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Traumafokussierte Psychotherapie mit minderjährigen Flüchtlingen
Prof. Dr. Lutz Goldbeck
Miriam Rassenhofer, Thorsten Sukale
Traumatisierte minderjährige Flüchtlinge: Hilfebedarfund Versorgungskonzepte – Fortbildung KJP Ulm 18.11.2015
Gliederung
• Traumafolgestörungen bei minderjährigen Flüchtlingen
• Traumatherapie klinisches Vorgehen
• Ergebnisse multizentrische RCT-Studie und Fallserie UMF
• Traumatherapie mit Flüchtlingen: Wann, wie, wo,…?
Hintergrund
Posttraumatische Belastungsstörung DSM-5
Traumatisches Erlebnis
Wiedererleben(auch im Spiel)
Vermeidung (1)
Kognitive/affektive Symptome (2)
Wiedererleben (1)(auch im Spiel)
Übererregbarkeit (2)> 4 Wo.
psychosoziale Beeinträchtigung
American Psychiatric Association 2013, DSM-5, PTSD
Posttraumatische Verlaufsformen
Posttraumatische Verlaufsformen
Traumatherapeutisches Fenster
Der Markt für“Traumatherapie” ist vielfältig…
Welche Traumatherapie???
Warum evidenzbasiert behandeln?
“Evidence-based interventions outperformed usual care.”
Weisz et al., 2006 (abstract)
Metaanalyse von 32 randomisierten Studien evidenzbasierterTherapien von Kindern und Jugendlichen
Weisz, J.R., Jensen-Doss, A., & Hawley, K.M. (2006). Evidence-Based Youth Psychotherapies Versus Usual Clinical Care: A Meta-Analysis of Direct Comparisons. American Psychologist, 61(7) 671-689.
auch bei:• schweren Störungen• Minoritätenstatus
Meta-Analysen Traumatherapie für Kinder und Jugendliche
Autoren Primärstudien Outcome ES
Trask et al. 2011Agress Viol Behav 16:6-19
35 psychosoz. Interventionsstudien, Opfer sex. Missbrauchs
PTSD Sympt.
Extern. Sympt.
Intern. Sympt.
0.50-
0.80
Kowalik et al. 2011 J Behav Ther Exp Psychiatry 42:405-413
8 RCTs CBT for pediatric PTSD
CBCL global
CBCL INT
CBCL EXT
0.33
0.31
0.19
Rolfsnes & Idsoe2011 J Traum Stress 24:155-165
19 schulbasierte Interventionsstudien (16 CBT)
PTSD Sympt. 0.68
Macdonald et al. 2012 Cochrane Review
10 CBT-Studien (N=874) Opfer sex. Missbrauchs
PTSD
Anxiety
0.44
0.23
Traumatherapie: Was ist evidenzbasiert?
