7
SILVANUS UND SEINE ANHÄNGER IN ITALIEN: ZUR DEUTUNG ZWEIER KAMPANISCHER INSCHRIFTEN FÜR DEN USURPATOR SILVANUS (CIL X 6945 UND 6946) (1) Nach dem Ende des Magnentius (353) schickte Constantius II. den magister mi- litum Silvanus an die Rheingrenze, die durch Einfälle während des Bürgerkriegs des- tabilisiert worden war. Während der General in dieser Mission tätig war, wurden am kaiserlichen Hoflntrigen gegen ihn gesponnen, die ihn schließlich dazu provozierten, sich im August 354 in Köln zum Kaiser erheben zu lassen. Nach einer Regierungszeit von 28 Tagen fiel Silvanus einem Militäraufstand zum Opfer, den der von Constan- tius nach Köln geschickte Ursicinus durch Bestechungsgelder inszeniert hatte (2). Der Verlauf des ephemeren und regional begrenzten Aufstands des Silvanus scheint auf den ersten Blick ein weit verbreitetes Urteil zu bestätigen, die Usur- pationen im späten Rom seien in der Hauptsache eine Angelegenheit der Soldaten gewesen, an der andere Kreise der Bevölkerung kaum Anteil gehabt hätten (3). In jüngster Zeit ist freilich zu Recht auf den weit komplexeren Charakter spätanciker Usurpationen hingewiesen worden, die keineswegs ausschließlich auf den Rückhalt von Truppen begründet waren (4). Dies gilt bei näherer Betrachtung vielleicht sogar für Silvanus, von dem man zunächst kaum erwarten würde, daß er über Köln und die germanischen Provinzen hinaus bei Teilen der Zivilbevölkerung Anerkennung gefunden hat. (1) Für nützliche Kritik und weiterfiihcende Hinweise danke ich J. Szidat. (2) Zu Silvanus vgl . W. den Bocr, The Emperor Si/vanus and his Anny, .Acta Cb.ssicv 3, 1960, 105- 109; D.C. Nun, Si/vanuJ and tht Emptror Constantius II, «Antichcho11» 7, 1973,80-89; U. Süssenbach, Das Endt dts Si/van.;, in Köln, Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 55, 1984, 1-38; J. F. Drinkwater, Si/- vanus, Urricinus and Ammianus: Fact or Fiction, in: C. DerO\JX (Hrsg.), StuditS in Latin Littraturt! and Roman History VII, Brüssel 1994, 568-576. Die Zahl von 28 Regierungsragcn findet sich nicht nuc bei Aue. Vice. 42. 16; Hier. 239 d und Epit. Caes. 42.10, sondern auch in der Inhaltsangabe zu AM 15.5. Bei Eurrop sind die 28 Regierungsragc nicht genau erwiihnr (antt dimz tricmmum). Die Übereinstimmungen zwischen Auce- lius Victor und Eurrop, die sich nuc auf diese Zahl, nicht aber auf die sonstige Damcllung der Ereignisse beziehen, können wohl nicht als Indiz dafür angeführt werden, daß die EKG bis zu Silvanus reichte, anders R. Burgcss, On tht Datt of tht KaistrgtSchichtt, •CPh• 115, 1995, 127. Die Kürze der nuc einen Mondmonat · dauernden Usurpation ist in zeitgenössischen Panegyriken wohl immer wieder betont worden, vgl. Jul. lmp. or. 3.99: oöO& •<'>v tailCA.ov cipl;ai cr<pöiv civacrxoμevov. (3) Aus diesem Grund hat P. Ja!, Lagunr. civik a Romt. Etudt littbairt a morak, Paris 1963, 496 die als rein militärische Angelegenheiten des vienen Jahrhunderts berrachteten Bürgerkriege ausgddammcrt. (4) Vgl. die zurrclfcnden Bemerkungen von J. Szidat, Usurpator und ZivilbtvöllttrUng im 4. ]h. n. Chr .• in: N. Bcrnard - Q Reichen (Hrsg.), Gtstllschaft und Gtstllschaftm. Ftrtschrift U. Im Hof. Bern 1982, 27, Anm. 14; ders., Usurpationm in dtr römischm /GzistrZtit . &dtutung, Gründt, Gtgmmaßnahmm. in: Labor om- nibus unus. Ftrtschrift G. Walstr, Stuttgart 1989, 232-245. S. Elbern, Usurpationm im spiimimischm &ich, Bonn 1984, 142 f. behandelt das Problem flüchtig, indem er einige Fälle anfühn, in denen ganze Provinzen nach der Niederschlagung einer Usurpation bestrali: wurden.

