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Fremdsprachen 1.pdf

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  • ffimwmrydspffi&&rywm

    #rffim mXXw K&mdwr

    Christoph Jaffke I Magda Maier

    Knfahrungen der Wa ldorfsehu ler:mit dern Fruhbeginrr

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  • Christoph Jaffke / Magda Maier

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    Knfehruxnsn der wa xcorfsch u lenrxlt demr Fruhbeginn

    Ernst Klett GrundschulverlagLei pzig Stuttgart Dusseldorf

  • Fremdsprachen fiir alle KinderErfahrungen der Waldorfschulen mit dem Fruhbeginn

    Christoph JaffkeMagda Maier

    Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitshaufnahme

    Jaffke, Christoph:Fremdsprachen fiir alle Kinder : Erfahrungen der Waldorfschulen mitdem Friihbeginn / Christoph Jaffke/Magda Maier. - Leipzig; Stuttgart; Diisseldorf : Klett-Grundschulverl., 1997

    ISBN 3-12-586410-0 brosch.

    Gedruckt auf Papier auschlorfrei gebleichtem Zellstoff

    ,

    sau refrei.

    O Ernst Klett Grundschulverlag GmbH, Leipzig 1997 .Alle Rechte vorbehalten.

    Repro: a bis z - Publishing, LeipzigDruck: Stuttgafier Druckerei GmbH, Stuttgart-Vaihingen

    ISBN 3-12-586410-0

  • Vorwort

    Die vorliegende Darstellung ist das Ergebnis eines Dialogs. Deshalb wird der Leser zu denverschiedenen Aspekten jeweils unteischiedliche AnsiJten und Gesichtspunkte finden.Ursprtinglich handelte es sich um eine Arbeit, in der die aktuelle wisrenr.narttiche Diskus-sion zum Thema Fremdsprachenunterricht im'Primarschulbereich darzustellen war.Diese ganz auf die Bedtirfnisse der Unterrichtspraxis zugeschnittene Fassung wurde durchdie freundliche Genehmigung des Deutscnen ituaien verLgs weinheim ermciglicht.Die unterrichtsbeispiele sind bewusst nu. uu, dem Engliichen, der in Eu.opa im primar_bereich am weitesten verbreiteten Zweitsprache, genommen. Sie lassen sich -

    fiir das Fran-zcisische und Russische -

    ohne weiteres aus den Materiarr";;h;;;, und Darstellungenergdnzen, die inzwischen aus der Arbeit der wardorfschulen h.;;;;;;"gen sind.rDaswort Lehrer wircl im vorliegenden Zusammenhang wie u"riiu"r*endet. Es bedeu-tet hier: der unterrichtencle und eiziehende Mensch.Detaillierte Quellenangaben und Literaturhinweise erscheinen hier entbehrlich. AmAnfang jedes Kapitels finden sich verweis" urr oi" entsprechend"n st"ll"n der urspriing-lichen Arbeit., Diese ist 1996 in zweiter Auflag" ".sciri"n"n.Unser Dank gilt Herrn Prof. Reinhold FreudJnstein, Marburg, der als erster die Anregungzu dieser Kurzfassung gab' Die jiingste Entwicklung in verschiJd"n.n

    "u.opurchen Liinderrrverleiht der vorliegenden verciffentli.hung eine erhcihte Aktualitat: So haben z.B. in Oster_reich inzwischen alle Schiirer von der d.itt"n Grundschurkrurr" un Jn" Fremdsprache. InNorwegen soll im Herbst 199'7 d.er Englischunterricht frir alle Kinder bereits im erstenGrundschuljahr beginnen.

    stuttgart, imMarz 1997 c.J. / M.M.

    C.Jaflkered.rl992 poi,met,.Chanr.t..Jtu.;,.et Comprirtespn.urlesqrldtrt prcmi(re.r./rrr".lEdi,"encooperarionAl::ff"i":Ti;'n'lZ};1:t*-sstele beim eunl i.. Fi.i.n wuia-r,Jr'ur.', s-i",,#rHr4q r'ocrpa',,"', o.",luifJ"?{,:lff6:J;Xi:Xl*r:Xfrrr.f,::T;r#il::l:J":rli.?irr.:"J,'eAarofr4qecKr4x r{ccJreroBaHrrr.r npr.r Corc:i ea,rr,gopec

  • Inhalt

    Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts der Primarstufe seit 1 91 9

    Begriindung und Ziele

    Grundlagen des Fremdsprachenunterrichts in der PrimarstufeEntwicklungspsychologische Gesichtspunkte

    Das 6.17. LebensjahrDas 9./10. Lebensjahr

    Bewegung -

    Nachahmung -

    SpracheSprache und BewegungNachahmung und motorisches MitvollziehenErstsprachenerwerb und natiirlicher Zweitsprachenerwerb als Modelledes Fremdsprachenunterrichts der Primarstufe 24

    Die Praxis des Fremdsprachenunterrichts in der Primarstufe der Waldorfschule . . . . . . 21Piidagogischer Rahmen: Unterrichtsorganisation und Fticherkanon . . 21Lehrerbi1dung..... 29Methodisch-didaktischeGesichtspunkte.. '. ' " " " 31

    Zur Direkten Methode 3lDer Bewegungsaspekt 32Chorisches und dialogisches Element 34Poetische Komponenten und Alltagssprache 36Ubergang zum Schreiben und Lesen 40Grammatik 45SozialformendesUnterrichts.... 50

    Unterrichtsmaterial . 55Erziihlen

    - die sprachbildende Arbeit des Lehrers 16

    Die musikalische Komponente. . . 18Stundenaufbau und Schuljahresplanung 19Progression und Lernziele

    - Leistungsbeurteilung

    - Zeugnisse 83

    BeispieleausderUnterrichtspraxis .. ....... 86

    Erfahrungen mit dem friihen Fremdsprachenunterricht der Waldorfschulen:Moglichkeiten und Grenzen des Transfers . . . 99

    Literaturverzeichnis 106Allgemeine Literatur 106Literatur aus dem Bereich der Waldorfpiidagogik I01

    Anhang: Reproduktionen aus Schiilerheften (4. Klasse) ll0

    10

    131515l819t92T

  • Nur das, was den Menschen in der Gemeinkraft der Menschennatur, d.h. als Herz, Geist undHand ergreift, nur das ist ftir ihn wirklich, wahrhaft und naturgemliB bildend.

    Johann Heinrich Pestalozzi Schwanengesang 1826

    Das ist eine Wahrheit, die der Erziehende und Unterrichtende ganz besonders ins Auge fas-sen muss: Er muss darauf sehen, dass der ganze Mensch ergriffen wird.

    Rudolf Steiner E r zie hun g s kuns t - M etho di s ch - D idaktis che s 19 19

    Der Mensch ist ... ein Ganzes und muss als ein Ganzes behandelt werden

    Rudolf Steiner Die gesunde Entwicklung des Leiblich-physischen alsGrundlage der freien Entfultung des Seelisch-Geistigen 1922

    Das Kind bringt uns ... noch bis zum neunten, zehnten Jahre geniigend phantasievolle Imita-tionsfiihigkeit in die Schule herein, so dass wir den Unterricht in der Sprache in der Art len-ken konnen, dass die Sprache von dem ganzen Menschen aufgenommen wird, nicht etwabloB von den seelisch-geistigen Kr?iften.

    Rudolf Steiner G e g e nw cirt i g e s G e i s t e s I e b e n und E rzi e hun g 1923

    Wenn wir uns jemals ein wirklich ganzheitliches Bild des Weges machen wollen, auf demKinder eine Zweitsprache erwerben, dann miissen wir uns mindestens ansatzweise von deriiberkommenen Konzentration auf die sprachlichen Formen trennen, die wir bisher fraglosals giiltig ansahen; ja, wir miissen sogar die Grenzen der Analyse nach kommunikativen undpragmatischen Gesichtspunkten iiberschreiten.

    M. Saville-Troike Cultural Input in Second Language Learning l9B5

  • Entwicklung des Fremdsprachenunterrichtsder Primarstufe seit 1919

    Angesichts der sich heute weltweit immer stzirker ausbreitenden nationalistischen Tenden-zen erscheint eine Au8erung Rudolf Steiners gerade im piidagogischen Kontext merk-wiirdig aktuell: In unserer Zeit ll922l miisse ,,gegeniiber allem Trennenden zwischenMenschen und Vcilkern das Verbindende bewusst gepflegt werden". Es gehore zu dennotwendigsten Aufgaben der Gegenwart, dass gegeniiber dem Zug der Vdlker nach Son-derung aufgrund der Sprachen ein solcher nach gegenseitigem Verstehen geschaffenwerde.'

    Dieser Impuls wurde sogleich nach Ende des Ersten Weltkrieges deutlich. Bei einem derersten Gesprd.che iiber die Mdglichkeit der Einrichtung einer Schule fiir die Kinder derArbei-ter der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik hatte Steiner im April 19 1 9 die groBe Bedeutung des,,Aufnehmens des ... fremdsprachlichen Unterrichts von der untersten Schulstufe an" betont.Es komme darauf an, dass die Kinder, ehe iiberhaupt daran zu denken sei, dass sie ein fiemd-sprachiges Buch in die Hand bekdmen, ,,rein aus der Nachahmung und in voller Entfaltungihrer kindlichen Sprachkraft in die andere Sprache hineinwachsen" und dass dies in einemAlter geschehe, wo sie noch plastisch bildsame Organe fiir die andersartige Sprache hatten.Damit nannte Steiner also bereits 1919 einen der Hauptgriinde fiir den frthen Fremdspra-chenbeginn, der bis in unsere Zeit immer wieder von den Befiirwortern herangezogen wird.

