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Der Papst und sein Kardinal oder: Staatsporträt und Krisenmanagement im barocken Rom Philipp Zitzlsperger Zeitschrift für Kunstgeschichte, 64 Bd., H. 4. (2001), pp. 547-561. Stable URL: http://links.jstor.org/sici?sici=0044-2992%282001%2964%3A4%3C547%3ADPUSKO%3E2.0.CO%3B2-R Zeitschrift für Kunstgeschichte is currently published by Deutscher Kunstverlag GmbH Munchen Berlin. Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/about/terms.html. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at http://www.jstor.org/journals/dkgmb.html. Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. The JSTOR Archive is a trusted digital repository providing for long-term preservation and access to leading academic journals and scholarly literature from around the world. The Archive is supported by libraries, scholarly societies, publishers, and foundations. It is an initiative of JSTOR, a not-for-profit organization with a mission to help the scholarly community take advantage of advances in technology. For more information regarding JSTOR, please contact [email protected]. http://www.jstor.org Wed Dec 12 05:33:28 2007

Der Papst und sein Kardinal oder: Staatsporträt und Krisenmanagement im barocken Rom. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 64, 2001, S. 547-561

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Der Papst und sein Kardinal oder: Staatsporträt und Krisenmanagement imbarocken Rom

Philipp Zitzlsperger

Zeitschrift für Kunstgeschichte, 64 Bd., H. 4. (2001), pp. 547-561.

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http://www.jstor.orgWed Dec 12 05:33:28 2007

Der Papst und sein Kardinal oder:

Staatsporträt und Krisenmanagement im barocken Rom

Nach der konfessionellen Spaltung Europas wur- Glaube an die souveräne Macht im Kirchenstaat de das Papsttum von einer weiteren internatio- stand nun im Vordergrund. Urbans VIII. politi- nalen Krise heimgesucht, in der der Kampf um sche Handlungen waren deshalb von einer bis- den rechten Glauben zunehmend vom Kampf lang für den Kirchenstaat unbekannten Staats- um den Territorialstaat abgelöst wurde. Gleich- raison getragen, deren nüchterner Pragmatismus zeitig führte die Heranbildung des ~~Absolutis- von einer veränderten Propaganda begleitet wer- musx, der sich zumindest in der Theorie und im Anspruch der Staatssouveräne etablierte,! für das Papsttum zusätzlich zum Verlust des Einflusses auf die katholischen Obrigkeiten in Europa: Die traditionell von den Päpsten beanspruchte pleni-tu& podestatis hatte keinen Platz mehr in einem Europa, dessen Territorialstaaten zunehmend souverän und im Zeichen der Staatsraison han- delten. Das Papsttum drohte zur B e d e ~ t u n ~ s l o - sigkeit herabzusinken. Urban VIII. (1623-1644) kam in dieser stürmischen Zeit die tragischste Rolle unter den Päpsten zu, denn während seines Pontifikats entbrannte der Dreißigjährige Krieg in seiner vollen Wucht und zerstörerischen Kraft. Die dabei wirkende Neutralisierung der Konfes- sionsprobleme zwang den Papst, sich in eine neue politische Rolle innerhalb Europas einzu- finden, die seine Autorität rehabilitierte. Nicht mehr der Glaube an die Konfession, sondern der

I Der Begriff >>Absolutismus. ist in der neueren Ge-schichtsforschung Englands wie Deutschlands um-stritten. Einzelstudien haben in den letzten Jahr-zehnten sukzessive ein sehr differenziertes Bild der *absolutistischen« Staats- und Gesellschaftsformen gezeichnet. Der traditionelle Begriff Absolutismus steht nurmehr auf schwachem Fundament (vgl. Nicholas Henshall, The Myth of Absolutistn: Change

den mußte. Die bildende Kunst als Medium der Propaganda hatte dazu ihren kongenialen Beitrag zu leisten. Gianlorenzo Bernini ( I 598-1680) war Urbans VIII. Hofkünstler, der vom Papst in höchstem Maße für diese Aufgabe in Anspruch genommen und monopolisiert wurde. Ihm allein gelang es auf der Ebene der Porträtbüste ein neues Herrscherbild des Papstes zu entwickeln, das mit dem alten brach und vollkommen neue Inhalte veranschaulichte.

Gustav Adolf war seit 1630 unaufhaltsam auf dem Vormarsch Richtung Süden. Am 7.April 1632 fiel Donauwörth, die wichtigste katholische Festung in Bayern, in seine Hände. Die Wucht des schwedischen Vorstoßes veranlagte Papst UrbanVIII. sogar, eine Invasion der Protestan- ten auf der italienischen Halbinsel zu befürch-ten.l Die militärischen Erfolge der Schweden, von der französischen Rückendeckung begün-

fängen bis zur Gegenwart, München 1999, 50f.). Er bleibt, wenn er auch der Realität nicht mehr allzu nahe kommt, für die Kennzeichnung eines Ideals des 17.Jahrhunderts gültig, dessen sich der Herrscher und seine Hofkunst stets bediente. So hat auch in der neueren Absolutismusforschung xim Grunde immer die Vorstellung mitgespielt, daß Absolutismus in ,Reinkultur< mehr fürstliches Programm, theoretisches

und Continuity in Earl]) Modern European M o n a ~ c h ~ ~ Konzept von Juristen und Philosophen und allenfalls London 1992. Heinz Duchhardt, Absolutismus - Ab-schied von einem Epochenbegriff?, in: Historische Zeitschrift, 25 8, 1994, I I 3-122. Ernst Hinrichs, Ab- schied vom Absolutismus? Eine Antwort auf N. Hen-shall, in: Der Absolutismus - ein Mythos?, hg. von R. Asch und H . Duchhardt, Köln 1996, 353-371. Wolf-gang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine ver- gleichende Verfasst~ngsgeschichte Europas von den An-

Ministern war als Verfassungsrealität.~~ (Hinrichs, s.o., 361). Der Begriff »Absolutismus. wird in der Kunst- geschichte weiter seine Gültigkeit behalten, da die Kunstproduktion der strittigen Epoche nicht die Rea- lität, sondern Ideale reflektierte.

z Auguste Leman, Urbain VIII . et la rivalite de la Fran- ce et de La maison d'ilutriche de 1631 a 1631, Lillel Paris 1920, 184- 194.

stigt, versetzten die übrigen katholischen Mächte in größte Not und brachten den Kaiser und den spanischen König näher zusammen, deren katho- lische Liga vor dem Abschlug stand.3 Natur- gemäß suchten sie die Unterstützung Roms. Ihr Druck auf den Papst vergrößerte sich Anfang 1632 von Tag zu Tag. UrbanVIII. dagegen ent- schuldigte Frankreichs Bündnis mit Schweden als Verteidigungsmaßnahme Ludwigs XIII. gegen das Haus Habsburg, wenn er auch offiziell nicht umhin konnte, den französischen Pakt mit den Protestanten zu beklagen und davon abzuraten.4 Seine offensichtliche Parteilichkeit gegen die In- teressen der Katholiken und seine kategorische Zurückweisung jeglicher Subsidiengesuche des Kaisers waren UrbansVIII. Versuch, die wach- sende Hegemonie Habsburgs in Italien zu schwächen.^ Er handelte offensichtlich im Sinne der entkonfessionalisierten Staatsraison, mit der er den Kirchenstaat als Territorialstaat - und nicht den katholischen Glauben - retten wollte. Diese Haltung brachte eine gefährliche Gruppe von Kardinälen aus den verschiedenen Partei-ungen des Kollegiums gegen ihn auf.6 Ihr Wort- führer war der spanische Kardinal Gaspare Bor- gia. Von seinem König Philipp IV. wurde er im Einvernehmen mit dem Kaiser instruiert, den Papst zu einer entschiedenen Parteinahme für die anstehende spanisch-österreichische Liga und gegen Frankreich und seine Unterstützung der Häretiker zu drängen, um die schwedische Ge- fahr abzuwenden. Alle derartigen Versuche wa-

3 Leman (wie Anm. z), 84. 4 Heinrich Lutz, Ragione di Stato und christliche

Staatsethik im 16.Jahrhundert, in: Vereinsschriften der Gesellschaft zur Herausgabe des Corps Catholicorum, 19, Münster 1961,474.

5 Zu den konvergierenden Interessen Roms und Frank- reichs vgl. grundlegend Lutz (wie Anm. 4), hier beson- ders 473 f.

6 Georg Lutz, Rom und Europa während des Pontifi- kats Urban VIII, in: R o m in der Neuzeit, hg. von R. Elze, H . Schmidinger, H . Schulte-Nordholt, Wien/ Rom 1976, 83.