Bruno Bleckmann (2000): Silvanus und seine Anhänger in Italien. Zur Deutung zweier kampanischer Inschriften für den Usurpator Silvanus (CIL X 6945 und 6946), in: Athenaeum 88: pp

Embed Size (px)

Citation preview

SILVANUS UND SEINE ANHÄNGER IN ITALIEN: ZUR DEUTUNG ZWEIER KAMPANISCHER INSCHRIFTEN FÜR DEN

USURPATOR SILVANUS (CIL X 6945 UND 6946) (1)

Nach dem Ende des Magnentius (353) schickte Constantius II. den magister mi­litum Silvanus an die Rheingrenze, die durch Einfälle während des Bürgerkriegs des­tabilisiert worden war. Während der General in dieser Mission tätig war, wurden am kaiserlichen Hoflntrigen gegen ihn gesponnen, die ihn schließlich dazu provozierten, sich im August 354 in Köln zum Kaiser erheben zu lassen. Nach einer Regierungszeit von 28 Tagen fiel Silvanus einem Militäraufstand zum Opfer, den der von Constan­tius nach Köln geschickte Ursicinus durch Bestechungsgelder inszeniert hatte (2).

Der Verlauf des ephemeren und regional begrenzten Aufstands des Silvanus scheint auf den ersten Blick ein weit verbreitetes Urteil zu bestätigen, die Usur­pationen im späten Rom seien in der Hauptsache eine Angelegenheit der Soldaten gewesen, an der andere Kreise der Bevölkerung kaum Anteil gehabt hätten (3). In jüngster Zeit ist freilich zu Recht auf den weit komplexeren Charakter spätanciker Usurpationen hingewiesen worden, die keineswegs ausschließlich auf den Rückhalt von Truppen begründet waren (4). Dies gilt bei näherer Betrachtung vielleicht sogar für Silvanus, von dem man zunächst kaum erwarten würde, daß er über Köln und die germanischen Provinzen hinaus bei Teilen der Zivilbevölkerung Anerkennung gefunden hat.

(1) Für nützliche Kritik und weiterfiihcende Hinweise danke ich J. Szidat. (2) Zu Silvanus vgl. W. den Bocr, The Emperor Si/vanus and his Anny, .Acta Cb.ssicv 3, 1960, 105-

109; D.C. Nun, Si/vanuJ and tht Emptror Constantius II, «Antichcho11» 7, 1973,80-89; U. Süssenbach, Das Endt dts Si/van.;, in Köln, Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 55, 1984, 1-38; J. F. Drinkwater, Si/­vanus, Urricinus and Ammianus: Fact or Fiction, in: C. DerO\JX (Hrsg.), StuditS in Latin Littraturt! and Roman History VII, Brüssel 1994, 568-576. Die Zahl von 28 Regierungsragcn findet sich nicht nuc bei Aue. Vice. 42.16; Hier. 239 d und Epit. Caes. 42.10, sondern auch in der Inhaltsangabe zu AM 15.5. Bei Eurrop sind die 28 Regierungsragc nicht genau erwiihnr (antt dimz tricmmum). Die Übereinstimmungen zwischen Auce­lius Victor und Eurrop, die sich nuc auf diese Zahl, nicht aber auf die sonstige Damcllung der Ereignisse beziehen, können wohl nicht als Indiz dafür angeführt werden, daß die EKG bis zu Silvanus reichte, anders R. Burgcss, On tht Datt of tht KaistrgtSchichtt, •CPh• 115, 1995, 127. Die Kürze der nuc einen Mondmonat

· dauernden Usurpation ist in zeitgenössischen Panegyriken wohl immer wieder betont worden, vgl. Jul. lmp. or. 3.99: oöO& •<'>v 'tii~ crtl..iJVll~ tailCA.ov cipl;ai cr<pöiv civacrxoµevov.