    Das wurde sotort in die Praxis umgesetzt: Die Waldorfschule begann im September l9l9in Stuttgart mit etwa 250 Schiilern in acht Klassen. Sie war in der Anfangszeit nur als Volks-schule genehmigt. Ab der ersten Klasse hatten aile Schiiler jeweils drei Stunden Englisch undFranzosisch pro Woche.

    In einem Vortrag, den Rudolf Steiner in den zwanziger Jahren in England hielt, bezeich-nete er es als das ,,Besondere der Waldorfschule ..., dass wir sogleich beginnen, wenn dasKind in die Schule hereinkommt, also im sechsten, siebten Lebens.iahre, mit dem Unterrichtin zwei fremden Sprachen ..."

    Von Seiten der piidagogischen Fachwelt in Deutschland wurde der friihe Fremdsprachen-unterricht in der Waldorfpiidagogik in den zwanziger Jahren iiberwiegend positiv beurteilt.F. Karsen nennt zu seiner Begriindung u.a. ,,die noch bis etwa zum neunten Lebensjahr vor-handenen starken Nachahmungskriifte" und verweist darauf, dass ,,Kinder, die in ein frem-des Land versetzt werden, sehr leicht diese Sprache lernen und in ihr leben, wie es ebensoder Fall ist, dass die Primitiven infolge der noch vorhandenen groBeren Beweglichkeit ihrerseelischen Organisation ein lebendigeres Verhiiltnis zu den inneren Triebkrdften der Sprachehaben als wir heutigen Menschen."

    Daraus ergebe sich, dass der Unterricht das seelische Erleben mit den Klzingen und demGeist der fremden Sprache verbinden miisse. ,,Die Laute werden von dem kiinstlerisch emp-findenden Lehrer in ihrem Ursinn erf'asst und so den Kindern tibermittelt." Dazu dienevor allem die der urspriinglichen Bewegung entsprechende Korperbewegung, die Sprachedes rhythmisch bewegten Menschen, die Eurythmie. Diese neue Bewegungskunst sei nichtWiedergabe subjektiver Empfindungen. Sie sei innerlich notwendige Gestaltung der eigent-

    Quellenangaben und Literaturhinweise zu diesem Kapitel finden sich bei C. Jaffke 1996, S. 5fT

  • lichen Bildkraft des Lautes. ,,Jedes Wort ist verdichtete Bewegung. Eurythmie ist Erschei-nenlassen dieser urspriinglichen Bewegungen in ihrer Gesetzlichkeit."

    Das fiel auch den offiziellen Besuchern auf: Schulrat Friedrich Harllieb, der die StuttgarterWaldorfschul e 1922 zu prtifen hatte, behandelte in seinem Bericht die in der Tat umwdlzendeNeuerung des Fremdsprachenunterichts ftir alle Kinder im Volksschulalter als einen derersten Punkte: ,,Die Freie Waldorfschule will mit dem Vorurteil brechen, als wdre die Kennt-nis fremder Sprachen lediglich ein Vorrecht fiir Kinder besserer StAnde, aber unerhbrl fiir Pro-letarierkinder. Darum unterrichtet die Waldorfschule seimtliche Kinder von der Unterstufe anin zwei Fremdsprachen. Sie will damit denZeit- und Weltverhailtnissen Rechnung tragen."

    Auch im Bericht des ndchsten Schulrates, der die Freie Waldorfschule Stuttgart 1925besuchte, spielt der Fremdsprachenunterricht eine groBe Rolle. Der Verfasser geht sehr ein-fiihlsam auf die giinstigeren Voraussetzungen beim Friihbeginn ein und scheint sich dieHauptargumente der Waldorfpiidagogik zu Eigen gemacht zu haben:

    Die Nachahmungskrdfte, die das Kind bis zumZahnwechsel seelisch-geistig gebil-clet haben, verebben nur langsam; sie sind in den ersten Schuljahren noch wirksamgenug, um zu ermriglichen, dass die Fremdsprachen fast mit der gleichen Feinheitund Leichtigkeit in der Lautnachbildung angeeignet werden, wie friiher die Mutter-sprache. Die enge leibliche Verbindung, in die das Kind zum Lautlichen durch dieEurythmie kommt, ist dabei eine wesentliche Unterstiitzung.

    Das rhythmische Arbeiten, Sprechen, Spielen und Singen werde der Entwicklungsstufe desKincles entsprechend in den ersten Schuljahren bevorzugt, alles Abstrakte dagegen, wie z.B.Grammatik, noch weggelassen. Auf diese Weise konnten von Anfang an auch alle intellek-tuell mittel- und schwachbegabten Kinder innerhalb der Klasse mit Gewinn am Unterrichtteilnehmen und sich in die Fremdsprache einleben. Die Waldorfschule schalte selbst solcheKinder niemals aus, die in der eigentlichen Erlernung der Sprache keine Fortschritte mach-ten, weil sie von der innerlich bildenden Kraft dieses Unterrichts iiberzeugt sei.

    Im Englischunterricht erlebte der Besucher bei der Eintiihrung in die Fremdsprache,dass

    - unter Verwendung alter Kinderreime und Lieder - vom eigenen Kcirper des Kindes

    ausgegangen wurde. weiter gab es ,,praktische ubungen im Zdhlen, in der Benennung derWochentage, in der Angabe der Uhrzeit usw. ... Die Lehrerin unterrichtet sehr lebendig undf'asslich; der erzielte Erfolg war gut; die Kinder waren voll Lernfreudigkeit."'

    Bei einer Hospitation im Franzosischunterricht der zweiten Klasse war der Besucher.,erfreut iiber die praktische Art der Unterweisung, die sich immer verband mit einem ent-sprechenden Tun der Kinder, so dass diese die Fremdsprache erlernen auf dem Wege immerneuen Erlebens."

    Ein weiterer offizieller Besucher, der 1921 von der Oberschulbehorde Hamburg zu einerBesichtigung der Stuttgarter Waldorfschule kam, ging in seinem Bericht iiber den Fachun-tericht ebenfalls als erstes auf die Fremdsprachen ein. Er befand vom Englischunterricht ineiner zweiten Klasse: Dieser ,,konnte wohl fiir einen solchen friihen lSprach-]Unter:richt ein-nehmen. Es war ein Vergniigen, den Eif'er der Jungen und Mddels zu beobachten, die sich mitLust und Freude bemiihten, den kleinen englischen Erzdhlungen, Miirchen und Gedichtencler frischen, lebendigen Lehrerin zu folgen und in der Unterhaltung dariiber ihre kleinenschwzibischen Zungen zu meistern."

    Vg1. dazu die Unterrichtsprotokolle aus der heutigen Unterrichtspraxis am Schluss der vorliegenden Darstellung

  • In den zwanziger Jahren, als das Schulwesen in Deutschland noch streng stdndisch inVolks-, Mittel- und Hrihere Schule gegliedert war, musste eine Schule wie die Freie Wal-dorfschule, als Einheitliche Votks- und Hi)here Schule konzipiert, ohne jede duBere Differen-zierung, ohne Auslese und Sonderung der Schtiler nach der gesellschaftlichen Stellung ihrerEltern, nach der intellektuellen Begabung, dem Geschlecht oder der Religion im damaligengesellschaftlichen Umfeld geradezu als revolutiondr erscheinen. Bei der feierlichen Ertiff-nung der ersten Waldorfschule sagte Emil Molt, der Inhaber der Waldorf-Astoria Zigaretten-fabrik, der Gedanke zur Griindung der Schule ,,wurde geboren aus der Einsicht in die Not-wendigkeit unserer heutigen Zeit.Es war mir einfach Bediirfnis, die erste sogenannte Ein-heitsschule ins Leben zu rufen und dadurch einem sozialen Bediirfnis abzuhelfen, so dassktinftig nicht nur der Sohn und die Tochter des Begiiterten' sondem auch die Kinder der ein-fachen Arbeiter in die Lage versetzt werden, diejenige Bildung sich anzueignen, die heutenotwendig ist zum Aufstieg zu einer htiheren Kultur'"

    Spiiter, bei der uberpriifung der waldorfschulen durch das Reichserziehungsministerium,sollten andere Gesichtspunkte gewichtiger erscheinen. Nahm man zundchst nur AnstoB ander gemeinsamen Erziehung von Jungen und Miidchen, so wurde die Kdtik von Jahr zu Jahrschdrfer. In einem Bericht des Nationalsozialistischen Lehrerbundes hieB es 1931, dieBrzie-hungsweise der Waldorfschule Stuttgart miisse ,,auch heute noch als international bezeichnet*".d"n. Vdllig abgekapselt steht die Waldorfschule dem pulsierenden Leben der Volksge-meinschaft gegeniiber. "

    Der Vorwurf, durch die Piidagogik Rudolf Steiners werde zu Pazifismus und Internationa-lismus erzogen,beruhte nicht zuletzt auf der Tatsache, dass die Waldorfschule eine Schulesei, ,,die durch die ganze Grundschule Englisch und Franzdsisch treibt." ,,Die Kinder sollenzu paneuropdern und Weltrepublikanern und fiir den internationalen Oberstaat erzogen wer-den.,, lauteie das nach Ansicht des zustdndigen Schulrates vernichtende Gesamturteil iiberdie Waldorfschule Hannover. In einem anderen offiziellen Gutachten - mit dem Titel RudolfSteiner und die Philosophie

    -

    klingt derselbe Tenor nochmals auf, wenn es heiBt, ,,die Ziel-setzung des piidagogischen Tuns der Waldorfschulen" sei ,,eine menschheitliche, nicht einerassisch-vcilkische." Die SchlieBung der Waldorfschulen durch die nationalsozialistischenMachthaber im Jahre 1938 war eine konsequente Folge dieser Beurteilung.