7 Ludwig Freiherr von Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 13, XIII, Freiburg i.Br. '959,434.

8 Zu den Vorwürfen G. Borgias vgl. Leman (wie

ren erfolglos.: Unter diesen Umständen hielt man in ~ a d r i d die Stunde der offenen Konfron- tation für gekommen. Im Konsistorium vom 8. März 1632, einen Monat vor dem Fall von Donauwörth, ergriff Kardinal Borgia gegenüber dem Papst unerlaubt das Wort und verlas, unter Mißachtung aller An~tandsre~e lnein Schrift-stück, in dem Urban VIII. unter schwersten Vor- würfen für die Erfolge der Schweden verant-wortlich gemacht wurde.8 Borgias Protest löste im Konsistorium heftige, tumultartige Auseinan- dersetzungen unter den Kardinälen aus, die das Eingreifen der Palastwache erforderten.9 Der Vorfall brachte UrbanVIII. in große Verlegen- heit, da sich Borgia einer breiten Unterstützung durch die ~~anienfreundliche Fraktion im Kar- dinalskollegium sicher sein konnte. Es war be- reits von einem Konzil zur Absetzung des Papstes und einem neuen Schisma die Rede.'" UrbanVIII., seines Lebens in Rom nicht mehr sicher," suchte Schutz in Castel Gandolfo."

Aus seinem sicheren »Exil« beauftragte der Barberinipapst den in Rom gefeierten Gianloren- zo Bernini mit einem Marmorporträt von sich und - das ist besonders erstaunlich - von Kar- dinal Scipione Borghese, zu dem der Papst kein besonders gutes Verhältnis hatte.Ij Beide Porträts (Abb. I , 2 ) entstanden im selben Krisenjahr 1632," und während sich die Marmorbüste des Kardinals noch heute wegen ihrer ungeheuer- lichen Expressivität und Lebensnähe höchster Berühmtheit erfreut, führt die Papstbüste im Ge-

Anm. 2), 133ff.; Pastor (wie Anm. 7), 436f.; Zdenko Solle: Neue Gesichtspunkte zum Galilei-Prozess, mit neuen Akten aus böhmischen Archiven, in: Osterrei-chische Akademie der Wissenschaften, philosophisch- historische Klasse, Sitzungsberichte Bd. 361, Wien 1980, 26.

9 Leman (wie Anm. z), I 33- 137. 1oKardina1 Ludovisi war für ein Konzil und die Ent-

thronung des Papstes eingetreten. Vgl. hierzu Mario Biagioli, Galilei der Höfling. Entdeckungen und Eti- kette: Vom Aufstieg der neuen Wissenschaft, aus dem Italienischen übers. von Michael Bischoff, Frankfurt am Main 1999, 357; Solle (wie Anm. 8), 26; Pastor (wie Ami. 7), 45.

I I Ferdinand Gregorovius, Urban VIII. i m Widerspruch zu Spanzen und dem Kaisel: Eine Episode des Dreissig-

I. Gianlorenzo Bernini, Urban VIII., Rom, Galleria Nazionale d'Arte Antica,

Palazzo Barberini

T

gensatz d a z u eher e in Schattendasein. Dieses D e - 2. Gianlorenzo Bernini, Scipione Borghese,

fizit is t U. a. a u c h d u r c h d ie kunsthis tor ische For- Rom, Galleria Borghese

schung bedingt, d i e bislang nicht e rkannt hat, daß Berninis Papst- und Kardinalsbüste aus d e m Jahre 1632 thematisch zusammengehören, s ich s tändl ich werden. Sie s ind genaugenommen als ergänzen und n u r i n i h r e m Wechselverhältnis zu- »Doppelpor t rä t« z u verstehen. D a s heißt nicht, s a m m e n mit d e n politischen Hin te rgründen ver- d a ß beide Werke für einen gemeinsamen Präsen-

jährigen Kriegs, Stuttgart 1879, 48f. Bereits vor dem Borgiaprotest war die Reputation Urbans VIII. sehr angeschlagen. Fulvio Testi berichtet nach Mantua vom allgemeinen Hass und den Todeshoffnungen gegen den Papst (I. I. 1632): »Si terminarono i ragionamenti con qualche onesta mormorazione del Papa; e conobbi che neanche questi principi sono i piii sodisfatti del mondo. Ci augurammo scambievolmente una sedia vacante, per la bizzarria che regnerebbe nel conclave in queste congiunture, e'l signor Conte Fabbio me ne diede qualche speranza, assicurandomi che Sua Beati- tudine k ridotta a malissimo termine di saniti.« (Testi gegenüber Francesco I. #Este; vgl. Fulvio Testi: Lette- re, hg. von M . L. Doglio, I, Bari 1967,33 I).

12 Gregorovius (wie Anm. I I), 61 f.; Solle (wie Anm. 8), 27. 13Uber den Papst als Auftraggeber für die Scipione-

Borghesebüste informiert eine Depesche an den esten- sischen Hof vom 8. Juni I 63 3: »I1 Cavaliere Bernino di commissione del Papa ha fatto in marmo la testa del Cardinal Borghese che le ha dato in ricompensa 500

zecchini et un diamante di I 50 Scudi.« Vgl. Anna Co- liva, Scipione Borghese, in: Bernini scultore. La nascita del barocco in Casa Borghese, Ausst.-Kat., hg. von Anna Coliva und Sebastian Schütze (Rom, Villa Bor- ghese I 5. >.-zo.9.98), Rom 1998, 279.

14Vollständi~e Bibliographie zu Berninis Büste von Ur- ban VIII. zuletzt bei Sebastian Schütze, Urban VIII, in: Bernini scultore (wie Anm. 13), 240-25 I. Oreste Ferrari und Serenita Papaldo: Le sculture del Seicento a Roma, Rom 1999. Zu Berninis Büste von Scipione Borghese zuletzt in Coliva (wie Anm. 13), 276ff., Fer- rari (S.O.), 465.

1 3. Tiburzio Vergelli, Ehrenstatue Sixtus' V.,

Camerino (Marken), Marktplatz

tationsort bestimmt waren. Im Gegenteil: Wäh- rend die Papstbüste als Prototyp für viele Re- pliken diente und wahrscheinlich im Palazzo Barberini (Rom) untergebracht wurde, war die Büste des Kardinals für den dargestellten Scipio- ne Borghese selbst bestimmt, der sie schließlich in seiner Villa auf dem Pincio (Rom) aufstellte, wo sie heute noch zu bewundern ist. Dennoch: Beide Büsten entstammen einem Auftrag und ihr Ruhm strahlte zudem weit über die Palastmau-

ern hinaus und erfüllte die Bürger der ewigen Stadt mit Staunen und Bewunderung, was sich 1633 in Lelio Guidiccionis Schreiben nieder- schlug, in dem er Berninis Genie anhand der bei- den Büsten, bzw. des »Doppelporträts«, erläuter- te. Dieser Zeitgenosse und Bewunderer Berninis verfaßte damit eine einmalige Quelle der Kunst- kritik, die über die Kunsttheorie hinaus vor al- lem auch für die inhaltliche Porträtdeutung eines Zeitzeugen bürgt.15 Auf Guidiccionis öffent- lichen Brief wird im folgenden immer wieder zu- rückzukommen sein.

Die Büste UrbansVIII. (Abb. I) ist leicht überlebensgroß - ebenso wie ihr Pendant, die Scipionebüste (Abb. 2) - und von einer außerge- wöhnlich detailfreudigen und kristallinen Stein- behandlung, die einen Höhepunkt in Berninis Porträtkunst darstellt. Der Papst ist schlicht und sachlich abgebildet, denn an dem Marmorwerk ist kein Prunk und kein Zierrat, kein Schmuck, noch nicht einmal eine Tiara als Papstkrone, die den Dargestellten scheinbar auszeichnen würde und wie man das von den päpstlichen Ehren- Statuen gewohnt ist (Abb. 3). Vielmehr trägt Ur- banVIII. über den Schultern die schlichte Moz- zetta, ein Schultermäntelchen, und den Kopf hält er mit dem Camauro bedeckt.

