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Fall GbR Untreue Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und Steuerrecht Juristische Fakultät Wintersemester 2019/2020 Prof. Dr. Tilman Bezzenberger Dipl.-Jur. Jakobus Fabini Verspielte Mandantengelder(Übungsfall zum Gesellschaftsrecht) A, B und C sind Rechtsanwälte und betreiben zur gemeinsamen Berufsausübung eine An- waltssozietät in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). A, B und C nehmen zu gleichen Teilen am Gewinn teil. Der wirksame Sozietätsvertrag verweist in vollem Umfang auf die gesetzlichen Vorschriften und enthält keine besonderen Regelungen. M beauftragt und bevollmächtigt die gesamte Anwaltssozietät mit der Wahrnehmung seiner Interessen gegen- über X, der dem M aus einem fälligen Darlehen 100.000 € schuldet. Die Anwaltssozietät nimmt das Mandat an. Die Betreuung des Mandats innerhalb der Anwaltssozietät übernimmt C. Diesem gelingt es schließlich, den X in langwierigen Vergleichsverhandlungen zur Zah- lung von 60.000 € zu bewegen. Den Betrag zahlt X auf Weisung des C nicht auf das Ge- schäftskonto der Anwaltssozietät, sondern auf das Privatkonto des C. Dieser hebt den Betrag nach Zahlungseingang ab, um damit im Spielcasino sein Glück zu versuchen. Erst als M von der Anwaltssozietät die Auszahlung des Betrags verlangt, fliegt die Sache auf. A, B und M erfahren, dass X das Geld weisungsgemäß auf das Privatkonto des C überwiesen hatte und C dies im örtlichen Spielcasino vollständig „verzockt“ hat. Über eigenes nennenswertes Vermö- gen verfügt C nicht, und er wäre wirtschaftlich auch nicht in der Lage, etwaige gegen ihn ge- richtete Forderungen zu begleichen. Frage 1: a) Hat M gegen die Anwaltssozietät einen Zahlungsanspruch in Höhe von 60.000 €? b) Da M weiß, dass B über ein großes Privatvermögen verfügt, möchte er wissen, ob er dane- ben auch B wegen des veruntreuten Geldes persönlich in Anspruch nehmen kann. B bestreitet einen Anspruch des M mit der Begründung, dass weder er noch A von dem Verhalten des C gewusst haben, was in tatsächlicher Hinsicht zutrifft. Anzeichen für das Fehlverhalten des C waren gleichfalls für A und B nicht erkennbar. Frage 2: Unterstellt M hat einen Anspruch gegen B auf Zahlung der 60.000 €, kann B dann ganz oder teilweise Erstattung von der Sozietät und/oder von A verlangen, wenn er den Betrag an M gezahlt hat?

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Fall GbR Untreue

Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und Steuerrecht

Juristische Fakultät Wintersemester 2019/2020

Prof. Dr. Tilman Bezzenberger

Dipl.-Jur. Jakobus Fabini

„Verspielte Mandantengelder“

(Übungsfall zum Gesellschaftsrecht)

A, B und C sind Rechtsanwälte und betreiben zur gemeinsamen Berufsausübung eine An-

waltssozietät in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). A, B und C nehmen zu

gleichen Teilen am Gewinn teil. Der wirksame Sozietätsvertrag verweist in vollem Umfang

auf die gesetzlichen Vorschriften und enthält keine besonderen Regelungen. M beauftragt und

bevollmächtigt die gesamte Anwaltssozietät mit der Wahrnehmung seiner Interessen gegen-

über X, der dem M aus einem fälligen Darlehen 100.000 € schuldet. Die Anwaltssozietät

nimmt das Mandat an. Die Betreuung des Mandats innerhalb der Anwaltssozietät übernimmt

C. Diesem gelingt es schließlich, den X in langwierigen Vergleichsverhandlungen zur Zah-

lung von 60.000 € zu bewegen. Den Betrag zahlt X auf Weisung des C nicht auf das Ge-

schäftskonto der Anwaltssozietät, sondern auf das Privatkonto des C. Dieser hebt den Betrag

nach Zahlungseingang ab, um damit im Spielcasino sein Glück zu versuchen. Erst als M von

der Anwaltssozietät die Auszahlung des Betrags verlangt, fliegt die Sache auf. A, B und M

erfahren, dass X das Geld weisungsgemäß auf das Privatkonto des C überwiesen hatte und C

dies im örtlichen Spielcasino vollständig „verzockt“ hat. Über eigenes nennenswertes Vermö-

gen verfügt C nicht, und er wäre wirtschaftlich auch nicht in der Lage, etwaige gegen ihn ge-

richtete Forderungen zu begleichen.

Frage 1:

a) Hat M gegen die Anwaltssozietät einen Zahlungsanspruch in Höhe von 60.000 €?

b) Da M weiß, dass B über ein großes Privatvermögen verfügt, möchte er wissen, ob er dane-

ben auch B wegen des veruntreuten Geldes persönlich in Anspruch nehmen kann. B bestreitet

einen Anspruch des M mit der Begründung, dass weder er noch A von dem Verhalten des C

gewusst haben, was in tatsächlicher Hinsicht zutrifft. Anzeichen für das Fehlverhalten des C

waren gleichfalls für A und B nicht erkennbar.

Frage 2:

Unterstellt M hat einen Anspruch gegen B auf Zahlung der 60.000 €, kann B dann ganz oder

teilweise Erstattung von der Sozietät und/oder von A verlangen, wenn er den Betrag an M

gezahlt hat?

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Frage 3:

M möchte den in der Frage 1 genannten Anspruch gegen B in einem Prozess geltend machen.

Vor welchem Gericht kann er zulässiger Weise Klage erheben, wenn M seinen Wohnsitz in

Potsdam, die Sozietät ihren Kanzleisitz in Frankfurt (Oder) und B seinen Wohnsitz in Cottbus

hat. Dabei ist zu unterstellen, dass die genannten Orte jeweils über ein Amtsgericht und ein

Landgericht verfügen. Welche Möglichkeit hätte A in einem solchen Prozess zwischen M und

B, seine eigenen Interessen zu wahren?

Bearbeitervermerk:

Die Fragen sind in einem umfassenden Gutachten zu beantworten, in dem ggf. hilfsgutachter-

lich auf die im Sachverhalt angesprochenen Fragestellungen einzugehen ist.

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Lösungshinweise zum Gesellschaftsrechtsfall „Verspielte Mandantengelder“

Der Aufgabentext der Klausur und auch der nachfolgende Lösungsvermerk stammen aus dem

staatlichen Teil der Ersten Juristischen Prüfung Berlin/Brandenburg vom Herbst 2010 und

sind im Folgenden fast wörtlich wiedergegeben. Besonders hervorgehoben zu werden ver-

dient bei dieser Gelegenheit der folgende standardmäßige Hinweis des Justizprüfungsamts:

"Dieser Vermerk ist … keine Musterlösung, sondern soll – ohne Anspruch auf Vollständigkeit –

auf die Hauptprobleme des Falles hinweisen. Der Vermerk ist für die Prüfer unverbindlich."

Problemschwerpunkte:

Ansprüche des Mandanten bei Veruntreuung durch Rechtsanwalt

Ansprüche aus anwaltlicher Geschäftsbesorgung

Haftung der RA-Sozietät für deliktisches Verhalten eines Rechtsanwalts

Haftung eines Sozius für deliktisches Verhalten eines anderen

Gesamtschuldnerausgleich

Gerichtliche Zuständigkeit bei unerlaubter Handlung

Streitbeitritt

Frage 1: Ansprüche des M1

A. Ansprüche gegen die Rechtsanwalts-Sozietät

I. Vertragliche und vertragsähnliche Ansprüche

1. §§ 675 Abs. 1, 667 BGB

a. Geschäftsbesorgungsvertrag

M und die GbR haben nach den Vorgaben des Sachverhalts einen Anwaltsvertrag abgeschlos-

sen. Dieser ist als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter gemäß §§ 675,

611 BGB zu qualifizieren2. Es wäre denkbar, dass die RA-Sozietät durch die Überweisung der

1 Die erste Frage befasst sich mit diversen Fragen der vertraglichen und deliktischen Haftung einer als GbR or-

ganisierten Rechtsanwaltssozietät. Die Behandlung der dabei auftretenden Probleme ist in der Literatur und

Rechtsprechung über weite Strecken immer noch umstritten, weshalb mit entsprechender Argumentation, die

jeweils begründeten Auffassungen stets vertretbar sein dürften. 2 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 675 Rn. 23.