    Bei der Wiederer6ffnung (ab Oktober 1945) begann die groBe Mehrheit der deutschenWaldorfschulen wieder mit den Fremdsprachen Englisch und Franzcjsisch. Seit Anfang dersechziger Jahre wird in einer stetig wachsenden Anzahl von Schulen Russisch unterrichtet.Eine Umfrage im Mai 1992 ergab, dass damals an 62,8Vo der deutschen Waldorfschulen inden Klassen 1 bis 4 ausschliefilich Englisch und Franzcisisch als Fremdsprachen untenichtetwurden, an28,57o der Schulen Englisch und Russisch. Insgesamt zw

  • Jiingere Kinder verfiigen iiber eine enorme Nachahmungsfiihigkeit, die im fiinftenSchuljahr liingst nicht mehr so ausgepriigt ist wie zuvor. Darum sefzen auch diev/aldorfschulen Englisch und Franzcisisch gleichzeitig ab Klasse 1 auf den Stunden-plan. Schulanfiinger sind noch am ehesten in der Lage, ein Gespiir fiir das Anders-afiige, fiir das Fremde zu empfinden und es zur Normalitiit werden zu lassen. wereinmal dieAuffiihrung eines Mzirchens in englischer oder franzdsischer Sprache mitSiebenjiihrigen an einer waldorfschule erlebt hat, der wird zugeben miissen, dass esauf dieser Altersstufe noch am ehesten mdglich ist, Kinder fiir fremde sprachen zubegeistern. (Reinhold Freudenstein)

  • Begriindung und Ziele

    In mancher Hinsicht kdnnen wir davon ausgehen, dass fremdsprachlicher UntelTicht allge-

    mein, nicht nur in Bezug auf das volk, dessen Sprache erlernt wird, dazu beitragen soll, vor-

    urteile zu beseitigen und die Beziehungen zwischen Volkern und Menschen verschiedener

    Muttersprache auf der tsasis des Verstehens und Achtens anderer Lebensformen zu verbes-

    sern. Die lang andauernde Begegnung mit einer Fremdsprache ist fiir alle Kindet - nicht nur

    fiir eine intellektuelle Auslese - bedeutsam, denn

  • senden Generation das gemacht werden, was die bestehende Organisation aus ihrmachen will.

    Auf diesem Hintergrund erscheint es einleuchtend, dass Steiner -

    anders als bei den vonihm genannten pragmatischen Griinden fiir die Wahl bestimmter Fremdsprachengrundszitzlich fiir die Einftihrung von Fremdsprashen als Schulfdcher in der Primarstufepiidagogische Gesichtspunkte in den Vordergrund stellt: Nicht nur der duBere Gesichtskreissoll erweitert, sondern die Reichhaltigkeit des inneren Lebens, des Seelenlebens, soll durchdiesen Sprachunterricht gefcirdert werden. ,,Das Kind soll in der fiemden Sprache die Gegen-sttinde in seiner Umgebung neu kennenlernen." Es kommt darauf an, den Kindern ,,eine reinmenschliche, nicht eine spezialisiert menschliche, volksmtiBige Bildung" zu geben. DerMensch wird universeller, wenn er andere Sprachen lernt. Diese Sichtweise steht in deut-lichem Zusammenhang mit Humboldts Idee, in jeder Sprache liege eine ,,eigentiimlicheWeltansicht":

    Mehrere Sprachen sind nicht ebenso viele Bezeichnungen einer Sache, es sind ver-schiedene Ansichten derselben.In die Bildung und in den Gebrauch der Sprache geht ... notwendig die ganze Art dersubjektiven Wahrnehmung der Gegenstrinde iiber. Denn das Wort entsteht eben ausdieser Wahrnehmung, ist nicht ein Abdruck des Gegenstandes an sich, sondern desvon diesem in der Seele erzeugten Bildes.Die Eriernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines neuenStandpunktes in der bisherigen Weltansicht sein und ist es in der Tat bis auf einengewissen Grad, da jede Sprache das ganze Gewebe der Begriffe und die Vorstel-lungsweise eines Teils der Menschheit entheilt.

    Auch heutige Didaktiker weisen darauf hin, dass ein Kind nur wenn es sich eine Fremdspra-che aneigne, erlebnismdBig erfassen konne, dass die Welt in verschiedenen Kulturen und ver-schiedenen Sprachgemeinschaften unterschiedlich strukturiert und unterschiedlich begriffenwird. Die Idee, dass verschiedene Volker verschiedene WeltabbiLderhaben, erfasst das Kindvom Gefiihl her, wenn es Fremdsprachen zu lernen beginnt. Allerdings eignet sich hier nurein Lernprozess, der Sprache als Teil einer Beschreibung der entsprechenden Kultur, als Mit-tei dieser Kultur begreift:

    Gerade das scheint mir fiir den frtihen Fremdsprachenunterricht besonders wichtigzu sein. Wir bauen in dieser Sprachstunde ein neues Weltbild auf ... Wir unterrich-ten keinesfalls die Sprache als formales System

    - wir unterrichten eigentlich die

    Bedeutungen, die das Weltbild einer neuen Kultur konstituieren ." Unter demNamen von Sprac'he unterrichten wir

    - Kultur! Gewiss in einem hohen Sinne

    dieses Wortes: Und das ist fiir die Erziehung von Kindern im Sinne von Frieden undVersteindigung extrem wichtig. Sprachenlernen soll von Anfang an Erdffnung einerneuen Welt sein, nicht nur Aneignung eines neuen kommunikativen Werkzeugs(A. A. Leont'ev).

    Der erste fremdsprachiiche Unter:richt ist also Eingangspforte zu einem lebenslangen Fremd-sprachenlernen, indem er mehr als bisher die Freude am Sprachenlernen weokt [und] ... dasInteresse der Schi,iler auf die Wechselbeziehungen zwischen Sprachen und Kulturen" lenkt.(K. Schroder)

    N

    l1

  • Andere Didaktiker betonen das piidagogische Moment stiirker, wenn sie darauf hinweisen,der frtihe Fremdsprachenunterricht sei ,,priigend fiir die geistig-seelische Entwicklung jiin-gerer Kinder, flir ihre perscinlichkeitsfdrdernde Erziehung zu Aufgeschlossenheit und einemgegentiber Fremdem aufgeschlossenen Verhalten" (G. Gompf). Zudem frirdere das Fremd-sprachenlernen im Grundschulalter die generelle sprachliche Regsamkeit. ,,Es kommt beimfriihen Fremdsprachenlernen

    ... nicht auf Einzelwissen an, das man wie spdter in der Schuleabfragen kann und das sich mit Noten bewerten liisst. Es geht vielmehr um die ganzheitlichePriigung, um die Persdnlichkeitsentwicklung junger Menschen" (R. Freudenstein).

    t2

  • Grundlagen des Fremdsprachenunterrichtsin der Primarstufe

    Es gilt, iiber die Zielvorstellung des Kindes, das sich mit den Sprachen anderer Volker aus-einanderzusetzen hat, hinauszugehen. Wir miissen uns fragen, in welchem pzidagogischenRahmen die Erfahrungen gemacht worden sind, auf die im folgenden immer wieder zu ver-weisen ist.

    Wir diirfen den Fremdsprachenunterricht in den untersten Klassen einer Waldorfschulenicht isoliert betrachten. Er ist wesentlicher Bestandteil und unverkennbares Merkmal einerptidagogischen Gesamtkonzeption, deren Lehrplan und Unterrichtsorganisation im Lauf derJahrzehnte in iiber dreiBig Lrindern je nach den Erfordernissen des jeweiligen Ortes und derZeitsituation umgestaltet wurden.

    Da sich diese Piidagogik von allen giingigen piidagogischen Konzepten unterscheidet, setztdie Beschiiftigung mit der Waldorfpiidagogik ein hohes MaB an Unvoreingenommenheit vor-aus. Hierauf verwies bereits 1926 ein Schulrat in einem Bericht fiir die WiirttembergischeLehrerzeitung, nachdem er die Stuttgarter Waldorfschule intensiv kennengelernt hatte:

    Eines muss einleitend noch ausdriicklich betont werden: Wer zum ersten Mal dieWaldorfschule betritt und nicht vorher schon durch Studium der Piidagogik undLiteratur der Schule iiber Wichtiges und Wesentliches sich orientiert hat, der setztseinen FuB auf vollig unbekanntes Land, und er kann der Schule und ihrer Arbeitdurchaus nicht gerecht werden, wenn er nicht erfiillt ist von dem guten Willen, dieBesonderheiten der psychologischen und pzidagogischen Grundlagen dieser Schulegriindlich und vorurteilslos kennenzulernen und das Eigenleben, das dieser Schuleinnewohnt und das ihr auch behcirdlicherseits zugestanden worden ist, aus ihremeigensten und innersten Wesen heraus zu verstehen. Wer sich zu dieser Einstellungnicht aufschwingen kann, der gelangt zu keinem objektiven Urteil iiber diese ausdem gewohnten Rahmen stark herausfallende Schule.r

    Die zentrale Rolle des anthropologischen Neuansatzes der WaldorfpZidagogik unterstrichSteiner selbst, als er schrieb, die Waldorfschule sei

    nicht eine Reformschule wie so manche andere, die gegriindet werden, weil man zuwissen glaubt, worin die Fehler dieser oder jener Art des Erziehens und Unterrich-tens liegen; sondern sie ist dem Gedanken entsprungen, dass die besten Grundsritzeund der beste Wille in diesem Gebiet erst zur Wirksamkeit kommen kcinnen. wennder Erziehende und Unterrichtende ein Kenner der menschlichen Wesenheit ist.