Lelio Guidiccioni war in seiner lobenden Beschreibung der Büste vor allem von der Sug- gestivkraft des seelischen Ausdrucks der Papst- büste fasziniert: »So sieht man das Porträt nach- denklich, aber lebendig, milde, aber in Erhaben- heit, geistreich, aber voller Schwere, heiter, aber ehrfürchtig.«16 Im Vergleich mit der Kardinals- büste Scipione Borgheses war Guidiccioni der Unterschied zwischen der Lebendigkeit des Kar- dinals und der erhabenen Stille des Papstes auf- gefallen. In der Tat schuf Bernini ein in-sich- ruhendes »Symmetrieporträt« des Papstes. Alles

I 5 Das Schreiben in Form eines Briefes an Bernini wurde alcuni gentilhuomini particolari et il mercato: appunti erstmals publiziert von Cesare D'Onofrio, Roma vista su Lelio Guidiccioni e Francesco Angeloni, in: Poussin da Roma, Rom 1967, 381-388. Zu biographischen et Rome, Atti del convegno a Roma 1994, hg. von 0. Angaben über Lelio Guidiccioni, ebd. 377f.; Lelio Bonfait, C. L. Frommel, M. Hochmann, S. Schütze, Guidiccioni, Latin Poems (Rom 1633 und 1639), kom- Paris 1996, 241-245. Zum öffentlichen Charakter sei- mentiert und hg. von J. K. und F. S. Newman, Hildes- nes Briefes vgl. D'Onofrio (S.O.), 380. heim 1992, 3-106. Luigi Spezzaferro, Le collezioni di 16 »( ...) Cosi si vede quel ritratto pensoso con allegria,

an der Büste ist in eine statische Achsensymme- trie gebracht. Das Gesicht wird von einer domi- nanten Mittelachse, die von der senkrechten Falte des Camauro über den Nasenrücken und den akkurat gescheitelten Bart reicht, in zwei gleiche Hälften geteilt. Am Oberkörper bildet der Hermelinsaum der Mozzetta die festigende Mitte für das Betrachterauge. Allein Ur- bans VIII. verhaltene Kopfwendung nach links erzeugt an der Büste Bewegung und erfüllt die Symmetrie mit Leben. Die Haltung des Ober- körpers ist aufrecht und stolz, doch läßt sich der Gesichtsausdruck nur schwer einordnen. Von der Ferne erscheint er erhaben, ruhig und streng; bei näherer Betrachtung schlägt die Stille der Züge in eine Melancholie17 um, die aber auch Resignation, stilles Mißtrauen, gesellschaftliche Distanz oder strenge Nachdenklichkeit bedeuten kann. Dem Porträt haftet eine ideale und unfaß- bare Mehrdeutigkeit an, die sich auch in Guidic- cionis antithetischer Beschreibung von »nach- denklich, aber lebendig«, »milde, aber in Er- habenheit« und den Begriffen von Schwere und Heiterkeit niederschlug. Doch noch sind nicht alle symbolischen Informationsträger an der schlichten Büste erkannt und verstanden. Denn was eingangs bei der Beschreibung beiläufig als Mozzetta und Camauro erwähnt wurde, stellt eine höfische Gewandung des Pontifex Maximus dar, die unzweifelhaft einer Insignie gleich- kommt und ihren Träger nicht nur eindeutig kennzeichnet, sondern darüber hinaus in der Marmorbüste brisante politische Themen an- spricht, deren Auswirkung am Anfang dieses Ar- tikels geschildert wurde.

Dieser, im folgenden zu erläuternde, politische und soziologische Hintergrund gewinnt an der Büste durch ihre typologische Erstmaligkeit zu- sätzlich an Bedeutung. Denn zuvor war der

4. Guglielmo della Porta, Paul III., Neapel, Museo e Gallerie Nazionali d i Capodimonte

Typus der Papstbüste von der Gegenreformation bestimmt, ging er doch auf die berühmte Büste Pauls 111. Farnese von Guglielmo della Porta (ca. 1545) zurück (Abb.4). Dort trägt der Papst statt der Mozzetta das liturgische Pluviale und das Haupt ist unbedeckt. Bis zu Bernini wurde dieser sogenannte Humilitastypus ausnahmslos beibehalten,18 der auf die rhetorische Beschei- denheit des Dargestellten anspielt, dessen Bar- häuptigkeit im liturgischen und profanen Alltag

dolce con maesta, spirituoso con gravita; ride et e die, so Schütze, dem Papst zur persönlichen Tragödie venerando.~ (Brief des Lelio Guidiccioni an Bernini entglitten sei. Zu den wahren Umständen der Galilei- den 4. Juni 1633; BAV, Barb. Lat. 2958, fol. 202-207, krise und dem von wenig Freundschaftlichkeit gepräg- hier fol. 203" und 204'). ten Patronageverhältnis zwischen Papst und Gelehr-

17 Allein als Ausdruck der Melancholie interpretierte tem vgl. grundlegend Biagioli (wie Anm. 10). Schütze (wie Anm. 14, 248f.) zuletzt die Papstbüste 18 Zur Herleitung des Humilitastypus und zu seiner Ein- und brachte sie mit der Galileiaffare in Verbindung, ordnung in eine erstmals vollständige Typologie der

T. Gianlorenzo Bernini, Paul V., Rom, Galleria Borghese

6. Gianlorenzo Bernini, Gregor XV., Toronto, Art Gallery of Ontario

des Papstes, aui3er während des Gebetes, un- den Humilitastypus. Selbst seine erste Büste Ur- denkbar war.I9 Bernini selbst wuchs in diese bansVIII. (Rom, S.Giovanni in Fonte), die im gegenreformatorische Tradition hinein. Mit sei- ersten Pontifikatsjahr des Barberinipapstes 1623 nen ersten Papstporträts von Paul V. (Abb. 5 ) entstanden sein dürfte (Abb. 7), zeigt den Papst und Gregor XV. (Abb. 6) rekurrierte er noch auf ohne Kopfbedeckung bzw. mit dem Pluviale

Papstbüste von ihren Anfängen bis zu Bernini vgl. die Dissertation von Philipp Zitzlsperger, Die Papst- und Herrscherporträts des Gianlorenzo Bernini. Im Druck.

19 Daß der Papst den Kopf stets bedeckt zu halten hatte, läßt sich anhand der Diarien der Zeremonienmeister mit jeder detaillierten Beschreibung des Zeremoniells nachweisen. Geschlossen verfügbar sind die Diarien aus allen Jahrhunderten der frühen Neuzeit im Archi- vio dell'ufficio delle Celebrazioni Liturgiche del Som- mo Pontefice (Citti del Vaticano). Allgemein verwei- sen auf die stete Kopfbedeckung des Pastes: Girolamo Lunadoro, Rekztione della corte di Roma e de'riti da ossemiarsi in essa e de'suoi Magistrati, & offitij, con La loro distinta giurisdittione, Venedig 1774, 73; Filippo

Buonanni, La gerarchia ecclesiastica considerata nelle vesti saue e civili usate da quelli, Li quali La compongo- no, Rom 1720, 366f.; Gaetano Moroni, Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica, VI, Venedig I 840, 308- 3 I I. Bereits Montaigne erklärte in seinem Tagebuch die permanente Kopfbedeckung im Alltag des Papstes: »Der Gesandte saß links von ihm [dem Papst] mit ent- blößtem Haupt; kein Gesandter hat darin Vorrecht, während der Papst selbst niemals, vor wem es auch sei, sein Käppchen abnimmt.« (zitiert nach Michel de Montaigne, Tagebuch einer Badereise. Aus dem Fran- zösischen von Otto Flake. Stuttgart 1963, 170).

io»Queste e molte piu cose mi danno da dire due sole sculture, tirate giu con prestezza, doppo sei o sette

7. Gianlorenzo Bernini, Urban VIII., Rom, S. Lorenzo in Fonte

über den Schultern, wie es seit Paul 111. üblich war. Danach ist von Bernini über einen Zeitraum von fast zehn Jahren keine Papstbüste erhalten. Es spricht zudem einiges dafür, daß er in dieser Zeit auch keine schuf, denn Guidiccioni schreibt

anni, che non se l'era veduto toccare scarpello, per le sue varie et vaste applicationi alle opere di s. Pietro; quando molti dicevano, ch'ella per il disuso della scul- tura saria calata; et non sapevano, che in questo mede- simo tempo, V. S. per sua hurnilti, dandosi i credere di non essere per quello che 6, non ha mai traslasciato n6 giorno n6 notte 10 studio del disegno, sempre ha modellato, spesso ha colorito, et s'k voluta assoluta- rnente impadronire di quelle arti, il cui studio et amore s'era affatto impadronito di lei (...).«(Brief des Lelio Guidiccioni an Bernini den 4. Juni 1633; BAV, Barb. Lat. 2918, fol. 202-207, hier fol. 206").