(3) Aus diesem Grund hat P. Ja!, Lagunr. civik a Romt. Etudt littbairt a morak, Paris 1963, 496 die als rein militärische Angelegenheiten des vienen Jahrhunderts berrachteten Bürgerkriege ausgddammcrt.

(4) Vgl. die zurrclfcnden Bemerkungen von J. Szidat, Usurpator und ZivilbtvöllttrUng im 4. ]h. n. Chr .• in: N. Bcrnard - Q Reichen (Hrsg.), Gtstllschaft und Gtstllschaftm. Ftrtschrift U. Im Hof. Bern 1982, 27, Anm. 14; ders., Usurpationm in dtr römischm /GzistrZtit. &dtutung, Gründt, Gtgmmaßnahmm. in: Labor om­nibus unus. Ftrtschrift G. Walstr, Stuttgart 1989, 232-245. S. Elbern, Usurpationm im spiimimischm &ich, Bonn 1984, 142 f. behandelt das Problem flüchtig, indem er einige Fälle anfühn, in denen ganze Provinzen nach der Niederschlagung einer Usurpation bestrali: wurden.

-478-

Für die Beleuchtung der Frage, über welchen Rückhalt der ephemere Usurpa­tor verfügte, sind zwei seit jeher bekannte, aber bisher noch nicht befriedigend ge­deutete Inschriften aus Atella von größerem Interesse.

CIL X 6945 (=ILS 748) bietet den Text:

DN IMP CLVDI SILVANVS AVG BONO RIEP (sie) NA TVS

Die zweite Inschrift (CIL X 6946) scheint, so Mommsen, dem gleichen Clo­dius Silvanus gewidmet gewesen zu sein, auch wenn der Name nur in undeutlicher Form erscheint.

Die ins Vierte Jahrhundert weisende Formel bono rei publicae natus bestätigt, daß es hier nur um den Usurpator Silvanus gehen kann (5) . Das ist von Mommsen richtig erkannt worden. Ein zusätzliches Indiz bietet der allein durch die erste In­schrift belegte Gentilname des Silvanus Claudius, der aufgrund der constantini­schen Familienlegende zu den in der constantinischen Dynastie getragenen und zweifellos auch verliehenen geläufigen Gentilnamen gehörte (6).

In seinem Kommentar zur Inschrift hat sich Mommsen freilich die Frage ge­stellt, wie der in Köln weilende Silvanus in Kampanien Anerkennung finden konn­te, obgleich sich der legitime Kaiser Constantius II. zum Zeitpunkt der Usurpation des Silvanus in Mailand befand (7). Das Problem ist in der keineswegs dürftigen Li­teratur zur Usurpation des Silvanus nur selten untersucht worden (s), sei es, weil die kampanischen Inschriften nicht bekannt sind - sie werden etwa in der PLRE ig­noriert - sei es, weil ihre Echtheit bezweifelt wird (9). M. E. läßt sich eine Lösung

(5) Vgl. zur datierevden Funktion dieser Formd in der Inschrift auch A Demandt, D~ Spätanti!te. Riimische Gachichu uon Diocktian bis fustinian 284-565 n. Chr. , München 1989, 85 , Arun. 30.

(6) Consrantin II. hatte den Namen FL Claudius Consrantinus, Gallus den Namen FL Claudius Con­srantius, vgl. PLRE I, 223 und 224. Der Vater des Silvanus, der Franke Bonirus, hatte an den Kämpfen gegen Licinius teilgenommen, muß also in dieser Zeit das Bürgerrecht erhalten haben. Sein Sohn dürfte erst später geboren sein, vgl. Aur. Vier. 42, 15.

(7). Vgl. auch den Kommentar Dessaus zu ILS 748. Vgl. auch Demandt (wie Arun. 5), 85, Arun. 30: cOb sich aufSilvanus die Inschrift Dessau 748 ( ... )bezieht, ist fragwürdig. weil sie von einem Meilenstein aus Avecsa in Campanien stammt, wo Silvanus gewiß nicht anerkannt wurde>.

(8) Die bisher ausführlichste Deutung stammt von Secck, RE IV (1901), 1077, der die These eines lolcalen religiös motivierten Aufstands .encwickdt hat: . •Vielleicht haben die religiösen Streitigkeiten, die, wie wie sogleich sehen werden, um diese Zeit in Italien eine große Aufregung hervorriefen, hier eine Empö­rung veranlasst, deren Urheber Anleitung an den gallischen Usurpator suchte; doch war sie wohl eher unbe­deutend, da die Autoren alle darüber schweigen•.