    Einige Grundziige des anthropologischen Ansatzes der Waldorfpiidagogik sind hier zuerwdhnen, da sich in ihnen die Grundlage fiir die Gestalt des Lehrylans und der Unterrichts-organisation findet. Die Waldorfpiidagogik will ,,wirken aus einer Menschenerkenntnis her-aus, welche den ganzen Menschen umfasst nach Leib, Seele und Geist." Der Mensch ist

    QuellenangabenundLiteraturhinweisezudiesemKapitelfindensichbeiC.Jaffke l996,S.30-40und84 103

    13

  • ... Biirger dreier Welten Durch seinen Leib gehcirt er der Welt an, die er auch mitseinem Leib wahrnimmt; durch seine Seele baut er sich seine eigene Welt auf; durchseinen Gelsl offenbart sich ihm eine Welt, die iiber die beiden anderen erhaben ist.(R. Steiner)

    Als geistiges Wesen hat der Mensch einen individuellen Kern, ein Ich, das entwicklungsfiihigist und iiber Geburt und Tod hinaus existiert:

    Durch das Selbstbewusstsein bezeichnet sich der Mensch als ein selbstiindiges, vonallem tibrigen abgeschlossenes Wesen, als ,,Ich". Im ,,Ich" fasst der Mensch alleszusammen, was er als leibliche und seelische Wesenheit erlebt. Leib und Seele sinddie Tr;iger des ,,Ich"; in ihnen wirkt es ... Das ,,Ich" bleibt als die eigentliche Wesen-heit des Menschen ganz unsichtbar.

    Dieser geistige Wesenskern ist nicht Gegenstand der Erziehung. Deren Aufgabe ist es viel-mehr, die in der Anlage vorhandenen seelischen Fiihigkeiten

    -

    Denken, Fijhlen und Wollen -

    so entwickeln zu helfen, dass der Heranwachsende die fiir sein gegenwzirtiges Leben mitge-brachten Impulse in sozialer Verantwortung frei handelnd verwirklichen kann. So gesehenhat Erziehung eine dienende Funktion fiir die gesamte weitere Biographie, ndmlich ,,so vielwie mciglich von den physischen und seelischen Hindernissen hinwegzurriumen, die sich derbewussten Herrschaft des ,Ich' im Erwachsenenalter in den Weg stellen konnen ..."

    Aus dieser Perspektive betrachtet, erhdlt alles schulische Lernen einen neuen Sinn.C. Lindenberg formuliert ihn so:

    Die Waldorfschule bemiiht sich um eine anthropologrsch orientierte Erziehung, d.h.sie stellt Unterrichtsinhalte, Stundenplan usw. auf die Notwendigkeiten und er-wachenden Fiihigkeiten der jungen Menschen ein. Der Unterrichtsstoff wird nichtgelehrt, damit das Kind den Stoff lernt, sondern damit durch den Stoff die kindlicheEntwicklung gefordert wird, das eigene Erleben sich abklzirt, die Wahrnehmung sichdifferenziert.

    Wie man Steiners anthropologisch-piidagogischen Ansatz auch beurteilen mag, als Arbeits-grundlage der heute rund 700 Waldorfschulen in der Welt hat er sich als fruchtbar erwiesen.In einem Bericht iiber die Waldorfpiidagogik hieB es allerdings vor Jahren in der LondonerTimes, wesentliche Elemente der Anthropologie Steiners seien ,,in akademischen Kreisenauch heute noch kaum zu diskutieren. In der p;idagogischen Diskussion scheut man davorzuriick, die zentrale Frage anzugehen, was das Wesen des Menschen eigentlich ausmacht."

    Es hat nicht an Versuchen gefehlt, zu einem Versftindnis der pddagogischen Praxis der Wal-dorfschulen unter bewussterAusklammerung ihrer theoretischen Grundlagen zu kommen. Inden letzten Jahren ist es zu fruchtbaren Kontakten zwischen Erziehungsfachleuten aus demuniversitdren Bereich und Waldorfpridagogen gekommen. Substantielle Ergebnisse dieserZusammenarbeit liegen inzwischen vor.'

    2 Vgl. dazu etwa Bohnsack, E./Kranich, E--M. (Hg.) 1.990 ErTiehtngswissenschafi undWaldoqfptidagogik. DerBeginn eines nowendigen Dialog.s. Weinheim/Basel

    I4

  • E ntwickl u n g s psych ol og i sche G es i chtsp u n kte

    Ztt den Grundlagen der von Steiner begriindeten Erziehungslehre gehcirt, dass die Entwick-lung vom Kleinkind zum Erwachsenen in drei Phasen verlziuft, in denen sich Leib, Seele undGeist je verschieden zueinander verhalten. Hier bertihren sich das Menschenbilcl der Wal-dorfpiidagogik und die Ergebnisse der Kinder- und Jugendpsychorogie.

    In der ersten grundlegenden Darstellung zum Thema Fremdsprachenunteryicht und Ent-wicklungspsychologie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hie8 es 1949 zwar, alleden Fremdsprachenunterricht betreffenden methodischen und organisatorischen Forderun-gen sollten sich an den Ergebnissen der Kinder- und Jugendpsychologie orientieren und diePhasen der kindlichen Entwicklung beriicksichtigen (E. Hdhn). Eine Zeitlangwurde jedochjede allgemeine ,,Phasenlehre" abgelehnt. Sie fixiere den Blick zu sehr auf einzelne Sy-p-tome oder interpretiere auffallende Erscheinungen als entwicklungsnotwendige Xaturtat-sachen. Aber

    inzwischen haben besonders die Forschungsergebnisse von Jean piager undLawrence Kohlberg neues Verstdndnis ftir die alte Einsicht wachgerufen, dass dieseelische Entwicklung von Kindern weder in einem stufenlosen Kontinuum noch ineiner uniibersehbaren Vielfalt g:inzlich individueller Prozesse verlziuft, sondern dasssich, wenn auch kein starrer ,Fahrplan', so doch eine klar beschreibbare Stufen-ordnung darin zeigt, auf die jeder verniinftige Piidagoge Riicksicht nehmen wird.(J. Kiersch)

    Gewiss ist diese Diskussion nicht abgeschlossen. In jedem Fall wird die Berticksichtigungpersonlicher, physiologischer und psychologischer Gegebenheiten einerseits und bestimmterLenbensphasen andererseits zu f'ruchtbaren Fragestellungen fiihren.

    In der Praxis spielen ftir den Beginn und das Ende des Zeitraumes, in dem der Fremdspra-chenunterricht an den Waldorfschulen ausschlieBlich miincllich erteilt wird. zwei Wende-punkte der korperlichen und seelischen Entwicklung eine besondere Rolle. Sie liegen im6.ll ' und im 9./10. Lebensjahr. Auf sie richten wir das Augenmerk. Dabei wird der derzeiti-ge Stand der Entwicklungspsychologie selbstversrandtich beriicksichtigt.

    Das 6./7. LebensjahrNach sorgfdltigen psychologischen Untersuchungen stellt sich heraus, dass dem sechsjrihri-gen Kind ,,eine reinliche Trennung zwischen Wahrnehmung und Vorstellung, zwischenWirklichkeit und Phantasie nooh nicht immer moglich ist." (E. Hohn) Das Ineinanderflie3endieser beiden Welten wird dadurch begiinstigt, dass die subjektiven Anschauungsbilder, Vor-stellungen, wie Wahrnehmung der realen Welt empfunden werden. Dadurch kommt es zueiner ungeheuren Steigerung der kindlichen Erinnerungsflihigkeit: ,,Viele fast unglaubliche,Gedachmisleistungen' von Grundschiilern erklziren sich auf diese Weise.

    - Die Aufnahme-

    fiihigkeit ist auBerordentlich stark. Wie ein Schwamm saugt das Kind alle Anregungen ein,die ihm seine Umgebung gibt. Zu keiner Zeit wird so freudig und begierig, so allseitig inter-essiert und wahllos gelernt wie in dieser Phase ... ,,Es wird erfasst, was durch die phantasieergriffen und verwandelt worden ist. Nun ist es zum ,Eigentum' geworden."

    Die ,,erstaunliche Aufnahmebereitschaft" des Grundschulkindes (F. Leisinger) begiinstigtden Fremdsprachenuntericht besonders :

    15

  • Das Interesse ist vielseitig, stark gefiihlhaft bedingt und wendet sich allem Neuen,sofern es lebendig und gefiihlsbetont auftritt, willig zu. Die Nachahmungsfiihigkeitist auf einem Hcihepunkt, die Unbefangenheit noch erhalten, das Gedachtnis fiiralles, was wesentlich akustisch-motorisch bedingt ist, ausgezeichnet. All das istoffenbar eine letzte Welle der naturhaften Fiihigkeit des Spracherwerbs iiberhaupt,die das Kind zu jener unreflektierten Verkniipfung von Dingen und Vorg[ngen mitLauten und Bezeichnungen befdhigt, die das Wesen der naturgemiiBen Spracherler-nung ist und die in dem MaBe abklingt, wie altersgemiiB ... die geistige Entwicklungzu hoheren Ordnungen fortschreitet.

    Vom Gesichtspunkt der kognitiven Entwicklung wird der Beginn der Stufe der ,,konkretenOperationen" etwa ins siebte Lebensjahr datiert (Piaget). Das Kind krinne nun ,,mit dem inder Vorstellung reproduzierten Material der Wahrnehmung frei von wechselseitigen Bezie-hungen umgehen."