21 Von der Urbanbüste aus S. Lorenzo in Fonte sind kei- ne Bronzerepliken bekannt, deshalb aber nicht aus-

in seiner Laudatio, daß vor 1632 seit »sechs oder sieben Jahren« keine Porträts mehr aus der Hand Berninis entstanden seien.z0 vermutlich reichte zunächst die erste Büste Urbans VIII. im Humi- litastypus als Prototyp aus, der für die Verviel- faltigung in Bronze diente." Doch im Krisenjahr 1632 war der Humilitastypus zum Anachronis- mus geworden. Die neuen Rahmenbedingungen forderten einen neuen Inhalt im Papstporträt und nur so ist es zu erklären, daß UrbanVIII. erstmals im skulpturalen Porträt mit Mozzetta und Camauro auftritt.

Bislang wurde die Kombination von Schulter- mantel und Camauro, die erst nach dem großen Schisma als Papstkleidung eingeführt worden war, als päpstliche Privatkleidung verstanden. Für die Interpretation von Berninis Papstbüsten war die Äußerung Muiioz' (1917) ZU einer Por- trätbüste Urbans VIII. bis heute prägend: Er ver- stand das Werk als intim-familiäres Postulat Ber- ninis, denn der Papst sei nicht in »die prunkvol- len Pontifikalgewänder gekleidet, mit dem de- korierten Pluviale«, sondern trage nur »die ein- fache Mozzetta, die auch Kardinäle kleidet, von denen der Papst lediglich durch den Camauro unterschieden wird. Hier erscheint uns nicht der große majestätische UrbanVIII; es ist Maffeo Barberini im Intimen, der sich gerade von der Tafel erhoben haben mag - an der auch Bernini sitzen durfte - um vor dem Bildhauer zu posie- ren; der Papst als Poet nämlich ließ diese Fami- liarität unter den Künstlern gerne zu (...)«" Die assoziierte Wohnzimmeratmosphäre, die bezüg- lich der Berniniporträts des Camaurotypus bis

geschlossen. Denn es waren bereits unter Paul V. und Gregor XV. mehrere Bronzerepliken nach Berninis Marmororiginal angefertigt worden, die heute noch erhalten sind: Zu den Bronzebüsten Pauls V. vgl. Ru- dolf Wittkower, Bernini. Lo scultore del Barocco ro- mano, aus dem Englischen übers. V. Savino D'Amico, Mailand 1990, 233; Charles Avery, Bernini - Genius of the Baroque, London 1997, 37; Daniel Dombrowski, Giuliano Finelli. Bildhauer zwischen Neapel und Rom, Diss. Phil., Frankfurt arn Main 1997, rof.; Coliva (wie Anm. 13), 107; Ferrari (wie Anm. 14), 2)Sf. Zu jenen Gregors Xv vgl. Wittkower (S.O.), 236; Maurizio Fa- giolo dell'Arco, Bernini - Una introduzione al gran teatro del barocco, Rom 1967, Scheda 18; Dombrow-

heute kolportiert wird,'j entspringt einer Fehl- einschätzung der Bedeutung päpstlicher Klei-dung. Der Papst trug, wie übrigens die Kardinäle auch, die Mozzetta auf dem Rochett, einem weißen, knielangen Hemd aus plissiertem Lei-nen, das bereits seit dem I 5 . Jahrhundert das Zei- chen geistlicher Gerichtsbarkeit war und von den Mitgliedern der Sacra Rota, dem römischen Ge- richtshof, getragen wurde.'+ Zusammen mit dem richterlichen Rochett erhielten Mozzetta und Camauro eine konkrete symbolische Bedeutung und funktionierten als Insignien. Davon unter- richtet uns insbesondere die im 18.Jahrhundert kurz aufkommende Zeremonialwissenschaft, die sich nicht nur mit der Form, sondern auch mit den Inhalten des höfischen Zeremoniells der Frühneuzeit beschäftigte.'$ Dabei wird die päpst- liche Amtstracht ausdrücklich signum iurisdictio- nis genannt.16 Als Zeichen der Gesetzgebungs- und Rechtssprechungsgewalt übernahmen Ro-chett, Mozzetta und Camauro die Aufgabe der päpstlichen Amtskleidung, die auf die Gerechtig- keit des Souveräns des Kirchenstaates alludierte. Die Gewandsymbolik ist in diesem Falle alles andere als privat. Sie ist vielmehr hochoffiziell

ski (S.O.), 21 f. Schütze (wie Anm. 14), 326; Ferrari (wie Anm. 14), 488.

2 2 Antonio Muiioz, Alcune opere sconosciute del Berni- ni, in: L'Arte, 20, 1917, 186f.

23 Wittkower (wie Anm. 21, 242f.) trennt zwischen offi- zieller Büste mit Tiara und der privaten mit Camauro. In diesem Sinne zuletzt Schütze (wie Anm. 14), 246.

24Zur Einführung des Rochetts in der Sacra Rota vgl. Domenico Stefano Bernini, I1 tribunale della S. Rota romana, Rom I 717, 3 5.

zy Vgl. zur Zeren~onialgeyhichte und ihrer Wissenschaft den grundlegenden Uberblick bei Reinhard (wie Anrn. I), 91-96. Zur Bedeutung der Zeremonialwis- senschaften des 18. Jahrhunderts vgl. die Dissertation von Milos Vec, Zeremonialwissenscl~aft i m Fiirsten- staat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation, Diss. Phil., Frankfurt am Main 1998, die erstmals tiefgehende For~chun~sergebnissezum Zeremoniell und seinen Nachwirkungen liefert.

26 Lae te rum curn Rocchetturn assumptum fuerit in sig- num Iurisdictionis, eo semper, & ubique utitur, gestat- que Romanus Pontifex omnino discooperto sub moz- zetto, curn Iurisdictionem habeat in universo Munda.. (Giovanni Marangoni: Chronologin Romanorum Pon-

und zeichnet die Porträtbüste als Staatsporträt aus. Ohnehin kannte die höfische Gesellschaft der Frühneuzeit die moderne Unterscheidung von Privat- und Berufsleben nicht. Der gesell- schaftliche Verkehr am Hofe war geprägt von der Notwendigkeit sozialer Selbstbehauptung in je- der Situation des Hofalltags. Die *öffentliche. bzw. »berufliche. Seite war zu keiner Stunde ausgeklammert.'7 Das galt für den römischen wie für alle europäischen Höfe. Abgesehen von dem vermeintlich »privaten« Alltag trug der Papst Mozzetta und Camauro auch, und das macht die Kleidungsstücke so bedeutend, zu den meisten seiner außerliturgischen Amtshandlungen. Dazu gehörten vor allem das geheime Konsis tor i~m'~ und die audienza privata.'9 Auch mit der au-dienza privata ist keine »familiäre« Zusammen- kunft gemeint. Die Privataudienz war und ist noch heute das Pendant zur öffentlichen Au- dienz und unterschied sich von letzterer durch die Zahl der Teilnehmer. »Privat* meint in die- sem Fall nunter Ausschluß der Offentlichkeit«. Ihr repräsentativer Audienzcharakter blieb aber vollkommen erhalten, wenn die Minister des Kirchenstaates wöchentlich vorsprachen, Her-

tificum superstes in pariete australi basilicae Sancti Pauli Apostoli viae Ostiensis, Rom 175 I , 92). Vgl. auch Bonanni (wie Anm. 19), 367: »..., poiche il Sommo Pontefice solamente usa sempre la Mozzetta sopra il Rocchetto, e cib in segno di Giurisdizione, . . . Li Ves- covi I'usano [Mozzetta] anche, ..., sopra il Rocchetto senza il Mantelletto nelle Chiese delli titoli loro, nelle Congregazioni, che si tengono nelli proprii Palazzi, e nella Sede vacante, poiche allora 6 segno di Giuris- .. .

dizione.- - - - . . .«- - - .

z7Vgl. hierzu immer noch grundlegend Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Sozio- logie des Königtums und der höfischen Aristokratie, DarmstadtINeuwied, 8, 1997, 83f. Zur strukturellen Verwandtschaft des Hofes von Versailles und Rom vgl. Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. ~~Verflechtung(<als Konzept zur Erforschung histo-rischer Fuhrungsgruppen. Römische Oligarchie u m 1600,München 1979, 53.

