles beob­achten können, was in der Halle geschah. Auch hier drin stank es entsetzlich, und die spärliche Einrichtung starrte von Dreck.

Angewidert zogen wir uns zurück. »Eine aufwendige Anlage«, murmelte

Fartuloon und meinte damit natürlich nicht die Hütte, sondern diesen Park. »Ich bin ge­spannt, welche Überraschungen diese Stati­on uns sonst noch bieten wird.«

Ich dachte an die Bemerkung des Extra­hirns und erzählte dem Bauchaufschneider davon.

»Ich glaube auch nicht, daß Klinsanthor das alles gebaut hat«, nickte Fartuloon. »Diese Station war gewiß nicht nur für ein einzelnes Wesen bestimmt. Der Magnortöter dürfte sie irgendwann übernommen haben.«

»Aber von wem?« »Was fragst du mich? Wir wissen doch

inzwischen, daß es lange vor der Gründung des Großen Imperiums eine Menge hochent­wickelter, raumfahrender Zivilisationen gab. Irgendein Volk, das wahrscheinlich längst untergegangen ist, hat die Station gebaut, und wir müssen nun zusehen, wie wir in die­

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sem Labyrinth den Magnortöter finden.« Hinter uns lag die Wand, vor uns dehnte

sich die Parklandschaft scheinbar unendlich weit aus. Das mußte eine Täuschung sein, aber die Erfahrung mit den Gängen hatte uns gelehrt, daß die Tricks der fremden Erbauer dieser Station nicht so leicht zu durchschau­en waren.

»Wir könnten einfach an der Wand ent­langgehen«, schlug ich vor. »Irgendwo muß es ja einen Zugang zum inneren Teil der An­lage geben.«

»Zweifellos. Und was machst du, wenn diese Parklandschaft sich ringförmig um die ganze Station herumzieht?«

»Also geradeaus«, seufzte ich resignie­rend.

Wir fanden einen Bach, der in die entspre­chende Richtung floß und marschierten an ihm entlang. Es war angenehm warm, und aus dem Pseudohimmel brannte die künstli­che Sonne herab. Man konnte durchaus ver­gessen, daß dies nur ein Teil einer techni­schen Anlage war.

Nach einigen Minuten sah ich mich um. Überrascht blieb ich stehen.

Die Hütte des Gestaltwandlers war ver­schwunden. Auch die Wand konnte ich nicht mehr sehen. In der Richtung, aus der wir ge­kommen waren, erstreckte sich dieselbe scheinbar endlos weite Parklandschaft, wie wir sie vor uns sahen.

»Also wieder ein Trick«, knurrte Fartu­loon. »Verdammt, ich möchte wissen, was das alles soll! Wenn Klinsanthor uns hier­hergeholt hat, könnte er doch wenigstens die Güte haben, uns den Weg zu zeigen!«

Ratlos sahen wir uns an. Es schien absolut sinnlos zu sein, in der alten Richtung weiter­zugehen. Die Parallele zu den Ereignissen in den blaßgelben Gängen war nur zu deutlich. Wahrscheinlich waren wir wieder in den Be­reich eines dieser komischen Felder geraten.

»Scolaimon Nove ist sicher nicht ohne Grund in der Nähe der Halle geblieben«, sagte ich. »Klinsanthor wird sich abgesichert haben.«

»Mit anderen Worten: Wir sitzen fest.

Wir können zurückgehen, dann landen wir wieder bei der Hütte. Oder wir laufen wei­ter, bis wir vor Erschöpfung zusammenbre­chen.«

»Das alles kommt mir unlogisch vor. Es muß doch irgendeine Möglichkeit geben, von der Schleuse in die Station zu kommen. Warum sollte das Beiboot uns sonst dort ab­gesetzt haben!«

»Es gibt nur eine Erklärung: Klinsanthor hat uns hereingelegt. Wir sind in die Falle gegangen.«

»Unsinn. Um jemanden in eine solche Phantasiewelt zu sperren, holt man ihn doch nicht extra von einem weitentfernten Plane­ten ab.«

»Dein Extrahirn hat dir die Erklärung doch schon gegeben«, knurrte Fartuloon wü­tend. »Du bist nur zur Aufbewahrung be­stimmt. Meine Anwesenheit ist reiner Zu­fall.«

Ich schwieg. Es hatte keinen Sinn, dar­über zu diskutieren.