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60.000 € auf das Konto des C etwas aus der anwaltlichen Geschäftsbesorgung erlangt hat.

aa) Dann müsste die Sozietät zunächst selbst Rechtsinhaberin geworden sein. Eine Anwalts-

sozietät ist grundsätzlich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) soweit die Rechtsan-

wälte nichts anderes vereinbart haben3. Hier ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass die Sozietät

als GbR ausgestaltet ist. Der Gesellschaftsvertrag zwischen den Gesellschaftern ist wirksam.

A, B und C haben sich gem. §§ 705 ff. BGB über einen gemeinsamen Gesellschaftszweck,

nämlich die gemeinsame Berufsausübung und den Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei geei-

nigt, wozu jeder seinen Beitrag leisten soll. Unproblematisch haben die Gesellschafter der

Aufnahme des Geschäftsbetriebs zugestimmt. Sie sind bereits für die GbR tätig geworden

(vorbereitende Geschäfte sind dafür ausreichend, z.B. Miete von Geschäftsräumen, Einstel-

lung von Personal, Eröffnung eines Bankkontos).

Die RA-Sozietät ist auch rechtsfähig. In Rechtsprechung und Literatur ist mittlerweile aner-

kannt, dass eine analoge Anwendung des § 124 HGB auf die GbR4 den Erfordernissen der

Rechtspraxis entspricht. Die GbR besitzt daher Rechtsfähigkeit, soweit sie als Außengesell-

schaft durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet5.

Anmerkung: Ausführungen zur früheren individualistischen Theorie (fehlende Rechts-

fähigkeit der GbR) sind nicht mehr erforderlich. Rechtsprechung und Literatur haben

diese nach dem o.g. Grundsatzurteil des BGH zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR

aufgegeben.

bb) Aus der Geschäftsbesorgung erlangt sind alle Sachen und Rechte, die der Beauftragte

aufgrund eines inneren Zusammenhangs mit der Führung des Geschäfts und nicht nur bei Ge-

legenheit erhält6. X hat den Geldbetrag in Höhe von 60.000 € auf das Privatkonto des C

überwiesen und nicht auf das Geschäftskonto der Anwaltssozietät. Die GbR war demnach zu

keinem Zeitpunkt Inhaber des Anspruchs gegen die kontoführende Bank auf Auszahlung des

gutgeschriebenen Betrags. C war als Privatperson und nicht in seiner Stellung als Gesellschaf-

ter der GbR Kontoinhaber. Somit hat die GbR nicht etwas „aus der Geschäftsbesorgung er-

langt“. Daher scheidet nach der hier vertretenen Auffassung ein Anspruch des M gegen die

Anwaltssozietät gemäß §§ 675 Abs. 1, 667 BGB aus.

3 St. Rspr. vgl. etwa BGH NJW 2007, 2492 m.w.N. 4 Vgl. MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 303. 5 BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; BGHZ 149, 80 = NJW 2002, 368; BGH NJW 2002, 1207; BGH NJW

2008, 1378; Palandt/Sprau, 76. Aufl. 2017, § 705 Rn. 24; eingehend MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 705

Rn. 296 ff., 303 ff. 6 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 667 Rn. 11 m.w.N.; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 667 Rn. 3.

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b. hilfsweise: Vorhandensein des Erlangten?

Die Bearbeiter, die in der Überweisung auf das Privatkonto des C mit entsprechender Be-

gründung dennoch einen Vorteil sehen, den die GbR „aus der Geschäftsbesorgung erlangt“

hat, müssen erörtern, ob dieses Erlangte noch vorhanden ist. Schuldet der Beauftragte Geld

(als Geldwert-, Geldsummenschuld, nicht als Geldstückschuld), haftet er dem Auftraggeber

grundsätzlich weder nach § 667 BGB noch verschuldensunabhängig, sondern nach den all-

gemeinen Regeln der §§ 280 ff. BGB im Fall einer von ihm zu vertretenden Pflichtverlet-

zung7. So hat der Beauftragte anders als bei einer „normalen“ Geldschuld gerade nicht das

Beschaffungsrisiko i.S. von § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB zu tragen8. Er ist lediglich Durchgangs-

stelle für die zu seinen Händen geleisteten, aber für Rechnung des Auftraggebers entgegenge-

nommenen Zahlungen, die er an den Auftraggeber weiterzuleiten hat, ohne sein eigenes Ver-

mögen in Anspruch zu nehmen. Daher trifft allein den Auftraggeber und nicht den Beauftrag-

ten die Gefahr, dass der Leistungsgegenstand ohne dessen Verschulden untergeht9. Der er-

langte Geldbetrag ist im Innenverhältnis der Parteien bereits der Vermögens- und Risikosphä-

re des Auftraggebers zuzurechen10. Folglich müssen die Bearbeiter, die annehmen, die Zah-

lung auf das Privatkonto des C führe dazu, dass die Anwaltssozietät den überwiesenen Betrag

erlangt hat, bereits an dieser Stelle prüfen, ob der GbR das Handeln ihres Gesellschafters C

über § 31 BGB analog oder § 278 BGB als pflichtwidriges Verhalten zuzurechnen ist (siehe

sogleich unten bei der Prüfung §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB). Bei einer zweckwid-

rigen Verwendung des empfangenen Geldes bejaht der BGH dagegen eine Anwendung des

§ 667 BGB11.

Anmerkung: Mit entsprechender Begründung dürfte auch argumentiert werden kön-

nen, dass in solchen Fällen nicht der auftragsrechtliche Herausgabeanspruch sondern

allein ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 ff. BGB in Frage kommt.

Ob in der Abhebung des überwiesenen Geldes durch C eine zweckwidrige Verwendung durch

den Beauftragten, sprich die Anwaltssozietät, zu sehen ist, beurteilt sich ebenfalls nach § 31

BGB analog bzw. § 278 BGB. Daher haben sich die Bearbeiter stets damit auseinanderzuset-

zen, ob der GbR das deliktische Handeln eines ihrer Gesellschafter zuzurechnen ist (so auch

das Urteil in BGHZ 172, 169, an das sich der Klausursachverhalt anlehnt).

7 BGH NJW 2006, 986, 987; MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 667 Rn. 14; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl.

2017, § 667 Rn. 7; Soergel/Beuthien, BGB, 12. Aufl. 2000, § 667 Rn. 18; siehe auch Staudinger/Martinek, BGB,

2006, § 667 Rn. 10, wonach der Anspruch auf Herausgabe des aus der Geschäftsbesorgung Erlangten grundsätz-

lich gegenständlich-objektiv und nicht lediglich wertmäßig-vermögensbezogen ausgerichtet ist; kritisch Er-

man/Ehmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 667 Rn. 15. 8 BGHZ 143, 373, 379 = NJW 2000, 1496; BGH NJW 2006, 986, 987. 9 BGHZ 28, 123, 128; BGH NJW 2006, 986, 987; BGH NJW 2005, 3709. 10 BGH NJW 2005, 3709; BGHZ 28, 123; Staudinger/Martinek, BGB, 2006, § 667 Rn. 22. 11 BGH NZG 2003, 215; siehe auch BGH NJW 2006, 986, 987.