zS Zur Definition des Konsistoriums vgl. Pietro Palazzi (17.Jh.), I1 rnaestro di carnera, Bd. 2, 334.

zqZur Audienzbekleidung des Papstes vgl. die Diarien der Zeremonienmeister des I 7. Jahrhunderts (Archivio dell'ufficio delle Celebrazioni Liturgiche del Sommo Pontefice [Citti del Vaticano], vol. A 43off. [ab 16051).

zöge, Könige und Kaiser ihre Reverenz erwie- sen.3: Die Privataudienz war prestigeträchtiges Privileg für besondere Besucher und Politik auf höchster Ebene. In diesem Zusammenhang er-hielt die außerliturgische Papstgarderobe zudem die signifikante Bezeichnung abito d'udienza.il

Zu öffentlichen Anlässen, wie der audienza pubblica oder jedweder außerliturgischer Fort- bewegung im Freien erschien der Papst ebenfalls in der Mozzetta über dem Rochett und mit dem Camauro, legte aber zusätzlich die Stola um den Hals. Selbst zu hochfeierlichen Zeremonien, wie dem Possesso, der Prozession von St. Peter zum Lateran, kleidete sich der neu gewählte Papst seit Clemens VII. ( I 5-23- I 5 34) mit dem Camauro und der Mozzetta über dem Rochett, die den juristischen Akt der Inbesitznahme des Laterans nach der Papstwahl sinnfällig machten und der judikativen Machtdemonstration des Papsttums Vorschub leisteten.j2 Gleichermaßen wurde der Leichnam des Papstes in denselben außerlitur- gischen Gewändern aufgebahrt, erst für die Be- stattung kleidete man ihn 1iturgisch.jj

Tiara und Pluviale waren nicht das alleinige Machtsymbol, für das sie bis heute landläufig

joGaetano Moroni, Dizionario di erudizione storico- ecclesiastica. LXXXII, I 85 7, 3 8. Zur Zeremonie der Kardinalsernennung im Rahmen einer Papstaudienz vgl. Francesco Sestini, I1 maestro di camera. Trattato di Francesco Sestini da Bibbena. Con l'aggionta dell' Habito Cardinalitio, di Michel Lonigo da Este, Rom ( I .Auflage 1621) 1653, 5 f. Lunadoro (wie Anm. ~ g ) , 166f. Vgl. auch Vasaris Bild ~ L e o n e crea 31 nuovi car- dinalie (Florenz, Pal. Vecchio, Sala di Leone X) mit exemplifizierter Amtskleidung im Camaurotypus des Papstes zu diesem Anlaß.

31 Bonanni (wie Anm. I g), 3 66. 32Die Quellen zum Possesso der Frühneuzeit sind publi-

ziert bei Johannes Babtista Gattico, Acta selecta cae-remonlalia sanctae romanae ecclesiae ex variis Mss. Codicibus et diariis saeculi Xi? X V I . XVI I . aticta et illustrata, Rom 1753, j86ff. Vgl. auch Francesco Can- cellieri, Storia de'solenni possessi de'sornmi pontefici detti anticamente processi o processioni dopo la loro coronazione della Basilica Vaticana alla Lateranense, Rom I 802, 9211I I / I 191124 etc. und Gaetano Moroni, Le Cappelle Pontefice cardinalizie e prelatizie, Venedig 1841, 61. Für die Kleidung anläßlich des Possesso seit dem 17. Jahrhundert vgl. Girolamo Lunadoro, Rela-tione della corte di R o ~ n a e de'ritz da osservarsi in essa

gehalten werden. Rochett, Mozzetta und Ca-mauro wiesen den Papst als weltlichen Politiker mit der höchsten Jurisdiktionsgewalt aus. Sie waren gewissermaßen das konkrete Gewand der Tat, der praktischen Politik und Rechtsprechung, und lösten die liturgische Prunkrhetorik von Pluviale und Tiara ab. Daß Bernini dem signum iurisdictionis erstmals im skulpturalen Papstpor- trät zur Umsetztung verhalf,ji ist nicht zu unter- -schätzen, denn das Porträt verweist in kaum zu überbietender Unmittelbarkeit auf die Person und das von ihr getragene Amt. Der Amtsträger wird in seiner sozialen Stellung abgebildet, deren Wert zu verbessern bzw. zu konkretisieren UrbanVIII. allen Anlaß hatte. Und gerade in diesem Verweis auf die Gesetzgebungshoheit des Papstes war Berninis neuer Porträttypus in ho- hem Maße modern, denn die absolutistische Staatstheorie forderte nicht ohne Radikalität den absoluten Staatssouverän, der uneingeschränkt sein Territorium regieren solle. Die absolute-Gesetzgehungshoheit - das ist das besondere Prinzip aller Staatstheorien seit Jean Bodins Sou- veränitätslehre (158j), dem Grundstein des sog. Absolutismus - war der Inbegriff der Souverä-

e deiuol Magistratz, & offitij, con La loro distinta giu- risdittione, Venedig 1664, 2 I 8. Girolarno Lunadoro, Della elezione, coronazione e possesso de'romani Pon- tefici, Rom o. J., 100.

j j Z u r Aufbahrung des Papstes vgl. Gaetano Moroni, Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica, LXX, Venedig I 8 54, 78.

34 Das Porträt der Malerei hatte den Camaurotypus be- reits im I 5 . Jahrhundert entwickelt (2.B. das verlorene Porträt Eugens IV. von Jean Fouquet), die Papstpor- träts Raffaels brauchen nicht eigens erwähnt zu wer- den. Hier mu13 jedoch explizit darauf hingewiesen werden, daß die verschiedenen Kunstgattungen ge-trennt zu betrachten sind. Die unterschiedliche - und in beiden Fällen sehr stringente - typologische Ent- wicklung der Papstporträts in der Malerei und Skulp- tur ist ein klarer Hinweis auf Funktions- und Rezep- tionsunterschiede der beiden Gattungen. Die oben skizzierte Ikonographie des Camaurotypus bleibt da- bei aber unverändert. Zu einer vorläufigen Deutung des Phänomens und besonders der Papstporträts Raf- faels vgl. Zitzlsperger (wie Anm. 18).

nität.35 Mit diesem neuen Ideal eines Monarchen I r wollte man den Herrscher von seinem Status

eines Gesetz-Verwalters befreien, dessen Rechts- setzung bislang von der Zustimmung der ande- ren Stände abhing9 Der Herrscher mutierte zur Inkarnation des Rechts, er sollte in seiner gesetz- geberischen und rechtssprechenden Gewalt kei- ner Instanz außer Gott unterstellt sein. Damit wuchs freilich auch seine Verantwortung für die Gerechtigkeit. Kein geringerer als der Theo- retiker und ehemalige Jesuit Giovanni Botero er- klärte folgerichtig in seinem einflußreichen Werk Della ragione di Stato (1589) die Gerechtigkeit zum soliden Fundament für Frieden und Einig- keit im Lande37 und zur Primärtugend des Für- sten: »(. . .) denn wer dem Gewissen seine univer- sale Jurisdiktion über alle menschlichen Dinge, im öffentlichen wie im privaten Leben, entzieht, zeigt damit, dass er keine Seele hat und keinen Gott (...)C@ Die universale Jurisdiktion, wie Bo- tero die absolute Gesetzgebungshoheit des Sou- veräns nennt, erhält ihren moralischen Anker in der Tugend der Gerechtigkeit. Auf diese hinzu- weisen war die übergeordnete Aufgabe Berninis bei der Schaffung des neuen Typus einer Papst- büste, mit der sich Urban VIII., selbst promivier- ter Jurist, zum gerechten Juristen-Herrscher des Kirchenstaates stilisieren ließ.

Für die Darstellung des Kardinals Scipione Borghese bot sich Bernini in diesem Zusammen- hang eine beachtliche Schwierigkeit: Denn abge- sehen vom Papst trugen Bischöfe und Kardinäle in ihren Sitzen, wo auch sie weltliches und geist- liches Recht zu sprechen hatten, ebenfalls die

3 5 Reinhard (wie Anm. I), I 12. 36Uber die Bedeutung des Rechts und die Monopolisie-

rung der Gesetzgebungshoheit im Rahmen von Staa- tenbildung und Staatsraison vgl. grundlegend und konkret Michael Stolleis, Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffent- lichen Rechts, Frankfurt am Main 1990, hier 180.