(9) Drinkwater (wie Anm. 2), 574: « There is only onc inscription of Silvanus as empcror, and this is highly unrrwcworthy and best ignored.; T . D. Barnes, -Ammianus M arceUinus and the &prmntatÜJn of His­torical &aüty, Ithaca - London 1998, 18, Anm. 34: •lt need hardly been added that CIL 10.6945 • ILS 748

-479-

des von Mommsen skizzierten Problems erwägen, wenn man auf die Konvergenzen zwischen dem inschriftlichen Befund und einigen Beobachtungen achtet, die sich für die historiographischen Quellen machen lassen. Bisher ist nämlich wenig be­rücksichtigt worden, daß Silvanus bis zu seiner Usurpation über eine bedeutende Anhängerschaft in Italien verfügte. Das hat seine Spuren in der zugunsten des Sil­vanus eingenommenen Geschichtsschreibung hinterlassen.

Auf diese Geschichtsschreibung ist zunächst einzugehen: Die ausführlichste Darstellung der Usurpation des Silvanus bietet bekanntlich Arnrnian. Ammian be­gleitete als protector domesticus den General Ursicinus, als dieser von Constantius II. naeh Köln geschickt wurde, um die Usurpation des Silvanus zu beenden. Er war also unmittelbarer Augenzeuge der Ereignisse, und aus diesem Grunde liegt es zunächst nahe, seinen Bericht zur Usurpation des Silvanus en bloc als Primärbericht aufzufussen (10). Wie wenig unmittelbar aber selbst die Partien sind, in denen Am­mian über seine eigene Rolle berichtet, wird deutlich, wenn die mit Ursicinus reisen­den Soldaten, zu denen Ammian selbst gehörte, beständig an ein Cicero-Zitat ge­dacht haben sollen (11). Hier hat.Ammian in unpassender Weise Bildungsgut in sei­nen Erlebnisbericht eingearbeitet. Auf andere Merkwürdigkeiten im angeblichen Augenzeugenbericht Ammians hat jüngst J. Drinkwater aufinerksam gemacht. Er hält den von Constantius und seinen Beratern in Mailand gefaßten Plan für wenig wahrscheinlich, demzufolge Ursicinus bei seiner Reise nach Köln gegenüber Silvanus den Eindruck erwecken soUte,'man sei am Kaiserhof noch nicht über den Tatbestand der Usurpation informiert. Die Intrige, die zum Ende des Usurpators führe, könne im einzelnen nicht den bei Amrnian geschilderten Verlauf genommen haben (12).

(Aversa) cannot be a milestone of Silvanus>. Aufinerksam geworden bin ich auf das Problem der Inschriften durch A. Chauvot, &prhmtations du Barbaricum chez ks Barbarei au service de /'Empire au /Ve 1ück apm f. ­C, •Ktcma> 9 (1984) 156, Anm. 83. Chauvot crläuten im zweiten Teil dieses Aufsatzes vor allem die Be­ziehungen des Silvanus zu seinen im Barbarikum verbliebenen Landsleuten.

(10) E.A. Thompson, The Hirtorical Work of Ammianw Marcellinw, Cambridge 1947, 44 ff.; N.J. Austin, Autobiography and Hirtory: Some Later &man Hirtorians and the Veraciry, in: B. Croke, A.M. Emmett, Hirtory and Hirtorians in Lau Antiquiry, Sydney u. a. 1983, 57 f.

(11) AM 15.5.23: mirabamur illam 1mtmtiam Tullianam. Man kann Ammian dankbar sein, daß er dann in exrenso ein langes Cicero-Zitat bringt, da es sich um ein verlorenes Werk Ciccros handdr.

