Text of Was bringt Menschen mit psychischen Störungen besser in
140108_Riedel-Heller_Arbeit fr psychisch ErkrankteDer internationale Stand der Forschung. Fachtagung, 8.1.2014, Berlin Die wichtigsten Bedürfnisse der Patienten Baer et al., 2000 Psychiatrieplanung BL: 287 RehaklientInnen in 12 Institutionen s.a. Reker et al., 1996; Angermeyer et al., 1999; Secker et al., 2001 „normale“ Arbeit „normal“ sein soziale Kontakte Arbeit ist wichtig! Für die meisten von uns ist Arbeit ein Teil unserer Identität. Arbeit gibt Struktur und feste Abläufe. Sie ist ein Weg, einen Beitrag zu leisten – etwas von Bedeutung zu schaffen. Ein Einkommen gibt uns mehr Möglichkeiten, darüber zu entscheiden, was wir kaufen, wo wir wohnen und erlaubt es uns, Rücklagen zu bilden. 3 Berufliche Situation chronisch schizophren Erkrankter: Datengrundlage 1983-1993 (BADO) mit der politischen Wende verringerte sich der Anteil der Beschäftigten von 50% auf 7% Selbstbeurteilung: Problemzentrierte Interviews, qualitative Auswertung Herr D., 37 Jahre „Man ist einfach weg vom Fenster, durch das Rentendasein abgestempelt……… Wenn man von sich selbst nichts mehr erwartet, äh und in Rente rumgeistert – ich erwarte eigentlich von mir auch nix mehr jetzt, weil das, was ich wollte, ist alles gestorben….. Man stottert – da gibt‘s ein schönes Lied: ich stottere meine Lebensrunden ab“ Riedel SG et al.. Psychiatr Prax. 1998 Nov;25(6):286-90.. 4 Gruppen der Gesellschaft. weniger als ein Viertel von ihnen – das ist die niedrigste Beschäftigungsquote aller großen 5 1) Wenige Menschen mit (schweren) psychischen Störungen auf dem ersten Arbeitsmarkt 2) Geschützte Arbeit: Werkstätten für Behinderte als „Auffangbecken“ 3) Frühberentung - Mehr Psychisch Kranke in geschützter Arbeit (WfbM) Werkstätten als “Auffangbecken” Mehr Frühberentungen durch psychische Störungen 9 1) Wenige Menschen mit schweren psychischen Störungen auf dem ersten Arbeitsmarkt 2) Geschützte Arbeit: Werkstätten für Behinderte als „Auffangbecken“ 3) Frühberentung psychisch Kranke verfehlt „Berufsvorbereitungs- training (PVT)“ „unterstützte Beschäftigung“ (SE) Was bringt Menschen mit schweren psychischen Störungen in den Arbeitsmarkt? 2 Strategien: „first train then place“ vs. „first place then train“ Der deutsche Ansatz! „First train then place“ – der dt. Ansatz RPK BTZ BFW BBW ………….. Verschiedene Angebote …aber auch „Mischformen“, 2009 §38a SGBIX zur unterstützten Beschäftigung Leistungen für behinderte Menschen nach SE- ähnlichem Prinzip rechtlich normiert „ First place than train“ Unterstützte Beschäftigung/ Supported Employment Sechs Prinzipien 1. Die Eignung basiert auf der Wahl der Klienten. Niemand, der teilnehmen möchte, wird ausgeschlossen. 2. Unterstützte Beschäftigung ist in eine Behandlung integriert. Job Coaches koordinieren die Abläufe gemeinsam mit einem Behandlungsteam: Fallmanager, Therapeuten, Psychiater, etc. 3. Kompetitive Beschäftigung ist das Ziel. Der Fokus liegt auf Arbeitsplätzen in der Gemeinde, auf die sich jeder bewerben kann und die mit Mindesteinkommen oder höher bezahlt sind (Teilzeit- und Vollzeitjobs). 4. Die Arbeitsplatzsuche beginnt, sobald der Klient sein Interesse an Arbeit bekundet hat. Das Absolvieren umfangreicher Auswahlverfahren und Trainings ist keine Bedingung. 5. Die begleitende Unterstützung ist fortlaufend. Individuelle Betreuungen zur Sicherung des Arbeitsplatzes enden erst auf Wunsch des Klienten. 6. Die Klienten-Präferenzen sind maßgeblich. Alle Entscheidungen bezüglich Arbeit und Unterstützung basieren auf den individuellen Vorstellungen, Stärken und Erfahrungen des Klienten. WWW.DGPPN.DE • Multiprofessionelle gemeindepsychiatrische teambasierte Behandlung • Case management • Arbeitsrehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben • Wohnangebote sozialen Fertigkeiten • Künstlerische Therapien • Ergotherapie • Sport- und Bewegungstherapie Wie bringt man Menschen mit psychischen Störungen besser in Arbeit? besser in Arbeit? Einschluss: 3 Reviews, 4 RCTs sowie MA der NICE-LL Schizophrenie Ergebnisse der Datenbanksuche: 989 Treffer Auslese doppelter & irrelevanter Abstracts: 938 Screeningergebnis: 51 Treffer sowie 12 Treffer aus Handsuche Ausschluss: 56 8 keine Interventionen untersucht 17 Interventionen entsprechen nicht der