37 "Hora il primo modo di far bene a'sudditi si e conser- vare, & assicurare ad ogn'uno il suo con la Giustitia. Ne1 che, senza dubbio consiste il fondamento della pace, e 10 stabilmento della concordia de'popo1i.u (Giovanni Botero, Della ragione di Stato, Venedig 1589,21).

8. Ambrogio Bonvicino, Befestigung von Ferrara, Rom, S. Maria Maggiore, Grabmal Pauls V.

Mozzetta auf dem Rochett.39 Lediglich durch ei- nen Hermelinsaum wurde die päpstliche Moz- zetta hervorgehoben, wie es auch Bernini in sei- nem »Doppelporträt« korrekt dargestellt hat. Doch wenn Kardinal und Papst räumlich zusam- mentrafen, war das Signum iurisdictionis des Kar- dinals durch einen subtilen Kleidungszusatz zu entschärfen, damit er sich dem Pontifex maximus unterordnete. Die einheitliche Bedeutung von

3 8 Lutz (wie Anm. 4), 41. 39 Vgl. Anm. 26. 4oDie mantelletta reichte bis zu den Knien, hatte keine

Arme1 - nur Schlupflöcher -, und war vorne offen; vgl. Buonanni (wie Anm. ~ g ) , 427, Abb. I 12. >De varie- tate et usu vestium<, 1605,6: »Dum ad Congregationes publicas, seu privatas, ad Cappellas, ad Consistoria, ad Ecclesias ubi est festum, ad Stationes, ad Pontificem & Palatium Apostolicum in curribus accedunt, debent esse induti subtana, & rochetto, ac mantelletto, & mozzetta coloris tempori convenientis.« Vgl. auch Sestini (wie Anm. jo), 10: »L'habito, che hoggi usano i Cardinali [in Rom], 2 Sottana, Rocchetto, e Mantellet-

der auf dem Rochett getragenen Mozzetta hätte zu delikaten Unterscheidungsproblemen der Amtswürden und ihrer Kompetenzbereiche ge- führt, wäre nicht eine Zusatzverordnung zur I Differenzierung von Papst und Kardinal bzw. Bischof erlassen worden: In der Gegenwart des Papstes und innerhalb des Erzbistums Rom hat- ten Kardinäle und Bischöfe das Rochett mit einem knielangen, vorne offenen Mantel, der sog. mantelletta zu verdecken, auf dem die Mozzetta ihre richterliche Konnotation verlor." Damit sollte dem Papst als Inhaber der höchsten Juris- diktionsgewalt die Symbolik von Rochett und Mozzetta allein vorbehalten bleiben.4I Ein Relief (I 61 3 - I 6 I 5) am Grabmal Pauls V. in S. Maria Maggiore (Rom)" stellt die bedeutende Sozial- differenzierung von Papst und Kardinal authen- tisch dar (Abb. 8): Der Kardinalnepot Scipione Borghese erscheint in Gegenwart des Papstes -/

r -

Pauls V. mit der mantelletta über dem Rochett, die von einem Windhauch vorne aufgeworfen, dadurch betont wird und das darunter liegende Rochett dem Betrachterauge freigibt. *J -

An Berninis Büsten war dieser Unterschied nicht darzustellen, denn der Ausschnitt der Por- 9. Gianlorenzo Bernini, Kardinal Alessandro

Damasceni-Peretti-Montalto, Hamburg, Kunsthalle träts endet unten mit der Mozzetta - Rochett bzw. mantelletta sind also nicht mehr zu sehen. Bis 1632 hatte sich die skulpturale Porträtkunst in dieser Hinsicht aus der Affäre gezogen, indem Kompetenz zurück und verlängerte zusätzlich sie den in Rom residierenden Kardinal entweder den Büstenausschnitt nach unten, über den Moz- in Mozzetta aber ohne Kopfbedeckung darstellte zettarand hinaus, um die Mantelletta über dem und somit dem Papst hierarchisch unterordnete Rochett anzuzeigen, wie es 2.B. noch an Giulia- (Abb.9); oder sie gab dem Kardinal die Kopf- no Finellis Büste von Scipione Borghese (1630) bedeckung, das Birett, und damit seine amtliche zu sehen ist (Abb. 10).43 Bernini dagegen behielt

ta, e Mozzetta, (. . .) quasi in tutte le attioni, e funtioni pub1iche.e Nur während der Sedisvakanz trugen die Kardinäle keine mantelletta in Rom. Vgl. Sestini (wie Anm.30), 15: »Vanno vestiti in ultimo di paonazzo tutto il tempo di Sede vacante, e sempre col Rocchetto scopert0.e

41 "S.R.E. Cardinales nunquam discoopertum, sine man- telletto, praesente Summo Pontefice, illud deferunt. Aperto tamen eo utuntur, cum Mozzetta in Ecclesiis Titularibus propriae Iurisdictionis, ac in pluribus aliis functionibus: Episcopi ver6 numquam in Urbe nisi cooperto cum Mantelletta; discooperto vero, sub Mozzetto, & in locis suae Iurisdictionis.« (Marangoni,

wie Anm. 26, 92). Vgl. auch Buonanni (wie Anm. 19), 367; Bernini (wie Anm. 24), 37f. Gaetano Moroni, Di- zionario di erudizione storico-ecclesiastica. XXXXVII, Venedig I 847, 30.

42Relief von Ambrogio Bonvicino, Cappella Paolina, S.Maria Maggiore, Rom. Vgl. hierzu zusammenfas- send mit Bibliographie Ferrari (wie Anm. 14), 25 I.

43 Das Porträt entstand 1630/31. Am 7. Juni 1632 quit- tierte Finelli den Empfang von 90 scudi für die vollen- dete Büste. Vgl. hierzu Dombrowski (wie Anm.z~) , 69 und 332.

10. Giuliano Finelli, Scipione Borghese, N e w York, Metropolitan Museum

die Kopfbedeckung des Kardinals bei (Abb. z), doch verkürzte er den unteren Ausschnitt der Büste wieder auf die Gröfie der Mozzetta. Da- durch hatte er die subtile Differenzierung der Kompetenzen von Papst und Kardinal im Erz-

44Über die Problematik von Ähnlichkeit und Idealisie- rung im Porträt vgl. die grundlegenden Publikationen von Luba Freedman, The Concept of Portraiture in Art Theory of the Cinquecento, in: Zeitschrift für Asthetik und allgemeine Kunstwissenschafi, 32, 1987, 63-82; Richard Brilliant, O n Portraits, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 16, 1971, 1 1-26; Edouard Pommier, Theories du portrait. De la Renaissance aux Lumii+res, Paris 1998. beson- ders 104-107; Hannah Baader, Rudolf Preimesberger und Nicola Suthor (Hg.), Porträt, in: Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kom- mentaren, Bd. 2, Berlin 1999, 17-21 und 282-285.

41 »Non dir6 la diversiti delle bellezze di queste due opere; et come in ambedue essend0 eccellentissima la maniera, et il naturale; nondimeno in quella Pontificia dove il naturale k piu uniforme, l'ha unito alla maniera che ? vaghissima, come i principale; et nell'altra, al na- turale ch'? pieno di tante investigationi recondite, ha unita la maniera come accessoria al suo principa1e.e (Brief des Lelio Guidiccioni an Bernini den +Juni 1633; BAV, Barb. Lat. 2958, fol. 202-207, hier fol. zoyV).

bistum Rom zunächst aufgehoben, um sie jedoch auf einer anderen Darstellungsebene erneut ein- zusetzen: Allein durch die Konzentration auf das psychologische Moment gelang es Bernini, das Papst- vom Kardinalsamt deutlich abzusetzen. Gerade auf diesem Gebiet setzte er sein ganzes Genie ein. Auf die einmalige Kontrastierung art- verwandter, aber doch so verschiedener Kirchen- ämter spielte Guidiccioni in seiner Laudatio an: Während er das Papstporträt für seine stupende Idealisierung lobte, feierte er die Büste Scipione Borgheses auf Grund ihrer grof3en Ahnlichkeit zum Urbild. Indem er die für das Porträt so problematischen Begriffe der Idealisierung und Ahnlichkeit polarisierte," gelang es Guidiccioni, Berninis Leistung mit Worten angemessen zu veranschaulichen: In der Papstbüste erkannte er die ebenmäfiige Natürlichkeit in harmonischem Gleichklang mit dem lieblichen Stil (maniera che i vaghissima); an der Büste Scipione Borgheses dagegen überwiege die Natürlichkeit, die den lieblichen Stil verdrängt." Mit anderen Worten: Während Urban VIII. idealisiert abgebildet ist, erscheint Scipione Borghese besonders natürlich, unidealisiert. Im Gegensatz zum hieratisch ver- klärten »Symmetrieporträt« des Papstes schäumt die Scipionebüste vor Vitalität und raumgreifen- der Präsenz. Ihre Natürlichkeit wird hervorgeru-

46 »Dubbio se egli somigli alla pietra, 6 la pietra ad esso; dubbio se quello sia marmo intenerito in lui, o egli im- pietrito in marmo. Marmo ch'k pietra di paragone del valor di V. S, de'i piu graditi aspetti di questo Signore, et dell'amore de'i suoi affettionati.« (Brief des Lelio Guidiccioni an Bernini, wie Anm. 41, hier fol. 2069.

