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XVil. 0togener Cerebellarabscess. Yon H. Schwartze. Bei der Unsieherheit der Diagnose des Kleinhirnabscesses ist jeder einzelne Fall eines solehen, der ohne Complication rait anderweitigen intraeranidlen Folgczust~nden der Otitis zar Be- obaehtung and Section korarat, yon besonderera Interesse ftir die Syraptoraatologie. Ist doeh ein grosset Theil der bisher publi- eirten Falte entweder eoraplieirt rait Sinusphtebitis oder rait Eiternngcn der Hirnhaute, so dass aus dem complicirten Krank- heitsbilde schwer zu erkennen ist, welche Syraptome yon dera Abscess im Kleinhirne abh~tngen. Beispielsweise ist unter den 8 F~.llen yon Kleinhirnabseess, welehe Macewen neuerdings in seinem bekannten Werke: ,,Pyogenie infective diseases of the brain etc. Glasgow 1893" S. 197--221~ mitgetheilt hat, kein einziger uneoraplieirt. Die Sehwierigkeit der Diagnose steigert sich aber noeh raehr dureh Complieationen, die durch eoincidirende Erkraukungen anderer Organe ausserhalb des Seh~dels herbei- geftihrt sind. Dies traf in folgendera Falle zu: 22j~thrige Frau yon sehw~tehlicher Constitution litt seit 8 Jahren an reehtsseitiger Ohreitcrung aus unbekannter Ursaehe. Bisher sonst gesund, erkrankte sic vor 7 Wochen rait Erbreehen (2 Tage lung anhaltcnd) and Kopfsehraerz ohne Fieber. Der Schmerz war ira Hinterkopf und yon dort ausstrahlend nach dera Seheitel, nicht ira Ohr. In den letzten Tagen permanent, heftiger Schraerz ira Hinterkopf. Abraagerung. Verstopfung. States praesens vora 27. Jali 1896. Schwindel beira Gehen rait geschlossencn Augen, unsieherer Gang, tauraelt dabei racist nach links, der ohrgesunden Seite. Pupillendifferenz; Pupille reehts welter alslinks. Reaction bciLiehteinfall tr'~ge. Ophthalraoskopisch niehts Pathologisches. Patcllarreflexe erheblich gesteigert. Nir- gends Empfindlichkeit des Sehf~dels gegen Drunk odor Percussion. F~tide Eiterung ira rechten 0hre; Defect der hinteren H~tlfte des

Otogener Cerebellarabscess

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XVil.

0togener Cerebellarabscess. Yon

H. Schwartze.

Bei der Unsieherheit der Diagnose des Kleinhirnabscesses ist jeder einzelne Fall eines solehen, der ohne Complication rait anderweitigen intraeranidlen Folgczust~nden der Otitis zar Be- obaehtung and Section korarat, yon besonderera Interesse ftir die Syraptoraatologie. Ist doeh ein grosset Theil der bisher publi- eirten Falte entweder eoraplieirt rait Sinusphtebitis oder rait Eiternngcn der Hirnhaute, so dass aus dem complicirten Krank- heitsbilde schwer zu erkennen ist, welche Syraptome yon dera Abscess im Kleinhirne abh~tngen. Beispielsweise ist unter den 8 F~.llen yon Kleinhirnabseess, welehe Macewen neuerdings in seinem bekannten Werke: ,,Pyogenie infective diseases of the brain etc. Glasgow 1893" S. 197--221~ mitgetheilt hat, kein einziger uneoraplieirt. Die Sehwierigkeit der Diagnose steigert sich aber noeh raehr dureh Complieationen, die durch eoincidirende Erkraukungen anderer Organe ausserhalb des Seh~dels herbei- geftihrt sind. Dies traf in folgendera Falle zu:

22j~thrige Frau yon sehw~tehlicher Constitution litt seit 8 Jahren an reehtsseitiger Ohreitcrung aus unbekannter Ursaehe. Bisher sonst gesund, erkrankte sic vor 7 Wochen rait Erbreehen (2 Tage lung anhaltcnd) and Kopfsehraerz ohne Fieber. Der Schmerz war ira Hinterkopf und yon dort ausstrahlend nach dera Seheitel, nicht ira Ohr. In den letzten Tagen permanent, heftiger Schraerz ira Hinterkopf. Abraagerung. Verstopfung.

