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Unterwegs AM CAMPANILE BASSO DAV Panorama 23 Nr. 5/1999 Unterwegs AM CAMPANILE BASSO F ür die Hirten, die ihre Tiere ins abgelegene Massodikar hinauftrieben,war der abweisendste aller Brentazacken nur der niedrigere von zwei himmel- stürmenden Kalktürmen, den sie völlig unromantisch Campanile Basso nannten. Im Sommer 1864 überschritt John Ball, Gründer des Alpine Club zu London, als er- ster Tourist die Bocca di Brenta;die ihm nachfolgenden Freunde Douglas Freshfield und Frank Fox Tuckett machten mit begeisternden Vorträgen ihre bergsteigenden Zeitgenossen auf diese wilden Zinnen aufmerksam, an denen es Abgründe gab, „grausiger als am Matterhorn“. 1882 folgte der Bergsteigermaler Edward Th. Compton den Spuren seiner Vorgänger und verfaßte eine Monografie dieser Berggruppe,die 1884 im Jahrbuch des D.u.Ö.A.V. erschien und die Brenta damit deutschen Bergsteigern bekannt machte. Den Campanile Basso charakterisierte er wie folgt: „Letzterer ist unstrei- tig die überraschendste Gestalt unter dem ganzen Heer dieser wolkenspaltenden Zinnen. 300 Meter steigt der Campanile von allen Seiten frei in die Luft, ein stump- fer Obelisk auf unregelmäßig viereckiger Basis,und macht von der Tosa aus einen um so imposanteren Eindruck,weil das Auge die wirkliche Tiefe der beiderseitigen Einschnitte nicht ermessen kann“. F Was den Schweizern das Matterhorn bedeutet der Campanile Basso in der Brentagruppe den Trenti- nern: Symbol der Identität einer an Naturschönheiten und Kulturschätzen reichen Region. Mit einer groß- angelegten Reihe von Veranstaltungen feierte das Trentino die erste Ersteigung seines berühmtesten Felsturms im Jahre 1899. Von EWALD WEISS 100 Jahre Alpingeschichte am „Welträtsel aus Stein“ Links oben: Meade-Variante (V-) an der Südwand. Links unten: Fehrmann- Verschneidung (IV+). Mitte: Campanile Basso von Südosten. Rechts oben: In der Via Rovereto an der Westwand der Schulter (VI+). Rechts unten: Der Campanile Basso von Westen. Fotos: Helga Lindner (l.o.), Wolfgang Wahl (l.u.), Thomas Holzmann (r.o.), Herbert Blank (2)

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U n t e r w e g sA M C A M P A N I L E B A S S O

DAV Panorama 23Nr. 5/1999

U n t e r w e g sA M C A M P A N I L E B A S S O

Für die Hirten, die ihre Tiere ins abgelegene Massodikar hinauftrieben,warder abweisendste aller Brentazacken nur der niedrigere von zwei himmel-stürmenden Kalktürmen, den sie völlig unromantisch Campanile Bassonannten.

Im Sommer 1864 überschritt John Ball,Gründer des Alpine Club zu London,als er-ster Tourist die Bocca di Brenta;die ihm nachfolgenden Freunde Douglas Freshfieldund Frank Fox Tuckett machten mit begeisternden Vorträgen ihre bergsteigendenZeitgenossen auf diese wilden Zinnen aufmerksam, an denen es Abgründe gab,„grausiger als am Matterhorn“.

1882 folgte der Bergsteigermaler Edward Th. Compton den Spuren seinerVorgänger und verfaßte eine Monografie dieser Berggruppe,die 1884 im Jahrbuchdes D.u.Ö.A.V. erschien und die Brenta damit deutschen Bergsteigern bekanntmachte. Den Campanile Basso charakterisierte er wie folgt: „Letzterer ist unstrei-tig die überraschendste Gestalt unter dem ganzen Heer dieser wolkenspaltendenZinnen.300 Meter steigt der Campanile von allen Seiten frei in die Luft,ein stump-fer Obelisk auf unregelmäßig viereckiger Basis, und macht von der Tosa aus einenum so imposanteren Eindruck,weil das Auge die wirkliche Tiefe der beiderseitigenEinschnitte nicht ermessen kann“.