(12) Drinkwater (wie Anm. 2), 570-572. Die Folgerungen, die Drinkwarer lemlich aus den angebli­chen Unstimmigkeiten des Berichts Ammians ziehe, kann ich mir nicht zueigen machen. Drinkwater, 575 f. bezweifele, daß es überhaupt eine wirkliche Usurpation des Silvanus gegeben hat. Das würde bedeuten, daß alle zeitgenössischen Zeugnisse, in denen eine solche Usurpation bezeugt wird, von der Propaganda des Con­srantius 11. beeinflußt wären, und daß Ammian eine im Faktischen völlig irrige Erzählung bieten würde, was

mir gerade wegen der Gemeinsamkeiten mit der nicht von Ammian abhängigen Erzählung des Zonaras kaum möglich erscheint. Die Abwesenheit von Münzprägungen für Silvanus ist kein gewichtiges Azgwnent gegen die Historizität der Usurpation, wie Drinkwarer und Bames (wie Anm. 9), 18 annehmen. Der von Bames bemühte Parallelfall des Poemenius, dessen Rebellion in der Triercr Prägung Spuren hinterlassen habe, ist m. E. wenig beweiskräftig. da es sich um für Consrantius, nicht erwa fur Poemenius sdbst angefenigte Prä-

-480-

Der komplexe Charakter der Erzählung Ammians erklärt sich daraus, daß Am­mian am Ende der 80er oder am Anfang der 90er Jahre des IV. Jahrhunderts bereits eine ausgestaltete Historiographie zu Silvanus fand und auf diese reagiert hat, indem er einiges aus ihr übernahm, sie aber durch Einfügung memoirenhafter Teile, zu­sätzlichen Bildungsgurs und frei ausgesponnener Erzählungen zu übertreffen und zu erweitern suchte. Ein Blick auf die Parallelüberlieferung läßt die Genese dieser Tradition zu Silvanus, an deren Ende Ammian steht, relativ gut nachvollziehbar er­scheinen. Bereirs wenige Jahre nach der Usurpation des Silvanus verfaßte Aurelius Victor einen Bericht, der die bei Ammian geschilderten Wec;hselfalle (Intrigen beim Hof und Inszenierung eines Aufstandes der ursprünglich Silvanus ergebenen Legio­nen durch Ursicinus) vorailssetzt, auch wenn Victor jedes Detail schuldig bleibt (13).

Offenkundig konnte Aurelius Victor auf mündliche Erzählungen zurückgreifen. Solche Erzählungen kannte auch Julian, der sie direkt am Hof hören konnte und sie zunächst in seinen Lobreden auf Constantius verarbeitete. Wenige Jahre später kam er in seinem Brief an die Athener erneut auf die Silvanus-Episode zu sprechen. Dort findet sich mit Dynamius eine der wesentlichen an der Intrige gegen Silvanus beteiligten Persönlichkeiten erwähnt (14) .

Weder Julian noch Aurelius Victor zeichnen ein positives Bild des Silvanus, der nur aus Angst die Macht ergreift und sein schnelles Ende verdient hat. Auch als Augustus hatte J ulian keinen Grund sein ungünstiges Bild von einem Usurpator zu ändern, dessen Ende so eng mit seiner Caesarerhebung verbunden war. Eher als Opfer erscheint dagegen Silvanus in einer ausführlichen Erzählung, die sich bei Zosimos (II 55,2) findet und die von einer komplizierten Intrige am Hofe Constantius II. handelt, die von Dynamius angezettelt und vom praefectus praeto­rio Lampadius begünstigt wird Durch einen für Zosimos typischen Irrtum ist c4ese Episode allerdings dann nicht mit Silvanus in Zusammenhang gebracht worden, sondern mit ·der Vorgeschichte des Sturzes des Constantius Gallus. Viel kann man seiner Darstellung daher nicht entnehmen, es sei denn den allgemeinen Hin­weis, daß es zur Zeit, in der Eunap schrieb, von Ammian unabhängige historio­gtaphisch ausgestaltete Erzählungen über Silvanus gegeben hat. Wesentlich inte­ressanter sind hier die Ausführungen des Zonaras. Er bietet eine von der Am­mian-Forschung weithin ignorierte Parallelerzählung zu Ammianus Marcellinus, die allein neben Ammianus Marcellinus die Rolle des Ursicinus im Unternehmen

gungen handdte. Priigungen füi Silvanus würden voraussetzen, d2ß er sich im Besitz der Trier.er Prägcstätte gebracht hätte. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, kann er es für ratsam gehalten haben, eiriige Zeit bis zur Auspriigung eigener Mün:tcn zu warten, etwa in der Hoffnung auf eine Anerkennung durch Constantius.