States praesens vora 27. Jali 1896. Schwindel beira Gehen rait geschlossencn Augen, unsieherer Gang, tauraelt dabei racist nach links, der ohrgesunden Seite. Pupillendifferenz; Pupille reehts welter alslinks. Reaction bciLiehteinfall tr'~ge. Ophthalraoskopisch niehts Pathologisches. Patcllarreflexe erheblich gesteigert. Nir- gends Empfindlichkeit des Sehf~dels gegen Drunk odor Percussion. F~tide Eiterung ira rechten 0hre; Defect der hinteren H~tlfte des

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rechten Tommelfelles his an den Knochenrand; Granulation in der Paukenhi~hle binten unten. Das linke Ohr gesund. HSrt rechts Fltisterworte weder direct, noch darch H~rschlaueh, links 4 Meter. Hohe T~ne rechts sehr sehlecht, C yore Scheitel naeh rechts verst~trkt. Bei Katheterismus kein Perforationsgeriiuseh, aber ziihes Rasselgeriiusch in der Paukenh~hle. Beim Ausspritzen des Ohres kein Schwindel. Temperatur 36,7°; Puls klein und sehr frequent (138), nicht unregelmiissig. -- Im Laufe der wei- teren Beobaehtung wurde eonstatirt, dass der Kopfschmerz Re- missionen und sogar vitllige Intermissionen ftir einzelne Tage zeigte, dann wieder die heftigsten Paroxysmen mi~ Wimmern und Auf- schreien~ gefolgt yon Tremor and leichter Somnolenz. Nausea oder Erbreehen fast tiiglicb, gewiihnlicb des Morgens bei leerem Magen. Anhaltende Obstipation. Die Pupillendifferenz zeigte Schwankungen. Meist war die rechte Pupille weiter als die linke, bald sehr erheblieh, bald kaum bemerkbar; zeitweise war aueh gar keine Differenz vorhanden. Der Pals stets klein und frequent, zwischen 100 and 148 wechselnd, zuweilen unregel- m~ssig, aueh aussetzend. Nur wiihrend eines einzigen Paroxys- mus des Kopfsehmerzes auf 80--90 heruntergehend. Temperatar stets subnormal. Am 9. August Tod bei klarem Bewusstsein unter den Symptomen der Respirationsliihmung.

S e e t i o n s b e f u n d : W a l l n u s s g r o s s e r A b s c e s s in de r r e e h t e n K l e i n h i r n h e m i s p h i i r e , e i r c u m s e r i p t e L e p t o - u n d P a e h y m e n i n g i t i s i n t e r n a . C h r o n i s c h e , a l t e E n d o - e a r d i t i s d e f o r m a n s . Sehiideldach und Dura mater blutreich. Innenfiiiehe der Dura glatt; Pin zart, blutreich. Sehr reichlicher Liqu. eerebro spinalis. Beim Herausnehmen der reehten Klein- hirnhemisphiire reisst eine an der vorderen Kante derselben ge- legene, stark wallnussgrosse Eiterhiihle ein mit glatter Wandung, die sieh seharf yon der Umgebung abhebt. Es bleibt, ein ziem- lieh bohnengrosses Sttick der Hirnsubstanz an der Dura der hin- teren Fliiche des Felsenbeines hat~en. Der Duratiberzug ist bier lest adh~irent, verdiekt and ,nit fibrini~sen Autlagerungen bedeekt~ und zwar die gauze Pattie zwischen Eintrittsstelle des Aeuticus bis zum Sinus sigmoideus dexter. Der Abscess selbst liisst sieh aus dem Kleinhirn mit dem Finger herausl~isen. Die erweiterten Ventrikel enthalten sehr reichliche~ klare Fliissigkeit; das Epen- dym ist glatt. Die Hirnsubstanz yon geringer Consistenz~ blass~ 5dematiis, Die Dura zeigt an den Verwachsungsstellen mit klei- hen Hiimorrhagien darchsetzte membraniise Auflagerangen. In