    Die in diesem Alter deutlich werdende Schulbereitschaft zeigt sich in einer neuen Stufe:Die schcipferische Phantasie des Kleinkindalters, ,,die Fiihigkeit, unter vdlliger AuBeracht-lassung realer Gegebenheiten aus allem alles zu machen", geht nun zuriick, und es tritt

    -

    miteinem von Ch. Biihler geprrigten Ausdruck

    - anstelle der willkiirlichen Setzung die ,,Ent-

    nahmefiihigkeit". ,,Dies merken wir besonders an der nun am Vorbild orientierlen und aufGenauigkeit bedachten Nachahmungsbereitschaft."

    Als besonders auffallender Unterschied zwischen dem Kind des Vorschulalters und demGrundschulkind steht inzidentelles, fast zufiillig erscheinendes Lernen der Fiihigkeit zuintentionalem Lernen gegeniiber. Ausdauer und Konzentrationsf;ihigkeit sowie eine zuneh-mende Bereitschaft, von auBen gestellte Lernaufgaben zu iibernehmen, treten nun stdrkerhervor. (Schenk-Danziger)

    Aus neurolinguistischer Perspektive wurde festgestellt: ,,Was uns zum Verstrindnis derGehirnreifung in Bezug auf den Spracherwerb und auf andere Funktionen im Bereich derKognition fehlt, ist die Charakterisierung der zwischen dem siebten und neunten Jahr auf-tretenden Verzinderungen. In der Entwicklung deuten einzelne Elemente daraufhin, dass esauf dieser Altersstufe Marksteine der Erkenntnis und der Sprachentwicklung gibt." (H. A.Whitaker)

    Zu diesen Erweiterungen kognitiver und seelischer Fzihigkeiten tritt nun etwas hinzu: EinSchularzt sieht ,,den ersten Gestaltwandel vom Kleinkind zum Schulkind ... so ungefzihr biszum sechsten Jahr als abgeschlossen" an und verweist auf den Wechsel vom Milchgebisszum zweiten Gebiss, der auch um diese Zeit erfolge. (W. Zeller)

    In der Waldorfplidagogik gilt der beginnende Zahnwechsel als ciuJ3eres Indiz fiir tiefgrei-fende Veriinderungen in der leiblich-seelischen Konstitution des Kindes: ,,Ungefiihr um dassiebte Jahr herum tritt mit dem Zahnwechsel nicht nur dieses physische Symptom fiir eineUmwandlung der physischen Menschennatur auf, sondem es tritt im Kinde auch eine voll-sttindige Umwandlung des seelischen Wesens ein ... In diesep siebten Jahr zindert sich fiir dasKind mehr, als man gewcihnlich meint." (R. Steiner) Mit, dem,Zahnwechsel gewinnt derMensch ein neues Verhziltnis zur Welt. Es vollzieht sich in dieser Periode ein vcilligerUmschwung im kindlichen Erleben.

    Das Phiinomen des Zahnwechsels ist komplexer Natur. Es sind seit Steiners Zeiten Studi-en iiber dieses bedeutende Geschehen erschienen, die das von Steiner erkannte ,,Freiwerdenneuer Krrifte" detailliert darstellen.

    Fiir das ganze erste Jahrsiebt unterstreicht Steiner (.1920) die iiberragende Bedeutung derspontanen ,,instinktiven" Imitation: ,,In der ZeiI von der Geburt bis zum sechsten, siebten

    t6

  • Lebensjahr ist der Mensch dazu veranlagt, sich fiir alles, was an ihm zu erziehen ist, ganz andie ndchststehende menschliche Umgebung hinzugeben und aus dem nachahmendenInstinkte heraus die eigenen werdenden Kriifte zu gestalten." ,,Was das Kind sieht, hort usw.,enegt in ihm den Trieb, das Gleiche zu tun."

    J. Piaget, der das Phdnomen der Nachahmung sehr umfassend erforschte, kam zu einer Dif-ferenzierung innerhalb der einzelnen Entwicklungsstufen des Kindes. Erst ab dem siebten,achten Lebensjahr kann danach vonbewusster Nachahmung gesprochen werden. Fiir diesefindet sich bei Piaget auch die Bezeichnung ,,reflektierle" Nachahmung. Dass hier auch dieneue Beziehung zur eigenen Gruppe und zu einzelnen Bezugspersonen eine Rolle spielt,liegt auf der Hand.

    Auch nach neueren Untersuchungen hat die Nachahmungsfiihigkeit selbst im Primar-schulalter noch eine groBe Bedeutung: ,,Bis zum Alter von acht bis zehn Jahren, also in derVorschulzeit und in den Unterstufenklassen der Schule, sind Kinder besonders anpassungs-fiihig; ihr Organismus hat seine Plastizifit noch nicht verloren; sie suchen versttirkt nachsozialen Kontakten und Bezugspersonen. Dies sind giinstige Voraussetzungen f-iir die Festi-gung und Habitualisierung imitierten Verhaltens." (E. Stock/J. Suttner)

    Die Art der Nachahmung verrindert sich, wenn das Kind das Schulalter erreicht" Hierinstimmt Steiners Darstellung mit der von Piaget iiberein. Es kommt zur ,,Umwandlung desNachahmungstriebes in die Aneignungsfrihigkeit auf Grund [eines] selbstversttindlichenAutoritritsverhriltnisses." Es handelt sich jetzt um ein ,,bewusstes Hinnehmen dessen, wasvom Erzieher und Lehrer auf der Grundlage einer selbstverstiindlichen Autoritiit auf das Kindwirkt." In einem anderen Zusammenhang beschreibt Steiner die Situation vor und nach demZahnwechsel so: ,,Vor diesem Alter wird nachgeahmt, um das eigene Wesen zum Nachbildder Umgebung zu machen; mit dem Eintritt in dieses Alter wird rricht blolS nachgeahmt, son-dern es wird das fremde Wesen mit einem gewissen Grade der Bewusstheit in das eigeneWesen hereingenommen. Doch bleibt der Nachahmungstrieb ... bis etwa zum neunten Jahrnoch bestehen."

    Eine fiir diese Entwicklungsstufe sehr aufschlussreiche Entdeckung machte J. Piaget als eruntersuchte, in welchem Alter ,,das Kind zwischen den Wortern und den damit bezeichnetenDingen unterscheiden kann". Sind die Namen im Subjekt oder im Objekt? Sind sie Zeichenoder Dinge?

    Im ersten Stadium, bis in ein Alter von ungefrihr sechs bis sieben Jahren, riihren die Namennach Uberzeugung des Kindes von den Dingen her. Man hat sie durch das Betrachten derDinge gefunden. Mit dem Lernen eines Namens dringt man in das Wesen eines Dings ein.,,Sobald cler Name gefunden ist, stellen sich keine Probleme mehr." ,,Der Name scheint zumWesen der Dinge zu geh6ren." Im ersten Stadium ,,gelingt es Kindern iiberhaupt nicht, zwi-schen dem Wort und dem Ding zu unterscheiden."

    - Im zweiten Stadium (sieben bis acht Jah-

    re) erkennt das Kind einen Unterschied ,,zwischen dem Bedeutungstrliger und dem bezeich-neten Gegenstand oder zwischen dem Denken und den Dingen, die man denkt." Der Namelost sich von den Dingen ab, doch lokalisiert ihn das Kind deshalb noch nicht im denkendenSubjekt.Es kommt noch zu einer Vermengung von Bezeichnung und Ding. ,,Der Name istin der Luft, er umgibt die Leute, die sich seiner bedienen. Andere Kinder sagen, er sei ankeinem bestimmten Ort."

    - Im dritten Stadium entdeckt das Kind, ,,dass die Namen in uns

    sind und von innen kommen. Das Kind sagt auf Anhieb, die Namen seien lz Kopl. DiesesStadium wird mit neun Jahren erreicht." Mit diesem Entwicklungsschritt verliisst das Kinddie Stufe, auf der es sich unmittelbar mit den Mitmenschen verbunden fiihlte.

    Steiner verwendet im Zusammenhang des zweiten Jahrsiebts wiederholt den Begriff der,,Autoritat". Heute ist in diesem Zusammenhang nachdriicklich darauf hinzuweisen, dass

    t]

  • damit allein das berechtigte Autoritcitsempfinden gemeint ist. Eine so verstandene Autoritdthat nur Bestand, so weit sie vom Kind als glaubwiirdig erlebt wird. Das heranwachsendeKind erfiihrt die Stiitze seines inneren Strebens zur Freiheit nicht nur im ,,Diirfen", wases will,

    - da kann auch Unsicherheit und Angst eintreten , sondern in der konsequenten

    Richtung verantwortungsvollen Handelns und Verhaltens der Erwachsenen. Je mehr ,,dieseAutorifit das wird, was sie sein will, eine Fiihrerin zur Freiheir, desto mehr wird siedas Bestreben in sich entwickeln, sich selbst aufzuheben, sich selbst iiberfliissig zu machen.Das letzte Ziel der wahren Erziehung ist der Augenblick, an dem sie unntitig gewordenist ..." (C. Lindenberg)