Wir gingen bedrückt am Bach entlang zu­rück, aber wir stellten bald fest, daß wir die Entscheidung zu lange hinausgezögert hat­ten. Obwohl wir uns immer neben dem Was­ser hielten, fanden wir die Hütte nicht wie­der. Nach einigen Minuten deutete Fartuloon schweigend auf den Bach. Ich mußte zwei­mal hinsehen, ehe ich begriff. Das Wasser floß in die verkehrte Richtung.

»Wir gehen im Kreis herum«, sagte der Bauchaufschneider bitter. »Wir merken es nicht, aber wir sitzen in einem unsichtbaren Käfig.«

Wir versuchten, die Grenze zu bestim­men, die Stelle, an der das Wasser seine Richtung änderte, aber ehe uns das gelang, wurde es plötzlich dunkel.

»Jetzt haben die uns auch noch das Licht ausgedreht!« schimpfte der Bauchaufschnei­der neben mir.

Ich tastete mich zu ihm heran. Die Fin­sternis war vollkommen. Wir wagten es nicht, auch nur einen Schritt zu tun, denn es war nicht gesagt, daß unsere Umgebung sich nicht radikal verändert hatte.

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»Merkst du es auch?« flüsterte Fartuloon nach einer Weile. »Der Wind ist weg. Da, jetzt hört man den Bach auch nicht mehr.«

Ich bückte mich vorsichtig und tastete den Boden neben meinen Füßen ab. Keine Spur mehr von Gras oder Steinen. Ich berührte ei­ne glatte, leicht elastische, kühle Fläche.

»Ein Transportfeld?« murmelte ich. »Wenn es eines ist, dann verstehe ich

nicht, warum es keine Beleuchtung gibt.« »Vielleicht sollten wir nach einem Schal­

ter suchen.« »Halt! Rühr dich nicht von der Stelle. Ich

habe die unbestimmte Ahnung, als ob das sehr unangenehme Folgen haben wird!«

Die totale Dunkelheit und das Fehlen von Geräuschen machten mich nervös. Je länger dieser Zustand anhielt, desto stärker wurde der Wunsch, einfach loszurennen, um die­sem Gefängnis zu entkommen. Minuten ver­gingen, und nichts änderte sich. Selbst der Logiksektor schwieg. Und als dann endlich etwas geschah, kam es so plötzlich, daß wir hinterher nicht wußten, was mit uns passiert war. Auf einmal war die Dunkelheit aufge­rissen, und wir fielen in einen erleuchteten Schacht, immer tiefer, einem glutroten Fleck entgegen, aus dem lange Flammen züngel­ten. Aber auch das erwies sich als eine Illu­sion, denn noch ehe wir die Flammen er­reichten, prallten wir hart auf, und dann standen wir in einer Halle.

Im ersten Moment glaubte ich, wir wären wieder einmal am Ausgangspunkt unserer Wanderung angelangt. Dann entdeckte ich Unterschiede. Hier gab es mehr beleuchtete Eingänge, und über einigen davon waren fremdartige, für uns unverständliche Hin­weistafeln angebracht.

Wir waren endlich unserem Ziel näherge­kommen.

Eine kleine, blauleuchtende Kugel löste sich von der Wand, schwebte auf uns zu und blieb kurze Zeit vor uns in der Luft hängen. Dann flog sie langsam zu einem Korridor, hielt plötzlich an und kehrte zurück. Nach­dem die Kugel das dreimal getan hatte, ka­men wir auf den Gedanken, es handele sich

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um einen Wegweiser. Tatsächlich führte uns die Kugel kreuz und quer durch viele Gänge, bis wir einen einigermaßen gemütlich einge­richteten Raum erreichten.