• Child-Parent-Psychotherapy (Lieberman & van Horn 2008)
• Cognitive Behavioral Interventions for Trauma in Schools CBITS(Jaycox 2003)
• Cognitive Behavioral Therapy for PTSD (Smith et al. 2007)
• Narrative Exposure Therapy KIDNET (Ruf et al. 2010)
• Structured Psychotherapy for Adolescents Responding toChronic Stress SPARCS (Kaplan et al. 2005)
• Trauma-focused Cognitive Behavioral Therapy Tf-CBT (Cohen, Mannarino & Deblinger 2006)
• Support for Students Exposed to Trauma SSET (Jaycox et al. 2006)
• UCLA Trauma Grief Component Treatment TGCT (Layne et al. 2008)
• Prolonged Exposure Therapy for Adolescents PE-A (Foa et al. 2013)
Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (Tf-KVT)
J. Cohen, A. Mannarino, E. Deblinger
http://tfcbt.musc.edu
Tf-KVT: Ziele
weniger Angst und Vermeidung bei traumatischen Erinnerungen
bessere Stressbewältigung Korrektur irrtümlicher und belastender
traumabezogener Gedanken Sicherheitsgefühl stärken Anstoßen künftiger Entwicklung
Trauma-fokussierte kognitive Verhaltenstherapie(Cohen, Deblinger & Mannarino 2006, dtsch. 2009)
Wchtl. 90 Min. unter Einbezug einer nicht misshandelnden Bezugsperson
Komponenten:1. Psychoedukation* & Elternfertigkeiten
2. Entspannung*
3. Ausdruck und Modulation von Affekten
4. Kognitive Verarbeitung und Bewältigung
5. Trauma-Narrativ*
6. Kognitive Verarbeitung und Bewältigung II
7. In vivo Bewältigung von traumatischen Erinnerungen
8. Gemeinsame Eltern-Kind Sitzungen
9. Förderung künftiger Sicherheit und Entwicklung______________________________________________* Hauptwirkkomponenten evidenzbasierter Traumatherapie Dorsey et al. (2011) Child Adolesc Psychiatr Clin N Am 20:255-269
MULTIZENTRISCHE
RCT-STUDIE ZUR TF-KVT
Therapiestudie TreatChildTrauma (TCT): Hypothesen/Fragestellungen
1. Tf-KVT (12 Sitzungen) ist wirksamer als keine Therapie (Warteliste)
2. Der Therapieerfolg bleibt über 6-12 Monate stabil
3. Identifikation von Moderatoren und Mediatoren des Therapieerfolgs
TreatChildTrauma: 2012-2015
Studiendesign:
TCT: Studienzentren
• Berlin
TCT: Einschlusskriterien
• Alter 7-16 J. • traumatische(s) Lebensereignis(se) ab 4 Lj.,
>3 Mon. zurückliegend• Klinisch relevante Stress-Symptomatik:
RW >35 IBS-KJ Gesamtsymptomwert• PTBS im Vordergrund der Psychopathologie• Pat. lebt in Sicherheit• nicht-misshandelnde Bezugsperson
teilnahmebereit und hinreichend psychisch stabil
TCT: Zielgrößen
Primär:• PTBS Symptomatik
Sekundär:
• Komorbide Psychopathologie• Dysfunktionale traumabezogene Gedanken• Psychosoziales Funktionsniveau • Lebensqualität • Psychopathologie der Bezugsperson
TCT CONSORT Diagramm
Screening N=1014
T 1 Baseline assessmentN=344
Included & randomizedN=159
treatment n=76 waitlist n=83
mid-treatment n=66
posttreatment n=62
6-months FU n=49
mid-waitlist n=74
end of waitlist n=73
12months FU n=38
Lost(cum.):
n=9
n=10
Lost(cum.):
n=10
n=14
n=16
n=18
Excluded: n=185not eligible: n=107
declined: n= 13other reason: n=17
unknown: n=48
T 2
T 3
TCT Stichprobe (N=159)
Variable:Tf-KVT(n=76)
Kontrollgruppe(n=83)
Alter M (SD)Spanne
12.96 (2.8)6 - 17
13.08 (2.8)7 - 17
Weibl. n (%) 53 (69.7) 61 (73.5) Lebensumstände: n(%)
mit beiden Elternmit einem Elternteil
fremdplatziert anders
22 (28.9)38 (50.0)8 (10.5)4 (5.3)
14 (16.9)40 (48.2)10 (12.0)9 (10.8)
Medikation n (%) 27 (35.5) 35 (42.2)Teilnehmende Bezugsperson
leibl. Eltern n=58 PE/Erzieher n=16andere n= 2
k.A.
alle Gruppenvergleiche n.s.