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2. §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 BGB analog bzw. § 278 BGB

a. Schuldverhältnis zwischen M und der Anwaltssozietät

M und die GbR haben nach den Vorgaben des Sachverhalts einen Anwaltsvertrag abgeschlos-

sen (s.o.).

b. Zurechenbare Pflichtverletzung, § 241 Abs. 2 BGB

Fraglich ist, ob die GbR eine Pflichtverletzung begangen hat. Eine Pflichtverletzung kommt

hier nur durch das individuelle Verhalten des C in Betracht, der den X dazu veranlasst hat, das

M geschuldete Geld auf sein Privatkonto zu überweisen, und dieses dann im Spielcasino ver-

spielte. Ein solches Verhalten stellt eine vertragliche Pflichtverletzung dar, denn der sich so

verhaltende Rechtsanwalt verstößt dadurch in besonderem Maße gegen die Verpflichtungen

aus dem Mandatsverhältnis.

Die Pflichtverletzung des C müsste der GbR zuzurechnen sein. Spätestens an dieser Stelle ist

daher zu problematisieren, ob hier eine Zurechnung gem. § 31 BGB analog in Betracht

kommt. Die Bearbeiter sollten dabei erkennen, dass § 31 BGB eine Zurechnungsnorm und

keine Anspruchsgrundlage ist.

aa) Die herrschende Meinung bejaht hier eine analoge Anwendung des § 31 BGB12: Auf-

grund der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR gem. § 124 HGB analog habe diese in entspre-

chender Anwendung des § 31 BGB auch für das vertragswidrige Handeln ihrer Gesellschafter

einzustehen. Dies gebiete vor allem der Gleichlauf zwischen OHG und GbR.

Wer der herrschenden Auffassung folgt, müsste nunmehr prüfen, ob C ein „verfassungsmäßig

berufener Vertreter der GbR i.S.v. § 31 BGB ist, der „in Ausübung der ihm zustehenden Ver-

richtung“ gehandelt hat:

i) Die Organhaftung nach § 31 BGB knüpft nicht an die Vertretungsmacht an. Vielmehr fasst

die Rechtsprechung den Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ weiter, so dass

nicht nur der geschäftsführende Gesellschafter hierunter fällt. Daher ist jede Person, der für

die Gesellschaft wesensmäßige Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfül-

lung zugewiesen sind, so dass sie die Gesellschaft im Rechtsverkehr repräsentiert, „verfas-

12 Vgl. BGHZ 154, 88 = NJW 2003, 1445; BGHZ 172, 169 = NJW 2007, 2492; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl.

2017, § 714 Rn. 6; Soergel/Hadding, BGB, 12. Aufl. 2007, § 718 Rn. 22; Staudinger/Weick, BGB, 2005, § 31

Rn. 45.

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sungsmäßig berufener Vertreter“ der Gesellschaft13.

ii) C hat „in Ausübung der ihm zustehenden Verrichtung“ gehandelt, da zwischen seinem

anwaltlichen Aufgabenkreis und schädigender (tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher) Hand-

lung ein sachlicher, nicht bloß zufälliger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang besteht14.

Selbst eine vorsätzliche unerlaubte Handlung ist von § 31 BGB erfasst15. Danach wäre auch

dieses Tatbestandsmerkmal durch die Geldabhebung erfüllt.

Das Vertretenmüssen wird ebenfalls über § 31 BGB analog zugerechnet Nach h.M. hat die

GbR an M mithin einen Schadensersatz in Höhe von 60.000 € zu zahlen.

bb) Die Gegenauffassung lehnt eine entsprechende Anwendung des § 31 BGB ab und be-

gründet eine Zurechnung über § 278 BGB16. Zu den Erfüllungsgehilfen zählen nach dieser

Auffassung nicht nur die Angestellten der Gesellschaft, sondern auch ihre Organe. Für das

Eingreifen von § 278 BGB komme es anders als bei § 831 BGB auf eine Weisungsabhängig-

keit des Erfüllungsgehilfen nicht an. Wegen einer fehlenden planwidrigen Regelungslücke

brauche daher auf die vereinsrechtliche Organhaftung nicht zurückgegriffen werden. Das Ver-

tretenmüssen wird nach dieser Auffassung ebenfalls nach § 278 BGB zugerechnet.

Im Ergebnis führt daher auch diese Auffassung zu einer Haftung der Sozietät in voller Höhe.

Anmerkung: Mit entsprechender Begründung dürften hier beide Auffassungen vertretbar sein.

II. Deliktische Ansprüche

Denkbar ist zudem, dass neben der vertraglichen Haftung der Sozietät auch eine deliktische

Haftung gem. §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB oder gem. § 826 BGB in

Betracht kommt. Dann müsste C neben seiner vertraglichen Pflichtverletzung zunächst auch

die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 823 und 826 BGB erfüllt haben.

1. § 823 Abs. 1 BGB

Ein deliktischer Anspruch i.S. des § 823 Abs. 1 BGB scheitert schon daran, dass das Vermö-

gen kein geschütztes Rechtsgut im Sinne dieser Norm ist. Andere geschützte Rechtsgüter des

13 BGHZ 154, 88, 93 = NJW 2003, 1445; BGHZ 172, 169 Rn. 16 = NJW 2007, 2490; PWW/Schöpflin, BGB,

5. Aufl. 2010, § 31 Rn. 3. 14 BGHZ 49, 19, 23; BGHZ 98, 148 = NJW 1986, 2941; PWW/Schöpflin, BGB, 5. Aufl. 2010, § 31 Rn. 8 f. 15 BGHZ 49, 19, 23; BGHZ 98, 148, 151 f. = NJW 1986, 2941; Staudinger/Weick, BGB, 2005, § 31 Rn. 39. 16 Vgl. MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 5. Aufl. 2009, § 718 Rn. 30 m.w.N.; Erman/H.P. Westermann, BGB,

12. Aufl. 2008, § 718 Rn. 8.

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§ 823 Abs. 1 BGB sind nicht betroffen.

2. § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB i.V. m. § 31 BGB analog

a) Schutzgesetz

§ 266 StGB ist als Schutzgesetz gem. § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren. Gesetz im Rahmen

des § 823 Abs. 2 BGB ist nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn, sondern jede Rechtsnorm

(Art. 2 EGBGB). Die Norm muss Befehlqualität haben und den Individualschutz bezwecken,

was bei § 266 StGB beides unproblematisch gegeben ist. M gehört als Verletzter auch zum

Kreis der Personen, deren Schutz die Norm bezweckt17.

b) Schutzgesetzverletzung

Der C dürfte hier den Treubruchtatbestand (§ 266 Abs. 1 2. Alt. StGB) erfüllt haben.

aa) Ihm oblag als Rechtsanwalt des M eine besondere Vermögensbetreuungspflicht als

Hauptpflicht gegenüber seinem Mandanten M. Eine solche Vermögensbetreuungspflicht ist

zu bejahen, wenn der Täter eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung zu dem fremden

Vermögen hat, welche über allgemeine vertragliche Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten

ebenso wie über eine allein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit deutlich hinausgeht

(fremdnützige Vermögensfürsorge)18. Der Rechtsanwalt, der für seinen Mandanten vereinba-

rungsgemäß das Inkasso übernimmt, hat gegenüber diesem im Zivilprozess oder vermögens-

rechtlichen Rechtstreit hinsichtlich Anspruchsverfolgung und Weiterleitung eingegangener

Zahlungen eine solche Vermögensbetreuungspflicht19.

bb) Durch die Weisung des C an X, den Betrag in Höhe von 60.000 € auf das Privatkonto zu

zahlen, spätestens aber mit dem Abheben und Verspielen des Geldes, hat C seine Treupflicht

gegenüber M verletzt.

cc) Durch die Verletzung muss ein Vermögensnachteil im Vermögen des M entstanden sein.