Wir waren so müde, daß wir uns wortlos auf die weichen Lager warfen und sofort einschliefen.

*

»Wach endlich auf, du Schlafmütze!« sagte Fartuloon und rüttelte mich an der Schulter.

Ich richtete mich benommen auf und glaubte zuerst, immer noch zu träumen. Das Zimmer war hell erleuchtet. Eine Tür war halb geöffnet, und dahinter sah ich etwas, was sich bewegte.

»Ein Roboter«, erklärte Fartuloon, der meine Blicke bemerkt hatte. »Er bringt das Frühstück. Nebenan kannst du dich wa­schen.«

Das war untertrieben. Die Hygienekabine verfügte über alle Einrichtungen, die dazu geeignet waren, mich wieder fit zu machen. Als ich nach etwas über einer halben Stunde in meine frisch gereinigten Kleider schlüpf­te, fühlte ich mich wie neugeboren. Das kräftige Frühstück ließ den Rest von Er­schöpfung verfliegen. Tatendurstig sah ich mich um.

»Erstaunlich«, murmelte Fartuloon und verzehrte den Rest einer saftigen, sehr wohl­schmeckenden Frucht. »Mit einer solchen Bewirtung habe ich nicht gerechnet. Wo mag der Gastgeber stecken?«

»Wir sollten ihn suchen.« Der Bauchaufschneider schüttelte sich. »Eigentlich habe ich genug von der Her­

umlauferei. Warum warten wir nicht einfach ab? Klinsanthor wird sich schon melden …«

»Zweifellos wird er das tun. Ich rechne auch gar nicht damit, daß wir ihn finden, wenn er es nicht will. Abgesehen davon, daß er sich uns wohl kaum zeigen wird. Aber die Station interessiert mich. Wir befinden uns jetzt offensichtlich in einem Sektor, der noch voll funktionsfähig ist. Vielleicht ent­

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decken wir eine Spur, die auf die Erbauer hinweist.«

»Daß du doch niemals ein paar Minuten stillsitzen kannst!« schimpfte der Bauchauf­schneider, aber er meinte es nicht ernst. Ich sah ihm an, daß er genauso ungeduldig war wie ich. Sein zerbeulter Brustpanzer war auf Hochglanz poliert, sein schwarzer Bart frisch gebürstet, und seine Augen funkelten unternehmungslustig.

Wir steckten unsere kümmerlichen Be­sitztümer ein und verließen die Kabine. Die Tür war nicht verschlossen, der Gang drau­ßen absolut leer. Selbst der Roboter, der uns das Essen gebracht hatte, war verschwun­den.

Langsam durchschritten wir den Gang, entdeckten rechts und links ein paar Türen und sahen in die darunterliegenden Räume. Sie waren alle verschieden ausgestattet. Es schien, als hätte man mit der Notwendigkeit gerechnet, die verschiedenartigsten Wesen hier unterzubringen. In einem Zimmer stand ein riesiges Bassin mit stinkendem Schlamm, in einem anderen wallten gelbli­che Nebel, die nach Chlor stanken. Wir zo­gen uns hastig zurück und sahen uns an.

»Klinsanthor nimmt wohl an, daß so ziemlich jede intelligente Rasse ihn irgend-wann rufen würde«, brummte Fartuloon. »Er ist jederzeit bereit, seine Dienste anzubieten – und dafür zu kassieren.«

»Aber das hier sieht nicht nach einem Ge­fängnis aus.«

»Dann sind es eben Warteräume. Was wissen wir schon von diesem Fremden.«

Wir erreichten die runde Halle. Nachdem wir uns vergewissert hatten, daß wir den Rückweg finden würden, überlegten wir, welchen der vielen Gänge wir als nächstes untersuchen sollten. Die Hinweisschilder halfen uns nicht weiter, und diesmal ließ sich auch keine leuchtende Kugel sehen. Überhaupt wirkten die Gänge nun wieder völlig verlassen.