Fragestellung 5 Fragestellung nicht relevant 3 Übersichtsartikel 14 bereits in anderen Reviews eingeschlossen 4 zu alt 1 Stichprobe entspricht nicht den Suchkriterien 1 kein RCT bzw. methodische Mängel 3 Ergebnisse redundant aufgrund mehrerer Artikel Was funktioniert besser? + • höhere monatliche Arbeitszeit (Ia) • höherer monatlicher Verdienst (Ib) • Keine signifikante Überlegenheit von unterstützter Beschäftigung in nicht arbeitsbezogenen Zielparametern SE vs. PVT Was funktioniert besser? (Bond GR, Drake RE, Becker DR. 2008, update Drake, Bond, & Becker, 2012) Quoten kompetitiver Beschäftigung in 16 RCTs zu unterstützter Beschäftigung 20 IPS PVT Burns, Catty, Becker et al. 2007, Lancet RCT in 6 europäischen Zentren: ‘place and train’ (IPS) vs. ‘train and place’ (PVT) Stichprobe: Patienten mit Erhebungszeitpunkte: Baseline, 6, 12 und 18 Monate Hauptzielgröße: Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt Hoffmann H, Jäckel D, Glauser S, Kupper Z: A randomized controlles trial of the efficacy of supported employment. Acta Psychiatr Scand 2012; 125: 157-167. SE (n=46) TVRP (n=54) Monatliche Quoten kompetitiver Beschäftigung für unterstützte Beschäftigung (SE) und konventionelle beruflicher Rehabilitationsprogramme (TVRP) * Im Berner JCP, ein auf Schweizer Verhältnisse angepasstes IPS, werden signifikant mehr Menschen mit schweren psychischen Störungen nachhaltig in die freie Wirtschaft integriert als mit traditionellen Eingliederungsmaßnahmen. * Menschen mit schweren psychischen Störungen mussten in einem Zeitraum von fünf Jahren signifikant weniger (teil)stationär behandelt werden, wenn sie einer Arbeit in der freien Wirtschaft nachgingen. * Menschen mit schweren psychischen Störungen geben eine signifikant höhere Lebensqualität an, wenn sie einer Arbeit in der freien Wirtschaft nachgehen. Hoffmann H, Jäckel D, DGPPN 2013 23 Bond GR, Drake RE, Becker DR. Generalizability of the Individual Placement and Support (IPS) model of supported employment outside the US. World Psychiatry. 2012 Feb;11(1):32-9. “The overall competitive employment rate for IPS clients in US studies was significantly higher than in non-US studies (62% vs. 47%). The consistently positive competitive employment outcomes strongly favoring IPS over a range of comparison programs in a group of international studies suggest that IPS is an evidence-based practice that may transport well into new settings as long as programs achieve high fidelity to the IPS model” Neue systematische Übersicht: Funktioniert supported employment auch außerhalb der USA? Ja Viering S, Bärtsch B, Obermann C, Rüsch N, Rössler W, Kawohl W. The effectiveness of individual placement and support for people with mental illness new on social benefits: a study protocol. BMC Psychiatry. 2013 Jul 24;13:195. doi: 10.1186/1471-244X-13-195. Weitere Studien sind im Gange….. Und nun? Der (lange) Weg vom Wissen in die Praxis Historisches Beispiel Vasco da Gama segelte ums Kap der guten Hoffnung 1497, 100 von 160 Seeleuten starben an Skorbut Der erste “trial”: 1601, Kapitän James Lancaster segelte von England nach Indien mit 4 Schiffen 1 Schiff - 3 Teelöffel Zitronensaft pro Tag: Kein einziger war auf der halben Strecke gestorben 3 Schiffe - kein Zitronensaft-Supplement: 40% starben auf halber Strecke Was passierte bei der British Navy? Nichts. Trial wurde 146 Jahre später wiederholt (James Lind, 1747) British Navy veränderte weitere 48 Jahre nichts. d.h. Keinen praktischen Impact auf die Segelflotte der British Navy für weitere 264 Jahre…… Fazit Arbeit für psychische Kranke – es gibt Handlungsbedarf in Deutschland. Evidenz-basierte Maßnahmen sind verfügbar: “first place then train“ – Unterstützte Beschäftigung/ Supported employment bringt psychisch Kranke besser in Arbeit. “Modeltreue” ist wichtig - Programme mit hohen Werten auf der “supported employment fidelity scale” weisen bessere arbeitsbezogene Ergebnisse auf. Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis auflösen: Implementierung Verbreitung – Anreize für Arbeitgeber, Finanzierungsmodelle, unbefristete! Begleitung durch job coachs……… Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Steffi Riedel-Heller, Leipzig Stefan Weinmann, Berlin Katrin Arnold, Günzburg Esra-Sultan Ay, Günzburg Uta Gühne, Leipzig