(13) Aur. Vict. 42.16: E quo cum altius per TMtum st'U demmtiam conscmdisset, kgionum, a quis prtU­sidium spera11erat, tumultu octavum circa ac 11ictsimum dinn trucidatus tst.

(14) Jul. lmp. ep. ad. Ach. 273 d: 6.uvaµio~ el;aiqivri~. äl..A.o~ croKoq>avi:11~ . EK KEA.tiiiv i;yyEil..Ev Öcrov OÜ!tW 'tOV I:1A.ouavov m'mp 1tol..Eµ1ov avaq>aVElcr0ai.

-481-

gegen Silvanus erwähne (1s). Die von Drinkwacer monierten problematischen As­pekte in der Erzählung Ammians finden sich in der Darstellung des Zonaras nicht.

Die detaillierte Tradition, deren Abglanz sich bei Zonaras entdecken läßt, hat Silvanus als tapferen Soldaten behandele, der durch höfische Intrigen zur Usurpa­tion gezwungen wird (16). Sie hat damit das gleiche eigentümlich positive Bild ge­boten, das man auch bei Ammian findet, der wohl von dieser Tradition stark be­einflußt ist (11). An anderer Stelle ist ausgeführt worden, daß die Quelle des Zonaras ein senatorisch orientiertes spätantikes Geschichtswerk widerspiegelt, das in vielen Einzelheiten auch von der Epitome de Caesaribus benutzt worden ist (1s). Gemein­samkeiten zwischen Epitome de Caesaribus und Zonaras sind auch in der positiv für Silvanus eingenommenen Tendenz feststellbar. Eine ungewöhnlich ausführliche Passage der Epitome de Caesaribus weist darauf hin, daß Silvanus sich dem sena­torischen Bildungsideal verpflichtet fühlte, was ihn von dem Makel barbarischer Abstammung befreit: Fuit ingmio bl.andissimus. Quamquam barbaro patre gmitus, tarnen institutione Romana satis cultus et patiens(19).

Nach diesem kurzen Überblick zur historiographischen Tradition über Silva­nus kann man wieder zu der anfangs vorgestellten Fragestellung zurückkehren, nämlich der Beschreibung der Anhängerschaft des Silvanus. Das auffiillig wohlwol­lende Urteil in der bei Zonaras und Epitome de Caesaribus zu greifenden senato­rischen Tradition bedarf einer Erklärung. Hier ist am ehesten auf die gesellschaftli-

(15) Zon. 13.9.21-24. Zon. 13.9.22-23 encsprichr AM 15.5,2-16. Kein Gegcnsrück bierer Zonans für AM XV 5, 17-29. Die Mission des Ursicinus, die Bcsrcchung der Soldaren und die Ermordung des Silvanus werden in Zon. 13.9.24 behandelt, vgl. AM 15.5.30-31. Vgl. hierzu knapp B. Blcckmann, Dic&iclnltrisedes IIL ]ahrhuntkm in der piilantikm und byzantinischen Geschichtsschreibung. UnterJuchungtn zu tim nachtütmi­schm ~Ilm der Chronilr des Johannes Zonaras, München 1992, 338 f.

(16) Vgl. Zon. 13.9.21 : avi)p ITTpatrrYlKOOtato<; Kai äpuno<; tci 110Aiµta. Zon. 13.9.22-23: Auf­grund von Verleumdungen gegen Silvanus plane Consrantius heimlich einen furchtbaren Anschlag. Davon erflihrt Silvanus, der sich so zur Usurpation gezwungen sieht.

(17) Es war keine Sclbsrverständlichkcir, daß Silvanus nach dem Ende der Regierung des Consrantius positiv dargcsrcllr wurde, vgl. etwa das von Mamcrrinus geborene ungünstige Bild des Usurpators in Pan. 3.3.13. Eine ungünstige Darstellung des Silvanus hätte bei Ammian nahcgdcgcn, weil er selbst an der Besei­tigung des Usurparors bcreiligr war. Immerhin bezeichnet Ammian an einer Stelle den Silvanus als anhe/Jmtnn celsius purpuratum (15.5.27), womit die Tatsache der Usurpation mißbilligend umschrieben wird. vgl. zur Deutung P. De Jonge, Philological and Histtlrical Commmt1try on Ammümus Marrelünus XV.1-5, Groningcn 1948, 112. lncfülucnd und zu negativ die Übcrscrzung von Scyfuth: chochmütig schnaufender Purpwtri­gen. Andere Deutung der insgesamt sehr positiven Damcllung bei Ammian bei J. Manhcws, TM &man Empirr of Ammüi11us, London 1989, 38: •no doubr rdlccting Ursicinus' opinion cxprcsscd adrnirarion fur SilvanUS».

