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CLAUDIA VIRGINIA VITARI | LE CITTÀ INVISIBILI LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (DETAIL XAVI) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 CM

Claudia Virginia Vitari | Le Città Invisibili

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CLAUDIA VIRGINIA VITARI | LE CITTÀ INVISIBILI

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WENN DIE SEELE AN GLASTüREN KLoPFT DER DIALoG MIT DER PSyCHE IM WERK VoN CLAUDIA VIRGINIA VITARI

Seelen, die an Glastüren klopfen, die aus der Tiefe des Unbewussten auftauchen und zum Licht drängen, um die Klischees und gesellschaftlichen Konditionierungen, in denen sie gefangen sind, zu überwinden. Dies ist das erste Bild, das einem in den Sinn kommt, um die Werke von Claudia Virginia Vitari zu interpretieren, die mit Zärt-lichkeit und großer Sorgfalt das Thema psychischen Erkrankungen untersucht.

Wohlbekannt ist, wie der bekannte Carl Gustav Jung die ersten Gedanken zur Tiefenpsychologie ausgehend von der Analyse der schizophrenen Patienten entwickelte. Durch die psychoanalytische Beobachtung der Wahnvor-stellungen von Patienten kam Jung zur Ausformulierung einiger seiner Grundtheorien; vorrangig und damals revo-lutionär, der Begriff der Seele. Diese Idee von der Seele, ausgehend vom Neoplatonismus, weiterentwickelt in der Renaissance und in den späten Theorien des Augu-stin, wurde im Laufe der Zeit ein zentrales Thema für viele Forscher der menschlichen Psyche, wie Marie Louise von Franz, Clarissa Pinkola Estès – um nur einige Persön-lichkeiten zu nennen – und nicht zuletzt den vor kurzem verstorbenen James Hillman.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern personalisiert Jung erstmals den Begriff der Seele: Die Seele ist jetzt Psyche, tief und wunderschön, welche die geistigen und imagi-nären Seiten der Menschen berücksichtigt, wie nie zuvor im Bereich der Psychoanalyse.

Man würde sagen, dass diese Auffassung der „Seele“ die Hauptrolle in Claudia Virginia Vitaris Projekt spielt. In die-sen Werken, die aus einer fachlichen Beschäftigung mit dem Thema und einer intensiven Auseinansetzung vor Ort entstanden sind, wird das Thema der psychischen Erkrankung aus künstlerisch-akademischer bzw. tech-nischer Perspektive und zugleich auf eine sehr direkte und menschliche Weise untersucht. Schweifend zwischen belesenen Zitaten von Foucault bis Goffman, sind die aus-gestellten Werke gleichzeitig schön im Aussehen und tief in ihren Bedeutungen. Es gelingt ihnen, viele unterschied-liche Facetten durch ästhetisch angenehme, doch nie ausschließlich ästhetisierende Formen zu übermitteln. Genau deshalb stehen sie in perfekter Übereinstimmung mit der Natur der Psyche.

Vitaris Werk ist auch deshalb so aktuell, weil Phänomene wie Depression, Panikattacken, Hypochondrie und andere Störungen heutzutage stark verbreitet sind. Beinahe scheint es, als würde durch diese Störungen die wahre Psyche einen Anspruch auf ein Zusammenleben mit uns und in unserem gesellschaftlichen Alltag erheben. Sie verweigert es, sich zu annullieren und sich an von uns passiv angenommene Sozialstrukturen, leblos wie tote und obsolete Metaphern, anzugleichen.

In diesem Sinn untersucht Vitari in ihrem Werk die hauch-dünne und labile Grenze zwischen psychischer Krankheit und Gesundheit, zwischen sozialer Maske und Seele.

Sie lässt die Seele zu Wort kommen. Vitari schafft einen vielschichtigen Kosmos voller Reflexionen und Zusam-menhänge, Gesichter und Blicke. Eine Welt, die weit über die engen Grenzen der totalen Institutionen hinaus viel zu sagen und zu bezeugen hat.