F

Was den Schweizern das Matterhorn bedeutet der

Campanile Basso in der Brentagruppe den Trenti-

nern: Symbol der Identität einer an Naturschönheiten

und Kulturschätzen reichen Region. Mit einer groß-

angelegten Reihe von Veranstaltungen feierte das

Trentino die erste Ersteigung seines berühmtesten

Felsturms im Jahre 1899. Von EWALD WE ISS

100 Jahre Alpingeschichte am „Welträtsel aus Stein“

Links oben: Meade-Variante (V-) an der Südwand. Links unten: Fehrmann-Verschneidung (IV+). Mitte: Campanile Basso von Südosten. Rechts oben: In der Via Rovereto an der Westwand der Schulter (VI+). Rechts unten: Der Campanile Basso von Westen.

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Ehrgeizige Alpinisten gingen bald an dieEroberung der Brentazinnen,darunter vieleaus Deutschland,wo die Sektion Leipzig desD.u.Ö.A.V. sich die Brenta als „Arbeitsge-biet“ auserkoren hatte. Der LeipzigerProfessor Karl Schulz betrat in den achtzigerJahren des 19. Jahrhunderts mit Hilfe derFührer Bonifacio und Matteo Nicolussi ausMolveno zahlreiche Gipfel als erster undprägte dem Campanile Basso einen neuenNamen, der im deutschen Sprachraumschnell Furore machte:Guglia di Brenta.

Die Brentagruppe lag auf dem Staatsge-biet von Österreich-Ungarn, wo es seit derbürgerlichen Revolution von 1848 unter deritalienischen Bevölkerung gärte und vor al-lem das gehobene Bürgertum sich von einerLoslösung von Habsburg mehr Freiheit undProsperität erhoffte. Die politische Bewe-gung der Irredenta (Die von ÖsterreichUnerlösten) gewann zunehmende Kraft.Nicht wenige der Irredentisten waren hei-matverbundene Bergsteiger, die sich in derSocietá degli Alpinisti Tridentini (SAT) sam-melten, und die Konkurrenz zwischen dendeutschen Alpenvereinssektionen und derSAT wurde vor allem gerade in der Brentaunübersehbar,wo beide Gruppen in unmit-telbarer Nachbarschaft ihre Schutzhüttenerrichteten.Schon um 1880 erbaute die SATeine kleine Unterkunft für 12 Personen, dieTosahütte, am zentralen Scheitelpunkt derBrenta in nächster Nähe des CampanileBasso – dessen Namen beizubehalten warfür die Irredentisten so etwas wie ein poli-tisches Programm.

Ein glühender Anhänger der Irredentaund Liebhaber der Brentaberge war CarloGarbari aus Trient, der in den neunzigerJahren mit seinem Führer Nino Pooli etlicheErstbegehungen und „italienische Erstbe-steigungen“ durchführte, so etwa 1896 dieSüdwand am Campanile Alto,welcher schon1884 von Gottfried Merzbacher aus Mün-chen erstbestiegen worden war. Bei dieserGelegenheit konnte er die unnahbaren Wän-de des Campanile Basso aus der Nähe stu-dieren und die Gangbarkeit dieses abwei-senden Obelisken erwägen.

Die VerzweifeltenDie Erstbesteigung dieser widerspenstigenNadel galt gleichsam als politisches Fanalund sollte den italienischen Widerstandsymbolisieren.Der Aufstieg mußte förmlicherzwungen werden – und zwar mit allenMitteln.Vom Standpunkt der Klettertechnikaus war Garbari geradezu revolutionär: Erführte neben den gerade in Gebrauch kom-menden Eisenhaken auch noch einenHammer mit. Für gewöhnlich wurden die„Bilderhaken“ damals mit Hilfe von Steinenoder dem Eispickel eingetrieben.

Neben dem bewährten guten KlettererPooli wurde der Dolomitenführer AntonioTavernaro engagiert, der schon in der Pala-gruppe zahlreiche schwierige Unterneh-mungen begleitet hatte. Pooli, der im Vor-jahr am Campanile Alto eine Stelle des vier-ten Grades erkletterte, übernahm am 12.August 1897 sogleich die Führung beim er-sten ernsthaften Angriff und bewies schnellseine Fähigkeiten, als er die nach ihm be-nannte Wandstufe über dem Einstieg an der

Südwand überkletterte – mit Schwierig-keitsgrad IV+ damals die obere Grenze desMachbaren. Zielstrebig gelangte die Dreier-seilschaft zu einer äußerst exponierten Kan-zel an der Nordwestkante des Gipfelturms,wo inmitten glatter Wände und gelber Über-hänge kein Weiterkommen mehr möglichschien. Mit letzter Kraft versuchte Poolinoch einen Aufstieg an der gelben West-wand und scheiterte 15 Meter unter demGipfel. In greifbarer Nähe des Sieges ducktesich Tavernaro unter den Wutausbrüchendes jähzornigen Garbari,der seinerseits denverzweifelt kämpfenden Nino Pooli be-schimpfte und gar mit einem Revolver be-drohte: Gipfel oder Leben! Doch es halfnichts, Pooli konnte mit letzter Mühe nocheinen Haken für den Rückzug eintreibenund ließ sich daran zum Standplatz hinab.Der endgültig geschlagene Garbari hinter-ließ einen Steinmann mit Karte: „Wer wirddiese Karte erreichen? Dem wünsche ichmehr Glück“. Nach dem Rückzug der ge-demütigten Trentiner galt der CampanileBasso als unersteigbar.

Die ErobererMitte August 1899 verließ in den Abend-stunden eine kleine Gruppe tatendurstigerTiroler das verschlafene Molveno in Rich-tung Val delle Seghe.Otto Ampferer,Karl Ber-ger,Willy Hammer und Otto Melzer hattensich vorgenommen, endgültig den Schleierder Jungfräulichkeit vom stolzen Massiv desCampanile Basso zu reißen. Siegessicherführten sie eine lange Holzstange mit, dieauf dem Gipfel aufgepflanzt werden sollte.Noch in der Nacht stiegen sie ins nebelver-hangene Massodikar hinauf, um am näch-sten Morgen unverzüglich das begehrte Zielanzugreifen.Über den düsteren Kamin einesangelehnten Vorzackens gelangten die vierschnell an die ostseitige Massivwand desCampanile, doch da passierte schon das er-ste Unglück – Melzer renkte sich den Armaus und konnte von seinen Begleitern mitHilfe der Holzstange gerade noch auf siche-ren Grund gebracht werden; er und Ham-mer beobachteten den weiteren Aufstiegvon Ampferer und Berger,die sich durch denVorfall nicht aufhalten ließen. Bald fanden

die beiden den von Garbari zurückgelasse-nen Hammer, welcher an einem herausge-meißelten Felsköpfchen hing.War der Cam-panile gar schon erstiegen? Sie wußtennichts von ihren erfolglosen Vorgängern,diezwei Jahre zuvor an der Gipfelwand ge-scheitert waren. Zügig erreichten sie dasgroße Schuttband, welches die Nordflankedes Turms umgürtet und fanden wieder ent-mutigende Spuren ihrer Vorgänger – geleer-te Weinflaschen. Von schrecklichem Durstgequält kletterten sie weiter durch denkühlen Kamin der Westwand bis zu einemSchuttfleck mit einem Steinmann. Sie fan-den eine zurückgelassene Karte auf der Car-lo Garbari notiert hatte: „Wer wird dieseKarte erreichen? Dem wünsche ich mehrGlück!“ Ampferer und Berger durchfuhr einschauriges Glücksgefühl – der Berg warnoch nicht bezwungen!

Die schwere Holzstange ließen sie aufdem Absatz liegen und versuchten mit Hilfevon Hammer und Haken der abweisendenGipfelwand einen Ruhepunkt abzutrotzen.Berger versuchte höherzukommen undstürzte beinahe, dann schaute Ampferer et-was tiefer um die Ecke in die lotrechte Nord-wand, grauer Fels in einer flachen Einbuch-tung versprach dort Hoffnung.Von füchter-lichem Durst geplagt und umbrandet vondüsterem Gewölk machten sich die beidenan den Rückzug.Ihre Freunde Hammer undMelzer empfingen sie unten mit einem fri-schen Schluck Wasser.

Nach einem Ruhetag griffen Ampfererund Berger erneut nach der widerspensti-gen Zinne.Einen ganzen Tag lang hatten siesich vorher die Routenführung fieberhafteingeprägt, umso schneller stürmten siejetzt über das bekannte Gelände empor.Doch wieder ein Zwischenfall – noch weitunten stürzte Berger durch einen ausbre-chenden Tritt und fiel direkt auf Ampferer,der ihn gerade noch auffing.Ampferer blu-tete an Händen und Nase,doch die Stürmerließen sich nicht beirren. Ihre Motivationwar hervorragend und ohne zu zögern quer-te Ampferer an der vor zwei Tagen gefunde-nen Stelle in die abdrängende Nordwand.Esgelang ihm,einen sicheren Felshaken zu set-zen und mit vereinten Kräften die entschei-dende Passage zu überwinden.Pfeifend undsingend erklommen die ersten Menschenden flachen Gipfel der Guglia, euphorischüber den Sieg schmetterten die stolzenEroberer die „Wacht am Rhein“ – es war der18.August 1899.

Die NachfolgerBald galt die Guglia als einer der schwierig-sten Alpenberge – der Begriff „Sportklette-

„Gelbrot, überhängend, in kleinsplittrigen Umrissen hob sich vor uns die Gip felwand empor. Wir sahen

nackt und hart die Entsch eidung vor uns stehen.“ Otto Ampferer

Oben: Die Pooli-Wand (IV+)ist sozusagendie „Aufnahmeprüfung“ für denNormalweg. Alles folgende ist bis auf dieabschließende Ampferer-Wand wesentlichleichter.Unten: Als zwei „Zornesadern“ erschienen Otto Ampferer die Kamine, welche denDurchstieg zum großen Ringband ermög-lichen. Der hier sichtbare linke Kamin bildet die leichtere Möglichkeit mit einemStandplatz, an dem sich einbetonierte„Ochsenringe“ befinden.Fo

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Karl Berger undOtto Ampferer(1875–1945), die Eroberer derGuglia.Vermutlich vomBergtod seinesFreundes Otto

Melzer beeindruckt, gab Ampferer dasKlettern 1902 auf.

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rei“ war untrennbar mit ihr verbunden. DieBesten der Zeit suchten ihre Bestätigung anden Schwierigkeiten.

Um 1900 standen die Münchener HansPfann und Hans Leberle als zweite Seilschaftam Gipfel, im August 1901 folgten die Wie-ner Hanns Barth und Ludwig Geißler; dasJahr 1902 sah schon drei Partien erfolgreich:Joseph Ittlinger und Friedrich Gebhardt am17. August, Dr. Georg und Kurt Leuchs am31.August und als sechste Seilschaft am 26.September G. B. Piaz und den Tierser Berg-führer Franz Wenter, dieser allerdings imNachstieg.Wenter war der erste autorisierteBergführer,der die Guglia betrat und sie spä-ter noch oft mit anderen Partien erkletterte.

Der 11.August 1903 sah zwei Seilschaf-ten zugleich am Werk: den Wiener Bergma-ler und Grafiker Gustav Jahn mit Otto Laub-heimer und den Kufsteiner Bergführer Jo-seph Ostler mit Franz Wenter in Begleitungder Wienerin Vineta Mayer; zum ersten Malstand damit eine Frau auf dem flachenHaupt der kühnsten Brentazinne. Bei dieser8. Begehung schleppte Ostler die von denErstbesteigern zurückgelassene Holzstangemit auf den Gipfel.

Joseph Ostler kehrte nach mehreren an-deren Brentatouren am 30.August zur Gug-lia zurück, diesmal als Alleingänger. Über dievon ihm wiedereröffnete Einstiegsroute vonPooli vollbrachte er mit der 11. Besteigungzugleich die erste Alleinbegehung und dieerste Rekordzeit:2 Stunden im Auf- und 1.45Stunden im Abstieg.

Immer mehr Besucher verzeichnete dasGipfelbuch in den kommenden Jahren, dieGuglia wurde ein Modeberg und langsambröckelte ihr Mythos.

Normalweg, IV+ AODer Klassiker schlechthin,einer der meistbegange-nen und schwierigstenNormalwege der Ostalpen.Ausgeputzter Fels undgute Standplätze; da dieRoute auch als Abstiegdient, sind an vielen Stand-plätzen Ringe einzemen-tiert. Vorsicht: bei Gewitter(in der Brenta häufig) sehrgefährlich!Einstieg an der früh mor-gens schattigen Südwand,wo oft ein kalter Windpfeift. Wer die eigenartigabdrängende Pooliwandetwa 50 Meter über demEinstieg gut meistert (IV+),wird auch mit der Ampfe-rerwand (A0,IV) keine Pro-bleme haben. Zwischenden schwierigsten Stellenam Beginn und Schlußmeist Dreiergelände (Vorsicht vor Verhauern imunteren Wandteil vor demgroßen Ringband).Kletterzeit: 3–4 Std. fürAufstieg; 2 Std. für AbstiegAusrüstung: 45-Meter-Doppelseil wegen Abstieg,8 Karabiner, Schlingen,evtl. kleine Keile.

Südwestverschneidung (Fehrmannverschnei-dung), IV+Die leichteste von denschwierigeren Routen,durchgehend IV und IV+ inVerschneidungsrissen undKaminen, nicht ausgesetztund gut abzusichern. Dienotwendigen Haken sindvorhanden, optimale zu-sätzliche Sicherung durchgroße Klemmkeile oder Friends. Etwas muffige At-mosphäre eines Bahnhof-pissoirs an Ein- und Aus-stieg, dieser erfolgt durchein Loch auf die West-schulter. Viele Seilschaftenumgehen die klaustropho-bischen Schlußkaminerechts über die ersten dreiSeillängen der Heckmair-variante (V), keine Siche-rungsmöglichkeit für Keile.Kletterzeit: 4–5 Std. zurSchulterAusrüstung: 12 Karabiner,große Keile oder Friends.

Ostwand (Preußwand), VAn die berühmteste Tourdes Meisters dürfen sichnur alpin sichere Klettererwagen, wer alle drei Metereinen Bohrhaken braucht,ist hier fehl am Platz!Exponierte Kletterei ankompakten Wandstellen

mit wenig Sicherungs-punkten und Ruheplätzen.Guter Orientierungssinnerforderlich, auch wennhier und da einer der Ha-ken steckt, die Preuß einstnicht nötig hatte. Nur spär-liche Sicherungsmöglich-keiten für Klemmkeile.Kletterzeit ab Band: 1.30–2.30 Std. Aus-rüstung wie Normalweg.

Südostkante (Foxkante),V A0 oder VI+Direktester Anstieg zumGipfel, die Hauptschwierig-keiten konzentrieren sichauf etwa 30 Meter ober-halb vom Ringband. Sehrexponiert im oberen Teil, in der schwierigsten Seil-länge viele Haken.Kletterzeit: 3–4 Std. zumGipfelAusrüstung: 16 Karabiner

Grafferkante (Südwest-kante der Schulter), VI+ oder V+ A0Beliebtester Extremanstiegauf den Campanile. DieErstbegeher benutzten 12Haken und ließen 6zurück, heute steckt gele-gentlich das zehnfache anMaterial. Elegante Kletterei in be-stem Fels. Der Einstiegliegt etwa 20 Meter unter-halb der Fehrmannroute an einer kleinen Nische derSüdwand. Achtung: Im un-teren Wandteil viele Ver-hauer, die Route entwickeltsich mehr rechts der ei-gentlichen Kante. Haupt-schwierigkeiten im oberenWandteil.Kletterzeit: 5–7 Std. zurSchulterAusrüstung: 20 Karabiner,kleines Keilsortiment.

Via Rovereto (direkteWestwand der Schulter)VII- oder VI- A1Diese Route von ArmandoAste galt in den sechzigerJahren als eine der schwie-rigsten Brentaklettereien.Exponierte Wandklettereimit anhaltenden Schwierig-keiten im mittleren Wand-teil. Die Route mündet obenin die Grafferkante. Kletter-zeit: 6–8 Std. zur Schulter

Ausrüstung: 24 Karabiner, Sortiment Friends, kleinesHakensortiment (kleine Pro-fil, spitze Ringhaken, dünneHaken), evtl. Trittleiter

Südwestkante, VI+ oder VI- A1Elegantester Anstieg vonganz unten zum Gipfel,sehr logische Linienführungund keilfreundlicher Felsauf den ersten zwei Drit-teln. Konstante Schwierig-keiten, praktisch durchge-hend V mit vielen StellenV+ und VI, wenig wieder-holt, ernste Atmosphäre.Alpinster Anstieg auf denCampanile Basso.Kletterzeit: 7–9 Std. zumGipfelAusrüstung: 24 Karabiner,kleines Hakensortimentund Friends komplett, 50-Meter-Seile.

Literatur:Alpenvereinsführer Brenta-gruppe von Heinz Stein-kötter, Bergverlag Rother,München 1988

Rother SelectionDolomiten Genußklettereien III – VIvon Annette Köhler undNorbert Memmel.Empfehlenswerter Auswahl-führer für die klassischenRouten der Brenta.

Klettern am Campanile Basso

Klassisch und extrem – die schönsten Touren

Links: Typische Brenta-Nebel umwabern nachmittags die Gebäude der Tosa-Hütten, die zu den traditionsreichsten Bergsteigerstütz-punkten der Brenta gehören. Rechts: Auf dem Bocchette-Weg erreichen die Kletterer heutzutage die Einstiege am Campanile Basso aufkürzestem und bequemsten Wege. Im Hintergrund die mächtigen Nordabstürze der Cima Margherita und der Cima Tosa, an welcher dieersten englischen Touristen in der Brenta „Abgründe, grausiger als am Matterhorn“ ausmachten.

Der abdrängende Einstieg in diePooli-Wand am Normalweg.

Die senkrechte Südwand, rechtsoben im Profil die Foxkante. Die direkte Südwandroute wurde nochnicht vollständig frei geklettert.

Die Südwest-Wand desCampanile Basso mit der markanten Fehrmann-Verschneidung.

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1899 – 18. August, erste Ersteigung durch Otto Ampferer und Karl Berger aus Innsbruck

1903 – 11. August, Vineta Mayer aus Wien gelangt mit den Führern Josef Ostler (Kufstein) und Franz Wenter (Tiers) als erste Frau zum Gipfel30. August, erste Solobesteigung durch Führer Josef Ostler über Pooliwand

1904 – 31. Juli, erste Besteigung Westwand, Nino Pooli und Riccardo Trenti

1908 – 27. August, erste Begehung der SW-Verschneidung durch Oliver Perry-Smith und Rudolf Fehrmann

1909 – 19. August, erste Begehung S-Wand-Variante, Charles Meade und Pierre Blanc

1911 – 28. Juli, erste Durchsteigung der Ostwand durch Paul Preuß im Alleingang30. Juli, erste Gesamtüberschreitung durch Paul Preuß und Paul Relly; Aufstieg 2. Begehung der Fehrmann-Verschneidung, Abstieg über Preuß-Route und Bergerwand

1924 – Erste Wiederholung der Preußroute durch die Innsbrucker Hans Buratti, Karl Aichner und Franz Bernardi

1933 – 5. August, erste „Nachtbesteigung“ durch Bruno Detassis und Nello Mantovani24. August, erste Begehung der Nordostkante, Giorgio und Rita Graffer, (V).Erste Begehung der Heckmair-Variante, Andreas Heckmair, Sepp Emmer und Maria Casé, erstmals wird am Campanile Basso der sechste Grad erreicht.

1934 – 22. Juli, erste Begehung der Nordwand (VI) durch Matteo Armani und Ettore Gasperini-MedaiaAugust, erste eigenständige Route VI. Grades durch Giorgio Graffer und Antonio Miotto über SW-Kante der Westschulter (VI-)

1935 – 22. August, erste Durchsteigung der Südwand, Matteo Armani und Cornelio Fedrizzi, (VI)

1936 – 28. August, erste Damenseilschaft über Normalweg, Micheline Morin und Alice DemesmeAugust, erste Soloüberschreitung in Rekordzeit durch Emilio Comici; Aufstieg Fehrmann 1.14 Stunden, Preuß 22 Minuten, Abstieg Normalweg

1937 – 7. August, erste Begehung der Südostkante „Foxkante“, Pino Fox, Rizieri Costazza, Sandro Disertori, Luigi Golser, (V+)

1940 – 4. August, 1000. Besteigung durch die Trentiner Paolo Graffer, Marcello Friedrichsen, Gino Pisoni

1947 – 10./11. August, erste Begehung der Nordwestkante der Schulter (Via Christina) durch Marino Stenico und Marco Franceschini, (VI-, A1)

1949 – 23. Februar, erste Winterbesteigung, Bruno Detassis und Serafino Serafini

1961 – 10./11. September, erste Begehung direkte Westwand der Schulter (Via Rovereto), Armando Aste und Angelo Miorandi, (VI, A2)

1962 – 22./24./25. Juli, Südwand-Direttissima, Marino Stenico und Milo Navasa, (A3, VI)

1965 – 30./31. Juli, Nordwand-Direttissima, Cesare Maestri und Carlo Claus (A1)

1968 – 19./20. Juli, erste Begehung der Südwestkante, Pit Schubert und Klaus Werner München, (VI-, A1)

1969 – 9./10. August, erste Begehung Südwand der Schulter, Cesare Maestri und Ezio Alimonta, (VI, A2)

Campanile Basso

Hundert Jahre Alpingeschichte – die Chronik der wichtigsten Ereignisse

Nach und nach mischten sich auch we-nige italienische Seilschaften unter die Be-sucher, wie 1908 Luigi Scotoni und GuidoLubich,die die italienische Trikolore hißten,doch die überwiegende Zahl der Klettererwaren Deutsche oder Österreicher. Dem-entsprechend gab es 1909 den ersten Berg-toten an der Guglia, es war der ChemnitzerGustav Barthel. Bis zum Ersten Weltkriegblieb die Guglia fest in deutscher Hand,wenn man von der Gipfelvariante des briti-schen Alpinisten Charles Meade und seinesfranzösischen Führers Pierre Blanc aus demJahre 1909 absieht.

Ein Amerikaner, ein Sachseund ein Herr mit strengenGrundsätzenOliver Perry-Smith war ein Draufgänger,dersich schon 1906 mit der Matterhorn-Nord-wand anlegen wollte.Mit dem Dresdner Ru-dolf Fehrmann bildete er eine bestens ein-gespielte Seilschaft, die im Elbsandstein-gebirge die damaligen Grenzen des Men-schenmöglichen im Klettern auslotete. Beialpinen Unternehmungen war stets Perry-Smith der Initiator, Fehrmann der ruhende,auf Sicherheit bedachte Pol des Teams. Als

„schwierigster Berg“ der Alpen zog natür-lich die Guglia das Interesse der Besten aufsich, wo 1908 die beiden Elbsandsteinklet-terer zunächst den Normalweg erkundeten.Fehrmann baute einen Verhauer in bösesGelände und bat Perry, sich der Gefahr we-gen auszubinden, worauf dieser losbrüllte:„Was du denkst, was ich bin, ein Menschoder ein Vieh? Entweder ich halte dich,oderich falle mit!“ Nervenstark wandten sie sichdanach ihrem eigentlichen Projekt zu, dernoch undurchstiegenen Südwestverschnei-dung.Perry-Smith führte die gesamte Route,die seltsamerweise als Fehrmannverschnei-dung berühmt wurde, obwohl er sich dies-mal,entgegen ihrer Abmachung immer in al-

phabetischer Folge vorzugehen, als ersterins Gipfelbuch eingetragen hatte.

Im Juli 1911 machten Paul Preuß,dessenSchwester Minna und Schwager Paul Rellyder Guglia ihre Aufwartung. Preuß war inder Form seines Lebens, wenige Tage zuvorführte er im Alleingang eine Begehung derPiazroute an der Westwand des Totenkirchlsim Kaisergebirge durch, welche zu jenerZeit als schwierigste Kletterei der Ostalpengehandelt wurde.Am 28. Juli 1911 standendie drei unter der kompakten Ostwand derGuglia, und Paul Preuß – er kam, sah undsiegte! Während Schwester und Schwageram Ringband warteten,fand er in einem ful-minanten Solo mit animalischem Spürsinndie Schwachstellen des sicherungsfeindli-chen Terrains, das nur wenige Ruhepunktebot.Nach zwei Stunden stand er erfolgreicham Gipfel und kletterte wieder den Nor-malweg ab, den er nicht kannte. Bis zuletzthatte er sein Projekt selbst vor engen Freun-den geheimgehalten.Am 31. Juli 1911 stie-gen Preuß und Relly als zweite Seilschaftüber die Fehrmannverschneidung zurSchulter und weiter zum Gipfel,um über dieOstwand und die Bergerwand wieder abzu-klettern; dies war die erste Gesamtüber-

Vom Bocchette-Weg aushaben die Klettersteig-freunde einen Nahblick aufdie historisch bedeutendeOstwand des CampanileBasso.

Oliver Perry-Smith (1884-1969) fällt inWirklichkeit der Erstbegeherruhm für die „Fehrmann-Verschneidung“ zu.

Der aus Covelo bei Trient stammende NinoPooli wurde zwar als „Träger“ engagiert,zählte jedoch zu den besten Kletterern undBrenta-Erschließern seiner Zeit, der selbstdie obere Grenze des fünften Schwierig-keitsgrads erreichte.

Die Ehre des Nino PooliIm Sommer 1904 betrat die Seilschaft PaulHübel,Dr. A.Heckel und Hugo Held den Gip-fel des Campanile Basso,nachdem Hübel zu-vor an der Umkehrstelle von Poolis Versuch,ebenso wie Ampferer und Berger, geschei-tert war. In seinem Buch „Führerlose Gip-felfahrten“, das 1926 erschien, schrieb Hü-bel: „Über dem geräumigen Gipfelplateauflatterte vom Sturm gepeitscht die kleineFlagge, welche von Wind und Regen zer-schlissen nur noch schwer die deutschenFarben erkennen ließ...“ und weiter „...warenes doch bis jetzt nur deutsche Männer, dieerobernd den Fuß auf diese weltverloreneZinne setzten...“ deutschnationales Pathos al-lenthalben. Doch kurz nach Hübels Besuchtauchte ein alter Recke wieder an der Stätteseiner Niederlage von 1897 auf:Nino Pooli.Wie sehr mußte die Demütigung von da-mals an ihm genagt haben, wie schwer dieLast der Niederlage diesem wagemutigenKletterer auf dem Selbstbewußtsein gelegenhaben – am 31. Juli 1904 nahm er mit demGefährten Riccardo Trenti den Kampf nocheinmal auf.Wieder ging er die Gipfelwandan seinem alten Rückzugspunkt an – undstand erfolgreich am Gipfel, nachdem erSchwierigkeiten des oberen fünften Gradesüberwunden hatte.Das war zu jener Zeit diewahrscheinlich schwierigste Kletterstelleder Ostalpen!

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schreitung der Guglia.Preuß demonstriertesein überragendes Können und blieb dabeieinem seiner Grundsätze treu, der besagte:Das Maß der Schwierigkeiten, die ein Klet-terer im Abstieg sicher beherrscht, muß dieobere Grenze dessen darstellen,was er sichim Aufstieg zutrauen darf.

Die strengen Grundsätze des Paul Preußwurden nie populär,weil sie von gar zu vie-len Bergsteigern Verzicht gefordert hätten,heute sind sie nur noch Alpingeschichte. Anseiner berühmtesten Route, am CampanileBasso, lebte er seine Regeln vor,und in Itali-en genießt er immer noch einen geradezumythischen Ruf. Sein italienischer BiografSeverino Casara adelte den später inDeutschland zeitweise Totgeschwiegenenzum „Cavaliere della montagna“ (Ritter derBerge).

Wenige Tage später folgte ein andererProtagonist des Felskletterns Preuß’Spuren:Hans Dülfer. Am 5.August und nochmals am7. hatte er sich als Alleingänger ins Gipfel-buch der Guglia eingetragen (87. Bestei-gung).Hatte er selbst ein Projekt an der Gug-lia, war er seinem Konkurrenten Preuß ge-folgt?

Ein Berg mit WeltruhmFünfzehn Jahre nach der Erstersteigung istdie Guglia di Brenta zum Monument alpini-stischer Selbstbestätigung kristallisiert.WerRang und Namen hat, wer etwas werdenwill oder schon ist, alle kommen, um sichhier zu verewigen.Auch diverse Damen sinddarunter wie Beatrice Tomasson mit ihremFührer Angelo Dibona oder die berühmten

Baronessen Ilona und Rolanda Eötvös ausUngarn mit ihren Führern Antonio Dimaiund Agostino Verzi (66. Besteigung am 19.August 1909); am selben Tag eröffnetenCharles Meade und Pierre Blanc ihre neueschwierige Variante über die Südwand desGipfelturms. Die Eroberer des „FingersGottes“ (Charles Meade) sind international– doch keine internationale Seilschaft.

Imperiales Getöse und nationalistischeSticheleien, Fahnenschwenken und Gipfel-buchschmierereien – im Grummeln derBrentagewitter ließ sich der Kanonendon-ner des nahenden großen Krieges schon er-ahnen.

Das „deutsche Zeitalter“ am CampanileBasso ist 1918 beendet, doch viele derAkteure treten schon vorher von der Bühnedes alpinen Geschehens ab: Otto Ampfererbeendet seine Kletterkarriere bereits 1902,er wird ein renommierter Geologe werden.Paul Preuß stürzt im Oktober 1913 amNördlichen Manndlkogel im Gosaukamm zuTode,er war seinen Grundsätzen bis zuletzttreu geblieben und wurde nur 27 Jahre alt.Hans Dülfer fällt als Kriegsfreiwilliger imJuni 1915 bei Arras im Alter von 22 Jahren,fast auf den Tag genau drei Jahre nach seinergrandiosen Durchsteigung der Fleischbank-Ostwand. Karl Berger wird im August 1915,beinahe in Sichtweite seines einstigenSieges, Opfer eines tragischen Zwischen-falls und stirbt bei einem Patrouillengangdurch die versehentlich gelöste Kugel einesKameraden.

Die Brenteihütte, einst fast ein halbes Jahrhundert lang Domizil von Bruno Detassis, dem„König der Brenta“, ist von einem wilden Kranz von Felsriesen umgeben. Hinter der Hütteist die Bocca di Brenta sichtbar, welche erstmals 1864 von John Ball überschritten wurde.

An der Ostwand des Campanile Basso gelang Paul Preuß (1886-1913) seineberühmteste Neutour. Während derNormalweg der Guglia schon nach zwölfJahren hundert Begehungen zählte, hattedie Preußroute nach 24 Jahren nicht ganzzehn Wiederholungen. Unten: In der ersten Seillänge der Preuß-route gibt es nur spärliche Sicherungs-möglichkeiten.

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