»Wir gehen systematisch vor«, bestimmte Fartuloon. »Einen Gang nach dem anderen. Wonach suchen wir eigentlich?«

Ich wußte es selbst nicht. Eine innere Un­ruhe trieb mich weiter. Ich war ungeduldig und nervös, als fürchtete ich, ein wichtiges Ereignis zu verpassen.

Wir hatten den ersten Gang kaum betre­ten, da schossen mehrere Kugelroboter auf uns zu. Sie pfiffen und heulten in allen Ton­lagen durcheinander. Hastig wichen wir zu­rück. Ich zog den Strahler, und Fartuloon zückte sein Schwert, denn es sah gar nicht so aus, als hätten diese Kugeln friedliche Absichten. Sie hielten einige Meter vor uns an und ordneten sich zu einer regelrechten Mauer. Langsam kamen sie näher.

Wir verständigten uns mit einem kurzen Blick und wichen zurück. Es hatte keine Sinn, die Roboter zu provozieren. Sie waren in der Übermacht. Mit unseren unzureichen­den Waffen hatten wir keine Chance gegen sie.

Aber wir kamen nicht weit. »Zurück!« rief eine dumpfe. Stimme hin­

ter der Mauer aus metallenen Kugeln. Die Roboter gehorchten. Sie pfiffen kurz,

drehten ab und waren binnen Sekunden spurlos verschwunden. Verblüfft starrten wir den Mann an, der mitten im Gang stand und uns zuwinkte. Es war ein Arkonide – jeden­falls sah er so aus.

»Das wird doch nicht etwa …« »Scolaimon Nove ist tot«, erinnerte ich

den Bauchaufschneider. »Und wenn er nicht der einzige Gestalt­

wandler in dieser Station war?« »Ich grüße euch!« sagte der Fremde und

kam langsam auf uns zu. Er sprach Altarko­nidisch. Im Gegensatz zu Scolaimon Nove trug er keine Uniform, sondern ein loses Ge­wand aus einem schillernden, ständig die Farben wechselnden Stoff. Er sah fast ju­gendlich aus, nur seine Augen wirkten uralt.

»Wer sind Sie?« fragte Fartuloon miß­trauisch, das Skarg in der Hand.

»Mein Name ist Gharto, aber dieser Name wird euch nichts bedeuten. Es ist auch un­wichtig. Ich soll euch führen.«

»Wohin?« »An euer Ziel.«

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»Wir haben keine Zeit.« Gharto sah Fartuloon erstaunt an. »Mir wurde etwas anderes berichtet«, sag­

te er verwirrt. »Ich muß meine Aufgabe er­füllen. Kommt!«

Er drehte sich um und entfernte sich, aber nach ein paar Metern merkte er, daß wir ihm nicht folgten. In einer Mischung von Unge­duld und Erstaunen starrte er uns an und vollführte eine Geste, deren Sinn für uns un­verständlich war. Die Roboter begriffen da­für um so besser. Wie ein Schwarm von zor­nigen Insekten rasten sie aus ihren Ver­stecken hervor.

»Kommt!« sagte Gharto wieder. Die Kugeln umgaben uns von allen Sei­

ten. Als wir uns weigerten, dem Fremden zu folgen, rückten sie näher. Ihr Leuchten wur­de stärker, und mein rechtes Bein hob sich ohne mein Zutun.

Neben mir fluchte Fartuloon. Er versuchte das Skarg zu heben, aber sein Arm gehorch­te ihm nicht.

»Was hat dieser Kerl mit uns vor?« keuchte er. »Das ist doch bestimmt wieder eine Falle!«

Gharto, der irgendwo jenseits der Hülle aus Kugeln steckte, die uns unerbittlich vor­wärtstrieben, kicherte schrill. Mir sträubten sich die Haare. Gab es in dieser Station ei­gentlich nur Wahnsinnige?