Dies könnte deshalb problematisch sein, weil der M auch dann, wenn X den Betrag auf das

Anderkonto der Sozietät überwiesen hätte, gleichermaßen nur ein Herausgabeanspruch beste-

hen würde. Ein solcher Anspruch besteht hier indessen nicht (s.o.). Ein etwaiger Schadenser-

satzanspruch gegen C ist aufgrund dessen Vermögenslosigkeit kein Äquivalent.

17 Vgl. Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rn. 58. 18 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 266 Rn. 11; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006,

§ 266 Rn. 23 ff. 19 Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006, § 266 Rn. 23; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007,

§ 266 Rn. 13 m.w.N.; siehe auch BGH NJW 1983, 461.

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dd) Die Rechtswidrigkeit wird durch die Verletzung des Schutzgesetzes begründet20.

ee) Der Verschuldensgrad richtet sich grundsätzlich nach dem subjektiven Tatbestand des

Schutzgesetzes21. Hier ist also ein Vorsatz des C für § 266 StGB erforderlich. C handelte hier

mit direktem Vorsatz, da er sämtliche Umstände zur Tatbestandsverwirklichung kannte und

herbeiführen wollte.

c. Zurechnung des deliktischen Verhaltens

Das deliktische Verhalten des C dürfte der Sozietät nach § 31 BGB analog zuzurechnen sein.

Ebenso wie die OHG hat die GbR nicht nur für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkei-

ten, sondern auch für gesetzliche Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter zu haften. Während

die Gläubiger bei einer rechtsgeschäftlichen Haftungsbegründung sich ihren Schuldner aussu-

chen könnten, sei ihnen dies bei gesetzlichen Verbindlichkeiten nicht möglich. Da die GbR

aber unstreitig für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter einzu-

stehen habe (s.o.), müsse aus Gründen des Gläubigerschutzes dies erst recht für gesetzliche

Verbindlichkeiten gelten, so dass aufgrund der akzessorischen Haftung der Gesellschafter

gemäß § 128 HGB analog den Gläubigern auch das Privatvermögen der Gesellschafter zur

Verfügung steht.

Dies ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die Gesellschafter in der Regel auf Auswahl und

Tätigkeit der Mitgesellschafter als Organmitglieder entscheidenden Einfluss besitzen. Zudem

ist aus Gründen der Rechtssicherheit ein Gleichlauf zwischen OHG und GbR geboten. Ohne

jeden Publizitätsakt, insbesondere ohne Eintragung in das Handelsregister, kann sich eine

GbR in eine OHG umwandeln, sobald das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen nach

Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert

(§§ 1 Abs. 2, 105 Abs. 1 HGB). Ebenso kann eine OHG in umgekehrter Richtung zu einer

GbR werden. Dieses Problem wird noch dadurch verschärft, dass sich nur wertend und damit

für den Rechtsverkehr selten exakt beurteilen lässt, ob und wann das von der Gesellschaft

betriebene Unternehmen kaufmännische Einrichtungen erfordert.

Die Auffassung, die für vertragliche Ansprüche eine Zurechnung über § 278 begründen will,

wendet bei der deliktischen Zurechnung hier wohl auch § 31 BGB analog an22.

20 Zur Rechtswidrigkeitskonzeption des § 823 II BGB Soergel/Spickhof, BGB, 13. Aufl. 2005, § 823 Rn. 207;

zur Indizwirkung erfolgsbezogener Schutzgesetze BGHZ 122, 1, 6 = BGH NJW 1993, 1580, 1581. 21 BGHZ 46, 17, 21. 22 Vgl. MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 5. Aufl. 2009, § 718 Rn. 30, 31.

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Anmerkung: Mit entsprechender Begründung dürfte eine andere Auffassung aber vertretbar

sein.

d. Rechtsfolge

Die Sozietät schuldet gem. § 249 ff. BGB Schadensersatz, der sich hier auf den veruntreuten

Betrag von 60.000 € beläuft.

3. § 826 BGB i.V. m. § 31 BGB analog

a) Anwendbarkeit neben § 823 BGB

§ 826 BGB ist grundsätzlich in Anspruchskonkurrenz neben § 823 BGB anwendbar23. Aus-

nahmetatbestände sind hier nicht ersichtlich.

b) Anspruchsvoraussetzungen

Die Voraussetzungen des § 826 BGB dürften hier gegeben sein:

aa) In sittenwidriger Art und Weise hat C hier den bereits unter 2. festgestellten Schaden ver-

ursacht. Sittenwidrigkeit liegt beim Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und ge-

recht Denkenden vor. Maßstab ist die Vorstellung derjenigen Kreise, die von der fraglichen

Handlung betroffen sind. Die Sittenwidrigkeit kann sich aus dem verfolgten Zweck, der ver-

wendeten Mittel, der dabei zutage getretenen Gesinnung oder der Zweck-Mittel-Relation er-

geben24. Hier hat C zur Befriedigung seines Spieltriebes ein besonderes, ihm übertragenes

Vertrauensverhältnis in besonderem Maße missbraucht. Ein Rechtsanwalt unterliegt als Organ

der Rechtspflege (§ 1 BRAO), die zur Sicherung des staatlichen Gemeinwesens von funda-

mentaler Bedeutung ist, nicht nur einem Berufsethos. Vor allem ist er verpflichtet die Interes-

sen seiner Mandanten wahrzunehmen. Ein solches Verhalten, wie es C hier gezeigt hat, wi-

derspricht dem diametral und ist deshalb besonders verwerflich.

bb) C handelte auch vorsätzlich. Der Vorsatz bezieht sich hier auch auf diejenigen Tatum-

stände, die den Sittenverstoß begründen25, er braucht aber nicht die Sittenwidrigkeit als solche

umfassen, d.h. ein Bewusstsein des Täters, sittenwidrig zu handeln, ist nicht erforderlich26.

23 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 826 Rn. 2. 24 PWW/Schaub, BGB, 5. Aufl. 2010, § 826 Rn. 5. 25 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 826 Rn. 8; Sack NJW 2006, 945; siehe auch BGH NJW 2004, 3706,

3710. 26 PWW/Schaub, BGB, 5. Aufl. 2010, § 826 Rn. 6.

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cc) Die Zurechnung des Verhaltens des C erfolgt nach den gleichen Grundsätzen auch hier

über § 31 BGB analog. Im Ergebnis kann M daher auch auf diesem Wege Schadensersatz in

Höhe von 60.000 € gem. § 249 ff. BGB verlangen.

4. § 831 Abs. 1 BGB

Ein Anspruch gem. § 831 BGB scheitert daran, dass C nicht Verrichtungsgehilfe der GbR ist.

Verrichtungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn in dessen Interesse

tätig und weisungsabhängig ist27. Die Gesellschafter sind nicht weisungsgebunden und damit

keine Verrichtungsgehilfen der GbR28.

B. Anprüche des M gegen B

I. Vertragliche und vertragsähnliche Ansprüche i.V.m. § 128 HGB analog

Ein unmittelbares Schuldverhältnis zwischen B und M besteht nicht.

Fraglich ist aber, ob der B für die vertragliche Pflichtverletzung des C gegenüber M einzu-

stehen hat. Dies dürfte hier unproblematisch der Fall sein. Gem. § 128 HGB haften die Ge-

sellschafter einer OHG den Gläubigern der Gesellschaft gegenüber persönlich. Diese Vor-

schrift findet für die GbR nach der nunmehr einhelligen Auffassung jedenfalls dann ohne

Weiteres analoge Anwendung, soweit es sich um vertragliche Verpflichtungen der GbR han-

delt29. Darin manifestiert sich die haftungsrechtliche Folge der Rechtsfähigkeit der Außen-

GbR. Der M kann daher von B die Zahlung von 60.000 € verlangen.

II. Deliktische Ansprüche

1. Keine unerlaubte Handlung durch B

Deliktische Ansprüche gegen B aufgrund einer eigenen unerlaubten Handlung scheiden schon

deshalb aus, weil B keine Kenntnis von der Untreue des C hatte und dies für ihn auch nicht

erkennbar war.