TCT: Index‐Traumatypen
25
27
12
93
sex. Gewalt körperl. GewaltTod nahest. Person anderenicht zuzordnen
Therapiegruppe (n=76)
32
29
9
94
sex. Gewalt körperl. GewaltTod nahest. Person anderenicht zuzordnen
Kontrollgruppe (n=83)
l1
Folie 24
l1 lutz.goldbeck; 21.02.2015
Ergebnisse: Primäre Zielgröße IBS-KJ
d1 = .88, d2 = 1.51, d3 = .50 F(1) = 12.30p = .001
0
10
20
30
40
50
60
70
T1 T3
CAPS
‐CA‐Ra
w‐Score
CAPS‐CA
Waiting group (n=83) Tf‐CBT group (n=76) 95% KI
Ergebnisse: psychosoziales Funktionsniveau
d1 = .17, d2 = .79, d3 = .47 F(1) = 10.50p = .001
50,00
55,00
60,00
65,00
70,00
T1 T3
C‐Gas‐Raw
‐Score
C‐GAS
Waiting group (n=80) Tf‐CBT group (n=70) 95% KI
Ergebnisse: PTBS Diagnosestatus
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
pre post
% PTSD Diagnosen (ICD-10)
Tf-CBT CG
Χ2=5.38p = .016
TCT: Prädiktoren des Therapieerfolgs
jüngeres Alter weniger komorbide Störungen
Variable B SE B β
Age -3.23 1.45 -.28**
Comorbid disorder -11.44 5.94 -.24*
Gender
Trauma type
Type of clinic
Therapist experience
R2 .134
F for change in R2 3.71*
Zusammenfassung TCT Studie
Überlegenheit von Tf-KVT vgl. mit KG:
Sign. weniger posttraumatische Stresssymptome Sign. weniger PTBS Diagnosen Sign. weniger dysfunktionale traumabez.
Gedanken Sign. weniger komorbide Symptome Sign. Besseres psychosoz. Funktionsniveau
TCT: Schlussfolgerungen
Tf-KVT ist im Rahmen deutscher KJP Versorgungsstrukturen wirksam…
… bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 7-17 Jahren mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher und z.T. komplexer Traumata
Warteeffekte belegen Notwendigkeit von Wiederholungsdiagnostik nach Wartezeiten
• Fallserie N=6 UMF‘s
• Manualisierte Tf-KVT
• Befragung der TherapeutInnen nach Herausforderungen
Courtesy Georg Pieper 2015
Fallbeispiel Ahmad*- 18jähriger Jugendlicher aus Afghanistan
- Mit seinem Bruder zusammen vor 2 1/2 Jahren geflohen
- Lebt in einem Apartment, Soz. päd. aus JHE dabei
- zu Beginn der Therapie Hauptschulabschluss bevorstehend
- Symptomatik: Wiedererleben in Form von Flashbacks und Alpträumen, dissoziative Symptome, massive Schlafstörungen, tägliche Kopf-, Brust-, Bein- und Rückenschmerzen, Muskelkrämpfe, Konzentrationsschwierigkeiten
- Traumatische Erlebnisse: jahrelange Bedrohung der Familie durch die Taliban, Vater wurde angeschossen, Flucht der Familie in den Iran, Überfall auf die Familie im Iran, Flucht nach Deutschland
* Name geändert
Fallbeispiel Ahmad: Besonderheiten Traumatherapie
- Psychoedukation Zshg. Anspannung – Schmerzen- Muskelkrämpfe
- Entspannungsübung am Anfang und Ende jeder Therapiesitzung (PMR)
- Dissoziative Symptomatik: Erarbeitung und Einüben von Strategien (scharfes Bonbon/Kaugummi und Kälte)
- Schlafhygieneregeln, richtiges Wachwerden nach einem Alptraum
- Traumanarrativ: zweisprachig
- Exposition/Habituation: brauchte sehr viel Zeit, Exposition im Umhergehen zur Vermeidung dissoziativer Symptome
Fallbeispiel Ahmad: Zweisprachiges Traumanarrativ
Traumanarrativ Ahmad: Schlimmster Moment
„…Ein Polizist ist zu uns gekommen und hat zu uns gesagt, wir sollen mit ihm mitkommen. Ich wusste nicht, wohin. Ich hatte sehr viel Angst und hab gedacht, vielleicht ist der Polizist böse und nimmt uns mit. Meine Mama hat viel geweint. Wir sind dann ins Krankenhaus gefahren. Ich hab meinen Vater gesehen, seine Kleider waren voller Blut. […]Mein Vater hatte eine Kugel im Bauch und eine im Bein. Er musste operiert werden. Drei Tage war er in Lebensgefahr. Nach zwei oder drei Wochen wurde er in ein anderes Zimmer gebracht. Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass sie uns alle töten. Und dass mein Vater stirbt. Drei Tage lang konnte ich nicht sprechen…“
Fallbeispiel Ahmad: Am Ende der Therapie…
… konnte Ahmad wieder mehrere Stunden am Stück schlafen.