Jedes Werk ist ein kleiner offener Riss, ein Durchgang, eine Brücke oder eine Vision, die, die Persönlichkeit eines jeden Menschen hervorzuhebt, seinen individuellen, tie-fen seelischen Baustein, jenseits jeder festgesetzten Form und Definition.

Die Gesichter, in schweren Metallkästen gerahmt, drän-gen mit geschlossenen Augen aus ihren gläsernen Abgründen nach oben. Sie übermitteln die Idee, dass es sinnlos ist, die Seele einer Diagnose zu unterziehen, die lediglich der Klassifizierung und Wiedererkennung dient, die Seele selbst jedoch zum Schweigen bringt. Vielmehr lohnt sich, den Dialog aufzunehmen und sich aus der Intu-ition der menschlichen Psyche heraus und jenseits jedes Vorurteils zu verständigen. Dadurch können schließlich die Reichtümer der Psyche, die Wahrheit und die Schön-heit, die sie seit jeher wie in einem heimlichen Schrein in sich birgt, verstanden werden.

Maria Cristina Strati

JUNI - JULI 2012 | SHOWPAPER #21

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CLAUDIA VITARI | STATEMENTKunst ist für mich ein Medium, Unsichtbares sichtbar zu machen. Ich arbeite an Situationen, scheinbar Rand-erscheinungen, die jedoch unerlässlich sind für das Verständnis der Gesellschaft, in der wir leben. Seit meinem Studium an der Universität Burg Giebi-chenstein in Halle an der Saale, liegt der Fokus meiner künstlerischen Recherche auf der Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Individuum und der Gesell-schaft. Ich suche nach Lebensgeschichten von Persönlichkeiten, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, und gebe ihnen eine Stimme. Im Laufe von Monaten, manchmal Jahren, sammle ich verschiedenartiges Material: Inter-views, Zeichnungen, Mitschriften von Gesprächen, Zitate. Mein jeweiliges Thema beleuchte ich unter unterschied-lichen Gesichtspunkten, wobei an erster und zentraler Stelle der Dialog mit den Betroffenen selbst steht, ergänzt um das Hinzuziehen von Fachliteratur ebenso wie the-menverwandter Filme und Belletristik. Dieses Vorgehen ist sehr wichtig für mein eigenes tiefer gehendes Ver-ständnis sowie für das Schlagen einer Brücke zum Betrachter. Anschließend dokumentiere ich die Geschichte jedes Einzelnen. Ich interviewe die Personen, bitte sie um eine Beschreibung ihrer selbst und beschreibe sie gleichzei-tig durch Porträts. Der Schaffensprozess wird zu einem Kommunikationsmittel, um Einzelheiten zum Ausdruck zu bringen. Das, woran sich die Menschen auf historischer, soziolo-gischer und wissenschaftlicher Ebene normalerweise erinnern, ist eine bestimmte Art des Allgemeinwis-