27 Vgl. BGHZ 45, 311, 313 = NJW 1966, 1807. 28 Vgl. MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 718 Rn. 31. 29 MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 36.

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Fall GbR Untreue

12

2. § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB i.V. m. § 31 BGB analog i.V. m. § 128 HGB ana-

log

a. Analoge Anwendung des § 128 HGB

Fraglich ist zunächst, ob sich die Haftung eines Gesellschafters der GbR auch auf deliktische

Verbindlichkeiten bezieht. Dies ist in der Wissenschaft und Literatur umstritten:

aa) Rechtsprechung und wohl h. L.30 gehen zunächst vom Wortlaut des § 128 HGB aus, der

nicht zwischen rechtsgeschäftlichen und deliktischen Verbindlichkeiten unterscheidet. Sinn

und Zweck dieser persönlichen Haftung der OHG-Gesellschafter für ein fremdes Delikt sei

der Ausgleich für die fehlende Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsregeln in der OHG.

Daher solle dem Geschädigten das Privatvermögen der Gesellschafter als Haftungsmasse zur

Verfügung stehen. Dies gelte umso mehr, da der deliktische Gläubiger sich anders als bei ver-

traglichen Verbindlichkeiten seinen Schuldner nicht aussuchen könne. Diese Überlegungen

treffen nach der h.M. auch auf die GbR zu. So sei der Übergang von einer OHG zu einer GbR

und umgekehrt anhand des Maßstabs des § 1 Abs. 2 HGB (Erfordernis eines in kaufmänni-

scher Weise eingerichteten Gewerbebetriebs) nur wertend festzustellen und daher fließend.

Die Rechtssicherheit erfordere deshalb eine Gleichbehandlung von OHG und GbR in der Haf-

tung der Gesellschafter. Zudem könnten die BGB-Gesellschafter auf Auswahl und Tätigkeit

der Organmitglieder in der Regel Einfluss nehmen und seien daher „näher dran“ als der Ge-

schädigte.

Wer eine akzessorische deliktische Haftung der Mitgesellschafter bejaht, wird angesichts der

zuvor mit den gleichen Argumenten bejahten Haftung der GbR für das Verhalten des C zu

einem Anspruch gelangen.

bb) Nach der Gegenauffassung31 trifft eine deliktische Haftung – abgesehen von § 31 BGB –

grundsätzlich nur Täter und Teilnehmer (§§ 823 ff., 830, 831 ff., 840 BGB). Für ein fremdes

Delikt des Mitgesellschafters hätten daher die übrigen Gesellschafter nicht einzustehen. Eine

analoge Anwendung des § 128 HGB auf die GbR scheide aus diesem Grund aus. Zudem wür-

den bereits die OHG-Gesellschafter nicht für deliktische Verbindlichkeiten haften, da § 128

HGB nur das Vertrauen Dritter in die Kreditwürdigkeit der Gesellschafter schützen wolle

(historische Auslegung). Ein solches Vertrauen komme nur bei rechtsgeschäftlichen Verbind-

lichkeiten in Betracht. Dem Argument der Rechtsprechung, der fließende Übergang zwischen

OHG und GbR gebiete eine analoge Anwendung des § 128 HGB, stehe überdies entgegen,

30 Vgl. BGHZ 172, 169 Rn. 23 ff. m.w.N. = NJW 2007, 2490 zur Haftung bei der Anwaltssozietät; BGHZ 154,

88, 95 = NJW 2003, 1445; MüKo/Ulmer/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 38; Palandt/Sprau, BGB,

76. Aufl. 2017, § 714 Rn. 12 f. 31 Vgl. Altmeppen, NJW 2003, 1553, 1554 ff.; Schäfer, ZIP 2003, 1225, 1227; Canaris, ZGR 2004, 69, 109 ff.

Page 13: Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und

Fall GbR Untreue

13

dass auch andere handelsspezifischen Vorschriften unstreitig nur auf die OHG und nicht auf

die GbR Anwendung finden.

Anmerkung: Mit entsprechender Begründung sind auch hier beide Auffassungen vertretbar.

b. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre ein deliktischer Anspruch des M gegen B daher

in Höhe von 60.000 € begründet.

3. § 826 BGB i.V. m. § 31 BGB analog i.V. m. § 128 HGB analog

Die Ausführungen zur abgeleiteten Deliktshaftung gelten gleichermaßen für die abgeleitete

vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des B gem. § 826 BGB. Änderungen bestehen auch

insoweit nicht.

C. Ergebnis

Nach der hier vertretenen Auffassung ergeben sich im Ergebnis folgende Ansprüche des M:

M hat gegen die RA-Sozietät einen Anspruch auf Zahlung von 60.000 € aus §§ 280 Abs.

1 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB und § 826 BGB,

jeweils in Verbindung mit § 31 BGB analog.

B ist in analoger Anwendung des § 128 HGB dem M gegenüber aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1,

241 Abs. 2 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266 StGB und § 826 BGB, jeweils in

Verbindung mit § 31 BGB analog zur Zahlung der 60.000 € verpflichtet.

Frage 2:

A. Ansprüche des B gegen die RA-Sozietät

I. §§ 713, 670 BGB

Denkbar ist zunächst ein Aufwendungsersatzanspruch des B für die Begleichung der Gesell-

schaftsschulden. Nach § 713 BGB bestimmen sich die Rechte und Pflichten der geschäftsfüh-

renden Gesellschafter einer GbR nach den für den Auftrag geltenden Vorschriften gem.

§§ 664 ff. BGB.

Page 14: Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und

Fall GbR Untreue

14

1. B als geschäftsführender Gesellschafter

Nach §§ 709, 710 BGB sind alle Gesellschafter gemeinschaftlich zur Geschäftsführung be-

rechtigt, soweit im Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung getroffen worden ist.

Für eine solche abweichende Vereinbarung bestehen keine Anhaltspunkte, so dass B ge-

schäftsführender Gesellschafter i.S. des § 713 BGB ist.

2. Erforderliche Aufwendungen, § 670 BGB

a. Der B müsste durch die Bezahlung der Forderung des M Aufwendungen für die GbR getä-

tigt haben. Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer des Beauftragten (hier des Ge-

sellschafters) im Interesse des Auftraggebers (hier der Gesellschaft)32. Die Aufwendungen

muss der Beauftragte zweckgerichtet im Hinblick auf das zu besorgende Geschäft erbracht

haben33. Zu den Aufwendungen eines Gesellschafters gehört insbesondere die Erfüllung von

Verbindlichkeiten der GbR gegenüber Dritten34. B hat durch die Zahlung der 60.000 € an M

ein freiwilliges Vermögensopfer im Interesse der GbR erbracht und somit Aufwendungen

zum Zwecke der Ausführung des Auftrags erbracht.

b. Die Aufwendungen dürften auch erforderlich gewesen sein. Erstattungsfähig sind grund-

sätzlich nur solche Aufwendungen, die der Geschäftsführer für erforderlich halten durfte35.

Die Erforderlichkeit beurteilt sich nach einem subjektiv-objektiven Maßstab. Entscheidend ist

die Situation des Beauftragten (hier des geschäftsführenden Gesellschafters) im Zeitpunkt der

Erbringung der Aufwendungen, und zwar vom Standpunkt eines nach verständigem Ermessen

Handelnden36. Nach der Vorgabe für Frage 2 hat M einen Anspruch gegen die GbR auf Zah-

lung der 60.000 €. Folglich durfte B seine Aufwendung auch für erforderlich halten.

Ein Anspruch des B gegen die RA-Sozietät ist damit begründet.