»Wir sind gleich da«, verkündete der Ar­konide. »Die erste Zeit ist am schlimmsten, aber ihr gewöhnt euch schnell ein. Ihr habt viel Zeit, unendlich viel Zeit. Manchmal ist es ein bißchen langweilig, aber ab und zu er­haltet ihr Gesellschaft. Ich würde euch aber raten, auf der Hut zu sein. Die meisten, die hier eintreffen, sind nicht mehr normal. Man darf ihnen nicht trauen.«

»Wem sagt er das eigentlich?« knurrte Fartuloon wütend. »Verstehst du, was der Bursche meint?«

»Er ist verrückt«, gab ich gelassen zurück. »Er denkt, er wäre eine Art Aufseher. Wahr­scheinlich will er uns in diese komische Steppe zurückschicken.«

Die Roboter schoben uns weiter, dann wi-

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chen die vordersten zurück. Vor uns gähnte ein Schacht. Gharto stand neben dem Ein­stieg und lächelte freundlich.

»Dort unten warten die anderen auf euch!« verkündete er. »Ich wünsche euch viel Glück. Ihr habt zwar das ewige Leben errungen, aber ihr seid immer noch verletz­bar. Wehrt euch also!«

Der Schacht war sehr tief. Von unten zün­gelten Flammen herauf. Das Bild kam uns nur zu bekannt vor, und wir konnten nicht darauf rechnen, noch einmal im letzten Au­genblick gerettet zu werden.

Fartuloon warf sich zur Seite, in dem Ver­such, den Alten zu packen. Ich fuhr gleich­zeitig herum und schoß auf die Roboter, die uns so dicht vor dem Ziel nicht mehr so auf­merksam beobachteten. Ein paar Kugeln platzten auf, brennende Trümmerstücke flo­gen uns um die Ohren. Gharto kreischte in den höchsten Tönen und trat nach Fartuloon, traf den Bauchaufschneider aber nicht. Die schmale Plattform, die uns von dem grauen­haften Schacht trennte, verwandelte sich in den Schauplatz eines kurzen, aber erbitterten Kampfes.

Dann hatten die Kugeln erkannt, daß wir nicht gewillt waren, uns freiwillig in unser Schicksal zu ergeben. Ohne einen Befehl ih­res Herrn abzuwarten, sandten sie ihre glü­henden Lichtstrahlen aus und zwangen uns Schritt für Schritt auf die Öffnung zu. Im letzten unbewachten Augenblick schleuderte Fartuloon das Schwert. Gharto wurde von der scharfen Klinge durchbohrt, aber das schien diesem unheimlichen Kerl gar nichts auszumachen. Er lächelte friedlich und kam – das Skarg in der Brust – auf uns zu.

Der letzte Schritt. Wir glaubten, die Hitze der Flammen zu spüren, dazu einen stechen-den Geruch, und wir stemmten uns mit aller Kraft gegen den Zwang, der von den Robo­tern ausging. Umsonst. Ich merkte, wie mein Bein sich hob, über dem Nichts schwebte. Die nächste Sekunde mußte das Ende brin­gen.

Ein hallender Gongschlag ließ mich zu­sammenzucken. Ich verlor das Gleichge­

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wicht und merkte, daß ich fiel. Instinktiv warf ich mich nach hinten und krallte mich irgendwo fest. Meine Beine hingen im Schacht, und meine Fußsohlen wurden un­angenehm heiß.

Verbissen zog ich mich weiter auf die Plattform hinauf. Ich sah mich kaum um, merkte nur, daß auch Fartuloon sich noch hatte festhalten können und genau wie ich versuchte, festen Boden unter die Füße zu bekommen. Ich schaffte es zuerst und warf einen kurzen Blick auf die Umgebung – Gharto und seine Roboter waren verschwun­den. Einige Meter weiter lag das Schwert auf dem Boden. Die Klinge glänzte, keine Spur von Blut klebte daran.

Ohne mein Zeit mit irgendwelchen Über­legungen zu verschwenden, wandte ich mich dem Bauchaufschneider zu und half ihm auf die Plattform. Fartuloon richtete sich schwer atmend auf, lief zu seinem Skarg und sah sich kampfbereit um.

»Ihr seid nicht allein!« Es war die Stimme, die wir auf dem Flug

zu dieser Station gehört hatten. »Klinsanthor!« schrie Fartuloon wütend.