(18) Blcckmann (wie Anm. 15), 401-403. (19) Epit. Cacs. 42.10. Das Urteil ist ungleich günstiger als dasjenige über Magnenrius, dem zwar ge­

wisse intcllckruclle Fähigkeiten zugebilligt werden, der aber charakterlich ein Barbar bleibt, anders D. Ncllcn, Viri litterati. Gebildan Beamtmtum und pätrömisches Reich im Wmm zwischm 284 und 395 nach Christus, Bochum 1981, 153, A. 4.

-482-

chen Kontakte zwischen barbarischen magistri militum und Senatoren hinzuweisen, wie sie etwa für Richimer und Symmachus belegt sind. Solche Kontakte bezeugt Ammian ausdrücklich auch für Silvanus. In der breit dargestellten Vorgeschichte der Usurpation des Silvanus weist Ammian auf die Kontakte des Generals mit amici agentes inter palatium vel privati hin (10). Zu diesen anscheinend sehr zahlreichen Freunden gehön auch der Senator Tuscus Albinus (11) . Daß Ammian ausdrücklich diese Persönlichkeit hervorhebt, zeigt ihre Bedeutung, und die Kombination der beiden Namen Tuscus und Albinus belegt, daß es sich um ein Mitglied der hocha­ristokratischen Familie der Nummii handeln muß (22). Bestätigt wird dieses Bild in­tensiver Kontakte zwischen Senatoren und barbarischem magister militum durch J u­lian. Wenn dieser in seinen Lobreden auf Constantius auf die in Italien zurückge­lassenen Freunde« des Silvanus zu sprechen kommt, die von Silvanus schmählich im Stich gel:issen werden, aber auf die kaiserliche clementia zählen können, muß es sich um sozial bedeutende Personen handeln, da sie andernfalls kaum einer sol­che Bemerkung gewürdigt worden wären (23).

Die engen Kontakte zwischen Silvanus und seinen in Italien weilenden Freun­den müssen auch nach dessen Abberufung an die Rheingrenze fonbestanden ha­ben. (24): Die am Hofe des Constantius gegen Silvanus tätigen Intriganten machten sich die rege Korrespondenz zwischen Silvanus und seinen Freunden zunutze, in­dem sie diese mit fiktiven Briefen des Silvanus anreichenen. Umgekehn wurde Sil­vanus bald durch Briefe aus Italien über die Vorgänge am Hofe unterrichtet (25) .

Nachdem Silvanus die Macht ergriffen hatte, wurden die Verbindungen iwischen der Rheingrenze und Italien keineswegs abgebrochen. Ammian erklärt die beson­dere Eile des Ursicinus vielmehr ausdrücklich damit, man habe verhindern wollen, daß das Gerücht von der Usurpation Italien erreichte (und damit die Beziehungen des Silvanus zu seinen italischen Freunden aktivien wurde) (26). Daß dies nicht ge-

(20) AM 15.5.4. Vgl. auch die in 15.5.28 erwähnten familiam. (21) AM 15.5.4: i~ter quos tt Tuscus trat A/binus, vgl. PLRE I, s. v. Albinus (2).

(22) Tuscus und Albinus bezeichnen eigentlich zwei Zweige der Nurnmii. Nurnmius Tuscus {cos. 259)

und Nwnmius Albinus {cos. II 263) waren wohl Brüder, vgl. M. Christo!, Essai sur /'evolutüJn des carrims smatoriaks dans la 2 ' moitie du III' s. ap. J -C , Paris 1986, 99, ferner den Überblick über die Nwnmii

des III. und IV. Jahrhunderts bei F. Jacques, L 'ordint smatorio, in: A. Giarclina (Hrsg.), Sodttlz Rimuina t Imptra tar"4antico. L Istituzioni, ctti, tconomit, Rom-Bari 1986, 200-201. Der bei Ammian erwähnte T uscus

Albinus könnte Sohn des Nwnmius Albinus, des Konsuls von 345, gcwcscn sein.