    Das 9.110. Lebensjahr

    Der deutliche Riickgang der Nachahmungsf?ihigkeit vom neunten Lebensjahr an kennzeich-net den zweiten wichtigen Wendepunkt in der kindlichen Entwicklung in dem Zeitraum, deruns hier beschliftigt. Man hat hier vom beginnenden Robinson-Alter gesprochen. In diesemmittleren Kindheitsalter bestehen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit weiterhin gleichzeitignebeneinander. Gegen Ende dieses Entwicklungszeitraumes versachlicht sich das Weltbild.Das Kind neigt jetzt zur Reflexion iiber sich selbst, die Mitmenschen und die Dinge und Vor-guinge der AuBenwelt. Es kommt zu einer ,,scharfen Scheidung zwischen wahrgenommenerWirklichkeit und vorgestellter Phantasiewelt." (H. Remplein)

    Dem aufmerksamen Beobachter des Kindes zeichnet sich eine feine Verdnderung ab: ,,DieAblcisung des Ich von der Umwelt wird deutlicher; jetzt wird Eigenkritik und Fremdlob m6g-lich. Eine leise Distanzierung von den Eltern wie auch von der eigenen Kindheit fiillt oftschon in diese Zeit." (J. Lutz)

    Medizinisch gesehen, gelangt das Kind um das neunte Lebensjahr zu einem harmonischenAusgleich zwischen Atem und Blutzirkulation. (H. Rcitges) Ein Schularzt hAlt die Vertinde-rungen der psycho-physischen Konstitution in diesem Alter fiir so grundlegend, dass er voneinem ,,Umzug im eigenen Haus" spricht. (H. Matthiolius)

    Kinder im neunten Lebensjahr kcinnen nicht nur im Stehen, sondern auch im Gehen linkeund rechte Seite sicher unterscheiden. ,,Sie kommen jetzt durch die innere Erfahrung der ver-tikalen Mitte zum Erleben ihrer eigenen Symmetrie." (E.-M. Kranich)

    Zusammen mit diesen physiologischen Entwicklungsschritten vollzieht sich auch derUmschwung vom mythischen Erfahren der Welt zu einem dynamischen, realitiitsntiherenErleben: ,,Unsere begriffliche Entwicklung kann man am besten erfassen, wenn man sieht,wie sie sich

    - wie in einer einwickelnden Spirale

    - vom trdumenden, ungeftihren Erleben

    schrittweise auf die Dinge zu bewegt, bis wir am Ende unseres abenteuerlichen Weges beider unmittelbaren Erfahrung von Ort tndZeit ankommen". (K. Egan)

    Nach Steiners Uberzeugung wurde dem ,,Umschwung im 9./10. Lebensjahr" in derPlidagogik seiner Zeit viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dem Entwicklungsschritt,den das Kind in dieserZeit tut, maB Steiner so groBe Bedeutung bei, dass er ihn mit dem welt-historisch bedeutenden Uberschreiten des Grenzflusses Rubikon durch C;isar verglich. Fiirdas Kind liegt nach Steiner zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr

    - mit dem ,,Uber-

    schreiten des Rubikon" -

    ein ,,sehr wichtiger Entwicklungspunkt": ,,Bis zu diesemZeitpunktunterscheidet sich das Kind wenig von seiner Umgebung. Die Welt und es selber gehdren fiirseine Empfindung zusammen." ,,In diesem Lebensalter lernt ... das Kind ganz instinktiv, sichvon der AuBenwelt zu unterscheiden. Vorher flieBen Ich und AuBenwelt ineinander ... Aberzwischen dem neunten und zehnten Jahre lernt das Kind mit vollem Bewusstsein zu sich ,Ich'zu sagen. Es lernt dies schon friiher, aber jetzt mit vollem Bewusstsein." Und es gibt keinen

    18

  • Schritt zurtick. Dieser Entwicklung cles Kindes zu einem stdrkeren Selbstbewusstsein, zueiner ,,kritischen, gefiihlsgetragenen Distanzierung" von seiner Umgebung trzigt der Lehr-plan der Waldorfschulen in vielfriltiger Weise Rechnung.

    Im Fremdsprachenuntemicht fblgt auf diesen Schritt ein methodischer Wechsel .. Zw reinmiindlichen Arbeit der ersten drei Schuljahre treten nun andere Formen hinzu. Der ersteSchritt zu einem bewussteren Erleben der anderen Sprachen, zu einem ,,Anschauen vonauBen" erfblgt mit dem Beginn des Schreibens der ersten fremdsprachlichen Texte, was inder Regel am Anfang der vierten Klasse geschieht.

    Fiir den friihen Fremdsprachenunterricht ist die zuletzt beschriebene Entwicklungsstufevor allem auch insofern bedeutend, als neueste wissenschaftliche Untersuchungen nach-driicklich bestiitigen, dass Kinder nach dem 9./10. Lebensjahr nicht mehr iiber 6ie beson-dere Sensibilitiit verfiigen, die zur unbewusst-imitativen Aneignung einer near-natiyep ronunc icttiorz von Fremdsprachen befzihigt.3

    Bewegung -

    Nachahmung -

    Sprache

    Sprache und Bewegung

    Amerikanische Untersuchungen in den fiinfziger und sechziger Jahren haben gezeigt, dassein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der gesprochenen Sprache und den sie beglei-tenden Kcirperbewegungen bestehen. Die Kinesik (Birdwhistell' und Stetson.) erfbrschtedie Bewegungsabliiut'e, die mit bloBem Auge wahrnehmbar sind, die sogenannten Makro-bewegungen. Im Bereich der Mikrokinesift entdeckten die Amerikaner W. S. Condon undW. D. Ogston 1966, dass auch Sprache und feinste Korperbewegungen sowohl beim einzel-nen Sprecher selbst als auch zwischen Sprecher und Zuhiirer vollkommen synchron undrhythmisch koordiniert ablaufen. Dies ergab sich aus der jahrelangen Analyse im Zeitlupen-tempo von Film- und Mdeoaufnahmen, bei denen 48 Bilder pro Sekunde aufgenommen wor-den waren. Diese Technik ermoglichte einen Vergleich von Sprachsegmenten und kleinstenBewegungen der einzelnen Korperteile, micro movements, \on Kopf bis FuB, einschlielllichAugen, Brauen rind Mund im zeitlichen Rahmen von 0,02 Sekunden.

    Ein Beispiel soll verdeutlichen, bis in welche Details der Zusammenhang von Spracheund Bewegung verfolgt wurde. In einem Gesprzich zwischen zwei mrinnlichen Erwachse-nen benutzt der eine das Wort w/r-\. Wtihrend das Wort ausgesprochen wurde, entstandenneun Bilder auf dem Film. Die Analyse dieser Aufnahmen zeigt folgende Bewegungs-abliiuf'e:

    wrihrend der normale Mensch redet, ,,tanzt" sein gesamter Kcirper in exakter undgeordneter Folge, die der von ihm artikulierten Rede entspricht. Der Kcirper bewegtsich in Verzinderungsmustern, die sich unmittelbar proportional zum artikulierten(gegliederten) Schema des Redestroms verhalten ... Es gibt keine festumrissenenGrenzen, sondern in sich geordnete Varianten der Verrinderung der Korperhaltung,

    Vgl. dazu C. Jaf'fke 1996: 1.11 l5lR. L. Birdwhistell 1952 Intoductictn tct Kinesics. Louisvilleders.: 1970 Kinesir:s and Contert. Essav-s o, Body Motion Cututtunication. philaclelphiaR. H. Stetson 1951 Mrtor Phonetics: A Studl'o.f speech Mot'enrents in Ar-tion.2ncl edit. Amsterclanr

    t9

  • die mit den in sich geordneten Varianten der Redeform gleichgestaltig (isomorph)sind. Dies hat man als self-synchrony bezeichnet.

    Es lassen sich auch diejenigen kleinsten Bewegungsabliiufe beschreiben, die sich in einerGespriichssituation synchronisch beim Zuhrirer vollziehen:

    Das Verhalten des Zuhcirenden organisiert sich ebenfalls von selbst so, dass dieBewegungen synchron ablaufen, indem sie denselben Prinzipien folgen wie das Ver-halten des Sprechenden ... Die Bewegungs,,einheiten" entstehen entweder dadurch,dass sich ein anderer Kcirperteil des Zuhcirers bewegt, als der des Sprechenden, oderdass der gleiche Kcirperteil sich in einer anderen Richtung bewegt als der des Spre-chenden. Jedenfalls bleibt die Bewegungsrichtung ebenso lange bestehen wie dieBewegungsrichtung des Sprechenden. Sie verdndert sich auch, wenn sich die Bewe-gungsrichtung des Sprechenden zindert. Die ,,interaktionelle Synchronizitiit", d.h.der gleiche Ablauf einer spontanen und einer induzierten Bewegung, definiert sicheben durch diese Gleichgestaltigkeit (Ismorphismus) der Verinderungsabliiufezwischen Sprechenden und Zuhbrenden. Bei der normalen Geschwindigkeit vonBewegungsablziufen ist diese Gleichgestaltigkeit allerdings schwer aufzusptiren.