47"Maravigliosa k quella effigie, di tanta bellezza, et si- miltudine; piu meraviglioso il modo con che s'k fatta, con faciliti con prestezza et senza veder l'esemplare, ne' giorni che Sua Santiti, da Vostra Signoria ritratta in Roma, era i Castello.« (Brief des Lelio Guidiccioni an Bernini, wie Anm. 41, hier fol. 2037.

48 Die Außerungen Guidiccionis konvergieren mit der Kunsttheorie zum Porträt der Frühneuzeit. Dabei bedeutete die Idealisierung im Porträt nicht nur die Vervollkommnung der Physiognomie, sondern viel- mehr die Vervollkommnung der Gesamterscheinung, zu der Frisur und Kleidung ebenso zu zählen waren. Lomazzo forderte die umfassende Form der Idealisie- rung explizit für das Herrscherporträt: Giovanni Paolo Lomazzo (Trattato dell'arte della Pittura, Scol- tura et Architettura. Milano 1184): »Ma con certa

fen durch die Lebendigkeit - eine Beobachtung, die Guidiccioni mit topischer Rhetorik versah: .Ich zweifle, ob er [Scipione Borghese] dem Por- trät gleicht, oder umgekehrt; ich zweifle, ob der Marmor in ihm weich geworden, oder er sich in Marmor versteinert hat. Der Marmor macht dem Kardinal in allen Werten Konkurrenz und die Zuneigung seiner Liebhaber streitig.*i6 Ahnlich- keit entstand im Porträt Berninis demzufolge nicht nur durch eine - heute nur schwer über- prüfbare - physiognomische Treue zum Modell, sondern insbesondere durch seine gleichzeitige Durchdringung mit pulsierendem Leben. Scipio- ne erscheint entsprechend in seinem Uberge-wicht, das die Haut um die Wangen und am Hals in faltige Polster verwandelt, die als geräumige Fettschollen schroff aufeinanderstoßen und von Bernini mit besonderer Akribie an der Ober- flächenstruktur veranschaulicht wurden. Zudem sitzt das Barett auffällig aus der Mittelachse gerückt und der schräge Verlauf seines Front- Steges setzt sich in einer Bogenform über den Nasenrücken bis zum Kinnbart hin fort. Die gewollte Asymmetrie der Gesichtshälften, deren gegensätzliche Spannungen sich im ansetzenden Sprechen entladen wollen, steigert die Lebendig- keit zur ephemeren Unmittelbarkeit. Sie bildet den entscheidenden und betonten Kontrast zur

discretezza, per levar la brutezza de l'abito, accio che sempre il ritratto resti bello. Per la qua1 cagione gl'an- tichi imperatori volsero nelle statove e figure essere rapresentati cosi armati. (. ..) Secondariamente I'impe- ratore, sopra tutto, si come ogni re e principe, vuol maeti et aver un aria a tanto grado conforme, si che spiri nobiliti e gravita; ancora che naturalmente non fosse t a l e . ~ (zitiert bei Paola Barocchi, Snzrti d'arte del Cinquecento, Bd. 3, MailandINeapel 1977, 2740 1.). Vgl. auch Marianna Jenkins, The Stute Portrait, New York 19471 44.

49Der Begriff des Staatsporträts wird seit Jenkins (wie Anm.48) einheitlich auf das Porträt des Herrschers angewendet. In jüngerer Zeit wurde er zusätzlich auf die Darstellung eines Souveräns beschränkt, der mit den Symbolen seiner Macht bzw. seines Staates abge- bildet ist (Friedrich Polleross, Des abwesenden Prin- zen Porträt. Zeremonielldarstellung im Bildnis und Bildnisgebrauch im Zeremoniell, in: Zeremoniell als höfische Asthetik in Spätmittelalter und früher Neu- zeit, hg. von J. J. Berns und Th. Rahn, Tübingen 1995, 382-409, hier 394). In Verbindung mit dem Papstpor-

Papstbüste. Guidiccioni preist in seinem Brief die treffliche Ähnlichkeit der Scipionebüste, nicht jene Urbans VIII. Für die Papstbüste fiel die obligatorische Wertschätzung der Ähnlichkeit vergleichsweise sparsam aus. Zwar erwähnte er die Gleichheit von Büste und Papst bewußt, jedoch nur mit einem einzigen Wort. Einschränkend fügte er hinzu, es sei viel erstaun- licher, daß dieses Porträt in der Abwesenheit des Papstes entstanden ist.47 Die Ahnlichkeit belebt allein die Kardinalsbüste, die fürstliche Idealisierung dagegen ist dem Papstporträt vor-behalten.4"

Berninis Papst- und Kardinalsbüste von 1632 bilden ein nDoppelporträt*, dessen sinnstiftende Ikonographie erst im Kontext der Gewänder-kunde erfahrbar wird. Der eindeutig repräsenta- tive Charakter der Gewänder hat vom liturgi-schen auf einen profanen Kontext gewechselt und weist die Büsten, entgegen bisheriger Inter- pretationen, als Staatsporträts aus.49 Sie sind po- litische Außerungen der Kunst und allud'leren nicht auf das Persönlichkeitsprofil, sondern das ~Berufsprof i l~der Dargestellten: Die Papstbüste repräsentiert den absolutistischen, strengen und gerechten Herrscher des Kirchenstaates, während der Kardinal durch seine joviale Lebendigkeit die Prunkrepräsentanz des Kirchenstaates über-

trät jedoch wird der Begriff nicht eingesetzt. Dies hat seine Ursache in dem disparaten Verständnis vom Papstporträt und seinen verschiedenen Typen. Die Ehrenstatue, also jenes Papstporträt, das den Pontifex als Ganzfigur thronend abbildet, erhielt die Bezeich- nung »Repräsentationsfigur<< (Monika Butzek, Die kommunalen Repräsentationsstatuen der Papste des 16.Jahrhunderts in Bologna, Perugia und Rom, Bad Honnef 1978). Die Papstbüste wird bis heute dagegen in zwei Kategorien unterschieden. Während im aus- gehenden Mittelalter und im 16.Jahrhundert die Papstbüste repräsentativ ausfalle, so der Konsens in der Forschung, schwenke das Papstbild in Büstenform zur Zeit Berninis in das Privatporträt um. Hierzu sind grundsätzlich und als Reflexion des Forschungstands zum Thema Papstporträt in der Skulptur die Kataloge der jüngsten Berniniau~stellun~en in Rom zu konsul- tieren (vgl. Schütze, wie Anm. 14, und: Gianlorenzo Bernini. Regista del Barocco. Ausst.-Kat. hg. von M. G. Bernardini und M. Fagiolo dell'Arco [Rom. Palaz- zo Venezia 21.5.-16.9.19991, Rom 1999, 326-333).

nimmt, die der Papst bereits in der Zeit der Gegenreformation dringend aufzugeben ge-zwungen war.j0 Der Herrscher und sein Höfling - das ist Berninis Botschaft auf höchster politi- scher Ebene. Eine Botschaft, die freilich auch an den Kardinal Scipione Borghese gerichtet war: denn der sollte mit dem Porträt von der Hand des gefeierten Bernini bestochen werden.

In der Krise von 1632 war UrbanVIII. nicht nur auf die Loyalität seiner Kardinalkreaturen angewiesen, sondern auch auf Kardinäle, die zwischen den Fronten, also zwischen dem Papst und der protestierenden Borgia-Fraktion stan-den. Dazu gehörte Kardinal Scipione Borghese. Als ehemaliger Kardinalnepot Pauls V. Borghese ( I60)-162 I ) war er Haupt jener Kardinalsfrak- tion, die diesem Papst ihre Berufung ins Heilige Kollegium zu verdanken gehabt hatte. Bereits 1623, bei der Wahl Urbans VIII., hatte Scipione Borghese eine eher ablehnende Haltung gegen- über Maffeo Barberini eingenommen und zuerst andere Favoriten unterstützt." Nun, 1632, war das gesamte Kollegium in zwei Lager gespalten, die aus der Fraktion der habsburgfreundlichen (papstfeindlichen) und jener der frankophilen (papstfreundlichen) Kardinäle bestanden. Die um Scipione versammelte Partei der borghesi~ni,die zu diesem entscheidenden Zeitpunkt noch 16 Mitglieder zählte,5' war von der Spaltung beson-

joVgl. hierzu grundlegend Volker Reinhardt, Der päpst- liche Hof um 1600, in: Europäische Hofkultur i m 16. und 17.Jahrhundert, 3 Bde. Hamburg 1981, 709- 716, hier 710.

5 I Pastor (wie Anm. 7), 240. 52Zu den Sterbedaten der Kardinäle im Pontifikat Ur-

bansVII1. vgl. Alphonsus Ciaconius, Vitae et res gestae Pontf icum Romanorum et S.R. E. Cardinalium. .4b initio nascentis Ecclesiae usque ad Clementurn IX. PO.M., 4 Bde., Rom 1677, IV, Sp.637f. Danach lebten im Jahre 1632 aus der Partei der Borghesiani noch: Scipione Borghese, Pietro Maria Borghese, Marcello Lante, Pietro Paolo Crescenzi, Carolo Medici, Aloisio Capponi, Felix Centini, Agostino Galamina, Giulio Savelli, Pietro Campori, Tiberio Muti, Giulio Roma, Francesco Cennini, Guido Bentivoglio, Desiderio Sca- glia, Roberto Ubaldini, Gaspare Borgia.

5 3 Vgl. Leman (wie Anm. 2), I r g t und 129. 54 Innerhalb der Partei der Borghesiani wurde die kaiser-

liche Liga unterstützt von den Kardinälen Scipione

ders betroffen. Allen voran Gaspare Borgia führ- te die spanisch-kaiserliche Fraktion an, zu der weitere b~r~hes ian i sche Kardinäle wie Ubaldini, Bentivoglio, Scaglia, Lante, Crescenzi und Savelli zählten.rj Selbst Scipione Borghese sympathisier- te mit den Borgia-Anhängern.1, Dies geht aus einem Brief hervor, den er am g.Februar 1632 an den spanischen König geschrieben hatte. Darin betont Scipione, seiner Pflicht nachgekommen zu sein, die Forderungen des Königs vor dem Papst standhaft zu vertreten.51 In seiner bedräng- ten Situation nach dem 8.März 1632 mußte Ur- banVIII. ein gesteigertes Interesse an Scipione Borghese gehabt haben, dessen Einflug auf die Borghesiani nicht zu unterschätzen war. Hoff-nung auf Zusammenarbeit bereitete dem Papst vermutlich Scipiones Zurückhaltung in der Kri- se. Dessen Eintreten für die spanisch-habsbur- gische Sache war nicht von dem Eifer eines Gas- pare Borgia getragen. Letzterer soll nämlich dar- über geklagt haben, daß sich die meisten seiner italienischen Anhänger aus dem Kollegium wäh- rend des entscheidenden Protestes zurück-gehalten haben.'6 Die mangelnde Entschlossen- heit der italienischen Kardinäle veranlagte den Papst, um sie zu werben. In diesem Ringen um Rückenstärkung nahm Scipione als Leiter der Borghese-Fraktion eine Schlüsselstellung ein, die Urban VIII. erkannte und auszunützen suchte.

Borghese, Marcello Lante, Pietro P. Crescenzi, Giulio Savelli, Guido Bentivoglio, Desiderio Scaglia, Roberto Ubaldini, Gaspare Borgia. Auf der Seite Frankreichs und des Papstes standen dagegen Carolo Medici, Aloi- sio Capponi, Felix Centini, Agostino Galamina, Pietro Campori, Tiberio Muti, Giulio Roma, Francesco Cen- nini (vgl. hierzu Anm. 2 ) .

j~ .Ne1 meglior modo che ho potuto, ho procurato de servire V. M. nel rappresentar al S. Sti. quanto ella si e degnata di commandarmi e di corrispondere alla infi- nite mie obligationi.« (Archivo General de Simancas, 2996, 69), zitiert bei Leman (wie Anm. z), 129.

56Den Angaben Borgias zufolge waren seine engsten Anhänger die Kardinäle Libaldini, Scaglia, Sandovai, Spinola, Albornoz und Aldobrandini (Borgia gegenü- ber dem spanischen König in einem Schreiben vom 10.3.1632; vgl. Leman, wie Anm. z, 136). Zu Borgias Enttäuschung über die italienischen Kollegen vgl. Gregorovius (wie Anm. r I) , 47.

Seit 1624, ein Jahr nachdem UrbanVIII. den Papstthron bestiegen hatte, war kein Kardinals- porträt mehr aus der Hand des jungen Meisters entstanden,!' dessen Berühmtheit ihm bereits den Ruf einbrachte, ein zweiter Michelangelo zu sein. Bernini war von den Großmächten Europas umworben, doch sein Schirmherr, Papst Ur-ban VIII., bewachte das Auftragsbuch seines Künstlers eifersüchtig.'* Um so bestechender muß die Scipionebüste auf den Borghesekardinal gewirkt haben, als der Papst das Werk nicht nur zur Ausführung genehmigte, vielmehr selbst in Auftrag gab; die Folge war, daß der Kardinal schließlich bis zu seinem baldigen Tod (2.10.1633) dem Papst treu blieb. Im politischen Alltagsgeschäft Urbans VIII. nahm Bernini of- fensichtlich den Stellenwert eines Statussymbols ein, mit dessen Werken die Staatspolitik emp-

57Es existieren fünf in ihrer Datierung umstrittene Büsten Berninis, von denen allein zwei hypothetisch in die Jahre 16r6lr7 datiert werden: Kardinal Pietro Valier und Kardinal Khlesl. Zu Kardinal Valier vgl. zuletzt Susanna Zanuso: Artikel zu den Büsten der Kardinäle Giovanni Dolfin, Agostino und Pietro Valier, in: Gianlorenzo Bernini Regista del Barocco (wie Anm. 49), 3 I 9-32 I , hier 3 2 I . Zu Kardinal Khlesl zuletzt Dombrowski (wie Anm. r I ) , 3II,und Zanuso (S.O.), 320. Ihre späte Datierung ist aus oben genann- ten Gründen kaum zu halten und ihr Stil ließe sich ohne weiteres auch um 1623/24 erklären.

findlich beeinflußt werden konnte. Berninis Kunst war eingebettet in eine politische Not- wendigkeit. Ihr eindeutig diplomatischer Wert hob seine Werke weit über die bloße Sinnenfreu- de empor. Sie waren mehr als die intellektuelle Leistungsschau von Künstler und Auftraggeber. Sie waren auch, und das wird bis heute gerne unterschätzt, ein Politikum von größter Brisanz: Mit Berninis ~Doppelporträt* bot sich für den Papst einerseits die Geste demonstrativer Wert- schätzung gegenüber Scipione Borghese, um ihn im innerkurialen Machtkampf als einen entschei- denden Bundesgenossen zu loyalem Verhalten zu verpflichten, andererseits schuf gerade die ~ S t r a - t e g i e ~ des Doppelporträts die Möglichkeit zur publikumswirksamen Stilisierung päpstlich-herr- scherlicher Allmachtsansprüche.

58Als Bernini z.B. 1636 an der Büste für den englischen Edelmann Thomas Baker arbeitete, erfuhr Urban VIII. davon und ließ dem Meister das unerwünschte Frem- dengagement strikt verbieten. Hierzu Avery (wie A n r n . ~ ~ ) , mit Bibliographie228-231; ausführlicher Desmond Shawe-Taylor, Bust of Thomas Baker (1606- 1658), in: Effegies und Ecstasies. Roman B ~ Y o - que Sculpture und Design in the Age of Bernini, Ausst.-Kat., hg. von A. Weston-Lewis (Edinburgh, National Gallery of Scotland 25. 5.-ro.g.98), Edin-burgh 1998,75.

Abbildungsnachweis: 1-10 Archiv des Verfassers.

ZEITSCHRIFT~ Ü RKU~STGESCHICHTE64.Band / roor