(23) Iul. lmp. or. 3. 100 a-c. Das Thema der in lcalien zurückgebliebenen Freunde des Silvanus auch in

Iul. lmp. or. 1.48 c - 49 a.

(24) Der Sohn des Silvanus war in lcalien zurückgeblieben, in einer geisclähnlichen Stc!lung, vgl. lul.

lmp. or. 3.98 c. Zur Existenz des Sohnes, den Ammian nicht erwähne, vgl. auch Iul. lmp. or. 1 48 c-d; or.

3.99 d - 100 c. (25) AM 15.5.15: assiduis suorum comptrims nuntiis, quat Apodtmius in labtm suarum agtrtt fortuna-

rum. (26) AM 15.5.24: antt aUapsum ptr Italicos dt tyrannidt uUum rumortm.

-483-

lingen konnte, zeigt, wie wenig polizeistaatlich die Verhältnisse der Spätantike wa­ren. Über die Entsendung des Ursicinus war Silvanus - trotz der größten Eile des magister militum und seiner Gefährten - schon vor dessen Ankunft informiert, wohl durch Gewährsmänner. aus Hofkreisen. Private Informationskanäle erklären die von Ammian geschilderte Episode, die stadtrömische Menge habe im Circus ausgerufen Silvanus devictus est, bevor noch die offizielle Nachricht von diesem Ende nach Rom gelangt sei (27).

Unter diesen Umständen konnte natürlich auch die Person, auf deren Initia­tive die beiden Inschriften von Atella zurückgehen, von der Erhebung des Silvanus informiert werden. Die hastige Ausführung beider Inschriften zeigt, daß es hier nur um eine ganz private Äußerung der Loyalität zum neuen Kaiser gegangen sein kann. Darüber darf auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß in der zweiten Inschrift von Senat und Volk die Rede ist. Denn bei beiden Inschriften ist ein be­reits beschriebener Stein erneut verwendet worden, und dabei hat man bei der zwei­ten Inschrift die ersten Zeilen der alten Inschrift stehen lassen (2s).

Aber auch wenn die Inschriften privaten Charakter hatten, muß die Initiative doch von einer Person ausgegangen sei:n, die relativ hochgestellt war, um rasch von der Usurpation erfahren zu können, und die von einer frühzeitigen Sympathieerklä­rung für Silvanus die Förderung eigener Ambitionen erwartete. Man muß hier an die von Ammian und J ulian erwähnten amici denken, denen auch das nomen gentile des neuen Kaisers bekannt sein dürfte (29). Vielleicht handelt es sich bei dem für die Inschriften Verantwortlichen sogar um einen der Frettnde des Silvanus in Italien, die nach der Niederschlagung der Usurpation nicht von der clementia des Kaisers profitieren konnte, weil sie sich zu früh verraten hatten (3-0) .

Selbstverständlich ist die hier vorgeschlagene Deutung der karnpanischen Sil­vanus-Inschriften nicht zwingend. Daß aber Silvanus bis zu seinem Ende über eine italische Anhängerschaft verfügte, steht unabhängig von den rätselhaften Inschriften fest und sollte bei der historischen Deutung semer (keineswegs aussichtslosen) Usurpation stärkere Berücksichtigung finden.

Strasbourg Bruno Bleckmann

(27) AM 15.5.35. (28) Mommscn zu CIL X 6946. (29) cümur et In'lli des Silvanus sind für Gallien belegt, vgl. AM 15.5.8. Daß ein solcher Klient dem

Silvanus in Kampanien seine Loyalität vecsichertc, ist kaum wahtschcinlich, da es bei den cümur um geschlos­sene Gruppen geht, die den späteren Buccclariem entsprechen, vgl. M. Waas, Gmnanm im riimischm Dimst im 4. jh. n. Chr„ Bonn 1971, 71, A. 174.

(3-0) lul. lmp. or. 1.48 d wird betont, nur die unschuldigen (in Italien zurückgebliebenen) Freunde hänen von der kaiserlichen Gnade profitiert. Über diese Rachemaßnahmen berichtet Ammian nichts. Sein Bericht (AM 16.6.1-4) gilt allein der unmirtclbat im gallisch-germanischen Raum tätigen Anhängerschaft.