II. § 426 Abs. 1, 2 BGB

Ob neben dem Aufwendungsanspruch noch ein Anspruch aus einem Gesamtschuldverhältnis

gem. § 426 BGB in Betracht kommt, ist umstritten. § 426 BGB normiert die Ausgleichs-

pflicht unter Gesamtschuldnern. Gem. § 426 Abs. 1 BGB sind die Gesamtschuldner im Ver-

hältnis zueinander in gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Be-

32 Vgl. PWW/Fehrenbacher, BGB, 5. Aufl. 2010, § 670 Rn. 3; siehe auch Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl. 2016,

§ 110 Rn. 7. 33 PWW/Fehrenbacher, BGB, 5. Aufl. 2010, § 670 Rn. 4. 34 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 713 Rn. 10. 35 Vgl. Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 713 Rn. 10. 36 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 670 Rn. 22; PWW/Fehrenbacher, BGB, 5. Aufl. 2010, § 670 Rn. 5.

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Fall GbR Untreue

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friedigt einer der Gesamtschuldner den Gläubiger ganz oder teilweise, geht die Forderung des

Gläubigers gegen die übrigen Schuldner im Wege der cessio legis auf ihn über, § 426 Abs. 2

BGB.

1. Lösung nach BGH

Nach der Auffassung des BGH besteht im Haftungsverhältnis zwischen der Gesellschaft und

ihren Gesellschaftern zwar kein „echtes Gesamtschuldverhältnis“, so dass die §§ 420 ff. BGB

nicht unmittelbar gelten. Die Gesamtschuldregeln können jedoch entsprechend anwendbar

sein, wenn dies unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten des Einzelfalls ange-

messen ist37. Die GbR haftet danach „wie ein Gesamtschuldner“. Wer dieser Auffassung

folgt, dürfte einen gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruch des B gegen die RA-Sozietät

bejahen. Der Höhe nach dürfte dieser Anspruch sogar in vollem Umfang bestehen. Als Argu-

ment kann dafür angeführt werden, dass bei Bestehen der GbR ein Mitgesellschafter im In-

nenverhältnis der Gesellschaft nur subsidiär haftet, wenn also von der Gesellschaft selbst kei-

ne Erstattung zu erlangen ist38. Für den Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB würde

dies folgerichtig bedeuten, dass die Gesellschaft bei Befriedigung des Gläubigers durch einen

Gesellschafter erst Recht in vollem Umfang ausgleichspflichtig ist.

2. Lösung nach der Gegenauffassung

Nach der Gegenauffassung scheitert ein Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB daran, dass zwi-

schen B als Gesellschafter und der RA-Sozietät als GbR kein Gesamtschuldverhältnis bestehe

(fehlende Gleichstufigkeit)39. Angesichts der Regelung der §§ 713, 670 BGB bestehe für eine

entsprechende Anwendung des § 426 Abs. 1 BGB aber kein Raum40. Die Haftung der Gesell-

schafter sei vielmehr, was ihre Akzessorietät gegenüber der Gesellschaftsschuld angeht, dem

Verhältnis zwischen (selbstschuldnerischer) Bürgenhaftung und Hauptschuld nachgebildet.

Daraus folge die Unanwendbarkeit der §§ 422 ff. BGB im Verhältnis zwischen Gesellschaft

und Gesellschaftern. Wer dieser Auffassung folgt, dürfte einen gesamtschuldnerischen An-

spruch des B gegen die RA-Sozietät sowohl nach § 426 Abs. 1 als auch nach § 426 Abs. 2

BGB verneinen.

Anmerkung: Mit entsprechender Begründung sind hier beide Auffassungen gut vertretbar.

37 Vgl. BGHZ 146, 341, 358; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 714 Rn. 15. 38 BGH, NJW-RR 2002, 455; NJW-RR 2008, 258. 39 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 54; PWW/Ditfurth, BGB, 5. Aufl. 2010, § 714 Rn. 11. 40 So die Argumentation des BGH gegen eine entsprechende Anwendung des § 426 Abs. 2 BGB im Fall der

Zahlung des OHG-Gesellschafters für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft angesichts des § 110 HGB, BGHZ

39, 319, 323 f; siehe auch Hillmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2007, § 128 Rn. 21.

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Fall GbR Untreue

16

Besonders gute Kandidaten könnten noch an folgende Anspruchsprüfung denken, die jedoch

selbst von überdurchschnittlichen Prüflingen nicht erwartet werden kann:

III. § 774 Abs. 1 BGB analog i.V.m. Forderung des M gegen RA-Sozietät

Umstritten ist, ob § 774 Abs. 1 BGB auf die Zahlung einer Gesellschaftsverbindlichkeit durch

den Gesellschafter entsprechende Anwendung findet.

1. Rechtsprechung und wohl h.M.

Die Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums lehnen eine entsprechende Anwendung des

§ 774 Abs. 1 BGB zumindest für die OHG ab41. Da der BGH im Grundsatz die Regeln der

OHG auch auf die GbR anwendet, scheidet hiernach ein Anspruch des zahlenden Gesellschaf-

ters gegen die GbR gemäß § 774 Abs. 1 BGB analog i.V. m. der Forderung des Dritten gegen

die GbR aus.

2. Gegenauffassung

Die Gegenauffassung im Schrifttum leitet aus den §§ 774, 1143, 1225 BGB das allgemeine

Prinzip ab, dass die Hauptforderung auf den akzessorisch Haftenden übergehe, soweit dieser

den Gläubiger befriedigt habe42. Da der Gesellschafter einer GbR akzessorisch (über § 128

HGB analog) für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft hafte, gehe mit Zahlung die zugrunde

liegende Hauptforderung des Dritten gegen die GbR auf die zahlenden Gesellschafter über.

Anmerkung: Angesichts der Regelung der §§ 713, 670 BGB besteht für eine entsprechende

Anwendung des § 774 Abs. 1 BGB kein Raum, soweit es wie hier um einen Erstattungsan-

spruch des zahlenden Gesellschafters gegen die GbR geht. Eine entsprechenden Anwendung

hat nur Bedeutung für einen etwaigen gesetzlichen Übergang akzessorischer Sicherheiten

(§§ 412, 401 BGB).

IV. § 110 Abs. 1 HGB analog

Mit entsprechender Begründung kann auch hier gut vertreten werden, dass § 110 HGB nicht

entsprechend heranzuziehen ist, da es wegen §§ 713, 670 BGB an einer planwidrigen Rege-

lungslücke fehlt. Nähere Ausführungen können von den Kandidaten hierzu nicht erwartet

werden.

41 Vgl. Harrer GesRZ 2008, 266; mittelbar auch BGHZ 39, 319, 323 f.; Hillmann, in: Eben-

roth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2007, § 128 Rn. 21. 42 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 54; PWW/Ditfurth, BGB, 5. Aufl. 2010, § 714 Rn. 13; Haber-

sack AcP 198 (1998), 152, 159 ff.

Page 17: Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und

Fall GbR Untreue

17

B. Ansprüche des B gegen A

I. §§ 713, 670 BGB, § 128 HGB analog?

Ein Ersatzanspruch des Gesellschafters B gegen die GbR aus §§ 713, 670 BGB ist nicht auf

die Ausgleichsansprüche zwischen den Gesellschaftern übertragbar. Es handelt sich um eine

Sozialverpflichtung, auf die wegen § 707 BGB die Regelung des § 128 HGB nicht analog

anwendbar ist43.

II. § 426 Abs. 1 BGB

1. Gesamtschuldverhältnis zwischen B und A

Die Voraussetzungen einer Gesamtschuld dürften hier dem Grunde nach unproblematisch

vorliegen. A und B haften als Gesellschafter der als GbR organisierten RA-Sozietät haften

untereinander als Gesamtschuldner44.

2. Bestimmung der Beteiligungsquote

Die Mitgesellschafter sind gegenüber dem zahlenden Gesellschafter nach ihren Verlustantei-

len zum Ausgleich verpflichtet, § 426 Abs. 1 BGB45. Hat einer der Mitgesellschafter die Ver-

bindlichkeit durch sein schuldhaftes Verhalten begründet, kommt ein Innenausgleich nach

dem Rechtsgedanken des § 254 BGB entsprechend der Verantwortung des Gesellschafters in

Betracht46. Ist einer der Mitgesellschafter zum Ausgleich nicht in der Lage, ist dieser Ausfall

anteilig auf die anderen Gesellschafter umzulegen (§ 426 Abs. 1 Satz 2 BGB)47.