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den Hirnsinus keine Thromben. Das Schliifenbein ist eonservirt zum Sehneiden, und soil tiber das Ergebniss der histologisehen Untersuehung spit~er beriehtet werden. Vorliiufig ist nur con- statirt, dass die Eiterung sieh auf das Mittelohr besehriinkte, und (lass in dem Labyrinthe kein friseher Eiter war, aber Zeiehen chronischer EntzUndung in Gestalt yon Bindegewebsneubildung, soweit sieh dies makroskopiseh beurtheilen lasst.

Aus dem tibrigen Seetionsbefunde ist als das Wesentliehste die Erkrankung des H e r z e n s hervorzuheben. Dasselbe war etwas verbreitert, das Epieardium fettreieh. Das Endocardium, besonders im linken Ventrikel grauweiss. Mitralis an den R~tn- dern, das laterale Segel in toto verdickt, ebenso die Sehnen- faden. Das Herzfleisch yon schleehter Consistenz, sehr blass mit helleren Einlagerungen, stark durchwaehsen yon epieardialem Fett, besonders in der Wand des rechten Ventrikels, der stark verdttnnt, stellenweise fast ganz gesehwunden ist.

Die Symptome, welche der Cerebellarabscess verursacht hat, beschriinkten sich bier auf den H i n t e r k o p f s e h m e r z , Er - b r e c h e n und P u p i l l e n d i f f e r e n z . Der Kopfschmerz zeigte nieht blos die bekannten Remissionen, sondern ganz freie Inter- missionen yon mehreren Tagen, wie ich es bisher nur bei Tumoren gesehen zu hubert mich erinnere. Ebenso war die Pupillendifferenz nicht immer zu constatiren. Gar nicht vereinbar war mit dem ge- wShnlichen Krankheitsbilde der stets frequente und kleine Puls, der bei der stets subnormalen Temperatur nicht yon einer ander- weitigen entztindlichen intracraniellen Complication herbeigeftihrt sein konnte. Dass tin Vitium cordis die Ursache dieser Pulsbe- schaffenheit sein k5nne, wurde wohl vermuthet, konnte aber bei Lebzeiten nicht diagnosticirt werden, well weder Ger~iusehe an den Herzklappen hSrbar waren, noch eine Verbreiterung des Herzens nachzuweisen gelang wegeu der Ueberlagerung des- selben durch die Lunge. Es wurde deshalb erst dutch die Section die Ursaehe dieser Anomalie des Pulses klar gelegt. Hatte der gesteigerte Hirndruck in der gewohnten Pulsverlang- samung neben den vorhandenen Symptomen seinen Ausdruek ge- funden, wtirde ieh reich unzweifelhaft zur Operation entschlossen haben, far deren erfolgreiches Gelingen die anatomischen Ver- haltnisse im Schadel die denkbar gUnstigsten waren. Aber gerade die Beschaffenheit des Pulses, besonders als er wiederholt aus- setzend und unregelmiissig gefunden war, veranlassten reich, trotz

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des Dr~ngens der AngchOrigen die Operation abzulehnen. Ieh bezweifele, dass die Frau durch die Entleerung des Abscesses dcm Leben erhalten worden w~tre; sehr wahrscheinlich hRtte sic den Operationstisch nicht lebend verlassen und w~tre bei der Be- schaffenheit des Herzzustandes schon w~hrend der Narkoso ge- storben, nach den Erfahrungen Ma c e we n ' s (1. e.), zumal die Narkose bei der Operation cerebellarer Abscesse besondere Ge- fahr f~r die Athmung in sich zu schliessen scheint.