sens. Doch mein Anliegen ist es, über das Unsichtbare zu sprechen: Individuelle Erinnerungen und persönliche Lebenserfahrungen, die ein umfassenderer Bild unserer Gesellschaft geben. Es geht dabei um Geschichten, die sich innerhalb unserer Städte verstecken. Es sind gleich-zeitig Realitäten, die als Produkt der Gesellschaft, die wir selbst geschaffen haben, existieren. Seit 2008 befasse ich mich mit dem Thema der “totalen Institutionen” frei nach dem Werk „Asyle“ von Erwing Goff-man. Darüber hinaus stellen Werke von Kafka, Foucault oder epische Werke wie der Gilgamesh-Epos Inspirati-onsquellen für mich dar. Meine ersten eigenen Arbeiten zu diesem Thema (MELANCHOLIE 2002 und PERCORSOGA-LERA 2007-2009) behandeln institutionelle Strukturen, wie beispielsweise das psychiatrische Krankenhaus in Halle an der Saale und die landesgerichtliche Strafan-stalt “Lorusso e Cotugno” in Turin. Das Projekt “Die unsichtbaren Städte” wurde realisiert in Zusammenarbeit mit Radio Nikosia. Eine nicht-institutio-nelle Realität, in der jedoch das Thema der Institution und der psychiatrischen Diagnose allgegenwärtig ist. Alle Mit-arbeiter von Radio Nikosia kennen das Leben in „totalen Institutionen“ aus eigener Erfahrung. Sie organisieren und gestalten den Radiosender und können durch diese Tätig-keit ihre Identität zeigen. Die Zusammenarbeit mit den “Nikosianern” war sehr spontan und bereichernd. Ich wurde vom ersten Tag an sehr herzlich und hilfsbereit empfangen. Innerhalb des Senders gibt es keine Hierarchien, was eine offenere und direktere Kommunikation ermöglichte. Es gab nie eine Selektion derer, die mit mir arbeiten sollten. Vielmehr war das Kennenlernen sehr natürlich und unkompliziert. Das

Porträt ist ein wunderbares und einzigartiges Kommuni-kationsmittel, so dass fast jeder Mitarbeiter bereit war, am Projekt teilzunehmen.

Technisch gesehen finde ich die Kombination aus Zeich-nung, Bildhauerei und Installation sehr reizvoll. Sie ermöglicht eine Vielfalt von Stimmungen, Tönen sowie zwei- und dreidimensionalen Elementen. Ich verar-beite durchsichtige Materialien wie Harz oder Glas und benutze grafische Techniken wie Siebdruck, geschach-telt in Strukturen aus Eisen. Die Transparenz verleiht der Installation die Funktion einer Linse: In den kristallisier-ten Lebensgeschichten ist auch eine Realität zu sehen. Harz und Glas sind flüssige, durchsichtige Materialien, die sich von Eisen stark unterscheiden. Das Eisen als unbeugsames und kaltes Element ist eine Metapher für die starren Strukturen der Einrichtungen. Ein Riss oder ein Bruch im Glas oder Harz stellen eine freie Bewegung oder den Versuch eines Ausbruchs dar. Die zerfließenden und zum Teil deformierten Zeichnungen und Texte bieten die Möglichkeit, eine andere Perspektive einzunehmen. Darüber hinaus erinnern die Blasen an einen Atemzug, an etwas Lebendiges und in der Entstehung Begriffenes. Die irreführende Klassifizierung der Menschen wird durch die natürliche Zufälligkeit des künstlerischen Ausdrucks abgelöst.

CLAUDIA VITARI // *1978 in Turin, Italien // Studium Malerei/ Grafik, Textil an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein, Halle and der Saale // Diplom 2004 // Teilnahme an verschiedenen Gruppen- und Einzelausstellungen u. a. in Barcelona, Turin, Berlin // lebt und arbeitet in Barcelona, Turin und Berlin // wird vertreten von der Galerie Berlin Art Projects.

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W W W . B E R L I N A R T P R o J E C T S . D E

Zugegeben: Ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet

mich, lässt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch, und meines

Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durch-

schauen kann.

Mein Pfleger kann also gar nicht mein Feind sein. Liebgewonnen habe ich ihn, erzähle

dem Gucker hinter der Tür, sobald er mein Zimmer betritt, Begebenheiten aus meinem

Leben, damit er mich trotz des ihn hindernden Gucklochs kennenlernt. Der Gute

scheint meine Erzählungen zu schätzen, denn sobald ich ihm etwas vorgelogen habe,

zeigt er mir, um sich erkenntlich zu geben, sein neuestes Knotengebilde. Ob er ein

Künstler ist, bleibe dahingestellt. Eine Ausstellung seiner Kreationen würde jedoch

von der Presse gut aufgenommen werden, auch einige Käufer herbeilocken.

GÜNTER GRASS: Die Blechtrommel