    Condon erkliirt den engen Zusammenhang zwischen Sprache und Mikrobewegung -

    auchzwischen Sprecher und Zuhcirer

    - wie folgt:

    Das Sprechen und Zuhciren sind Prozesse desselben biologischen Organismus. Viel-leicht bestehen biologische Grundgestalten, besonders rhythmische Ablliufe, diebeiden zugrundeliegen ... Wer einem anderen zuhiirt, bewegt sich in exaktem zeit-lichem Gleichklang (synchrony) mit der Struktur, in welcher der Sprechende seineSprache artikuliert. Dies ist als ,,interaktionelle Synchronie" bezeichnet worden, alsgleichartige Zeitgestalt zweier miteinander verbun-dener Tiitigkeiten ... Innerhalbdes winzigen Zeitraums von 50 Millisekunden spiegelt der gesamte ,,Verrinderungs-organismus" der Kdrperbewegungen des Zuhdrenden den ,,Verzinderungsorganis-mus" in dem auf ihn zukommenden Redestrom. Verbunden mit dem dauernd neuentstehenden Strom jeder einzelnen Lautform im Redefluss, taucht, sozusagen inparalleler Gestalt, im Kdrpergefiige des Zuhorenden eine dauernd aufrechterhalteneorganisierte Bewegungsfolge auf. Die Bewegungsfolge bleibt der Lautfolge inunglaublicher Subtilitat und Prrizision auf der Spur.Allem Anschein nach hat der Zuhorer einen Nervenrhythmus, der dem des Spre-chenden im Wesen und in Bezug auf die Organisationsgestalt gleicht. Daher eignetsich dieser Nervenrhythmus in hohem MaBe dazu, dass der Zuhorende dessen Spurin sich nachbildet, wenn er sich als rhythmische Sprach- und Lautgestalt ausriickt.

    Die beobachteten, synchron mit dem Sprachverlauf sich vollziehenden Mikrobewegungensind weder dem Sprecher noch dem Zuhrirer bewusst. Sie treten nur bei gesunden, normalveranlagten Sprechern und Zuhorern auf. Deutlich asynchron sind die Bewegungen dage-gen im pathologischen Bereich

    - bei Kindern mit Entwicklungsstcirungen, bei Legastheni-

    kern, bei Aphasikern, Autisten und Schizophrenen.Diese interaktionelle Synchronie ist bereits wenige Stunden nach der Geburt eines Kindes

    zu beobachten:

    20

  • Das Baby kommt anscheinend mit fast ebenso entwickelten Fiihigkeiten auf dieWelt, differenzierten Variationen der Sprache auf die Spur zu kommen, wie derErwachsene.Wenn sich das Kleinkind von Anfang an im exakten Rhythmus der Sprachstrukturund Sprachkultur seiner Umgebung bewegt, nimmt es wtihrend der Entwicklungmittels sehr komplexer soziobiologischer Ubungsprozesse an unzdhligen Wieder-holungen teil, lange bevor es sich dieser sptiter im Sprechen und im sprachlichenAustausch bedient. Wenn es dann zu sprechen beginnt, hat es schon den Grund fiirdie Lautform und die Struktur des Sprachsystems seiner kulturellen Umgebunggelegt. Diese Feststellung umfasst die Vielzahl miteinander verkniipfter Aspekte, sodie hierarchische Ordnung verschiedener Rhythmen und syntaktischer Strukturen ...und selbstverstlindlich verschiedener Kcirperbewegungell und rhythmischer Folgen.Das Kleinkind lebt sich in die Sprache und die kulturelle Umgebung, in dieFormen ein, die es umgeben und es gestaltend stiitzen. Es ,,erwirbt" sie nicht, indemes sie aus einem ihm fremden und von ihm getrennten System herausholt.

    Eine wirklich plausible Erkldrung des Phdnomens der ,,interaktionellen Synchronie" stehtbisher wohl noch aus. E,s kann aber vieileicht als Sonderform dessen angesehen werden, waswir im folgenden als Nachahmung bezeichnen.

    Nachahmung und motorisches Mitvollziehen

    Entscheidend ftlr die ersten drei Jahre des Fremdsprachenunterrichts der Waldorfschule ist,dass ihm vor allem die noch vorhandene Nachahmungsfiihigkeit des kleineren Kindes alsGrundlage dient. Was verstehen wir unter Nachahmung? Schon 1976 stellte R. Oerter einModell zur Erklzirung des Phrinomens eiuf. Danach liegt ,,in der gemeinsamen Kodierung vonvisueller und kinristhetischer Information der Grund, warum ein Kind in relativ friihem Alter4ie Wahrnehmung einer Bewegung oder einer anderen Form (auch Btiume und Hduserwerden nachgeahmt) in Eigenbewegung umsetzen kann."

    Durch medizinische Beobachtungen wurde ein neues Verstzindnis der bedeutenden Rolleder Imitation fiir die menschliche Entwicklung, vor allem in der frtihen Kindheit moglich.Uber Jahre hin beobachtete der Ttibinger Ordinarius fiir Pddiatrie A. Nitschke die motorischeEntwicklung von Kindern und gelangte zu einer wesentlich pr.ignanteren Beschreibung des-sen, was landliiufig unter Nachahmung verstanden wird. Gestiitzt auf hochst eindrucksvolleFallstudien aus dem pathologischen Bereich, machte Nitschke deutlich, dass es sich bei derBewegungsentwicklung weniger um ein Nachahmen als vielmehr um ein ,,mitgehendes,mitvollziehendes Einlassen auf fremde Motorik" handelt: ,,Die urspriingliche Moglichkeitdes Menschen ... ist nicht {ie der Nachahmung, wenn auch der Eindruck der Nachahmungentsteht." Um eine Bewegungsgestalt nachahmen zu konnen, miisse diese in ihren wesent-lichen Zusammenhzingen und in ihrer Grundstruktur erfasst sein. Voraussetzung fijr dieNachahmung sei eine Modellhan

  • es so aus, als ob zundchst die Bewegung als solche versuchsweise min'ollzogen werde, nochehe das Kind ihren Sinn und das durch sie Eneiohbare erfasse:

    ..Das ist z. B. deutlich beimNachsprechen erster Laute und Worte, die mitgeformt, durch das Gehor iiberyriift und immerwieder geiibt werden, ehe das im Wort Gemeinte verstandlich lr'ird." In iiberzeugenderWeise beschreibt Nitschke die Bedeutung des motorischen Mitvollziehens nicht nur fiir dieAusgestaltung der Sprachwerkzeuge, sondern auch ftir das Verstehen:

    Das ,Mitgehen' der eigenen mit der Motorik anderer Lebewesen beschninkt sich mitzunehmender Beherrschung der Motorik auf angedeutete, mehr im Innern zuriick-empfundene als nach auBen sichtbare Phdnomene. Es stellt ... einen primdren Vor-gang dar, der nicht nur das Erlernen der Bewegungsformen entscheidend fbrdert,sondern auBerdem auch fiir das Verstehen fremdseelischer Zustzinde von grund-legender Bedeutung ist. Das motorische Mitvollziehen ... ist die Grundlage

  • Einer der fiihrenden Didaktiker seiner Zeit ziuBerte sich nach dem Zweiten Weltkrieg wiefolgt:

    Was den Fremdsprachenunterricht vom neunten Lebensjahr an ... besonders be-giinstigt, ist die psychische Entwicklungsstufe, die das Kind in diesem Alterdurchschreitet. Noch ist die erstaunliche Aufnahmebereitschaft ... nicht vcillig abge-klungen, das Interesse ist vielseitig, stark gefiihlhaft bedingt und wendet sich allemNeuen, soweit es lebendig und gefiihlsbetont ist, willig zu. Die Nachahmungs-bereitschaft ist auf einem Hdhepunkt, die Unbefangenheit noch erhalten, dasGedrichtnis fiir alles, was wesentlich akustisch-motorisch bedingt ist, ausgezeichnet.All das ist offenbar eine letzte Welle der naturhaften Fiihigkeit des Spracherwerbsiiberhaupt, die das Kind zu jener unrellektierten Verkniipfung von Dingen und Vor-gringen mit Lauten und Bezeichnungen befzihigt, die das Wesen der naturgemdBenSpracherlernung ist und die in dem MaBe abklingt, wie altersgem:iB ... die geistigeEntwicklung zu hoheren Ordnungen fortschreitet. (F. Leisinger 1949)

    Auf den ,,starken Nachahmungstrieb und die wertvolle Fiihigkeit zur vollendeten Imitation"wies

    - zwanztg Jahre nach Leisinger

    - H. Kiipernick hin:

    Kleine Kinder ... lernen Englisch fast wie ihre Muttersprache ... Die Frische derAufTassung, die naive Kraft des Begreif'ens, die unabgelenkte Sfirke des Behaltens,der machtvolle Trieb zur Nachahmung, die driingende Motorik und nicht ntlelzt diegute Formbarkeit der Sprachwerkzeuge

    - all diese fordernden Faktoren sind zwar

    bereits fiir das Erlernen der Muttersprache nutzbar gemacht worden, doch kann aufdiesem Untergrund auch die zweite Sprache noch miihelos Platz finden.