»Was soll das alles bedeuten?« Nichts. »Nun«, murmelte Fartuloon, der sich nur

langsam beruhigte, »immerhin sieht es so aus, als hätte der Magnortöter uns gerettet. Gharto und diese verflixten Kugeln ver­schwanden mit dem Glockenschlag.«

»Hast du dir dein Schwert angesehen?« Der Bauchaufschneider nickte grimmig. »Wir sind auf einen Geist hereingefallen.

Komm, ich möchte nicht noch länger an die­sem Schacht herumstehen.«

Nichts rührte sich in dem Gang. Als wir bereits die Halle vor uns sahen, bemerkten wir eine Tür, die offenstand. Unsere Ent­deckungsfreude hatte sich mittlerweile ge­legt, und so spähten wir nur kurz um die Ecke. Dann allerdings betraten wir den Raum doch.

Die Wände waren von Bildschirmen be­deckt. Dazwischen gab es fremdartige Be­dienungselemente. Zum erstenmal sahen wir

in der Station des Magnortöters einen Raum, mit dem wir wirklich etwas anfangen konn­ten. Es waren sogar einige Bildschirme in Betrieb. Sie zeigten die Sonnen der Umge­bung. Auf anderen zeichnete sich ein kugel­förmiger Gegenstand ab, der über der Ober­fläche eines Planeten schwebte. Ich brauchte Sekunden, um das Bild zu verarbeiten.

»Die ISCHTAR!« Fartuloon trat näher und starrte verblüfft

auf den Schirm. Kein Zweifel, es war unser Raumschiff. Der Planet, dem es sich näher­te, war uns unbekannt. Wir erhaschten flüch­tige Bilder und gewannen den Eindruck, daß es dort große Städte geben müsse, aber ehe wir Einzelheiten erkennen konnten, erlosch der Bildschirm.

»Das kann nicht wahr sein«, stöhnte Far­tuloon. »Man kann doch nicht aus einer sol­chen Entfernung …«

Es knackte. »Eure Freunde werden ständig beobach­

tet!« teilte die knarrende Stimme uns mit. »Wo sind sie jetzt?« fragte ich aufgeregt.

»Was ist das für ein Planet, auf dem sie lan­den wollen? Können wir mit ihnen Verbin­dung aufnehmen?«

Keine Antwort. Ratlos sahen wir uns an. Hatte Klinsan­

thor den Kontakt schon wieder abgebro­chen? Dieser Fremde mußte unberechenbar sein. Seine Sprunghaftigkeit brachte mich zur Verzweiflung. Warum gab er immer nur halbe Erklärungen und Andeutungen von sich?

»Klinsanthor!« sagte Fartuloon laut. »Hören Sie uns?«

»Ja.« »Können Sie uns zu unseren Freunden

bringen?« Wieder blieb es lange Zeit still. Du vergißt, welche Bedeutung du für den

Magnortöter hast, meldete sich in dieser Zeit das Extrahirn. Er braucht dich, um den Handel mit Orbanaschol perfekt zu machen. Warum sollte er dich jetzt laufen lassen?

Ich antwortete nicht. Meine Hoffnung, ausgerechnet an diesem Ort Hilfe zu finden,

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kam mir selbst irreal vor. Aber Klinsanthors Handlungen waren so undurchsichtig, daß ich ihm beinahe alles zutraute. Dennoch ver­loren wir allmählich die Geduld. Als wir es aufgeben wollten, auf eine Antwort zu war­ten, knackte es wieder. Die knarrende Stim­me hallte unheimlich durch den großen Raum.

»Ich bin es müde, immer wieder gerufen und geweckt zu werden. Mein Leben ist ab­geschlossen – ich möchte schlafen und träu-

Marianne Sydow

men. Vielleicht seid ihr in der Lage, mich von allem zu befreien. Wenn es euch ge­lingt, könnt ihr euch retten.«

Klinsanthor schwieg. Verwirrt starrten wir die Bildschirme an und warteten. Wor­auf? Wir wußten es nicht.

ENDE

E N D E