Aufgrund fehlender Sachverhaltsangaben zur Verlustbeteiligung zwischen A, B und C ist

davon auszugehen, dass die drei Gesellschafter zu gleichen Teilen an der Anwaltssozietät

beteiligt sind. Jeder von ihnen hat demnach im Innenverhältnis ein Drittel der Forderung zu

tragen. B kann daher grundsätzlich von A 20.000 € als Ausgleich verlangen. Da C die

60.000 € veruntreut und damit die Forderung des M gegen die Anwaltssozietät durch eine

vorsätzliche unerlaubte Handlung begründet hat, ist er an sich im Innenverhältnis zu A und B

nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB verpflichtet, den gesamten Betrag zu erstatten. C

verfügt jedoch nach den Vorgaben des Sachverhalts über kein nennenswertes eigenes Vermö-

43 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rn. 56. 44 BGHZ 146, 341, 358 = NJW 2001, 1056. 45 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 714 Rn. 16. 46 BGH NJW-RR 2009, 49; BGH NJW-RR 2008, 258; Staudinger/Noack, BGB, 2005, § 426 Rn. 188. 47 BGHZ 37, 299, 302 f.

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Fall GbR Untreue

18

gen. Deshalb liegt es nahe, dass er zur Begleichung der gegen ihn gerichteten Forderung nicht

in der Lage ist. Folglich haften A und B allein zu gleichen Teilen. B hat hiernach einen Aus-

gleichsanspruch in Höhe von 30.000 € gegen A.

Anmerkung: Die Mitgesellschafter haften im Verhältnis zur GbR nur subsidiär (arg.: Treu-

epflicht der Gesellschafter und Wertung des § 707 BGB)48.

III. § 426 Abs. 2 BGB i.V.m. der Forderung des M gegen RA-Sozietät

Soweit B die Forderung begleicht, gehen die Ansprüche nach § 426 Abs. 2 BGB im Wege des

gesetzlichen Forderungsübergangs auf ihn über. Im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzun-

gen und die Verteilung der Haftungsquote ergeben sich zur Prüfung nach § 426 Abs. 1 BGB

keine Unterschiede.

C. Ergebnis

B kann von der RA-Sozietät die Erstattung der gezahlten 60.000 € aus §§ 713, 670 BGB ver-

langen. Gegen A hat B einen Ausgleichanspruch in Höhe von 30.000 € aus § 426 Abs. 1 BGB

und § 426 Abs. 2 BGB, wobei er den A aufgrund der Treupflicht aus dem Gesellschaftsver-

trag erst dann persönlich auf Zahlung in Anspruch nehmen kann, wenn er von der GbR keine

Befriedigung erlangen kann.

Frage 3:

Bei der Frage des zulässigen Prozessgerichts sind die sachliche Zuständigkeit und örtliche

Zuständigkeit zu unterscheiden.

I. Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Zuständigkeitsstreitwert, der nach §§ 3 ff.

ZPO bestimmt wird. Maßgeblich ist auf das Klägerinteresse abzustellen. Hier ergibt sich die

sachliche Zuständigkeit nach einem Streitwert von 60.000 €. Dafür ist gem. §§ 71 Abs. 1, 23

Nr. 1 GVG das Landgericht sachlich zuständig.

II. Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich grundsätzlich nach dem allgemeinen Gerichtsstand des

48 MüKo/Schäfer, BGB, 7. Aufl. 2017, § 707 Rn. 5, § 713 Rn. 15; BGH NJW 1980, 339, 340; BGH NJW-RR

2008, 256, 257.

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Fall GbR Untreue

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Beklagten, sofern nicht ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist, vgl. § 12 ZPO. Der

allgemeine Gerichtsstand befindet sich gem. § 13 ZPO am Wohnsitz. B hat seinen Wohnsitz

nach den Vorgaben des Sachverhalts in Cottbus. Da ein ausschließlicher Gerichtsstand nicht

begründet ist, kann M den B also vor dem Landgericht Cottbus verklagen.

Da M hier jedoch Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend machen möchte, könnte dafür

zudem der besondere Gerichtsstand des § 32 ZPO eröffnet sein. Da B gegenüber M selbst

keine unerlaubte Handlung begangen hat, ist fraglich, ob die unerlaubte Handlung des C, die

dem B zugerechnet wird, gleichermaßen im besonderen Gerichtsstand des § 32 ZPO geltend

gemacht werden kann. Dann müsste der persönliche Geltungsbereich hier auch auf die Perso-

nen erstreckt werden, deren Haftung sich vom Täter der unerlaubten Handlung ableitet. Dies

ist bei Verbänden, Vereinen und rechtsfähigen Personengesellschaften und insbesondere auch

für den persönlich haftenden GbR-Gesellschafter anerkannt49. Hierfür spricht die Wertung des

§ 32 ZPO. Die im Wahlgerichtsstand liegende Begünstigung des Klägers rechtfertigt sich aus

der geringeren Schutzwürdigkeit des Deliktsschuldners, an seinem allgemeinen Gerichtsstand

verklagt zu werden.

Anmerkung: Mit entsprechender Begründung ist hier auch ein anderes Ergebnis vertretbar.

Zuständig ist nach der hier vertretenen Auffassung daher auch das Gericht, in dessen Bezirk

die Handlung begangen worden ist. Das ist jeder Ort, an dem eines der wesentlichen Tatbe-

standsmerkmale verwirklicht wurde. Häufig sind mehrere Tatorte gegeben50. Hier kommen

als Tatort sowohl der Ort in Betracht, wo C die schädigende Handlung vorgenommen hat,

aber auch der Ort, wo der Schaden eingetreten ist. Beim Betrug ist dies regelmäßig der Ort

des Vermögens des geschädigten Klägers51. Nichts anderes dürfte daher für eine Untreue gel-

ten. Damit könnte eine zulässige Klage auch vor dem Landgericht Potsdam erhoben werden,

da M dort seinen Wohnsitz hat.

Anmerkung: Besonders findige Kandidaten könnten noch einen besonderen Gerichtsstand

nach § 29 ZPO erörtern. Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des BGH52 ist jedoch

nach innerstaatlichem Recht geklärt, dass sich der Erfüllungsort für Honorarforderungen des

Rechtsanwalts nach § 269 BGB bemisst. Ein Gerichtsstand am Kanzleisitz ist danach regel-

mäßig nicht eröffnet. Auch wenn es im konkreten Fall gerade nicht um die Geltendmachung

von Anwaltshonorar geht, sollte es grundsätzlich positiv berücksichtigt werden, wenn die

Kandidaten § 29 ZPO im Blick haben.

49 Vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 32 Rn. 1 m.w.N. 50 Vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 32 Rn. 7. 51 Vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 32 Rn. 16. 52 BGH NJW 2004, 54; Thomas/Putzo ZPO, 31. Aufl., § 29 Rn. 6.

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20

III. Prozessuale Handlungsmöglichkeiten des A

Da A bei einem Rechtsstreit zwischen M und B nicht Partei wäre, stellt sich die Frage, ob A

dennoch an einem solchen Prozess beteiligt werden könnte. In Betracht käme ein Streitbeitritt

gem. §§ 66 ff. ZPO. Nach § 66 Abs. 1 ZPO kann ein Dritter einem anhängigen Rechtsstreit

zwischen zwei anderen Parteien zum Zwecke der Unterstützung beitreten, wenn er ein rechtli-

ches Interesse daran hat. Der Streithelfer muss den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in der

er sich zur Zeit seines Beitritts befindet und ist berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel

geltend zu machen und alle Prozesshandlungen vorzubringen, die nicht im Widerspruch zur

beigetretenen Hauptpartei stehen, vgl. § 67 ZPO. Hierfür bestehen folgende Voraussetzungen:

1. Anhängigkeit

Der Rechtsstreit muss anhängig und noch nicht beendet sein.