    Im amerikanischen Standardwerk der sechziger Jahre heiBt es:

    W;ihrend sich der Lernende das Lautsystem aneignet, ahmt er zuneichst ausschlieB-lich nach, dann erkennt er die Kliinge, und schlieBlich unterscheidet er sie. Indiesem Stadium befasst er sich nicht mit einzelnen Lauten, sondern nur so, wie siesich in vollstrindigen, bedeutungstragenden Ausdriicken zeigen. Diese befzihigenihn, Betonung, Satzmelodie, Tonhdhe und Rhythmus wahr-zunehmen und nach-zuahmen. (N. Brooks)

    Jiingere Kinder verftigen iiber ,,eine enorme Nachahmungsfiihigkeit, die im fiinften Schul-jahr liingst nicht mehr so ausgepnigt ist wie zuvor." (R. Freudenstein)

    Kinder lernen auBerhalb der Schule hiiufig in spielartig wiederholter Nachahmung, undwenn man sie im Fremdsprachenunterricht im Grundschulalter beobachtet hat, erkennt man,dass sich viele spielerische Arbeitsformen selbst durch mehrfache Wiederholung nicht abnut-zen. ,,Ausgehend von der Imitation werden die fremdsprachlichen Strukturen ins Bewusst-sein integriert. Sogar in der Vermittlung von Neuem und in der Sprachkorrektur herrschenVor- und Nachsprechen vor, also das imitative Prinzip." (K. Hellwig)

    In einer Verijffentlichung, die 1992 ln England erschien, weisen J. Brewster et al. hin auf,,die unbestreitbare Tatsache, dass kleine Kinder leichter als Heranwachsende, geschweigedenn Erwachsene, verstehen und nachahmen, was sie horen. Sie sind dem goldenen Zeital-ter ndher, in dem sie sich ganz natiirlich die Muttersprache aneigneten." Hinsichtlich derAussprache betonen dieselben Autoren nochmals die gute Nachahmungsfiihigkeit von Kin-

    23

  • dern: ,,Kinder ahmen imAllgemeinen gut nach und erfassen die Einzelheiten 4erAusspracheeines Sprechers viel leichter als Erwachsene das zu tun vermogen

    ... Daher ist es sehr wich-tig, in diesen friihen stadien fiir ein gutes vorbild fiir die Aussf,rache zu sorgen...Derselbe Gedankengang scheint sich folgendermaBen fortzusetzen:

    ,,Jtingere Schiiler k6n-nen leichter und ganz unreflektiert, einzelne Aspekte der Sprache, d.h. Laute, Intonation undSprachmuster erfassen. Unbefangen sind sie dazu bereit, in verschiedene Rollen und Cha-13,k1"t" hineinzuschliipfen. So kcinnen sie leicht einem Vorbild folgen, das sie vorfinden ...Kleine Kinder lernen Sprachen mit Leichtigkeit, da ihre Gehor- Jnd Sprechgorganisarionnoch flexibel genug ist, neue Kkinge exakt wiedergeben zu konnen. Diese Nachahmungs-fiihigkeit in Bezug auf Sprachklzinge verliert sich bald.,.

    Neben den verschiedenen Analogien zwischen dem Erwerb der Muttersprache und demFremdsprachenerwerb, der dem in natiirlicher Sprachumgebung mdglichst nahe kommt, bil-det die angesprochene verdnderte Qualitiit der Nachahmung i- Grirndschulalter wohl denwesentlichsten Unterschied.

    Erstsprachenerwerb und naturl icher Zweitsprachenerwerb als Model ledes Fremdsprachenunterrichts der primarstufe

    vergleicht man die beiden wege, die beim Erst- und beim Zweitsprachenerwerb zurtick-gelegt werden, so sieht man, dass zu Recht vor allem auf einengrundlegenden Unterschiedzwischen beiden hingewiesen worden ist: ,,Jedes Fremdspractenlernen basiert auf demvorangegangenen Erstsprachenerwerb und steht damit unter wesentlich anderen Ausgangs-bedingungen." Durch den Erwerb der Muttersprache werden die grundlegenden sprachlichenVoraussetzungen des Menschenlebens geschiffen: Einbettung in

  • kann die Sprache, die er in dieser Stadt lernen muss, auf keine andere Weise er-lernen als auf eine, die mit der Erlernung der Muttersprache und mit der Art undWeise, mit welcher das oben angefiihrte Dienstmridchen ein deutsches Kind franzo-sisch lehrt, vollkommen in Ubereinstimmung steht.

    Nicht weniger originell muten heute die Ausftihrungen John Lockes in Some ThoughtsConcerning Education aus dem Jahre 1692 an. Er empfiehlt,

    das Kind mit keinerlei Grammatik zu belasten, sondern das Lateinische so wie infiiiheren Jahren das Englische ohne das verwinende Regelwerk ,,in es hineinzu-reden". Denn, iiberlegen wir nur richtig, das Lateinische ist dem Kind nicht unbekannter als das Englische, wenn es die Erde betritt. Und doch lernt es Englischohne Lehrer, ohne Regel und ohne Grammatik. Ebenso k6nnte es auch das Lateini-sche lernen, wie es Tullius getan hat, wenn ihm nur jemand dauernd auf Lateinischzusprziche. Und wenn wir so oft sehen, wie eine Franzcisin in ein bis zwei Jahreneinerjungen Engltinderin beibringen kann, fehlerlos Franzosisch zu sprechen und zulesen, ohne Grammatikregel und nur durch das Mittel, dauernd mit ihr zu sprechen,so muss ich mich nur dariiber wundern, wie wenig die Herren dieser Unterrichts-methode fiir ihre Sdhne zutrauen und sie anscheinend fiir diimmer oder unfzihigerhalten als ihre Tochter.

    In unserer Zeit finden sich seit den siebziger Jahren aufwissenschaftlicher Ebene in mehre-ren Untersuchungen Belege dafiir, dass die Strategien von Zweitsprachenerwerbern denensehr tihnlich sind, die beim Erwerb der Muttersprache angewendet werden.'

    Eine deutliche Parallele zum Erstsprachenerwerb zeigt sich auch in der Erwartungshal-tung. Jede Mutter spricht mit ihrem Siiugling in der Gewissheit, dass er ihre Sprache lernenwird. Ahnlich verhielten sich die amerikanischen Schulkameraden von fiinf spanischspre-chenden Kindern: ,,Weil sie [ihre Freunde] glaubten, dass die Lernenden lernen wiirden,sprachen sie mit ihnen und behandelten sie auf eine Art und Weise, die garantierte, dass siees auch wirklich taten. Sie benutzten Gesten und Gebrirden zur Unterstiitzung ihrerGesprdche, aber sie beschrzinkten ihre Bemiihung, mit ihnen ins Gesprrich zu kommen, nichtauf nonverbale Mittel. Sie vereinfachten ihre Sprache, aber so, dass sie den Lernenden hal-f'en, und nicht indem sie ihnen eine reduzierte (verzerte) Sprache boten."

    Das Kind hat bis zum Alter von etwa zehn Jahren eine ,naive' Sprachauffassung. Fehlerund Abweichungen von der sprachlichen Umgebung bereiten dem Kind noch keine Proble-me. Es denkt in der Regel kaum tiber seine Fehler und iiber die anderer nach. (E. Oksaar)

    In einer der letzten Konferenzen mit den Lehrern der Stuttgarter Waldorfschule legteSteiner dem Kollegium 1924 nahe, ,,dass wir bis zum Ende der dritten Klasse den [Fremd-]Sprachunterricht so treiben, dass das Kind am Sprechen sprechen lernt ... In dieser Zeitdiirfte gar nicht bemerkbar werden, dass es eine Grammatik gibt."'

    So wie das Kind ,,natiirlich ganz ohne jegliche Grammatik" die Muttersprache lerne, sosolle auch der friihe Fremdsprachenunterricht ,,ganz ohne Grammatik geschehen, gewisser-

    Vgl. dazu etwa E. Hatch 1974 Second Language Learning Universals? in: Working Papers on BilingualismNo.

    -3 [Ontario Institute for Studies in Education] (June): I l7R. Steiner GA 300c Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfsthule in Stuttgart I 9 I 9 bis 1924, Bd. 3: 161

    l)

  • maBen in einer etwas reiferen Nachbildung des Erlernens der Muttersprache"t ,,in einer Artsachlichen Konversierens": ,,Man entwickelt den Sprachunterricht auf den friiheren Stufen(vor dem neunten, zehnten Lebensjahr) rein aus dem Sprechen und dem Fiihlen des Spre-chens, so dass das Kind lernt, aus dem Gefiihl heraus zu sprechen", denn vor dem neuntenJahre hat das Kind zur ,,Sprache ein ganz und gar gefiihlsmiiBiges Verh;iltnis". So bekommedas Kind die Moglichkeit, ,,die Sprache aus dem Element heraus zu lernen, ... aus dem siestammt, aus dem Gefiihlselement." Werde der Unterricht in der angegebenen Weise durch-gefiihrt, so ereiche man, dass die Kinder die (Fremd-)Sprachen in ganz lebendigem Sinneaufnehmen. Dagegen sei es in diesem Entwicklungsstadium eiuBerst schiidlich, ,,wenn mangrammatische oder syntaktische Regeln ... in das Kind hineinpfropft." ,,Abstrakt Grammati-sches, intellektuell Grammatisches" diirfe an die Kinder der unteren Klassen i,iberhaupt nichtherangetragen werden. Auf dieser Altersstufe sei jeder grammatische Unterricht ,,einUnding".

    Steiner war jedoch weit davon entfernt, den Grammatikunterricht pauschal aus der Schuleverbannen zu wollen. Melmehr verurteilt er scharf dieses ,,andere Extrem", d.h. ,,iiberhauptgar nicht mehr irgend etwas Grammatisches zu lehren", was sich in einer Art Uberrerktiongegen die aus dem altsprachlichen Unterricht tibernommene Methodik anfangs des Jahr-hunderts als Prinzip der Fremdsprachendidaktik herausgebildet hatte.

    Das Kind bekommt zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife ein ganz ande-res Verhziltnis zur Sprache.t Als Erzieher kann man ihm hierbei helfen, indem man ,,in ver-niinftiger Weise Grammatik treibe" und indem man in einer Art, die mit dem Kind rechnet,,,das Unbewusste der Sprache der ersten Kinderjahre ins Bewusstsein heraufhebt."n

    R. Steiner GA303:224Nach E. Oksaar erlebt ein Zehnjlihriger ,,das Fremde ... viel bewusster als ein Sechsjiihliger. Auch sprachlicheSchwierigkeiten und Abweichungen werden in diesem Alter viel deutlicher wahrgenommen."Auf die Bedeutung der Grammatik in.r Fremdsprachenuntenicht der Primarstuf'e wird unten im folgenden Kapitel ausf iihrl ich eingegangen.

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