… hatte er nur noch selten (ein bis zweimal im Monat) Alpträume.
… hatte er so gut wie keine Flashbacks mehr.
… kam es nicht mehr zu dissoziativen Symptomen.
… hatte Ahmad an den meisten Tagen keine Schmerzen.
… konnte er seiner Therapeutin und seinem Betreuer sein Traumanarrativ vorlesen.
… wurde er traurig und ängstlich bei Erinnerungen an früher, konnte sich aber selber sehr gut regulieren.
… war ihm bewusst, dass er in Deutschland in Sicherheit ist.
… hatte Ahmad einen sehr guten Hauptschulabschluss gemacht, eine Ausbildung begonnen - und plante bereits weiter bis zum Maschinenbaustudium!
WIE SOLLTEN WIR MINDERJÄHRIGE
FLÜCHTLINGETRAUMATHERAPEUTISCH
VERSORGEN?
Fragen
• Wann sollten wir behandeln (wie früh)?• Wen sollen wir behandeln? • Wer sollte behandeln? • Wie können wir evidenzbasierte Traumatherapien wie z.B.
Tf-KVT ohne Wirkungsverlust in der Versorgungspraxis implementieren?
• Wie können wir mit der Sprachbarriere umgehen?• Wie können wir die begrenzten Ressourcen
(Therapieplätze) am besten nutzen?• …
Fragen + Antworten
• Wann sollten wir behandeln? So früh wie möglich!• Wen sollen wir behandeln? Ki. und Jgdl. mit klinisch
relevanter PTBS (=Diagnose)!• Wer sollte behandeln? Approbierte Psychotherapeuten!• Wie können wir mit der Sprachbarriere umgehen?
Dolmetscher einbeziehen!• Wie können wir die begrenzten Ressourcen
(Therapieplätze) am besten nutzen? Durch selektive (indizierte) klinische Vorstellung (Screening)! Und durch gute außerklinische Versorgung!
Outcome
Evaluation
Versorgungsmodell: Traumapädagogik + Traumatherapie
Resiliente Kinder und Jugendliche
Trauma-therapie
TraumapädagogikFrgl.
Therapiebedarf
Trauma
SCREENING Klinische
Diagnostik
Vorschlag: TraumapädagogischesInterventionsprogramm für minderjährige Flüchtlinge
• Wen? UMFs und begleitete Flüchtlingskinder mit milder-moderater posttraumatischer Stress-Symptomatik (Screening-Befund)
• Wo? In Schulen (Ausländerintegrationsklassen) und Jugendhilfeeinrichtungen
• Wie? Entspannungstraining (Bauchatmung) + Pädagogisch begleitetes Traumanarrativ (manualisiert, in Gruppen)
• Wer? Lehrer und (Sozial-)Pädagogenmit intensiver Supervision durch erfahrene Kliniker (KJP)
• Wann? Sobald wie möglich!
Courtesy Georg Pieper, 2015
Kooperations-Interesse Projekt Traumapädagogik für junge Flüchtlinge?
• Bitte heute unverbindlich auf Kontaktliste eintragen!
• Kontakt / Rückfragen: