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Das abgelehnte Damengambit aus schwarzer Sicht Trainingsabend Heilbronner Schachverein Ramin Geshnizjani 3. Juni 2020, 1. Juli 2020 Der Versuch eines Überblicks Das abgelehnte Damengambit „mal kurz“ darzustellen ist anhand des Umfangs dieser Eröffnung (besser: Eröffnungsfamilie) schlicht unmöglich. Daher werden uns wir im Fol- genden eher an der Oberfläche aufhalten und den Fokus auf einen Überblick über die verschiedenen Antwortmöglichkeiten aus schwarzer Sicht legen. Dabei möchte ich auf drei Abspiele eingehen, die Schwarz in der folgenden Diagramm- stellung wählen kann, beginnend mit den Zügen ... Be7, . . . c6 und ...dXc4. 1 3VRz Z4WB1TK5XQ4˜WBz3VR 2 6šYP6YP6šYP6YPz Zz6šYP6YP 3 zz Z2UNz Zz2UNzz Z 4 z Zzz Zz6šYP6YPz Zz 5 zz Zzz Z6Ypz Zzz Z 6 z Zz2Un6Ypz Zzz Zz 7 6Yp6šYp6Ypz Zz6šYp6Yp6šYp 8 3Vrz4˜Wb1Tk5Xq4Wb2Un3Vr h g f e d c b a Hier wollen wir hin!

Das abgelehnte Damengambit aus schwarzer Sicht

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Das abgelehnte Damengambit ausschwarzer Sicht

Trainingsabend Heilbronner Schachverein

Ramin Geshnizjani

3. Juni 2020, 1. Juli 2020

Der Versuch eines Überblicks

Das abgelehnte Damengambit „mal kurz“ darzustellen ist anhand des Umfangs dieserEröffnung (besser: Eröffnungsfamilie) schlicht unmöglich. Daher werden uns wir im Fol-genden eher an der Oberfläche aufhalten und den Fokus auf einen Überblick über dieverschiedenen Antwortmöglichkeiten aus schwarzer Sicht legen.

Dabei möchte ich auf drei Abspiele eingehen, die Schwarz in der folgenden Diagramm-stellung wählen kann, beginnend mit den Zügen . . . Be7, . . . c6 und . . . dXc4.

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Hier wollen wir hin!

Training: Damengambit aus schwarzer Sicht Heilbronner Schachverein e.V.

Diese Diagrammstellung müssen wir aber erst einmal erreichen – und das ist nicht soeinfach wie es aussieht! Die ersten paar Züge sind im Prinzip relativ flexibel wählbar,d. h. es gibt viele Möglichkeiten für Zugumstellungen und damit auch viele Möglichkeiten,bestimmte Varianten zu vermeiden oder den Gegner in bestimmte Varianten zu locken.Wenn wir mit der „naivsten“ Zugfolge 1. d4 d5 2. c4 e6 3. Nc3 Nf6 anfangen, dannkann Weiß (was er mit hoher Wahrscheinlichkeit tun wird) die Abtauschvariante 4. cXd5spielen und nach 4. . . eXd5 5. Bg5 c6 6. e3 Be7 7. Bd3 Nbd7 landen wir in der sog.Karlsbader Struktur :

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Die theoretische Bewertung dieser Stellung schwankt zwischen Ausgleich und lang an-haltendem Vorteil für Weiß; jedenfalls spielen viele Schwarzspieler (inkl. mir) nicht gernegegen die Abtauschvariante. Ein Hauptsorgenkind ist ironischerweise der Bc8, der sichtrotz des erfolgten . . . eXd5 nur schwer nach f5 oder g4 entwickeln lässt. Der Grund hier-für ist, dass Weiß auf Ng1-f3 verzichtet und das Tempo sinnvoller genutzt hat (Bg5, e3Jg4, Bd3 Jf5).

Weiter möchte ich die Abtauschvariante an dieser Stelle nicht vertiefen, sondern stattdes-sen ein paar Alternativen vorstellen, mit denen Schwarz sie komplett umgehen kann.

Alternativen im 2. Zug Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man das Da-mengambit einfach annehmen kann, also 1. d4 d5 2. c4 dXc4, was je nach der weißenReaktion zu interessanten Stellungsbildern führen kann. Eine Eröffnung für sich ist dieSlawische Verteidigung 1. d4 d5 2. c4 c6, deren Betrachtung hier ebenfalls den Rahmensprengen würde.

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Alternativen im 3. Zug Wenn wir das „normale“ abgelehnte Damengambit spielen wol-len, ohne Weiß die Möglichkeit der Abtauschvariante zu geben, haben wir ein paar Mög-lichkeiten:

• Die Tarrasch-Variante 3. . . c5, in der Schwarz mit einem Isolani spielt, die jedochin dem Abspiel 4. cXd5 eXd5 5. Nf3 Nc6 6. dXc5 angezählt erscheint

• Die Dreiecksvariante 3. . . c6 kann sehr scharf und interessant werden, z. B. nach4. Nf3 dXc4!? (Noteboom-Variante); dafür kann Weiß das gefährliche Marshall-Gambit 4. e4!? wählen

• 3. . . Be7 verhindert die Abtauschvariante durch Zurückstellen von ...Nf6, denWeiß nun nicht mehr fesseln kann (s. u.). Weiß antwortet daher oft mit 4. Nf3und nach 4. . . Nf6 sind wir unserer Tabiya gelandet, wobei wir uns aber schon für...Be7 entschieden haben.

Die indische Zugfolge Viele Schwarzspieler streben das Damengambit über die Zugfol-ge 1. d4 Nf6 2. c4 e6 an. Nach 3. Nc3 wäre 3. . . d5 4. cXd5 zwar wieder die Abtausch-variante, aber mit 3. Nc3 Bb4 kann Schwarz Nimzo-Indisch spielen (was er natürlichim Repertoire haben muss!). Eine beliebte weiße Alternative ist 3. g3 und nach 3. . . d54. Nf3 haben wir einen Katalanen auf dem Brett (dem können wir aber auch nach 1. d4d5 2. c4 e6 3. Nf3 Nf6 4. g3 nicht entkommen). Ihr ahnt es: Katalanisch ist nochmal ei-ne eigene Eröffnung und eine Betrachtung würde hier den Rahmen sprengen. . . DiejenigenWeißspieler, die weder Nimzo-Indisch noch Katalanisch spielen wollen, erwischen wir aberund haben sie nach 3. Nf3 d5 4. Nc3 erfolgreich ins unsere Tabiya gelockt!

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Geschafft!

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Von dieser Stellung aus kann sich das Spiel in verschiedenste Richtungen entwickeln, wiewir in den folgenden drei Partien sehen werden.

Beispielpartie 1: Tartakower-Variante

Kortschnoi, Viktor (2695) – Karpow, Anatoli (2695), Weltmeisterschaft (1), Meran1981

1. c4 e6 2. Nc3 d5 3. d4 Be7 4. Nf3

Falls Weiß hier auf d5 tauscht, kann er nach 4. cXd5 eXd5 kein Bg5 spielen. Er mussalso auf . . .Nf6 warten, aber nach 5. Nf3 Nf6 6. Bg5 c6 ist Schwarz der normalenAbtauschvariante ein Tempo voraus, sodass er seinen Bc8 bequem entwickeln oder ab-tauschen kann: 7. e3 kann direkt mit Bf5 beantwortet werden, da Schwarz schon . . . c6gespielt hat und Qb3 somit kein Doppelangriff mehr ist, und auch nach 7. Qc2 g6! 8. e3Bf5 hat Schwarz sein strategisches Ziel erreicht.

Interessanter ist die Alatorsev-Variante 4. cXd5 eXd5 5. Bf4, die von Botwinnik undPetrosian in ihren WM-Kämpfen ausgiebig diskutiert wurde. Nach 7. . . c6 6. e3 Bf5scheint Schwarz alle Sorgen los zu sein, aber Botwinnik entwickelte den Plan, den Läufermit 7. g4!? wieder von der Diagonalen b1-h7 zu vertreiben.

4. . . Nf6 5. Bg5

Der Zug 5. Bf4 hat in den letzten Jahren vor allem auf Weltklasse-Niveau an Popularitätzurückgewonnen1 und ist daher ein Kapitel für sich, das den Rahmen dieser Trainings-einheit sprengen würde. Nach 6. . . O-O 6. e3 hat Schwarz prinzipiell die Wahl zwischen...c5, . . .Nbd7 und ...b6, welche zu sehr unterschiedlichen Stellungsbildern führen.

5. . . h6 Wenn Schwarz den Läufer vertreiben möchte, dann ist es am genauesten, dasjetzt zu tun.

Nach 5. . . Nbd7 6. e3 O-O 7. Rc1 c6 hätten wir die Grundstellung des sog. orthodo-xen Damengambits erreicht. Schwarz wird hier versuchen, sich durch den Tausch einigerLeichtfiguren zu entlasten und strebt mittelfristig den Gegenstoß . . . e5 oder . . . c5 an. Eintypisches Entlastungsmanöver ist das von Capablanca gespielte 8. Bd3 dXc4 9. BXc4Nd5, mit dem Schwarz die schwarzfeldrigen Läufer und ein Springerpaar abtauscht. Nach10. BXe7 QXe7 11. O-O NXc3 12. RXc3 e5 hat Weiß schon viele Züge versucht, aberselbst das scharfe 13. dXe5 NXe5 14. NXe5 QXe5 15. f4!? Qe4 16. Bd3!? konnte die

1Der Zug geht ursprünglich auf Steinitz zurück, welcher ihn gern in Verbindung mit c4-c5 anwandte,um auf Raumvorteil am Damenflügel zu spielen.

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schwarze Stellung nicht knacken. Im WM-Kampf 19272 ging Aljechin mit 11. Ne4!? wei-teren Abtauschen aus dem Weg und in der 20. Partie folgte nach dem harmlos aussehen-den Damentausch N5f6 12. Ng3 Qb4+ 13. Qd2 QXd2+ 14. KXd2 Rd8 15. Bd3 derGegenstoß e5!?, der spannende Verwicklungen einleitete: 16. dXe5 Ng4 17. e6 Nde518. NXe5 NXe5 19. eXf7+ KXf7 20. Rc3 b5! 21. f4 b4 22. fXe5 bXc3+ 23. KXc3Ke6k 1/2 (43) Alekhine – Capablanca, Buenos Aires 1927.

Weiß kann das Abwartespiel auch mit 8. Qc2 fortsetzen, um später in einem Zug mit demLäufer auf c4 zurückzuschlagen („Tempokampf-Variante“ D64). Neben Abwartezügen wie. . . a6 kann Schwarz nun wieder auf Laskers Idee zurückgreifen und 8. . . Ne4 spielen(s. Anmerkung zum 7. Zug).

6. Bh4 O-O 7. e3 b6 Die Ausgangsstellung der Tartakower-Makogonow-Bondarewski-Variante (D58/59). Schwarz möchte den weißfeldrigen Läufer auf die lange Diagonaleentwickeln, wo er Einfluss auf das Zentrum nimmt und (nach . . . dXc4) eventuell Druckauf den weißen Königsflügel ausüben kann. Des Weiteren unterstützt . . . b6 den schwarzenGegenstoß . . . c5. Weiß hat hingegen leichten Entwicklungsvorsprung und kann versuchen,gegen die schwarzen Hängebauern c5/d5 zu spielen.

7. . . Ne4 ist Laskers Zug (D56) – wieder mit dem Ziel, die schwarzfeldrigen Läufer zutauschen und sich generell durch Tausch etwas Luft zu verschaffen: 8. BXe7 QXe7 9. Rc1Zwei andere Versuche sind 9.Qc2 NXc3 10.QXc3 dXc4 11.BXc4 b6, wonach Schwarzdas Problem des Damenläufers auf andere Weise löst, und 9. cXd5 NXc3 10. bXc3 eXd511.Qb3 mit dem Plan, mit c4 eine Bauernmehrheit im Zentrum zu bilden und diesefür die Entwicklung einer Initiative im Zentrum und am Damenflügel zu nutzen. Dorthat Schwarz zwar seine eigene Mehrheit; die Bauern könnten aber dennoch schwach wer-den. 9. . . c6 10. Be2 NXc3 11. RXc3 dXc4 12. BXc4 Nd7 und je nach Situation willSchwarz entweder . . . e5 oder . . . c5 durchsetzen, um endlich das Problem der Entwicklungseines Damenläufers zu lösen. Eine der berühmtesten Partien neueren Datums ist AnandsSieg gegen Topalow in der letzten WM-Partie 2010: 13.O-O b6 14. Bd3 c5 15. Be4Rb8 16. Qc2 Nf6 17. dXc5 NXe4 18. QXe4 bXc5j 0–1 (56) Topalov – Anand, Sofia2010.

Kramnik hat den alten Zug 7. . . Nbd7 wiederbelebt, verbunden mit der neuen Idee, soschnell wie möglich mit . . . c5 die Lage im Zentrum zu klären. Allerdings kann Schwarznach bspw. 8. Rc1 oder 8. Qc2 auch mit 8. . . c6!? die Spannung aufrechterhalten. DieFolge ist ein etwas gehaltvolleres Spiel; dafür muss man aber auch bereit sein, die Ab-tauschvariante zu spielen.

8. Rc1 Weiß hat hier einige Züge versucht; außer dem Textzug haben sich folgendeHauptvarianten herauskristallisiert:

2bei dem in 33 von 34 Partien ein abgelehntes Damengambit gespielt wurde!

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8. cXd5 ist der direkte Versuch, eine Stellung mit hängenden Bauern zu erreichen. Nungilt der von Makogonow und Bondarevsky eingeführte Zug 8. . . NXd5 als Verbesserunggegenüber Tartakowers 8. . . eXd5. Obwohl Tartakowers ursprüngliche Variante spielbarist, kann Schwarz mit dem Tausch der beiden Leichtfigurenpaare gut leben. Nach denZügen 9. BXe7 QXe7 10. NXd5 eXd5 11. Rc1 sollte Schwarz den Damenläufer abernicht mehr fianchettieren, sondern 11. . . Be6! spielen. Nach dem Tausch auf d5 steht derLäufer auf e6 besser als auf b7 – dort wird sich nämlich die schwarze Dame wohlfühlen,die außer ihrer diagonalen Wirkung auch entlang der b-Linie Druck machen kann! DiePartie könnte z. B. mit 12. Qa4 c5 13. Qa3 Rc8 14. Bb5 weitergehen und hier hatGeller sehr schön gezeigt, dass Schwarz trotz des reduzierten Materials nach 14. . . Qb7!gutes Spiel für den Bauern bekommt: 15. dXc5 bXc5 16. RXc5 RXc5 17. QXc5 Na618. BXa6 QXa6n 0–1 (36) Timman – Geller, Hilversum 1973.

8. Be2 ist die andere große Hauptvariante. Mit 8. . . dXc4 könnte Schwarz nun sofortsein ursprüngliches Ziel erreichen, den Läufer auf die lange Diagonale zu entwickeln.Auf der Agenda steht nun ein Springerausflug nach e4 sowie der typische Gegenstoß c5.Andererseits sind die Stellungstypen nach 9.BXc4 Bb7 10.O-O Ne4 11.BXe7 QXe712.NXe4 BXe4 13.Rc1 Rd8 14.Bd3 BXd3 15.QXd3 c5 16.Ne5 Qb7j(Yurtaev - Be-liavsky, Jerewan 1996) vielleicht nicht nach Jedermanns Geschmack – es wurden bereitseinige Figuren abgetauscht, aber Weiß hat immer noch gewissen Raumvorteil und stehtein bisschen bequemer. Nach dem Hauptzug 8. . . Bb7 9. BXf6 BXf6 10. cXd5 eXd511. b4 hat Schwarz die Wahl zwischen . . . c5 und . . . c6; beide Möglichkeiten führen zugehaltvollen Stellungen und wurde auf höchster Ebene ausführlich diskutiert, u. a. in denWM-Kämpfen zwischen Karpow und Kasparow.

Schließlich können beide Seiten mit 8. Bd3 Bb7 9.O-O Nbd7 10. Qe2 c5 11. Rfd1die Spannung im Zentrum aufrechterhalten. Schwarz sollte nun zum Springerausfall11. . . Ne4 greifen, um die schwarzfeldrigen Läufer zu tauschen und der Dame ein be-quemes Feld auf e7 zu sichern.

8. . . Bb7 9. Be2 Nbd7 10. cXd5 eXd5 11. O-O c5 12. dXc5?! Weiß legt dieBauernstruktur im Zentrum zu früh fest. Oft ist es besser, erst die eigene Figurenstellungzu verbessern, bevor man die Hängebauern erzeugt.

Drei Jahre später fand Karpow mit Weiß gegen Kasparow einen überzeugenderen Aufbau:12. Qa4! a6 13. dXc5 bXc5 14. Rfd1 Qb6 15. Qb3 Qa7 16. Bg3 Rad8?! und nunhätte Karpow mit 17. Nh4 Vorteil erlangen können (das Feld f5 ist schwach).

Mit 12. Ne5 NXe5 13. dXe5 Ne4 kommtWeiß hingegen nicht weiter. Zum Beispiel kannSchwarz nach 14. NXe4 14.BXe7?! QXe7 15.NXd5? ist sogar schon richtig schlecht fürWeiß: QXe5 E16.Nc3 Rad8i und Schwarz dringt auf d2 ein! 14. . . dXe4 15. QXd8BXd8 16. Bg3 Be7j auf seine Bauernmehrheit am Damenflügel setzen.

12. . . bXc5 13. Qc2 Das Hauptmotiv der Partie sind nun die hängenden Bauern auf d5

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Kortschnoi – Karpow, Stellung nach 13. Qc2

und c5: Einerseits geben sie Schwarz einen gewissen Raumvorteil im Zentrum und damitAngriffschancen, andererseits sind die Bauern selbst anfällig, da sie nur von Figurengedeckt werden können. Wir werden die hängenden Bauern in einer anderen Einheitgenauer behandeln, daher sei hier nur erwähnt, dass sich das schwarze Spiel oft um denVorstoß . . . d4 dreht. Dadurch öffnen sich Linien und Diagonalen im Zentrum und gegenden Königsflügel; außerdem kann der Bauer d4 selbst zu einem starken Freibauern werden.Ein anderes Angriffsobjekt ist der weiße b-Bauer, auf den entlang der halboffenen b-LinieDruck ausgeübt werden kann. Auf b2-b3 ist oft . . . a7-a5-a4 ein Motiv; spielt Weiß a2-a3,dann kann Schwarz mit . . . c5-c4 das Feld b3 als Schwäche fixieren (im Gegenzug bekommtWeiß dann aber das Feld d4!). Der weiße Plan besteht in der Regel darin, die jeweiligenVorstöße zu verhindern und dabei die Bauern unter Druck zu setzen. Wichtige Hebel sinddabei im richtigen Moment e3-e4 und b3-b4, um die schwarze Phalanx aufzubrechen unddie nach . . . d4 bzw. . . . c4 entstehenden Stützpunkte zu nutzen.

Im „Erstversuch“ gegen Kasparow wählte Karpow einen anderen Aufbau, um den pd5anzugreifen: 13. Rc2 Rc8 14. Rd2 Qb6 15. Qb3 Rfd8 16. Rfd1 QXb3 17. aXb3Nb6 18. Ne5 Kf8 19. h3 a6 20. Bf3 Ba8 21. Ng4 Ng8 1/2 (21) Karpov,A (2700) –Kasparov,G (2710) Moskau 1984.

13. . . Rc8 14. Rfd1 Qb6 15. Qb1

Botvinnik schlägt stattdessen 15. Bg3 vor, wonach Schwarz sich vermutlich am bestenmit 15. . . Rfd8j weiter entwickelt.

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Aufg. (1): Warum geht der Durchbruch 15. . . d4 nicht?

15. . . Rfd8 16. Rc2 Diese Umgruppierung ist typisch für das Spiel gegen die hängen-den Bauern: Je nach Situation soll der d- oder der c-Bauer mittels Verdopplung unterBeschuss genommen werden Qe6 Ein gutes Feld für die Dame: Sie steht zentral, ohnedass sie von den weißen Figuren behelligt werden kann. Außerdem deckt sie den Be7und hebt dadurch die Fesselung des Nf6 auf. 17. Bg3 Weiß nimmt den Tausch desschwarzfeldrigen Läufers hin.

Aufg. (2): Wie ist hier die Variante 17. Rcd2 Ne4 einzuschätzen? Genauer gefragt:Darf Weiß auf e4 tauschen?

8 zzZ3Vr3—VrzzZ1TkzZ7 6šYp4WbzZ2Un4˜Wb6Yp6šYpz6 zzZzzZ5XqzZz6šYp5 zZz6šYp6YpzZzzZz4 zzZzzZ2UnzZz4˜WB3 zZz2–UNz6šYP2UNzZz2 6YP6šYPz3—VR4WB6šYP6YP6šYP1 zZ5XQzZ3VRzZz1•TKz

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Aufg. (2): Wie ist 18. NXe4 einzuschätzen?

17. . . Nh5 18. Rcd2 NXg3 19. hXg3 Nf6 Hier sieht man, dass der Abtausch einesLeichtfigurenpaares Schwarz eher geholfen hat: Die Figuren stehen sich weniger im Wegherum; vielmehr steht jetzt fast jede schwarze Figur gut und wirkt auf das Zentrum(lediglich der Be7 braucht noch eine aktive Aufgabe). Die weiße Stellung ist dagegen

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passiver; er hält die schwarzen Bauern zwar in Schach, aber es ist schwer, irgendwo Akti-vität zu entwickeln. Kortschnoi versucht nun, seinem Königsläufer eine Aufgabe zu geben.20. Qc2 g6 21. Qa4 a6 22. Bd3 Kg7 23. Bb1 Qb6 24. a3? (Diagramm) DerLäufer soll nach a2, um den Druck auf den pd5 zu erhöhen.

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Aufg. (3): Ist die Stellung schon reif für einen Durchbruch?

Statt des Partiezuges wäre 24. Ne2 nötig gewesen, um d4 erneut (zum 6. Mal!) zu decken.Karpow bricht nun nun mit 24. . . d4! im Zentrum durch. 25. Ne2

Die Annahme 25. eXd4 musste natürlich sauber berechnet werden. Die Pointe ist derZwischenzug 25. . . Bc6!, auf den Weiß keine gute Antwort hat: Nach 26.Qc2 BXf327. gXf3 cXd4i fällt der gefesselte Springer, 26.Qc4 cXd4 27.NXd4 verliert durch denAbzug Bf3!i die Qualität und auch nach 26. dXc5 BXa4 27. cXb6 BXd1 28. b7 (nach28.RXd1? RXd1+ 29.NXd1 Rc1i ist sogar ein ganzer Turm weg) 28. . . Rb8 29. NXd1RXb7i kommt Schwarz mit einer Mehrqualität raus.

25. . . dXe3 26. fXe3

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Aufg. (4): Wie hält Schwarz seine Initiative aufrecht?

26. . . c4! Öffnet die zweite Diagonale gegen den König und versperrt gleichzeitig derweißen Dame den Weg zum Königsflügel. 27. Ned4 Qc7 28. Nh4 Qe5 (natürlichnicht 28. . . QXg3?? 29. Nhf5+h) 29. Kh1 Kg8 Nimmt die Springergabel aus derStellung, sodass Weiß einen der Bauern verliert. 30. Ndf3 QXg3 31. RXd8+ BXd832. Qb4 Be4 33. BXe4 NXe4 34. Rd4 Nf2+ 35. Kg1 Nd3 36. Qb7 Rb837. Qd7 Bc7 Auch ohne den Mehrbauern wäre das eine Traumstellung für Schwarz:Spätestens nach . . .RXb2 werden alle Figuren gemeinsam angreifen! 38. Kh1

8 z3—VrzzZzzZ1TkzZ7 zZz4˜Wb5XQzZ6YpzZz6 6YpzZzzZzzZ6Yp6šYp5 zZzzZzzZzzZz4 zzZ6Yp3—VRzzZz2–UN3 6šYPzzZ2Un6šYP2UN5™Xqz2 z6šYPzzZzzZ6YPzZ1 zZzzZzzZz1•TKz

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Aufg. (5): Was sprach gegen 38. RXc4?

© Ramin Geshnizjani, 2020 10

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38. . . RXb2 39. RXd3 Verzweiflung – vermutlich wollte Kortschnoi nur noch schauen,ob Karpow die Zeitkontrolle schafft. cXd3 40. QXd3 Qd6 41. Qe4 Qd1+ 42. Ng1Qd6 43. Nhf3 Rb5 0–1.

Beispielpartie 2: Meraner Variante

Kramnik, Wladimir (2772) – Anand, Viswanathan (2783), Weltmeisterschaft (5),Bonn 2008

1. d4 d5 2. c4 c6 Anand wählt die slawische Zugfolge und „riskiert“ somit die Ab-tauschvariante 3. cXd5 cXd5 mit festgelegter symmetrischer Bauernstruktur. Für schwar-ze Gewinnambitionen wäre das ein ziemlicher Dämpfer; in einemWM-Kampf wird jedochtraditionell versucht, mit Weiß auf Gewinn zu spielen – vor allem, wenn man wie Kramnikhier bereits zurückliegt!

2. . . e6 3. Nc3 c6 wäre eine Möglichkeit, über „unsere“ Zugfolge in halbslawische Gewäs-ser zu kommen. Der kritische Test für diese Dreiecksvariante dürfte wohl das Marshall-Gambit 4. e4 sein. Nach 4. . . dXe4 5. NXe4 Bb4+ 6. Bd2 QXd4 7. BXb4 QXe4+

8. Be2 hat Weiß gute Kompensation für den Bauern.

4. Nf3 würde nach 4. . . Nf6 zur Partie führen; aber Schwarz kann auch die lebhafteNoteboom-Variante wählen: 4. . . dXc4 5. a4 Bb4 6. e3 b5 7. Bd2 a5 8. aXb5 BXc39. BXc3 cXb5 und wieder haben wir eine scharfe, asymmetrische Stellung. Wenn Weißnicht aufpasst, wird er von den schwarzen Mehrbauern am Damenflügel überrannt. WennSchwarz nicht aufpasst, öffnet Weiß das Zentrum und und zerlegt mit seinem Läuferpaardie schwarze Stellung.

3. Nf3 Nf6 4. Nc3 e6 Die Grundstellung der halbslawischen Verteidigung. Weiß hathier zwei Hauptzüge, die sich wiederum in verschiedene Varianten verzweigen. Von ruhigbis extrem scharf ist für alle Geschmäcker etwas dabei! 5. e3

Mit 5. Bg5 signalisiert Weiß die Bereitschaft, seinen c-Bauern zu opfern und sich inirrationale Verwicklungen zu stürzen: Die Botwinnik-Variante (D44) 5. . . dXc4 gehörtwohl zu den schärfsten Abspielen des gesamten Damengambit-Komplexes und ist daherauch entsprechend weit ausanalysiert. Los geht es mit 6. e4 b5 7. e5 h6 8. Bh4 g59. NXg5 hXg5 10. BXg5 Nbd7 11. eXf6 Bb7 und hier fängt die Theorie gerade erstan!

Die modernere Reaktion auf 5. Bg5 ist 5. . . h6 und jetzt hat Weiß wiederum die Wahlzwischen der ruhigeren Moskauer Variante 6. BXf6 QXf6 7. e3 (Weiß hat Raumvorteil,während Schwarz langfristig auf sein Läuferpaar setzt.) und der Anti-Moskau-Variante(D43) 6. Bh4 dXc4 7. e4 g5 8. Bg3 b5, die vor einigen Jahren auf der Top-GM-Ebene

© Ramin Geshnizjani, 2020 11

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ausgiebig diskutiert wurde. Weiß hat auf jeden Fall Kompensation für den Bauern, aberes sind alle drei Ergebnisse möglich.

Schließlich leitet 5. Bg5 Nbd7 6. e3 Qa5 in die Cambridge-Springs-Variante (D51)über, die zwar selten gespielt wird, aber meines Wissens nicht als schlecht für Schwarzgilt.

5. . . Nbd7 6. Bd3 Lädt zur Reise nach Meran ein.

Beliebt ist hier auch die sog. Anti-Meran-Variante 6. Qc2, in der Weiß nach Bd6 zwi-schen ruhigen Aufbauten mit 7. Bd3 oder 7. b3 und direkteren Ansätzen wie 7. e4!? oderShirows 7. g4!? wählen kann.

6. . . dXc4 7. BXc4 b5 8. Bd3 a6 Da . . . c5 auf der schwarzen Agenda steht, ist dieserZug nötig, um b5 zu decken. Schwarz kann aber auch erst seinen Läufer entwickeln.

Die Stellung nach 8. . . Bb7 9.O-O a6 10. e4 c5 11. d5 Qc7 12. dXe6 fXe6 wurdedamals in der Weltspitze auch ausgiebig untersucht.

9. e4 c5 10. e5 Neben d5 der andere prinzipielle Zentrumsvorstoß von Weiß cXd411. NXb5 aXb5 Außer dem Textzug gibt es hier auch 11. . .Ng4 und 11. . .NXe5, jeweilsmit entsprechenden Theorievarianten. 12. eXf6 gXf6 13. O-O Qb6 14. Qe2 Weißignoriert den Bauern d4 fürs Erste und widmet sich der Aktivierung seiner Figuren. Bb715. BXb5 Ein paar Tage zuvor hatten die beiden exakt diese Stellung bereits auf demBrett! Rg8N Anand weicht zuerst ab, obwohl er die 3. Partie auf beeindruckende Artgewann – unbedingt nachspielen! 16. Bf4 Der Läufer soll am Königsflügel verteidigen,z.B. auf g3 die g-Linie blockieren Bd6 17. Bg3

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h g f e d c b a•

Aufg. (6): Wie ist der Läufertausch 17. . . BXg3 einzuschätzen?

© Ramin Geshnizjani, 2020 12

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17. . . f5 Wir haben eine kritische Stellung der Partie erreicht.

8 3VrzZzzZ1TkzZ3VrzZ7 zZ4WbzZ2UnzZ6YpzZ6Yp6 z5™Xqz4˜Wb6YpzZzzZ5 zZ4WBzZzzZ6YpzZz4 zzZz6šYpzzZzzZ3 zZzzZzzZ2UN4˜WBz2 6YP6šYPzzZ5XQ6šYP6YP6šYP1 3—VRzzZzzZ3VR1•TKz

a b c d e f g h◦

Aufg. (7): Analysiere die Folgen von 18. NXd4

18. Rfc1!? Kramnik war seit Anands Neuerung auf sich allein gestellt, entscheidet sichaber für die kämpferische Fortsetzung.

18. Rfd1?! zeigt, welches dynamische Potential in der Stellung steckt: f4 19. Bh4 Ra520. a4 RXb5! 21. aXb5 Ne5 22. NXe5 RXg2+ 23. Kf1 RXh2 24. Nf3 Rh1+ 25. Kg2RXh4i mit mehr als genug Kompensation für die Qualität (zwei Bauern, Läuferpaarund Angriff!)

18. . . f4 19. Bh4 Be7 Natürlich ist die Diagonale h2-b8 für den Läufer nicht mehrinteressant.

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h g f e d c b a•

Aufg. (8): Warum geht das Qualitätsopfer 19. . . Ra5 20. a4 RXb5 jetzt nicht?

20. a4 BXh4 21. NXh4 Ke7 Schließt die Entwicklung ab und verbindet die Türme.Die Frage, welcher König sicherer steht, dürfte nur mit starker Hardware und ausreichendZeit zu beantworten sein. In einer praktischen Partie kann alles passieren. 22. Ra3

Hier taucht 22. g3!? immer wieder in den Vorschlägen der Engine auf. Zwar schwächtes die lange Diagonale, dafür wird der Springer von der Deckung von g2 entbunden undkann wieder mitspielen.

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Aufg. (9): Hätte Kramnik hier 22. b4 spielen können?

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Aufg. (10): Wie nutzte Anand den Ra3, um seine Stellung zu verbessern?

22. . . Rac8! Je länger Stockfish rechnet, desto besser gefällt ihm Anands Zug. Schwarzsichert sich die c-Linie, da der Ra3 gerade den Königsflügel verteidigen muss (23.Raa1?erlaubt wieder den Einschlag RXg2+). 23. RXc8 RXc8 24. Ra1 Qc5 25. Qg4

Weiß kann auch versuchen, gegen die Bauern zu spielen. Schwarz zieht dann mit . . . f3so starkes Gegenspiel auf, dass Weiß ins Remis abwickeln muss: 25. Qd2 Qd6 26. Rd1Ne5! 27. Kf1 f3! 28. NXf3 NXf3 29. gXf3 BXf3 und die Doppeldrohung . . .BXd1und . . .QXh2 zwingt Weiß praktisch dazu, die Notbremse zu ziehen: 30. Qg5+ Kf831. Qh6+ Ke7 32. Qg5+j

25. . . Qe5 Es ist menschlich, die Dame in der Nähe des Königs zu lassen.

25. . . Qc2 wäre aber eine interessante Alternative gewesen, um den eigenen Freibau-ern zu unterstützen. Nach 26. QXf4 d3n befindet sich die Stellung im dynamischenGleichgewicht; Stockfish spuckt z. B. folgende Variante aus: 27. Qb4+ Nc5 28. Nf3BXf3 29. Qh4+! f6 30. QXh7+ Kd6 31. gXf3 QXb2 32. Re1 (32.Rd1? Qe2 33.Rf1QXf3i) 32. . . d2 33. Rd1 Qc1 34. Be2 NXa4 35. Qd3+ Ke7 36. QXd2 QXd237. RXd2 Rg8+ 38. Kf1 Rh8 39. Kg2 Rg8+ 40. Kh1 Nc3j

26. Nf3 Qf6 27. Re1 Rc5 28. b4?! Hier scheint Kramnik langsam vom rechten Wegabzukommen.

Der Computer bevorzugt 28. Rd1, aber dazu muss man sich nach dem vorhergehendenRe1 erst einmal durchringen! h5 29. Qh3 d3 30. BXd3 QXb2j

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Aufg. (11): Woran scheitert der Bauerngewinn 28. BXd7 KXd7 29. NXd4?

28. . . Rc3 Schwarz droht jetzt sehr stark . . .BXf3 nebst Ne5 und Kramnik unterläuftein entscheidender Rechenfehler.

Mit 29. Qg8! hätte er das Gleichgewicht halten können, aber wie kommt man auf soeinen Zug?! BXf3 30. gXf3 Qg6+ Die Pointe ist, dass jetzt 30. . . Ne5?? an 31.Qe8+

Kd6 32.Qb8+h scheitert.) 31. QXg6 hXg6 32. a5 Ra3j und laut Computer ist dasEndspiel ausgeglichen.

Stattdessen folgte 29. NXd4? QXd4 30. Rd1 Nf6! Pointe Nr. 1 – die von Kramnikaber noch eingepreist gewesen sein dürfte. 31. RXd4 NXg4 32. Rd7+ Kf6 33. RXb7und Weiß hat die Figur mit einem Mehrbauern zurückgewonnen.

© Ramin Geshnizjani, 2020 16

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Aufg. (12): Schwarz am Zug gewinnt!

33. . . Rc1+ 34. Bf1 Ne3! Vermutlich hat Kramnik diesen Schlag übersehen 35. fXe3fXe3 0–1 Kramnik gab auf, da der e-Bauer einen ganzen Turm kosten wird: 36. Rc7RXc7 37. g3 Rc1 38. Kg2 Rc2+ 39. Kf3 Rf2+ 40. KXe3 RXf1.

Beispielpartie 3: Wiener Variante

Beliavsky, Alexander – Witjugow, Nikita

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nf3 d5 4. Nc3 dXc4 Die Wiener Variante (D39) erfreut sichseit einigen Jahren großer Beliebtheit in der Weltklasse.

Die Ragosin-Variante 4. . . Bb4 leitet oft in die Wiener Variante über und nimmt Weißdabei eine gefährliche Option (s. u.). Andererseits kann Weiß seinerseits die Wiener Va-riante umgehen, sodass die Ragosin-Variante nach 5. cXd5 eXd5 durchaus einen eigen-ständigen Charakter hat. Statt des Tausches kann Weiß aber auch 5. Qa4+ spielen odermit 5. e3 in die Rubinstein-Variante der Nimzowitsch-Indischen Verteidigung überleiten.Schließlich landen wir nach 5. Bg5 dXc4 durch Zugumstellung wieder in Wien.

Ebenfalls unlängst wiederentdeckt wurde die Semi-Tarrasch-Verteidigung 4. . . c5. DerHauptdiskussionsgegenstand ist die Stellung nach 5. cXd5 NXd5 6. e4 NXc3 7. bXc3cXd4 8. cXd4 Bb4+ 9. Bd2 BXd2+ 10. QXd2 O-O 11. Bc4: Weiß hat deutlichenRaumvorteil im Zentrum, den er im Mittelspiel ausnutzen sollte, um den schwarzen Königanzugreifen und/oder mit d5 durchzubrechen. Je mehr sich die Stellung vereinfacht,

© Ramin Geshnizjani, 2020 17

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desto stärker wird die schwarze Mehrheit am Damenflügel ins Gewicht fallen, sodassder Nachziehende seine Chancen eher im Endspiel sucht.

5. e4 Die prinzipiellste Fortsetzung.

5. e3 ist etwas zurückhaltender und führt in eine Variante des angenommenen Damen-gambits, die jedoch nicht zu den ambitioniertesten gehört.

5. Bg5 erlaubt Schwarz, komplett das Terrain zu wechseln und mit 5. . . c6 in dieBotwinnik-Variante (Halbslawisch) überzuleiten; 5. . . Bb4 6. e4 wäre hingegen wiedereine Zugumstellung.

5. . . Bb4 Die schwarze Idee besteht darin, Weiß durch Figurendruck zu beschäftigen,sodass dieser seinen Bauern nicht bequem zurückgewinnt. Sollte Weiß das ohne weitereZugeständnisse schaffen, hätte er nämlich klaren Vorteil im Zentrum. 6. Bg5

6. BXc4 NXe4 7.O-O ist ein neuerer Versuch und ziemlich gefährlich, wenn sich Schwarznicht auskennt. Die Ragosin-Zugreihenfolge mit 4. . .Bb4 würde dieses Gambit vermeiden,allerdings könnte Weiß wie oben erwähnt seinerseits in andere Abspiele einlenken.

6. . . c5 7. BXc4

7. e5 ist eine ältere Hauptvariante, die man sich natürlich anschauen sollte, wenn mandie Wiener Variante spielen möchte.

7. . . cXd4 8. NXd4 BXc3+ Die scharfe Fortsetzung

8. . . Qa5 könnte nach 9.Bb5+ durch Zugumstellung wieder in der Partie landen, aberWeiß kann auch 9. Bd2 Qc5 10. Bb5+ Nbd7 11. Nb3 spielen, was aufgrund dersymmetrischen Bauernstruktur etwas ruhiger ist.

9. bXc3 Wieder haben wir eine asymmetrische Stellung: Schwarz hat die bessere Bau-ernstruktur, Weiß dafür das Läuferpaar und Entwicklungsvorsprung. Qa5 10. Bb5+Nbd7 Der Modezug hat den Nachteil, dass er die Entwicklung des Damenflügels aufhält.Aber der Vorteil ist, dass Weiß praktisch gezwungen wird, einen Bauern und die Rochadezu opfern!

10. . . Bd7 war lange der Hauptzug und ist auch immer noch spielbar. Nach 11. BXf6gXf6 12. BXd7+ NXd7 13. O-O QXc3!? erhält Weiß nach bspw. 14. Rb1 starkenAngriff, aber Schwarz scheint sich halten zu können. Solider ist jedoch 13. . . a6, wasb5 kontrolliert, sodass einerseits Nb5 verhindert wird und andererseits später . . . b5 eineOption ist, um den pc3 zu fixieren. Im Gegensatz zur Partie hat Weiß es jedoch geschafft,zu rochieren, sodass sein König sicher und den Türmen nicht imWeg steht. Schwarz pochtnun darauf, dass der Bauer c3 schwach wird; Weiß setzt auf seinen Entwicklungsvorsprungund die gefährdete Stellung des schwarzen Königs.

11. BXf6

© Ramin Geshnizjani, 2020 18

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Nach passiveren Zügen wie 11. Qd3?! O-O steht Schwarz sehr bequem: Auf BXf6 gibtes noch die Option . . .NXf6, sodass die Bauernstruktur intakt bleibt. Andererseits kanner mit . . .Ne5 und . . . a6 die Entwicklung abschließen und anfangen, die Schwäche c3 zubelagern.

11. . . QXc3+ 12. Kf1

12. Ke2 führt nach dem Zwischenschach Qb2+! 13. Kf1 gXf6 14. h4 a6 15. Rh3(droht 16. Rb3 mit Damenfang) Qb4 zur Partiestellung.

12. . . gXf6 13. h4 Der weiße König steht nicht gut, aber auch nicht allzu schlecht: DerRh1 kommt via h3 ins Spiel und Weiß setzt darauf, dass sein Entwicklungsvorsprung unddie tendenziell schwache schwarze Königsstellung genug Kompensation für den Bauernsind.

13. Rc1 legt den Damenturm zu früh fest und ist daher weniger flexibel als der Hauptzug– für den Rh1 gibt es nur eine sinnvolle Entwicklung, nämlich über h3!

13. . . a6 14. Rh3 Qb4 15. Be2 Schwarz strebt nun typischerweise die AufstellungNe5, Qd6, Bd7, Rd8 an. Für den König stellt sich immer die Frage, ob die kurze Rochademöglich oder zu gefährlich ist. Eine grobe Faustregel ist etwa: Wenn Springer und Damevon Schwarz schon auf e5 bzw. d6 stehen und Weiß nicht sofort angreifen kann, dannüberlebt der König auf dem Königsflügel. Steht die weiße Dame aber schon auf d2, dannist der Angriff in der Regel zu schnell.

15. Ba4 erleichtert die schwarze Aufgabe ein bisschen: b5 16. Bb3 Bb7 Der Läuferkonnte mit Tempo entwickelt werden und die Dame steht gut, da sie wegen des wackligenNd4 weiße Damenausflüge verhindert. 17. Rc1 Rd8! und Schwarz ist bereit, selbst mit. . .Ne5 aktiv zu werden.

15. . . Ne5 16. Kg1 Hier wurden bereits viele Züge probiert:

Nach 16. f4 sind sowohl das provokante Ng6!? 17. f5 Nf4k als auch das scheinbarwacklige 16. . . Nc4!? 17. Rd3 Bd7 18. Nc2 Qe7 19. RXd7 QXd7 20. QXd7+ KXd721. BXc4n spielbar: Die Türme haben offene Linien, während den weißen Leichtfigurenstabile Stützpunkte fehlen. Zusammen mit dem Mehrbauern hat Schwarz also auf jedenFall Kompensation für den leichten materiellen Nachteil.

16. h5 nimmt dem Springer das Feld g6 weg. Das droht somit nicht nur f4, sondernverhindert im höheren Sinne auch die kurze Rochade, da . . .Ng6 oft eine wichtige Ver-teidigungsressource ist. Allerdings sollte Qd6 17. Qd2 Bd7 18. Qb2 Rd8 für Schwarzin Ordnung sein.

Auch nach 16. Rc1 Qd6 17. Rc2 Bd7 18. Rd2 Qc7 dürfte Schwarz solide genug ste-hen.

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16. Rb1 scheint der kritischste Test zu sein: Qd6 bereitet nach der o. g. Faustregeldie Rochade vor; die zweite Hauptidee von Schwarz ist . . . b5, um endlich den Bc8 zuentwickeln. Mit 17. Qd2! verhindert Weiß jedoch beide Züge.

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h g f e d c b a•

Aufg. (13): Was folgt auf 17. . . O-O bzw. 17. . . b5?

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h g f e d c b a•

Aufg. (14): Kann Schwarz stattdessen nach 17. a4 rochieren?

In der Stammpartie konnte Schwarz jedoch nach 17. Qd2! Bd7! schließlich ausgleichen(1/2 (36) Giri, A (2773) – Aronian, L (2780), Stavanger 2015).

16. . . Qd6 17. Qd2

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1 z1•TKzzZzzZz3—VR2 zZ6YP6šYP4WB5™XQzzZ6YP3 3VRzZzzZzzZzzZ4 6šYPzzZ6YP2–UNzzZz5 zzZz2–UnzzZzzZ6 zZz6šYp6Yp5™XqzzZ6Yp7 6YpzZ6YpzZzzZ6YpzZ8 3—VrzzZ1TkzZ4WbzZ3Vr

h g f e d c b a•

Aufg. (15): Kann Schwarz rochieren?

17. . . Bd7 18. Rb1 Rd8! deckt b7 taktisch und schließt das „Standardprogramm“für Schwarz ab.

8 zzZz3—Vr1TkzZz3—Vr7 zZ6YpzZ4WbzZ6YpzZ6Yp6 6YpzZz5™Xq6Yp6šYpzzZ5 zZzzZz2–UnzzZz4 zzZz2–UN6YPzZz6šYP3 zZzzZzzZzzZ3VR2 6YPzZz5™XQ4WB6šYP6YPzZ1 zZ3VRzZzzZz1•TKz

a b c d e f g h◦

Aufg. (16): Warum hängt b7 nicht?

19. Qe3 Ba4 20. Nb3 Bb5! Auf diesen Zug wäre ich wohl nie gekommen! Der Dop-pelbauer (auch noch isoliert und auf einer halboffenen Linie!) sieht sehr hässlich aus; aberSchwarz zieht der weißen Drohung Nc5 effektiv den Zahn! 21. BXb5+ aXb5 22. Rg3b6 23. Qe2 b4 Im Nachhinein betrachtet wird die Logik im schwarzen Spiel ersichtlich:

© Ramin Geshnizjani, 2020 21

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Die aktiven Felder des Nb3 (d4, c5, a5) sind unter Kontrolle und der vordere b-Bauerist eher ein Blockeur als ein Angriffsziel auf der b-Linie. 24. Na1 Ke7 25. Nc2 Qd2Offenbar hat Witjugow kein Problem damit, seinen Mehrbauern zurückzugeben, um sichdafür die 2. Reihe zu sichern.

25. . . Nd3 26. Re3 Rhg8 27. g3 Rd7 sieht auch interessant aus; 25. . . Nc6? ist jedochzu passiv: Weiß kann jetzt mit 26. a3! bXa3 27. NXa3 die b-Linie öffnen und den Bauernb6 als klare Schwäche deklarieren.

26. Re3 (26. QXd2 RXd2 27. NXb4 Rc8e sieht nach schwarzem Vorteil aus) 26. . . b3!?27. aXb3 Jetzt ist b6 definitiv keine Schwäche mehr! Aber Weiß wollte den Gegner nichtauf die Grundreihe lassen.

27. RbXb3 Qc1+ 28. Ne1F Rd2 29. Qb5 sieht wegen der latenten Fesselung des Ne1sehr verdächtig aus, auch wenn der Computer nichts Konkretes sieht. Eine Beispielva-riante wäre Rc8 30. Qb4+ Rd6 (30. . . Ke8?? 31.Rb1h) 31. Rb1 Qd2 32. QXd2RXd2 33. Reb3 und Stockfish schwankt zwischen Ausgleich und leichtem schwarzenVorteil. Aber um diese Stellung zu erreichen, hat Weiß bereits einige „krumme“ Zügegebraucht!

27. . . h5 droht . . .Ng4. 28. Na3 Ng4 29. Nc4 Qb4?! 30. Rd3?!

Stockfish will hier mit 30. e5! die Qualität opfern: Nach NXe3 31. QXe3! droht Weißbeginnend mit Ra1 einen überraschend starken Angriff zu starten! Stockfish bewertet dieStellung mit 0,00, also muss es hier irgendwo eine Schaukel geben. Aus diesem Grundgefällt dem Computer 29. . . Qd4 besser, da das Qualitätsopfer dann nicht geht.

30. . . b5! 31. Nb2 Ne5 Der Unterschied in der Figurenaktivität ist unübersehbar.32. Rdd1 RXd1+ 33. RXd1 QXb3 Jetzt hat Schwarz wieder einen Mehrbauern, aberdiesmal ohne Kompensation für Weiß. 34. Qd2 Kf8 (34. . . b4?? 35. Qd6+ Ke836. Qd8m wäre äußerst peinlich) 35. Rc1 Kg7 36. Rc3 Qa2 37. Rg3+ Ng6 LautStockfish nicht der Beste, aber ich möchte den Menschen sehen, der hier 37. . .Kh7 spielt!38. Kh2 Rc8 39. Qd7 Qa8 40. e5 Ich vermute, dass Zeitnot im Spiel war und Weißdaher die letzte Möglichkeit zum Zocken genutzt hat.

40. QXb5 QXe4 ist hoffnungslos, da der ph4 auch noch fällt: 41. QXh5 Rh8 42. Qd1QXh4+ 43. Rh3 QXf2i

40. Nd3 war wohl die zähere Verteidigung, da Schwarz ein paar genaue Züge findenmuss: Qc6 41. Qd4 e5! Sonst ist Nf4 sehr stark für Weiß. 42. Qe3 Qc3! (gegen f4gerichtet) 43. Qb6 Qc4 44. Qe3 Rd8! 45. f4 Rd4! 46. f5 RXe4 47. Qa7 RXh4+

48. Kg1 Rg4 49. RXg4 hXg4 50. fXg6 KXg6i und Schwarz hat zu viele Bauern fürden Springer.

© Ramin Geshnizjani, 2020 22

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40. . . fXe5 Der einzige Gewinnzug! Aufgrund der Drohung eXf6+ nebst Rf3+ allerdingsauch naheliegend. 41. Nd3

Nach 41. Rf3 Rf8 42. QXb5 Rd8 kommt die Dame nicht wieder auf die 7. Reihe.

41. . . Rd8 Wieder der Einzige! Diesmal drohte NXe5. 42. QXb5 Rd5 43. Qb4 Qd8Jetzt sind die schwarzen Figuren wieder koordiniert und das weiße Gegenspiel verpufft.44. Qe4 f5 45. Qc4 Kh6 46. Qc1+ f4 47. Nc5 Rd1 0–1

Quellen

[1] ChessBase. Mega Database 2020.

[2] Jan Gustafsson. Schwarzrepertoire gegen 1.d4, Teil 2: Wiener Variante. Videokurs,chess24.com. 2016.

[3] Garry Kasparov. How to Play the Queen’s Gambit. Videokurs, Chessbase. 2004.

[4] Daniel King. Power Play 23: A Repertoire for black with the Queen’s Gambit Decli-ned. Videokurs, Chessbase. 2016.

Erklärung der Symbole

! guter Zug!! sehr guter Zug!? interessanter/zweischneidiger Zug?! zweifelhafter Zug? schlechter Zug, Fehler?? grober PatzerF einziger Zug oder erzwungenE mit der Idee

h Weiß hat entscheidenden Vorteil

c Weiß hat klaren Vorteilf Weiß steht (leicht) bessern mit Kompensationj Stellung ist ausgeglichenk Stellung ist unklarg Schwarz steht (leicht) bessere Schwarz hat klaren Vorteili Schwarz hat entscheidenden VorteilD Zugzwang

Lösungen

(1) Nach 15. . . d4 16. eXd4 BXf3 hat Weiß den Zwischenzug 17. dXc5!c.

© Ramin Geshnizjani, 2020 23

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(2) Das wäre eine Alternative gewesen: Nach 18. NXe4 dXe4 19. Ne5!? Aber nicht19.BXe7? eXf3! 20.BXd8 fXe2 21.RXe2 RXd8 22.Red2 Qg4!i. 19. . . NXe5 20. RXd8+

RXd8 21. RXd8+ BXd8 22. BXd8 Nd3!j sieht Stockfish die Stellung im Gleich-gewicht. Der aktive Springer und Raumvorteil dürften also genug Kompensationfür das Läuferpaar und die bessere Bauernstruktur des Weißen sein. Dabei bedeu-tet die Engine-Bewertung von ca. 0.00 nicht, dass die Stellung „tot“ ist; vielmehrdürften hier in der praktischen Partie noch alle drei Ergebnisse möglich sein – dieAsymmetrie macht’s möglich!

(3) s. Partie

(4) s. Partie

(5) 38. RXc4? wäre schon forciert Matt: Qf2+ 39. Kh1 Qf1+ 40. Ng1 Nf2m

(6) Im Prinzip würden beide Spieler die schwarzfeldrigen Läufer tauschen – aber nurzu ihren Bedingungen. So wäre 17. . . BXg3? ein grober positioneller Fehler: Nach18. hXg3 erreicht Schwarz auf der g-Linie gar nichts mehr. Also bleiben die Läufervorerst auf dem Brett.

(7) Mit 18. NXd4 hätte Weiß Dauerschach erzwingen können, entweder nach der kom-plizierten Variante 18. . . RXg3 19. hXg3 QXd4 20.Rfd1 Qb6 21.Rd2 Ba6 22.BXd7+

KXd7 23.Qh5 Ke8 24.Rad1 Rd8 25.QXh7 Bb7 26.Qg8+ Ke7 27.Qg5+j odernach 18. . . f4 19. NXe6! fXe6 20. QXe6+ Kf8 21. Qf5+ Kg7F (21. . . Ke7??22.Bh4+ Rg5 23.BXg5+ Ke8 24.BXd7m) 22. Bd3 (nicht 22.QXd7+? Kh8 23.Bd3Rg7 24.Qh3 fXg3 25. hXg3 BXg3i) 22. . . Qc6 23. QXh7+ Kf8 24. Qf5+j

(8) Mit dem Turm auf c1 hat Weiß nach 19. . . Ra5 20. a4 RXb5? 21. aXb5 Ne522. NXe5 RXg2+ 23. Kf1 RXh2 den Gegenschlag 24. Ra8+! BXa8 25. Rc8+h

(9) Weiß würde gerne seine verbundenen Freibauern in die Waagschale werfen, aber22. b4? läuft in 22. . . RXg2+! 23. NXg2 Rg8!! Nach23. . . f3? kommt Weiß zumGegenangriff: 24.Qc4 Rg8 25.Qc7 24. f3 Jetzt ist der Gegenangriff zu lange-sam: 24.Qc4 BXg2 25.Qc7 Bc6+. 24. . . d3+ 25. Qf2 BXf3 26. QXb6 RXg2+

27. Kf1 NXb6 28. BXd3 Nd5i und die aktiven Figuren und der gefährdeteweiße König sind mehr als genug für die Qualität.

(10) s. Partie

(11) Mit taktischen Tricks muss Weiß sehr aufpassen: 28. BXd7 KXd7 29. NXd4?scheitert an Rg5! 30. Qd1 RXg2+ 31. Kf1 Ke8i und der schwarze Angriffwird zu stark.

(12) s. Partie

© Ramin Geshnizjani, 2020 24

Training: Damengambit aus schwarzer Sicht Heilbronner Schachverein e.V.

(13) Auf 17. . . O-O? folgt entscheidend 18. Rg3+ Kh8 19. Qh6h und auch auf17. . . b5?! ist 18. Qh6! stark; die Idee ist 18. . . QXd4? 19. Rd1 mit zu starkemAngriff; u. a. droht nach QXf6 schon Matt auf d8!

(14) Weiß hat . . . b5 verhindert, Schwarz aber eine Verschnaufpause zum rochieren gege-ben: Nach 17. . . O-O 18. h5 Rd8 19. Rg3+ Kf8 entkommt der König in RichtungZentrum und nach 18. Rg3+ wehrt 18. . . Kh8 19. Qd2 Rg8! den Angriff ab.

(15) Hier ist die Rochade wieder schlecht: 17. . . O-O? 18. Rg3+ und Weiß erhältsowohl nach 18. . . Ng6 19. h5 e5 20. hXg6 QXd4 21. gXf7+ als auch nach18. . . Kh8 19. Qh6 Ng6 20. e5! fXe5 (20. . . Qe7 21. h5h verliert den Sprin-ger und 20. . . QXd4?? deckt zwar weiterhin f6, aber nicht mehr f8: 21.RXg6! fXg622.QXf8m) 21. Nf3 nebst Ng5 durchschlagenden Angriff.

(16) 19. RXb7? läuft in Bc8 20. Rb4 Nc6i

© Ramin Geshnizjani, 2020 25