2. Rechtsstreit zwischen anderen Personen

M und B sind von A Personen verschieden, so dass auch diese Voraussetzung erfüllt ist.

3. Der Interventionsgrund: Das rechtliche Interesse

Ein rechtliches Interesse am Obsiegen einer Partei hat jemand dann, wenn die Entscheidung

des Rechtsstreits mittelbar oder unmittelbar auf seine rechtlichen Verhältnisse günstig oder

ungünstig einwirkt53. Der Begriff ist weit auszulegen. Klassischer Anwendungsfall ist die

Möglichkeit eines befürchteten Regressprozesses der unterstützten Partei gegen den Streithel-

fer im Falle ihres Unterliegens54. Das wäre hier der Fall. Würde B gegen M unterliegen, so

wäre für A zu befürchten, dass er von B im Innenverhältnis als Gesamtschuldner nach

§ 426°BGB, wie in der Fallfrage 2 geprüft wurde, in Anspruch genommen wird. Das rechtli-

che Interesse des A besteht also.

4. Form des Streitbeitritts

Der Streitbeitritt erfolgt gem. § 70 Abs. 1 S. 1, 2, Nr. 1-3 ZPO durch Einreichung eines

Schriftsatzes bei dem Prozessgericht, der die Parteien zu bezeichnen, das Interventionsinteres-

se darzulegen und den Beitritt zu erklären hat. Da der Rechtsstreit M gegen B vor einem

Landgericht ausgetragen werden würde, ist zudem auf den Anwaltszwang im Anwaltsprozess

gem. § 78 ZPO zu achten.

53 BGH WM 2006, 1252; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 66 Rn. 8 m.w.N. 54 Vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 66 Rn. 5.

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Fall GbR Untreue

21

Anmerkung: Vertiefte Kenntnisse der Kandidaten zum Recht der Nebenintervention können an

dieser Stelle nicht verlangt werden. Brauchbare Ausführungen hierzu sollten daher grund-

sätzlich positiv berücksichtigt werden.

Page 22: Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und

Fall GbR Untreue

22

Lösungsübersicht

FRAGE 1: ANSPRÜCHE DES M

A. Ansprüche gegen die Rechtsanwalts-Sozietät

I. Vertragliche und vertragsähnliche Ansprüche

1. §§ 675 I, 667 BGB

a) Geschäftsbesorgungsvertrag

aa) Die Sozietät als GbR und mögliche Ver-

tragspartnerin

bb) Vertragsschluss zwischen der GbR und M

b) Aber die GbR hat nichts erlangt.

c) Ergebnis: § 667 (-)

2. § 280 I 1 BGB i.V.m. § 31 BGB analog bzw. § 278

BGB

a) Schuldverhältnis zwischen M und der GbR

b) Hieraus entspringende Pflicht der GbR

c) Verletzung derselben

aa) Fehlverhalten des C

bb) Zurechnung desselben an die GbR analog

§ 31

(1) Analoge Anwendbarkeit der Norm

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Fall GbR Untreue

23

(2) C als verfassungsmäßig berufener

Vertreter der GbR

(3) Verrichtungszusammenhang

cc) Alternativ: Zurechnung über § 278

d) Verschulden des C und Verschuldenszurechnung

an die GbR analog § 31 (oder nach § 278)

e) Ergebnis: § 280 I BGB (+)

II. Deliktsrechtliche Ansprüche

1. § 823 I (-)

2. § 823 II BGB i.V.m. § 266 StGB und § 31 BGB analog

(+)

3. § 826 i.V.m. § 31 analog (+)

4. § 831 (-)

B. Anprüche des M gegen B

I. Keine unmittelbaren Ansprüche des M gegen B,

1. weder aus Vertrag,

2. noch aus Delikt.

II. Haftung des B für die Verbindlichkeiten der GbR analog

§ 128 HGB

1. Verbindlichkeiten der GbR (+), siehe oben, ganze Latte

2. Haftung des B hierfür

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Fall GbR Untreue

24

a) Analoge Anwendbarkeit des § 128 HGB

aa) Im Grundsatz (+)

bb) Aber gilt dies auch für Deliktsschulden ?

C. Gesamtergebnis zu Frage 1

M hat gegen die GbR Schadensersatzansprüche in Höhe von 60.000 €

nach

- § 280 I 1,

- § 823 II BGB i.V. m. § 266 StGB und

- § 826 BGB,

jeweils in Verbindung mit § 31 BGB analog.

Für diese Ansprüche haftet B dem M analog § 128 HGB.

FRAGE 2: RÜCKGRIFFSANSPRÜCHE DES B

A. Ansprüche des B gegen die GbR

I. §§ 713, 670 BGB

1. Anwendbarkeit und Sinn dieser Normen

2. B als geschäftsführender BGB-Gesellschafter (§ 709)

3. Erstattungspflichtige Aufwendungen des B

a) Aufwendungen

b) Gesellschaftsveranlassung

c) Erforderlichkeit

4. Ergebnis

Page 25: Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und

Fall GbR Untreue

25

II. Alternativ: § 110 HGB analog

1. Analoge Anwendbarkeit des § 110 HGB

2. Tatbestandsvoraussetzungen

3. Ergebnis

III. Gesamtschuldner- Innenausgleich (§ 426 I)

1. Regelungsgehalt der Norm

2. Anwendbarkeit der Norm

a) Spezialität des § 713 BGB (oder § 110 HGB) ?

b) Sind B und die GbR Gesamtschuldner ?

3. Wenn ja: Frage der Haftungsquoten

4. Ergebnis

IV. Regressansprüche aus übergegangenem Recht

1. Mögliche Grundlagen

a) §§ 774 I, 1143, 1225 analog

b) § 426 II

2. Ergibt das im Gesellschaftsverhältnis einen Sinn ?

B. Ansprüche des B gegen A

I. §§ 713, 670 BGB, § 128 HGB analog?

1. Verbindlichkeit der GbR gegenüber B (+), §§ 713, 670

BGB oder § 110 HGB analog, s.o.

Page 26: Universität Potsdam Übungen im Gesellschafts- und

Fall GbR Untreue

26

2. Haftung des A hierfür analog § 128 HGB

a) Grundsätzlich (+)

b) Aber nicht bei Sozialansprüchen, arg. § 707 BGB

II. § 426 I BGB

1. Anspruch dem Grunde nach (+)

B und A sind Gesamtschuldner

2. Haftungsquote des A

III. Haftung des A analog § 128 HGB für Forderungen des B

gegen die GbR aus übergegangenem Recht

1. Forderung des B gegen die GbR nach Maßgabe von

§ 426 II oder analog §§ 774 I, 1143, 1225 ?

2. Haftung des A hierfür analog § 128 HGB ??

C. Gesamtergebnis zu Frage 2

FRAGE 3: GERICHTSZUSTÄNDIGKEITEN; PROZESSVER-

HALTEN DES A

I. Sachliche Gerichtszuständigkeit

LG wg. Streitwert (§§ 71°I,°23°Nr. 1°GVG)

II. Örtliche Gerichtszuständigkeit

1. Allgemeiner Gerichtsstand: Cottbus; kein entgegenste-

hender ausschließlicher Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO)

2. Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

(§ 32 ZPO)

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Fall GbR Untreue

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a) Grundsatz

b) Passt das hier ?

c) Wenn ja: Wo liegt der Tatort ?

aa) Potsdam

bb) Frankfurt/O

III. Prozessuale Handlungsmöglichkeiten des A

1. Keine Parteistellung

2. Streitbeitritt (Nebenintervention) auf Seiten des B

(§§ 66 ff. ZPO)

a) Anhängiger Rechtsstreit zwischen M und B

b) Rechtliches Interesse des A am Obsiegen des B

c) Form des Streitbeitritts (§§ 70, 78 ZPO)